Die geheimnisvolle Schöne

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Auf einer Kostümparty trifft Joe eine geheimnisvolle Schöne, die ihn magisch anzieht. Spontan von Verlangen überwältigt, küsst er sie leidenschaftlich - ohne zu wissen, wer sie ist. Als sie ihre Maske abnimmt, traut er seinen Augen nicht. Die verführerischste Frau, der er jemals begegnet ist, ist keine Fremde für ihn ...


  • Erscheinungstag 30.01.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745639
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Als Joe Vicente ins Büro kam, bot sich ihm ein grausamer Anblick. Er wäre fast über einen von sechs Dolchen durchbohrten Körper gestolpert.

Nachdem Joe sich den Riesen, der vor ihm auf dem Boden lag, näher angesehen hatte, fing er jedoch an zu lachen. Das Blut, das aus den vermeintlichen Einstichstellen sickerte, war eine Spur zu grellrot, wie er als erfahrener Kriminalbeamter sofort erkannte, und die Dolche hatten keine Spitze.

„Habe ich dir einen Schrecken eingejagt?“, fragte der Riese.

„Ja, das ist ein tolles Kostüm, Reggie.“ Joe ging um den Kollegen herum zu seinem Schreibtisch. „Willst du so bei deinen Nachbarn an der Tür klingeln, wenn du nach Hause gehst?“

„Ach was, ich treffe mich mit meiner Frau im Blue Zoo zur Halloweenparty. Hast du nicht Lust mitzukommen?“

„Nein, danke. Wenn ich heute Abend nicht da bin und Süßigkeiten an die kleinen Monster verteile, bewerfen sie mein Haus mit Eiern.“

Reggie stand auf und strich sein Kostüm glatt. „Ich wusste nicht, dass die Kinder so etwas heute immer noch machen.“

„In unserer Nachbarschaft ist das noch üblich.“ Joe blätterte jetzt konzentriert in den Papieren auf seinem Schreibtisch.

Als er wieder aufblickte, stand ein Nachkomme Al Capones im Nadelstreifenanzug, mit schwarzem Hemd und weißer Krawatte vor ihm, den typischen Filzhut auf dem Kopf. Tatsächlich war es Tony Mendes, der Neue im Morddezernat der Polizei von Los Angeles und Joes Partner.

Joe verzog grinsend das Gesicht. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass sich in seinen sieben Dienstjahren in dieser Abteilung ein Kollege zu Halloween verkleidet hatte. Es lag wohl daran, dass das Blue Zoo, die Stammkneipe der Kripo von Los Angeles, einen neuen Wirt hatte, der ein größeres Publikum anzog.

Joe ließ sein Notizbuch auf den Schreibtisch fallen, als er Lieutenant Morgan über den Flur gehen sah.

„Kommen Sie bitte ins Besprechungszimmer, Joe“, sagte der Lieutenant. Sein Ton machte deutlich, dass es sich nicht gerade um die Einladung zu einer Party handelte. Ohne ein Wort zu seinen Kollegen folgte Joe seinem Vorgesetzten.

Im Besprechungszimmer setzte er sich Morgan gegenüber an den Tisch und schlug, nichts Gutes ahnend, die Beine übereinander. Er hatte plötzlich wieder heftiges Sodbrennen, wagte in Gegenwart des Lieutenants aber nicht, eine seiner Kautabletten zu nehmen, die er wie Bonbons aß.

Ohne eine Miene zu verziehen, lehnte Morgan sich zurück. Mit seinen eins fünfundachtzig war er annähernd so groß wie Joe, jedoch zehn Jahre älter und mindestens zwölf Kilo schwerer. Er war ein guter Vorgesetzter, der sich stets um Fairness bemühte. „Was ist der neuste Stand im Fall Leventhal?“

„Es gibt nichts Neues“, antwortete Joe prompt. „Keine der Spuren hat mich weitergebracht.“

Darauf schwieg Morgan eine ganze Weile, sodass Joe fast angefangen hätte, eine Erklärung nachzuschieben, obwohl er die Schweigetaktik kannte. Er wandte sie ja selbst oft an. Man schweigt so lange, bis der andere es nicht länger erträgt und sich gezwungen fühlt, wieder etwas zu sagen.

„Ich habe Sie für vier Wochen Urlaub eingetragen“, erklärte Morgan schließlich, ohne den Blickkontakt mit Joe auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen.

Seine Worte waren ein Schock für Joe. Er hatte Mühe, ruhig zu bleiben. Urlaub, das würde die Hölle sein! Zugegeben, er hatte in der letzten Zeit ein paar Mal die Nerven verloren, aber das Letzte, was er brauchte, war Urlaub. Freie Zeit? Darauf legte er überhaupt keinen Wert. „Ich weiß, dass Sie im Moment nicht so zufrieden sind mit meiner Arbeit, aber …“

Morgan runzelte die Stirn. „Es hat nichts mit Ihrer Arbeit zu tun, Joe. Sie sind ein verdammt guter Detective. Aber Sie stehen kurz vor der Versetzung.“ Er unterstrich seine Worte, indem er Daumen und Zeigefinger fest zusammenpresste.

„Aber ich kann jetzt nicht Urlaub machen.“

„Sie müssen mal hier raus, und zwar, ehe etwas passiert. Sie bringen sich selbst und andere in Gefahr, Joe. Ich meine, Sie arbeiten schon viel zu lange an diesem Fall und haben sich furchtbar darin verbissen.“

„Ich kann die Zeugen einfach nicht dazu bringen, mit uns zu kooperierten. Das wissen Sie doch.“

„Allerdings, aber Sie dürfen Ihren Frust nicht an Ihren Kollegen auslassen, Joe. Heute haben Sie sich zum ersten Mal seit Monaten im Dienst halbwegs normal benommen. Denken Sie bloß nicht, Captain Miller wüsste nicht Bescheid. Ich will nur verhindern, dass Sie ernste Schwierigkeiten kriegen. Deswegen müssen Sie ab morgen in Urlaub gehen.“

Joe überkam ein Gefühl der Verzweiflung. Nicht arbeiten zu können, nein, das würde er nicht überleben. Sein Sodbrennen würde immer schlimmer werden, ganz zu schweigen von seiner Schlaflosigkeit. „Zwei Wochen reichen mir vollkommen“, erklärte er. Das kann ich vielleicht gerade noch aushalten, fügte er in Gedanken hinzu.

„Vier“, beharrte Morgan energisch. „Und wenn Sie am Tatort gesehen werden oder versuchen sollten, sich mit einem der Zeugen in Verbindung zu setzen, dann brauchen Sie gar nicht mehr zurückzukommen.“

Joe musste zugeben, dass Morgan in gewisser Weise recht hatte. So konnte es nicht weitergehen. Aber einfach vier Wochen Ferien zu machen, das war auch keine Lösung. Rechtlich gesehen konnte man ihn nicht zwingen, Urlaub zu nehmen. „Sie wissen doch, dass ich nicht verreisen kann“, entgegnete er, um Morgan milder zu stimmen.

„Aber eine Reise wäre jetzt genau das Richtige für Sie“, erwiderte Morgan und es klang ehrlich besorgt. „Wie lange ist es her, dass Sie richtig Ferien gemacht haben? Wann sind Sie das letzte Mal auch nur ausgegangen? Mir ist klar, dass Sie eine schwere Zeit hinter sich haben, Joe, aber Sie müssen darüber hinwegkommen. Versuchen Sie alles, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Fangen Sie wieder an zu leben, Mensch.“

„Oder kommen Sie überhaupt nicht wieder?“, fügte Joe mit düsterer Miene hinzu.

Morgan verschränkte die Arme über der Brust. „Ich möchte die Fallakte und Ihre Aufzeichnungen auf meinem Schreibtisch haben, bevor Sie Feierabend machen.“

Joe war neununddreißig Jahre alt. Achtzehn Jahre arbeitete er schon für das Los Angeles Police Department. Daher wusste er auch, dass alles für ihn auf dem Spiel stand und dass er seinem Chef nicht widersprechen durfte, vor allem weil Morgan es gut mit ihm meinte. „Wer wird denn den Fall Leventhal übernehmen?“, fragte er daher nur.

„Tony Mendes.“

Joe unterdrückte einen Schrei der Empörung. „Er ist doch ein blutiger Anfänger!“

„Das sehe ich anders“, widersprach Morgan. „Er ist genauso ein Anfänger, wie Sie es vor sieben Jahren waren. Sie haben damals auch schon Fälle gelöst.“

Joe nahm sich eine Stunde Zeit, um seine Aufzeichnungen zu ordnen. Das hatte zwar niemand von ihm verlangt, und sie würden ihn auch nicht zu Hause anrufen, wenn etwas unklar war, aber er wollte Tony Mendes die Arbeit erleichtern. Zum Glück kannte der den Fall schon.

Als Joe die Unterlagen zum Fall Leventhal schließlich auf Morgans Schreibtisch legte, waren alle außer dem Lieutenant schon gegangen.

Morgan nickte Joe zu. „Danke, wir sehen uns dann nach Thanksgiving.“

Joe hatte sich schon verabschiedet und wollte gerade die Tür hinter sich schließen, da rief Morgan ihm nach: „Rufen Sie mich zwischendurch doch mal an und berichten mir, wie es Ihnen geht.“

„Mach ich“, antwortete Joe mit gepresster Stimme. Selbst das Gehen schien ihm schwer zu fallen. Was soll ich jetzt an Halloween anfangen? fragte er sich verzweifelt. Heimfahren und darauf warten, dass die Kinder bei ihm klingelten und um Süßigkeiten betteln? Nein, lieber wollte er später das angetrocknete Eigelb von der Hauswand kratzen.

Er könnte auch ins Blue Zoo gehen, mit den Kollegen quatschen und sich volllaufen lassen. Aber in seiner Verfassung würde er sich am Ende noch prügeln.

Als er in seinem Wagen saß, fiel ihm die Einladung auf dem Beifahrersitz ins Auge. Sie lag dort schon seit ein paar Wochen, ohne dass er sie beachtet hatte. Jetzt nahm er sie in die Hand, um sie zum ersten Mal in Ruhe durchzulesen.

Es war eine Einladung zu einer Kostümparty von Scott Simons, seinem ehemaligen Ausbilder bei der Polizei. Scott hatte vor zwölf Jahren den Dienst quittiert und sich als Anwalt niedergelassen. Er war dafür bekannt, komplizierte Strafrechtsfälle zu übernehmen, und verdiente eine Menge Geld. Die Halloweenparty fand heute Abend in seinem Haus in Santa Monica statt.

„Kostüm erforderlich“, las Joe laut. Dann trommelte er mit den Fingern auf das Lenkrad. Eigentlich hielt er nichts davon, sich zu verkleiden. Aber Scotts Party wäre für ihn heute Abend gar nicht so schlecht. Er käme mit Leuten zusammen, die er nicht näher kannte, erfolgreiche Rechtsanwälte und wichtige Klienten. Alles würde sehr unverbindlich für ihn sein, aber er wäre dennoch nicht allein. Zu Hause würde er sich nur betrinken, und das wäre Gift für seinen Magen.

Lieutenant Morgans Worte klangen ihm im Ohr: „Fangen Sie wieder an zu leben.“

Joe warf die Einladungskarte zurück auf den Beifahrersitz, startete den Motor und fuhr los. Er überlegte tatsächlich ernsthaft, wo er jetzt noch ein Halloweenkostüm auftreiben konnte. Etwas Originelleres als eine George-W.-Bush-Maske sollte es schon sein.

Als ihm bewusst wurde, worüber er sich Gedanken machte, schüttelte Joe über sich selbst den Kopf. Ich glaube, ich bin wirklich übergeschnappt, dachte er.

Die Party war in vollem Gang. Laute Musik und das Stimmengewirr der Gäste erfüllten die Räume. Arianna Alvarado fühlte sich hier sehr wohl. Die ausgelassene Stimmung war ein willkommener Kontrast zu ihrer konzentrierten Arbeit.

Sie nippte an ihrem Martini, an dem sie besonders die herbe Ginnote schätzte. Dann fischte sie eine grüne Olive heraus und kaute sie genüsslich. „Bist du sicher, dass er nicht noch kommen wird?“, fragte Arianna den Mann an ihrer Seite.

„Ich hab dich ja gewarnt. Du solltest dir keine großen Hoffnungen machen, ihn hier zu treffen“, antwortete Scott Simons. Die beiden standen im Foyer, wo er als Hausherr die ankommenden Gäste begrüßte. „Wenn er nicht Jeans und Stiefel tragen kann, hat er sowieso kein Interesse.“

„Kombiniert mit Westernhemd und Stetson ist das doch schon ein klassisches Kostüm“, bemerkte Arianna.

„Aber es bleibt ein Kostüm.“

„Natürlich.“ Sie lächelte zustimmend, wollte jedoch immer noch nicht aufgeben. „Andererseits hat er aber auch nicht ausdrücklich abgesagt, nicht wahr?“

„Ja, aber wenn er kommen wollte, hätte er angerufen.“

Sie war selbst überrascht über die Enttäuschung, die sie auf einmal spürte. Ohne es sich einzugestehen, war sie mit gewissen Erwartungen hergekommen.

Nachdem Scott zwei als Ganoven verkleidete Gäste begrüßt und zur Bar geschickt hatte, wandte er sich wieder an Arianna. „Warum rufst du ihn nicht einfach im Büro an?“

„Das hat keinen Zweck.“

Er zog amüsiert die Brauen hoch. „Dann hast du mir nicht die Wahrheit gesagt, als du mich gebeten hast, ihn auf die Gästeliste zu setzen. Es war also kein dienstlicher, sondern ein privater Grund.“

„Es ist dienstlich, aber zugleich privat.“

Scott verstand zwar nicht, was sie damit meinte, hakte aber nicht weiter nach. „Auf jeden Fall mag er schöne Frauen, Arianna. Du würdest ihm gefallen.“

„Schmeichler“, gab sie zurück. Es ging ihr nicht darum, Joe zu gefallen, auch wenn er eine gewisse Anziehung auf sie ausgeübt hatte, als sie ihn letztes Jahr im Dezember kennenlernte. Damals hatte sie das Gefühl gehabt, dass er sie ebenso attraktiv fand. Aber keiner von ihnen hatte die Initiative ergriffen. Irgendwie war sie froh darüber gewesen, denn es wäre ihr schwergefallen, ihm einen Korb zu geben, was sie natürlich hätte tun müssen.

„Hab ich dir eigentlich schon gesagt, wie umwerfend du in diesem Flamencokleid aussiehst?“ Scott zwinkerte ihr zu. „Ich hätte nichts gegen eine private Tanzvorführung.“

Sie quittierte seine Bemerkung nur mit einem gelangweilten Blick, weil sie wusste, dass dies nur ein freundschaftliches Geplänkel war. Scott war mit einer sehr hübschen Frau verheiratet, die er förmlich anbetete.

Arianna hob die Arme und klapperte kokett mit ihren Kastagnetten. Dann zog sie lachend an Scotts Richterperücke, bevor sie in den Garten verschwand.

Die meisten Gäste hatten sich am Pool versammelt. Sie blieb immer wieder stehen, um mit dem einen oder anderen ein paar Worte zu wechseln. Vom Barkeeper ließ sie sich noch ein Cocktailspießchen mit den köstlichen grünen Oliven für ihren Martini geben, der ihr für den ganzen Abend reichen würde.

Danach wollte sie sich ein ruhiges Plätzchen suchen, um zu überlegen, was sie unternehmen sollte. Wie konnte sie Joe Vicente außerhalb des Dienstweges um Hilfe bitten?

Hinter dem Pool wurde die Vegetation üppiger. Ein schmaler Gartenweg führte Arianna an einem Bach entlang durch duftendes tropisches Grün bis zu einer Felsengrotte mit einem Wasserfall, der den Bach speiste.

Sie hielt an, als sie am Wasserfall einen Mann, vollkommen in seine Gedanken vertieft, stehen sah. Es war ein schlanker großer Mann mit dunklem Haar, ganz in Schwarz gekleidet. Er trug hohe Stiefel, eine eng anliegende Hose mit einem weiten Hemd darüber und einen breitkrempigen, tief ins Gesicht gezogenen Hut. Außerdem bedeckte eine Maske die obere Hälfte seines Gesichts. Zorro – das Kostüm war unverkennbar.

Wie der Mann so dastand, hatte er auch in seiner Haltung etwas von der Arroganz eines Zorro. Man erwartete unwillkürlich, dass er jeden Moment seinen Degen ziehen und damit ein großes Z in die Luft malen würde.

Arianna war von seiner Erscheinung fasziniert. Sie rückte ihre Satinmaske zurecht und näherte sich dem geheimnisvollen Fremden. Vielleicht war dieser Abend ja doch keine Zeitverschwendung.

Joe stieg plötzlich ein wunderbarer blumiger Duft in die Nase. Von welcher Blume ging so ein intensiver köstlicher Duft aus? Joe schaute sich vergebens danach um. In diesem Moment kam ihm eine schöne dunkelhaarige Frau mit atemberaubender Figur entgegen. Ihre ganze Erscheinung wirkte sehr exotisch.

Sie trug ein weit ausgeschnittenes langes Kleid aus rotem Satin und schwarzer Spitze, das ihre rassigen Kurven betonte. Der Rock war etwa ab Kniehöhe gerüscht und wippte bei jedem Schritt mit. Sie hatte sich eine Rose ins Haar gesteckt, vom gleichen verführerischen Rot wie ihre Lippen. Joe entging selbst der Schönheitsfleck neben ihrem rechten Mundwinkel nicht. Er war tief beeindruckt von ihren großen dunklen Augen. Ihr Blick schien unergründlich zu sein.

Was für eine Frau! Sie strahlt Erotik pur aus.

„Buenas Noches“, grüßte sie ihn mit perfekter spanischer Aussprache. Während sie sprach, konnte er ihre makellosen weißen Zähne bewundern.

„Buenas Noches“, erwiderte Joe. Er schätzte die unbekannte Schöne auf etwa dreißig Jahre. Ihm fiel sofort auf, dass sie keinen Ring trug.

„Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?“ Einladend streckte er der Frau die Hand entgegen, um ihr die Stufen herauf zu helfen. Dabei blieb sein Blick an ihrem großzügigen Dekolleté hängen. Joe schaffte es gerade noch, den Blickwinkel zu ändern, bevor die exotische Schönheit den Felsabsatz erreichte und seine Hand wieder losließ.

„Danke.“ Sie stand jetzt neben ihm und schaute sich um. „Wie romantisch dieses Plätzchen hier oben in der Grotte ist! Ich hoffe, ich habe Sie nicht gestört.“

„Danke, dass Sie mich gestört haben.“

Sie lächelte nur.

Joe überlegte angestrengt, ob er sie von irgendwoher kannte. Etwas an ihr kam ihm vertraut vor. War es ihre Stimme oder ihre Körperhaltung? Ihr selbstbewusstes Auftreten? Alles wirkte so perfekt. Vielleicht war sie eine Schauspielerin, vielleicht hatte er sie in einem Film gesehen. Eine Anwältin für Strafrecht ist sie jedenfalls nicht, dachte er. Er kannte alle Anwälte in der Gegend von Los Angeles. Sie wäre ihm sicher aufgefallen. Wenn sie doch nur ihre Maske abnehmen würde!

„Sie tragen ja heute gar nicht Ihr Cape, Zorro“, bemerkte sie schließlich.

„So ein offizieller Anlass ist das hier ja auch nicht.“

Sie lachte ungezwungen. Er fand ihr Lachen zauberhaft, und es schien tatsächlich magische Wirkung auf ihn auszuüben. Sein Sodbrennen hatte jedenfalls nachgelassen. „Tanzen Sie?“

„Ist das nicht selbstverständlich, wenn man auf eine Party geht?“

„Sicher, aber ich meinte, ob Sie Flamenco tanzen, weil Sie doch dieses Kleid tragen.“

Joe war plötzlich ganz versessen darauf, sie tanzen zu sehen. Wie betörend würde sie erst duften, wenn sie sich bewegte und ihr warm wurde. Er hatte schon eine Ewigkeit nicht mehr im Entferntesten so etwas wie Lust empfunden. Fast hätte er die Anzeichen dafür nicht erkannt. Aber jetzt wurde ihm bewusst, dass er heftiger atmete und sein Herz schneller schlug. Sein ganzer Körper schien auf einmal hellwach zu sein.

„Ja, ich tanze Flamenco“, erklärte sie selbstbewusst. Sie hob den Kopf ein wenig, sodass ihr schlanker Hals noch mehr zu Geltung kam.

Joe wartete gespannt. Aber sie war nicht bereit, ihm eine Kostprobe ihrer Tanzkunst zu geben.

Nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten, fragte sie: „Woher kennen Sie Scott eigentlich?“

Joe war ganz woanders mit seinen Gedanken, und mit dieser Frage hatte er überhaupt nicht gerechnet, aber sie rief ihn wieder in die Realität zurück. „Ich habe ihn beruflich kennengelernt. Und Sie?“

„Ich ebenfalls.“

Wieder hatte Joe das Gefühl, dieser Frau schon einmal begegnet zu sein. Ob Scott sie in einem Prozess verteidigt hatte? War sie in einen Fall verwickelt gewesen, der durch die Presse gegangen war?

Sie deutete auf den Gartenweg, der zurück zum Pool führte. „Ich glaube, ich habe Sie doch gestört. Ich sollte wohl besser gehen.“

„Nein!“ Er nahm sie bei der Hand. Insgeheim ärgerte er sich darüber, dass er zu schweigsam gewesen war. Es war ihm gar nicht aufgefallen, aber offensichtlich hatte sein Benehmen die Frau verunsichert. „Ich hatte einen harten Tag“, bemerkte er wie zur Entschuldigung. Und eine harte Woche, harte Monate, ja ein hartes Jahr, ergänzte er in Gedanken. „Ehrlich gesagt, ich hatte das Gefühl, Sie wären nur eine Vision.“

Sie sah ihn an, und der Blick ihrer großen dunkelbraunen Augen hielt ihn gefangen. „Oh, ich versichere Ihnen, dass ich real bin.“

„Ja, ja, das habe ich jetzt schon begriffen.“ Er wusste nicht, was er sonst noch sagen sollte. Sie war wie ein Leuchtfeuer im Nebel seines Alltags. Er hatte nur den einen Gedanken, ihrem Licht zu folgen und bei ihr Trost und Wärme zu finden. Es war reiner Egoismus, das musste er zugeben. Denn er hatte einer Frau nichts zu bieten außer abgestumpften Gefühlen, beruflichem Ehrgeiz bis zur Besessenheit und den blank liegenden Nerven eines Mannes, der an Schlafstörungen litt und wahrscheinlich ein Magengeschwür hatte.

Lieutenant Morgan hatte ihm geraten, es solle wieder anfangen zu leben. Auf einmal erkannte Joe, dass sein Chef recht hatte. Er sehnte sich nach einem normalen Leben zurück. Nein, nicht nur das, er wollte ein besseres Leben.

Die schöne Unbekannte sah ihn unentwegt an. Es war Joe überhaupt nicht unangenehm, sondern tat ihm sehr gut, und er ließ den Blickkontakt nicht abbrechen. Selbst wenn er gewollt hätte, er hätte es gar nicht fertiggebracht. Sie schien ihn verzaubert zu haben, sodass er gezwungen war, ihr tief in die Augen zu schauen und sich gleichermaßen tief in die Augen schauen zu lassen. Ohne die störenden Masken wäre es noch viel faszinierender gewesen.

Nach einer Weile stellte sie ihr Glas ab und trat ganz nah an ihn heran. Aus einem verborgenen Lautsprecher erklang leise Musik. „Tanzen wir?“, fragte sie mit weicher Stimme.

Joe nahm die Schöne in seine Arme. Ihr Körper fühlte sich herrlich straff und geschmeidig an, als sie sich zum langsamen Rhythmus der Musik bewegten. Behutsam zog er ihr die Rose aus dem Haar, um ihr damit sanft über die Wange zu streichen. Ihre Augen leuchteten auf, und er verspürte ein heftiges Verlangen nach ihr.

Beim Tanzen rutschte ihr ein Träger des verführerischen Kleides von der Schulter. Joe schob einen Finger darunter. Eigentlich hatte er den Träger wieder hochziehen wollen, aber jetzt spielte er damit. Sie reagierte weder mit Protest noch Ermutigung, sodass er seine Hand tiefer gleiten ließ.

Als seine Handfläche ihre weiche Brust berührte, spürte Joe, wie die Schöne den Atem anhielt. Er nutzte den Moment, um sie an sich zu ziehen, und während er sie immer noch ansah, senkte er langsam den Kopf. Fast hätte er sie geküsst.

„Wie ich sehe, habt ihr euch getroffen“, sagte Scott Simon und zerstörte diesen magischen Augenblick.

Joe fluchte.

2. KAPITEL

Noch ehe Arianna sich entschieden hatte, was sie von seinen Flüchen halten sollte, wich der Fremde einen Schritt zurück. Einerseits bedauerte sie es, andrerseits war sie auch erleichtert. Noch nie zuvor hatte sie gleichzeitig solch widersprüchliche Gefühle empfunden. Aber sie war auch noch niemals in ihrem Leben so schnell für einen Mann, den sie kaum kannte, entflammt. Eigentlich hätte sie froh sein sollen, dass Scott aufgetaucht war.

Sie war es jedoch nicht.

„Alle haben sich schon demaskiert“, verkündete Scott vergnügt grinsend, als würde gleich etwas Großartiges passieren.

Arianna musterte den als Zorro kostümierten Fremden erwartungsvoll. Würde er seine Maske jetzt abnehmen? Er schien noch zu zögern. Vielleicht war er in Gedanken aber auch noch bei der Szene, die sich vor wenigen Minuten zwischen ihnen beiden abgespielt hatte.

Sie hatte mit ihm getanzt, weil sie das Gefühl hatte, dass sie sich sehr ähnlich waren. Er machte den Eindruck, immer genau zu wissen, was er wollte, und stets auf der Hut zu sein. Das entsprach auch ihrem Charakter. Sie vermutete, dass sie sich deshalb so zueinander hingezogen fühlten.

Als sie ohne viele Worte ihre Maske abnahm, bemerkte Arianna, wie ihm der Atem stockte. Er starrte sie einen Augenblick ungläubig an. Dann schob er seinen Hut in den Nacken und demaskierte sich ebenfalls.

„Ja, wir haben uns getroffen“, sagte er zu Scott, während er Arianna anblickte. „Miss Alvarado, ich freue mich, Sie wiederzusehen.“

Sie ignorierte Scotts Grinsen. „Wie geht es Ihnen, Detective?“, fragte sie ein wenig zu förmlich.

„Sie meint natürlich rein beruflich!“, rief Scott seinem Freund noch zu, bevor er ging.

Joe wandte sich an Arianna. „Haben Sie eine Ahnung, was diese Bemerkung sollte?“

„Absolut nicht. Ich glaube, es gibt überhaupt niemanden, der Scotts komische Bemerkungen versteht.“ Wie froh sie war, dass ihr diese Antwort eingefallen war. Mehr wusste sie beim besten Willen nicht zu sagen.

Joe räusperte sich und verzog den Mund zu einem Lächeln. „Das war gerade interessant in der Grotte, nicht wahr?“

Sie zuckte leicht mit den Schultern. „Was meinen Sie mit ‚interessant‘?“

„Nun tun Sie doch nicht so. Sie wissen schon, wie ich es meine.“

Arianna hatte sich entschlossen, ihm nichts vorzumachen. Schließlich wollte sie ihn um einen Gefallen bitten. „Normalerweise bin ich zurückhaltender.“

Er zog die Brauen hoch, als könne er es nicht ganz glauben. Dann steckte er ihr mit ernstem Blick die Rose wieder ins Haar. „Danke für den Tanz.“

Auf einmal war Arianna verunsichert. Was für ein Spiel spielte er mit ihr? Zu dumm, dass sie ihn heute fast noch attraktiver fand als letzten Dezember. „Es war mir ein Vergnügen“, erwiderte sie so locker wie möglich.

Sie wollte unbedingt wissen, warum er in dieser Verkleidung auf der Halloweenparty aufgetaucht war, obwohl Scott es nicht für möglich gehalten hatte. „Ich mag Ihr Kostüm“, erklärte sie mit Unschuldsmiene.

Joe lachte kurz auf. „Ich kann gar nicht abwarten, die albernen Klamotten wieder auszuziehen. Geht es Ihnen nicht auch so?“

„Nein, ich fühle mich ganz wohl in dem Kleid.“

Aber es war Arianna nicht geheuer, auch nur eine Minute länger mit ihm allein zu sein. Dieser Mann konnte ihr so leicht gefährlich werden. Da sie jedoch seine Hilfe als Polizist brauchte, würde eine erotische Beziehung stören.

Ich muss mich zusammenreißen, ging es ihr durch den Kopf. Schließlich war sie kein liebestoller Teenager, sondern dreiunddreißig Jahre alt und eine erfolgreiche Privatdetektivin. „Gehen wir zurück zu den anderen“, schlug sie vor.

„Wie Sie meinen.“ Sein Blick war etwas erstaunt. „Ich vermute, Sie kennen Scott beruflich. Ihre Firma arbeitet für seine Kanzlei, nicht wahr?“

„Ja, schon eine ganze Weile.“ Arianna folgte dem Gartenweg, der zum Pool führte. Sie hatte sich vor sieben Jahren als Privatdetektivin niedergelassen. Ihre Firma ARC Security & Investigations arbeitete mit mehreren Anwälten in der Region zusammen.

„Ich lernte Scott vor achtzehn Jahren kennen“, erzählte Joe. „Er war mein Ausbilder in der Polizeiakademie. Danach hielten wir noch einige Jahre engeren Kontakt. Aber in der letzten Zeit haben wir uns nicht mehr oft gesehen. Er ist sehr beschäftigt.“

„Ja, ich sehe ihn neuerdings auch mehr im Fernsehen als im Büro.“

Arianna erblickte schon von Weitem die bunte Menge von Partygästen, die mit ihren Cocktails am Pool herumstanden. Hier wollte sie Joe ihre Bitte auf keinen Fall vortragen. Es war einfach nicht die richtige Atmosphäre dafür. Aber sie wollte auch nicht das Risiko eingehen, ihn hier aus den Augen zu verlieren. Sonst könnte Scott ihm womöglich erzählen, dass er ihn auf ihre Bitte hin eingeladen hatte.

Also würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als sich den ganzen Abend mit ihm zu unterhalten. „Kennen Sie jemanden von den Gästen?“, erkundigte sie sich vorsichtig.

„Nein. Und wie ist es mit Ihnen? Sind Sie auch allein hier?“

„Ja.“ Arianna hatte ein bisschen ein schlechtes Gewissen, weil er ja keine Ahnung hatte, dass sie nur seinetwegen gekommen war.

„Sie sind ohne männliche Begleitung hier?“ Das erstaunt mich wirklich.“ Joe deutete auf zwei Liegestühle. „Die sollten wir uns reservieren, solange sie noch frei sind. Ich hole Ihnen gleich etwas zu trinken.“

Erst jetzt fiel Arianna auf, dass sie ihr Glas in der Grotte stehen lassen hatte. „Gut, ich nehme einen Martini mit extra viel Oliven.“

Autor

Susan Crosby
Susan Crosby fing mit dem Schreiben zeitgenössischer Liebesromane an, um sich selbst und ihre damals noch kleinen Kinder zu unterhalten. Als die Kinder alt genug für die Schule waren ging sie zurück ans College um ihren Bachelor in Englisch zu machen. Anschließend feilte sie an ihrer Karriere als Autorin, ein...
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