Die Ravensdale-Skandale - Erpresst von einem Playboy (4-teilige Serie)

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VORSICHT: VERFÜHRERISCHES VERLANGEN!
Julius Ravensdale erkennt sich selbst nicht wieder: In Hollys Nähe kann der sonst so beherrschte, bindungsscheue IT-Millionär plötzlich nur noch an Sex denken - an wilden, hemmungslosen Sex. Dabei soll die geheimnisvolle junge Frau vorübergehend seine Haushälterin unterstützen, statt das wohlgeordnete, ruhige Leben auf seinem Luxusanwesen komplett durcheinanderzuwirbeln! Doch nach einem berauschend heißen Kuss kann er sein Verlangen nicht länger bändigen. Bis auf einmal Ungeheuerliches ans Licht kommt ...

DEIN KUSS WECKT MEIN VERLANGEN
Nie wieder verschenke ich mein Herz! schwört Miranda, als ihre Jugendliebe stirbt. Weshalb ihr neuer Job in Nizza eine Herausforderung ist: Denn für den umwerfend gutaussehenden Milliardär Leandro Allegretti katalogisiert sie eine Kunstsammlung. Jeder Tag in der malerischen Villa mit diesem schweigsamen Traummann bringt ihren Schwur ein bisschen mehr in Gefahr! Verzweifelt versucht sie, ihre erwachenden Gefühle zu unterdrücken. Zu schrecklich war damals der Schmerz! Doch dann küsst Leandro sie einfach, und alle Vorsätze sind vergessen ...

VERLOBT MIT EINEM SEXY PLAYBOY?
Es war nicht fair, dass ein Mann so viel Sexappeal hatte. Es war wie ein Sog, dem sie sich nicht entziehen konnte. Warum heiraten immer nur die anderen? Als auch noch Jasmines Verlobter eine Beziehungspause von ihr verlangt, bittet sie verzweifelt Jake Ravensdale um Hilfe. Eigentlich hasst sie ihn, seit er sie als junges Mädchen brüsk zurückwies. Aber wenn dieser umschwärmte Playboy mit ihr flirtet, wird ihr Verlobter sicher rasend eifersüchtig und macht ihr einen Heiratsantrag, oder? Doch Jaz täuscht sich. Denn Jake spielt seine Rolle so überzeugend, dass er in ihr eine längst vergessene Sehnsucht weckt: Hat sie sich etwa in ihren Erzfeind verliebt?

SINNLICH ERPRESST VON DEINEN KÜSSEN
Schockiert sieht Kat, wer ihr neuer Nachbar im eleganten Notting Hill ist: der charmante Promi-Anwalt Flynn Carlyon, der sie schon eine ganze Weile zu umgarnen versucht! Dabei will sie mit dem erfolgsverwöhnten Frauenliebling nichts zu tun haben. Sie beschließt, ihn zu ignorieren, aber das ist unmöglich: Als sie ihn bei einem Unfall leicht verletzt, verlangt Flynn allen Ernstes, dass Kat sich persönlich um ihn kümmert. Glatte Erpressung - aber warum? Um sie zu verführen? Oder was führt dieser gerissene Traummann im Designeranzug im Schilde?


  • Erscheinungstag 01.04.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506618
  • Seitenanzahl 584
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Melanie Milburne

Die Ravensdale-Skandale - Erpresst von einem Playboy (4-teilige Serie)

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2015 by Melanie Milburne
Originaltitel: „Ravensdale’s Defiant Captive“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 052018 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: SAS

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733709990

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Sobald seine Haushälterin ihm sein Lieblingsdessert servierte, wusste Julius Ravensdale, dass sie etwas im Schilde führte.

„Queens Pudding?“ Er hob eine Augenbraue. „Dessert gibt es doch nur zu besonderen Anlässen.“

„Es ist ein besonderer Anlass.“ Mit leicht zerknirschter Miene stellte Sophia das Schüsselchen vor ihn hin. „Ich habe jemanden dazugeholt, der mir mit dem Haushalt helfen wird. Nur für einen Monat, bis diese vermaledeite Sehnenscheidenentzündung ausgeheilt ist. Das zusätzliche Paar Hände brauche ich, und ich tue gleichzeitig etwas Nützliches für die Gemeinschaft – also eine Win-win-Situation.“

Julius’ Blick ging zu der Lederbandage an Sophias Handgelenk. Schon zwei Wochen trug sie den Verband. Die Frau arbeitete zu viel, er wusste, sie konnte dringend Unterstützung gebrauchen. Aber er hatte lieber weniger Personal. Nicht etwa, weil er geizig wäre. Er würde sogar dafür zahlen, dass ihn alle in Ruhe ließen und er ungestört arbeiten konnte. „Wen?“, fragte er knapp.

„Ein junges Ding, das einen Stups in die richtige Richtung braucht.“

Julius stöhnte stumm auf. Von allen Haushälterinnen der Welt hatte ausgerechnet er die argentinische Version von Mutter Theresa eingestellt!

„Sonst landet sie im Gefängnis“, fuhr Sophia fort.

„Gefängnis? Sie holen eine Kriminelle ins Haus? Was hat sie verbrochen?“

„Sie hat den Sportwagen des Typen mit dem Schlüssel zerkratzt.“

„Und vermutlich behauptet, es wäre keine Absicht gewesen, oder?“ Er dachte sofort an seinen Aston Martin, der in der Garage stand.

„Nein, sie hat es zugegeben, und der Mann hat es auch verdient. Außerdem hat sie Unkrautvernichter über seinen Rasen geschüttet.“

„Entzückend.“

„Also … habe ich Ihre Erlaubnis, sie ins Haus zu holen?“

Sarkasmus war an Sophia verschwendet, die Frau war gutmütig und großzügig und würde ihr letztes Hemd für andere geben, immer bereit zu helfen. Julius wusste, sie vermisste ihre Kinder, aber die beiden waren längst erwachsen und lebten ihr eigenes Leben. Also, warum sollte er ihr nicht den Gefallen tun? Er hatte so oder so genug zu erledigen, musste noch die letzten kleinen Probleme bei seiner Software ausbügeln, bevor er das Programm dem Forschungsteam vorlegen konnte.

Kaum hatte er knapp genickt, erschien auch schon ein glückliches Lächeln auf Sophias Gesicht. „Oh, warten Sie nur, bis Sie sie sehen. Sie werden hingerissen sein.“

Holly überlegte ernsthaft, ob sie sich nicht besser wieder umdrehen sollte, als der Kleinbus vor der Villa vorfuhr. Das Haus war groß. Nein, riesig. Mit dem weitläufigen gepflegten Park und den endlosen Rasenflächen hatte dieses Anwesen wahrscheinlich sogar eine eigene Postleitzahl! Auf jeden Fall hatte es nichts mit der staatlichen Besserungsanstalt zu tun, die sie erwartet hatte. Keine Gitter, kein Stacheldraht, auch keine Wachen mit dem Maschinengewehr im Anschlag. Es machte eher den Eindruck eines abgeschiedenen Luxushotels, ein ruhiges Urlaubsressort für die Reichen und Schönen. Sie fragte sich, was sie hier sollte.

„Nur für einen Monat.“ Natalia Varela, die für sie zuständige Sozialarbeiterin, fuhr durch das schmiedeeiserne Tor, das wie durch Geisterhand aufschwang, auf die lange Auffahrt. „Sie sind glimpflich davongekommen. Ich kenne viele, die liebend gern mit Ihnen tauschen würden.“

Holly schnaubte nur, verschränkte die Arme vor der Brust und presste die Lippen zusammen. Sollte sie sich jetzt auch noch bedanken, dass man sie in diesem riesigen alten Kasten zusammen mit einem Mann einpferchte, den sie nie zuvor gesehen hatte?

Ein ganzer Monat mit einem Fremden. Einunddreißig Tage mit einem Mann, der sich großmütig bereit erklärt hatte, sie zu „bessern“. Ha! Als ob da eine Chance bestünde! Wer war der Typ überhaupt? Man hatte ihr nur gesagt, er sei irgendein Computergenie aus England, der sich hier in Argentinien bis ganz nach oben gearbeitet hatte. Angeblich entwickelte er die Software für die großen Weltraumteleskope, die in der Atacama Wüste im benachbarten Chile standen. Ach ja, und ledig war er auch.

Holly verdrehte die Augen. Und der Knilch hatte aus reiner Nächstenliebe zugestimmt, eine alleinstehende junge Frau in Schwierigkeiten in sein Haus aufzunehmen? Hatten die Behörden ihm das tatsächlich abgekauft? Unfassbar. Holly wusste alles über Männer und ihre dubiosen Motive!

Die Tore schlossen sich hinter dem Transporter.

„Julius Ravensdale hat dem Arrangement nur zugestimmt – höchst unwillig übrigens –, weil seine Haushälterin eine Sehnenscheidenentzündung hat und Unterstützung braucht. Sie werden ihr unterstehen. Das ist eine fantastische Gelegenheit, praktisch wie eine Berufsausbildung. Machen Sie das Beste daraus“, sagte Natalia.

Ausbildung? Zynisch verzog Holly die Lippen. Sie würde doch nicht Haushälterin werden, nur weil sie ein paar kleinere Dummheiten angestellt hatte! Ihr Widerling von Stiefvater hatte ja regelrecht darum gebettelt! Außerdem war es nur ein blöder Sportwagen, verflixt! Dann musste er das Auto eben neu lackieren lassen und den Rasen neu einsähen, na und?

Nein, sie würde sich nicht zur Sklavin irgendeines reichen Typen machen lassen und auf den Knien Böden schrubben. Die Zeiten, wo sie sich herumschubsen ließ, waren lange vorbei. Dieser Julius Sowieso würde sein blaues Wunder erleben, wenn er sich einbildete, er könnte sie für seine niederen Bedürfnisse ausnutzen.

Was, wenn er gar nicht vorhatte, sie in der Küche einzusetzen? Was, wenn er wesentlich schmutzigere Pläne hatte? Soweit sie wusste, bildeten reiche Männer sich ein, sie könnten sich alles erlauben. Von wegen „unwillig zugestimmt“! Das musste er ja sagen, wenn er nicht übereifrig wirken wollte. So gab er vor, seinen Dienst an der Gemeinschaft zu leisten, und in Wahrheit leistete er sich sie!

Tja, versuch’s nur, wirst schon sehen, wie weit du damit kommst! Der Sozialarbeiterin jedoch schenkte Holly ein Lächeln, das kein Wässerchen trüben konnte. „Oh ja, ich werde die Chance bestimmt voll ausnutzen.“

Natalia drückte noch einmal aufs Gaspedal, um endlich das Haus zu erreichen, und stieß einen Seufzer aus. „Das befürchte ich allerdings auch.“

Die Haushältern, die Holly vor ein paar Tagen schon getroffen hatte, begrüßte sie herzlich an der Tür, während Natalia einen dringenden Anruf eines ihrer anderen Schützlinge entgegennahm.

„Ich freue mich, dass Sie hier sind, Holly.“ Sophia lächelte warm. „Nur herein. Señor Ravensdale ist beschäftigt, also werde ich Sie zu Ihrem Zimmer bringen.“

Ein Empfangskomitee mit Musikkapelle hatte Holly nicht unbedingt erwartet, aber wäre es nicht angebracht, dass der Hausherr sie wenigstens begrüßte? Entsprach es nicht der üblichen Höflichkeit, damit sie einander wenigstens von Angesicht zu Angesicht kennenlernten und wussten, mit wem sie es zu tun hatten? „Wo ist er denn?“

„Im Moment darf man ihn nicht stören“, setzte Sophia an. „Ihr Zimmer ist vorbereitet und …“

„Stören Sie ihn bitte“, unterbrach Holly sie. „Jetzt.“

Sophia stutzte. „Man darf ihn aber nicht unterbrechen, wenn er arbeitet. Niemand betritt sein Arbeitszimmer, außer in einem Notfall.“

Holly schob sich durch den Eingang und steuerte zielsicher auf die einzige geschlossene Tür auf dem langen Korridor zu, hinter der sie besagtes Arbeitszimmer vermutete. Sie klopfte auch nicht an, sondern drückte die Klinke herunter und marschierte resolut über die Schwelle.

Der Mann hinter dem großen Schreibtisch sah auf, seine Finger, die über die Computertastatur geflogen waren, hielten in der Luft inne. Das Klicken der letzten Taste hallte in der Stille des Raumes wider wie Donnerhall.

Holly holte Luft, wollte etwas sagen, doch aus irgendeinem Grund versagte die Stimme ihr den Dienst. Das musste der Schock sein, denn der Mann dort hatte nichts mit dem Bild gemein, das sie sich gemacht hatte. Zum einen war er nicht alt, sondern höchstens Mitte dreißig. Und zum anderen sah er aus wie ein Filmstar. Groß, schlank, breite Schultern, olivfarben getönte Haut. Das dunkle, wellige Haar stand ab, als wäre er unzählige Male mit den Fingern hindurchgefahren … oder gerade nach einer heißen Nacht aus dem Bett gestiegen. Ein markantes Kinn, eine gerade Nase und ein sinnlich geschwungener Mund. Prompt wurden Holly die Knie weich.

Jetzt schob er seinen Stuhl zurück und stand auf. Der Raum schien sofort zu schrumpfen. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“ Sowohl Ton als auch Haltung drückten aus, dass er nicht die geringste Lust dazu hatte.

Nun, Holly nahm grundsätzlich kein Blatt vor den Mund, und von langwierigem, unnützem Gewäsch hielt sie auch nichts, sie kam immer direkt auf den Punkt. „Wissen Sie, dass es unhöflich ist, gerade angekommene Gäste zu ignorieren?“

Er taxierte sie mit regloser Miene. „Genau genommen sind Sie nicht mein Gast, sondern Sophias.“

Holly hob das Kinn, funkelte ihn mit einem Blick an, der ausdrückte: Ich weiß genau, was Sie vorhaben. „Ich wollte Sie auf jeden Fall von vornherein wissen lassen, dass ich nicht als Ihr Sexspielzeug hier bin.“

Dunkle Brauen wurden bis an den Haaransatz hochgerissen. Bei seinem dunklen Typ hätte sie braune Augen erwartet, stattdessen blitzte strahlendes Saphirblau auf, gerahmt von verboten langen Wimpern. Der Blick aus diesen wunderschönen Augen wanderte jetzt über sie, hielt kurz inne bei dem kleinen Strassstecker in ihrem Nasenflügel und der pinkfarbenen Strähne in ihrem Haar. Dann zuckte es um seine Mundwinkel – unmissverständlich spöttisch.

Ein bitterer Geschmack stieg Holly in den Mund, ihr Magen zog sich zusammen. Wenn sie eines hasste, dann dass man sich über sie lustig machte. Sie nicht ernst nahm. Sie verspottete.

„Wie geht es Ihnen, Miss … äh?“ Fragend sah er zu seiner Haushälterin, die hinter Holly aufgetaucht war.

„Miss Perez, Hollyanne Perez“, antwortete Sophia.

„Holly“, korrigierte Holly düster.

Julius streckte die Hand aus. „Also … wie geht es Ihnen, Miss Perez?“

Holly sah auf die dargebotene Hand, als hielte er ihr eine Viper hin. „Behalten Sie Ihre Griffel besser bei sich.“

Natalia erschien jetzt ebenfalls, hektisch und verlegen. „Ich muss mich entschuldigen, Dr. Ravensdale. Aber da kam ein Anruf von einem meiner anderen Schützlinge …“

Mit gerunzelter Stirn fuhr Holly herum. „Doktor? Niemand hat mir gesagt, dass er ein Doktor ist. Sie meinten nur, er sei irgendein Computernerd.“

Ein entschuldigendes Lächeln Richtung Julius, dann wandte Natalia sich an Holly. „Dr. Ravensdale ist Doktor der Astrophysik, und die Höflichkeit verlangt, ihn mit seinem Titel anzusprechen, wenn er es wünscht.“

Holly drehte sich zu Julius zurück. „Wie wünschen Sie angesprochen zu werden? Mit Sir? Oder Herr Gelehrter? Vielleicht Hoheit?“

Es zuckte um seine Lippen, als müsste er ein Grinsen zurückhalten. „Julius reicht völlig.“

„Wie in Julius Cäsar?“

„Um genau zu sein, ja.“

„Sie begeistern sich für Shakespeare?“ Aus Hollys Mund klang es, als wäre das eine ansteckende Krankheit. Sollte er sie ruhig für ungebildet und gewöhnlich halten. Primitiver Abschaum.

„Ich nicht, aber meine Eltern.“

„Wieso haben Sie mich herkommen lassen?“

„Ich wollte Sie nicht hier haben, nur konnte ich aufgrund der momentanen Situation in diesem Haus nicht ablehnen.“

Holly verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich kann nicht kochen.“

„Man kann alles lernen.“

„Und ich verabscheue Hausarbeit. Es ist purer Sexismus, von einer Frau zu erwarten, dass sie einem ständig hinterherräumt. Nur weil ich Brüste und Eierstöcke und …“

„Verstehe schon“, unterbrach er sie. Holly fragte sich, ob er fürchtete, sie könnte jetzt alle ihre weiblichen Körperteile auflisten. „Wie auch immer … Sie haben eine Auflage von den Behörden erhalten, die Sie erfüllen müssen, und ich brauche Hilfe im Haus, bis es Sophia besser geht. Also, eine klassische Win-win-Situation.“

Holly gab einen abfälligen Laut von sich, ließ die Arme sinken und lenkte den Blick zu der Sozialarbeiterin. „Haben Sie ihn vorher überprüft? Ist der Mann echt?“

„Ich versichere Ihnen, Holly, Dr. Ravensdale ist absolut vertrauenswürdig“, bestätigte Natalia.

Zweifelnd schürzte Holly die Lippen. „Trinken Sie?“

„Bei gesellschaftlichen Anlässen.“

„Rauchen?“

„Nein.“

„Drogen?“

„Nein.“

Sie trieb es genüsslich auf die Spitze. „Sex?“

„Holly“, schaltete Natalia sich ein, „Sie bringen Dr. Ravensdale in Verlegenheit.“

„Nein, durchaus nicht“, wehrte Julius ab. „Aber eine derart impertinente Frage gedenke ich auch nicht zu beantworten.“

Holly hüstelte. „Heißt wohl, Sie haben keinen Sex, was?“

Er starrte sie an, und sein Blick brachte alles in ihr zum Vibrieren. Julius sah nicht aus wie ein Mann, der irgendetwas anbrennen ließ, sondern wie jemand, der sich seine Frauen problemlos aussuchen konnte. Sinnlichkeit umgab ihn wie ein Kraftfeld.

Bilder schossen ihr durch den Kopf, wie es mit ihm sein musste. Kein hektisches Gefummel, kein gieriges Gegrapsche. Nein, langsam, sinnlich, erotisch. Der Mann würde wissen, wie er die Sinne einer Frau in die Stratosphäre katapultieren könnte, daran ließ das selbstsichere Funkeln in seinen Augen keinen Zweifel.

„Da wir gerade beim Thema sind …“, hob er an. „Ich setze voraus, dass Sie in meinem Haus auf Männerbesuch verzichten.“

„Ah, Sie können Sex haben, aber ich nicht?“ Herausfordernd schnurrte sie: „Es sei denn natürlich … wir könnten auch Sex zusammen haben.“

„Ich muss gehen“, unterbrach die Sozialarbeiterin sie, als ihr Handy schon wieder klingelte. „Tja, ich kann nur hoffen, dass Sie sich benehmen, solange Sie hier sind, Holly. Vergessen Sie nicht, dass das hier Ihre letzte Chance ist. Verbocken Sie es, dann wissen Sie, wo Sie landen.“

„Ja, ja“, tat Holly den Einwand der Frau gespielt gelangweilt ab. Sie richtete den Blick auf eines der Bücherregale. Nein, sie wollte nicht inhaftiert werden, aber sie wollte sich auch nicht vom erstbesten Kerl ausnutzen lassen, der meinte, er hätte Macht über sie. Wenn Julius Ravensdale ein Spielzeug für sich suchte, warum dann nicht eines aus der Herde der Reichen und Schönen? Sie war nicht einmal sein Typ. Wie denn auch, mit ihren billigen Kaufhausklamotten, ganz zu schweigen von ihrer Herkunft. Der Herkunft, der sie noch immer zu entkommen versuchte. Der Makel, der an ihr klebte wie Wagenschmiere und sich nicht entfernen ließ. Kein Schrubben, kein Rubbeln, kein Scheuern würde das je von ihr abwaschen können.

Julius Ravensdale entstammte altem Geldadel. Das sah man schon daran, wie er sich kleidete, an seiner selbstbewussten Haltung. An den Gemälden an der Wänden, dem Mobiliar, den kostbaren Teppichen überall. Er hat seine Kindheit nicht in Angstschweiß gebadet verbracht, er hatte nie ums Überleben kämpfen müssen. Ihm war alles auf dem Silbertablett serviert worden. Wieso also hätte er diesem Arrangement zustimmen sollen, wenn er nicht vorhatte, sie irgendwie auszunutzen? Sie biss die Zähne zusammen. Nein, sie würde sich nicht ausnutzen lassen. Falls überhaupt, würde sie ihn ausnutzen!

„Ich werde mich jeden Tag telefonisch nach dem Stand der Dinge erkundigen.“ Die Sozialarbeiterin schüttelte Julius zum Abschied die Hand. „Es ist wirklich sehr großzügig von Ihnen, dass Sie an diesem Programm teilnehmen. Viele haben dadurch wieder Halt gefunden.“

„Ich bin sicher, es wird schon gut gehen“, erwiderte er. „Sophia wird sie unter ihre Fittiche nehmen.“

„Und nochmals danke, dass Sie Ihr Zuhause zur Verfügung stellen.“

„Es ist ein großes Haus.“ Vielleicht nicht groß genug.

Sophia begleitete die Sozialarbeiterin hinaus, und Holly schwang zu Julius herum, sobald sie allein waren.

„Wie viel zahlt man Ihnen dafür, dass Sie mich aufnehmen?“

„Ich habe darum gebeten, es einem Wohltätigkeitsverein zu spenden.“

„Sehr großmütig.“

Die Hände in die Hüften gestemmt, lehnte er sich an die Fensterbank. Eine lässige Pose, die den Tumult, der Hollys Gegenwart von der ersten Sekunde an in ihm ausgelöst hatte, kaschieren sollte. Das Blut rauschte ihm durch die Adern, wie er es seit seiner Teenagerzeit nicht mehr erlebt hatte. Er studierte ihre trotzige Miene, ihre blitzenden karamellbraunen Augen, den vollen roten Kirschmund. Der kleine Strassstecker in ihrem rechten Nasenflügel funkelte bei jeder Bewegung auf. Zarte Sommersprossen sprenkelten ihre hübsche Stupsnase – wie brauner Zucker auf einer Dessertcreme. Aber da hörte es auch schon auf mit den süßen Vergleichen. Alles an ihr strahlte Feindseligkeit und Verbitterung aus, sie war eindeutig auf Krawall gebürstet.

Gleichzeitig strahlte sie eine ursprüngliche, unverfälschte Sinnlichkeit aus, worauf sein Körper ganz spontan reagierte.

Energisch rief er sich zur Ordnung. Es war ja schon peinlich, wenn eine so aggressive Göre seine Aufmerksamkeit erregen konnte.

Ihre Gesichtszüge waren nicht unbedingt klassisch schön, aber irgendwie außergewöhnlich und fesselnd. Aristokratisch hohe Wangenknochen, lange, dichte Wimpern, makellose samtige Haut. Schulterlange Locken in seidig schimmerndem Braun, wenn man von den pinkfarbenen Strähnen absah.

Julius wartete noch immer darauf, dass sie die Verbindung herstellen würde. Es passierte immer, über die Jahre hatte er sich daran gewöhnt. Oh, Sie sind der Sohn von Richard Ravensdale und Elisabetta Albertini, dem berühmten Schauspielerpaar am Londoner Westend? Ob ich über Sie wohl Autogramme bekommen kann? Oder eine Einladung zur Premiere? Plätze in der ersten Reihe? Einen Bühnenpass?

Miss Holly Perez hatte entweder noch nie von seinen Eltern gehört, oder es war ihr absolut schnuppe.

Seltsam, aber er musste zugeben, dass er ihre Burschikosität erfrischend fand. Eine angenehme Abwechslung zu all den Schmeichlern, die seine Nähe nur wegen seiner Beziehung zur Londoner Theaterelite suchten. Frauen, die an seiner Seite auf dem roten Teppich gesehen werden wollten, in der Hoffnung, sie würden einem Agenten auffallen. Es war nett, jemanden zu treffen, dem es nicht gleichgültiger hätte sein können.

Älter als Mitte zwanzig konnte Holly nicht sein, also vielleicht sieben, acht Jahre jünger als er mit seinen dreiunddreißig Jahren, doch das Leben hatte sie hart gemacht. Ihr Blick warnte davor, sich mit ihr anzulegen. Was trieb sie zu diesen kleinkriminellen Vergehen? Er hatte die Liste gesehen – Diebstahl, Vandalismus, Sachbeschädigung, Graffitis.

Sophias Rettungsmission könnte sich als schwieriger erweisen als angenommen. Er hatte zugestimmt, weil er dem Urteil seiner Haushälterin vertraute, aber vielleicht war sie diesmal auf dem Holzweg. Holly war hier hereingeplatzt wie ein Wirbelwind … Ihn nach seinem Sexleben zu fragen, also wirklich!

Nun, ihm sollte es gleich sein, wie viele impertinente Fragen sie stellte, er hatte nicht vor, die Flaute in seinem Liebesleben öffentlich zu machen. Er arbeitete an einer Top-Secret-Software, und er war nicht wie sein Zwillingsbruder Jake, der Sex hatte, als würde er für die Olympiade trainieren. Auch schlug er nicht nach seinem Vater, dem zu Recht der Ruf vorauseilte, ein Don Juan zu sein.

Julius genoss die Gesellschaft von Frauen, Sex machte ihm Spaß. Doch das damit verbundene Taktieren langweilte ihn. Frauen, die mit einer Agenda ins Schlafzimmer kamen, nervten ihn nur. Er würde allein entscheiden, ob und wann er bereit war, eine Familie zu gründen. Manchmal zweifelte er allerdings daran, dass der Zeitpunkt je kommen würde. Da er die turbulente Beziehung seiner Eltern mit Scheidung und erneuter Heirat hatte miterleben müssen, war er sich keineswegs sicher, ob er sich auf ein solches Chaos einlassen wollte.

Und jetzt die Wirkung, die diese Frau auf ihn hatte. Das heiße Ziehen in seinen Lenden war unmissverständlich, auch wenn er sein Bestes gab, es sich nicht anmerken zu lassen.

„Ich weiß genau, warum Sie mich aufgenommen haben“, sagte sie jetzt, als wäre sie sich ihrer Wirkung auf ihn bewusst.

Warum hatte er nicht einfach eine Agentur angerufen und eine Hilfe für Sophia angefordert? Eine mit Referenzen und Manieren. Wieso hatte er sich breitschlagen lassen, ein so aggressives junges Ding wie Holly Perez in sein Haus zu holen? „Sie täuschen sich, Miss Perez. Was Frauen anbetrifft, bin ich doch etwas anspruchsvoller.“

„Aber natürlich sind Sie das.“

Sie erlaubte sich ein provozierendes Lächeln, und prompt spürte er die Reaktion seines Körpers. Plötzlich konnte er nur noch an Sex denken. An heißen, wilden, hemmungslosen Sex. Wie lange war das her? Ganz offenbar zu lange, wenn er schon bei harmlosem Geplänkel auf solche Gedanken kam. Holly Perez war eine Unruhestifterin, es stand ihr auf der Stirn geschrieben, und auf so etwas würde er sich nicht einlassen. Er war nicht Sklave seiner Hormone, war es noch nie gewesen.

Mit der Grazie einer Raubkatze bewegte Holly sich durch sein Büro – geschmeidig, lautlos, kontrolliert. Gefährlich, sollte man sie gegen das Fell streicheln. Dabei hatte sie gar keine Krallen, sie kaute an ihren Fingernägeln. Und als sie den Arm hob, um sich das Haar aus dem Gesicht zu streichen, fiel ihm eine breite Narbe an ihrem Handgelenk auf. „Woher haben Sie die?“ Er zeigte darauf.

Man konnte deutlich sehen, wie die Schotten zuschlugen. „Als Kind habe ich mir den Arm gebrochen.“

Julius erwiderte nichts, beobachtete, wie sie den Ärmel ihres dünnen Pullovers weiter herunterzog und nervös am Saum nestelte. Sie hatte die Brauen zusammengezogen, eine Falte stand auf ihrer Stirn. Es faszinierte ihn, wie rasant sie sich vom verführerischen Vamp zum schmollenden Kind verwandelt hatte.

„Möchten Sie sich die Villa ansehen?“ Eigentlich war er davon ausgegangen, Sophia würde die Führung durchs Haus übernehmen, doch nun würde er es eben selbst machen. Auf diese Weise hatte er Holly im Blick, falls sie etwas in ihrer Tasche verschwinden lassen oder seine Antiquitäten zerkratzen wollte. Himmel, warum nur hatte er dem zugestimmt? „Höre ich da einen leichten britischen Akzent bei Ihnen?“, fragte er, als er sie zu seinem Büro hinausbegleitete.

„Wir zogen nach England, als ich noch ein Kind war. Mein Vater war Argentinier.“

„War?“

„Er starb, da war ich drei. Ich erinnere mich nicht einmal mehr an ihn, Sie brauchen also nicht sentimental zu werden.“

„Lebt Ihre Mutter noch?“

„Nein.“ Sie warf ihm einen Seitenblick zu. „Hat Natalia Ihnen denn nicht meine Akte überlassen?“

Doch, hatte sie. Aber er hatte die Unterlagen nur kurz überflogen. Schließlich hatte er nicht damit gerechnet, persönlich in die Sache hineingezogen zu werden. Außer zu Sophia pflegte er keinen engeren Kontakt zum Personal. Die Leute verrichteten ihre Arbeit, er erledigte seine. Hollys Akte hatte ihn nicht wirklich interessiert. Stand dahinter eine Geschichte? Manche Menschen wurden mit schlechtem Charakter geboren, anderen spielte das Leben übel mit, sodass sie schlecht wurden. Wie mochte das bei Holly gewesen sein?

„Sie hat sich umgebracht, da war ich gerade siebzehn.“

„Tut mir leid.“

Holly zuckte nur mit den Schultern. „Und Ihre Eltern?“

„Beide gesund und wohlauf.“ Und sie trieben ihn schier in den Wahnsinn. Wie üblich.

Holly blieb stehen, um ein Landschaftsgemälde zu betrachten. Miranda, seine kleine Schwester und von Beruf Restauratorin, hatte Julius grünes Licht gegeben, es auf einer Auktion zu erstehen. Noch ein Ravensdale-Sprössling, der zum Leidwesen der Eltern überhaupt nichts mit den Brettern, die die Welt bedeuteten, zu tun haben wollte.

Holly ging weiter, nahm dieses und jenes Teil in die Hand, stellte es wieder ab. Julius hoffte nur, dass sie sich keine Strichliste im Kopf machte, was sie später alles mitgehen lassen wollte.

„Haben Sie Geschwister?“, fragte sie.

Es war komplett neu für Julius, einen Menschen zu treffen, der nichts von seiner Familie wusste. Las sie denn keine Zeitung? Hatte sie keinen Zugang zum Internet? „Einen Zwillingsbruder und eine Schwester, die zehn Jahre jünger ist.“

Sie blieb wieder stehen, sah ihn an. „Eineiige Zwillinge?“

„Ja.“

Ihre Augen begannen schelmisch zu funkeln, Grübchen erschienen in ihren Wangen, als sie grinste. Es veränderte ihr Gesicht völlig. „Spielen Sie auch die typischen Verwechslungsspielchen?“

„Früher, heute nicht mehr.“

„Konnten Ihre Eltern Sie auseinanderhalten?“

„Heute schon, früher hatten sie da Schwierigkeiten.“ Weil sie nie lange genug zu Hause gewesen waren, stets mehr interessiert an ihrer Karriere als an ihren Kindern. Verbittert war er deswegen nicht. Zumindest nicht allzu sehr. „Und Sie? Haben Sie Geschwister?“

„Nein.“ Ihr Lächeln erstarb, die Falte erschien wieder auf ihrer Stirn. „Ich bin Einzelkind.“

Etwas in ihrem Ton verriet unendliche Einsamkeit. Er hätte nie damit gerechnet, Mitgefühl für sie zu empfinden. Julius hatte sehr genaue Vorstellungen von Manieren und gutem Benehmen. Hatte auch strikte Prinzipien. Und eine traurige Kindheit war keine Entschuldigung, um Gesetze zu brechen. Dennoch … etwas an ihr fesselte ihn. Sie war wie Licht und Schatten. Ein kompliziertes Rätsel, für das man Zeit brauchte, um es zu lösen.

Die Rettungsmission seiner Haushälterin könnte vielleicht doch noch interessant werden.

Holly blieb vor einem Fenster stehen, schaute hinaus in den gepflegten Park. „Leben Sie allein hier?“

„Nun, das Personal wohnt auf dem Anwesen, aber sie haben alle ihre eigenen Quartiere. Nur Sophia hat eine Wohnung im Haus.“

Sie wandte ihm das Gesicht zu. „Ziemlich groß für eine Person, oder?“

„Ich schätze meine Privatsphäre.“

„Muss ein Vermögen kosten, das zu unterhalten.“

„Ich komme zurecht.“

„Geld beeindruckt mich nicht.“ Holly drehte sich wieder zum Fenster.

„Was dann?“

Jetzt sah sie ihn an, verlagerte ihr Gewicht auf ein Bein und ließ eine Schulter hängen, sodass der billige Pullover verrutschte und samtige Haut freigab. Die Lider halb gesenkt, die Lippen aufgeworfen … Julius hatte das Gefühl, dass sie ihn auf die Probe stellen wollte, und er tat sein Bestes, nicht in die Falle zu tappen.

„Mich beeindruckt es, wenn ein Mann sich mit dem Körper einer Frau auskennt.“

Glaubte sie tatsächlich, er wollte ihre Situation ausnutzen? War das ihre generelle Meinung über Männer? Er war kein Grobian, drängte sich niemals auf. Manchmal konnte er sicher arrogant und stur sein, doch Frauen behandelte er grundsätzlich mit Respekt. Gewalt gegen Frauen war ihm ein absoluter Gräuel.

„Mehr nicht? Nur, ob er liefern kann?“

„Natürlich. Man kann viel daran erkennen, wie ein Mann im Bett ist. Ist er egoistisch oder rücksichtsvoll, lässig oder verklemmt.“ Sie tippte sich mit einer Fingerspitze gegen die Lippen. „Nehmen wir Sie zum Beispiel.“

Besser nicht, dachte er. „Ihre Theorie ist sicher interessant, aber …“

„Sie sind ein Mann, der absolute Kontrolle über sein Leben braucht. Sie mögen es geordnet und überschaubar. Keine Überraschungen. Ihr Leben ist bis ins Detail durchgeplant. Habe ich recht?“

Es passte ihm nicht, dass er so leicht zu durchschauen sein sollte. Ein Stereotyp. Ein Klischee. Sein Charakter hatte nämlich Facetten. Viele. Man musste sich nur die Mühe machen, die herauszufinden.

Er öffnete die Tür zur Bibliothek. „Suchen Sie sich ruhig etwas zu lesen aus, aber achten Sie bitte darauf, keine Eselsohren zu hinterlassen. Und stellen Sie die Bücher wieder an ihren ursprünglichen Platz zurück.“

„Sehen Sie?“ Sie lachte spöttisch auf. „Ich habe voll ins Schwarze getroffen.“

Nach einem vernichtenden Blick in ihre Richtung schob er die nächste Tür auf. „Das Musikzimmer.“

„Lassen Sie mich raten …“ Wieder grinste sie. „Ich darf auf dem Klavier klimpern, solange ich keine klebrigen Finger habe und keine Krümel in die Tastatur fallen lasse.“

Das Bild, das sie da von ihm zeichnete, fand er immer unangenehmer. So, wie sie ihn darstellte, war er nichts als ein zwanghaft ordnungsbesessener Hausbesitzer. „Spielen Sie ein Instrument?“

„Nein.“

„Würden Sie es gern lernen?“ Musik besänftige doch angeblich sogar wilde Tiere. Klavierstunden würden sie auf jeden Fall beschäftigt halten.

Herausfordernd blitzte sie ihn an. „Wollen Sie mir etwa in einem Monat das Klavierspielen beibringen?“

„Ich habe auch noch andere Instrumente.“

„Das glaube ich Ihnen gern.“

Konsterniert starrte er sie an. „Querflöte, Blockflöte, Saxofon …“

„Beeindruckend.“ Sie zog einen Mundwinkel hoch. „Einen Mann, der gut mit dem Mund und den Händen ist, muss man einfach lieben.“

Julius schob die Hände lieber in die Taschen, denn er war ernsthaft versucht, ihr genau zu zeigen, wie gut er war. Wieso provozierte sie ihn derart? Um ihm klarzumachen, dass er ebenso durchschaubar war wie alle anderen Männer? Was brachte ihr das ein? War sie auf der Suche nach Trophäen? Männer, die sie mit ihrer ursprünglichen Sinnlichkeit bezirzte? Für solche Spielchen hatte er keine Zeit. Sie mochte ihn ja für ein Klischee halten, aber in dieser Beziehung war er das ganz bestimmt nicht. Sollte sie ruhig flirten, er würde ihr nicht auf den Leim gehen.

„Ich werde Sophia Bescheid geben, dass sie Sie auf Ihr Zimmer bringt“, meinte er kühl.

Spöttische Funken tanzten in ihren Augen, „Wollen Sie mich denn nicht in mein Schlafzimmer begleiten?“

„Ich weiß nicht einmal, wo Sophia Sie untergebracht hat.“

Hoffentlich nicht in der Nähe seines Zimmers.

2. KAPITEL

Holly sah Julius hinterher, wie er über den breiten Korridor verschwand. Nach dem kleinen Schlagabtausch mit ihm fühlte sie sich seltsam atemlos, ihr Puls raste. Wie das Herz eines gefangenen Vogels, den man in der Hand hielt. Ihre Reaktion auf den Mann verwirrte sie.

Männer hatten normalerweise keine solche Wirkung auf sie, auch nicht die gut aussehenden. Viel besser als Julius Ravensdale konnte ein Mann nicht aussehen. Er könnte auf jeder Titelseite eines Hochglanzmagazins abgebildet sein, Werbung für Aftershave oder Männermode machen. Mit seiner Größe und den breiten Schultern strahlte er fesselnde Autorität aus. Etwas an ihm kam ihr bekannt vor. Hatte sie irgendwo ein Foto von ihm gesehen? Oder vielleicht war ja sein Zwillingsbruder berühmt. Auch sein Name … irgendetwas klingelte da, sie konnte nur nicht den Finger drauflegen.

Sein Zerstreuter-Professor-Look sprach sie unglaublich an. Er hatte sich heute Morgen ganz sicher rasiert, aber der Nachmittagsbartschatten stand ihm schon wieder auf Kinn und Wangen. Testosteron in rauen Mengen. Es hatte sie ja auch gleich angesprungen, kaum dass sie die Tür zu seinem Arbeitszimmer geöffnet hatte. Wuchtig. Überwältigend. Ursprünglich. Sie war sich ihres Körpers bewusst geworden wie selten zuvor. Vielleicht wie nie zuvor.

Julius rührte etwas tief in ihr an. Etwas Instinktives. Das Bedürfnis, seine kühl-gefasste Fassade zum Bröckeln zu bringen, war geradezu zwingend. Sie wollte den primitiven Mann hinter der geschliffenen Maske hervorlocken. Seine Selbstbeherrschung war erstaunlich, er wirkte so unnahbar. Sie wollte die Mauer einreißen, die er um sich aufgebaut hatte, um jeden auf Distanz zu halten. Sollte sie es wagen? Ob er dann noch immer in der Lage wäre, sich so eisern zu kontrollieren?

Ein kleines Lächeln spielte um ihre Lippen. Das war ein verlockender Gedanke …

Vielleicht würde der Monat ja gar nicht so schlecht werden. Auf jeden Fall war Julius eine Abwechslung von den Kerlen, mit denen sie bisher gezwungenermaßen hatte umgehen müssen, allen voran ihr widerlicher Stiefvater. Julius dagegen … es amüsierte sie, wenn er den Schulmeister hervorkehrte, und ihn zu provozieren, war aufregend.

Holly war sehr wählerisch bei der Auswahl ihrer Liebhaber. Aber das hieß ja nicht, dass sie nicht ein wenig Spaß haben und an seinen Gitterstäben rasseln konnte, oder? Er war so typisch britisch, stets beherrscht und gefasst. Vielleicht konnte sie sich die Zeit hier kurzweiliger gestalten, indem sie ihm zeigte, dass er zwar ein Genie war und Abschlüsse von Eliteuniversitäten in der Tasche hatte, aber dennoch nicht mehr war als ein Mann. Männer wurden von Hormonen getrieben, wollten ihre Lust befriedigen. Egal, wer gerade zur Verfügung stand. Sie würde ihm beweisen, dass er sich nicht einzubilden brauchte, er wäre etwas Besseres.

Das hier könnte noch richtig lustig werden.

Am Ende des Korridors bog die Haushälterin um die Ecke und kam auf Holly zu. Der Stützverband an ihrem Handgelenk erinnerte Holly an damals, als sie elf Jahre alt gewesen war und ihr Stiefvater ihr das Handgelenk gebrochen hatte. Er hatte sie und ihre Mutter bedroht, jemals die Wahrheit über „den Unfall“ zu sagen. Also hatte sie überall erzählt, sie sei vom Fahrrad gefallen. Ein Fahrrad hatte sie nie besessen. Die Metallstifte in ihrem Arm waren nicht die einzigen Blessuren, die ihr Stiefvater hinterlassen hatte. Ihre Probleme mit Autorität, ihre rebellische Art, ihr Misstrauen gegenüber Männern … Das war das Resultat, wenn man Kindheit und Jugend in ständiger Angst verlebte. Und der Anwalt ihres Stiefvaters hatte es auch noch so hingestellt, als wäre sie die Kriminelle!

„Kommen Sie, Holly.“ Sophia zeigte zur Treppe. „Nun, was sagen Sie zu dem Haus?“

„Soweit ganz in Ordnung.“ Wozu engere Kontakte mit den Hiesigen knüpfen? Sophia schien ganz nett zu sein, aber der Aufwand lohnte nicht. In vier Wochen würde Holly ja wieder von hier verschwinden. Falls sie sich nicht schon früher absetzte.

„Ich musste Señor Ravensdale die Daumenschrauben anlegen, damit wir Sie hier aufnehmen können. Nicht, dass er keine gemeinnützige Arbeit leisten will, im Gegenteil. Er unterstützt viele Projekte. Aber er will in Ruhe gelassen werden, um konzentriert arbeiten zu können.“

„Hat er eine Freundin?“

Sophia presste die Lippen zusammen. „Meine Stelle ist mir zu wichtig, als dass ich über derart persönliche Dinge klatsche.“

„Mir scheint er doch ziemlich langweilig zu sein. Immer nur Arbeit und kein Vergnügen …“

„Er ist ein wunderbarer Arbeitgeber und ein Ehrenmann mit Prinzipien. Sie haben Glück, dass ich ihn überreden konnte.“

„Na, da habe ich ja das große Los gezogen, was?“

Sophia bedachte sie mit einem tadelnden Blick. „Ich hoffe, Sie machen ihm keinen Ärger.“

Wer, ich? Holly schmunzelte in sich hinein. So, Julius Ravensdale hatte also Prinzipien? Wie lange würde es wohl dauern, bis seine hehren Motive sich als das erwiesen, was sie in Wirklichkeit waren? Sie hatte doch den Blick gesehen, mit dem er sie taxiert hatte. Er mochte ja hyperintelligent und bestens erzogen sein, aber er hatte die gleichen Bedürfnisse wie jeder andere Mann. Schließlich stand er in der Blüte seiner Jahre, wie es so schön hieß, oder? Er würde die Situation auszunutzen versuchen, ganz bestimmt. Sie war nicht eitel, aber sie wusste, welche Macht sie über Männer hatte. Es war die einzige Macht, die sie besaß. Weder Geld noch Privilegien, geschweige denn einen Stammbaum … aber ihren Körper.

„Was ist denn mit Ihrem Handgelenk?“, fragte sie, um die Stille zu durchbrechen.

„Eine Sehnenscheidenentzündung. Ich muss die Hand ruhig halten, dann heilt es schon wieder. Das sind die Alterswehwehchen, fürchte ich.“

Holly folgte der Haushälterin in den dritten Stock. Überall kostbare Teppiche, dick und weich, Originalgemälde italienischer und französischer Meister an den Wänden. Porträts, Landschaften, Stillleben. Marmorne Büsten und Statuen, Kristalllüster an den Decken. Nie hatte Holly solche Pracht gesehen. Doch nirgendwo etwas Persönliches. Keine Familienfotos, keine Souvenirs. Dieses Anwesen war ein Museum, kein Zuhause.

„Das hier ist Ihr Zimmer, mit eigenem Bad und Balkon.“

Balkon?

Abrupt blieb Holly stehen. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, Panik jagte ihr von Kopf bis Fuß einen eiskalten Schauder über den Körper. Die zarten Vorhänge vor den offenen Balkontüren bauschten sich in der Nachmittagsbrise wie das Gewand eines Geistes.

Wie oft war sie in ihrer Kindheit auf den wackligen Balkon geschleift und ausgesperrt worden, bei jedem Wetter! Und dann hatte sie von dort draußen mit ansehen müssen, wie ihre Mutter misshandelt worden war. Schnell hatte Holly begriffen, dass sie sich still zu verhalten hatte. Denn je lauter sie weinte, desto härter hatte der Mistkerl bei ihrer Mutter zugeschlagen.

Aber innerlich hatte sie laut geschrien. Genau wie jetzt auch. Auf ihrer Brust lag ein unerträglicher Druck, die Kehle war ihr so eng, dass sie kaum Luft bekam.

„Atemberaubend, nicht wahr?“ Die gute Sophia, wenn sie wüsste! „Es ist kürzlich erst renoviert worden. Man riecht sogar noch die Farbe.“

Holly befürchtete, jeden Moment in Ohnmacht zu fallen. Ihr brach der kalte Schweiß aus. „Ich … ich brauche kein so großes Zimmer“, brachte sie krächzend heraus. „Eine Etage tiefer sind wir an einem kleinen Zimmer vorbeigekommen, das reicht völlig für mich. Ich brauche keinen eigenen Balkon.“

„Aber von hier haben Sie einen ganz großartigen Blick über das Anwesen, zudem auch viel mehr Privatsphäre. Es ist das hübscheste Zimmer im …“

„Der Blick ist mir völlig schnuppe.“ Rasch ging Holly rückwärts, bis sie wieder auf dem Gang stand, neben einer Marmorstatue, die ebenso kalt war wie ihr eigener Körper.

„Sehen Sie sich doch wenigstens ein wenig um. Vielleicht ändern Sie Ihre Meinung ja noch …“

„Nein!“ Sie schwang herum und spurtete los, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her, rannte die Treppen hinunter, Stufe um Stufe, Etage um Etage, hielt hektisch nach einer Tür Ausschau, die sie nach draußen ins Freie führen würde. Erst als sie im strahlenden Sonnenschein stand, sog sie tief die Luft ein. Den Oberkörper vorgebeugt, die Hände auf die Knie gestützt, atmete sie rasselnd, und ihre Lungen brannten.

Oh nein, sie würde nicht in einem Zimmer mit Balkon schlafen.

Niemals!

Julius stand gerade in seinem Arbeitszimmer am Fenster, als er Holly mit ausholenden Schritten zum See marschieren sah, der jenseits der Parkanlage lag. Was denn, schon? Bei der ersten Gelegenheit ergriff sie die Flucht? Es war abgemacht, dass er in diesem Fall sofort die Sozialarbeiterin verständigte. Er sah zum Telefon, dann wieder zurück zum Fenster hinaus. Holly verharrte am Seeufer. Hätte sie weglaufen wollen, hätte sie doch sicher die andere Richtung eingeschlagen, oder? See und dichter Wald waren praktisch wie eine Grenze, die niemand überqueren konnte.

Jetzt beugte sie sich vor, hob einen Kieselstein auf, holte aus und ließ ihn über die Wasseroberfläche hüpfen. Etwas unendlich Trauriges umgab die einsame Gestalt da draußen am Seeufer.

Es klopfte. Auf sein „Herein“ betrat Sophia den Raum.

„Señor, Holly weigert sich, das Zimmer zu beziehen, das ich für sie vorbereitet hatte.“

„Wieso?“

„Sie sagt, es sei ihr zu groß. Man sollte meinen, ich hätte sie im Stall untergebracht! Könnten Sie vielleicht ein Wort mit ihr reden?“

„Ich habe schon die letzte halbe Stunde mit ihr geredet. Wessen Idee war es noch mal, sie herzuholen?“

„Ich bin sicher, mit der Zeit gewöhnen Sie sich an sie. Sie ist wirklich ein energiegeladenes Geschöpf, nicht wahr?“

„So kann man es auch nennen.“

„Oh bitte, sprechen Sie mit ihr.“ Sophia stand kurz vor der Pensionierung, aber den flehenden Blick einer Fünfjährigen beherrschte sie noch immer. Oder sie hatte jahrelang daran gefeilt.

„Was soll ich denn zu ihr sagen?“

„Bestehen Sie darauf, dass sie das Zimmer nimmt. Wo soll ich sie denn sonst unterbringen? Sie sagten doch, Sie wollen sie nicht auf Ihrer Etage.“

Er seufzte. „Na gut, ich rede mit ihr. Und halten Sie den Erste-Hilfe-Kasten bereit.“

„Aber, aber … Sie tun doch keiner Fliege etwas zuleide.“

„Ich nicht, aber unserem jungen Gast traue ich zu, dass sie mir ein Messer zwischen die Rippen rammt und lachend zusieht, wie ich verblute.“

Holly stand noch immer am See und ließ Steine hüpfen, als Julius sich zu ihr gesellte. Auf dem steinigen Ufer musste sie seine Schritte gehört haben, aber sie drehte sich nicht zu ihm um. Mit eiserner Konzentration warf sie flache Kiesel über die Wasseroberfläche, und sie war sogar richtig gut darin.

„Wie ich höre, sind Sie mit Ihrer Unterbringung nicht zufrieden.“

Der nächste Kiesel landete im hohen Bogen mit einem lauten „Plumps“ im Wasser. „Ich brauche keine Luxussuite. Ich gehöre ins Zwischendeck.“

„Sollte das nicht der Hausherr zu entscheiden haben?“

Jetzt drehte sie sich doch um. Argwöhnisch schaute Julius auf den großen Kieselstein in ihrer Hand. „Was soll das hier eigentlich werden? Ein Pygmalion-Experiment? Nun, Mr. Higgins, aus mir machen Sie bestimmt keine Fair Lady, das bin ich nämlich nicht.“

„Nein, Sie sind eher ein störrisches Kind, das die Hand wegschlägt, die es füttern will.“

Heftig atmend funkelte sie ihn an, als könnte sie ihre Wut kaum beherrschen. „Sie wollen mich ebenso wenig hier haben, wie ich hier sein will.“

„Stimmt. Aber da das Arrangement getroffen wurde, ist es wohl vernünftig, dabei zu bleiben, meinen Sie nicht auch?“

„Wie erklären Sie meine Anwesenheit hier Ihren schicken Freunden und Ihrer noblen Familie?“ Sie warf den Stein. Mit einem lauten Knall traf er einen Baumstamm.

„Ich habe es nicht nötig, mich jemandem zu erklären.“

„Muss toll sein.“

Wo war die aufmüpfige Provokateurin abgeblieben? Hier stand eine Frau vor ihm, in der hilflose Rage brodelte. Rage, die nahezu greifbar war, drückend wie die elektrisch aufgeladene Luft vor einem Gewitter.

Er nahm einen flachen Kiesel auf, ließ ihn über den See hüpfen, zählte die Sprünge mit. „Hey, fünfzehnmal. Das ist meine persönliche Bestleistung. Schaffen Sie das auch?“

Lauernd musterte sie ihn. „Und was ist mit Ihrer Freundin? Was wird sie dazu sagen, dass ich bei Ihnen wohne?“

Er hob den nächsten Stein auf, begutachtete ihn. „Im Moment habe ich keine feste Beziehung.“

„Wann hatten Sie denn die letzte?“

Mit zusammengekniffenen Augen sah er sie an, bevor er den Stein warf. „Sie stellen eine Menge Fragen.“

„So, wie Sie mich da vorhin in Ihrem Arbeitszimmer angestarrt haben, kann man davon ausgehen, dass Sie nicht schwul sind“, meinte sie abschätzend. „Sie haben Interesse an mir.“

Julius bückte sich erneut. „Ihr Ego ist ebenso haarsträubend wie Ihre Manieren.“

Bitter lachte sie auf. „Ihnen braucht wohl keine ohne Uni-Abschluss zu kommen, was? Wie hört sich denn das Bettgeflüster bei Ihnen an? Reden Sie über Quantenphysik? Relativitätstheorie?“

Er studierte ihr Gesicht. Das spöttische Grinsen hatte wieder diese süßen Grübchen in ihre Wangen gezaubert. Allerdings ahnte er, dass das alles nur Show war. Er kannte sich aus mit Theaterspielen, seine Eltern gehörten zu den Besten, das musste sogar er zugeben. Und diese Unruhestifterin hier lieferte eine preisverdächtige Vorstellung ab. Sie hatte definitiv Talent.

„Warum wollen Sie nicht in dem Zimmer wohnen, das Sophia für Sie hergerichtet hat?“, wollte er wissen.

Das freche Funkeln in ihren Augen erlosch, sie wurde wieder zum schmollenden Kind. „Ich will nicht auf dem Speicher dieser Geistervilla versteckt werden, weil Sie Angst haben, ich könnte mich vor Ihren schnieken Freunden danebenbenehmen. Vermutlich erwarten Sie, dass ich auch dort oben in meinem Kämmerlein essen soll. Oder in der Küche mit dem Gesinde.“

„Ich habe kein Gesinde, sondern gut bezahltes Personal, das entscheidet, wann und wo es seine Mahlzeiten zu sich nimmt.“ Er hielt einen Moment inne. „Ich erwarte, dass Sie jeden Abend mit mir zusammen dinieren.“ Bist du völlig verrückt geworden? Je weniger Zeit du mit ihr verbringst, desto besser.

„Wozu?“ Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Damit Sie an mir herummäkeln können, wenn ich die falsche Gabel benutze?“

„Wieso glauben Sie eigentlich, jeder wolle Sie kritisieren und persönlich angreifen?“

Sie konnte seinem Blick nicht standhalten, schaute stattdessen über den See hinaus. Ein Muskel zuckte in ihrer Wange. Als sie dann endlich sprach, klang ihre Stimme tief und rau. „Ich will das Zimmer nicht.“

„Warum nicht?“

„Es ist … zu nobel.“

„Also gut. Wählen Sie selbst eines für sich. In diesem Haus gibt es schließlich mehr als genug davon.“

„Danke.“ Nur ein Flüstern, und noch immer sah sie ihn nicht an, aber ihre ganze Haltung drückte Erleichterung aus. Ihre Schultern entspannten sich, sie lockerte die Hände, die sie bisher an den Seiten zu Fäusten geballt gehalten hatte.

Am liebsten hätte Julius ihre Hand genommen und zuversichtlich gedrückt, aber er hielt sich zurück. Wenn auch nur mit Mühe. „Kommen Sie mit ins Haus, oder wollen Sie noch eine Weile hierbleiben?“

„Fürchten Sie denn nicht, ich könnte abhauen, sobald Sie mir den Rücken zukehren?“

Nachdenklich musterte er sie. „Damit würden Sie direkt ins Gefängnis rennen, oder etwa nicht?“

Sie kaute an ihrer Lippe, folgte mit dem Blick einem Vogel, der mitten auf dem See landete und mit seinen paddelnden Füßen konzentrische Kreise über die Wasseroberfläche schickte. Eine leichte Brise wehte ihr feine Haarsträhnen um Hals und Gesicht, abwesend strich sie sie zurück. Julius’ Brust zog sich zusammen, als er erkannte, wie stark ihre Hand zitterte. Nichts mehr war von der wütenden, toughen Frau geblieben, nichts mehr von der großmäuligen Straßengöre. Sie sah einfach nur aus wie das Mädchen von nebenan.

Er hob einen Kiesel auf, drückte ihn ihr in die Hand. „Mein Bruder Jake hält den Rekord hier. Sein Stein ist siebzehnmal gehüpft.“

Als ihre Finger sich berührten, empfand Julius es wie einen elektrischen Schlag. Holly hob den Blick zu ihm auf, und für einen Moment schien die Welt stillzustehen. Julius verlor jegliches Zeitgefühl. Es hätten Sekunden sein können, Minuten, Tage.

Sein Blick ging zu ihrem Mund. Er registrierte Form und Fülle ihrer Lippen, die glühende Leidenschaft verhießen und gleichzeitig erstaunliche Unschuld. Es war wie eine magnetische Kraft, die ihn unerbittlich, unwiderstehlich anzog, ihn dazu bringen wollte, den Kopf zu senken und … Er musste seine gesamte Selbstbeherrschung aufbringen, um dagegen anzukämpfen. Als Holly sich dann auch noch mit der Zungenspitze die Lippen befeuchtete, flammte das Verlangen heiß und lodernd in ihm auf.

Ihm kam der Gedanke, dass er sein ganzes Leben verschlafen hatte, bis zu diesem Moment. Als hätte er in einem Kühlraum gelebt und wäre endlich daraus hervorgekommen und in die Wärme getreten. Das Eis schmolz, er fühlte es. Sein Verstand setzte aus, wich vom gewohnten logischen Pfad ab. Erotische Bilder verursachten Kurzschlüsse in seinen Synapsen. Julius stellte sich vor, wie er mit Holly verschmolz, ihnen beiden innerhalb von Sekunden befriedigende Erlösung verschaffte.

Ob sie den Tumult, der in ihm tobte, ahnte? Wusste sie, welche Wirkung sie auf ihn ausübte? Er wollte in ihren Augen lesen, doch sie hielt die Lider halb gesenkt, starrte auf seinen Mund. Julius hob die Hand und legte sie an ihre Wange, war sich dessen nicht einmal bewusst, bis er ihre samtene Haut spürte. Warm, sinnlich, lebendig. Sanft hob er ihr Kinn an, sodass sie ihn ansehen musste.

Jeden Herzschlag spürte er wie einen Schlag mit dem Vorschlaghammer in seiner Brust. In seinen Lenden pulsierte es heiß. Mit dem Daumen beschrieb er kleine Kreise auf ihrer Wange, und er bemerkte, wie ihre Augen sich verdunkelten. Ihre Lippen teilten sich unmerklich, gerade genug, dass er die Wärme ihres nach Vanille duftenden Atems erhaschte. Wie einfach es doch wäre, die Distanz zu überbrücken, mit seinem Mund über ihren zu streifen. Wie mächtig der Drang war, es zu tun. Aber damit würde er eine Grenze überschreiten. Ein Tabu brechen. Es würde nur Ärger heraufbeschwören.

„Ich werde es nicht tun.“ Er ließ seine Hand sinken.

„Was?“, fragte sie, ganz verkörperte Unschuld. „Sie wissen, dass ich Sie innerhalb eines Sekundenbruchteils Ihre Prinzipien vergessen lassen könnte.“

Julius zog die dunklen Brauen zusammen. „Warum wollen Sie sich Ihre letzte Chance und damit Ihr Leben endgültig ruinieren?“

Ihre Augen glühten. „Um mein Leben in den Griff zu bekommen, brauche ich Sie nicht. Ich brauche niemanden.“

„Hat es auf die Art bisher für Sie funktioniert?“

Mit ihrem Blick erdolchte sie ihn regelrecht. „Wissen Sie, was ich an Männern wie Ihnen hasse? Weil Sie alles haben, setzen Sie ganz selbstverständlich voraus, Sie hätten auch Anspruch auf alles.“

„Hören Sie“, versuchte er sie zu beschwichtigen, „ich kann mir vorstellen, wie schwierig das für Sie ist. Sie wollen nicht hier sein. Aber wie sähe denn die Alternative aus?“

Sie presste die Lippen zusammen. „Nicht ich bin es, der man mit einer Haftstrafe drohen sollte.“

„Ja, ich weiß, in den Gefängnissen sitzen lauter Unschuldige“, spöttelte er. „Aber laut Gesetz sind Diebstahl und Sachbeschädigung – und was Sie sonst noch verbrochen haben – strafbar.“

Sie schwang auf dem Absatz herum. „Ich muss mir das nicht anhören.“

„Holly.“ Julius hielt sie beim Arm fest, zog sie wieder zu sich herum. „Merken Sie denn nicht, dass ich Ihnen helfen möchte?“

Voller Verachtung starrte sie auf seine Hand um ihren Arm, dann in sein Gesicht. „Wie? Indem Sie mir all diesen Luxus zeigen, um mich nach vier Wochen wieder auf die Straße zu setzen?“

Die Falte auf seiner Stirn wurde tiefer. „Haben Sie denn kein Zuhause, wohin Sie zurückkehren?“

Unruhig wandte sie den Blick ab. „Lassen Sie mich los.“

Er lockerte den Griff, hielt aber weiter ihr Handgelenk fest. „Niemand wird Sie auf die Straße setzen.“ Und was genau willst du mit ihr anfangen, wenn der Monat vorüber ist? Wenn sie kein Zuhause hatte, wo würde sie dann hingehen? Wie weit lag das überhaupt in seiner Verantwortung? „Haben Sie etwa auf der Straße gelebt?“

Sie riss sich von ihm los, verschränkte die Arme vor der Brust. „Was interessiert Sie das? Leute wie ich fallen Leuten wie Ihnen doch nicht einmal auf.“

Oh, sie fiel ihm auf. Viel zu intensiv sogar. Seine Haut prickelte noch immer von der Berührung. Ihm fiel auf, wie ihre braunen Augen in der einen Minute Gift sprühten und in der nächsten dunkel vor Sinnlichkeit wurden. Ihm fiel auf, dass sie sich mit der Grazie und Geschmeidigkeit einer reinrassigen Katze bewegte, nur um in der nächsten Sekunde wie eine eingekesselte Straßenkatze zu fauchen und die Krallen auszufahren.

Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er mit ihr umgehen sollte. Aber das war ja auch nicht seine Aufgabe. Die Mission oblag seiner Haushälterin, er hatte zu arbeiten. Sophia war es, die beschlossen hatte, etwas für die Gemeinschaft zu tun und die Streunerin wiedereinzugliedern.

Doch nein, Holly Perez war keine Streunerin, sie war ein aggressiver kleiner Hitzkopf, fest entschlossen, so viel Ärger wie nur möglich für jeden zu kreieren, der ihr zu nahe kam.

„Solange Sie unter meinem Dach leben, trage ich die Verantwortung für Sie“, sagte er. „Aber Sie haben auch eine Verantwortung.“

Ihr Kinn ruckte hoch. „Und welche? Pünktlich in Ihrem Schlafzimmer zum Dienst anzutreten?“

Julius presste die Lippen zusammen. „Nein, das ganz bestimmt nicht.“

Ihr Blick sagte alles. Zynismus hoch zehn! „Na klar, das nehme ich Ihnen auch glatt ab.“

„Ich meine das ernst, Holly. Ich habe nicht die Angewohnheit, junge Frauen, die weder über Manieren noch Respekt oder Anstand verfügen, in mein Bett zu holen.“

Ihr Lachen klang glockenhell. „Oh, es wird mir enormen Spaß machen, Sie im richtigen Moment an Ihre hochtrabenden Worte zu erinnern!“

Mit stoischer Gelassenheit ignorierte er die Lust, die sein Blut zum Kochen brachte. „Wir sehen uns dann beim Dinner. Und keine Flipflops, keine Jeans, kein bauchfreies T-Shirt, auch keine über die Schulter rutschenden Pullover. Wenn Sie keine entsprechende Garderobe besitzen, wenden Sie sich an Sophia. Sie wird Sie mit etwas Passendem versorgen.“

„Aye, aye, Captain.“ Sie salutierte stramm.

Wortlos drehte er sich um und marschierte Richtung Haus. Erst nach gut dreißig Schritten sah er über die Schulter zurück zu ihr, aber Holly hatte sich längst wieder zum See gedreht und warf weiter Kiesel ins Wasser. Der, den sie gerade geworfen hatte, musste groß gewesen sein. Er landete mit einem lauten Platschen im See und schickte wogende Kreise über die ruhige Oberfläche.

3. KAPITEL

Holly wartete, bis Julius nicht mehr zu sehen war, bevor sie den Rückweg antrat.

Welches Recht hatte er, ihr zu sagen, was sie zu tun und zu lassen hatte? Wenn sie Jeans tragen wollte, würde sie Jeans tragen! Ha, am besten knappe Jeansshorts und dazu die unmöglichsten High Heels, die sie besaß! Er erwartete, dass sie sich wie eine seiner schicken Freundinnen ausstaffierte? Da konnte er lange warten! Er mochte ja behaupten, im Moment hätte er keine Freundin, aber ein Mann mit seinem Aussehen hatte immer jemanden in petto.

Oh Mann, vorhin hätte er sie doch fast geküsst. Sie hatte darauf gewartet, dass er es tun würde, hatte ihn durch Kraft ihrer Gedanken dazu bringen wollen. Was für ein Triumph, wenn seine Selbstbeherrschung letztlich doch zusammenbrach. Sie würde es weidlich auskosten, ihn von seinem hohen Ross fallen zu sehen. Was bildete er sich ein, ihr Vorschriften zu machen wie einer Zehnjährigen?

Er hatte es nicht mit einem aufsässigen Kind zu tun, sondern mit einer erwachsenen Frau, die sehr genau wusste, wie sie einen Mann in die Knie zwingen konnte. Oh ja, sie würde ihn in die Knie zwingen, lange bevor er sie zu etwas zwang. Obwohl … die Vorstellung besaß durchaus einen gewissen Reiz. Dabei war er nicht einmal ihr Typ. Er war ein Kontrollfreak, und dafür hatte sie absolut nichts übrig. Wenn er nur nicht so unverschämt attraktiv wäre …

Hm, warum kam er ihr eigentlich so bekannt vor? Auch sein Name … Ravensdale … wo hatte sie den schon gehört?

Und dann wusste sie es plötzlich.

Er war der Sohn – einer der Zwillingssöhne – der weltberühmten Shakespeare-Schauspieler Richard Ravensdale und Elisabetta Albertini. Das Paar gehörte zur Londoner Theateraristokratie. Holly hatte Artikel in den Gesellschaftsmagazinen über die beiden gelesen. Nicht, dass sie sich solche teuren Zeitschriften leisten konnte, aber manchmal lagen veraltete Ausgaben in den Herbergen herum, in denen sie unterkam.

Vor vierunddreißig Jahren hatte das Paar geheiratet, nachdem sich beide bei den Proben für die Inszenierung von „Viel Lärm um nichts“ in London kennengelernt hatten. Der erste Hochzeitstag war von der Geburt der Zwillingssöhne gekrönt worden. Nach sieben turbulenten Jahren hatte es eine sehr hitzige, sehr öffentliche Scheidung gegeben, drei Jahre später eine erneute Heirat mit viel Publicity und unzähligen berühmten Ehrengästen. Genau neun Monate später war ein Mädchen zur Welt gekommen – Miranda.

Holly fragte sich, ob Julius bewusst Argentinien als Heimat gewählt hatte, um genügend Abstand zwischen sich und seine Eltern zu bringen. Der konstante Wirbel um das Paar musste schwer zu ertragen sein, vor allem, wenn man keinerlei Ambitionen hatte, den beiden auf der Bühne nachzueifern.

Störte es ihn deshalb, dass sie hier war? Weil ihre Anwesenheit die Presse auf den Plan rufen könnte? Wenn dann auch noch ihr dubioser Hintergrund aufgedeckt wurde, würde das einen massiven Skandal heraufbeschwören. Sie sah die Schlagzeilen schon vor sich: „Sohn des weltberühmten Schauspielerpaars lebt mit Krimineller zusammen“. Ein vernichtender Schlag für Julius’ Sinn für Anstand und Moral.

Holly schürzte die Lippen. Wenn sie die Presse selbst informierte, würde das nur die Aufmerksamkeit auf sie selbst ziehen. Ihr Widerling von Stiefvater durfte nicht wissen, wo sie sich aufhielt. Obwohl … bei all den hohen Tieren, die er zu seinen Freunden zählte, würde es sie nicht wundern, wenn er längst informiert war. Oder wenn er zumindest alles daransetzen würde, ihren Aufenthaltsort herauszufinden.

Franco Morales’ Einfluss reichte tatsächlich bis in die höchsten Etagen, damit hatte sie weder gerechnet, noch war sie darauf vorbereitet gewesen. Jedes Mal, wenn sie wieder auf die Füße gekommen war, einen neuen Job und eine neue Bleibe gefunden hatte, ging irgendetwas ganz massiv schief. Ihr letzter Chef hatte sie beschuldigt, sich aus der Kasse bedient zu haben. Sie mochte ja Probleme mit Autorität haben und rebellisch sein, aber eine Diebin war sie nicht. Nur war das fehlende Geld tatsächlich in ihrem Portemonnaie gefunden worden. Und ganz zufälligerweise waren an diesem Tag auch die Sicherheitskameras in dem Laden ausgefallen, sodass nichts zu beweisen war.

Aus ihren letzten drei Apartments hatte man Holly hinausgeworfen. Angeblich hatte sie die Wohnungen verwüstet. Sie wusste, wer das getan hatte. Ihr Stiefvater hatte einen seiner Schergen abkommandiert, um das für ihn zu erledigen. Deshalb hatte sie den Lack seines brandneuen Sportwagens zerkratzt, deshalb hatte sie groß und deutlich mit dem Unkrautvernichter „Prügelehemann“ aus dem ach so perfekt gepflegten Rasen herausgeätzt, damit alle Nachbarn es lesen konnten.

Nach Jahren körperlicher, mentaler und emotionaler Misshandlung hatte ihre Mutter sich erst in Alkohol und Pillen geflüchtet, um dann schließlich ihrem Leben ein Ende zu setzen, nur noch ein Schatten ihrer selbst. Franco hatte absoluten Gehorsam gefordert, von Holly wie auch von ihrer Mutter. Manchmal war Geld im Überfluss vorhanden, dann wiederum blieb der Kühlschrank leer. Oder er wurde verkauft, um den „finanziellen Engpass“ zu überbrücken. Möbel und Gerätschaften verschwanden und wurden wieder neu angeschafft, kleine Dinge, an denen Holly viel lag, landeten im Müll oder verschwanden auf Nimmerwiedersehen.

Holly hatte sich geschworen, sich von Francos Tyrannei nicht brechen zu lassen. Als kleines Mädchen hatte sie Ohrfeigen und willkürliches Ausholen mit dem Handrücken eingesteckt, ohne einen Laut von sich zu geben, ohne eine Träne zu vergießen. Nicht einmal ihre „Auszeiten“ auf dem Balkon hatten sie zum Nachgeben zwingen können. Holly hatte ihre Gefühle eisern unter Verschluss gehalten, war härter und härter im Nehmen geworden, getrieben von dem festen Vorsatz, Franco niemals die Befriedigung zu gönnen, dass er sie gebrochen hatte.

Ihre Mutter war leider nicht so stark gewesen. Oder vielleicht war es zu schwer für sie geworden, sich vor Holly zu stellen. Ihre Mutter hatte immer alles getan, um die Tochter vor dem Stiefvater zu schützen, aber irgendwann hatte sie wohl schlicht keine Kraft mehr dazu gehabt.

Holly war erst vier gewesen, aber sie erinnerte sich noch: Franco Morales hatte die junge Witwe voller Charme und angeblichem Mitgefühl getröstet, nur Monate, nachdem Hollys Vater bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen war. Nach der Heirat jedoch hatte er sofort die Kontrolle übernommen.

Zuerst war er noch fürsorglich gewesen, hatte für das Dach über dem Kopf gesorgt und Holly sogar Süßigkeiten und Spielzeug gekauft. Doch dann hatte sich alles geändert, er hatte das Monster herausgekehrt, das er in Wirklichkeit war. Erst war es nur der eine oder andere verbale Ausrutscher, für den er sich dann jedes Mal überschwänglich entschuldigte, natürlich mit dem Versprechen, es würde sich nicht wiederholen. Doch es wiederholte sich, und es wurde immer schlimmer. Mit jedem Tag.

Irgendwann hatte Franco dann Holly aufs Korn genommen. Sie habe gefälligst zu tun, was er ihr sage. Widerspruch und Ungehorsam wurden sofort mit Prügel bestraft. Schließlich hatte sie die Schläge sogar provoziert, damit sie es wenigstens für den Tag hinter sich hatte.

Als Teenager bezog sie dann keine Prügel mehr, dafür kamen Beschimpfungen und Beleidigungen. Wie hässlich sie doch sei, wie dumm, wie wertlos. Kein Mann würde sie je haben wollen. Danach folgten endlose Schimpftiraden unterster Kategorie.

Mit dem Tod ihrer Mutter hatte sie dann noch den letzten Halt verloren. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, wusste nicht, wohin sie gehen sollte. Sie hatte Dinge getan, die sie zutiefst bereute, hatte sich zur falschen Zeit mit den falschen Leuten eingelassen.

Aber jetzt sollte alles anders werden. Sie wollte ihr Leben wieder in die richtige Bahn dirigieren. Sobald diese vier Wochen hier vorbei waren, würde sie nach England gehen. So weit weg wie nur möglich von ihrem Stiefvater. Zurück in die Heimat ihrer Mutter.

Dann, und nur dann, konnte sie endlich frei sein.

Holly schlenderte über den Rasen zurück zur Villa. Dieser Park war wirklich eine riesige Anlage, es gehörten sogar Weiden dazu, auf denen Pferde im Licht der untergehenden Sonne friedlich grasten. Unterhalb der breiten, zum Haus gehörigen Terrasse lag ein Swimmingpool, auf dessen Wasseroberfläche sich die letzten Sonnenstrahlen glitzernd wie Diamanten brachen.

Dort angekommen, hockte Holly sich an den Beckenrand und hielt die Hand ins Wasser, um die Temperatur zu prüfen. Perfekt, nicht zu warm, nicht zu kalt, sondern erfrischend kühl. Eine Meisterschwimmerin war sie sicher nicht, aber eine kleine Abkühlung wäre willkommen. Sie könnte so tun, als wäre sie in Urlaub, und sich vorstellen, in einem Luxushotel zu wohnen …

Mit einem Blick Richtung Villa vergewisserte sie sich, ob jemand sie beobachtete. Nicht, dass sie sich davon stören lassen würde. Wenn sie in Unterwäsche in den Pool steigen wollte, wer sollte sie schon daran hindern?

Also kickte sie die Sandalen von den Füßen, schälte sich aus Jeans und Pullover und genoss für einen Moment die Sonnenwärme auf der Haut, Dann holte sie tief Luft und tauchte ins Wasser ein.

Julius hörte Wasser aufspritzen und schob sich mit seinem Sessel vom Schreibtisch zum Fenster zurück. Da benutzte jemand den Pool …?

Nun, er hätte es sich denken können, und er hätte besser nicht hinsehen sollen. Holly in einem durchsichtigen winzigen Bikini. Oder war das ihre Unterwäsche? Die für Logik zuständige Hälfte seines Hirns befahl ihm, sich umzudrehen und weiterzuarbeiten, die für Emotionen zuständige hielt ihn wie gefesselt am Fenster fest, um den Anblick zu genießen.

Sie hatte eine fantastische Figur. Lange, schlanke Glieder, hohe, feste Brüste mit festen Spitzen. Das nasse Haar lag ihr wie der schimmernde Pelz eines Nerzes um den Kopf. Holly tauchte kopfüber ins Wasser, bot ihm so den Blick auf perfekt geformte lange Beine mit schlanken Fesseln. Sie musste sich wohl vom Boden abgedrückt haben, denn im nächsten Moment brach sie geschmeidig durch die Wasseroberfläche. Und bevor sie wieder abtauchte, hörte er ihr glockenhelles Lachen. Pure Lebensfreude.

Nachdem sie wieder aufgetaucht war, stand sie mit dem Rücken zu ihm. Er bewunderte ihre schlanke Rückseite und die definierten Muskeln, die unter der Haut spielten, als sie die Arme hob, um sich das nasse Haar aus dem Gesicht zu streichen und es sich auf dem Kopf zu einem provisorischen Knoten zu drehen. Erneut tauchte sie kopfüber unter, spritzte Wasser mit den zierlichen Füßen auf.

Sie hätte Model für Bademoden sein können. Athletisch, schlank, mit Rundungen an den richtigen Stellen.

Heiß rauschte ihm das Blut durch die Adern, er konnte die Augen nicht abwenden, war wie betäubt, konnte sich nicht regen. Es schien sie nicht zu kümmern, ob jemand sie beobachtete, sie tollte unbeschwert wie ein Kind, dabei war sie definitiv eine Frau.

Jetzt drehte sie sich zum Haus, sah zu seinen Fenstern hinauf, als ahnte sie, dass er sie beobachtete. Ein wissendes Lächeln erschien auf ihren Lippen, sie zog eine Augenbraue in die Höhe. Und dann winkte sie ihm lässig zu.

Mit einem gemurmelten Fluch wandte Julius sich endlich ab. Er hasste seinen Körper dafür, dass der reagierte, obwohl sein Verstand ihm etwas anderes befahl. Jede Zelle in ihm pulsierte, ein Gefühl animalischen Verlangens hielt ihn gefangen. Holly hatte ihn auf ein primitives Level reduziert. Würde sie jetzt jede Gelegenheit dazu nutzen? Wie sollte er vier Wochen überstehen? Und überhaupt … wieso amüsierte sie sich da im Pool? Sie war hier nicht in Urlaub, sondern um zu arbeiten!

Und verdammt, das würde sie auch tun!

Holly hörte, wie energische Schritte sich näherten.

„Haben wir jetzt genug Spaß gehabt?“ Julius baute sich am Beckenrand vor ihr auf und sah mit düsterer Gewittermiene auf sie herab, wie sie da auf den Poolstufen saß und Wasser trat.

„Ja.“ Sie schenkte ihm ein leichtes Lächeln. „Warum kommen Sie nicht auch rein? Sie sehen aus, als könnten Sie eine Abkühlung gebrauchen.“

Etwas Dunkles blitzte in seinen blauen Augen auf. „Sie sind hier nicht in der Sommerfrische.“ Knapp. Harsch. Frostig.

Ein kleiner Schauer durchlief Holly. Wie angestrengt er sich doch bemühte, sie nicht anzustarren! Der abgetragene Stoff ihres billigen BHs verbarg nicht mehr viel, im Gegenteil. Julius biss die Zähne zusammen, sie konnte die Muskeln in seinen Wangen arbeiten sehen. Tja, dann schau dir ruhig alles genau an, dachte sie und lehnte sich provozierend gegen die Stufen zurück, drückte den Rücken durch, damit er auch wirklich alles zu sehen bekam.

„Ich verstehe nicht, weshalb ich das Angebot nicht nutzen sollte, wenn es zur Verfügung steht“, meinte sie lasziv.

„Raus da“, knurrte er nur.

„Man sollte doch meinen, Ihre feinen Eltern hätten mehr Wert darauf gelegt, ihren Kindern Manieren beizubringen, oder? Wie heißt das Zauberwörtchen?“

Er stieß ein Wort aus, das aber auch gar nichts mit dem „Zauberwörtchen“ zu tun hatte, und lud damit die funkensprühende Atmosphäre noch mehr auf.

Zum eigenen Erstaunen spürte Holly ein erregendes Flattern in ihrem Bauch. Julius blähte die Nasenflügel vor Wut. Nie hatte sie einen Mann erlebt, der so auf sie reagierte. Das Problem war nur … sie reagierte genauso auf ihn. Sie war erregt, zitterte regelrecht vor Verlangen. Das war neu für sie. Normalerweise war sie das Objekt der Begierde, ohne dass sie selbst dergleichen empfand. Und die Intensität ihrer Gefühle war überwältigend, um es milde auszudrücken.

„Entweder, Sie kommen freiwillig da heraus, oder ich hole Sie“, stieß er hervor.

„Ist das ein Versprechen?“ Sie erschauerte theatralisch. „Ich liebe es, wenn ein Mann seine Machoseite herauskehrt.“

„Erstens: In Ihrem Aufzug schockieren Sie nur das Personal, jung und alt.“

Sie musste lachen. Nein, er machte sich keine Sorgen um sein Personal, er sorgte sich um sich selbst … weil sie seine Selbstbeherrschung auf die Probe stellte, ihn herausforderte. Oh, das hier entpuppte sich also doch noch als ein riesiger Spaß. „In welchem Jahrhundert leben Sie eigentlich? Im einundzwanzigsten ziehen Frauen nämlich genau das an, was sie wollen. Erst recht, wenn sie sich auf einem Privatgrundstück aufhalten.“

„Zweitens: Sie sind nicht hier zum Partyfeiern, sondern um Ihre Sozialstunden abzuleisten. Arbeit – sagt Ihnen das etwas? Nun, bis Sie wieder von hier verschwinden, werden Sie die Bedeutung des Wortes genauestens kennengelernt haben. Das versichere ich Ihnen. Sophia wartet auf Sie in der Küche. Das Essen muss vorbereitet werden.“

„Sicher, machen Sie nur. Sie haben doch zwei gesunde Hände, oder?“ Mit dem Fuß spritzte sie ein paar Wassertropfen auf seine exakt auf Falte gebügelte Hose … und schrie erschrocken auf, als er sie mit diesen beiden gesunden Hände bei den Oberarmen packte und hochriss.

Holly stand direkt vor ihm, so nahe, dass sie seine Körperwärme auf ihrer Haut spürte. Auf ihrer nassen Haut. Sie war sich sicher, die Hitze würde das Wasser jeden Moment zischend verdampfen lassen.

„Ich habe Ihnen eine Anweisung gegeben.“ Seine Augen glühten.

Sie rührte sich nicht, auch wenn seine Berührung heiße Schauer der Erregung durch ihren Körper sandte. Ihm so nah zu sein, stellte seltsame Dinge mit ihr an. Überall in ihr pulsierte und prickelte es. Ein überwältigendes Bewusstsein für ihn als Mann, für sie als Frau durchzuckte sie scharf. Sie spürte seine eiserne Entschlossenheit, Selbstbeherrschung zu wahren, und ihre Entschlossenheit, diese in Fetzen zu reißen. Es war wie ein zuckender, blitzender, knisternder Stromfluss zwischen elektrischen Polen.

Holly studierte seine grimmig zusammengepressten Lippen, den dunklen Bartschatten. Ihr Herz begann wild zu hämmern, doch nicht aus Angst. Vor ihm hatte sie keine Angst, aber vor ihrer Reaktion auf ihn. Noch kein Mann hatte eine solche Wirkung auf sie ausgeübt. Er hatte etwas Ursprüngliches, etwas Primitives in ihr erweckt. Sie konnte es nicht beschreiben, weil sie es nie zuvor erlebt hatte. Sie war keine Jungfrau mehr, aber keine ihrer bisherigen wenigen Erfahrungen hatten ihren Körper so zum Summen gebracht. Dabei hatte Julius sie nicht einmal geküsst. Sie wartete darauf. Wappnete sich dafür. Hoffte. Fieberte dem entgegen.

Aber dann ließ er sie abrupt los. Es geschah so unerwartet, dass sie fast rückwärts in den Pool gestrauchelt wäre. Nur mit Mühe hielt sie das Gleichgewicht, bedachte Julius mit einem eiskalten Blick. „Ich befolge keine Anweisungen, weder von Ihnen noch von irgendjemand sonst.“

Seine Miene wurde hart. „Sie werden es lernen. Sie werden genau das tun, was ich Ihnen auftrage. Stellen Sie meine Autorität besser nie infrage. Keine einzige Sekunde.“

Holly schob das Kinn vor. „Topp, die Wette gilt.“

Wenig später marschierte Julius unruhig und wütend in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Wie hatte er zulassen können, dass Holly ihm derart unter die Haut ging? Eigentlich hatte er ihr nur ihre Grenzen aufzeigen wollen, doch sie hatte es innerhalb von Sekunden geschafft, den Spieß so umzudrehen, dass er sich buchstäblich zum Höhlenmenschen entwickelt hatte. Noch nie war er so knapp davor gewesen, auf sämtliche Konsequenzen zu pfeifen und seinem Verlangen nachzugeben. Noch immer brannte das Begehren wie Feuer in ihm.

Holly gab sich alle Mühe, um ihn die Kontrolle verlieren zu lassen, nutzte dafür jeden Trick aus ihrem Repertoire. Und sie würde vier Wochen unter seinem Dach leben! Wie sollte er das überstehen? Wie sollte er dieser Dauerattacke auf seine Sinne standhalten?

Seine Finger brannten noch immer von der Berührung ihrer Arme. Ihre Haut hatte sich so heiß angefühlt. Brennend heiß. Es war unüberlegt gewesen, sie anzufassen, es hatte etwas tief in ihm entfesselt. Nur mit übermenschlicher Anstrengung hatte er sich davon abgehalten, ihr die billige Unterwäsche vom Leib zu reißen und sie gleich dort am Pool zu nehmen.

Lebte er etwa schon so lange enthaltsam, dass ein freches Ding ihn auf dieses Level reduzieren konnte? Dass sie eine Verlockung für ihn darstellte, als hätte ein Blitzschlag alles an Anstand und Moral ausgelöscht, was er je besessen hatte? Was fand er nur an ihr? Sie war rebellisch, störrisch, ungezähmt, nicht einzuschätzen und absolut unkultiviert.

Und berauschend wie eine Droge. Er wollte sie. Alles in ihm schrie danach, sie zu besitzen. Gierte danach. Verlangte es.

Aber er würde widerstehen. Er würde ihr widerstehen. Er war weder Hedonist noch Neandertaler. Er war ein Intellektueller mit Selbstdisziplin, er konnte sich beherrschen. Er hatte einen moralischen Kompass, besaß Anstand und Gewissen.

Schwer ließ Julius sich in den Sessel hinter dem Schreibtisch fallen, versuchte, Ordnung in seine wirbelnden Gedanken zu bringen. Was hatte Holly da über seine Eltern gesagt? Also wusste sie genau, wer er war. Hatte sie es die ganze Zeit gewusst, oder hatte es ihr jemand gesteckt? Sophia ganz bestimmt nicht, seiner Haushälterin vertraute er hundertfünfzigprozentig. Vermutlich war Holly zufällig darauf gestoßen, und deshalb spielte sie jetzt die Sirene. Sie wollte sich vor ihren Freunden brüsten, dass sie sogar Promis haben konnte, wenn sie es darauf anlegte.

Nur gut, dass die argentinische Presse ihn in Ruhe ließ. Hier konnte er sich bewegen, ohne dass ihn die Paparazzi auf Schritt und Tritt verfolgten. In England sah das ganz anders aus. Als Kind hatte er die Aufdringlichkeit immer als beängstigend empfunden, als erwachsener Mann fand er es nicht nur extrem lästig, sondern widerlich. Man folgte ihm auf der Straße und hielt ihm Mikrofone und Kameras ins Gesicht. Fing ihn vor der Universität ab, wenn er nach gehaltener Vorlesung das Gebäude verließ. Stellte ihm nach, wenn er in weiblicher Begleitung unterwegs war. Das war so weit gegangen, dass er sich nicht mehr verabredete. Es war den Aufwand schlicht nicht wert.

Zudem verwechselte man ihn häufig mit seinem Bruder Jake, was zusätzlich Probleme schuf. Probleme, für die er weder Zeit noch Geduld hatte. Das Interesse der Medien störte Jake nicht, er sah es als normal an. Man sei eben mit weltberühmten Stars verwandt, und das sei dann der Preis, den man zahle. Aber Jake war auch schon immer wesentlich extrovertierter gewesen als Julius, nutzte die Bekanntheit der Eltern zu seinem Vorteil, um zu bekommen, was er wollte – eine nie endende Parade schöner Frauen durch sein Schlafzimmer. Jake machte es nichts aus, mit dem Vater verglichen zu werden, im Gegenteil. Für ihn war das so etwas wie eine Auszeichnung.

Julius würde sich eher die Hand abhacken. Er hasste jeglichen Vergleich mit seinem alten Herrn. Nicht, dass er seinen Vater nicht liebte, so war es nicht. Er liebte seine Eltern. Beide. Auf zurückhaltende Art. Von öffentlichen Zuneigungsbeweisen hatte er noch nie viel gehalten, nicht einmal als Kind. Er fühlte sich schlicht nicht wohl dabei. Und die lautstarken Streits, die theatralischen Szenen, die leidenschaftlichen Gefühlsausbrüche und öffentlichen Versöhnungen … schon als Kind wäre er vor Verlegenheit am liebsten im Boden versunken. Er war froh, dass er den Großteil seiner Kindheit und Jugend in Internaten zugebracht hatte. Dort hatte er Ruhe gefunden vor dem chaotischen Leben zu Hause. Ordnung, Struktur, Routine … das passte zu seinem Wesen.

Jake dagegen war der spontane Typ. Disziplin war ein Fremdwort für ihn, er hatte schon immer einen Weg gefunden, sich auf die eine oder andere Art dagegen aufzulehnen. Wie sein Vater brauchte auch er das Rampenlicht, und wenn die Scheinwerfer einmal nicht in seine Richtung leuchteten, fand er irgendeine Möglichkeit, sie auf sich zu lenken.

Julius arbeitete lieber im Hintergrund. Seine Errungenschaften als Astrophysiker hatten sehr viel mehr Aufmerksamkeit erregt, als ihm lieb war, aber immerhin konnte er sich damit trösten, dass dieser Ruhm selbst verdient war und nichts mit seinen Eltern zu tun hatte. Seine Arbeit befriedigte ihn, und es gefiel ihm, dass er von zu Hause aus arbeiten und sich seine Zeit frei einteilen konnte.

Er würde sich allerdings darum kümmern müssen, dass sein ruhiges Heim jetzt von einem unkontrollierbaren Wildfang besetzt war. Und zwar schnellstens. Wie sollte er konzentriert arbeiten, wenn sie praktisch nackt über das Anwesen flanierte?

Die Wette gilt, hatte sie gesagt, als wäre das Ganze eine Art Konkurrenzkampf für sie. Was wollte sie beweisen? Sie sollte hier einen Neuanfang starten, ihre Einstellung zum Leben ändern. Doch seit ihrer Ankunft versuchte sie ihn zu manipulieren, bis er nicht mehr klar denken konnte. Er wusste genau, weshalb sie das für sie reservierte Zimmer nicht akzeptieren wollte – es lag ihr zu weit entfernt von seinem.

Nein, er würde nicht zulassen, dass sie dieses dumme Duell gewann, sie würde seine Selbstbeherrschung nicht zusammenbrechen lassen. Sie mochte ihn für einen Mann wie jeden anderen halten, getrieben von Gelüsten und Hormonen, schwach und prinzipienlos. Schon bald würde sie merken, wie sehr sie sich irrte.

Sie hatte ihn unterschätzt. Er würde dem Ganzen ein Ende bereiten, bevor es überhaupt angefangen hatte. Miss Holly Perez würde hinter Gitter wandern.

4. KAPITEL

Holly half in der Küche. Sie putzte Gemüse fürs Dinner, während Sophia sich eine Weile hingelegt hatte. Sie tat das nicht, weil Julius es ihr befohlen hatte, sondern weil offensichtlich war, dass Sophia mit dem Stützverband nicht viel machen konnte. Holly erinnerte sich noch gut, was für ein Albtraum es ist, wenn man Arme oder Beine nicht benutzen kann. Die einfachsten Aufgaben stellten einen vor unüberwindbare Hürden und wurden zu Schwerstarbeit. Und wenn man den Bogen überspannte, torpedierte man zu allem Überfluss auch noch den Heilungsprozess.

Außerdem kochte Holly gern und eigentlich ganz gut, selbst wenn sie Julius gegenüber etwas anderes behauptet hatte. Auch Putzen machte ihr nichts aus, die Monotonie der Arbeit empfand sie sogar als beruhigend. Früher hatte sie ihrer Mum oft geholfen, ein wenig Ordnung in das chaotische Heim zu bringen, und als Mum dann nicht mehr in der Lage dazu gewesen war, hatte Holly ganz übernommen. Sie wusste alles über Hausarbeit. Damals hatte sie die Aufgabe gründlich erledigt, schon damit ihr Stiefvater keinen Grund zu Kritik hatte. Wenn alles im Haus blitzte und blinkte, verging vielleicht ein Tag ohne Schreien und Gewalt.

Was sie allerdings überhaupt nicht ertrug, war, herumkommandiert zu werden. Niemand gab ihr Befehle, sie war niemandes Dienerin. Wenn sie etwas tat, dann weil sie es so wollte, weil es das Richtige war, nicht, weil es ihr jemand befahl.

Als hätte sie ihn mit ihren Gedanken herbeigerufen, kam Julius in die Küche marschiert.

„Auf ein Wort. In meinem Arbeitszimmer“, hob er an. „Jetzt sofort.“

Ungerührt schälte sie weiter Kartoffeln. „In zehn Minuten komme ich zu Ihnen. Ich muss noch die Kartoffeln und die Zucchini vorbereiten.“

Er stellte sich ihr gegenüber an die Arbeitsinsel, stützte die Hände auf. „Wenn ich eine Anordnung gebe, erwarte ich, dass sie widerspruchslos ausgeführt wird.“

Holly hielt seinem grimmigen Blick stand. „Warum sagen Sie nicht, was Sie zu sagen haben? Oder fürchten Sie, Ihre Haushälterin könnte hereinplatzen und uns hier zusammen auf der Arbeitsinsel in heißer Umarmung finden?“

Für einen Sekundenbruchteil haftete sein Blick an ihren Lippen, dann sah er wieder in ihre Augen. „Hiermit ziehe ich meine Zusage für dieses Projekt zurück. Morgen früh sind Sie von meinem Grund und Boden verschwunden. Suchen Sie sich einen anderen für Ihre kindischen Spielchen. Oder lassen Sie sich gleich einsperren, mir soll’s egal sein.“

„Sicher, kein Problem.“ Sie legte den Kartoffelschäler zur Seite und band sich die Schürze ab, die Sophia ihr überlassen hatte. „Dann gehe ich jetzt und packe meine Klamotten. Anschließend wecke ich Sophia und sage ihr Bescheid. Sie musste vorhin eine Schmerztablette einnehmen, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat. Ich vermute mal, sie kommt dann gleich und arbeitet trotz allem, weil sie Sie nicht im Stich lassen will. Aber hey, dafür wird sie schließlich bezahlt, nicht wahr?“

Von den halb fertigen Zutaten wanderte sein grimmiger Blick zu ihr. „Sie …“, stieß er hervor. „Für Sie ist das alles nur ein Spiel, oder?“

Holly beugte sich vor, um ihm einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté zu gewähren. Er zuckte zurück, als würden ihm heiße Flammen ins Gesicht schlagen. „Wissen Sie, was Ihr Problem ist, Julius? Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Sie Julius nenne, oder? Ich meine, das ist nicht so formell, wenn wir schon zusammenleben.“ Sie konnte hören, wie er scharf die Luft einsog. „Hey, Sie sind sexuell frustriert, das ist es.“ Holly klimperte mit den Wimpern. „Und der Frust braucht ein Ventil. Sie ziehen mir die Haut in Streifen ab, wenn Sie doch in Wirklichkeit nichts anderes wollen, als mir die Kleider vom Leib zu reißen.“

Seine Miene wurde düster. „In meinem ganzen Leben ist mir noch keine derart vulgäre Frau untergekommen. Haben Sie denn überhaupt kein Schamgefühl?“

Sie lächelte ihn zuckersüß an. „Oh, wie nett von Ihnen. Komplimente, Komplimente …“

Fluchend strich er sich das Haar aus der Stirn. Wirr, wie es war, tat er das heute bestimmt nicht zum ersten Mal. „Sie täuschen sich in mir. Sie bilden sich ein, wenn Sie genug provozieren, gehe ich Ihnen auf den Leim wie ein argloser Teenager. Doch Sie irren sich.“

Holly streckte ihm die Hand entgegen. „Wollen wir wetten?“

Er starrte auf ihre Hand, als wäre es ein Giftkelch. „Ich wette nie.“

Sie lachte auf. „Sie sind ja noch langweiliger, als ich dachte. Wovor haben Sie Angst, Julius? Dass Sie Ihr Geld verlieren? Oder dass Ihre verstaubten Prinzipien kompromittiert werden könnten?“

„Zumindest habe ich welche, im Gegensatz zu manch anderen“, gab er barsch zurück.

„Beziehen Sie sich da auf Ihren Vater?“ Holly wusste selbst nicht, weshalb ihr sofort sein Vater einfiel. Aber sie hatte genug über Richard Ravensdale gehört und wunderte sich, wie Julius sein Sohn sein konnte. Der Apfel war so weit vom Stamm gefallen, dass er praktisch im nächsten Hain lag. Julius war extrem verklemmt und konservativ. Sein Zwillingsbruder Jake jedoch … der wiederum war ganz anders. Sie hatte im Netz ein wenig über Jake gelesen. Sehr unterhaltsam.

Ruckartig zog Julius die dunklen Brauen zusammen. „Was wissen Sie über meinen Vater?“

„Er ist ein Womanizer schlimmster Sorte, stimmt’s? Seine Vorgehensweise ist immer gleich – Dinner, Bett, aus. Bei Ihrem Zwillingsbruder läuft es ähnlich, richtig?“

„Sie haben bisher nicht durchblicken lassen, dass Sie über meine Familie Bescheid wissen. Wieso nicht?“

„Hatte ich nicht schon gesagt, dass Ruhm und Geld mich nicht beeindrucken? Ich beurteile Sie nicht nach Ihrer Familie. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass es schwer sein muss, so berühmte Eltern zu haben. Sie können ja nie sicher wissen, ob Ihre Freunde echte Freunde sind oder nur Schleimer, oder?“ Als sie aufsah, starrte Julius sie düster an. „Was ist?“

Er schüttelte langsam den Kopf, ging zum Kühlschank, nahm eine offene Flasche Wein heraus und goss sich ein Glas ein. „Sie auch?“, bot er an.

„Ich trinke nicht. Ich habe schon so genügend Laster.“ Lächelnd beobachtete sie, wie er mehrere große Schlucke Wein trank. „Wenn Sie so weitermachen, ist Sophia nicht die Einzige, die Schmerztabletten braucht.“

„Erzählen Sie von sich“, sagte er plötzlich. „Woher kommen Sie?“

Sie wusch sich die Hände über dem Waschbecken. „Mein Background muss im Vergleich zu Ihrem total langweilig sein.“

„Ich möchte es dennoch wissen.“

„Ah. Die silbernen Löffel, mit denen Sie gefüttert wurden, bereiten Ihnen Zahnschmerzen? Das tut mir ja so leid. Doch, ehrlich.“

Seine Lippen verzogen sich, aber es war kein Lächeln, eher ein abschätziges Grinsen. „Ich weiß, dass ich ein privilegiertes Elternhaus hatte, und ich bin dankbar für die Möglichkeiten, die mir dadurch offenstanden.“

„Hat Ihre Haushälterin Ihnen deshalb die Daumenschrauben anlegen müssen, um etwas für das Gemeinwohl zu tun? Jemandem helfen, der es nicht gar so gut getroffen hat? Klar, ich sehe schon, wie dankbar Sie sind.“

Immerhin wirkte er leicht reuig. „Sie sind vielleicht nicht meine erste Wahl, aber ich unterstütze zahlreiche wohltätige Projekte. Sehr großzügig übrigens.“

„Einen Scheck ausstellen kann jeder“, erwiderte sie. „Da macht man sich die Finger nicht schmutzig und kann sich beruhigen, dass man jemandem aus der Gosse geholfen hat.“

„Sind Sie da gelandet? In der Gosse?“

Herausfordernd funkelte sie ihn an. „Was glauben Sie?“

„Hören Sie, tut mir leid, dass wir einen schlechten Start hatten. Vielleicht sollten wir von vorn anfangen.“

„Wohl kaum. Sie haben sich Ihr Urteil doch längst gebildet. Sie beurteilen andere nach dem ersten Eindruck, ohne sich Zeit zu nehmen, sie kennenzulernen.“

„Die Zeit nehme ich mir jetzt. Also, erzählen Sie von sich.“

„Wieso sollte ich?“

„Weil es mich interessiert.“

„Weil ich Ihnen ein schlechtes Gewissen eingeredet habe?“

„Das war doch Ihre Absicht.“

Holly schlug die Ofentür zu, bevor sie sich zu ihm umdrehte. „Na schön. Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt, meinen ersten Kuss bekam ich mit dreizehn, meine Unschuld habe ich mit sechzehn verloren. Mit siebzehn habe ich die Schule abgebrochen. Ich habe keine abgeschlossene Berufsausbildung. Ich spreche zwei Sprachen, Englisch und Spanisch … drei, will man Sarkasmus hinzurechnen. Ich trinke nicht, nehme keine Drogen, hasse dominante Männer und habe generell Probleme mit Autorität.“

Er deutete auf die Essensvorbereitungen. „Hatten Sie nicht behauptet, Sie können nicht kochen?“

„Muss wohl gelogen haben.“

„Warum?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Nur so.“

Julius kam näher, berührte sie aber nicht. Beide spürten sie die magnetische Anziehungskraft wie ein Kraftfeld. Stark, mächtig, unwiderstehlich.

Holly starrte auf seinen Mund, fragte sich, ob er sie diesmal küssen würde. Sie wünschte es sich. Sehr. Nicht, um etwas zu beweisen, dieser Punkt war plötzlich auf ihrer Agenda weit nach unten gerutscht. Nein, sie wollte wissen, wie es war, von ihm geküsst zu werden, wollte seinen Geschmack kosten, sehnte sich nach dem erotischen Tanz der Zungen …

Und dann berührte er sie doch. Strich mit zwei Fingerspitzen sacht über ihre Wange. Ihr schwindelte. Unwillkürlich leckte sie sich über die plötzlich trockenen Lippen. Forschend versuchte sie in seinen Augen zu lesen, doch sein Blick war unergründlich. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was er dachte. Sie selbst konnte ja kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Und was nun ihre Gefühle betraf … Holly erlaubte es sich nie, Gefühle zu haben, wenn sie mit einem Mann intim wurde.

„Wer sind Sie, Holly Perez, und was wollen Sie?“

„Ich hätte Sie dazu bringen sollen, Ihren Einsatz auf den Tisch zu legen“, murmelte sie.

„Sie glauben, ich wollte Sie küssen?“

„Auf jeden Fall spielen Sie mit dem Gedanken, das weiß ich.“ Warum klang ihre Stimme so heiser? Man sollte meinen, sie stünde unter irgendeinem Bann. Sicher, der Mann sah gut aus, aber er wollte sie zähmen, und das erlaubte sie niemandem. Nie.

Spöttisch zog er einen Mundwinkel in die Höhe. „Sie bilden sich ein, Sie können meine Gedanken lesen?“

„Nein, das nicht. Aber Ihr Körper sendet eindeutige Signale aus.“

„Ihrer auch.“

Erzähl mir was Neues. Holly seufzte. Irgendwie hatten sich die Machtverhältnisse verschoben. Sie hatte keine Kontrolle mehr über ihren Körper, der reagierte jetzt ganz instinktiv, und ihre Sinne waren wie in einem Wirbelsturm gefangen. Verlangen brannte wie Fieber in ihr, ihre Brüste spannten, sehnten sich nach Julius’ Berührung. Zwar stand er nur Zentimeter entfernt von ihr, aber normalerweise war ihr so etwas egal. Nur bei diesem Mann … Ihre Brustwarzen zogen sich hart zusammen, pressten sich gegen den feinen Stoff des BHs. Auch seine Erregung war nicht zu übersehen.

„Ich würde nur mit Ihnen schlafen, um einen Punkt zu beweisen.“ Sie gab sich redlich Mühe, so unbeteiligt wie nur möglich zu klingen. „Tut mir leid, falls das Ihr Ego ankratzt.“

Er wickelte sich eine Strähne ihres seidigen Haars um den Finger, zupfte sacht daran. Seine Augen waren dunkel und unergründlich wie das Universum.

„Durchaus nicht.“ Auch seine Stimme klang heiser, jedoch nicht so sehr wie ihre. „Weil wir nicht miteinander schlafen werden.“ Noch einmal strich er mit der Daumenkuppe über ihre Unterlippe, ließ dann die Hand sinken.

Aber er rührte sich nicht, blieb stehen, wo er war. Wenn sie nur einen winzigen Schritt nach vorne machte, würden ihre Schenkel sich berühren. Die Versuchung war groß, als würde eine unsichtbare Hand in ihrem Rücken sie anstupsen …

Flüchtig streifte sie seine harte Männlichkeit, und ein Stromschlag durchzuckte ihren ganzen Körper. Die erotische Energie hüllte sie komplett ein. Holly registrierte, wie seine Pupillen sich weiteten, lodernd glühte es in seinen Augen auf.

„Sie sind so scharf auf mich, dass ich mir nur mit der Zungenspitze über die Lippen zu fahren bräuchte, um Sie über den Klippenrand zu stürzen.“ Sie schockierte sich selbst mit ihrer Lüsternheit. Wieso benahm sie sich so? Er saß eindeutig am längeren Hebel. Julius hatte doch schon angekündigt, dass er sie rauswerfen wollte, nur deshalb war er gekommen. Sie würde hinter Gitter wandern, für sie gab es keine weitere Chance. Wenn sie ihn zu weit trieb, würde er sie definitiv loswerden. So lief es ja immer … Das Risiko war ihr bewusst, trotzdem konnte sie sich nicht zügeln, getrieben von ihrem verräterischen Körper, der einen eigenen Willen entwickelt zu haben schien.

Mit der Fingerspitze glitt Julius über ihr Dekolleté, zwischen ihren Brüsten entlang bis zum Reißverschluss ihrer Jeans. „Ich wette, ich könnte Sie zuerst zum Höhepunkt bringen“, knurrte er rau.

Und fast wäre sie wirklich zum Höhepunkt gekommen, gleich hier und jetzt! Sie musste weg von ihm, bevor er den Sieg davontrug! Er besaß sehr viel mehr Selbstkontrolle als gedacht. „Ich könnte den Höhepunkt vortäuschen, und Sie würden es niemals wissen“, behauptete sie.

Er grinste nur überheblich. „Oh, ich wüsste es, keine Sorge.“

Holly stieß geräuschvoll die Luft aus. „Meiner Erfahrung nach ist solche Selbstsicherheit beim Sex nichts anderes als kaschierte Arroganz.“

„Sie halten es für Arroganz, dass ich Ihnen nie gekanntes Vergnügen bereiten könnte?“ Jetzt strich er mit der Fingerspitze den Bund ihrer Jeans entlang, wanderte wieder hoch und über ihre Brust bis hin zu ihrem Mund. Die Kreise, die er mit dem Daumen auf ihren Lippen beschrieb, ließen Hollys Sinne zu Hochtouren auflaufen. Ihr Puls raste, ihr Herz hämmerte wie wild.

„Sie sind schön … aber das wissen Sie ja, nicht wahr?“ Sein tiefer Bariton brachte jede Faser in ihr zum Vibrieren. „Sie kennen Ihre Macht über die Männer. Und Sie setzen sie bei jeder Gelegenheit ein.“

„Tja, ein Mädchen muss sehen, wie es weiterkommt.“ Holly bemühte sich, seinem Blick standzuhalten, doch es fiel ihr immer schwerer. Ihr Gleichgewicht war gefährlich ins Wanken geraten. Nie war sie so kurz davor gewesen, sich einfach fallen zu lassen.

Er schob die Finger in ihr Haar, hob es in die Höhe, ließ es wieder fallen. „Deshalb haben Sie sich im Pool gerekelt. Sie wollten meine Aufmerksamkeit erregen. So ein kleiner Striptease unter dem Fenster meines Arbeitszimmers ist perfekt, oder? Da würde wohl jeder Mann hinsehen.“

„Sie hätten auch die Vorhänge schließen können.“ Das Teufelchen saß wieder zurück auf ihrer Schulter. Sie würde Julius so weit treiben, wie sie nur konnte.

Er schnaubte, fast amüsiert. „Da müssen Sie sich schon etwas Besseres einfallen lassen.“

„Ah, deshalb sind Sie also zum Pool marschiert und haben mich mit Gewalt aus dem Wasser gezogen? Um mir zu zeigen, wie beherrscht und diszipliniert Sie sind? Sie machen sich ja lächerlich.“

Verärgerung flackerte in seinem Blick auf. Die Atmosphäre zwischen ihnen schien wie elektrisch aufgeladen, es entwickelte sich ein Kampf der Blicke … und dann, ganz plötzlich, trat Julius von ihr zurück. Holly war nicht klar, dass sie die Luft angehalten hatte, bis er sich wortlos umdrehte und die Küche verließ.

Runde eins – unentschieden, dachte sie. Aber die nächste geht an mich.

Oder auch nicht, flüsterte ihr eine warnende Stimme zu.

5. KAPITEL

Julius ging nach draußen, er brauchte dringend frische Luft. Er musste seinen gesunden Menschenverstand wieder aktivieren. Selbstbeherrschung war unerlässlich. Und wo war die abgeblieben? Er war wütend auf sich, hatte er dieser kleinen Verführerin mit den karamellbraunen Augen doch erlaubt, seine Hormone zu entfesseln. Warum hielt er sich nicht an seinen Plan? Julius schuldete ihr nichts. Es war sicher nicht seine Schuld, wenn sie im Gefängnis landete. Da gehörte sie ganz offensichtlich auch hin. Warum ließ er sich von ihr einwickeln und an sein Gewissen appellieren?

Aber es war ja auch nicht wirklich sein Gewissen, an das sie appellierte …

Er war regelrecht angewidert von sich. Noch nie hatte er eine Frau so sehr begehrt. Er hatte ihr erlaubt, ihn bis an die Grenzen zu provozieren, fast hätte er sich vergessen. Julius war kein Mann, der Sex vor Vernunft stellte. Vor allem, weil das alles nur ein Spiel für sie war. Sollte sie ruhig halb nackt über das Anwesen scharwenzeln und versuchen, ihn aufzureizen … dieses Spiel würde sie nicht gewinnen.

Allerdings hatte er sich von ihrem Verwandlungsakt blenden lassen, als sie sich bereit erklärt hatte, das Kochen zu übernehmen, damit Sophia sich ausruhen konnte. Und im nächsten Atemzug weigerte sie sich, Anweisungen zu befolgen. Weil ihr niemand etwas zu befehlen hatte. Ha!

Was war vorgetäuscht, was war echt?

Holly musste wohl zeitweise auf der Straße gelebt haben, hatte das freche Mundwerk, um sich unter schwierigsten Umständen durchzuschlagen. Eine bauernschlaue Circe. Sie lockte und verführte, und es war ihr tatsächlich gelungen, heißes Begehren in ihm zu entfachen, das sich scheinbar nicht eindämmen ließ. Begehren, das seine Fähigkeit zum logischen Denken trübte, dafür aber Bilder in ihm heraufbeschwor, was er alles mit ihr anstellen wollte. Erotische Bilder. Und er sehnte sich danach, die Bilder in die Realität umzusetzen.

Holly Perez war die gefährlichste Frau, die ihm je begegnet war. Mit ihrem Schlafzimmerblick und ihrem verführerischen Körper bedrohte sie alles, was ihn ausmachte. Sie weckte Gefühle in ihm, die er sich längst abtrainiert hatte. Emotionen, Verlangen, Begierden … all das musste kontrolliert werden. Bedürfnisse mussten in die richtigen Kanäle gelenkt werden.

Flirts und One-Night-Stands waren nichts für ihn, in die Richtung preschte er nie vor – schon gar nicht mit einer kriminellen Fremden. Er pflegte einen gewissen Standard, hatte Prinzipien. Ein achtbarer Bürger, der seine Steuern pünktlich entrichtete. Er übertrat keine Grenzen, dehnte sie nicht einmal nach Belieben. Sollte man ihn deswegen ruhig konservativ nennen, seinetwegen auch besessen.

Er befolgte die Regeln. Schon deshalb, weil er bei seinen Eltern beobachtet hatte, wie sie stets sämtliche Regeln brachen. Regeln garantierten Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt. Er hatte es gern ordentlich. Er musste vorab wissen, wie der nächste Schritt aussah. Planen, das war seine Stärke, Spontaneität überließ er seinem Zwillingsbruder. Jake lebte auf der Überholspur, Julius war nur dann mit sich und der Welt im Reinen, wenn er von vornherein wusste, wie schnell, wie weit und wie lange er zu fahren hatte.

Erst überlegen, dann handeln. Und nach gründlichem Überlegen wusste er eines mit Sicherheit: Holly war gefährlich.

Wenn er ehrlich war, dann nicht nur in körperlicher Hinsicht. Sie rührte auch auf einem anderen Level etwas in ihm an. Er … er empfand etwas für sie, etwas, das er nie erwartet hätte. Julius fühlte sich zu ihr hingezogen, sie ging ihm nicht aus dem Kopf. Er konnte die Berührung nicht vergessen, die Art, wie sie sich bewegte, ihr Lachen … Der glockenhelle Ton jagte ihm jedes Mal ein Prickeln über den Rücken.

Sie war brüsk, unverschämt, unhöflich … und doch hatte er dort unten am See eine Verletzlichkeit in ihr erkannt, die ihn bezauberte. Auch als er sie nach der Narbe an ihrem Arm gefragt hatte, war etwas hinter der Maske der frechen Göre aufgeblitzt. Er ahnte, dass es da mehr an ihr gab als das, was auf den ersten Blick zu erkennen war.

Ja, sie bereitete ihm Unbehagen, ja, sie benahm sich wie ein Straßenmädchen, aber … er hatte ihr gegenüber auch eine Verantwortung, oder?

Und es war auch nur für einen Monat. Einen Teil dieser Zeit wäre er sowieso geschäftlich unterwegs. Wenn er es nicht wollte, brauchte er keinerlei Kontakt mit ihr zu haben.

Je mehr Abstand er zu ihr hielt, desto besser.

Julius saß im Arbeitszimmer und rechnete noch einmal Tabellen nach, als das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. Abwesend griff er zum Hörer. „Jake“, grüßte er den Anrufer, als er die Stimme erkannte.

„Hey, Bruderherz, du klingst ja richtig genervt. Also haben dich die Neuigkeiten auch schon erreicht, was?“, drang es durch die Leitung.

Abrupt setzte Julius sich gerade auf. „Welche Neuigkeiten?“ Sofort begann sein Verstand damit, Möglichkeiten zu überschlagen: Sein Vater hatte einen weiteren Herzanfall erlitten. Seine Eltern trennten sich mal wieder. Seine kleine Schwester hatte endlich einen Freund gefunden, nachdem ihre erste Liebe den Kampf gegen den Krebs verloren und sie sich seither einigelt hatte … aber nein, Miranda liebte die Märtyrerrolle. Jake heiratete … Unsinn, das würde nie passieren.

„Die nächste Leiche ist unter Dads Bett hervorgekrochen“, fuhr Jake fort.

„Noch eine?“ Julius dachte an die unzähligen Gespielinnen, die sein Vater sich gehalten hatte, während er offiziell natürlich daran arbeitete, seine Ehe zu retten. Nicht, dass Julius’ Mutter sich groß beschweren könnte. Auch sie hatte Abwechslung gesucht. „Wie alt ist sie diesmal?“

„Dreiundzwanzig.“

„Großer Gott, genau so alt wie Miranda. Sie werden immer jünger.“

„Diesmal ist es aber schlimmer.“

„Mach’s nicht so spannend, verdirb mir den Tag ruhig endgültig.“

„Diesmal ist es nämlich keine Mätresse, sondern eine Tochter. Er ist Vater eines echten Liebeskinds – Katherine Winwood heißt sie.“

„Himmel, was sagt Elisabetta dazu? Wie fasst sie es auf?“

„Was glaubst du wohl?“, kam es trocken von Jake zurück. „Sie ist komplett hysterisch.“

Julius stöhnte laut auf. Er sah es genau vor sich: Teller flogen durch die Luft, Türen wurden geschlagen, lautes Gekeife und Gekreische in der New Yorker Suite seiner Eltern. Den Rummel um eine zweite Scheidung seiner Eltern würde er nicht ertragen. Das letzte Mal war es schon schlimm genug gewesen. Von der Presse war jeder Stein im persönlichen Leben der Familienmitglieder umgedreht worden, und die Öffentlichkeit hatte sich sensationslüstern darauf gestürzt. „Steht es schon in der Zeitung?“

„Zeitung, Internet, überall. Weil es so saftig und pikant ist. Aber hör zu …“

Julius wurde leicht übel. „Was, noch mehr?“

„Und ob. Katherine Winwood ist zwei Monate älter als Miranda.“

Julius rechnete nach. „Das heißt, Dad war noch mit der Mutter dieser Frau zusammen, obwohl er und Mum sich damals schon wieder versöhnt hatten?“

Autor

Melanie Milburne

Eigentlich hätte Melanie Milburne ja für ein High-School-Examen lernen müssen, doch dann fiel ihr ihr erster Liebesroman in die Hände. Damals – sie war siebzehn – stand für sie fest: Sie würde weiterhin romantische Romane lesen – und einen Mann heiraten, der ebenso attraktiv war wie die Helden der...

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