Die schöne Gouvernante

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Da sich seine beiden Nichten begeistert von der Gouvernante Octavia Petrie zeigen, schiebt Edward Barraclough seine Bedenken beiseite. Sie erscheint ihm viel zu jung, zu selbstsicher - und zu schön für solch einen Posten. Trotzdem erledigt sie ihre Pflichten bravourös und ist von einer so ansteckenden Fröhlichkeit, dass Edward immer wieder ihre Gesellschaft sucht. Schon bald erkennt er, wie es um sein Herz bestellt ist: Er hat sich in Octavia, die sich offensichtlich sehr zu ihm hingezogen fühlt, verliebt. Eine unhaltbare Situation: Auch wenn es ihm schwer fallt - er muss ihr sofort kündigen...


  • Erscheinungstag 07.09.2015
  • Bandnummer 0442
  • ISBN / Artikelnummer 9783864945373
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL
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Hoch gewachsen, mit schwarzem Haar und breiten Schultern, bot Edward Barraclough einen wahrhaft beeindruckenden Anblick, wie er mit langen Schritten den Green Park in Richtung North Audley Street durchquerte. Obwohl er eher schlicht gekleidet war, verrieten sein dunkelgrüner Mantel, der silberbeschlagene Gehstock und die Hosen aus feinstem Hirschleder dem genauen Beobachter dennoch, dass er hier einen Gentleman von Vermögen und Geschmack vor sich hatte. Fraglich nur, was ein Mitglied der feinen Gesellschaft zu dieser Jahreszeit in London tat. Die vornehmen Familien hatten sich schon längst allesamt auf ihre Landsitze zurückgezogen.

Als Viscount Trenton Mr. Barraclough über den Weg lief, begrüßte er ihn daher freudig überrascht. „Ned, was zum Teufel hält Sie noch hier?“

„Dasselbe wie Sie, vermute ich“, antwortete Barraclough. „Unaufschiebbare Angelegenheiten.“

„Ich dachte, das Außenministerium nähme seine Arbeit erst im nächsten Monat wieder auf.“

„Richtig. Die Sache war familiärer Natur – ein paar Bankiers aus Wien sind gerade in der Stadt.“

„Oh, wie lästig, alter Junge!“

Edward wirkte amüsiert. „Nicht im Mindesten! Ich unterhalte mich ausgesprochen gern mit den Herren der Hochfinanz.“

Das sah Viscount Trenton ganz anders. Er scheute Bankiers und auch alle anderen Geschäftsleute wie der Teufel das Weihwasser. Allerdings wusste er, dass Ned seine Empfindungen nicht teilte. Und aus gutem Grund. Die Barracloughs besaßen ein ungeheures Vermögen, große Plantagen in der Karibik und unterhielten Handelsverbindungen in alle Welt. Obwohl Edward zweifellos wie ein echter Gentleman wirkte, arbeitete er sonderbarerweise ausgesprochen gern. Nicht nur kümmerte er sich um die Gelder der Familie, nein, er fand auch Zeit, das Außenministerium an seinem reichen Erfahrungsschatz über den amerikanischen Kontinent teilhaben zu lassen. Dennoch war er beim ton beliebt und überall ein gern gesehener Gast. Trenton mochte den Mann.

Während die beiden nebeneinander die Clarges Street Richtung Grosvenor Square entlangschritten, schenkte der Viscount dem Freund einen verlegenen Blick. „Weilt Louise ebenfalls in London?“

„Wo sonst?“ antwortete Barraclough. „Sie hasst das Landleben. Allerdings wäre sie durchaus bereit, sich eine Zeit lang in Brighton aufzuhalten, wie sie mir mitteilte.“

„Wollen Sie denn da mit ihr hin?“

„Vielleicht.“

„Lassen Sie dieses Prachtweib nur nicht aus den Augen, Ned“, warnte Jack. „Falls Sie sie nicht verlieren wollen, jedenfalls. Louise Kerrall ist ein wahrhaft bezauberndes Geschöpf. Was sind Sie doch für ein Glückspilz! Ich kenne manchen Gentleman in London, der Sie Ihnen nur allzu gern ausspannen würde, wenn sich die Gelegenheit böte.“

Barraclough lächelte spöttisch. „Und sind Sie einer von ihnen, Jack? Ich möchte Ihnen nicht raten, es zu versuchen – weil ich nämlich keineswegs daran denke, Louise aufzugeben.“

„Lieber Himmel, Ned! Ich wollte doch lediglich sagen … Nein, nur keine Sorge meinetwegen. Ich kann sie mir überhaupt nicht leisten! Und außerdem liegt sie Ihnen doch bestimmt zu Füßen …“

„Bitte?“ fragte Barraclough ironisch. „Louises Liebe bemisst sich ausschließlich nach dem Wert meines letzten Geschenks. Besonders wenn es sich dabei um Diamanten handelt. Aber seien Sie beruhigt, mein Freund. Ich suche bei der Dame keineswegs tiefe Zuneigung. Nichts derart … Romantisches.“

Jack seufzte und dachte an die dunkelhaarige Louise Kerrall mit den sinnlich geschwungenen Rundungen. „Ja, das kann ich mir vorstellen.“

„Falls Sie also nicht vorhaben, mir die Geliebte abzujagen, können wir ja jetzt über etwas anderes sprechen. Erzählen Sie mir, was Sie hierher in die Stadt treibt.“

„Sie hatten Recht, in gewisser Weise bin ich ebenfalls wegen unaufschiebbarer Angelegenheiten hier.“ Trentons Miene verfinsterte sich. „Ich musste mit meinen Anwälten reden.“

„Also enterbt Ihr Vater Sie nun wohl doch endlich?“

„Nein, nein! Im Gegenteil sogar. Ich habe mich endlich dazu entschlossen, Cynthia Paston einen Antrag zu machen.“

„Tatsächlich? Welche der jungen Damen war das noch mal? Die mit den Zähnen oder gar die Nase?“

„Gebiss und Vermögen. Sie erhält eine Mitgift von dreißigtausend Pfund.“

„Und hat sie schon eingewilligt?“

„Oh ja. Ich bin zwar nicht reich, aber mein Titel verleiht mir einige Attraktivität. Den Pastons gefällt der Gedanke, künftig eine Countess zur Familie zählen zu können.“

Barraclough betrachtete Trentons Miene und brach in lautes Lachen aus. „Na, Sie Günstling der Fortuna! Dann also meine Gratulation!“

„Sie haben gut lachen, Ned! Sie wissen ja nicht einmal, wie blendend es Ihnen eigentlich geht. Niemand zwingt Sie zu einer Ehe. Oder erinnert Sie täglich daran, dass Sie der einzige Sohn der Familie sind und die Verantwortung für den Titel tragen. Nein, Sie haben zwei ältere Brüder.“

„Nur noch einen, Jack. Mein ältester Bruder kam Anfang des Jahres ums Leben. Seine Gemahlin ebenfalls. Haben Sie nicht davon gehört?“

„Himmel, das hatte ich vergessen. Verzeihen Sie mir, Ned.“

„Schon gut. Antigua liegt weit entfernt. Weshalb sollten Sie sich auch daran erinnern?“

„Ganz egal. Das war unverzeihlich. War es nicht ein Kutschenunfall? Und Ihr anderer Bruder weilt noch immer in der Karibik?“

„Nein, im Augenblick nicht. Julia und er befinden sich auf dem Weg nach England. Tatsächlich muss ihr Schiff jeden Tag anlegen.“

„Bleiben sie lange?“

„Bis zum Ende der Saison im nächsten Jahr. Meine beiden Nichten werden bei ihnen leben – die Töchter meines verstorbenen Bruders. Lisette, die Ältere, soll im kommenden Frühling in die Gesellschaft eingeführt werden. Ein hübsches Mädchen. Sie wird bestimmt ein großer Erfolg. Dennoch freue ich mich nicht gerade auf die Ankunft der vier.“

„Oh?“

„Nun, ich mag meinen Bruder schon sehr. Und auch Lisette und Pip. Aber Julia, Henrys Gemahlin … Glauben Sie mir, Jack, eine solche Frau lässt einen das Junggesellenleben gleich doppelt genießen!“

„Aber, aber, alter Freund, das war nicht eben taktvoll!“

„Inwiefern?“

„Na, Sie wissen doch, dass ich gerade dabei bin, mir die Fesseln der Ehe anlegen zu lassen.“

„Wenn Sie die Aussicht derart entsetzlich finden, weshalb tun Sie es dann?“

„Wie ich Ihnen bereits erklärte. Noblesse oblige, verstehen Sie? Nein, sehen Sie mich nicht so an, Ned! Sie haben ja nicht die geringste Ahnung, wie es ist, wenn die ganze Familie einem ständig im Nacken sitzt mit Vorträgen über Ehre und Verpflichtung. Am Ende konnte ich nur noch nachgeben. Ach, man könnte glatt zum Trinker werden.“

„Dann nehmen wir am besten erst einmal ein Glas“, erbot sich Barraclough mitleidig. „Kommen Sie, die Anwälte werden schon warten.“

Bei White’s traf Trenton einige Freunde, in deren Gesellschaft er seinen Kummer so rasch und nachhaltig ertränkte, dass Barraclough ihn bald guten Gewissens verlassen konnte. Er machte sich wieder auf den Weg zu seinem Haus in der North Audley Street. Es wehte eine angenehm kühle Brise. Während er an diesem schönen Nachmittag weit ausschritt, dachte er zufrieden darüber nach, wie viel Glück er doch hatte. Mit dreißig Jahren durfte er sich noch immer als einigermaßen jung betrachten, verfügte über ein beachtliches Vermögen und hatte sich bisher nicht gezwungen gesehen, vor den Altar zu treten. Darüber hinaus war seine Mätresse der Traum eines jeden Mannes: schön, leidenschaftlich und ergeben. Vor allem aber konnte sie keinerlei Anspruch auf ewige Liebe, Zuverlässigkeit und Treue erheben – ganz anders, als dies bei einer Gemahlin der Fall gewesen wäre. Er kam und ging, wie es ihm beliebte. Und sollte er ihrer je überdrüssig werden, würde sie ganz von allein jemand anderen finden, ohne dass er sich darüber den Kopf zerbrechen musste.

Ja, sein Leben war wirklich ausgesprochen gut arrangiert. Gott sei Dank hatte das Schicksal ihn nicht zur Brautschau verdammt.

Nein, nein, er selbst würde so lange ungebunden bleiben, wie es ihm gefiel.

Die einzige dunkle Wolke am blauen Himmel seines unbeschwerten Daseins war die baldige Ankunft seiner Schwägerin. Er runzelte die Stirn. Julia und er konnten einander nicht ausstehen. Da gab es nichts zu beschönigen. Als er damals das Vermögen seines Onkels geerbt hatte, hatte sie keinen Hehl daraus gemacht, was sie von der Weltreise hielt, die er daraufhin erst einmal antrat. Julia war der Ansicht gewesen, er habe gefälligst in der Karibik zu bleiben. Und als er sich später in England niedergelassen hatte, hatte auch dieser Entschluss zu Misshelligkeiten geführt. Tatsächlich gab es für ihre Abneigung gegen ihn jedoch ganz andere Gründe. Im Gegensatz zu seinem bedauernswerten Bruder Henry nahm Edward nämlich einfach keine Notiz von Julias Meinung.

Er überquerte den Berkeley Square und bog in die Mount Street ein. Fast den gesamten letzten Winter und auch die Saison hatte er auf Antigua verbringen müssen. Obwohl der Aufenthalt dort eigentlich nur als kurzer Besuch geplant gewesen war, hatte dann ein Desaster das andere gejagt. Über Nacht waren die beiden Töchter seines älteren Bruders zu Waisen geworden und standen nun unter seiner und Henrys Vormundschaft. Er war für ihre Sicherheit verantwortlich gewesen und hatte mehr als seine Pflicht an den beiden getan. Jetzt waren Henry und Julia an der Reihe.

Jedenfalls würde er alles nachholen, was er in der langen Zeit versäumt hatte, sobald er London wieder verlassen konnte. Vielleicht verbrachte er wirklich ein paar Tage mit Louise in Brighton. Außerdem besaß er schon jetzt Einladungen von zahlreichen Freunden, die ihn baten, sie in den Herbstmonaten auf ihren Anwesen zu besuchen. Wenn er dann vom Landleben genug hatte, würde er in die Hauptstadt zurückkehren und sich prächtig vergnügen. Großartige Aussichten! Da mochte Julia sagen, was sie wollte!

Bester Laune lief er die Stufen zu seinem Haus hinauf, nickte dem Butler fröhlich zu und reichte ihm Hut und Spazierstock. Dann eilte er durch die Empfangshalle hinüber zur Treppe. Doch bevor er auch nur einen Fuß darauf setzen konnte, hielt ihn der Diener zurück.

„Sir! Mr. Barraclough!“ Das klang ausgesprochen verzweifelt.

„Was gibts?“

„Sie haben Gäste, Sir.“ Harbin streckte ihm ein kleines Tablett hin, auf dem sich eine Karte befand.

Edward las sie. „Lady … Penkridge? Was wünscht die Dame?“

„Ich weiß es nicht, Sir. Sie ist in Begleitung von zwei jungen Mädchen hier.“

Edward hob die Brauen. „Dann sollte ich wohl besser sehen, was sie will. Wohin haben Sie sie geführt?“

„In die Bibliothek, Sir.“ Harbin ging voran, öffnete die Tür zum Bücherzimmer und kündigte seinen Herrn an. Dann zog der Butler sich zurück.

„Edward!“ Ein kleiner Wirbelwind fiel ihm um den Hals. „Wir warten ja schon seit Ewigkeiten auf dich! Wo hast du denn nur gesteckt?“

Lachend umarmte Edward das Mädchen und schwang es im Kreis. „Ich habe noch nicht so bald mit euch gerechnet, Pip! Ihr hättet mich vorwarnen sollen!“ Er stellte die Kleine wieder auf die Füße. Dann ging er hinüber zu dem zweiten Mädchen, lächelte ihm zu und schloss es ebenfalls in die Arme. „Lisette, du bist ja noch hübscher geworden!“ Endlich wandte er sich dem dritten Gast zu. Die Dame war ganz in Schwarz gekleidet und stand so kerzengerade da, dass es aussah, als hätte sie einen Spazierstock verschluckt. Sie besaß eine gewaltige Hakennase und hatte das Gesicht ob der Wiedersehensszene missbilligend verzogen. Das strenge Kleid wurde von einem hässlichen Hut ergänzt, der mit sonderbaren Stacheln besetzt war. Nein, das konnte wohl nicht Lady Penkridge sein. Erleichtert wandte er sich an den vierten Gast, der offensichtlich schon ungeduldig darauf wartete, endlich das Wort an ihn zu richten. „Lady Penkridge?“ fragte er. „Ich glaube, wir sind einander noch nicht vorgestellt worden.“

„Das stimmt, Mr. Barraclough. Allerdings bin ich bestens bekannt mit Ihrem Bruder und seiner Gemahlin.“

„Henry?“

„Ebendieser. Und die liebe Julia. Wir sind schon seit vielen Jahren enge Freunde.“

„Tatsächlich? Dann freut es mich umso mehr, Sie nun auch meinerseits kennen zu lernen, Lady Penkridge. Allerdings verstehe ich den Grund Ihres Besuchs noch nicht ganz. Wo stecken mein Bruder und meine Schwägerin denn eigentlich? Sind die beiden nicht hier?“

„Julia weilt noch auf Antigua. Ihr Bruder übrigens auch.“

Erstaunt betrachtete Edward die Besucherin. Lady Penkridge weidete sich an seiner offensichtlichen Verwirrung und fuhr fort: „Bedauerlicherweise war es den beiden unmöglich, die Rückreise nach England anzutreten. Julia hat sich nämlich das Bein gebrochen, am Tag bevor das Schiff ablegen sollte. Henry blieb natürlich bei ihr, um sich um sie zu kümmern.“

„Aber …“ Entsetzt verlangte Edward weitere Einzelheiten über den Unfall zu erfahren. Lady Penkridge berichtete bereitwillig, wurde dabei aber immer wieder von Pip unterbrochen. Dem Kind erschien das Unglück seiner Tante offenbar eher amüsant denn traurig. Wie sich herausstellte, stand nicht zu erwarten, dass Julia schon bald wieder laufen konnte, vom Antritt einer Schiffsreise nach England ganz zu schweigen.

Als Lady Penkridge geendet hatte, rief Barraclough erstaunt: „Tut mir Leid, aber ich begreife noch immer nicht! Was tun denn dann meine beiden Nichten in London?“

„Edward, sag bitte nicht, dass du uns nicht bei dir haben willst! Wir dachten, du würdest dich bestimmt wahnsinnig freuen, uns wieder zu sehen!“ rief Pip.

„Natürlich freue ich mich, du Zwerg“, versicherte er rasch. „Ich bin nur ein wenig … überrascht. Das ist alles. Was wollt ihr denn hier in England anfangen ohne eure Tante?“

„Oh, das ist alles arrangiert. Wir haben eine Gouvernante, Miss Froom. Außerdem begleitest du uns ja nach Hexford, damit du auf uns aufpassen kannst.“

„Bitte?“ Sein Lächeln erstarb.

Böse sah Lady Penkridge die kleine Pip an. „Philippa, wann lernst du endlich, den Mund nur dann aufzumachen, wenn man dich etwas fragt? Ich muss deinen Onkel doch erst ins Bild setzen.“

„Ja, das würde ich sehr begrüßen“, sagte Edward grimmig. „Es kann sich hier doch wohl nur um einen schlechten Scherz handeln.“

„Darf ich Ihnen zunächst Miss Froom vorstellen, Mr. Barraclough?“

Edward liebte seine Nichten sehr und wollte sie auf gar keinen Fall verletzen. Dennoch hatte er keinesfalls vor, seine schönen Pläne über den Haufen zu werfen, um für die beiden das Kindermädchen zu spielen. Und noch dazu an einem Ort wie Hexford! Entschlossen wandte er sich an den schwarzen Drachen neben Lady Penkridge. „Vielleicht wäre es am besten, wenn Miss Froom mit den beiden Mädchen im Salon wartet? Dann können Sie mir in Ruhe alles erklären, Madam. Harbin wird den dreien Erfrischungen bringen.“

Ungeduldig wartete er, bis die Gouvernante mit ihren Schützlingen die Bibliothek verlassen hatte, dann sprach er weiter: „Offenbar liegt hier ein Missverständnis vor. Oder aber ich habe mich eben möglicherweise verhört. Nehmen Sie doch freundlicherweise Platz, Lady Penkridge, und erzählen mir das alles noch einmal ganz genau.“

Ihre Ladyschaft setzte sich. „Nun, Sie können sich bestimmt die Aufregung und das Durcheinander nach Julias Unfall ausmalen. Immerhin geschah es ja unmittelbar, bevor das Schiff auf Antigua ablegen sollte. Die Barracloughs waren ganz außer sich. Es ging einfach nicht, sämtliche Pläne in letzter Sekunde umzuwerfen. Da ich mit demselben Schiff zurück nach England zu reisen gedachte, erbot ich mich, die Mädchen mitzunehmen. Ihr Bruder und Ihre Schwägerin waren natürlich furchtbar erleichtert. In ihrem Zustand kann Julia sich unmöglich um die beiden kümmern. Also machten wir miteinander ab, dass ich Ihre Nichten nach England begleite und sie hier bei Ihnen abliefere. Sie sollen auf die beiden aufpassen, bis Julia wiederhergestellt ist.“

Nach kurzem Zögern antwortete er: „Wollen Sie damit etwa andeuten, ich trüge so lange die alleinige Verantwortung für die Mädchen? Ohne die geringste Hilfe von meinem Bruder und seiner Gemahlin?“

„Oh, vergessen Sie Miss Froom nicht!“

„Miss Froom!“ Mühsam suchte er nach den passenden Worten. Aber ihm fiel keines ein, das er in Gegenwart einer Dame hätte äußern können.

„Julia ist eine kerngesunde Frau“, erklärte sie aufmunternd. „Es wird bestimmt nicht länger als sechs oder sieben Wochen dauern, dann ist sie wieder auf den Beinen.“

Nur sechs oder sieben Wochen?“ rief Edward aufgebracht. „Dies ist das Haus eines Junggesellen, Madam. Wie soll ich Lisette und Pip hier auch nur für sieben Tage unterbringen – von Wochen ganz zu schweigen? Nein, ich weigere mich. Und zwar rundheraus, zum Teufel!“

Kühl erwiderte sie: „Ja, Ihre Schwägerin äußerte starke Zweifel, ob Sie wohl bereit sein würden, ihr in dieser Stunde des Unglücks zu helfen. Ich allerdings darf Ihnen offenbaren, dass Ihr fehlendes Mitgefühl mich doch wundernimmt. Natürlich ist es ausgeschlossen, dass Lisette und Pip hier in Ihrem Haus bleiben. Ich habe auf Julias Rechnung im Poulteney Zimmer genommen, wo die Mädchen unter Miss Frooms Aufsicht unterkommen werden. Allerdings nur, bis Sie alles für die Reise auf den Landsitz Ihrer Familie vorbereitet haben, wo Sie dann mit den beiden einstweilen wohnen werden. Hexford heißt er wohl, wie ich höre.“

„Ja, in der Tat, der Name ist mir vertraut. Aber er liegt Meilen von London entfernt. Ich hingegen habe zahlreiche Einladungen, die es mir unmöglich machen, den Herbst außerhalb der Stadt zu verbringen. Da muss Ihnen eine andere Lösung einfallen, Lady Penkridge.“

„Mir, Sir? Offenbar missdeuten Sie die Lage. Ich habe die Mädchen nach England begleitet, um Ihrer Schwägerin einen Gefallen zu tun. Jetzt muss ich mich wieder um meine eigenen Belange kümmern. Sie werden wohl Ihre Verabredungen absagen müssen, denn ich reise in zwei Tagen ab in den Norden des Landes.“

Ausdruckslos sah er sie an. „Unmöglich!“

„Im Gegenteil. Mein Versprechen habe ich gehalten. Die Kinder sind unversehrt in England angekommen. Wie Julia mir versicherte, liegt die Verantwortung von jetzt an ganz allein in Ihren Händen.“

„Oh ja, ich kann mir schon vorstellen, dass sie so etwas gesagt hat! Sie ist doch an allem schuld!“

„Mr. Barraclough! Haben Sie denn keinen Funken Mitgefühl im Leibe? Ihre Schwägerin liegt derzeit mit schlimmen Schmerzen zu Bett …“

„Das ist doch gar nichts im Vergleich damit, was sie mir angetan hat! Hatte Henry denn nichts zu der ganzen Angelegenheit vorzubringen? Weshalb ist ihm keine bessere Lösung eingefallen? Er ist doch verdammt noch einmal der Vormund der Mädchen.“

„Selbstverständlich war Ihr Bruder weit besorgter um seine Gemahlin als um Ihre Vergnügungen. Und wenn ich dies richtig in Erinnerung habe, sind Sie ebenfalls Vormund von Lisette und Pip.“

„Das stimmt, aber mit einem großen Unterschied – Henry ist verheiratet, und ich bin ein Junggeselle!“

„Deshalb wurde Miss Froom eingestellt, Mr. Barraclough. Durch einen glücklichen Zufall hatte Julia ihr schon vor einer ganzen Weile geschrieben, um sie in Dienst zu nehmen …“

„Glücklich? An dieser Katastrophe ist überhaupt nichts glücklich!“ schimpfte er.

Lady Penkridge tat, als habe sie die Bemerkung nicht gehört. „Ich habe Miss Froom gestern abgeholt. Die Mädchen werden bei ihr in besten Händen sein. Sie besitzt ausgezeichnete Referenzen. Am besten schreiben Sie noch heute nach Hexford, damit man dort auf Ihr Kommen vorbereitet ist.“

„Aber ich lebe in London, verdammt!“ Er schrie jetzt fast. „Und ich habe bereits Pläne für den Herbst! Wieso zum Teufel hat Henry diesem dämlichen Vorschlag nur zugestimmt? Na, der kann sich auf etwas gefasst machen, sobald er wieder hier ist! Wenn er nicht mein Bruder wäre, würde ich ihn fordern!“

„Es tut mir Leid, dass die veränderten Umstände Sie derart aufregen, Mr. Barraclough.“ Ihre Ladyschaft erhob sich. „Insbesondere da Sie sich derart ungehörig aufführen. Bedauerlicherweise kann ich nichts weiter für Sie tun. Wie bereits erwähnt, verlasse ich London übermorgen. Bis dahin sollten Sie alle notwendigen Vorbereitungen getroffen haben. Falls es Ihnen recht ist, werde ich jetzt mit den Mädchen ins Hotel Poulteney zurückkehren. Guten Tag.“

Damit griff sie nach ihrem Ridikül und wartete darauf, dass Harbin sie hinausgeleitete. Edward rang um Fassung. Wenn er sie ernsthaft verärgerte, tat er seinen beiden Nichten keinen guten Dienst. Lisette sollte in der nächsten Saison in die Gesellschaft eingeführt werden, und Lady Penkridge verfügte möglicherweise über einigen Einfluss beim ton. Also holte er einmal Luft und zauberte dann sein charmantestes Lächeln auf die Lippen.

„Sie haben selbstverständlich Recht, Madam. Ich habe mich wirklich schlecht benommen. Es ist nur …“ Wieder atmete er tief ein. „Nun, ich bin nicht eben begeistert, dass ich alle meine Versprechen brechen muss, meine Freunde nicht sehen kann und zu allem Überfluss auch noch acht oder neun Wochen auf dem Land beerdigt sein werde – mit meinen beiden Nichten und deren Gouvernante als einziger Gesellschaft. Ich war einfach etwas schockiert, falls Sie das verstehen.“ Freundlich fügte er hinzu: „Sie hingegen haben sich wirklich ausgesprochen hilfsbereit gezeigt. Sicherlich ist es auch in Julias Sinne, wenn ich Ihnen im Namen der ganzen Familie unseren aufrichtig empfundenen Dank ausspreche. Darf ich Ihnen heute Abend im Poulteney meine Aufwartung machen? Ich würde die beiden Mädchen und Sie dort gern zum Dinner einladen.“

Wenn er wollte, konnte er sehr gewinnend sein. Glücklicherweise zeigte sich Lady Penkridge davon ebenso beeindruckt wie schon manch andere Dame vor ihr. „Vielen Dank. Ja, das würde … den Kindern bestimmt viel Freude bereiten. Und mir selbstverständlich auch. Wann dürfen wir Sie erwarten?“

Beim Dinner überschlug Barraclough sich förmlich, um den schlechten Eindruck wettzumachen, den er bei Lady Penkridge hinterlassen hatte. Womöglich überlegte sie gar, wie die gute Julia sich derart in ihrem Schwager hatte täuschen können. Am Ende schied man im herzlichsten Einvernehmen voneinander. Für Edward folgten zwei anstrengende Tage, während derer er mit Vorbereitungen, Briefen und Entschuldigungen beschäftigt war. Danach verabschiedete er Lady Penkridge und wünschte ihr eine angenehme Reise in den Norden, um dann seinerseits mit den beiden Nichten nach Hexford aufzubrechen.

Als sie London in der Kutsche verließen, bemerkte Edward mit Bedauern, dass seine schlechte Laune auf die anderen Mitreisenden abfärbte. Lisette schaute trübsinnig aus dem Fenster. Miss Froom hingegen bewachte äußerst übellaunig Pip, und diese wiederum schien ungewohnt bedrückt. Ich muss mich zusammennehmen, dachte er. Es war schließlich nicht die Schuld seiner Nichten, dass er für die nächsten beiden Monate aufs Land verbannt worden war. Die armen Mädchen hatten ein wirklich furchtbares Jahr hinter sich. Erst der tödliche Unfall ihrer Eltern und dann die unglückselige Geschichte mit Lisette und Arandez …

„Bestimmt würdet ihr gern mehr über Hexford erfahren“, sagte er.

„Hat Tante Julia den Landsitz gekauft?“ fragte Pip.

„Rede doch nicht so dummes Zeug, Philippa“, wies Miss Froom sie zurecht. „Deine Tante hat das Anwesen bestimmt durch einen Anwalt anmieten lassen. Man kauft doch keinen solchen Besitz, wenn man nur kurze Zeit dort zu verbringen gedenkt.“

Es geschah nicht zum ersten Mal, dass Miss Froom dem Kind einen grundlosen Rüffel erteilte, wie ihm auffiel. Er würde in Zukunft ein Auge auf die Gouvernante haben. Pips Klugheit und Neugier auf alles Unbekannte musste man fördern und keinesfalls unterdrücken. Er lächelte der kleinen Nichte liebevoll zu. „Beides ist falsch. Aber das ist eine längere Geschichte.“

Pips Miene hellte sich auf. „Oh ja, eine Geschichte! Erzähl sie uns, Edward!“

„Früher gehörte Hexford Thomas Carstairs. Zu seinem Besitz zählten auch einige Plantagen in der Karibik. Er und seine Gemahlin wurden dort Freunde unseres Großvaters. Einige Jahre später – ungefähr zu der Zeit, als du geboren wurdest, Pip – stattete uns Mrs. Carstairs einen Besuch ab. Ihr Mann war gerade verstorben. Sie bot deinem Vater an, dass wir in England alle bei ihr auf Hexford wohnen könnten, sobald du und Lisette erst einmal groß genug wärt für die lange Reise.“

„Oh, wie eine gute Fee!“ Die Kleine strahlte.

Er lächelte. „Ja, so ungefähr. Obwohl sie eher aussah wie eine Hexe, ehrlich gesagt.“

„Befindet sie sich jetzt auf Hexford?“ fragte Pip erwartungsvoll.

„Nein. Sie starb kürzlich …“

„Und hinterließ uns das Haus!“ rief das Kind.

„Nicht ganz.“

„Philippa, wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du Erwachsene nicht unterbrechen sollst? Und setz dich bitte wieder richtig hin!“ schimpfte Miss Froom.

Jetzt wurde Edward langsam ungehalten. Pip stand auf dem Sitz und lehnte sich gegen ihn. Das war natürlich gefährlich, und Miss Froom war aus triftigem Grund eingeschritten. Dennoch, er war froh, weil das Kind seine gewohnte gute Laune wiedergefunden hatte. Trotzdem tat er, als sei ihm der scharfe Ton der Gouvernante entgangen, und erzählte weiter: „Das wäre auch nicht rechtens gewesen. Mrs. Carstairs hatte zwar keine Kinder, wohl aber Familie. Sie vererbte Hexford an ihre Nichte.“

„Eine Nichte? So wie wir beide es sind?“ erkundigte sich die Kleine.

„Mrs. Carstairs muss ungefähr achtzig Jahre alt geworden sein. Ihre Nichte ist also bestimmt viel älter als du. Wahrscheinlich sogar älter als ich“, erklärte er.

„Kennst du sie denn nicht?“

„Nein, Pip, ich habe nur mit ihrem Anwalt, einem Mr. Walters, zu tun gehabt. Aber lass mich kurz die Geschichte zu Ende erzählen. Ich habe die alte Mrs. Carstairs öfter auf Hexford besucht. Beim letzten Mal berichtete ich, dass ihr in diesem Jahr alle zusammen nach England kommt. Da erinnerte sie sich an ihr Versprechen.“

„Aber jetzt ist sie doch tot!“

„Richtig, allerdings hat sie in ihrem Testament bestimmt, dass Hexford unserer Familie für ein halbes Jahr zur Verfügung steht, wenn wir nach England zurückkehren.“

„Was für eine merkwürdige Bedingung, Edward“, befand Lisette.

„Nun, Mrs. Carstairs war eine sehr sonderbare alte Dame. Aber ich mochte sie.“ Er verstummte und dachte an seine letzte Begegnung mit der Verstorbenen.

Man hatte ihr angesehen, wie krank sie war. Ihre schwarzen Augen hatten allerdings umso lebhafter gefunkelt. Fest hatte sie ihn daraus angeblickt und offenbar angestrengt überlegt. Und dann erklärt: „Ja, Sie sind der Richtige. Das Haus mag Sie, und sie wird es ebenfalls tun.“

Verwirrt hatte er entgegnet: „Wen meinen Sie, Madam?“

Darauf war sie in ein gackerndes Lachen ausgebrochen und hatte geantwortet: „Darüber zerbrechen Sie sich nur nicht den Kopf! Es wird genauso kommen. Sie müssen nur unbedingt hierher zurückkehren. Doch das werden Sie. Ich weiß es genau.“

Edward hatte die Worte damals verworfen, sie für das Geschwätz einer alten Frau gehalten, die eben nicht mehr lange leben würde. Doch vergessen konnte er das Gespräch nicht. Und siehe da, heute saß er tatsächlich in der Kutsche auf dem Wege nach Hexford – ganz wie Mrs. Carstairs vorausgesagt hatte …

2. KAPITEL
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Etwa dreißig Meilen entfernt und ungefähr zur selben Zeit sprachen der Earl of Warnham und seine Tochter ebenfalls über Mrs. Carstairs und ihr Anwesen.

„Ich wünschte, deine Tante hätte dir dieses Haus nicht hinterlassen, Octavia“, erklärte der siebzigjährige Rupert Petrie und zog den breiten Schal enger um seine Schultern. „Es war wirklich gedankenlos von ihr. Hexford wird dir zu einer schrecklichen Last werden.“

Lady Octavia vermochte ihm nicht zuzustimmen: „Aber im Gegenteil, Papa!“

„Wie kannst du nur anderer Meinung sein? Du willst doch schon nächste Woche hinfahren und es dir ansehen. Den ganzen weiten Weg über holprige Landstraßen für einen Besitz, der dir von keinerlei Nutzen sein wird! Natürlich ist Hexford nichts als eine Belastung. Wirklich, sie hätte das nicht tun dürfen. Mit so einem alten Kasten hat man doch nichts als Sorgen.“

„Nein, Papa, das Haus bereitet mir wirklich überhaupt kein Kopfzerbrechen. Tatsächlich bin ich sehr glücklich, dass Hexford nun mir gehört.“

„Du kannst es unmöglich behalten. Herrje, du weißt überhaupt nicht, was es bedeutet, einem so großen Haushalt vorzustehen!“

„Nun, das tue ich doch auch hier, Papa.“

„Aber das ist etwas vollkommen anderes, meine Liebe. Dies ist dein Heim, und ich bin da und passe auf.“

Octavia gestattete sich ein schmerzliches Lächeln. Wenn einer von ihnen beiden einen Aufpasser brauchte, war es zweifellos ihr Vater. Bei der allerkleinsten Schwierigkeit war er sofort außer sich und verlor die Fassung. Sosehr sie ihn auch liebte, war es doch anstrengend, ihn stets von allem abzuschirmen. Dagegen kam ihr die reine Verwaltung eines Hauses vor wie ein Kinderspiel – mochte es auch noch so groß sein. Nun musste sie den Vater allerdings erst einmal beruhigen.

„Hexford wird mir nicht die geringsten Umstände machen, Papa. Das erste halbe Jahr werden die Barracloughs es mieten, ganz wie meine Tante es wünschte. Der Vertrag ist bereits unterschrieben. Mr. Walters hat alles längst erledigt.“

„Walters ist ein fähiger Mann. Kennt sich aus mit Geschäften. Aber er hätte das nicht mit dir besprechen dürfen. Für eine vornehme junge Dame ist es unschicklich, über derlei auch nur Bescheid zu wissen. Nein, deine Tante hätte das Haus jemand anderem hinterlassen sollen. Und du tätest gut daran, am nächsten Dienstag hübsch bei mir zu bleiben und die Sache allein Walters zu überlassen.“

Papa ist wirklich einzigartig, dachte Octavia. Welchem anderen Vater hätte es missfallen, dass das jüngste seiner acht Kinder ein großes Anwesen erbte? Insbesondere wenn es sich um eine unverheiratete Tochter von zweiundzwanzig Jahren handelte … Doch Lord Warnham ging sein ewig gleicher, geregelter Tagesablauf über alles. Er hasste jede Veränderung, selbst wenn sie in Gestalt einer beeindruckenden Erbschaft auftrat.

Fest erklärte sie: „Ich bin nicht mehr ganz jung. Im nächsten Frühling werde ich schon dreiundzwanzig. Und der kurze Besuch auf Hexford ist nun wirklich keine Belastung. Ich möchte mich nur selbst davon überzeugen, dass dort alles in Ordnung ist, bevor die Barracloughs einziehen. Die ganze Reise wird nicht einmal einen vollen Tag dauern.“

„Ein Tag! Wie kann man nur so närrisch sein? Hexford liegt volle zehn Meilen entfernt!“

„Fünfzehn sogar, Papa. Aber es ist ja noch recht hell am Abend, und die Straßen sind in gutem Zustand …“

„Du wärst also bereit, dreißig Meilen an einem einzigen Tag zurückzulegen, Octavia? Nein, das kommt überhaupt nicht infrage! Nicht einmal in einer geschlossenen Kutsche …“

„Oh, ich werde das Gig nehmen. Ich kutschiere gern selbst. Will Gifford wird mich natürlich begleiten.“

Diese Bemerkung trieb den Earl an den Rand eines Schlaganfalls. Selbst Octavia brauchte eine ganze Weile, bis sie ihn wieder beruhigt hatte und er in ihr Vorhaben einwilligte.

„Denk nur dran, Papa, morgen kommt Cousine Marjorie zu Besuch. Dann bist du am Dienstag auch nicht allein. Du magst sie doch gern.“

„Ja, sie ist ein angenehmer Mensch. Spielt sogar besser Whist als du.“ Der Earl seufzte. „Dennoch begreife ich nicht, wieso deine Tante dir das vermaledeite Haus überhaupt vererbt hat.“

„Ich ebenfalls nicht, Papa. Obwohl … sie sagte einmal zu mir, Hexford würde mich bestimmt mögen.“

„Bitte? Wie sollte ein riesiger Steinhaufen denn dazu in der Lage sein? Wer redet nur derartig unsinniges Zeug daher? Na ja, aber so war deine Tante eben. Hatte wirklich nichts mit deiner lieben Mama gemein.“

„Nein, wahrlich. Harry und ich hatten als Kinder sogar Angst vor Mrs. Carstairs. Wir nannten sie die Hexe von Hexford. Als sie uns im letzten Frühling einen längeren Besuch abstattete – kurz vor ihrem Tod –, habe ich sie allerdings besser kennen gelernt. Und sie … schien zu verstehen …“

Octavia verstummte. Ja, man hätte die Halbschwester ihrer Mutter wirklich für eine Hexe halten können. Obwohl Octavia kein Wort darüber hatte verlauten lassen, fühlte Mrs. Carstairs genau, dass die Nichte nicht mehr glücklich war daheim auf Ashcombe. Oft hatte Octavia sich gefragt, was Mrs. Carstairs wohl gerade dachte, wenn sie sie so eindringlich mit ihren funkelnden schwarzen Augen ansah. Allerdings wäre sie nie auf den Gedanken verfallen, die Patin könnte ihr Hexford vererben.

„Ja, was denn?“ fragte Rupert.

Autor

Sylvia Andrew
Sylvia Andrew wollte eigentlich nie ein Buch verlegen lassen, bis sie Mills & Boon ihren ersten historischen Roman zukommen ließ. Als dieser sofort angenommen wurde, war sie überrascht, aber glücklich. "Perdita" erschien 1991, und sieben weitere Bücher folgten. Auch Sylvias eigene Liebesgeschichte ist sehr romantisch. Vereinfacht gesagt hat sie den...
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