Die wilde Schöne aus den Highlands

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"Ich stehe tief in Ihrer Schuld, Mr. McHeath." Bevor Gordon weiß, wie ihm geschieht, verschließt die sinnliche Lady Moira McMurdaugh seine Lippen mit einem leidenschaftlichen Kuss. Er verfällt der wilden Schönen mit Haut und Haar - ohne zu ahnen, dass sie sich schon bald als erbitterte Feinde gegenübertreten werden …


  • Erscheinungstag 25.05.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746643
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Schottische Highlands 1817

Über den Kamm des Hügels wehte ein herbstlicher Wind, der den Duft von Kiefernnadeln und Heidekraut mit sich trug. Ich war viel zu lange in der Stadt, dachte Gordon McHeath, als er über den Hügel weiter in Richtung des Dorfes Dunbrachie ritt. Tief atmete er die frische Luft ein. Nachdem er so viele Jahre in Edinburgh gelebt hatte, war er die Gerüche, den Lärm und die Menschenmassen einer hektischen Stadt gewöhnt und hatte fast vergessen, wie rein und klar die Luft der Highlands war. Hier unterbrachen nur zwitschernde Vögel und blökende Schafe die Stille.

Der Nordhang des Hügels links von ihm war dicht mit Ginster und Farn bewachsen, während sich auf der anderen Seite ein kleiner Wald aus Birken, Erlen und Kiefern erstreckte. Obwohl es erst September war, hatten sich die Blätter einiger Bäume bereits rot und golden verfärbt, und der laubbedeckte Boden wirkte feucht und schlammig. Durch das Gehölz erspähte Gordon einen rauschenden Fluss, in dem es im Frühjahr wahrscheinlich von Lachsen wimmelte.

Leider hatte er auch vergessen, wie unbarmherzig kalt der Wind in den Highlands sein konnte. Schwere graue Wolken trieben aus der Ferne unaufhaltsam auf ihn zu. Wenn er nicht in einen starken Regenschauer geraten wollte, musste er das Pferd, das er für diese Reise gemietet hatte, zu einem schnelleren Gang antreiben.

Als das Pferd zu traben begann, durchbrach das wilde Bellen eines Hundes die ländliche Stille. Es war weniger das Heulen eines Jagdhundes, sondern hörte sich vielmehr wie ein Wachhund an, der Alarm schlug. Vielleicht war es der Hund eines Schafhirten oder ein Hofhund, der ein Bauernhaus bewachte.

Gordon richtete sich in den Steigbügeln auf und sah sich um. Er konnte weder eine Schafherde noch ein Gehöft oder etwas anderes, das einen Wachhund erforderte, entdecken.

„Zu Hilfe! Helfen Sie mir!“

Der verzweifelte Schrei einer Frau drang mitten aus dem Wald zu ihm. Durch das laute Hundegebell und das Rauschen des Flusses war er kaum wahrnehmbar, dennoch ließ sich die Furcht, die in den Worten mitschwang, nicht überhören.

Gordon stieß dem Pferd die Fersen in die Seiten und lenkte es vom Weg ab in die Richtung der Frau und des Hundegebells. Doch der Gaul war so bockig wie ein Esel und wollte nicht gehorchen. Es war eines der stursten Pferde, die er je geritten hatte.

Fluchend saß Gordon ab, warf die Zügel um einen nahe gelegenen Strauch und stieg so schnell er konnte den rutschigen Abhang zwischen den Bäumen hinunter.

Dabei riss er den Ärmel seines Reisemantels am Ast eines Weißdorns auf. Seine Reitstiefel und der Saum seines Mantels waren binnen Minuten von Schlamm verdreckt, und sein Hut wurde ihm von einem tief hängenden Zweig vom Kopf geschlagen. Als er ihn aufhob, rutschte er auf feuchten Blättern aus, stürzte zu Boden und glitt den Hang hinab, bis er endlich einen dicken Ast zu fassen bekam.

Unterdessen bellte der Hund unaufhörlich, und die Frau rief erneut um Hilfe. Es klang schon viel deutlicher, obwohl Gordon sie noch immer nicht sehen konnte.

Als er sich aufrichtete, erblickte er unweit des Flussufers einen riesigen schwarzen, furchterregenden Hund, der am Fuß einer hochgewachsenen, goldblättrigen Birke stand und kläffte. Gordon konnte die Rasse nicht benennen, aber es war eines der größten und hässlichsten Tiere, das er je gesehen hatte. Der Kopf und der Kiefer des Hundes waren außergewöhnlich breit, die Augen lagen weit auseinander, und die kleinen Ohren waren angelegt. Bedrohlich knurrend, und dabei unablässig sabbernd, wich das Tier nicht von der Stelle.

Gordon hatte schon einmal einen tollwütigen Hund gesehen: mit Schaum vor dem Mund, wilden Augen und torkelndem Gang. Diesen Anblick hatte er nie vergessen und war sich deshalb sicher, dass diese Bestie nicht tollwütig sein konnte. Dennoch hielt er vorsichtshalber Abstand.

„Sind Sie verletzt?“ Die Stimme der Frau kam aus derselben Richtung wie das Knurren des Hundes. An ihrer vornehmen Aussprache erkannte Gordon, dass sie weder eine Bauersfrau noch eine Schafhirtin sein konnte.

„Nein“, rief er zurück.

Wer war sie? Wo war sie? Er konnte niemanden sehen, weder neben dem Hund noch am Baum, es sei denn … Vorsichtig trat er näher und blickte prüfend die Zweige hinauf.

Da war sie! Sie hatte die Arme um den schlanken Baumstamm geschlungen und stand auf einem Ast, der trotz ihrer zarten Gestalt kurz davor war durchzubrechen.

Obwohl sie sich in einer durchaus gefährlichen Situation befanden, entging Gordon nicht, dass sie außergewöhnlich schön war, mit feinen Gesichtszügen, großen dunklen Augen und dunklen Locken, die unter ihrer narzissengelben Reithaube hervorlugten. Ihr Reitkleid war aus dem gleichen leuchtend gelben Samtstoff gefertigt. Offensichtlich handelte es sich bei ihr um keine Diebin oder Landstreicherin.

„Mir geht es gut. Sind Sie verletzt?“, fragte er und überlegte, was er tun konnte, um sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Zunächst einmal musste er den wild gewordenen Hund loswerden.

Da man in diesem Teil des Landes besser nicht unbewaffnet unterwegs sein sollte, trug er eine Pistole in seinem nachtblauen Gehrock bei sich. Er wollte das Tier jedoch nur im äußersten Notfall erschießen, weil es möglicherweise genau das tat, worauf es abgerichtet worden war: Unbefugte von privatem Land zu vertreiben.

Anstatt die Pistole zu ziehen, hob Gordon einen Stein auf. In Schultagen war er ein ziemlich geschickter Kricketspieler gewesen. Als er den Stein nun auf das Hinterteil des Hundes warf, flehte er, dass er noch immer so gut zielen konnte.

Er traf das Tier so hart, dass es aufschreckte, doch leider nicht hart genug, um es in die Flucht zu treiben. Geschwind suchte er nach einem anderen geeigneten Wurfgeschoss, das schwer genug war, den Hund zu verjagen, ohne ihn ernsthaft zu verletzen. Als Anwalt konnte er sich die Klage eines wütenden Bauern ausmalen, dessen Hund getötet worden war, während er nur treu den Besitz seines Herrn verteidigt hatte.

„Der Ast knackt. Er wird brechen!“, rief die junge Dame.

Und sie würde ganz tief fallen.

Gordon fand einen größeren, schlammigen Stein und konnte diesen gerade noch rechtzeitig auf das Tier schleudern, ehe er ihm aus der behandschuhten Hand glitt. In hohem Bogen und gefolgt von einem Schauer aus Schmutzbrocken, flog der Stein durch die Luft und landete direkt auf dem Rücken des Hundes.

Endlich flüchtete dieser und sprang durch die Bäume in Richtung Fluss davon, wo er durchs Wasser rannte und schließlich am anderen Ufer verschwand.

„Oh, haben Sie vielen Dank!“, rief die Frau, als Gordon zum Baum eilte. „Ich hatte befürchtet, die Nacht hier oben verbringen zu müssen!“

Jetzt konnte er sie besser sehen. Sie stand auf einem Ast, der nicht dicker als drei Zoll war, und bemühte sich, das Gleichgewicht zu halten. Passend zu ihrer Reitkleidung aus gelbem Samt trug sie Stiefel und hellbraune Ziegenlederhandschuhe. Sie konnte nicht viel älter als Anfang zwanzig sein. Ihre Haut war hell und schien ihm außergewöhnlich zart; ihre Lippen waren rosig und fein geschwungen, und mit ihren großen dunkelbraunen Augen sah sie ihn bewundernd an.

„Ich freue mich, Ihnen helfen zu können.“

„Glücklicherweise waren Sie in der Nähe“, antwortete sie, während sie unerwartet flink den Baum hinabkletterte. „Ich bin heilfroh, dass ich als kleines Mädchen so oft in den Lagerhäusern meines Vaters herumgeturnt bin. Sonst wäre mir heute vermutlich ein schlimmeres Schicksal widerfahren.“

Lagerhäuser? Natürlich, ihr Vater musste wohlhabend sein. Das erklärte die vornehme Reitkleidung. Er fragte sich, ob sie noch andere Angehörige hatte, eine Mutter, vielleicht Geschwister oder sogar einen glücklichen Gemahl.

Doch er wurde abgelenkt, als sich der Saum ihres Kleides an einem kleinen Zweig verfing und er einen Blick unter ihren Rock erhaschen konnte. Ihm bot sich der bezaubernde Anblick ihres schlanken Fußes, der auch durch den Stiefel hindurch eine zierliche Fessel erkennen ließ. Ihre Wade war ebenso wohlgeformt und nur von einem dünnen Seidenstrumpf bedeckt …

Du lieber Himmel, was tat er? Oder vielmehr, was nicht?

„Bitte verzeihen Sie. Ihr Kleid hat sich verfangen.“

„Ja, so ist es“, gab die schöne Unbekannte zurück, während sie versuchte, es zu befreien. Ihre sanften Wangen röteten sich leicht. „Ich bin ohne Schwierigkeiten hinaufgeklettert, aus Angst, der Hund würde mir etwas antun, aber hinunterzusteigen ist etwas anderes.“

„Erlauben Sie mir, Ihnen behilflich zu sein“, bot er an, als sie den untersten Ast erreicht hatte.

Obwohl er sich noch nicht ganz sicher war, was er tun wollte, streifte Gordon seine schmutzigen Handschuhe ab, stopfte sie in die Manteltasche und trat einen Schritt nach vorn.

Ich sollte sie nicht berühren, dachte er, das wäre nicht anständig.

Andererseits waren dies auch außergewöhnliche Umstände.

Sie nahm ihm die Entscheidung ab, indem sie einfach die Hände auf seine Schultern legte. Er ergriff ihre Taille, dann sprang sie von der Birke hinunter.

Es ging alles so schnell, und ihre vertrauliche Geste kam für ihn so völlig unvorbereitet, dass er beinah das Gleichgewicht verlor und sie beide gefallen wären, hätte er nicht unverzüglich die Arme um sie gelegt.

Er kannte nicht einmal ihren Namen, und dennoch … sie in den Armen zu halten, fühlte sich so unglaublich … richtig an. Nein, mehr als nur richtig. Es fühlte sich wundervoll an, als ob diese Frau aus irgendeinem Grund in seine Arme gehörte.

Dies war wohl der kühnste Gedanke, der sich je in seinen nüchternen Anwaltsverstand eingeschlichen hatte.

Schlimmer noch, er errötete wie ein Schuljunge, obwohl er schon neunundzwanzig Jahre alt war und nicht zum ersten Mal eine Frau in den Armen hielt.

„Bitte sehr, nun sind Sie sicher wie in Abrahams Schoß“, sagte er lächelnd und versuchte, ungezwungen zu wirken.

„Danke, dass Sie mich gerettet haben. Ich wüsste nicht, was ich ohne Sie getan hätte, Mr …?“

„McHeath. Gordon McHeath, aus Edinburgh“.

„Ich stehe in Ihrer Schuld, Mr Gordon McHeath aus Edinburgh.“

Noch nie hatte das Wort Schuld schöner geklungen.

Und plötzlich, ohne Vorwarnung und ehe er überhaupt merkte, was geschah, stellte sich diese unglaublich schöne, ihm völlig unbekannte Frau auf die Zehenspitzen und küsste ihn.

Ihre Lippen waren weich, ihr Körper geschmeidig und wohlgeformt; ihre Berührung entfachte sofort ein leidenschaftliches Feuer in ihm.

Instinktiv und ohne zu überlegen, folgte er einem tiefen Verlangen und zog sie in seine Arme. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er ihren Kuss erwiderte. Voller Begehren glitten seine Lippen über ihren Mund, bis sie ihm Einlass gewährte und er mit seiner Zunge die warme Feuchtigkeit genussvoll erkundete. Langsam, mit sanften Berührungen strich er über ihren Rücken. Sie bog sich ihm entgegen, und durch den Stoff ihrer Kleider konnte er spüren, wie sich ihre Brüste an seinen Oberkörper schmiegten. Dieses Gefühl ließ sein Herz einen Moment lang stillstehen, dann hob und senkte sich seine Brust unter raschen Atemzügen.

Als sie mit den Händen seinen Rücken hinauffuhr und schließlich seine Schultern umfasste, erschienen ihm diese Berührungen beinahe vertraut und überaus köstlich.

Gütiger Himmel. Noch nie war er so geküsst worden. Noch nie hatte er so geküsst. Er wünschte, dieser Kuss würde niemals enden …

Dann fiel ihm ein, dass er kein Casanova war, sondern ein Anwalt aus Edinburgh. Und sie musste eine junge Dame aus vermögender Familie sein, die neben Vater und Brüdern vielleicht sogar einen Ehegatten besaß.

Fast im selben Moment zog auch sie sich zurück, so unvermittelt, als wäre ein Keil zwischen sie getrieben worden. Eine tiefe Röte überzog ihr Gesicht, und sie schluckte schwer. Scheinbar suchte sie genau wie er verzweifelt nach den passenden Worten.

Schließlich kam sie ihm zuvor. „Es … es tut mir leid, Mr McHeath“, sagte sie mit zitternder Stimme, unfähig, ihre Erregung zu verbergen. „Ich kann mir nicht erklären, was in mich gefahren ist. Ich bin für gewöhnlich nicht so … Ich meine, hoffentlich denken Sie nicht, dass ich leichtfertig fremde Männer küsse.“

Er war nicht gerade ein Fremder, verstand aber, was sie sagen wollte. „Auch ich küsse gewöhnlich keine Frauen, denen ich nicht vorgestellt wurde.“

Sie trat weiter zurück und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Es muss die Anspannung gewesen sein. Oder die Erleichterung. Und die Dankbarkeit, natürlich.“

Das erklärte zweifellos ihr Verhalten, aber welche Entschuldigung hatte er dafür, ihren Kuss mit solcher Leidenschaft zu erwidern?

Einsamkeit. Sein Herz, das vor Kurzem gebrochen oder zumindest verwundet worden war. Ihre Schönheit. Das Verlangen, die Arme einer Frau um sich zu spüren, auch wenn es nicht die von Catriona McNare waren.

Tatsächlich hatte diese unerschrockene junge Dame, die vor ihm stand, nichts mit der sanftmütigen, braven Catriona McNare gemeinsam.

„Darf ich fragen, wo Sie wohnen, Mr McHeath? Ich bin sicher, mein Vater würde Sie gern kennenlernen. Eine Einladung zum Abendessen ist das Mindeste, um unsere Anerkennung für Ihre unerwartete Hilfe zum Ausdruck zu bringen.“

Sie spricht von ihrem Vater, nicht von einem Ehemann, dachte er erleichtert.

„Ich wohne in McStuart House.“

Schlagartig änderte sich ihr Verhalten. Was hatte er bloß gesagt? Sie versteifte sich, und ihre sinnlichen Lippen kräuselten sich vor Verachtung.

„Sind Sie ein Freund von Sir Robert McStuart?“, fragte sie mit eiskalter Stimme, in der nichts mehr an ihren leidenschaftlichen Kuss erinnerte.

„Ja. Wir sind zusammen zur Schule gegangen.“

Ihr Gesicht rötete sich, diesmal nicht aus Verlegenheit, sondern offenkundig vor Wut. Was zum Teufel mag Robbie getan haben, dass sie so aufgebracht reagiert? fragte er sich.

Da es um Robbie ging, fielen ihm einige Gründe ein. Dazu gehörte allemal die Verführung einer Frau – und es gab nichts Schlimmeres als den Zorn einer verschmähten Frau, das hatte seine Erfahrung als Anwalt gezeigt.

„Hat er Ihnen von mir erzählt?“, fragte sie, die Fäuste in die Hüften gestemmt. „Haben Sie deshalb gedacht, Sie könnten mich einfach so küssen?“

„Sir Robert hat keine einzige junge Dame erwähnt, als er mich einlud“, gab Gordon aufrichtig zurück und versuchte, trotz ihres feindseligen Verhaltens ruhig zu bleiben. „Ich möchte auch darauf hinweisen, dass ich immer noch nicht Ihren Namen kenne, und außerdem haben Sie mich geküsst.“

Ohne sich von seiner Antwort beirren zu lassen, fuhr sie mit hoch erhobenem Kopf fort. „Ich danke Ihnen, dass Sie mir heute geholfen haben, Mr McHeath, aber jeder, der mit Robbie McStuart befreundet ist, kann es zwangsläufig nicht mit mir sein!“

„Offensichtlich“, brummte er, als sie auf dem Absatz kehrtmachte und davoneilte.

Sobald sie aus der Sichtweite von Gordon McHeath verschwunden war, raffte Moira MacMurdaugh ihre Röcke hoch und rannte den ganzen Weg zurück nach Hause.

Wie konnte sie nur so töricht sein? Und ungestüm und unverzagt? Sie hätte ihn niemals küssen, geschweige denn berühren dürfen. Ein einfacher Dank hätte genügt, und er wäre weitergezogen.

Als er sie umarmte, hätte sie sich ihm sofort entziehen sollen, auch wenn sein Kuss in ihr Gefühle hervorrief, die sie bisher nur aus französischen Romanen kannte – verwirrende Gefühle wie Sehnsucht, Begehren und Leidenschaft.

Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Robbie McStuart künftig diese Begegnung in seinen Erzählungen ausschmücken würde, denn Gordon McHeath würde ihm sicherlich davon berichten. Bald gäbe es noch mehr Tratsch über sie in Dunbrachie, und dieses Mal lag die Schuld ganz allein bei ihr.

Noch größere Sorgen bereitete ihr die Vorstellung, wie ihr Vater reagieren würde, wenn er von ihrem Benehmen erfuhr.

Er hatte bis jetzt sein Versprechen gehalten und schon seit sechs Monaten keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt. So lange hatte er noch nie durchgehalten. Es machte sie ganz krank, wenn sie darüber nachdachte, dass ihr leichtfertiges Handeln ihn wieder zu unmäßigem Trinken verleiten könnte.

Vielleicht würde Mr McHeath Robbie gegenüber auch gar nichts erwähnen? Letztendlich war er für die unschickliche Umarmung genauso verantwortlich wie sie.

„Sie sind zurück, Mylady! Sind Sie gestürzt? Haben Sie sich verletzt?“, rief der stämmige grauhaarige Stallmeister aufgeregt.

Jem kam vom Eingang der Ställe zu ihr gelaufen, als sie den Hof betrat, der an eine hohe Steinmauer grenzte, die schon zur Zeit König Edwards I. und William Wallaces das Herrenhaus umgeben hatte.

„Ja, ich bin gestürzt, aber nicht verletzt. Ist Dougal zurückgekehrt?“, erkundigte sie sich nach ihrem Pferd.

„Ja, er ist hier, der Halunke“, antwortete Jem. „Wir waren drauf und dran, Sie zu suchen. Ihr Vater wird sehr erleichtert sein, Sie zu sehen.“

Erneut schalt sie sich dafür, dass sie sich von diesem gut aussehenden Mr McHeath dazu hatte verleiten lassen, ihn zu küssen und zu umarmen … selbst wenn er ein attraktiver Mann war – groß, mit rotbraunem Haar, kantigem Gesicht und braunen Augen – und er sie an eine der griechischen Statuen erinnerte, die sie in London gesehen hatte. Inständig hoffte sie, dass sie nicht zu spät kam …, bis ihr einfiel, dass sie den ganzen Alkohol weggeschlossen hatte und als Einzige den Schlüssel zu diesem Vorrat besaß. Und Dunbrachie war nicht wie Glasgow, wo ihr Vater einfach nur die Straße hinunter zum nächsten Wirtshaus zu gehen brauchte.

Sie lief geschwind durch den neueren Teil des Herrenhauses, den der vorige Earl hatte erbauen lassen, vorbei an der Küche und der Vorratskammer, der Waschküche und dem Speiseraum der Bediensteten.

Der wunderbare Duft von frischem Brot und gebratenem Rind stiegen ihr in die Nase und rief Erinnerungen an glücklichere Tage hervor. Sehnsuchtsvoll dachte sie an die Zeit, bevor ihr Vater Titel und Besitztümer geerbt und zu trinken begonnen hatte.

Schließlich erreichte sie den Haupttrakt des Hauses und den Gang, der zur Bibliothek, zum Arbeitszimmer ihres Vaters und in den Salon führte. Der Salon gehörte zum neueren Teil des Gebäudes, die Eingangshalle mit ihrer dunklen Eichenvertäfelung, das Arbeitszimmer und die Bibliothek zum alten Teil. Seit seiner Errichtung war das Herrenhaus mehrfach renoviert und erweitert worden, sodass es nun eine Mischung verschiedener Baustile vom Mittelalter bis zu ihrer eigenen Epoche darstellte. Nach ihrem Einzug hatte Moira Stunden damit verbracht, alle Ecken und Winkel, Keller und Dachkammern zu erkunden, und hatte dabei längst vergessene Gemälde und Möbelstücke entdeckt.

Moira hielt einen Moment inne und betrachtete sich in einem der Wandspiegel, die zur Aufhellung der sonst sehr dunklen Halle dienten. Sie atmete einige Male tief durch, um ihre Nerven zu beruhigen, setzte ihre Haube ab und legte sie auf die Marmorplatte des Beistelltisches unter dem Spiegel. Dann richtete sie ihre fein geflochtene Haarkrone.

„Moira!“

Sie drehte sich um und sah ihren Vater im Türrahmen seines Arbeitszimmers stehen. Er wirkte sehr aufgewühlt. Sein zerzaustes, dickes graues Haar ließ erahnen, dass er sich wiederholt die Haare gerauft hatte.

„Was ist passiert? Bist du verletzt?“, fragte er, als sie näher trat. Während er sie bei den Händen fasste, betrachtete er eingehend ihr Gesicht und ihre Kleidung.

Sie beschloss, möglichst wenige Einzelheiten über die Ereignisse dieses Tages preiszugeben. „Es geht mir gut. Ich bin gestürzt, und Dougal ist einfach fortgelaufen, sodass ich zu Fuß heimgehen musste.“

„Ich wollte mich gerade selbst auf die Suche nach dir machen.“

Das erklärte, warum er seine Reitkleidung trug. Dies kam selten vor, denn er war kein erfahrener Reiter, da er die meiste Zeit seines Lebens in Fabriken und Lagerhäusern verbracht hatte. Gott sei Dank war sie zurückgekommen, bevor er sich auf ein Pferd setzen konnte.

„Es geht mir gut, Papa, wirklich“, antwortete sie, dabei hakte sie sich bei ihm unter und geleitete ihn ins Arbeitszimmer. Es war der einzige Raum in dem riesigen Herrenhaus, der ihrem alten Heim in Glasgow ähnelte.

Wie immer war der große Mahagonischreibtisch ihres Vaters übersät mit allerlei Papieren, Verträgen, Kassenbüchern, Schreibfedern und Tintenfässchen, denn trotz des Titels und der damit verbundenen Besitztümer beaufsichtigte er seine Geschäfte in Glasgow weiterhin selbst. Es herrschte ein einziges Durcheinander, doch niemand durfte den Schreibtisch aufräumen. Ihr Vater behauptete, dass er sonst nichts mehr wiederfinden würde.

Hinter dem Schreibtisch stand ein abgenutzter Stuhl. Jahrelang hatte Moira versucht, ihren Vater davon zu überzeugen, dass der Stuhl neu bezogen werden müsse. Er weigerte sich jedoch standhaft und betonte, der Stuhl sei auch so höchst bequem. Die einzige Dekoration in dem Raum war eine Büste von Shakespeare. Sie stand auf dem dunklen, marmornen Kaminsims, der von einem der vorigen Earls stammte.

„Du solltest nicht mehr allein über die Ländereien reiten. Was wäre gewesen, wenn du dir ein Bein gebrochen hättest?“, fragte ihr Vater besorgt, als sie sich auf das leicht abgenutzte Sofa setzte. Er lehnte sich an seinen Schreibtisch und zerknüllte ein Papier, das fast hinuntergefallen wäre.

„Beim nächsten Mal werde ich vorsichtiger sein, ich verspreche es dir.“

„Vielleicht solltest du ein ruhigeres Pferd reiten – eine sanftmütige Stute würde dich nicht so leicht abwerfen.“

Und bestimmt auch nicht sehr schnell galoppieren. „Vielleicht“, erwiderte sie ausweichend, denn sie wollte ihn nicht unnötig verärgern.

„In Zukunft wirst du einen Stallknecht mitnehmen.“

Ihr wurde schwer ums Herz, und sie verschränkte ihre Hände, die scheinbar ruhig in ihrem Schoß lagen, ineinander. Sie liebte die Momente, in denen sie ganz allein sein konnte, weit ab von der ständigen Gegenwart der Bediensteten. Wohlhabende Menschen mochten daran gewöhnt sein, denn sie waren so aufgewachsen. Auf Moira traf dies nicht zu.

„Es ist Zeit, dass du anfängst, dich wie eine Dame zu benehmen, Moira.“

„Ich werde es versuchen“, sagte sie. „Man muss nur so vieles beachten.“

Und es gibt so viele Einschränkungen.

„Zu einer gesellschaftlichen Stellung gehören Rechte und Pflichten“, erinnerte sie ihr Vater.

Moira war sich dessen wohl bewusst und fand längst nicht alle Pflichten beschwerlich.

„Der Bau der Schule geht rasch voran, Papa. Du solltest sie dir einmal anschauen. Ich habe auch für die Stelle des Lehrers eine Annonce aufgegeben“, wechselte sie das Thema, um von ihrem Sturz und dessen Folgen abzulenken. Insbesondere die Anwesenheit Gordon McHeaths wollte sie nicht erwähnen. Gleichzeitig schwor sie sich, künftig einen großen Abstand zu gut aussehenden Fremden zu halten, selbst wenn sie wie der Traum eines jeden jungen Mädchens aussahen, wie Casanova küssten und zur Hilfe herbeistürmten wie einst William Wallace, als der sein Vaterland gegen die Engländer verteidigte.

Versonnen ging ihr Vater um seinen Schreibtisch herum und schob einige Papiere zusammen, ehe er ihr antwortete.

„Bist du dir im Klaren, Moira“, begann er, ohne sie anzusehen, „dass nicht jeder in Dunbrachie deine Wohltätigkeit gutheißt? Sogar die Eltern, für deren Kinder deine Schule gedacht ist, haben Angst, dass du ihnen hochtrabende Ideen in den Kopf setzt, die sie vermutlich nie verwirklichen können und die sie nur unglücklich machen werden.“

„Das liegt daran, dass die Leute im Dorf nicht einschätzen können, wie wertvoll Bildung für sie ist“, erwiderte Moira unerschrocken. „Ich habe Widerstand erwartet. Das ist normal, wenn sich etwas verändert und etwas Neues beginnt. Doch sobald die Leute verstehen, was es bedeutet, lesen und schreiben zu können, werden sie einlenken. Sie werden die Möglichkeiten, die sich ihren Kindern bieten, zu schätzen wissen.“

„Ich hoffe es“, gab ihr Vater zurück, und sein Blick streifte sie flüchtig. „Ich hoffe es aufrichtig. Ich würde mir nie verzeihen, wenn dir etwas zustößt.“

Sie wusste, wie sehr ihr Vater sie liebte und wie sehr er sich wünschte, dass sie ein glückliches Leben voller Geborgenheit führte. Wäre er ein selbstsüchtiger, ehrgeiziger Mensch, würde er sich niemals so viele Sorgen um sie machen. Er würde gar nicht erst versuchen, sein Versprechen zu halten und das Trinken aufzugeben. Sie erinnerte sich an seine schmerzliche und besorgte Miene, als er ihr die Wahrheit über den Mann erzählte, den sie heiraten wollte. Für ihren Vater war es genauso enttäuschend gewesen wie für sie, den wahren Charakter ihres Verlobten zu erkennen, daran zweifelte sie keinen Augenblick.

Sie umarmte ihn rasch. „Wir passen aufeinander auf, Papa“, versicherte sie ihm fest entschlossen, „so wie wir es immer getan haben, in guten und schlechten Zeiten.“

Hinter diesen Worten verbarg sie die Hoffnung, dass die schlechten Zeiten endlich vorbei wären.

2. KAPITEL

McStuart House lag am Hügel über dem Dorf Dunbrachie. Es war nach dem Vorbild des italienischen Architekten Palladio aus grauem Granit erbaut. Seine Fassade bestand aus einer ebenmäßig gegliederten Fensterfront, deren Mitte vier mächtige Säulen zierten. Als Gordon mit zwölf Jahren zum ersten Mal dort gewesen war, hatten der Anblick des prächtigen Hauses und die unglaubliche Anzahl der Bediensteten ihm die Sprache verschlagen. Bei seinem letzten Besuch vor ungefähr fünf Jahren hatte er alle Fenster des vorderen und des hinteren Teils des Hauses gezählt und war dabei auf insgesamt achtunddreißig gekommen, ohne die Fenstertüren, die vom Salon und der Bibliothek auf die Terrasse führten, zu berücksichtigen.

Als er heute auf das stattliche Herrenhaus zuritt, kreisten Gordons Gedanken jedoch um etwas anderes als die architektonischen Details von Robbies Heim, das dieser vor drei Jahren nach dem Tod seines Vaters geerbt hatte. Auch die sich immer dichter auftürmenden Wolken kümmerten Gordon wenig.

Er musste ständig an die junge Dame denken und an Robbie – wobei er es vermied, sich beide zusammen vorzustellen. Der Gedanke, dass eine gescheiterte Liebesaffäre der tatsächliche Grund ihrer Verstimmung war, behagte ihm überhaupt nicht. Deshalb versuchte er, andere Erklärungen dafür zu finden.

Vielleicht war ein Geschäft ihres Vaters oder eines anderen Verwandten mit Robbie gescheitert. Robbie war nicht besonders verantwortungsbewusst und hatte kein gutes Zahlenverständnis, daher konnte es durchaus passieren, dass ein Handel mit ihm fehlschlug.

Es wäre auch möglich, dass Robbie mit einer Schwester, Cousine oder Freundin angebändelt hatte und sie deshalb eifersüchtig war.

Was immer der Grund sein mochte, er beschloss, Robbie gegenüber die Begegnung nicht zu erwähnen. Er wollte weder Robbies Ausflüchte noch seine Erklärungen hören, ganz besonders, wenn er und diese schöne, forsche junge Dame ein Liebespaar gewesen waren. Gordon wollte sich ausruhen und versuchen, Catriona zu vergessen.

Gerade als die ersten Regentropfen fielen, kam er vor dem Haus an, machte sein Pferd fest und eilte die drei breiten Stufen hinauf zur Eingangstür. Noch bevor er den Türklopfer betätigen konnte, schwang die Tür auf, und vor ihm stand ein großer, streng wirkender Butler, den Gordon nicht kannte.

„Mr McHeath, nehme ich an?“, empfing ihn der Bedienstete mit vornehmem englischem Akzent.

„Ganz richtig“, erwiderte Gordon und überreichte seinen Mantel und Hut dem livrierten Diener, der neben dem Butler stand.

„Sir Robert erwartet Sie im Salon.“

Gordon nickte und wandte sich in Richtung des Salons. Dabei durchquerte er die imposante Eingangshalle, deren Wände mit Geweihen, Hellebarden, Schwertern und Rüstungen geschmückt waren. Jenseits des Salons und der breiten Doppeltreppe lagen etliche Räume, wie die Bibliothek, in der er und Robbie früher Soldat gespielt hatten, und das Billardzimmer. Es gab mindestens drei Schlafzimmer im Hauptgeschoss und zwölf weitere im Stockwerk darüber. Im Dachgeschoss lagen die Quartiere der Bediensteten. Er hatte immer noch keine Ahnung, wie viele kleinere Räume es im Untergeschoss gab, wo sich Küche, Waschstube, Vorratsräume, Weinkeller und Speiseraum der Bediensteten und viele andere Räume befanden, die für den reibungslosem Ablauf eines solch großen Haushaltes notwendig waren.

Als er den Salon betrat, entdeckte er Robbie neben der Fenstertür, die auf die Steinterrasse führte. Mittlerweile hatte es begonnen, in Strömen zu regnen. Mit hängenden Schultern stand Robbie da und blickte in den Garten hinaus. Er hatte eine Hand an den Türrahmen gestützt, in der anderen hielt er ein leeres Weinglas.

Diese Haltung hatte Gordon bei Robbie noch nie beobachtet, und er war nicht sicher, ob er ihn stören sollte. Deshalb schaute er sich im Raum um. Seit seinem letzten Besuch schien sich nichts verändert zu haben. Die Wände waren immer noch mit einer ungewöhnlichen ockerbraunen Seidentapete bespannt, die vergoldeten Möbel waren immer noch mit demselben dunkelgrünen Samt bezogen. Auch die Porträts der verstorbenen Vorfahren hingen ebenso wie die Landschaftsbilder an gleicher Stelle. Selbst auf den Beistelltischen schienen noch dieselben Bücher wie vor fünf Jahren zu liegen.

Alles war sauber, ohne das winzigste Staubkorn, ansonsten schien die Zeit stehengeblieben zu sein.

Bis Robbie sich schließlich umdrehte.

Was zum Teufel war mit ihm passiert? Er wirkte um zehn Jahre gealtert, noch dazu um zehn harte Jahre. Sein Gesicht war bleich und ausgemergelt, und unter den blutunterlaufenen blauen Augen lagen dunkle Ringe. Sein früher schon schlanker Körper ähnelte jetzt einem Skelett, und nur sein dichtes, welliges blondes Haar schien unverändert.

Während Gordon sich Mühe gab, ihn nicht anzustarren, stellte Robbie sein Weinglas auf einen Tisch und kam lächelnd auf ihn zu.

Wenigstens sein frohes, charmantes Lächeln war ihm geblieben, und auch in seiner Stimme schwang ein Funken Lebensfreude mit. „Gordo, du alter Bücherwurm!“, rief er. „Ich dachte, du würdest nie ankommen! Natürlich wusste ich, dass du kommst, nachdem ich deine Nachricht erhalten hatte. Zuverlässig wie immer, so ist mein Gordo!“

Gordon hatte diesen Spitznamen immer gehasst, doch er war jetzt zu sehr um die Gesundheit seines Freundes besorgt, um sich zu ärgern. „Ich bin unterwegs aufgehalten worden“, sagte er abwinkend. „Wie geht es dir Robbie?“

„Nicht ganz so gut“, gab sein Freund zu, während er Gordons Hand schüttelte.

„Nichts Ernstes, deshalb hör bitte auf, mich anzustarren, als wäre ich ein Geist“, beendete er lachend das Thema und drückte ihm fest die Hand. „Nur ein bisschen zu viel Rebensaft gestern Nacht.“

Das erklärte sicherlich sein Aussehen. Und Robbie war nie ein großer Esser gewesen. Sein herzlicher Handschlag überzeugte Gordon endgültig davon, dass es nicht schlecht um seinen Freund stand.

„Lass uns etwas trinken. Du kannst ein Glas sicher gut gebrauchen“, fuhr Robbie fort und ging zu einer Vitrine, wo er eine bernsteinfarbene Flüssigkeit in zwei Gläser füllte. „Die Straßen in dieser Gegend können einen Ritt zu einer verdammt unbequemen Angelegenheit machen.“

Gordon vermutete, dass Robbie schon mehr getrunken hatte, als für ihn gut war, aber er selbst war müde und durstig und nahm den Whisky dankend an.

Robbie trank sein Glas in einem Zug aus und schlenderte zum kunstvoll verzierten Kamin. „Ich nehme an, du warst von meiner Einladung überrascht.“

„Ich war hocherfreut“, antwortete Gordon ehrlich. Und heilfroh, Edinburgh eine Zeit lang zu verlassen.

Robbie spielte mit seinem leeren Glas. „Das freut mich, obwohl ich zugeben muss, dass meine Gründe nicht ganz uneigennützig waren. Ich stecke in Schwierigkeiten, Gordo.“

Gordon hoffte, dass diese Schwierigkeiten nicht mit einer schönen jungen Dame zusammenhingen, deren Leidenschaft einem Mann den Kopf verdrehen konnte.

„Ich verstehe. Welche Art von Schwierigkeiten?“

Robbie wies auf das Sofa. „Nimm Platz, und ich erzähle es dir, oder möchtest du erst einen Happen essen? Ich habe einen neuen Koch, einen Franzosen. Zwar verstehe ich nur die Hälfte von dem, was er sagt, aber seine Kochkünste sind göttlich.“

Und bestimmt auch sehr kostspielig. Doch das spielte vermutlich keine Rolle, denn seit dem Aufstand der Jacobiten waren die McStuarts zu einem stattlichen Vermögen gelangt, von dem sie augenscheinlich nach wie vor zehrten.

„Nein, danke. Ich würde lieber hören, was du zu berichten hast“, antwortete Gordon und setzte sich.

„Nun, Gordo, ich nehme an, es musste irgendwann passieren“, begann Robbie. Seufzend lehnte er sich an die Vitrine und hielt dabei sein Glas locker in den Händen. Noch immer legte er die gleiche lässige Eleganz an den Tag wie schon früher in der Schule, wo sie sich mit zehn Jahren kennengelernt hatten. „Letztendlich wurde mir das Herz gebrochen, alter Kamerad, von einer kaltherzigen, starrsinnigen Frau.“

„Eine gescheiterte Liebesaffäre also“, resümierte Gordon.

„Ja, Gordo, ganz richtig. Ich habe mich verliebt – zutiefst, bedingungslos verliebt. Und im Glauben, meine Liebe würde erwidert, hielt ich um ihre Hand an.“

Das war sogar noch verblüffender. Robbie hatte schon viele Male behauptet, verliebt zu sein, aber soviel Gordon wusste, hatte er noch nie einer Dame einen Antrag gemacht.

Warum also war er gescheitert?

„Ja, ich war tatsächlich so weit, meinen Kopf in die eheliche Schlinge zu stecken. Sie hatte eingewilligt und schien sogar äußerst glücklich zu sein. Wir haben unsere Verlobung auf einem Ball im Hause ihres Vaters bekannt gegeben.“

„Und ihr Vater ist wer …?“

„Der Earl of Dunbrachie.“

Gordons Herz machte einen Sprung, jedoch ließ er sich nichts anmerken. Ihr Vater war ein Händler oder Fabrikbesitzer, der Lagerhäuser unterhielt, kein Adliger mit Titel.

„Für uns beide eine passende Verbindung. Und dann, kaum vierzehn Tage später, eröffnete sie mir plötzlich, dass sie mich nicht ehelichen wollte.“

Kein Wunder, dass Robbie erschöpft aussah. Er selbst hatte in den letzten Monaten unzählige schlaflose Nächte damit verbracht, über seine Gefühle zu Catriona McNare nachzudenken. Auch wenn er nie Trost in der Flasche gesucht hatte, wie Robbie es anscheinend tat, konnte er dessen Bedürfnis verstehen, seinen Kummer auf diese Weise zu ertränken. Es war gut, dass Robbie nun die ermutigende Gesellschaft eines Freundes suchte. „Es tut mir aufrichtig leid, Robbie.“

„Ich wusste, ich kann auf dein Mitgefühl zählen“, sagte Robbie und lächelte gezwungen. „Und in einer Hinsicht sollte ich mich wahrscheinlich glücklich schätzen. Weißt du, welcher Beschäftigung ihr Vater nachging, bevor er den Titel erbte? Er war Wollhändler. Gewiss ein sehr wohlhabender Wollhändler, aber eben nur ein Wollhändler.“

Gordon erschrak. Ein reicher Kaufmann hatte Lagerhäuser.

„Dabei war er mit dem verstorbenen Earl nur sehr entfernt verwandt“, fuhr Robbie fort, ohne auf seinen immer stiller werdenden Freund zu achten. „Dass er den Titel und die Besitztümer erbte, war für jeden ein Schock, für ihn selbst auch, vermute ich. Und Moira kann sehr kapriziös sein. Sie hat es sich in den Kopf gesetzt, die Armen zu unterrichten. Möchte eine Schule für die Kinder von Dunbrachie errichten, obwohl ich keine Ahnung habe, was die mit Bildung anfangen sollen. Außerdem wollen die meisten Leute hier in Dunbrachie gar keine Schule.“

Wenn es sich um dieselbe junge Frau handelte, was Gordon nicht hoffte, warum hatte sie dann die Verlobung gelöst? Er wollte ganz sichergehen. Robbie war nicht gerade verlässlich, doch er sah gut aus, war wohlhabend, liebenswert und hatte einen Titel. So manche Tochter aus vornehmem Hause musste sich mit einem weniger attraktiven Ehegatten zufriedengeben.

„Es wäre zwar beleidigend gewesen, wenn sie meinen Antrag abgelehnt hätte, dennoch wäre ich sicher schnell darüber hinweggekommen. Letztendlich gibt es viele andere, reizvolle adlige junge Damen, die meine Aufmerksamkeiten begrüßen würden.“

Wer immer die Dame war, Gordon konnte Robbies Bitterkeit verstehen. Trotzdem machte die Arroganz in der Stimme seines Freundes es ihm schwer, wirklich Mitleid zu empfinden.

Robbie ging zu den Terrassentüren und drehte sich mit ausladender Geste um. „Für wen hält sich Moira MacMurdaugh, dass sie sich erlaubt, Sir Robert McStuart zum Narren zu halten? Sie täuscht sich, wenn sie glaubt, dass ich diese Erniedrigung so einfach hinnehme. Deshalb benötige ich deine Hilfe, Gordo.“ Er nahm eine souveräne Haltung an, und die blutunterlaufenen Augen funkelten triumphierend. „Ich will Lady Moira McMurdaugh auf Wortbruch verklagen.“

Gordon hatte das Gefühl, als würde der Boden unter seinen Füßen nachgeben. „Du willst diese Frau auf Wortbruch verklagen?“, wiederholte er ungläubig.

„Richtig.“

Gordon versuchte zu verdrängen, dass es sich möglicherweise um die junge Dame handelte, die er geküsst hatte, und zwang sich, nüchtern und logisch wie ein Anwalt zu denken. Robbie war sich der Auswirkungen einer Klage, die sonst eher Sache der Frauen war, eindeutig nicht bewusst. „Ich verstehe, dass du verletzt bist …“

„Verletzt? Ich bin nicht verletzt!“, gab er aufgebracht zurück und schmetterte sein Glas so hart auf einen Tisch, dass Gordon befürchtete, es würde zerspringen. „Ich möchte ihr nur zu verstehen geben, dass sie nicht einfach Anträge annehmen und dann kurzerhand wieder ausschlagen kann. Oder denkst du, dass ich keinen Grund zur Klage habe?“

Jetzt wurde es noch schwieriger. Robbie hatte möglicherweise Grund zur Klage, allerdings gab es dabei noch andere Dinge zu bedenken, wie Gordon ihm weiter erklärte.

„Vielleicht ist die Klage berechtigt, wenn die Verlobung öffentlich bekannt war. Dennoch solltest du Folgendes überlegen, Robbie. Dunbrachie ist ein kleines Dorf, aber diese Art von Rechtsfall zieht schnell weite Kreise und gelangt wahrscheinlich an die Presse, zumindest hier in Schottland. Deine …“, er zögerte, um nicht das Wort Demütigung zu verwenden, „… deine persönlichen Angelegenheiten könnten schnell in die Klatschspalten der Zeitungen gelangen, und völlig fremde Menschen würden sich darüber das Maul zerreißen. Wäre es nicht besser, die Geschichte einfach zu vergessen? Wie du selbst gesagt hast, gibt es genug Damen, die sich nach deiner Bewunderung sehnen. Ich bin sicher, du wirst dich wieder verlieben“, schloss er.

„Im Gegenteil, Gordo, du begreifst das Wesentliche nicht“, erwiderte Robbie, als er sich auf das Sofa fallen ließ. „Ich tue dies nicht nur meinetwegen, sondern für all die anderen armen Hunde, deren Herzen sie in Zukunft vielleicht brechen wird.“

Er wandte sich zu Gordon und betrachtete ihn prüfend von der Seite. „Wenn ich als Frau mit einem solchen Anliegen zu dir käme, würdest du den Fall übernehmen, nicht wahr?“

„Vielleicht.“ Er war nicht ganz sicher, was er tun würde. Jedoch war er überzeugt, dass Robbie eine Klage eher schaden als nutzen würde. „Aus welchem Grund hat sie die Verlobung gelöst? Sie hat dir doch einen genannt, oder?“

Missmutig setzte Robbie sich auf. „Sie sagte, sie würde mich nicht lieben“, antwortete er mit einem Anflug von Verachtung, als sei ein solches Empfinden völlig abwegig.

Angesichts Robbies Erfahrungen mit dem zarten Geschlecht könnte man ihm diesen Gedanken verzeihen. „Vielleicht ist es dann am besten so.“ Gordon wiederholte damit, was er sich selbst ständig einredete, seitdem sich Catriona McNare mit einem anderen verlobt hatte.

Robbie runzelte die Stirn und presste seine Lippen aufeinander – ein Gesichtsausdruck, den Gordon nur zu gut kannte. „Sie sagte, sie könnte nie einen Mann wie mich lieben.“

Einen Mann so gutaussehend und charmant wie Robbie? „Was um alles in der Welt meinte sie damit?“

Robbie sprang auf und schritt zum Fenster. „Es bedeutet, dass sie keine Ahnung vom Leben der höheren Gesellschaft hat. Ich habe weder ein Verbrechen begangen noch sonst irgendetwas getan, was nicht schon jeder Adlige in Schottland, England und gewiss auch in Frankreich vor mir getan hat. Sie behauptet, eine Lady zu sein, trotzdem hat sie die Verlobung wegen einer Lappalie gelöst.“

Wenn er etwas getan hatte, das sie dazu veranlasste, ihre Meinung zu ändern, sah die Sache anders aus. „Ich denke, du solltest mir erzählen, um was für eine ‚Lappalie‘ es geht.“

Autor

Margaret Moore

Ihre ersten Schreibversuche als Autorin machte Margaret Moore mit acht Jahren, als der verwegene Errol Flynn sie zu einer Geschichte inspirierte. Wenig später verfiel sie dem kühlen Charme von Mr. Spock aus Raumschiff Enterprise. Er ließ bei sich keine Emotionen zu – ganz anders als die Helden in ihren Romances!...

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