Drei unwiderstehliche Sizilianer (3-teilige Serie)

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IM BANN DES SIZILIANISCHEN MILLIONÄRS von MICHELLE SMART
Damals floh Grace vor dem sizilianischen Millionär Luca Mastrangelo - jetzt hat er sie in Cornwall gefunden. Und diesmal scheint es keinen Ausweg für ihre gefährlichen Gefühle zu geben …

MIT EINEM PLAYBOY NACH PARIS von MICHELLE SMART
Cara Delanay kocht vor Wut! Vor wenigen Wochen küsste Pepe Mastrangelo sie noch voller Leidenschaft - jetzt hält der charmante Playboy sie plötzlich für eine Lügnerin. Aber warum macht er der bildhübschen Kunstkennerin trotzdem das verführerische Angebot, mit ihm nach Paris zu ziehen?

LIEBESSOMMER AUF SIZILIEN von MICHELLE SMART
"Du spielst mit dem Feuer." Bei Francescos Worten überläuft Hannah ein Schauer: Sie weiß nichts über den Sizilianer, außer dass er gefährlich sexy ist! Leichtfertig schlägt sie seine Warnung in den Wind. Doch schon sein erster feuriger Kuss stellt ihre Welt auf den Kopf …


  • Erscheinungstag 07.10.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513142
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Michelle Smart

Drei unwiderstehliche Sizilianer (3-teilige Serie)

IMPRESSUM

Im Bann des sizilianischen Millionärs erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2014 by Michelle Smart
Originaltitel: „What a Sicilian Husband Wants“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA
Band 394 - 2015 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Trixi de Vries

Umschlagsmotive: mauritius images / Hannah L | Lebendige Fotografie

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2021.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751513180

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Schlaftrunken kam Grace die Treppe hinunter und lief auf bloßen Füßen zur Alarmanlage an der Wand. Noch im Halbschlaf tippte sie den Code ein, um die Anlage zu entschärfen. Ein einziges Mal hatte sie das auf dem frühmorgendlichen Weg in die Küche vergessen. Das würde ihr nie wieder passieren, denn der Lärm war so ohrenbetäubend gewesen, dass er vermutlich Tote geweckt hätte.

Sie schaltete den Wasserkocher ein und gähnte herzhaft. Heißer Kaffee mit viel Zucker war genau das, was Grace jetzt brauchte.

Um sich die Wartezeit zu vertreiben, zog sie den schweren Vorhang vor dem Hinterausgang zurück und riskierte einen Blick durch die Scheibe. Grelle Morgensonne blendete sie. Schnell wandte Grace sich ab. Sie hatte genug gesehen. Der nächtliche Frost hatte den Garten mit einer eisigen weißen Schicht überzogen, bei deren Anblick sie sofort vor Kälte zitterte. Missvergnügt zog sie den Vorhang wieder zu.

Fröstelnd tapste sie zum Küchentisch und schaltete den Laptop an. Während der Rechner hochfuhr, bereitete sie sich den Kaffee zu, gab noch einen großzügigen Schuss Milch hinein, damit er schneller abkühlte und wollte gerade den ersten Schluck nehmen, als es an der Tür klingelte.

Zu Tode erschrocken zuckte sie so heftig zusammen, dass der heiße Kaffee über den Becherrand schwappte. Leise fluchend stellte Grace den Becher ab und wedelte zur Abkühlung ihre schmerzende Hand hin und her.

Immerhin war sie jetzt wach und konnte blitzschnell entscheiden, was zu tun war. Innerhalb von Sekunden hatte sie einen Weidenkorb aus dem Küchenschrank in der Ecke gezogen, tastete suchend unter den Geschirrtüchern und packte dann mit festem Griff die Pistole, die sie für den Fall der Fälle dort versteckt hatte.

Die Türglocke schrillte ein zweites Mal.

Auf dem inzwischen einsatzbereiten Laptop klickte sie auf das Programm, das die Videobilder der vier rund ums Haus installierten Überwachungskameras zeigte. Auf dem Video rechts oben entdeckte Grace eine zierliche Frau, die mit Winterparka, Wollmütze und Schal bekleidet war und zitternd eine große Tasche an ihren Bauch presste.

Was sucht die denn hier? Grace war sich unschlüssig, ob sie überhaupt die Tür öffnen sollte. Doch es wäre unmenschlich, die frierende Frau einfach da draußen stehen zu lassen. Also eilte Grace den schmalen Korridor entlang, schob den schweren Vorhang zurück, der die Kälte abhalten sollte, schob mit der linken Hand die drei Sicherheitsriegel an der Tür zurück – mit der rechten umklammerte sie die Pistole – und lockerte die Sicherheitskette. Erst dann schloss sie die Tür auf und öffnete sie einen Spaltbreit.

„Entschuldigen Sie die Störung.“ Vor Kälte klapperten der Frau die Zähne. „Ich habe keinen Empfang auf meinem Handy. Darf ich bei Ihnen telefonieren? Ich bin mit dem Auto liegengeblieben und will meinem Mann Bescheid sagen.“

Für Grace klang das glaubwürdig – in diesem kleinen Dorf in Cornwall gab es tatsächlich oft keinen Mobilnetzempfang. Das Festnetz hingegen funktionierte einwandfrei.

Nach eingehender Musterung der Frau, die fast einen Kopf kleiner war als sie selbst, gelangte Grace zu dem Schluss, dass von diesem kleinen verfrorenen Persönchen keine Gefahr ausging. Trotzdem hätte sie die Frau am liebsten abgewiesen und zum Bauernhaus am anderen Ende der Auffahrt geschickt. Doch einen Fußmarsch von weiteren zehn Minuten durch die Eiseskälte konnte sie der armen Frau wohl nicht zumuten.

„Einen Moment.“ Grace schloss die Tür, stopfte die Pistole in die Bademanteltasche, löste die Sicherheitskette und hielt der Frau die Tür auf. Wahrscheinlich leide ich schon unter Verfolgungswahn, wenn ich bei jedem Türklingeln einen Überfall vermute, dachte Grace verstimmt.

„Vielen Dank“, sagte die Frau, trat sich die Schuhe auf der Matte ab und kam ins Haus. „Ich hatte schon Angst, gar keine Menschenseele in dieser verlassenen Gegend zu finden. Die Straßen hier sind eine einzige Katastrophe.“

Grace rang sich ein höfliches Lächeln ab und schloss schnell die Tür, bevor noch mehr Kälte ins Haus dringen konnte. Wohl war es Grace nicht dabei, eine Fremde eingelassen zu haben. Nach dem Telefonat musste die Frau sofort wieder verschwinden!

„Sie können gleich hier telefonieren.“ Grace zeigte auf den Apparat, der auf einem Tischchen direkt neben der Haustür stand.

Die Frau nickte, griff nach dem Hörer und wählte. Dann kehrte sie Grace den Rücken zu und führte mit gedämpfter Stimme ihr Telefonat. Erst nach mehreren Minuten legte sie den Hörer zurück, schenkte Grace ein kühles Lächeln und sagte: „Danke, dass ich telefonieren durfte. Jetzt will ich Sie aber nicht länger belästigen.“

„Sie können gern hier auf Ihren Mann warten“, bot Grace angesichts des Wetters großzügig an.

„Nein, ich muss los. Er wird nicht lange brauchen.“

„Sind Sie sicher? Es ist eisig da draußen.“

„Ja, ganz sicher.“ Im nächsten Moment machte sie sich schon auf den Rückweg, ohne sich auch nur von Grace verabschiedet zu haben.

Konsterniert sah Grace ihr nach, schloss dann die Tür und verriegelte sie wieder sorgfältig.

Fröstelnd wandte sie sich um und blieb starr stehen. Ein ganz merkwürdiges Gefühl beschlich sie. Irgendetwas stimmte hier nicht. Lauschend hob sie den Kopf. Doch abgsehen von ihrem panisch klopfendem Herzen war alles ruhig.

Ich muss tatsächlich an Verfolgungswahn leiden, dachte sie frustriert.

Trotzdem kam ihr das Verhalten der Frau im Nachhinein äußerst verdächtig vor. Wieso hatte die Fremde sich so schnell aus dem Staub gemacht? Nachdenklich tapste sie zurück in die Küche. Der Schreck, den sie vorhin beim Klingeln der Türe erlebt hatte, war nichts im Vergleich zu dem Schock, den Grace jetzt erlitt. Mitten in der Küche, flankiert von zwei finster dreinblickenden Muskelprotzen, stand ein großer, teuflisch gutaussehender Mann.

„Wartet im Wagen auf mich“, zischte der Mann seinen Begleitern zu, ohne Grace aus den Augen zu lassen.

Wortlos verschwanden die Schlägertypen durch die Hintertür, die noch vor zehn Minuten verrammelt und verriegelt gewesen war!

„Guten Morgen, bella.“

Bella! Dieses eine Wort, so zärtlich wie eine Liebkosung ausgesprochen, wirkte wie Magie. Graces Herz klopfte zum Zerspringen. Diese samtweiche Stimme mit dem schweren sizilianischen Akzent rief eine Vielzahl zärtlicher Erinnerungen in ihr wach. Doch der Zauber war von kurzer Dauer. Der Verstand schaltete sich wieder ein. Den Blick wachsam auf den ungebetenen Gast gerichtet, zog Grace die Pistole heraus und zielte.

„Du hast genau fünf Sekunden, um mein Haus zu verlassen.“

Ein fast unmerkliches Zucken einer breiten schwarzen Augenbraue war Lucas einzige Reaktion darauf, dass plötzlich ein Revolver auf seine Brust gerichtet war. Lässig hob er nun die Hände. „Und wenn ich mich weigere? Erschießt du mich dann?“

„Keine Bewegung!“, zischte Grace, als er einen Schritt näher kam.

Es wirkte schon irgendwie komisch, dass der unbewaffnete Luca so cool blieb, während ihr der Angstschweiß ausbrach, obwohl sie eine tödliche Waffe in den Händen hielt. Dabei hatte Grace lange genug Zeit gehabt, sich auf diese Situation einzustellen. „Zurück!“ Verzweifelt versuchte sie, die Waffe stillzuhalten, trotz der vor Angst bebenden Hände.

„Begrüßt du alle deine Besucher so?“ Luca machte zwei weitere Schritte auf sie zu, den Blick seiner faszinierenden Augen unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet.

Irgendwann hatte Grace vergessen, wie magnetisch diese dunklen, dicht bewimperten Augen waren, die auf den ersten Blick schwarz wirkten. Erst bei sehr genauem Hinsehen entpuppten sie sich als dunkelblau. Ein unvergessliches Blau. Nun erinnerte sie sich wieder an den Moment, als sie Luca zum ersten Mal tief in die Augen geschaut und sich sofort in ihn verliebt hatte.

Aber das war lange her. Jede Liebe, die Grace einmal für ihn verspürt haben mochte, war vor zehn Monaten gestorben – als sie Lucas wahres Gesicht erblickte.

„Nur die ungebetenen“, antwortete sie jetzt und entsicherte demonstrativ den Revolver. „Zum letzten Mal: Verschwinde aus meinem Haus!“

Er war ihr jetzt so nahe, dass sie den Puls an seiner Schläfe pochen sah.

„Leg die Waffe weg, Grace! Du hast doch keine Ahnung, wie man mit einem so gefährlichen Ding umgeht.“

Ihr Wiedersehen hatte Luca sich ganz anders vorgestellt. Er hielt es zwar für unwahrscheinlich, dass Grace auf ihn schießen würde, doch wenn sie in Panik geriet, konnte man nie wissen.

Noch hatte er nicht ganz verinnerlicht, dass er sie nun endlich gefunden hatte. Sowie er sie auf dem Foto erkannt hatte, war er zum Flughafen geeilt, und war mit seinem Privatjet direkt nach England geflogen.

„Du traust mir wohl gar nichts zu“, bemerkte sie ausdruckslos. „Wie hast du mich gefunden?“

Ist sie wirklich so gefühlskalt? überlegte Luca verdutzt. „Leicht war es nicht“, gab er knapp zu. „Nun nimm endlich das Ding runter, Grace! Ich will doch nur mit dir reden.“

„All diese Umstände, nur um mit mir zu reden?“ Sie musterte ihn ungläubig. „Warum hast du dann nicht einfach geklingelt, statt eine Komplizin vorzuschicken, um mich abzulenken, während du dir durch die Hintertür Zugang verschaffst?“

„Weil mir nach der Schnitzeljagd, auf die du mich durch halb Europa geführt hast, klar geworden ist, dass du mich nicht mit offenen Armen empfangen wirst, meine kleine gerissene Grace.“ Wie oft war sie ihm in den vergangenen zehn Monaten nur um Haaresbreite entwischt? Nachdem seine Männer sie hier aufgespürt hatten, waren sie instruiert worden, Grace keine Sekunde aus den Augen zu lassen, falls sie wieder das Weite suchen sollte. Dieses Mal durfte sie ihm nicht entkommen, das hatte Luca sich geschworen.

„Ich habe dich nirgendwohin geführt.“ Sie hielt den Revolver nun in einer Hand, während sie sich die andere am Bademantel trocknete. Dabei lockerte sich der Gürtel und gab den Blick frei auf ihren Schlafanzug.

Wie gebannt betrachtete Luca die einstmals fast knabenhafte Figur, die inzwischen deutlich weiblichere Formen angenommen hatte. Nervös befeuchtete Luca sich die Lippen und begegnete dem eisigen Blick aus Graces haselnussbraunen Augen. Sie hat sich wirklich sehr verändert, dachte er. Vermutlich hätte er sie bei einer zufälligen Begegnung zuerst gar nicht erkannt.

Auch die Fotos, die seine Männer geschossen hatten, als Grace den Briefkasten am Ende der Auffahrt geleert hatte, hätte er fast achtlos wieder von seinem Handy gelöscht. Erst auf einer Profilaufnahme hatte er Grace erkannt. Die unverwechselbare Kopfhaltung hatte sie entlarvt. Das war Grace, wenn sie nachdachte, wenn sie vor der Staffelei stand und überlegte, wie sie den ersten Pinselstrich auf die Leinwand bringen sollte. Damals hatte langes blondes Haar Graces bildhübsches Gesicht umrahmt. Eigentlich verabscheute er Kurzhaarfrisuren bei Frauen. Aber bei Grace wirkte dieser freche rote Bubikopf unglaublich sexy.

„Wieso hast du dich überhaupt aus dem Staub gemacht? Nicht einmal eine Nachricht hast du hinterlassen“, raunzte er barsch.

„Ich dachte, das sagt mehr als tausend Worte.“

Da hatte sie natürlich recht. Aber Luca hätte sie bis ans Ende seiner Tage gesucht. Schließlich hatte Grace ihm ewige Liebe und Treue geschworen – bis zum Tod, nicht bis …

Genau das war der Punkt. Bis heute hatte Luca keine Ahnung, warum Grace von einem Tag auf den anderen aus seinem Leben verschwunden war.

Noch immer konnte er kaum fassen, dass er nun keine drei Meter von ihr entfernt stand.

„Nicht einmal deine Kleidung hast du mitgenommen.“ Unter dem Vorwand, einen Spaziergang durch die Weinberge zu machen, hatte sie sich damals einfach aus dem Staub gemacht.

„Selbst deine minderbemittelten Muskelprotze hätten wohl Verdacht geschöpft, wenn ich mit einem großen Koffer durch die Gegend spaziert wäre.“

So sarkastisch kannte er Grace gar nicht.

„Mir war klar, dass du mich irgendwann finden würdest, Luca. Deshalb habe ich mir eine Waffe besorgt. Niemand wird mich zwingen, zu dir zurückzukehren. Ich werde nie wieder einen Fuß auf Sizilien setzen. Wenn du nicht am eigenen Leib spüren willst, wie gut ich mit dieser Waffe hier umgehen kann, dann solltest du jetzt auf der Stelle verschwinden. Und nimm gefälligst die Hände wieder hoch!“

Sprachlos starrte Luca sie an. Was war nur aus der fröhlichen, unbekümmerten Künstlerin geworden, in die er sich Hals über Kopf verliebt hatte? „Was in aller Welt ist denn nur mit dir geschehen, Grace?“, fragte er schließlich ratlos. Diese Frau, die ihn voller Verachtung musterte, konnte doch nicht seine Ehefrau sein, die ihn so unendlich glücklich gemacht hatte!

Mit eisiger Stimme sagte sie: „Du kennst vielleicht das Sprichwort ‚Früh gefreit, nie gereut!‘ Ich kann dir nur sagen, dass ich unsere Heirat noch immer bereue.“

Luca war erschüttert. Wieso hatte sie ihm dann immer wieder versichert, ihn über alles zu lieben? Wir sind füreinander geschaffen, Luca. Diese verliebten Worte klangen ihm noch in den Ohren. Und nun wollte Grace das alles nicht mehr wahrhaben? Übelkeit stieg in ihm auf.

Das hier konnte unmöglich die Frau sein, die er geheiratet hatte!

Am liebsten hätte er auf dem Absatz kehrtgemacht. Doch zuerst musste er wissen, was vor zehn Monaten plötzlich in Grace gefahren war.

„Zum letzten Mal, Luca: Wie hast du mich gefunden?“, stieß sie ungeduldig hervor.

„Durch das Handy deiner Freundin.“

Damit hatte sie nicht gerechnet. „Sprichst du von Cara?“

„Ja.“

„Ich glaube dir kein Wort. Cara würde mich niemals hintergehen.“

„Das hat sie auch nicht getan. Ihr Handy hat dich verraten. Kurz nachdem du mich verlassen hattest, hast du sie auf dem Handy angerufen.“

Grace wurde bleich. „Sie hätte dir niemals ihr Handy überlassen.“

„Stimmt. Ich musste es mir beschaffen. Der Rest war ganz einfach. Sowie ich deine Nummer hatte, konnte ich dich orten.“ Sie musste ja nicht wissen, dass er einen Mitarbeiter ihres Providers bestochen hatte, um Bescheid zu sagen, wenn die Nummer wieder aktiv war. Offensichtlich war das Handy nämlich monatelang ausgeschaltet gewesen. Doch Luca hatte auf ein Wunder gehofft. Genau das war dann tatsächlich geschehen.

„Weiß Cara, was du getan hast?“

„Keine Ahnung.“ Es war ihm auch egal. Weniger egal waren ihm Graces bebende Hände, mit denen sie die Waffe auf ihn gerichtet hielt. „Gib mir das Ding, oder leg es auf den Boden!“

„Nein! Nicht bevor du mein Haus verlassen hast.“

„Darauf kannst du lange warten.“ Beschwörend sah er sie an und kam noch einen Schritt näher.

Sofort wich Grace zurück. „Bleib stehen, Luca!“, rief sie schrill. „Das ist die allerletzte Warnung.“

„Du würdest niemals auf mich schießen.“ Er streckte einen Arm aus und griff nach dem Revolverlauf.

„Verschwinde!“, schrie sie ihn panisch an und erschrak, als plötzlich sein Handy in der Tasche klingelte.

In der nächsten Sekunde krachte ein Schuss.

Luca spürte einen stechenden Schmerz in der Schulter.

Völlig entgeistert starrten Luca und Grace einander an. Dann schluchzte Grace entsetzt auf und ließ den Revolver polternd auf den Steinfußboden fallen.

Sie war kreidebleich geworden und sah schockiert auf seine Schulter. Luca folgte ihrem Blick. Erst jetzt sah er das Blut, nahm den Schmerz wahr, wurde blass. Schockiert zog er das Jackett zur Seite. Das weiße Oberhemd war bereits blutverschmiert. Und noch etwas nahm er wahr: Das Weinen eines Babys.

Grace hat mich angeschossen, dachte er fassungslos.

Lilys Weinen klang wie aus weiter, weiter Ferne. Ich habe Luca angeschossen, dachte Grace entsetzt und schlug die Hände vor den Mund. Es dauerte noch einige Schrecksekunden, bevor sie wieder rational handeln konnte. Mit wenigen Schritten war sie bei ihm. Die Wunde sah grässlich aus.

„Es tut mir unendlich leid“, stammelte sie. „Moment, ich hole was, um die Blutung zu stillen.“ Sie lief zum Schrank, zerrte einen Stapel Geschirrtücher aus dem Weidenkorb und presste sie auf Lucas rechte Schulter, begleitet von Lilys immer lauter werdendem Gebrüll.

Was soll ich nur tun? überlegte Grace verzweifelt.

Vielleicht stand Luca ja so unter Schock, dass er das Weinen gar nicht wahrnahm.

Luca hatte sich an den Küchentisch gesetzt und presste die Tücher auf die Wunde. Wie verletzlich er aussieht, dachte Grace, beugte sich vor und drückte ein weiteres sauberes Tuch auf die anderen.

Luca zuckte vor Schmerz zusammen und umklammerte mit der anderen Hand Graces Handgelenk. „Spinnst du?“

„Ich will doch nur die Blutung stillen“, flüsterte sie.

Luca biss die Zähne zusammen und stieß wütend hervor: „Das schaffe ich schon allein. Kümmere dich lieber um das Baby, das du da oben versteckt hast!“

2. KAPITEL

Lucas wütender Blick ließ Grace das Blut in den Adern gefrieren. Doch dann riss sie sich zusammen und richtete sich auf. „Bist du okay?“, fragte sie besorgt. Der Griff um ihr Handgelenk verstärkte sich.

„Ich komm schon klar, bella.“

„Dann lass mich los!“

Einem ferngesteuerten Roboter gleich zog er ruckartig die Hand zurück.

Leicht benommen stieg Grace die Treppe hinauf und betrat das Schlafzimmer, das sie sich mit ihrer drei Monate alten Tochter teilte.

Die Arme weit von sich gestreckt, lag Lily in ihrem Stubenwagen auf dem Rücken und strampelte heftig. Ihr niedliches Gesicht war krebsrot vom Weinen.

Schuldbewusst hob Grace das Baby hoch und drückte es zärtlich an sich, bevor sie begann, Lily beruhigend in den Armen zu wiegen. „Es tut mir so leid, meine kleine Lily. Deine Mummy hat etwas ganz Schreckliches getan.“

Erst jetzt wurde ihr schlagartig das ganze Ausmaß ihrer unüberlegten Handlung bewusst. Sie hatte einen Menschen angeschossen! Noch dazu den Mann, den sie einmal geliebt hatte – und der nun wusste, dass sie Mutter geworden war.

Als sie Lilys ganz eigenen Duft einatmete, beruhigte Grace sich langsam wieder. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren. Sonst geriet ihr Leben womöglich vollends außer Kontrolle. Falls das nicht schon passiert war.

Sie durfte sich nichts vormachen. Luca würde wohl kaum tatenlos darüber hinweggehen, dass sie ihn angeschossen und ihm die Existenz seines Kindes verheimlicht hatte.

Dabei wäre ihr schöner Plan fast aufgegangen!

Die Waffe hatte sie sich erst vor zwei Monaten besorgt, als sie vor Sorge, Lucas Männer könnten sie aufspüren und ihr das Baby wegnehmen, nicht mehr schlafen konnte. Sie hatte ja mit eigenen Augen ansehen müssen, wozu ihr Ehemann imstande war.

Natürlich wusste sie, dass sie wegen illegalen Waffenbesitzes ins Gefängnis wandern konnte. Trotzdem hatte sie den Sohn ihres Vermieters gebeten, ihr einen Revolver zu besorgen. Eine der zwielichtigen Gestalten, mit denen der Junge verkehrte, hatte das Ding beschafft. Danach hatte Grace wieder ruhig schlafen können. Jedenfalls manchmal.

Lucas Männer waren immer bewaffnet und schreckten vor nichts zurück. Allerdings waren sie auch nicht die Hellsten. Bei ihrer Flucht aus Italien hatte sie die Muskelprotze schon einmal ausgetrickst. Warum sollte ihr das nicht ein zweites Mal gelingen? Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass Luca höchstpersönlich hier auftauchen würde. Sie hatte ihn sich immer vorgestellt wie einen König, der hinter dem sicheren Gemäuer seiner Burg wartet, bis seine Schergen ihm die flüchtige Königin zurückbringen … Die dann bis ans Ende ihrer Tage im Turmzimmer eingesperrt wird.

Doch nun war Luca hier. Und er würde sich nicht so leicht austricksen lassen wie seine Lakaien.

Warum hatte sie nicht auf ihren sechsten Sinn gehört? Seit Wochen spürte Grace, dass es höchste Zeit für einen Ortswechsel war.

Jetzt war es zu spät. Sie war gefangen.

Lily hatte endlich aufgehört zu weinen und schaute ihre Mummy vertrauensvoll an.

Erneut fiel Grace das Versprechen ein, das sie ihrer kleinen Tochter gegeben hatte: Sie würde Lily niemals in die Hände ihres verbrecherischen Vaters fallen lassen.

Eine gute Stunde vertrödelte sie damit, sich umzuziehen, Lilys Windeln zu wechseln und sich mit ihr zu beschäftigen, bis die Kleine vor Hunger ungnädig wurde. Dann war Grace gezwungen, mit Lily nach unten zu gehen und in der Küche ein Fläschchen zu bereiten.

Luca saß mit nacktem Oberkörper am Tisch und musterte sie vorwurfsvoll. „Du hast dir aber lange Zeit gelassen.“

Ein untersetzter Mann versorgte die Schusswunde. Das ist ja Giancarlo Brescia, der Arzt, dachte Grace verdutzt. Dann fiel ihr wieder ein, was für ein Sicherheitsfanatiker Luca war. Er hatte sich auch früher oft von einem Arzt auf Reisen begleiten lassen.

Verstört wandte Grace sich ab. Der Anblick des blutverschmierten nackten Oberkörpers setzte ihr zu. Wie oft hatte sie nach einem erregenden Liebesspiel erschöpft, aber überglücklich an Lucas Brust geruht. Und nun das! Was hatte sie nur angerichtet?

„Ach, Grace?“

Zögernd sah sie auf. „Ja?“

„Untersteh dich, je wieder vor mir fortzulaufen!“, stieß Luca in schneidendem Tonfall hervor. „Ich lasse mir doch nicht mein Kind vorenthalten.“

„Woher willst du wissen, dass sie deine Tochter ist?“

Ein wilder Blick huschte über Lucas Gesicht. Doch da der Arzt ihm gerade eine Spritze gab, musste Luca gezwungenermaßen stillhalten. „Glaubst du wirklich, ich würde mein eigen Fleisch und Blut nicht erkennen?“

Wortlos zuckte Grace die Schultern, ging zum Kühlschrank und holte ein vorbereitetes Fläschchen für Lily heraus, während sie aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie der Arzt die Fleischwunde zunähte, nachdem er die Kugel aus dem Oberarm entfernt hatte.

„Nur ein Steckschuss. Keine bleibenden Schäden“, erklärte Luca, der ihren Blick bemerkt hatte und biss die Zähne zusammen.

„Gut.“ Grace unterdrückte Schuldgefühle und aufsteigende Übelkeit. Ich muss jetzt stark sein, ermahnte sie sich. Konzentriert platzierte sie das Fläschchen in der Mikrowelle, stellte die Zeit ein und wartete.

„Lily ist nicht von dir.“

Diese ungeheuerliche Lüge nahm Grace fast den Atem. Und dann auch noch das Gefühl von Lucas bohrendem Blick im Rücken! Grace erschauderte.

Die Mikrowelle meldete sich. Grace fuhr zusammen. War dieser Klingelton immer so durchdringend? Sie nahm die Flasche heraus und schüttelte sie.

Das Baby wimmerte hungrig.

„Ist ja gut, Lily. Du bekommst dein Fläschchen gleich. Mummy muss es erst schütteln und die Temperatur prüfen.“ Die Spannung im Raum wurde langsam unerträglich. Grace riskierte einen Blick über die Schulter. Lucas Miene spiegelte Wut und Verachtung wider.

Der Arzt hatte die Wunde genäht und entfernte nun das Blut von Lucas Schulter.

Erneut kämpfte Grace mit aufsteigender Übelkeit und atmete tief durch.

„Macht sich dein schlechtes Gewissen bemerkbar?“ Luca grinste schadenfroh.

„Nein.“ Entschlossen wandte Grace sich ab, bevor er ihre verräterisch glühenden Wangen entdeckte.

„Das sollte es aber“, beharrte Luca.

„Das sagt der Richtige.“ Wütend schüttelte sie noch einmal die Flasche. „Ich gehe jetzt ins Wohnzimmer, um meine Tochter zu füttern. Mach bitte die Haustür hinter dir zu, wenn du gehst.“ Ohne seine Reaktion abzuwarten, verließ Grace die Küche, schaltete im Wohnzimmer den Fernseher an und setzte sich mit Lily aufs durchgesessene Sofa.

Seit Lilys Geburt saß Grace zu jeder Tages- und Nachtzeit vor dem Gerät. Je primitiver das Programm, desto besser. Für anspruchsvolle Sendungen fehlte ihr das Konzentrationsvermögen.

Wie gebannt starrte Grace auf den Bildschirm. Um diese Zeit liefen Doku-Soaps über Familiendramen. Sehr passend! Eigentlich passe ich auch ins Schema, dachte Grace. Immerhin hatte sie gerade ihren Ehemann angeschossen. In einer dieser Fernsehserien würde sie jetzt wortreich versuchen, ihre Tat zu rechtfertigen. Eigentlich hätte Grace eine ganze Menge zu rechtfertigen! Sie hatte viel zu lange weggesehen.

Aber die Liebe hatte sie blind gemacht. Oder war es nur Lust gewesen? Vermutlich eine Mischung aus Lust und Liebe. Jedenfalls hatte Luca sich in ihrem Herzen eingenistet …

Wie naiv sie gewesen war! Nach Abschluss ihres Studiums an der Kunsthochschule war sie mit ihrer besten Freundin Cara auf eine Bildungsreise durch Europa gegangen, um die architektonischen Wunder des Kontinents zu bestaunen.

Sizilien hatte sie sofort verzaubert. Grace hatte sich auf den ersten Blick in die Insel und deren gesellige Einwohner verliebt. Siziliens zwielichtige Geschichte hatte sogar noch zu der romantischen Verklärung beigetragen.

Die Frischluftfanatikerin Cara hatte Grace zu einer Bergwanderung nahe Palermo überredet. Der Weg führte wohl an dem längsten Zaun der Welt entlang, wie die beiden Freundinnen scherzhaft vermuteten. Auf dem schönsten Weingut Europas waren offensichtlich keine Besucher erwünscht. So schien es zumindest. Doch dann fand sich eine Lücke in der Einfriedung, durch die Grace und Cara neugierig schlüpften. Schon bald fanden sie sich auf einer Bergalm mit atemberaubendem Panorama wieder. Cara wollte es unbedingt malen. Also ließen sie sich auf der Wiese nieder, bedienten sich aus dem mitgebrachten Picknickkorb und versuchten, jede auf ihre Weise, die herrliche Aussicht auf Leinwand und Papier zu bannen.

Grace war gerade bei ihrer ersten Bleistiftskizze, als ein schwarzer Jeep mit quietschenden Bremsen neben ihnen anhielt.

So hatte sie Luca kennengelernt.

Schwarz gekleidet, mit einem Gewehr in der Hand, war er näher gekommen. Seltsamerweise empfand Grace keine Angst – im Gegensatz zu Cara. Grace hingegen war fasziniert. Sie redete sich ein, bei den Dreharbeiten zu einem Vampirfilm mitzuwirken. Der Vampir war gekommen, um sie auf seine Burg zu locken.

Rückblickend war ihr schleierhaft, wie gelassen sie damals auf den bewaffneten Mann reagiert hatte. In ihrer romantischen Verklärung war es ihr völlig normal erschienen, dass jeder Sizilianer eine Waffe bei sich trug.

Unwillkürlich kamen ihr jetzt die Tränen. Sie zog sie hoch. Das Geräusch erschreckte Lily, die hungrig am Sauger nuckelte. Die süße kleine Maus ahnte ja nicht, dass ihr Leben sich jetzt schlagartig ändern würde …

Schritte auf dem Flur und die ins Schloss fallende Haustür erregten Graces Aufmerksamkeit. Instinktiv umklammerte sie das Baby fester. Eher würde sie sterben, als von Lily getrennt zu werden!

Intuitiv wusste sie, dass nicht Luca das Haus verlassen hatte. Tatsächlich schlenderte er im nächsten Moment ins Wohnzimmer, als wäre es sein eigenes. Die Wunde war inzwischen fachmännisch verbunden, und Luca trug den verletzten Arm in einer Schlinge. Als erste Amtshandlung wurde der Fernseher ausgeschaltet.

„Was fällt dir ein? Ich will mir das ansehen“, protestierte Grace sofort.

Luca verzog keine Miene, griff wortlos in seine Hosentasche und schwenkte im nächsten Augenblick zwei Reisepässe.

Grace erstarrte vor Schreck.

Zufrieden steckte Luca die Pässe wieder ein. „Lily Elizabeth Mastrangelo. Laut Geburtsdatum ist sie zwölf Wochen alt“, verkündete er mit monotoner Stimme.

„Was fällt dir ein, meine Handtasche zu durchwühlen?“, fragte Grace entrüstet, als sie sich von ihrem Schreck erholt hatte. Zu dumm, dass sie nicht schon vor Wochen einen weiteren Ortswechsel vollzogen hatte. Fit genug wäre sie gewesen, doch eine unerklärliche Lethargie hatte sie davon abgehalten.

Wütend funkelte Luca sie an. „Was fällt dir ein, mir mein Kind vorzuenthalten?“

Grace dachte nicht daran, es ihm so leicht zu machen. Mit dem Mut der Verzweiflung schleuderte sie ihm entgegen: „Sie ist nicht von dir. Aber ich musste dich als Vater angeben, weil wir noch verheiratet sind.“

„Natürlich ist sie meine Tochter!“

Wie gern hätte sie ihm den Ausdruck arroganter Gewissheit aus dem Gesicht gefegt!

„Ich bin mir dessen so sicher, weil du überhaupt keine Gelegenheit zu einer Affäre hattest. Außerdem hast du mich geliebt. Unser Sexleben war unbeschreiblich gut.“

Grace wurde es heiß, als sie unwillkürlich an die erregenden Liebesspiele mit Luca denken musste. Doch sie blieb hartnäckig bei ihrer Behauptung. „Ja, ich habe dich mal geliebt. Aber das ist vorbei. Lily ist nicht von dir.“

In Wahrheit hatten die Ereignisse der vergangenen zehn Monate Grace nicht nur das Herz gebrochen, sondern ihr auch jede Lust auf Sex genommen.

Luca kam näher und ging vor ihr in die Hocke. Dabei verzog er kurz das Gesicht vor Schmerz. Grace wusste genau, wie sehr der sonst so vitale, energiegeladene Luca es hassen musste, nicht hundertprozentig fit zu sein.

„Bella, raunte er mit verdächtig einschmeichelnder Stimme. „Die Kleine hat das Haar der Mastrangelos. Außerdem musst du während unserer Ehe schwanger geworden sein. Zufälligerweise bin ich mir ganz sicher, dass du mich damals nicht betrogen hast.“

Grace fing seinen Blick auf. Wie dumm von ihr, sich einzubilden, sie könnte diesem arroganten, selbstherrlichen Mann etwas vormachen! Außerdem hatte sie einen großen Fehler gemacht, als sie auf dem Standesamt Luca als Lilys Vater angegeben hatte.

„Es ist schwierig, heimlich eine Affäre zu haben, wenn dein Mann durch die Manipulation deines Handys stets genauestens über deinen Aufenthaltsort informiert ist und dich außerdem rund um die Uhr von zwei Leibwächtern beschatten lässt“, zischte sie wütend.

Lily hatte das Fläschchen ausgetrunken und sah erstaunt zu ihrer aufgebrachten Mutter auf.

Luca presste die Lippen zusammen und lehnte sich vor. „Du gibst also zu, dass sie meine Tochter ist und du mir ihre Existenz vorsätzlich verheimlicht hast?“

Sie zwang sich zur Ruhe, um das Baby nicht aufzuregen, bedachte Luca jedoch gleichzeitig mit einem vernichtenden Blick. „Ja, ich habe sie vor dir versteckt, und ich würde es wieder tun. Lily verdient etwas Besseres als dieses Monster, das sie gezeugt hat. Du bist lediglich der Samenspender, aber ich bin ihre Mutter. Sie braucht dich nicht. Ebenso wenig wie ich.“

Die abgrundtiefe Verachtung in Graces Blick verletzte Luca zutiefst. Für ihn hatte sofort festgestanden, dass Lily seine Tochter war. Er hegte nicht einmal den leisesten Zweifel. Woher er diese Gewissheit nahm, wusste er selbst nicht. Lily war seine Tochter.

Ich bin Vater geworden!

Statt erleichtert zu sein, weil seine verabscheuungswürdige Frau ihm nun doch die Wahrheit gesagt hatte, spürte Luca heiße Wut in sich aufsteigen, die er nur mit großer Mühe im Zaum halten konnte. Niemals hätte er Grace so viel Gemeinheit zugetraut. Nicht dieser Frau, die auch im schlechtesten Menschen noch einen guten Kern entdeckte.

Doch nun sah sie ihn an, als wäre er der Teufel persönlich.

Ihm wurde ganz seltsam zumute, als sie sich jetzt das Baby behutsam über die Schulter legte und ihm den Rücken rieb. Wie zärtlich und liebevoll ihre Gesten waren!

Die Schmerzen in seiner eigenen Schulter waren schier unerträglich. Sobald er mit Grace und Lily im Flugzeug saß, würde er die Schmerztabletten nehmen, die Giancarlo ihm gegeben hatte. Bis dahin musste er seine fünf Sinne behalten. Er traute seiner Frau nicht über den Weg. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würde sie versuchen, mit dem Baby zu entkommen.

Luca konnte Graces Anblick nicht länger ertragen, also erhob er sich wieder und wandte sich ab. „Du hast genau dreißig Minuten“, presste er hervor.

„Wofür?“ Geistesabwesend steckte sie die Nase in Lilys dichtes schwarzes Haar.

„Um zu packen.“

„Wozu? Lily und ich bleiben hier.“

„Ach ja?“, fragte er sarkastisch und begann, hin und her zu tigern. Seine Beine fühlten sich an wie Blei. Irgendwie war es Grace gelungen, allerlei Fitnessgeräte in dem kleinen Zimmer unterzubringen. Kein Wunder, dass sie so schnell nach der Schwangerschaft schon wieder ihre alte schlanke Figur vorweisen konnte. Dabei hatte sie irgendwann mal behauptet, allergisch gegen Sport zu sein. Luca blieb stehen. „Ich fürchte, du hast keine Wahl.“

„Man hat immer eine Wahl, Luca.“

Er bedachte sie mit einem hasserfüllten Blick. „Möglich, aber in exakt dreißig Minuten verlassen wir alle gemeinsam dieses Haus und kehren zurück nach Sizilien.“

Luca atmete tief ein. Was für ein Tag! Innerhalb einer Stunde war er angeschossen worden – von seiner eigenen Frau! – und hatte erfahren, dass er Vater geworden war. Wie durchscheinend Lilys Lider waren. Und diese dichten schwarzen Wimpern der Mastrangelos …

Erinnerungen aus seiner frühesten Kindheit schossen ihm durch den Kopf. Drei Jahre alt war er gewesen, als er eines Tages aufwachte, und seine Eltern fort waren. Sein Lieblingskindermädchen Bettina hatte ihm aufgeregt berichtet, dass seine Mutter in der Klinik war, um ein Geschwisterchen für ihn auf die Welt zu bringen. Er erinnerte sich noch genau, wie sehr er sich darauf gefreut hatte. Noch größer war die Freude gewesen, als seine Eltern mit dem Baby nach Hause gekommen waren. Seine Mutter blass, aber sehr glücklich, sein Vater voller Stolz auf den zweiten Sohn. Sie hatten Luca aufgefordert, sich aufs Sofa zu setzen, hatten behutsam Pepe in seine Arme gelegt und dann ein Foto der kleinen Brüder gemacht. Luca wäre fast geplatzt vor Freude.

Lily sah Pepe zum Verwechseln ähnlich.

Sie ist meine Tochter, dachte Luca verzückt.

Und Grace hatte sie ihm vorenthalten.

Er warf ihr einen schnellen Blick zu und bemerkte die dunklen Schatten unter den Augen. Geschieht ihr recht, dass Schuldgefühle ihr den Schlaf geraubt haben, dachte er verbittert.

„Fragt sich, wer von uns beiden das Monster ist“, sagte er leise, um das schlafende Baby nicht zu wecken. „Wer hat sich denn ohne Abschiedsbrief aus dem Staub gemacht und beschlossen, das Kind wäre ohne seinen Vater besser dran?“

Ungerührt musterte sie ihn. „Ganz genau so würde ich es wieder tun.“

Sie ist sich keiner Schuld bewusst, dachte Luca empört. Zu gern hätte er sie dafür büßen lassen und ihr jeglichen Umgang mit Lily verboten. Insbesondere nachdem Grace ihn angeschossen hatte, würde kein Gericht der Welt ihr nun noch das alleinige Sorgerecht für Lily zusprechen. Doch das wollte er seiner Tochter nicht antun. Luca hatte immer beide Eltern gleichermaßen geliebt. Aber wenn er Trost brauchte, hatte er sich immer zu seiner Mutter geflüchtet. Wenn sie ihn liebevoll in den Arm genommen hatte, war der Schmerz sofort vergessen gewesen.

Grace liebte Lily. Und Lily liebte Grace. Das Band zwischen Mutter und Tochter war schon jetzt sehr stark. Niemals würde Luca es übers Herz bringen, dieses Band zu zerschneiden. Jedes Kind brauchte seine Mutter. Es würde ihm nicht im Traum einfallen, Lily für die Taten ihrer Mutter zu bestrafen.

Ihm würde schon eine passende Strafe für Grace einfallen. Um nicht so laut sprechen zu müssen, rückte er noch dichter an Grace. Als sie fast unmerklich zusammenzuckte, freute er sich. Sie sollte ruhig Angst vor ihm haben. Er wollte, dass Grace den Tag verfluchte, an dem sie auf Sizilien gelandet war.

„Du wirst nie wieder Gelegenheit haben, mir Lily zu entziehen“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Sie gehört zu ihrer Familie in Sizilien. Sei froh, dass ich weiß, wie sehr ein Kind seine Mutter braucht. Sonst würde ich jetzt auf Nimmerwiedersehen mit Lily verschwinden.“

Entsetzt kniff Grace die Augen zu, presste die Lippen zusammen und hielt den Atem an. Lucas heißer Atem an ihrem Ohr entfesselte Gefühle in ihr, die sie für immer verloren geglaubt hatte. Das durfte doch nicht wahr sein!

Schließlich musste sie wieder atmen und sog tief die Luft ein. Dabei fiel ihr auf, dass Luca ein anderes Eau de Cologne verwendete. Seltsam, er hatte seinen Duft bisher nie gewechselt. Auf die Idee würde er gar nicht kommen.

Schnell verdrängte Grace mögliche Erklärungen und konzentrierte sich wieder auf Lucas Worte und seinen gemeinen Tonfall.

„Okay, du hast die Wahl, bella. Ich will nur meine Tochter. Ihr Wohlergehen ist mir sehr wichtig. Du kannst also allein in diesem schäbigen Cottage bleiben, oder du kehrst mit Lily und mir zurück nach Sizilien – als Familie.“

„Ich weigere mich, je wieder zu deiner Familie zu gehören“, stieß sie aufgebracht hervor. „Und ich werde nie wieder das Bett mit dir teilen.“

Luca lachte zynisch. „Du hast mein Kind geboren. Das genügt mir. Wozu sollte ich je wieder mit dir schlafen? Ich nehme mir eine Geliebte. Und du spielst die gehorsame sizilianische Ehefrau und kümmerst dich um unsere Tochter. Mehr erwarte ich nicht von dir. Aber die Entscheidung liegt bei dir. Du kannst dich auch jetzt von Lily verabschieden.“

„Ich hasse dich.“

Wieder lachte er zynisch. „Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich dich hasse. Du hast mir mein Kind entzogen. Du weißt ja, dass ich niemandem verzeihe, der sich gegen mich gestellt hat. Aber ich bin nicht grausam, deshalb biete ich dir an, mit nach Sizilien zu kommen, statt dich allein in dieser armseligen Hütte zurück zu lassen. Solltest du dich entscheiden, hierzubleiben, wirst du deine Tochter allerdings niemals wiedersehen. Wenn du mitkommst, musst du dich wie eine gute sizilianische Ehefrau benehmen. Falls nicht, werde ich dich höchstpersönlich vor die Tür setzen und …“

„… du siehst Lily nie wieder. Danke, Luca, ich habe verstanden.“

Lächelnd nickte Luca. „Sehr gut. Und – welche Wahl triffst du?“

3. KAPITEL

Es schnürte Grace die Kehle zu, wieder durch das imposante, elektrisch betriebene Tor hindurch auf das Anwesen der Mastrangelos zu fahren. Zwei bewaffnete Torposten nickten ihnen respektvoll zu, als sie im gepanzerten Jeep passierten.

Die Fahrt führte durch Weinhänge und Olivenhaine, eine sizilianische Traumlandschaft, die bittersüße Erinnerungen in Grace weckte. Die Sonne schien noch vom makellos blauen Himmel, müsste aber bald untergehen, wie Grace nach einem schnellen Blick auf die Armbanduhr vorauszusagen wagte. Den Wintermantel, der sie in Cornwall gewärmt hatte und der jetzt auf ihrem Schoß lag, würde sie hier nicht brauchen. Ein Wollpullover genügte völlig.

Geistesabwesend schaute sie aus dem Fenster. Noch immer konnte sie es nicht fassen, dass ihr verdammtes Handy sie verraten hatte. Natürlich war auch der heftige Wintereinbruch in Cornwall schuld. Wäre die Fahrt auf den eisglatten Straßen nicht so gefährlich gewesen, hätte sie das Handy gar nicht aktiviert, als sie Lily zur Impfung zum Kinderarzt gebracht hatte. Aber wie hätte sie ahnen sollen, was sie damit anrichtete. Gleich nach der Rückfahrt hatte sie das Telefon wieder ausgeschaltet, als sie und Lily wieder sicher im Cottage gelandet waren. Verdammt, sie hätte das blöde Ding schon vor Monaten entsorgen sollen! Am besten gleich nachdem sie sich damit bei ihrer Mutter und bei Cara gemeldet hatte, um den beiden zu versichern, es wäre alles in Ordnung. Das war in Amsterdam gewesen, als sie auf einen Flug nach Portugal wartete. Um ihre Spuren zu verwischen, hatte sie nach ihrer Ankunft in Portugal sofort einen Wagen gemietet und war weiter nach Spanien gefahren. Alles vergebens! Luca hatte sie schließlich doch aufgespürt.

Grace schaute ihn nachdenklich an. Reglos saß er auf dem Beifahrersitz. Eingeschlafen war er wohl nicht, aber er nutzte jede Gelegenheit zum „Powernapping“. Tiefenentspannt war er jedoch nur zu Hause.

Grace sah wieder aus dem Fenster. Warum hatte sie nicht auf ihre innere Stimme gehört? Statt einen weiteren Monat in Cornwall zu verbringen, hätte sie mit Lily auf eine einsame griechische Insel fliegen sollen. Wozu die intensive Beschäftigung mit Hintergrundinformation über Verbrecher und deren Methoden, wenn sie das Ergebnis der Analyse unbeachtet ließ und in Cornwall praktisch auf dem Präsentierteller sitzen blieb, bis sie entdeckt wurde? Ich könnte mich ohrfeigen, dachte Grace wütend.

Ihr war von Anfang an klar gewesen, dass Luca sie und Lily umgehend nach Sizilien bringen würde, nachdem er sie aufgespürt hatte. Genau das war jetzt geschehen. Die Frage war nur, warum sie es so weit hatte kommen lassen …

Nach weiteren fünf Kilometern erreichten sie ein noch größeres schmiedeeisernes Tor. Links und rechts davon befand sich jeweils ein Torhaus, in dem die Wachen Posten bezogen hatten und auf Bildschirmen verfolgen konnten, wer sich näherte. Die beiden Rechner waren mit dem großen Überwachungsraum verbunden, der sich in einem der Personalhäuser auf dem weitläufigen Anwesen befand. Gelangte ein Eindringling in den Bereich dieser Sicherheitszone, wurde ein automatischer Alarm ausgelöst. Während Grace hier gelebt hatte, war der Alarm einige Male ausgelöst worden, allerdings immer nur durch Tiere.

Paolo, der Chef der Sicherheitstruppe, verließ seinen Posten im linken Torhaus, um Luca zu begrüßen. Als er Grace auf dem Rücksitz entdeckte, nickte er ihr höflich zu, bevor er wieder Posten bezog.

Grace war sehr erleichtert, Paolo hier zu sehen. Sie hatte befürchtet, er wäre nach ihrer Flucht sofort entlassen worden, weil er sie nicht verhindert hatte.

Sie beugte sich zu Luca vor. „Danke, dass du Paolo nicht gefeuert hast“, sagte sie leise.

Er wandte sich zu ihr um. „Dafür, dass er dich nicht daran gehindert hat, vom Anwesen zu tänzeln, meinst du? Dafür kann ich ihm nun wirklich keine Schuld geben.“

„Getänzelt?“ Sie lachte ironisch. „Ich bin ganz normal gegangen.“ Kilometer um Kilometer hatte sie an Weinhängen und Feldern vorbei zurückgelegt, bevor sie die Wiese gefunden hatte, nach der sie Ausschau gehalten hatte. Es war dieselbe Wiese, auf die sie damals mit Cara gelangt war. Dort hatte sie Luca kennengelernt. Das Loch im Zaun war natürlich längst beseitigt, sodass sie diesmal über den Zaun klettern musste.

Damals hatte sie das Gefühl gehabt, als schließe sich an der Stelle der Kreis.

„Ich habe mir die Videoaufzeichnungen angesehen“, erzählte Luca. „Es wirkte, als würdest du einen Abendspaziergang machen. Niemand hätte vermutet, du wärst auf der Flucht. Mein Kompliment, bella, an dir ist eine Schauspielerin verlorengegangen.“

Vielleicht. Aber die zur Schau gestellte Gelassenheit hatte keineswegs ihrer inneren Anspannung entsprochen. Sobald Grace damals das Anwesen der Mastrangelos mit den allgegenwärtigen Überwachungskameras hinter sich gelassen hatte, entledigte sie sich zuerst des Handys, das so manipuliert worden war, dass Luca stets wusste, wo seine Frau sich gerade aufhielt, und dann rannte sie, so schnell sie konnte, zur nächsten Ortschaft. In Lebbrossi nahm sie ein Taxi nach Palermo und von da aus die erste Maschine. Zufälligerweise war der Flug nach Deutschland gegangen …

Grace blickte wieder aus dem Fenster. Der Geländewagen war rechts abgebogen und fuhr nun direkt auf das rosafarbene Sandsteingebäude zu. In der Abendsonne wirkte die Farbe des umgebauten Klosters noch intensiver.

Durch einen Torbogen hindurch ging es auf den Innenhof des imposanten Gebäudes.

Kaum war der Wagen vor dem Gebäude zum Stehen gekommen, da öffnete sich auch schon die schwere Eichentür und eine zierliche Dame mit rabenschwarzem Haar kam heraus.

Donatella – Lucas Mutter.

Bisher war sie ihrer Schwiegertochter distanziert, aber höflich begegnet. Richtig wohl hatte Grace sich in ihrer Nähe nie gefühlt, weil sie spürte, dass Donatella wohl lieber eine sizilianische Frau für ihren Sohn gesehen hätte, die sich mit den hiesigen Traditionen und Werten auskannte. Luca hatte Grace geschworen, sie wäre genau so, wie er sich seine Frau immer erträumt hatte. Dass er sie liebte, so wie sie war. Nun bestand er jedoch darauf, dass sie sich ab sofort wie eine traditionelle sizilianische Ehefrau verhielt.

Grace hatte keine Ahnung, wie ihre Schwiegermutter sie nun empfangen würde – mit offenen Armen sicher nicht.

Nervös sah sie der elegant mit Rock, Bluse und Schal bekleideten Dame entgegen.

Luca löste seinen Sicherheitsgurt, wandte sich um und zischte Grace zu: „Denk daran, die Rolle der sizilianischen Ehefrau zu spielen, bella!“

Grace biss die Zähne zusammen und warf ihm einen wütenden Blick zu.

Luca blähte die Nüstern, drehte sich abrupt wieder um und stieg aus.

Wenn sie nicht gehorchte, würde er sie davonjagen und Grace würde ihre kleine Lily niemals wiedersehen. Das war ihr klar. Hier auf Sizilien war Luca das Gesetz.

Grace atmete tief durch und versuchte, den Wagenschlag aufzustoßen. Vergeblich, denn die Kindersicherung war aktiviert. Also lehnte Grace sich mit verschränkten Armen wieder zurück und wartete ab, während Luca sich draußen mit seiner Mutter unterhielt. Beide warfen ständig Blicke auf den Geländewagen. Natürlich dachte Grace sich ihren Teil und vergewisserte sich, dass Lily im Babysitz neben ihr noch fest schlief. Ihr kleiner Liebling musste ja völlig erschöpft sein, denn während des Fluges hatte Lily der Druck auf den Ohren so zu schaffen gemacht, dass sie die ganze Zeit geweint hatte. Vor lauter Mitleid hatte Grace die Tränen kaum zurückhalten können. Und nun war sie wieder den Tränen nahe, als sie sich bewusst machte, dass sie hier die kommenden achtzehn Jahre gefangen sein würde. Es sei denn, ihr gelänge die Flucht mit Lily.

„Mir fällt schon was ein, mein kleiner Liebling“, flüsterte sie und streichelte behutsam die Händchen ihrer Tochter. „Wir verschwinden und verstecken uns in einem Land, in dem uns niemand findet.“ Vielleicht in der Mongolei?

Luca hatte das Gespräch mit seiner Mutter beendet, kam zurück, öffnete Graces Wagenschlag, ging um den Wagen herum und öffnete auch die Tür auf Lilys Seite.

„Ich nehme sie“, sagte Grace und löste den Sicherheitsgurt.

„Nein, das mache ich.“ Luca musterte sie kühl.

„Aber du kannst nur einen Arm benutzen.“

„Es geht schon.“ Luca hatte den Babysitz bereits in der Hand, bevor Grace auch nur ausgestiegen war. Mit wenigen Schritten war er bei seiner Mutter, die sich beim Anblick ihrer Enkelin entzückt die Hände an die Wangen presste.

Tatenlos musste Grace zusehen, wie Donatella nach dem Babysitz griff und mit ihrer Enkelin im Haus verschwand.

Luca blieb auf der obersten Stufe stehen und blickte Grace gelassen entgegen. „Kommst du mit herein, oder willst du den Abend draußen vor der Tür verbringen?“

„Ich komme ja schon.“ Frustriert umklammerte sie Lilys Reisetasche und betrat zum ersten Mal seit zehn Monaten wieder das imposante Haus. Es kam ihr vor, als wäre seitdem eine halbe Ewigkeit vergangen.

Sie folgte Luca durch den breiten Korridor, auf dessen roten Steinfliesen ihre Stiefel knirschten.

Kurz vor der Tür zum Wohnzimmer blieb Luca abrupt stehen, atmete tief durch und richtete den Blick auf die hohe Decke. „Ich habe noch einige Sachen zu erledigen“, stieß er angespannt hervor und ließ Grace einfach stehen.

Fast hätte sie ihn gebeten, bei ihr zu bleiben. Doch die Blöße wollte sie sich dann doch nicht geben. Also riss sie sich zusammen und betrat die Höhle des Löwen.

Hier war alles unverändert. Jedes Gemälde hing an seinem Platz, die Möbel schienen unverrückt zu sein, auch die Dekorationsgegenstände waren offensichtlich dieselben. Alles war wie immer, als wäre die Zeit stehengeblieben.

Das war natürlich nicht der Fall. Grace hatte in diesen zehn Monaten so viel erlebt, wie andere Menschen in zehn Jahren.

Als sie dieses Zimmer zum ersten Mal betreten hatte, war sie frisch verliebt und im siebten Himmel gewesen. Damals wäre sie niemals auf die Idee gekommen, dass sie in diesem schönen Haus mal das Gefühl haben würde, keine Luft mehr zu bekommen. Wie hätte sie denn ahnen sollen, dass der Mann, den sie liebte und heiraten würde, sich innerhalb kürzester Zeit so drastisch verändern würde? Und dass der Revolver, den er stets bei sich trug, gar nicht dem Selbstschutz diente, wie sie vermutet hatte.

Praktisch war sie jetzt Lucas Gefangene.

Donatella hatte Lily auf den Arm genommen und lächelte verzückt vor sich hin. Das Baby sah sie mit großen dunkelblauen Augen an.

„Sie ist wunderschön“, sagte Donatella, als Grace näher kam.

„Danke.“

„Lily ist ein sehr hübscher Name.“

„Danke.“ Grace wusste nicht, was sie sonst sagen sollte. Wie hatte Luca seiner Mutter die plötzliche Rückkehr seiner Ehefrau erklärt? Noch dazu mit Kind?

„Es ist schon spät. Ich muss Lily ein Fläschchen geben und sie ins Bett bringen“, sagte Grace schließlich, um Donatellas Verhör gleich einen Riegel vorzuschieben.

„Bitte lass mir mein erstes Enkelkind doch noch eine Weile, Grace“, bat ihre Schwiegermutter. „Ich habe ja gerade erst erfahren, dass ich Großmutter geworden bin.“

Schuldbewusst senkte Grace den Blick. Dann nickte sie widerstrebend. „Okay. Dann gehe ich jetzt nach oben, um unsere Sachen auszupacken und hole Lily anschließend ab.“

„Das klingt perfekt.“ Donatella schenkte ihr ein dankbares Lächeln.

Also machte Grace sich auf den Weg zum ersten Stock, wo sie mit Luca früher einen Flügel des ehemaligen Klosters bewohnt hatte. Zögernd öffnete sie die Tür zum ehemals gemeinsamen Schlafzimmer und blieb wie erstarrt stehen. Nur einen einzigen Gegenstand erkannte sie wieder: das große Familienporträt der Mastrangelos, das bei Lucas Abitur aufgenommen worden war. Mit stolzgeschwellter Brust schaute Pietro, das Oberhaupt der Familie, seinen Ältesten an, der ernst dreinblickte. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte man das amüsierte Blitzen in Lucas Augen. Sein jüngerer Bruder Pepe grinste frech. Dem Jungen saß der Schalk im Nacken. Natürlich durfte auch die elegante Donatella nicht fehlen, die stets wie aus dem Ei gepellt aussah. Es war die letzte Aufnahme der glücklichen Familie, denn zwei Monate später hatte Pietro einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. Seitdem war Luca das Familienoberhaupt, nunmehr seit sechzehn Jahren.

Wie in Trance ließ Grace den Blick durch das große Zimmer gleiten. Die Wandmalerei, mit der sie sich so viel Mühe gegeben hatte, um eine erotische Waldszene mit fröhlichen Putti und hingebungsvollen Liebespaaren zu kreieren war einfach übergetüncht worden! Wie viel Zeit und Liebe hatte sie in ihr Kunstwerk investiert, auf das sie so stolz gewesen war. Die Tränen, die sie den ganzen Tag lang zurückgehalten hatte, brachen sich nun doch Bahn.

„Du wirkst schockiert.“

Erschrocken zuckte sie zusammen und trocknete sich schnell unauffällig die Tränen, bevor sie sich zu Luca umdrehte, der unbemerkt das Zimmer betreten hatte. „Eher überrascht“, behauptete sie.

„Ach? Es überrascht dich also, dass ich sämtliche Erinnerungen an dich beseitigt habe?“

Nervös wollte Grace sich eine Strähne hinters Ohr schieben. Eine alte Angewohnheit, die sich offenbar nicht so schnell ablegen ließ, denn Grace trug schon seit Monaten eine Kurzhaarfrisur.

„Wie hätte ich diese erotischen Szenen ertragen sollen, nachdem meine Frau mich verlassen hatte?“

„Du hast hier also nicht alles verändert, weil es deiner Geliebten nicht gefiel?“, platzte Grace heraus. Sie hatte noch immer den Duft des neuen Eau de Cologne in der Nase, das Luca nun benutzte. Wahrscheinlich ein Geschenk seiner Geliebten. Hatte er sich in diesem Bett mit ihr vergnügt? Hatte sie in seinen Armen gestöhnt und diesen Duft eingeatmet? Grace wurde übel bei der Vorstellung.

„Ich fürchte, das geht dich nichts an, bella.“

„Stimmt. Es interessiert mich eigentlich auch nicht, mit wem du jetzt schläfst. Wir sind ja wieder frei und können tun und lassen, was wir wollen“, fügte sie betont lässig hinzu.

Blitzschnell drängte Luca sie an die Wand. Mit seiner gesunden Hand umfasste er ihr Kinn. „Ich hoffe für dich, dass du dich inzwischen nicht mit einem anderen Mann eingelassen hast“, zischte er wütend.

„Und wenn, ginge es dich nichts an. Lass mich sofort los, Luca!“ Es war unglaublich! Zehn Monate lang hatte sie keine körperliche Lust gespürt. Kaum kam Luca ihr zu nahe, pulsierte heißes Verlangen durch ihren Körper! Das war seit ihrer ersten Begegnung so gewesen. Wenn Luca bei ihr war, konnte sie es kaum erwarten, mit ihm zu schlafen. Selbst als es in ihrer Ehe bereits zu kriseln begann, konnten sie im Schlafzimmer nicht genug voneinander kriegen.

Es fiel ihr schwer, den Impuls zu unterdrücken, sich an Luca zu schmiegen, von seiner Wärme umfangen zu werden, ihn zu küssen, ihn in sich zu spüren …

„Selbstverständlich geht es mich etwas an“, widersprach er leise. „Du bist noch immer meine Frau, und Lily ist meine Tochter. Ich muss wissen, ob ein anderer Mann die Vaterrolle übernommen hat.“

Sein warmer Atem vernebelte ihr die Sinne. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Mit letzter Kraft drehte sie den Kopf zur Seite. Wie gern hätte sie behauptet, dass ihre Liebhaber sich während der vergangenen Monate die Klinke in die Hand gegeben hätten. Doch sie blieb bei der Wahrheit. „Es hat keinen anderen Mann gegeben.“

„Gut. Es wird auch keinen geben, bella. Ich würde dich nämlich so schnell vor die Tür setzen, dass du nicht einmal Zeit hättest zu vergessen, eine kurze Nachricht zu hinterlassen …“

4. KAPITEL

Luca ließ Grace los und trat einen Schritt zurück. Fasziniert betrachtete er ihr plötzlich gerötetes Gesicht und ihren indignierten Blick. Die samtweiche Wange, der frische weibliche Duft – schon regte sich wildes Verlangen in ihm.

Wieso zog ausgerechnet diese Frau ihn so sehr an, dass er sie praktisch vom Fleck weg geheiratet hatte? Rationale Gründe hatte es für die Blitzhochzeit jedenfalls nicht gegeben.

Fantastischer Sex war der Hauptgrund gewesen. Die warnenden Worte seiner Mutter und seines Bruders, es könnte nicht gutgehen, eine so freiheitsliebende Künstlerin zu heiraten, hatte er unwillig vom Tisch gefegt und sich jede weitere Einmischung in seine Angelegenheiten verbeten. Er war so verliebt gewesen in Grace, dass sein sonst so scharfer Verstand ausgesetzt hatte. Ein Leben ohne Grace? Unvorstellbar! Erst als sie seinen Ring am Finger trug und die Heiratsurkunde unterschrieben war, wurde Luca bewusst, wie schwierig es war, seine Frau zu beschützen. Denn Grace lachte nur über seine eindringlichen Bitten, vorsichtig zu sein.

Jetzt blieb ihr allerdings gar nichts anderes übrig, schließlich ging es nun auch um Lilys Sicherheit. Er würde schon dafür sorgen, dass Grace sich an seine Regeln hielt!

Mit einer Mischung aus Hass und Begehren sah sie ihn an. Luca wusste genau, wie sie sich fühlte.

Einst hatte er sie geliebt. Nun hasste er sie. Doch trotz allem, was Grace ihm angetan hatte – er begehrte sie noch immer.

Die Armschlinge drückte unangenehm aufs Schlüsselbein. Luca war froh, dass der Schmerz sein Lustgefühl überlagerte. „Soll ich dir mal etwas wirklich Amüsantes verraten, bella?“

„Kein Bedarf.“

„Ich erzähle es dir trotzdem. Die Suche nach dir diente nur einem Zweck: Ich wollte aus deinem eigenen Mund hören, warum du mich ohne ein Wort verlassen hast. Hättest du den Anstand gehabt, mir den Grund vorab zu verraten, hätte ich dich ungehindert ziehen lassen.“

„Na klar“, antwortete sie ausdruckslos.

Lucca schüttelte den Kopf. „Du hättest mir sagen sollen, dass du schwanger bist. Wir hätten uns bestimmt irgendwie geeinigt. Ich bin ja kein Unmensch.“

„Dass ich nicht lache! Du hättest meine Abreise mit allen Mitteln verhindert.“

„Denk doch, was du willst! Die Wahrheit wirst du nun ja sowieso nicht erfahren.“ Natürlich hätte er Grace daran gehindert, Sizilien zu verlassen. Er war überzeugt, dass er sie innerhalb von fünf Minuten hätte umstimmen können. Sie hätte ihn wahrscheinlich sogar angefleht, bei ihm bleiben zu dürfen. Na ja, es war müßig, darüber zu spekulieren. Tatsache war, dass Grace mit ihm verheiratet war und zu ihm gehörte.

Er machte Anstalten, zur Tür zu gehen, um Grace hinauszugeleiten. Das war jetzt alles zu viel. Es tat weh, sie auch nur anzusehen.

Sofort witterte Grace ihre Chance. „Lass Lily und mich gehen!“, platzte es aus ihr heraus, noch bevor Luca die Tür öffnen konnte. „Wozu dieses ganze Theater, wenn es nie deine Absicht gewesen ist, mich zurück nach Sizilien zu bringen?“

Die Nachricht, Vater geworden zu sein, musste Luca schockiert haben. Und ein Schockerlebnis konnte durchaus überraschende Einsichten ans Licht bringen! Grace konnte das nur zu gut nachvollziehen. Als sie damals den schwer misshandelten Mann gesehen hatte …

Als sie die panische Angst im Blick des Mannes gelesen hatte, als er Grace erkannte, war sie so schockiert gewesen, dass sie kaum noch klar denken konnte. Der anschließende heftige Streit mit Luca hatte dann das Fass zum Überlaufen gebracht. Auf einmal war ihr klar gewesen, dass sie Luca verlassen musste! Während der Rückfahrt vom Einkaufsbummel hatte sie reglos dagesessen. Wie in Trance war sie die Treppe hinaufgegangen und im Schlafzimmer verschwunden, das sie so lange mit dem Mann geteilt hatte, den sie liebte. Sie war plötzlich nicht mehr in der Lage gewesen, irgendetwas zu empfinden. Von einem Moment auf den anderen war ihr Glück zerstört worden.

Der Mann, den sie geheiratet hatte, weil sie ihn über alles liebte, hatte sich als gefährlicher Verbrecher entpuppt!

„Diese Situation ist alles andere als gut für Lily“, fuhr Grace nun entschlossen fort. „Es ist doch schrecklich für sie, wenn ihr irgendwann bewusst wird, dass ihre Eltern einander hassen. Kinder spüren das nämlich und leiden darunter.“

„Ich werde nicht zulassen, dass Lily leidet“, entgegnete Luca barsch. „Und wenn dir etwas am Umgang mit ihr liegt, dann wirst auch du dafür sorgen, dass es unserer Tochter gut geht. Sollte ich je den Eindruck gewinnen, du hetzt das Kind gegen mich auf, sitzt du im nächsten Flieger. So, jetzt entschuldige mich bitte, es war ein langer Tag für mich. Ich brauche eine Dusche. Du bist im blauen Zimmer untergebracht.“ Er riss die Tür auf und bedeutete Grace zu gehen. Bei der heftigen Bewegung durchzuckte ihn ein glühender Schmerz im Arm.

Das war Grace nicht entgangen. Schuldbewusst verließ sie das Zimmer und zuckte zusammen, als Luca die Tür hinter ihr zuknallte. Völlig fertig mit den Nerven sank sie aufs Bett und umklammerte Lilys Reisetasche.

Im blauen Zimmer war tatsächlich ausnahmslos alles blau. Selbst im Badezimmer herrschte diese verdammte Farbe vor. Leider war Grace nicht mehr dazu gekommen, auch diesen Räumlichkeiten ihren persönlichen Stempel aufzudrücken. Kurz bevor sie sich an die Arbeit machen wollte, hatte sie die Wahrheit herausgefunden und war geflohen.

Frustriert, ausgerechnet in diesem Zimmer untergebracht worden zu sein, griff sie in ein Seitenfach der Reisetasche und zog das Handy hervor, das sie jetzt ja wieder sorglos benutzen konnte. Nach zehn Monaten Funkstille wurde es auch höchste Zeit, sich bei ihrer Mutter und auch bei Cara zu melden.

Natürlich war es ihr unglaublich schwergefallen, die Schwangerschaft einsam, allein und ohne Zuspruch durchzustehen. Auch die Tatsache, dass ihre Mutter nur etwa fünfhundert Kilometer entfernt lebte, bot nur wenig Trost, denn Billie Holden wäre ihr bei der Geburt keine große Hilfe gewesen. Sie war Bildhauerin und schwebte meist in höheren Regionen.

Grace lachte verbittert auf. Sie selbst war mindestens ebenso weltfremd wie ihre Mum, sonst hätte sie Luca wohl kaum geheiratet, gleichgültig, wie sehr sie ihn geliebt hatte.

Billie hatte so gar nichts Mütterliches an sich. Ihre Tochter war für sie schon als Kind eher die beste Freundin gewesen. Feste Schlafenszeiten? Regelmäßige Mahlzeiten? Nicht dran zu denken! So hatte Grace schon früh gelernt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ihre Mutter hatte ihr alle Freiheiten gelassen.

Auch ihr Vater war ein Träumer. Während Billie ihre ganze Energie in die Kunst steckte, widmete Graham sich Hilfsprojekten in der Dritten Welt und tauchte nur sporadisch zu Hause auf.

Trotzdem fühlte Grace sich von ihren Eltern geliebt. Daran hatte es für sie nie einen Zweifel gegeben.

Nun konnte sie nach langer Sendepause wenigstens wieder mit ihrer Mutter telefonieren, ohne Angst haben zu müssen, aufgespürt zu werden. Jedenfalls so lange, bis ihr erneut die Flucht gelang und sie sich wieder vor Luca verbergen musste.

Luca lag in seinem Bett und spitzte die Ohren. Nachdem jemand an seinem Schlafzimmer vorbei in das provisorisch eingerichtete Kinderzimmer geschlichen war, hatte sich Lilys heftiges Weinen etwas gelegt. Doch an Schlaf war für Luca auch jetzt nicht zu denken. Zu viele Gedanken beschäftigten ihn.

Nach zehn langen Monaten hatte er Grace nun endlich gefunden. Und was war an diesem Tag alles passiert! Seine eigene Frau hatte ihn angeschossen, und er hatte erfahren, dass er Vater war. Das war seine Tochter, die da nebenan im Dunkeln weinte, und seine Frau, die versuchte, das Baby zu beruhigen. Grace lebte tatsächlich wieder unter seinem Dach. Allerdings keineswegs freiwillig.

Wie er diese Frau hasste! Am liebsten hätte er sie sofort wieder an die Luft gesetzt. Auf Nimmerwiedersehen! Doch das konnte er Lily nicht antun. Sie würde zu sehr unter der Trennung von ihrer Mutter leiden. Ein unschuldiges Baby wollte Luca natürlich nicht für die Sünden seiner Mutter bestrafen. Daher hatte er sich etwas anderes ausgedacht, um sich an Grace zu rächen.

Ab sofort hatte sie ihn respektvoll, ja ehrerbietig zu behandeln, besonders wenn Gäste geladen waren oder sie außerhalb des Anwesens in Gesellschaft waren. Jegliche Einmischung in seine Geschäfte würde er sich verbeten und wehe, wenn sie ihm je wieder widersprechen würde. Außerdem erwartete er ein stets gepflegtes Äußeres. Die Zeiten, in denen sie herumlaufen durfte, wie sie wollte, weil sie mit ihrer Malerei beschäftigt war, waren endgültig vorbei. Dabei hatte er es damals mitunter sogar charmant gefunden, wenn sie mit ungekämmten Haaren herumlief oder Klamotten trug, die nicht zueinander passten.

Einer Frau wie Grace, die ihre Welt in den buntesten Farben sah, war er noch nie zuvor begegnet. Die Freundinnen, die er vor ihr gehabt hatte, waren alle perfekt gestylt gewesen und hatten stets seine Meinung geteilt. Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass sie austauschbar waren. Nicht so Grace.

Wie von Zauberhand war sie in seinem Leben aufgetaucht und hatte ihn völlig verhext. Erst durch sie war ihm bewusst geworden, wie langweilig und eintönig sein Leben bis dahin gewesen war.

Ihre vielfältigen Talente hatten ihn mit großem Stolz erfüllt. Endlich kam frischer Wind in sein Leben. Er wäre gar nicht auf die Idee gekommen, sie ändern zu wollen. Er liebte Grace so, wie sie war.

Nun aber hatte sie ihm lange genug auf der Nase herumgetanzt! Er würde schon eine gehorsame sizilianische Ehefrau aus ihr machen.

Da an Schlaf nicht zu denken war, warf Luca die Bettdecke zurück, stand auf und zog sich einen Bademantel über, bevor er den verletzten Arm wieder durch die Schlinge schob.

Das Haus lag im Dunkeln. Nirgends eine Spur von Grace und Lily. Je mehr Zimmertüren Luca in diesem Flügel des Hauses öffnete, ohne seine Frau und seine Tochter zu entdecken, desto unruhiger wurde er.

Schließlich kehrte er zurück ins blaue Zimmer. Die Koffer lagen auf dem Boden – augenscheinlich noch nicht ausgepackt. Im Badezimmer nebenan lagen Zahnbürste und Zahnpasta auf dem Rand des Waschbeckens. Auf dem Schrank daneben stand eine Kosmetiktasche, die aus allen Nähten zu platzen drohte. Luca zog die Tür hinter sich zu, betrat das angrenzende Zimmer und knipste die Deckenbeleuchtung an. Ihm blieb fast das Herz stehen, als sein Blick auf den leeren Stubenwagen fiel. Auf der Kommode türmten sich saubere Windeln und andere Babysachen.

Wo in aller Welt steckten Mutter und Tochter?

Gerade als er den Entschluss gefasst hatte, seine Sicherheitsleute auf die Suche zu schicken, betrat Grace im Morgenrock das Zimmer – mit Lily auf dem Arm. In einer Hand trug sie ein volles Fläschchen.

Sie warf ihm einen wütenden Blick zu und löschte sofort das Licht. Wortlos ging sie an ihm vorbei, setzte sich in den alten Schaukelstuhl und schob Lily behutsam den Sauger zwischen die rosigen Lippen. „Ich möchte, dass sie gleich wieder einschläft, nachdem sie die Milch ausgetrunken hat“, raunte Grace ihm zu. „Lass also bitte das Licht aus.“

„Wo habt ihr denn gesteckt?“, flüsterte er.

„In der Küche. Ich brauche warmes Wasser für das Milchpulver.“

Die Küche befand sich am anderen Ende des ehemaligen Klosters und wurde nachts nicht beheizt. Dementsprechend kalt war es dort um diese Jahreszeit. „Warum hast du denn niemanden vom Hauspersonal gebeten, sich darum zu kümmern?“

„Abgesehen von deinen Leibwächtern schlafen um diese Zeit alle“, erklärte sie indigniert.

„Wacht Lily immer so früh auf?“ Es war erst fünf Uhr!

„Ja, mit etwas Glück schläft sie aber noch zwei Stunden.“

„Ich sorge dafür, dass in Zukunft jemand die Milch wärmt.“

Autor

Michelle Smart
Michelle Smart ist ihrer eigenen Aussage zufolge ein kaffeesüchtiger Bücherwurm! Sie hat einen ganz abwechslungsreichen Büchergeschmack, sie liest zum Beispiel Stephen King und Karin Slaughters Werke ebenso gerne wie die von Marian Keyes und Jilly Cooper. Im ländlichen Northamptonshire, mitten in England, leben ihr Mann, ihre beiden Kinder und sie...
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