Ein Hauch von Nichts

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Gedankenlose Leidenschaft, hemmungslose Lust – das war es, wovor die beiden Kollegen Brooke und Chase ihre jüngeren Geschwister bewahren wollten. Und nun finden sie sich selbst so wieder! Wie konnte das nur passieren? Zum Aufhören ist es aber längst zu spät …


  • Erscheinungstag 23.09.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513104
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Schülerin der Abschlussklasse der West Houston Highschool sucht für ihre ältere Schwester, die sie dauernd bevormundet, einen Freund. Sie ist zurückhaltend, keine Emanze. Wenn du einen älteren Bruder hast, der mindestens fünfundzwanzig ist und kein Langweiler, dann ruf bitte an, damit wir die beiden zusammenbringen. Es soll dein Schaden nicht sein.

„Hallo, ich bin Jeff Ryan und rufe wegen deiner Anzeige in der Zeitschrift Attitudes an.“

„Ach ja. Wie gut, dass meine Schwester nicht ans Telefon gegangen ist. Sekunde, ich will nur eben die Tür schließen … okay. Übrigens, ich bin Courtney Weathers.“

„Ich kenne dich von der Schule. Du machst bei ‚South Pacific‘ mit, stimmt’s?“

„Nur im Chor, aber ich bin auch die zweite Besetzung der Nellie.“

„Ist das was Besonderes?“

„Na ja, die Nellie ist immerhin die Hauptrolle, und die zweite Besetzung zu sein ist besser als nichts. Hauptdarsteller werden manchmal krank, oder nicht? Wie auch immer, du hast also einen Bruder?“

„Ja.“

„Ist er süß?“

„Ich bin kein Mädchen! Woher soll ich da wissen, ob er süß ist oder nicht?“

„Siehst du ihm ähnlich?“

„Eigentlich nicht. Er ist mein Stiefbruder und hat nie Probleme, sich zu verabreden, wenn dir das weiterhilft.“

„Und warum hat er momentan keine Freundin? Da vermute ich doch richtig, oder? Ansonsten hat sich die Sache erledigt.“

„Er arbeitet sehr viel, und Frauen lassen sich nicht gern versetzen. Und wenn er mal nicht arbeitet, dann nervt er mich.“

„Das hab ich mir gedacht.“

„Nein, er ist ein sehr netter Typ, und er lässt mich bei sich wohnen, bis ich mit der Highschool fertig bin. Aber er hat diese irrsinnige Idee, dass ich quasi in seine Fußstapfen treten und später das gleiche Leben führen soll wie er.“

„Meine Schwester ist ganz genauso.“

„Wirklich?“

„Brooke – so heißt meine Schwester – will unbedingt, dass ich aufs College gehe. Und wie oft ich ihr auch sage, dass ich Schauspielerin werden möchte, sie will davon einfach nichts hören.“

„Und deine Eltern sind ihrer Meinung, stimmt’s?“

„Es ist zum Heulen. Mein Dad arbeitet in El Bahar, meine Eltern leben also im Ausland. Für sie ist meine Schwester die vorbildliche große Tochter. Und ich bin für sie immer noch das kleine Mädchen.“

„Also, ich glaube nicht, dass Chase, mein Stiefbruder, auf superbrav steht.“

„Das ist es ja – sie war nicht immer so. Aber jetzt ist sie total darauf fixiert, dass sie die Verantwortung für mich hat. Sie braucht eine Ablenkung.“

„Ja, die könnte Chase auch gebrauchen. Das Einzige, was er macht, ist arbeiten.“

„Dann hat er also Zeit, sich mit meiner Schwester zu verabreden?“

„Wenn deine Schwester aussieht wie du, dann wird er sich die Zeit nehmen.“

„Oh, danke für die Blumen.“

„Bitte. Eigentlich müsste es klappen. Er will mir doch immer ein Vorbild sein, und deshalb wird er deine Schwester schon nicht versetzen. Andernfalls mache ich ein Riesentheater, damit er ein richtig schlechtes Gewissen kriegt.“

„Okay. Dann müssen wir die beiden nur noch zusammenbringen. Hast du nach der Schule was vor?“

„Nein.“

„Warum meldest du dich nicht als Helfer hinter der Bühne? Wir brauchen dringend mehr Leute für die Requisite und die Kulissen.“

„So was habe ich noch nie gemacht.“

„Sie bringen dir das schon bei, und so könnte ich ganz beiläufig Brooke deinem Bruder vorstellen, wenn sie uns nach der Probe abholen.“ „Ich habe einen eigenen Wagen. Das heißt, im Moment fahre ich den von Chase.“ „Cool. Dann lass doch einen Ölwechsel machen oder so.“ „Okay. Mir wird schon was einfallen. Also, wann soll die Sache steigen?“ „Wie wär’s mit morgen?“

1. KAPITEL

Da der Verkehr in der Stadt noch dichter war als üblich, fuhr Brooke Weathers mit einiger Verspätung auf den Parkplatz der West Houston Highschool. Vor der Aula standen mehrere Teenager in Grüppchen herum, und es sah ganz danach aus, dass die Probe von „South Pacific“ bereits zu Ende war.

Sie hielt Ausschau nach ihrer dunkelhaarigen Schwester und entdeckte sie schließlich an einen silberfarbenen Porsche gelehnt im Gespräch mit den Insassen.

Irgendein Vater hatte wohl gerade seine Midlife-Crisis, denn so einen schicken Wagen konnte sich wohl keiner der Schüler hier leisten.

Sie ließ ihr Wagenfenster herunter und rief ihre Schwester. Doch statt herüberzukommen, gab Courtney ihr durch Winken zu verstehen, dass sie zu ihr hinüberfahren solle.

Sie schüttelte den Kopf, doch Courtney winkte erneut.

Brooke hatte einen langen Arbeitstag hinter sich, und jetzt wollte sie schnellstens nach Hause. Deshalb bedeutete sie Courtney noch einmal, sie solle endlich herüberkommen.

Aufgebracht kam Courtney angerannt, stieg ein und knallte die Wagentür zu. „Warum bist du nicht zu mir rübergefahren?“

Brooke fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. „Ich hatte keine Lust, den ganzen Parkplatz zu umrunden, bloß weil du in Diva-Laune warst.“

Courtney schnallte sich an. „Ich wollte dich nur mit Jeffs Bruder bekannt machen.“ „Wer ist Jeff?“

„Du weißt doch, der Junge, der hinter der Bühne arbeitet. Der Wagen gehört seinem Bruder.“ Sie warf Brooke einen Seitenblick zu. „Seinem alleinstehenden Bruder. Ich habe ihm von dir erzählt. Der Typ schien interessiert zu sein.“

„Ja, an einer bestimmten Sache.“

„Ach, komm schon, Brooke! Sei doch nicht so. Vielleicht könntest du ja mal mit ihm ausgehen.“

„Mit einem älteren, alleinstehenden Mann, der einen Porsche fährt? Habe ich dir denn gar nichts beigebracht?“

„Doch, zum Beispiel, wie man die Wochenenden mit Hausputz verbringt und sich dann zur Belohnung Popcorn macht und sich ein Video anschaut. Wirklich toll.“

Brooke freute sich eigentlich immer auf die Samstagabende mit ihrer Schwester. „Du hast doch nicht jeden Samstag keine Verabredung.“

„Du schon, wie?“, konterte Courtney.

„Ich bin zu müde zum Ausgehen!“ Brooke lachte.

Courtney nicht. „Ich möchte wirklich gern, dass du Jeffs Bruder kennenlernst.“

„Nein, vielen Dank.“

Das Letzte, was Brooke im Moment brauchte, war Stress wegen einer Verabredung mit einem Unbekannten. Gefolgt vom Stress, ob der Mann noch mal anrief, und falls sie tatsächlich regelmäßig ausgingen, vom Stress, ob sie eine Affäre anfangen sollte oder nicht. Da Courtney jeden ihrer Schritte mitbekam, blieb wohl nur Letzteres. Zudem verstanden die meisten Männer nicht, warum ein weiblicher Single Mitte zwanzig sich selbst eine mitternächtliche Sperrstunde auferlegte. Doch sie konnte für sich keine anderen Spielregeln in Anspruch nehmen als die, die sie Courtney auferlegt hatte, auch wenn die noch zur Schule ging. Der Gedanke an die endlosen Diskussionen ließ Brooke frösteln. Nein, es war der Mühe nicht wert.

Dagegen war ihr keine Anstrengung zu groß, Courtney letztendlich doch auf ein gutes College zu bringen. Wenn sie das geschafft hatte, würde sie sich auch wieder verabreden.

„Du musst sie kennenlernen, Mann“, beharrte Jeff. „Wenn sie so ist wie Courtney, dann ist sie wirklich heiß.“

Chase Davenport bedachte seinen Bruder mit einem vielsagenden Blick, ehe er den Blinker setzte.

„Ich meine ‚heiß‘ im Sinne von hinreißend“, versuchte Jeff abzumildern, während er eine zerknitterte Notiz aus seinem Rucksack hervorkramte. „Hier ist ihre Telefonnummer.“

„Nein, danke. Ich suche mir meine Freundinnen schon selbst.“

„Für einen Typ, der einen so tollen Sportwagen fährt wie du, bist du aber nicht gerade erfolgreich.“ Jeff griff nach Chases Handy.

„Was machst du denn da?“

„Ich speichere Courtneys Nummer ein, falls du es dir doch noch überlegst.“

Chase machte sich nicht die Mühe zu protestieren. Er konnte die Nummer ja wieder löschen. „Es überrascht mich, dass du in der Crew hinter der Bühne mitarbeitest. Ich wusste gar nicht, dass dich so was interessiert.“ Er war geradezu dankbar, dass Jeff endlich für irgendetwas Interesse zeigte, aber er hätte nie gedacht, dass er sich ausgerechnet für das Musical interessieren würde, das von der Theatergruppe an seiner Schule inszeniert wurde.

„O doch. Es ist wirklich cool.“

„Hast du Courtney da kennengelernt?“

„Courtney kennt doch jeder.“

Chase ahnte, dass Jeff mehr an Courtney interessiert war als an dem Musical. Das junge Mädchen, das er eben getroffen hatte, war hübsch, ganz der Typ der angehenden Schauspielschülerin, mit knallrotem Pullover und langen silbernen Ohrringen. Er hätte geglaubt, Jeff würde sich eher eine schüchterne, unscheinbare Freundin suchen.

Chase musste schmunzeln, als Jeff ihm von der computergesteuerten Beleuchtung erzählte und den Kulissen, die er zu bauen helfen würde. Courtney war offenbar ziemlich anspruchsvoll. Aber Jeff sollte ruhig anspruchsvolle Mädchen kennenlernen, solange er Zeit dazu hatte, denn die würde er mit Sicherheit nicht mehr haben, wenn er im Herbst mit dem Studium anfing.

Und wie er, Chase, selbst erfahren hatte, würde er auch keine Zeit mehr für anspruchsvolle Frauen haben, wenn er damit beschäftig war, sich eine Karriere aufzubauen. Chase hatte nicht mal Zeit für Frauen, die kaum Ansprüche stellten. Aber das war in Ordnung. Denn es gab auch Frauen, die gar keine Ansprüche stellten und akzeptierten, dass seine Arbeit gegenwärtig Vorrang hatte.

Schwierig wurde es nur, wenn aus einer lockeren Beziehung mehr wurde und bestimmte Erwartungen ins Spiel kamen. Das war ihm selbst ein paar Mal passiert. Doch inzwischen hatte er einen denkbar einfachen Plan – eine Menge Geld verdienen und sich dann weitgehend aus dem Geschäftsleben zurückziehen, damit er Zeit für die anspruchsvollste aller Beziehungen hatte – eine Ehefrau, mit der er eine Familie gründen wollte.

Chase warf Jeff einen Blick zu. Sie hatten viele Gemeinsamkeiten – allem voran Eltern, die Kinder bekommen hatten, ehe sie reif dafür gewesen wären. Jeffs Mutter war immer noch nicht reif dafür, weswegen er, Chase, einen Vorgeschmack davon bekam, wie es war, einen Teenager zu erziehen. Es machte ihm nichts aus. Im Grunde war Jeff ein lieber Junge, und er fand es geradezu rührend, dass er ihn mit Courtneys Schwester zusammenbringen wollte.

Doch da es in der Familie zu liegen schien, hohe Ansprüche zu stellen, würde er diesmal passen müssen.

„Jeff? Es funktioniert nicht. Die beiden winken sich nicht mal zu, wenn sie uns abholen.“

„Ich weiß. Und Chase will deine Schwester auf keinen Fall anrufen.“

„Zu schade, denn ich glaube, die beiden würden gut zueinander passen. Weißt du, was wir falsch gemacht haben? Statt sie einander vorstellen zu wollen, hätten wir ein zufälliges Treffen arrangieren sollen.“

„Ja, aber dazu ist es jetzt zu spät.“

„Es sei denn, wir geben ihnen einen guten Grund, sich zu treffen. Und das möglichst bald, denn ich muss meine Bewerbung für die Schauspielschule und die Anmeldegebühr spätestens am Tag nach dem Valentinstag abschicken.“

„Was hat das denn mit unserem Plan zu tun?“

„Ich brauche das Geld! Brooke wird mit meiner Bewerbung nicht einverstanden sein, und ohne ihr Einverständnis werden meine Eltern die Moneten nicht rausrücken.“

„Ich verstehe immer noch nicht …“

„Wenn wir ihnen mit etwas total Verrücktem kommen, dann wird ihr die Schauspielschule geradezu verlockend erscheinen, und Chase wird auch dir begeistert freie Hand lassen.“

„Ich weiß überhaupt nicht, was ich machen will.“

„Dann solltest du dich bald entscheiden, denn du wirst in einer super Verhandlungsposition sein.“

„Heiraten? Dass ich nicht lache.“ Aber Brooke war überhaupt nicht zum Lachen. Vielmehr fühlte sie sich ganz elend, und der Appetit auf ihr Vollkornmüsli war ihr gründlich vergangen.

„Dann wäre es dir lieber, wenn wir erst mal so zusammenleben?“ Courtney grinste frech. „Das hören Mom und Dad bestimmt mit Interesse, besonders nach ihrer kleinen Lektion mit der Kuh.“

Brooke blinzelte verständnislos.

„Du weißt schon, warum sollte ein Mann die Kuh kaufen, wenn er die Milch umsonst bekommen kann?“ Genüsslich löffelte Courtney ihr Müsli.

„Tja, wenn du dich als Kuh betrachten willst, kann ich dich nicht davon abhalten.“

„Und da ich achtzehn bin, kannst du mich auch nicht vom Heiraten abhalten.“

Leider stimmte das. Aber das hieß nicht, dass sie es nicht versuchen würde.

Am Vorabend hatte sich Courtney zum dritten Mal diese Woche mit Jeff Ryan getroffen, einem Jungen in der vollen Bedeutung des Wortes. Courtney zufolge ging er zwar auch in eine Abschlussklasse der West Houston Highschool, doch Brooke mochte das kaum glauben.

Er hatte noch Babyspeck auf den Rippen, und wenn er sich öfter als einmal die Woche rasieren musste, dann wäre sie überrascht. Es überraschte sie ohnehin, dass Courtney mit ihm ausging.

Denn Jeff war gar nicht Courtneys Typ. Nach zehn Jahren Reife wäre er allerdings genau der Typ Mann, den Brooke ihrer jüngeren Schwester als Ehemann wünschte. Momentan jedoch schien er noch mitten in der Pubertät zu stecken.

Brooke sah ihre Schwester nachdenklich an. Mit ihrem feindseligen Ton hatte sie Courtney sofort zum Widerspruch herausgefordert. In Courtneys Alter hätte sie solche Bemerkungen gehasst. Warum konnte sie sich nur nicht erinnern, wie man sich mit achtzehn fühlte, wenn das ganze Leben vor einem lag?

Vielleicht weil sie mit achtzehn keine rosige Zukunft vor sich gehabt hatte. Vielleicht weil sie sich mit siebzehn alles vermasselt hatte.

Niemand wusste besser als Brooke, dass eine einzige falsche Entscheidung weitreichende Konsequenzen haben konnte. Sie konnte von Glück reden, dass ihre Eltern genug Vertrauen in sie hatten, während ihres Aufenthalts in El Bahar Courtney in ihrer Obhut zu lassen.

Diesmal würde sie, Brooke, sie nicht enttäuschen.

„Sie ist zum Anbeißen. Und du solltest mal sehen, was für süße Fältchen sie um die Augen hat, wenn sie lacht.“

Chase Davenport warf die unifarbene Seidenkrawatte, die farblich genau zu seinem Hemd passte, beiseite und nahm eine auffallend gemusterte zur Hand. Es fiel ihm schwer, sie zu binden, weil er nur mit Mühe seinen Unmut unterdrücken konnte. Er hatte es geahnt, dass Courtney Ärger bedeutete.

„Eine Ehefrau braucht noch ein paar andere Qualitäten, als zum Anbeißen auszusehen und Lachfältchen zu haben.“ Sein betont nachsichtiger Ton führte jedoch nur dazu, dass sein Stiefbruder unbeirrt gleich noch weitere Albernheiten auflistete.

Der Junge war knapp achtzehn, und schon hatte ihn eine kleine Goldgräberin in den Fängen. Chase hatte gehofft, Jeff vor dieser Art Frauen zu beschützen. Frauen wie Jeffs Mutter.

Warum erstaunte ihn das eigentlich? Jeff fühlte sich in Gesellschaft von Goldgräbern offenbar wohl. Es lag ihm im Blut. Chase zog seinen Krawattenknoten fest. Welche Ironie. Der Sohn einer Goldgräberin in den Fängen einer Goldgräberin.

Zu schade, dass ihn das nicht amüsieren konnte. Er hatte längst alle Rachegelüste gegen die inzwischen mehrfach geschiedene Zoe begraben. Das war Sache seines Vaters, nicht seine. Chase war während dessen kurzer Ehe mit Zoe ja bereits aus dem Haus gewesen. Zudem hatte sie ihm wenigstens einen kleinen Bruder beschert.

Von klein konnte aber wohl keine Rede mehr sein, wenn Jeff vom Heiraten redete. Es war absurd. „Hast du Courtney schon einen Antrag gemacht?“ „Ja, so ungefähr. Deshalb wissen wir ja, dass wir heiraten wollen.“

„Hast du ihr einen Ring geschenkt?“

„Einen Ring?“

„Einen Verlobungsring, normalerweise einen Diamanten, den man seiner Braut an den Ringfinger der linken Hand steckt. Sie wird überglücklich aufschreien, vielleicht sogar ein paar Tränchen vergießen, dann zu ihren Freundinnen rennen, die ihn in den höchsten Tönen bewundern, während sie insgeheim die Größe und Qualität des Steins einschätzen.“

„Also, ich glaube nicht, dass Courtney so ist.“

„Doch, so sind sie alle.“

„Courtney ist anders.“

Chase unterdrückte einen Seufzer. „Was sagt denn ihre Familie dazu?“ Vielleicht konnten sie sich ja verbünden.

„Oh, ihre Schwester ist der Meinung, dass wir unbedingt heiraten sollten.“

„Ist das die heiße Schwester, von der du erzählt hast?“

„Ich meinte doch ‚hinreißend‘. Sie sieht, wie sehr wir uns lieben, und ist der Meinung, wir sollten nicht zu lange warten.“

Hörte sich ganz so an, als habe auch die Schwester Dollarzeichen im Blick.

Großartig. Seinen Stiefbruder aus diesem Schlamassel zu befreien schien immer kostspieliger zu werden.

Brooke trank ihren Orangensaft und überlegte sich dabei ihre nächste Frage. „Wann findet die Hochzeit denn statt?“

Courtney warf ihr einen überraschten Blick zu, fing sich jedoch schnell. „Na ja … bald ist Valentinstag. Es wäre schade, diese Chance zu verpassen.“

Mit Brookes Gelassenheit war es vorbei. „In zwei Wochen? Bist du übergeschnappt? Du hast noch nicht mal die Highschool abgeschlossen. Und was ist mit einem Studium? Willst du denn das alles sausen lassen?“

Courtney ließ ihren Löffel in ihre Müslischale fallen. „Schön, reden wir übers Studieren. Ich will auf keines dieser staatlichen Colleges hier in Texas gehen …“

„Das brauchst du auch nicht. Ich habe genug gespart, sodass du auch auf ein privates College gehen kannst, wenn du willst.“

„Auch auf eine Schauspielschule in Los Angeles?“

„Nein, nicht auf eine Schauspielschule.“

Courtney verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann glaube ich auch nicht, dass ich viel sausen lasse.“

„Wie kannst du Mom und Dad das antun?“

„O bitte, fang nicht wieder damit an.“

„Doch. Sie arbeiten hart, damit du …“

„Sie brauchten nicht so hart zu arbeiten, wenn du nicht damals …“

Die Schwestern starrten einander an. Brooke war die Kehle plötzlich wie zugeschnürt, und Courtney senkte hastig den Blick.

Sie hätte sich vielleicht sogar für ihre Bemerkung entschuldigt, wenn es nicht in diesem Moment an der Küchentür geklopft hätte. Sie sprang auf und riss die Tür auf.

„Jeff!“ Sie fiel ihm um den Hals. „Ich habe dich wahnsinnig vermisst.“

„Ich dich auch.“ Jeff legte ihr die Arme um die Taille.

„Ich dich aber mehr.“

„Nein, ich dich.“

„Ich habe dich jede Minute vermisst.“ Courtney schmiegte sich an ihn.

Jeff zog sie noch näher zu sich heran. „Ich dich jede Sekunde …“

„Gütiger Himmel!“ Brooke trug ihre Müslischale zur Spüle.

Bei einem Blick über die Schulter sah sie Courtney und Jeff sich abwechselnd küssen und miteinander flüstern.

Teenager und ihre außer Kontrolle geratenen Gefühle. Warum gab es dagegen bloß keine Pillen?

„Ich lege nur noch schnell Lipgloss auf.“ Courtney eilte in die Gästetoilette neben der Küche.

„Hat Courtney dir die Neuigkeit schon erzählt?“ Jeff blieb an der offenen Küchentür stehen und grinste. Ein wenig zu verwegen, wie Brooke fand.

„Ja.“ Brooke räumte das restliche Geschirr ab, weil sie wusste, dass Courtney keinen Gedanken daran verschwenden würde. Noch ein Zeichen von Unreife.

„Irgendwie hatte ich ja gehofft, sie würde uns gratulieren oder so.“

„Vergiss es. Sie ist sauer. Genau wie ich es dir vorhergesagt habe.“ Courtney steckte das Lipgloss-Döschen wieder in ihren Rucksack und warf sich diesen über die Schulter.

„Wie haben denn deine Eltern die Neuigkeit aufgenommen?“, fragte Brooke Jeff.

„Ich habe es ihnen noch gar nicht gesagt.“

„Ehe du mit mir herummeckerst, Courtney, hör dir erst mal an, was seine Eltern zu eurer Hochzeit zu sagen haben.“

„Meine Eltern sind nicht mehr zusammen. Ich lebe bei meinem Stiefbruder. Er ist absolut dafür, dass wir heiraten.“

Damit er dich los ist. Ein feiner Stiefbruder!

Der arme Jeff.

Zu Brookes Frustration kam nun noch Entrüstung. „Wie alt ist denn dein Stiefbruder?“

„Ganz schön alt. Dreißig oder einunddreißig.“

Brooke biss die Zähne zusammen. Der Mann sollte sich schämen. Sie hatte angenommen, er sei nur ein paar Jahre älter als Jeff, denn jeder vernünftige Erwachsene hätte doch versucht, dem Jungen diese Heirat auszureden.

Daher war Jeffs Stiefbruder, oder wie auch immer er mit ihm verwandt war, wohl alles andere als vernünftig.

„Hat dein Stiefbruder …“

„Er heißt Chase.“

Brooke reagierte auf diese Information mit einem kühlen Lächeln. „Hat Chase gesagt, wann er es gut fände, dass ihr beide heiratet?“

„Wir haben nicht über einen Termin gesprochen oder Näheres überhaupt.“

„Wahrscheinlich ahnt er nicht, dass ihr noch vor eurem Highschool-Abschluss heiraten wollt. Habt ihr eigentlich bedacht, wie viel Spaß ihr verpassen werdet?“

„Warum sollten wir was verpassen?“, hakte Courtney nach.

„Weil ihr für nichts anderes mehr Zeit haben werdet als für die Schule und euren Job. Wie wollt ihr euch sonst wohl ein Apartment leisten?“

Courtney und Jeff legten einander die Arme um die Schultern. „Wir brauchen keinen Job“, erklärte Jeff. „Chase sagte, wir könnten bei ihm wohnen. Ist das nicht cool?“

Brooke fand es eher idiotisch. Unverantwortlich. Absolut schwachsinnig.

Sie war inzwischen so wütend, dass sie kaum atmen konnte. Sie würde die Sache selbst regeln und ihre Eltern nicht damit behelligen.

Stattdessen würde sie ein ernstes Wort mit Chase Davenport reden.

2. KAPITEL

„Mann, hast du ihr Gesicht gesehen?“, fragte Jeff.

„O ja. Ich glaube, wenn wir noch ein bisschen dicker auftragen, klappt unser Plan.“

Bis Brooke in ihrem Büro war, kochte sie innerlich vor Wut. Auch wenn es ihr nicht anzumerken war.

Der einzige Grund, warum sie nicht direkt zu Chase Davenport ins Büro ging – Jeff hatte ihr freundlicherweise dessen Visitenkarte gegeben –, war, dass an diesem Vormittag drei Vorstellungsgespräche in ihrem Terminkalender standen.

Brooke war Personalassistentin bei Haldutton Oil. Sie hatte sich Stufe für Stufe die Karriereleiter hinaufgearbeitet, und ihre Aufgabe war es nun, mit Kandidaten für Verwaltungsjobs Bewerbungsgespräche zu führen. Wenn sie in einem Jahr ihren Abschluss an der Abendschule machte, hatte sie sehr gute Aussichten auf eine Beförderung.

Seit sieben Jahren ging Brooke zur Abendschule, die sie mit einem Diplom in Betriebswirtschaftslehre abschließen wollte. Sie hatte gehofft, es zu schaffen, ehe Courtney aufs College kam, ihr Ziel jedoch nicht ganz erreicht. Courtney würde hoffentlich trotzdem begreifen, wie wichtig eine Ausbildung war und wie schwer es war, zu arbeiten und gleichzeitig zur Schule zu gehen.

Courtney brauchte das nicht. Schließlich war es ihre, Brookes, eigene Schuld, dass sie ihr Diplom auf die harte Tour erwerben musste. Courtney sollte nicht unter dem Fehler ihrer großen Schwester leiden müssen.

Und jetzt das. Nach all den langen Schulabenden und den Opfern, die sie gebracht hatte! Glaubte Courtney denn, die Schinderei mache Spaß? Wenn sie nur daran dachte, dass sie seit Jahren keinen richtigen Valentinstag mehr erlebt hatte, dann tat sie sich beinah selbst leid.

Nein, sie hatte keine Zeit für eine Beziehung gehabt. Sie hatte es ein paar Mal mit Verabredungen versucht, doch es war jedes Mal ein Flop gewesen.

Ab Herbst hatte sie Zeit. Sobald Courtney auf einem der Colleges war, an die sie, Brooke, Bewerbungen geschickt hatte. Es waren die gleichen, bei denen sie sich selbst beworben hatte, schließlich aber hatte absagen müssen.

Verdammt, Courtney würde nicht heiraten und sich ihre Zukunft vermasseln!

„Du glaubst also, ihn besser erziehen zu können als ich?“ Wieder einmal gingen Chase die Worte seines Vaters durch den Kopf.

Ja, genau das hatte er geglaubt. Jeff brauchte ein stabiles Umfeld. Alle Kinder brauchten eine gewisse Sicherheit, keinen Vater, der die meiste Zeit unterwegs war und der, wenn er mal nach Hause kam, erklärte, sie müssten erneut umziehen.

Einmal hatten Chase und seine Mutter einen Monat lang in einem Hotel gewohnt und darauf gewartet, dass ihr neues Haus fertig wurde. Zwei Tage vor dem Einzug hatte ihr Vater ihnen dann lachend mitgeteilt, dass sie in eine andere Stadt ziehen würden.

Jeffs Mutter war genauso schlimm gewesen. Deshalb hatte Chase sofort zugestimmt, als Jeff ihn gebeten hatte, während der Highschool-Zeit bei ihm wohnen zu dürfen.

Und jetzt das.

Mann, sein Vater würde sich totlachen.

Nein, Jeff würde nicht heiraten, wenigstens nicht in absehbarer Zeit.

Chase rief die Telefonnummer auf, die Jeff in sein Handy eingespeichert hatte. Sicher war jetzt niemand zu Hause, doch heute Abend würde er herausfinden, mit welcher Summe Courtney Weathers abzuwimmeln war – und ihre Schwester.

Brooke schaffte es, während der Interviews ihren Ärger zu unterdrücken. Leider kam keiner der Bewerber infrage, was hoffentlich nichts mit ihrer Laune zu tun hatte.

Gegen elf lagen ihre Nerven derart blank, dass ihr die Hände zitterten. Sie machte die Tür ihres winzigen Büros zu, um sich mit ein paar Turnübungen abzureagieren. Dabei bekam auch noch ihre Strumpfhose eine Laufmasche.

Kurzentschlossen zog Brooke sie aus und warf sie in den Papierkorb. Danach wählte sie Chase Davenports Büronummer. Während es klingelte, besah sie sich die Visitenkarte genauer. Er war Immobilienmakler bei der Mac Ginnis Group. Offenbar mit großem Erfolg, dachte Brooke, als ihr sein silberfarbener Porsche einfiel.

Sie wurde zur Zentrale durchgestellt. „Mr. Davenport ist zum Lunch. Und danach fährt er direkt zum Objekt.“

„Zum Objekt?“

„Zu einem Bürogebäude, das wir verkaufen.“

„Ach so. Und wann erwarten Sie ihn zurück?“

„Kann ich ihm ausrichten, wer angerufen hat?“

„Ich bin bei Haldutton in der Personalabteilung. Wir würden gern eine Referenz überprüfen.“ Dass sie schwindelte, ließ Brooke erröten. Obwohl es nicht mal richtig geschwindelt war. Sie war außerordentlich an Jeff Ryans Referenzen interessiert.

Autor

Heather Mac Allister
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