Ein verführerischer Single-Dad

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Jeden Tag, wenn Ryan Carter ihr Café betritt, fühlt sich Amanda wie ein verliebter Teenager. Mehr noch: Als Ryan plötzlich mit seinem süßen Sohn vor ihrem Tresen steht, wird ihr Herz vor Liebe ganz weit. Aber kann der smarte Single-Dad ihr geben, wonach sie sich sehnt?


  • Erscheinungstag 04.10.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508544
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Er ist wieder da.“

Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte Amanda Sylvester von der Birnen-Ziegenkäse-Blätterteigpastete auf, die sie gerade kunstvoll auf einem Teller arrangierte.

Belle Ross, ihre Oberkellnerin und beste Freundin, grinste von einem Ohr zum anderen. „Ich meine ja bloß. Falls du es wagen möchtest, ihn anzusprechen.“

„Das Mittagsgeschäft ist in vollem Gang. Solltest du nicht an den Tischen bedienen?“ Amanda pflückte einen Rosmarinzweig aus dem kleinen Kräutergarten, den sie am Küchenfenster angelegt hatte, und platzierte ihn sorgfältig auf ihrer Kreation. Ich meine ja bloß.“

„Es ist drei Uhr. Die Mittagsgäste sind seit über einer Stunde weg.“

„Oh.“ Amanda hatte total das Zeitgefühl verloren, was häufig vorkam, wenn sie mit neuen Rezepten experimentierte. Nicht dass eines ihrer Gerichte es jemals auf die Speisekarte schaffen würde. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen!

„Er hat einen Latte to go bestellt.“ Belle hielt einen Pappbecher hoch. „Du servierst ihn.“

„Oh nein.“

„Oh doch. Ich weigere mich. Deine heimliche Schwärmerei dauert jetzt schon viel zu lange.“

Verlegen widersprach Amanda: „Das ist überhaupt keine heimliche Schwärmerei. Ich finde ihn bloß geheimnisvoll.“ Dass er außerdem gut aussah, war unerheblich. Zumindest weitgehend.

Sie lebte schon seit ihrer Geburt in Spring Forest, North Carolina, und arbeitete im Main Street Grille, dem Diner ihrer Familie, seit sie alt genug war, mehr als einen Teller gleichzeitig zu tragen. Sie liebte es. Wirklich. Doch manchmal war ihr alles allzu vorhersehbar.

Was ihre Faszination für den Mann erklärte, der seit Neuestem mehrmals am Tag auftauchte und aussah, als wäre er gerade dem Männermagazin GQ entsprungen. Ryan Carter, der neue Besitzer und Chefredakteur der Wochenzeitung Spring Forest Chronicle, war nicht gerade das, was man landläufig als umgänglich bezeichnete. Aber er war faszinierend. Und attraktiv. Auf eine nachdenkliche Art.

Belle grinste. „Ja, ja, rede dir das ruhig weiter ein, Boss.“

Amanda schnappte sich den Becher, wandte sich zum Gastraum um und erklärte: „Du bist so was von gefeuert!“

Natürlich war das ein Scherz, denn Belle war eine verdammt gute Kellnerin.

Aber sie spinnt. Eine neunundzwanzigjährige Karrierefrau wie ich hat keinen Schwarm! Doch als Amanda den Tresen erreichte und der hünenhafte Mr. Grumpy – so nannte sie ihn insgeheim, weil er so grummelig wirkte – von seinem Smartphone aufblickte, tanzte ihr Magen auf eine Weise, die sie nur als schwarmtastisch bezeichnen konnte. Reiß dich zusammen! Dieses Wort gibt’s ja gar nicht.

Sie straffte die Schultern und reichte ihm lächelnd den Becher. „Ihr Kaffee.“

„Danke sehr.“

Kein Lächeln. Kein Hinweis darauf, dass er sie ebenfalls für schwarmtastisch halten könnte, obwohl sie an diesem Tag ausgesprochen hübsch aussah und gut aufgelegt war.

Er nahm den Becher, nickte ihr zerstreut zu und wandte sich zum Gehen.

„Sehr gern.“ Sie schnappte sich ein Geschirrtuch und rieb an einem unsichtbaren Fleck auf dem Tresen, während sie verstohlen beobachtete, wie er mit forschem Schritt zur Tür eilte. Sein Rücken war beeindruckend. Breit und stark, als könnte er die schwersten Lasten tragen. Und selbst durch den Stoff des eleganten Jacketts war das Spiel seiner Muskeln zu erkennen.

„Wie ist es gelaufen?“, fragte Belle.

„Katastrophal.“ Amanda schrubbte härter an der Arbeitsplatte. „Ich war selbstsicher und freundlich. Ich habe ihn angelächelt und sogar kokett die Haare zurückgeworfen.“

„Und?“

„Er hat sich bedankt und ist gegangen.“

„Das ist tatsächlich eine Katastrophe.“ Belle grinste. „Der Mann ist eindeutig ein Monster.“

„Du machst dich lustig darüber, aber dass er nicht gelächelt hat, hat doch was zu bedeuten. Meinst du nicht?“

„Doch. Es bedeutet, dass er es eilig hat. Oder zerstreut ist. Oder dringend Koffein braucht.“

„Oder dass er absolut kein Interesse an mir hat, was mir nur recht ist.“ Sogar mehr als recht. Amanda hatte keine Zeit für einen Kerl. Sie hatte ja nicht einmal Zeit für einen Hund. Sie wollte nur ihrer Arbeit nachgehen, ihre Food-Pics auf Instagram posten und Ryan Carter aus der Ferne anhimmeln. War das wirklich zu viel verlangt? „Er ist eh verheiratet. So viel wissen wir über ihn.“

„Ach so?“ Belle spähte aus dem Fenster, wie um herauszufinden, ob ein Schild mit der Aufschrift frisch verheiratet auf seinem Rücken prangte.

„Natürlich wissen wir das. Er hat in dieser Woche täglich zwei Tagesgerichte zum Mitnehmen bestellt. Eine Mrs. Grumpy wartet zu Hause auf ihn. Ganz offensichtlich.“

„Das einzige Offensichtliche an der ganzen Sache ist, dass du ein Feigling bist. Genau wie damals beim Sadie-Hawkins-Tanz in der zehnten Klasse.“

„Fang bloß nicht davon an!“ Der beschämende Vorfall lag ungefähr vierzehn Jahre zurück, doch Amanda hatte ihn immer noch nicht überwunden. Noch lange nicht. „Und ich bin überhaupt kein Feigling. Muss ich dich erst daran erinnern, dass ich letzte Woche ganz allein einen Tornado durchgestanden habe?“

Verrückt vor Angst hatte sie im Badezimmer ihres winzigen Apartments gehockt und dem unheimlichen Heulen des Sturms und dem Klappern der Fensterläden zuhören müssen. Aber sie hatte es überstanden, ganz allein, und sich am nächsten Morgen angesichts der horrenden Sturmschäden wie Wonder Woman gefühlt.

„Dabei fällt mir was ein.“ Sie blickte auf ihre altmodische Weißgold-Armbanduhr – ein Erbstück von ihrer Großmutter. „Ich muss zum Tierheim. Ich habe Birdie und Bunny versprochen, mit ein paar Hunden Gassi zu gehen.“

Bernadette und Gwendolyn Whitaker, in Spring Forest als Birdie und Bunny bekannt, lebten auf dem weitläufigen viktorianischen Anwesen, das sich schon seit Generationen im Familienbesitz befand. Dort hatten sie vor einigen Jahren das Tierheim „Fellknäuel fürs Leben“ eingerichtet, in dem Amanda ehrenamtlich mitarbeitete.

„Wie sieht es denn da draußen aus? Der Tornado hat ziemlich schwer gewütet, oder?“

„Ja. Soweit ich gehört habe, wurden viele Bäume entwurzelt und das Dach hat ordentlich was abbekommen. Die Versicherung wird das bestimmt regeln, aber erst mal ist es ein Desaster. Die armen Tiere haben vorher schon genug durchmachen müssen.“

Sie wünschte zum tausendsten Mal, einen der Hunde adoptieren zu können, aber sie war so gut wie nie zu Hause. Und Tiere aus dem Tierheim brauchen besonders viel Aufmerksamkeit. Zuwendung. Liebe.

Ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Was war bloß in sie gefahren? Der Tornado musste sie mehr aufgewühlt haben, als sie sich eingestehen wollte.

„Na ja, wenigstens kommst du für eine Weile hier raus. Das tut dir bestimmt gut“, meinte Belle. „Immerhin schuftest du schon seit Sonnenaufgang.“

„Ich will noch ein paar Fotos von meiner Pastete machen, bevor ich gehe.“ Amanda ging durch die Schwingtür in die Küche zurück. Zurück an ihren Zufluchtsort, an dem sie sich geborgen gefühlt hatte, bis sie wieder einmal von dem nachdenklichen Zeitungsmann abgelenkt worden war.

Welch kolossale Zeitverschwendung! Das bewies ihre Blätterteigpastete, die beträchtlich an Volumen verloren hatte, während sie Mr. Grumpy den Kaffee brachte.

Belle spähte ihr über die Schulter. „Soll das so aussehen?“

„Du meinst so traurig und eingefallen? Nein.“ Amanda steckte das Smartphone wieder ein. „Ich werde heute doch nichts mehr posten.“

„Aber es schmeckt bestimmt gut.“

„Eine Blätterteigpastete ist nur eine Spezialität, wenn sie locker und fluffig ist, und das war einmal. Ein Grund mehr, warum ich nicht mit einem Fremden flirten sollte.“

„Spring Forest ist immer noch eine Kleinstadt. Es dürfte nicht schwer sein, mehr über ihn rauszufinden. Wir könnten sogar ein bisschen gastfreundlich sein und nett mit ihm plaudern. Dann wäre er kein Fremder mehr.“

„Könnten wir. Aber meine Pastete wäre immer noch unbrauchbar.“ Amanda warf das Backwerk kurzerhand in den nächsten Mülleimer.

„Dein Privatleben wäre es vielleicht nicht mehr.“

Sie überhörte die Bemerkung geflissentlich. Sie brauchte keinen Mann. Sie brauchte ganz andere Dinge. Eine gehörige Portion Schlaf. Jemanden aus der Familie, der im Diner mit anpackte. Genügend Instagram-Follower, damit ihre Eltern ihr endlich erlaubten, den Grille um einen Gourmet-Cateringservice für Hochzeiten und hochklassige Veranstaltungen zu erweitern …

Und im Augenblick brauchte sie einen Besuch im Tierheim. Weil Hunde viel unkomplizierter als Menschen sind. Sie sind loyal und ehrlich, wechseln nicht aus einer Laune heraus ihre Sympathien und laufen in schweren Zeiten nicht gleich weg. Sie sind vermutlich das beste Beispiel für bedingungslose Liebe.

Manchmal fragte Amanda sich, wie Hunde so sanft und süß sein konnten, während Menschen ihrer Erfahrung nach oft das genaue Gegenteil waren.

Mit dem Kaffeebecher in der Hand eilte Ryan Carter in das Gebäude des Spring Forest Chronicle und ermahnte sich nicht zum ersten Mal, es langsamer angehen zu lassen. Durchzuatmen. Sein Umfeld bewusst wahrzunehmen.

Er war nicht mehr in Washington. In Spring Forest ging es gemütlicher zu. Deswegen war er hierhergezogen. Nach dem unerwarteten drastischen Umbruch in seinem Privatleben hatte er einen Neuanfang gebraucht. Einen weichen Landeplatz. Für sich selbst wie für seinen Sohn.

Nach einer Suche von knapp einem Jahr hatte er diesen Ort gefunden. Spring Forest war genau das, was sie brauchten. Eine Oase, die vor Südstaaten-Charme nur so strotzte. Dort anzukommen war, wie nach einer langen Saison mit zu wenig Schlaf und noch weniger Freude in ein weiches Federbett zu fallen.

Er musste nicht länger alles stehen und liegen lassen, um an einer plötzlich anberaumten Pressekonferenz im Weißen Haus teilzunehmen. Lückenlos aufeinanderfolgende Abgabetermine, die ihm den Schlaf geraubt hatten, gehörten der Vergangenheit an. Ihm saß nicht einmal mehr ein Chefredakteur im Nacken. Diesen Posten hatte nun er selbst inne.

Jonah Miller, sein Assistent, sprang auf und strahlte ihn an. „Hallo, Mr. Carter.“

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie nicht jedes Mal aufstehen sollen, wenn ich das Gebäude betrete. Und ich möchte, dass Sie mich Ryan nennen.“

Jonah starrte auf Ryans Krawatte. „Ach ja, stimmt. Entschuldigung.“

Im Spring Forest Chronicle herrschte kein formeller Dresscode, wie Jonahs Aufmachung in Röhrenjeans und Sneakers bewies. Du solltest dich dem anpassen, dachte Ryan im Hinblick auf seinen formellen Anzug. Doch es fiel ihm schwer, alte Gewohnheiten abzulegen, und sein Kleiderschrank war voll von grauem Flanell und Nadelstreifen. Überreste aus seinem früheren Leben.

Er beschloss, sich schleunigst legere Kleidung zuzulegen. Denn momentan, obwohl er erst dreiunddreißig war, fühlte er sich uralt und fast wie Jonahs Vater, obwohl der Altersunterschied kaum zehn Jahre betrug.

„Haben Sie irgendwelche Nachrichten für mich?“, fragte Ryan hoffnungsvoll.

Auch wenn er es nur ungern eingestand, war die Umstellung von der Position des führenden Politikredakteurs bei der Washington Post auf die Leitung einer unbedeutenden Kleinstadtzeitung eine unerwartet große Herausforderung für ihn. Er vermisste seinen alten Job. Den Adrenalinrausch bei der Jagd nach einer Titelstory. Das Erfolgsgefühl. Das Prestige.

Doch sein Sohn Dillon war wichtiger als all das. Deswegen waren sie in Spring Forest gelandet.

Trotzdem hätte Ryan sehr viel für eine Coverstory gegeben. Für einen echten Aufhänger mit Substanz. Für einen Artikel, der sich um Bedeutenderes als einen Kuchenbasar, die Entfernung eines Stoppschilds oder die neue Uniform des Spielmannszugs drehte. Die einzige nennenswerte Nachricht, über die er in letzter Zeit berichtet hatte, war der Tornado, der durch die Stadt gefegt war.

Auf diese Pressemeldung hätte er liebend gern verzichtet. Der Sturm hatte Dillon solche Angst eingejagt, dass er danach drei Nächte lang in der Badewanne schlief. Um ihn nicht allein zu lassen, hatte Ryan in seinem Schlafsack auf dem Fußboden im Badezimmer übernachtet. Seitdem tat sein Rücken höllisch weh. Aber ich war wenigstens für ihn da. Ausnahmsweise.

„Ja, in der Tat.“ Jonah riss ein Blatt von dem rosa Zettelblock auf seinem Schreibtisch. „Patty Mathews von der Grundschule hat angerufen. Sie hat versucht, Sie auf dem Handy zu erreichen, aber da hat sich gleich die Mailbox eingeschaltet.“

„Weil ich ein neues Handy habe, das erst seit ein paar Minuten aktiviert ist.“ Ryans altes Handy schaltete sich ständig ab, seit er es während des Sturms versehentlich am Ladegerät angeschlossen gelassen hatte.

„Wahrscheinlich ist in der Schule alles in Ordnung, aber Sie sollten lieber bald zurückrufen“, riet Jonah.

„Natürlich.“ Ein flaues Gefühl beschlich Ryan. Denn seit langer, langer Zeit war nichts mehr in Ordnung. Er blickte zur Uhr. „Es ist gleich Schulschluss. Ich fahre lieber hin, anstatt anzurufen. Oder gibt es hier etwas Dringendes, um das ich mich kümmern muss?“

„Nein, nichts.“

Das war nicht weiter verwunderlich. Immerhin dauerte es noch drei Tage, bis die Zeitung in Druck ging. Der Spring Forest Chronicle war eine Wochenzeitung und ermöglichte Ryan somit einen flexiblen Zeitplan. Er brachte Dillon jeden Tag zur Schule und holte ihn auch wieder ab.

Vor dem Unfall, in Washington, hatte er kein einziges Mal auch nur einen Fuß in Dillons Klassenzimmer gesetzt. Nun spürte er ein Brennen im Magen und zerknüllte die Nachricht in seiner Faust. Was ist, wenn es zu spät ist? Was ist, wenn ich nie mehr an meinen Sohn rankomme? Was ist, wenn er für immer verstummt ist?

„Gut. Dann bis morgen.“ Ryan ließ den Blick durch den Raum schweifen für den Fall, dass jemand aus seiner winzigen Redaktion mit ihm sprechen wollte. Aber die drei Mitarbeiter saßen über ihre Schreibtische gebeugt und fixierten ihre Computermonitore.

Seufzend verließ er das Gebäude. Vereinzelte Sonnenstrahlen fielen durch das Blattwerk der Bäume entlang der Main Street und wärmten sein Gesicht auf dem Weg zu dem großen öffentlichen Parkplatz, auf dem sein Auto stand. Es war ein kleiner SUV. Neu, wie fast alles in seinem Leben.

Manchmal vergaß er, welche Farbe es hatte oder wo es geparkt war. Manchmal vergaß er, dass er neuerdings mit dem Auto statt mit der Metro zur Arbeit fuhr.

Wir brauchen bloß noch etwas Zeit, redete er sich ein. Irgendwann wird sich unser neues Leben richtig anfühlen. Es wird uns passen wie ein Lieblingspullover. Die Zeit heilt alle Wunden. Sagen das nicht alle Leute?

Er konnte es nur hoffen.

Aber er hatte so seine Zweifel. Genau wie seine überheblichen Schwiegereltern, und das war ein Problem. Sogar ein großes. Er wollte momentan nicht an sie denken. Zum Glück musste er das auch nicht. Der Umzug nach Spring Forest hatte fast dreihundert gesegnete Meilen zwischen sich und die Eltern seiner verstorbenen Frau Maggie gebracht.

Darauf trinke ich. Ryan nahm den letzten Schluck Kaffee aus dem Pappbecher, drehte sich um und warf ihn in den nächsten Papierkorb. Dabei stieß sein Arm mit etwas zusammen. Oder besser gesagt: mit jemandem. Mit einer Frau, die rückwärts taumelte.

Er packte sie bei den Schultern, um einen Sturz zu verhindern. „Oh! Entschuldigung. Ich habe nicht aufgepasst. Sind Sie verletzt?“

„Aua!“ Sie hielt sich die Hände vor das Gesicht, denn sein Ellbogen war mit ihrer Nase kollidiert.

Ihre polierten Fingernägel und die schmalen Goldringe an Mittelfinger und Daumen kamen ihm bekannt vor, aber er wusste nicht, woher. „Es tut mir leid.“ Er schluckte schwer und zwang sich, ihre Schultern loszulassen.

Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er seit langer Zeit keine Frau mehr angefasst hatte. Sie roch irgendwie sinnlich und lieblich zugleich. Vielleicht nach Vanille. Und ihr Pullover hatte sich weich unter seinen Fingern angefühlt. So weich, dass ein Gefühl der Sehnsucht in seiner Brust erwacht war. Er atmete tief ein.

„Sie haben mich ganz schön erwischt, aber es ist alles in Ordnung.“ Sie ließ die Hände sinken. „Ach, Sie sind’s.“

Ryan runzelte die Stirn. Waren sie sich schon mal begegnet? Eigentlich hätte er sich an ihren wundervollen bronzefarbenen Teint, die vollen Lippen und die Augen in der Farbe von edlem Bourbon erinnern müssen. Andererseits spazierte er seit Monaten wie benebelt durch die Gegend. Mit offenen Augen, ohne zu sehen. Existierend, ohne zu leben.

Schließlich dämmerte es ihm. „Der Diner. Sie haben mir vorhin den Kaffee gebracht.“

Sie nickte, und ihre Lippen verzogen sich zu einem winzigen Lächeln.

„Der war übrigens sehr gut.“ Was soll das? Flirtest du etwa mit ihr? Nein. Ganz bestimmt nicht.

Mit großen Augen, in deren Tiefen goldene Pünktchen glitzerten, blickte sie ihn an. „Jetzt runzeln Sie wieder die Stirn. Deshalb glaube ich Ihnen nicht.“

Ernst behauptete er: „Ich lüge nie, wenn es um Kaffee geht.“

Ihr Lächeln ließ sein Herz höherschlagen, doch schon folgten Gewissensbisse.

Er durfte sich nicht darüber freuen, dass er sie aufheitern konnte. Absolut nicht. Sein Leben war ein Desaster, seine Frau war tot, und in dem Jahr seit ihrem Unfall hatte sein Sohn kein einziges Wort gesprochen.

Was würde diese reizende Frau denken, wenn sie die hässliche Wahrheit wüsste? Er wollte es lieber nicht herausfinden. „Ich muss gehen“, sagte er schroffer als beabsichtigt.

Sie zuckte zusammen, doch Ryan beachtete es kaum, denn schon eilte er weiter.

2. KAPITEL

„Mr. Carter, wie schön, dass Sie persönlich vorbeikommen.“ Patty Mathews, Dillons Lehrerin, schloss die Tür zu ihrem Klassenzimmer hinter sich und trat lächelnd zu Ryan auf den Korridor. „Meine Assistentin hilft den Kindern, ihre Ranzen zu packen. Wir beide können also ein paar Minuten in Ruhe reden, bis es klingelt.“

Über ihre Schulter guckte er durch das lange schmale Türfenster in das Klassenzimmer. Der Raum war in leuchtenden Farben eingerichtet, von bunten Matten auf dem Fußboden bis zu lustigen Buchstabensymbolen an der Tafel. Streifenhörnchen Alvin für A, Hase Bugs Bunny für B … Die Cartoon-Tiere erinnerten Ryan daran, wie oft er Dillon in Washington versprochen hatte, mit ihm in den Zoo zu gehen. Versprechen, die er nie gehalten hatte …

Er schluckte schwer und wandte sich wieder an die Lehrerin. „Ich habe Ihre Nachricht erhalten. Ist etwas vorgefallen?“

Ihre Miene wurde ernst. „So würde ich es nicht unbedingt nennen. Dillon ist ein lieber und wohlerzogener Junge. In Mathematik ist er sehr weit für sein Alter. Also mache ich mir diesbezüglich keine Sorgen um seine Entwicklung.“

Ryan nickte und machte sich auf das Aber gefasst. Es kam prompt.

„Aber er hat heute in der Lesestunde die Mitarbeit verweigert. Hatte er in seiner bisherigen Schule Schwierigkeiten mit dem Lesen?“

Er blickte erneut durch das Türfenster und sah Dillon still mit seinem Lieblingsdinosaurier auf seinem Platz sitzen, während die anderen Schüler um ihn her lachend und plappernd ihre Ranzen packten. „Wie ich bei seiner Einschulung angegeben habe, macht er eine schwere Zeit durch, seit seine Mutter im letzten Jahr gestorben ist. Er ist still.“ Er räusperte sich. „Sehr still.“

„Das hat Rektor Martin mir mitgeteilt. Aber ich fürchte, das Ausmaß war uns nicht bewusst. Wie still ist er wirklich?“ Mrs. Mathews neigte den Kopf, während sie auf eine Antwort wartete.

„Dillon wird nicht laut vorlesen.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Spricht er überhaupt?“

Eine bleierne Schwere überfiel Ryan. Ganz plötzlich schien selbst das Stehen mehr Energie zu erfordern, als er aufbringen konnte. „Nein.“

„Es ist wichtig für mich, ganz genau zu wissen, was los ist. Um herauszufinden, wie ich Ihrem Sohn am besten helfen kann.“

„Okay. Tut mir leid. Ich hatte gehofft …“ Dass er sich an einem neuen Ort, unter neuen Menschen öffnen wird. „Ich dachte, er wäre glücklich hier.“

„Wir tun unser Bestes, damit er es wird“, versicherte Mrs. Mathews sanft.

Er strich sich mit einer Hand über das Gesicht und guckte noch einmal zur Tür. Doch diesmal sah er nicht das Klassenzimmer, sondern sein eigenes Spiegelbild. Um die Augen lagen Falten, die er vor einem Jahr noch nicht entdeckt hatte. Er sah genauso müde aus, wie er sich fühlte.

Außerdem wirkte er wie ein aufgeblasener Idiot in seinem formellen Maßanzug mit der Hermès-Krawatte auf dem Schulkorridor. Ein aufgeblasener Idiot, der keine Ahnung hat, wie er seinem eigenen Kind helfen soll.

Er räusperte sich und erklärte: „Es ist kein physisches Problem. Laut der Kinderärztin in Washington ist es nur eine vorübergehende Manifestation von Kummer.

Ich war mit ihm auch bei einer Therapeutin. Sie hat gesagt, dass Geduld das Wichtigste ist. Dass man ihn nicht zum Sprechen drängen darf und ihn belohnen soll, sobald er auch nur eine Silbe äußert. Davon abgesehen soll ich ihn nur wissen lassen, dass ich immer für ihn da bin. Das ist der einzige konkrete Rat, den sie mir geben konnte.“

Autor

Teri Wilson
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Fellnasen für immer