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Nicht länger Jungfrau sein! nimmt Violet sich für das neue Jahr vor. Und die glamouröse Silvesterparty ihres Bosses scheint genau der richtige Auftakt, ihr wagemutiges Abenteuer zu beginnen. In dem atemberaubend verführerischen Kostüm zieht sie sofort den Blick des bekannten Filmproduzenten Leo Wolfe auf sich. Der ist der Richtige für mich, glaubt Violet, als es zwischen ihnen knistert. Heiße Küsse, pure Lust - ihr Plan scheint aufzugehen! Doch Violet hat die Rechnung ohne ihr Herz gemacht, das sich nach einer sinnlichen Nacht mit Leo plötzlich nach mehr sehnt …


  • Erscheinungstag 23.12.2014
  • Bandnummer 2158
  • ISBN / Artikelnummer 9783733701239
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Bist du fertig, Violet?“, rief ihr Vater aus der Küche.

„Ja! Komme gleich!“, antwortete sie. Dabei durchströmte sie grenzenlose Erleichterung. Denn Weihnachten war wieder einmal vorbei, und sie konnte sich zurück nach Sydney flüchten – in ihr eigenes Leben.

Früher habe ich Weihnachten geliebt, dachte sie, während ihr Blick prüfend durch das Zimmer glitt. Und früher hatte sie auch dieses Zimmer geliebt. Aber damals war sie zwölf gewesen. Ein Jahr später hatte die Pubertät ihre sorglose Kindheit für immer beendet.

Von da an war das Zimmer zum Gefängnis geworden. Zugegeben ein sehr schönes Gefängnis. Rosa Wände, rosa Tagesdecke und rosa Vorhänge. Sogar mit eigenem Fernseher und DVD-Player. Nichtsdestotrotz ein Gefängnis.

„Es wird allmählich Zeit, Violet“, wiederholte ihr Vater, diesmal von der offenen Zimmertür her. „Du willst doch nicht den Flug verpassen!“

Oh, Gott, ganz bestimmt nicht, dachte sie, hängte sich die Reisetasche um und griff nach dem Trolley. Vier Tage zu Hause reichten ihr. Nicht nur der Erinnerungen wegen, sondern auch wegen der Fragen ihrer wohlmeinenden Familie – und zwar mit Vorliebe beim Weihnachtsessen, nachdem die Kinder ihrer Schwester den Tisch verlassen und zum Pool gerannt waren. Was macht dein Job? Das Schreiben? Dein Liebesleben?

Letzteres interessierte natürlich alle am meisten. Ihr Liebesleben! Beziehungsweise ihr nicht existentes Liebesleben.

Als sie – wie jedes Jahr – geantwortet hatte, es gäbe im Moment niemanden, hatte sie ihr ach so taktvoller Bruder gefragt, ob sie vielleicht lesbisch sei. Glücklicherweise waren die anderen sofort in lautes Protestgeschrei ausgebrochen. Allen voran ihr Schwager Steve, der mit ihrer Schwester Vanessa verheiratet und eine Seele von Mensch war. Alle waren in lautes Gelächter ausgebrochen, als er erklärte: Wenn sie lesbisch sei, dann wäre er schwul. Ein völlig absurder Gedanke! Steve, ein Bär von einem Mann, Fliesenleger – mit Frau, zwei Kindern und einer Harley Davidson.

Zum Glück hatten sie das Thema darauf zunächst fallen gelassen. Doch am nächsten Tag, als sie und Vanessa nach dem traditionellen Grillfest am zweiten Weihnachtstag das Geschirr spülten, hatte ihre Schwester sie mit bohrendem Blick gemustert und gefragt: „Natürlich bist du nicht lesbisch, aber du bist doch hoffentlich nicht immer noch Jungfrau?“

Natürlich hatte Violet gelogen und dies heftig verneint. Sie behauptete, mit Antritt des Studiums auch ihr Jungfernhäutchen verloren zu haben. Vanessa wirkte zwar nicht restlos überzeugt, fragte aber nicht weiter nach. Und dafür war ihr Violet unendlich dankbar.

Sie hatten sich nie besonders nahe gestanden, sich nie gegenseitig ihre Geheimnisse anvertraut, wie das manche Schwestern taten. Vanessa war acht Jahre älter als Violet, und sie hatten einfach nicht dieselbe Wellenlänge.

Trotzdem erstaunte es Violet, dass offenbar alle Welt annahm, es wäre für sie ein Leichtes, eine Beziehung einzugehen. Als Teenager hatte sie extrem unter ihrer starken Akne gelitten und sich von einem fröhlichen, unbeschwerten Mädchen in einen schüchternen, introvertierten Teenager verwandelt. Die Highschool war ein einziges Martyrium gewesen. Nicht nur wegen ihres Bruders, der sie „Streuselkuchen“ nannte. Auch die Mitschüler hänselten und mobbten sie derart, dass sie fast täglich weinend aus der Schule kam.

Ihre unglückliche Mutter kaufte jedes Mittel, das es auf dem Markt gab. Aber nichts half. Was sie jedoch versäumten, war, zum Hautarzt zu gehen. Ihr Vater vertrat ohnehin die Meinung, das Ganze würde sich „auswachsen“. Leider war dem nicht so. Glücklicherweise ging die Vertrauenslehrerin der Schule kurz vor der Abschlussprüfung mit Violet zu ihrer eigenen Hausärztin.

Diese äußerst verständnisvolle Frau verschrieb ihr eine Salbe – und die Pille, die für eine Regulierung des Hormonhaushalts sorgte. Nach und nach verschwanden die hässlichen roten Pickel. Unglücklicherweise hatte Violet aus Frust begonnen, zu essen und an den Pickeln herumzukratzen. Das schuf neue Probleme: Sie bekam Narben und wurde fett.

Naja, nicht wirklich fett. Aber ein bisschen zu dick.

Mit Diät und Fitnesstraining bekam sie ihr Gewicht wieder in den Griff. Und eine nicht unbeträchtliche Summe aus dem Erbe einer verstorbenen Großtante ermöglichte ihr eine teure Laserbehandlung beim Hautarzt. Danach war ihre Haut wieder makellos.

Die seelischen Narben jedoch ließen sich nicht so leicht beseitigen. Immer noch litt Violet unter mangelndem Selbstbewusstsein, was ihr Äußeres betraf. Es schien ihr undenkbar, dass irgendjemand sie attraktiv finden könnte. Und auch der Blick in den Spiegel half nichts, da sie ihrer Wahrnehmung misstraute. Dabei war sie zwei Mal zu einem Date eingeladen worden – und hatte in beiden Fällen abgelehnt.

Allerdings entsprachen die Männer auch überhaupt nicht ihren heimlichen Wunschkriterien. Sie waren weder unglaublich attraktiv, unwiderstehlich erotisch oder zumindest ungeheuer charmant. Den einen sah sie täglich im Bus, und er war ungefähr so prickelnd wie lauwarmes Spülwasser. Der andere arbeitete in dem Supermarkt, in dem sie einkaufte. Er war zwar nicht unattraktiv, aber ohne jeden persönlichen Ehrgeiz und ohne Leidenschaft für das, was er tat.

Kurzum, beide entsprachen nicht dem Bild der unwiderstehlichen Helden der Liebesromane, die sie in den einsamen Stunden in ihrem rosa Gefängnis dutzendweise verschlungen hatte.

Bevor sie das Zimmer verließ, fiel ihr Blick auf das Bücherregal. Dort standen immer noch ihre Bücher, die sie einfach nicht weggeben konnte. Sie brachte es nicht übers Herz. Obwohl sich ihre Lektüre in den letzten Jahren drastisch verändert hatte.

Violet studierte englische Literatur. Daher standen an der Universität Shakespeare, die Klassiker und auch moderne Schriftsteller auf dem Lehrplan. Um Geld zu verdienen, lektorierte sie Manuskripte für Henry, einen Literaturagenten. Meistens waren es Krimis – da blieb keine Zeit für Liebesromane.

Seit sie zu Henrys Assistentin aufgestiegen war, las sie alle Bestseller, um auf dem Laufenden zu bleiben. Auch in diesen Romanen ging es um Liebe, aber nie so schwelgerisch und erotisch-pikant wie in den Liebesromanen, nach denen sie süchtig gewesen war.

Plötzlich fragte Violet sich, ob die Romane sie wohl noch immer derart fesseln würden wie damals. Sie stellte den Koffer ab und suchte nach ihrem Lieblingsroman. Er handelte von einem Piraten, der eine britische Adelige entführt und sich in sie verliebt hatte – und die junge Dame sich selbstverständlich auch in ihn. Trotz des triefenden Kitschs hatte sie dieses Buch geliebt.

„Violet! Es wird wirklich Zeit!“, drängte ihr Vater ungeduldig, als sie anfing, im Regal zu stöbern.

„Gleich!“, rief sie.

Und da entdeckte sie es! Das Buch sah etwas mitgenommen aus, und das Titelbild verriet schon auf den ersten Blick den Inhalt: Die Heldin, die wie immer etwas aufgelöst wirkte, und der Held, der sich in eindeutiger Absicht über sie beugte. Der alte Lüstling, schmunzelte Violet insgeheim und dachte leicht wehmütig an die vergnüglichen Lesestunden zurück. „Ich habe nur noch etwas zum Lesen gesucht!“ Schnell stopfte sie das Buch in die Tasche.

Jetzt stand ihr noch der Abschied von ihrer Mutter bevor. Das war der schwierigste Teil, weil es immer Tränen gab.

„Ich hoffe, wir sehen dich noch vor dem nächsten Weihnachtsfest, Schatz“, meinte sie und wischte sich über die Augen.

„Ich versuche es. Versprochen, Mum.“

Während der Fahrt zum Flughafen schwiegen sie. Ihr Vater war noch nie sonderlich gesprächig gewesen. Er war ein einfacher Mann, Klempner – und ein treu sorgender Familienvater. Insgeheim war ihr Bruder Gavin sein Ein und Alles, der ganz nach ihm kam. Das wussten die Schwestern natürlich. Vanessa ähnelte in ihrem Äußeren und ihrem Wesen sehr der Mutter, während Violet – einfach anders war. Sie schlug völlig aus der Art. In jeder Hinsicht.

Ihre Mutter und Schwester waren blond und blauäugig, schmal und zierlich. Violet dagegen war dunkel, ungewöhnlich hochgewachsen mit üppigen Kurven. Ihr Bruder und ihr Vater hatten zwar auch dunkles Haar und braune Augen, waren aber nur mittelgroß und sehnig.

Es hieß immer, sie käme nach ihrer Tante Mirabella. Die Tante, die ihr zehntausend Dollar hinterlassen hatte. Dabei hatte sie die Frau nie kennengelernt, die offensichtlich als alte Jungfer gestorben war. Wahrscheinlich hatte niemand sie heiraten wollen, weil sie auch unter Akne gelitten hatte. Und damals hatte es noch keinen Laser und keine Wunderpillen gegeben.

Aber nicht nur äußerlich unterschied Violet sich von ihrer Familie. Mit ihrem IQ von 140 übertraf sie alle anderen an Intelligenz. Sie hatte ein exzellentes Erinnerungsvermögen, einen analytischen Verstand und eindeutig Talent zum Schreiben.

Doch leider nicht zum literarischen Schreiben, wie sie nach und nach einsehen musste. Den Versuch, einen Roman zu schreiben, hatte sie aufgegeben, nachdem sie nicht über Kapitel drei hinauskam.

Ihre Begabung lag eher darin, originelle Theorien zu entwickeln und mit unbezwingbarer Logik darzulegen. Im Englischunterricht verblüffte sie die Lehrer durch die Brillanz ihrer Essays, und man ermutigte sie, an einem Aufsatzwettbewerb über die Schriftstellerin Jane Austen teilzunehmen. Der Gewinner erhielt ein Stipendium an der Universität von Sydney.

Violet wurde tatsächlich Erste. Zum Stipendium gehörte auch, dass die Lehrmittel bezahlt wurden und sie außerdem pro Semester zweitausend Dollar für die Lebenshaltungskosten erhielt. Das reichte natürlich nicht ganz aus, aber sie hatte das Glück, ein Zimmer bei einer Witwe namens Joy zu finden, die sich gegen etwas Hilfe im Haushalt mit einer kleinen Miete begnügte.

Außerdem lag Joys kleines Reihenhaus in der Nähe der Universität. Trotzdem musste Violets Vater anfänglich noch einen kleinen Betrag zuschießen. Aber nachdem sie den Job bei Henry gefunden hatte, wurde auch das überflüssig.

Violet entdeckte, wie sehr es ihr gefiel, niemandem verpflichtet zu sein. Sie liebte es, auf eigenen Füßen zu stehen. So unsicher sie hinsichtlich ihres Aussehens auch sein mochte, so selbstbewusst war sie, was ihre geistigen Fähigkeiten betraf.

Sie wusste, dass sie gut in ihrem Job war. Dank Joy, der sie ab und zu in der Küche half, hatte sie außerdem kochen gelernt. Und sie konnte gut Auto fahren – ebenfalls dank Joy, die ihr Fahrstunden gegeben hatte, bis sie so weit war, die Führerscheinprüfung abzulegen. Hätte Violet einen Wagen gebraucht, hätte sie sich einen gekauft, aber Henry hatte ein Apartment im CBD – im Geschäftszentrum der City – und arbeitete dort. Und es war viel einfacher, mit dem Bus ins Zentrum zu fahren als mit dem Auto.

Auch hatte sie keinen Freundeskreis, der ein Auto erfordert hätte. Manchmal machte sie sich deswegen Gedanken, aber eigentlich fühlte sie sich nicht einsam. Sie war gern allein und ging regelmäßig mit Joy aus, die trotz ihrer fünfundsiebzig Jahre und ihrer Arthritis höchst unternehmungslustig war. Jeden Samstagabend gingen sie essen, meist zum Chinesen, und danach ins Kino.

Violet konnte aufrichtig sagen, dass sie mit ihrem Leben zufrieden war. Zumindest im Großen und Ganzen. Sie war weder unglücklich noch deprimiert so wie früher. Allein, ohne Grausen in den Spiegel sehen zu können, war schon ein Riesenpluspunkt. Wenn sie allerdings ganz, ganz ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass sie doch ganz gern mal ein Date gehabt hätte. Sie wünschte sich, den Mut zu finden, ihre Unschuld zu verlieren. Die Aussicht auf das nächste Weihnachten erfüllte sie schon jetzt mit Grauen.

Ihre Lippen zuckten belustigt, als sie an das Buch in ihrer Tasche dachte. Was sie retten könnte, wäre ein verwegener Pirat, ein Freibeuter, der sie kidnappte und verführte, bevor sie Zeit hätte nachzudenken.

Unglücklicherweise war es äußerst unwahrscheinlich, dass das in diesem Jahrhundert geschehen würde. Aber der Gedanke war trotzdem aufregend.

Plötzlich konnte Violet es gar nicht mehr erwarten, zum Flughafen zu kommen, um das Buch zu lesen.

„Du musst nicht aussteigen, Dad“, meinte sie, als ihr Vater vor dem Flughafengebäude hielt.

„Okay. Gib mir einen Kuss.“

Violet lehnte sich zu ihm und küsste ihn auf die Wange. „Pass auf dich auf, Dad.“

Zwölf Minuten später saß sie in der Abflughalle und tauchte in die abenteuerliche Welt von Captain Strongbow und Lady Gwendaline ein. Bis zum Check-in hatte sie schon die Hälfte der dreihundertfünfzig Seiten hinter sich. Durch ihren Job war sie im Schnelllesen trainiert. Und als sie zum Landeanflug ansetzten, las sie bereits das letzte Kapitel.

Sie erinnerte sich noch ziemlich gut an die Handlung. Rasante Action, ein unwiderstehlicher Held und Liebesszenen, die mehr als „deutlich“ – und unglaublich aufregend – waren. Ihr Blut geriet jedenfalls auch jetzt wieder ziemlich in Wallung.

Einen Unterschied zu damals gab es jedoch: Erst jetzt regis­trierte sie, wie stark auch die Heldin war. Als Teenager hatte sie sich nur auf den attraktiven Machohelden konzentriert.

Dabei ließ sich Lady Gwendaline wirklich überhaupt nichts gefallen. Der fesche, aber ziemlich dekadente Captain Strongbow dominierte sie ganz und gar nicht. Im Gegenteil, sie vertrat äußerst vehement ihre Meinung. Als sie erkannte, dass es sowohl mit als auch ohne ihre Einwilligung zum Sex kommen würde, traf sie bewusst eine Entscheidung. Sie würde sich nicht wehren, aber nicht etwa aus Angst, sondern aus einem starken Überlebenswillen heraus. Ohne zu klagen, zu weinen oder zu betteln hatte sie sich der Kleider entledigt – und sich hocherhobenen Hauptes ihrem Schicksal ergeben.

Dass ihr der Sex Spaß machte, war der größte Schock ihres Lebens. Sie hatte sich zu diesem drastischen Schritt entschieden, ohne zu wissen, was für ein einfühlsamer Liebhaber der Pirat war. Aber das zeigte nur, dass sie nicht zur Opferhaltung neigte. Sie nahm ihr Schicksal selbst in die Hand, statt es passiv über sich ergehen zu lassen. Sie entschied und handelte. Manchmal vielleicht etwas unüberlegt, aber immer mutig und entschieden.

Als sie das Buch zuklappte und in die Tasche steckte, seufzte Violet. Sie wünschte, sie besäße auch so viel Courage. Dabei traute sie sich nicht einmal, auf ein Date zu gehen. Oh, Gott, wie kläglich, dachte sie.

Während sie diesen trübseligen Gedanken nachhing, bemerkte sie plötzlich, dass das Flugzeug immer noch nicht gelandet war, sondern im Gegenteil wieder stieg.

In dem Moment erklang die Stimme des Piloten: „Meine Damen und Herren, leider haben wir ein kleines technisches Problem. Darum haben wir den Landeanflug gestoppt und steigen wieder auf eine Höhe von zehntausend Fuß. Dort werden wir kreisen, bis das Problem gelöst ist. Bitte lassen Sie Laptops und Handys ausgeschaltet. Ich versichere Ihnen, es gibt keinen Grund zur Beunruhigung. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten und bin sicher, dass wir in Kürze landen können.“

Unglücklicherweise erwies sich das kleine technische Problem doch nicht als so unerheblich. Sie kreisten mindestens zwanzig Minuten lang, flogen zurück aufs offene Meer, wo der Pilot den Treibstoff abließ, um dann auf dem Flughafen notzulanden, da etwas mit dem Fahrgestell nicht stimmte. Die Räder waren wohl ausgefahren worden, aber die Warnlämpchen, die dabei eigentlich ausgehen sollten, hatten zu blinken begonnen.

Oder umgekehrt. Violet verstand gar nichts mehr. Ihr Gehirn, das normalerweise wie ein Uhrwerk arbeitete, schien sich in dem Moment, als der Pilot die Durchsage gemacht hatte, verabschiedet zu haben. Sie verstand nur, dass bei der Landung womöglich das Fahrgestell abbrechen könnte – eine Katastrophe!

In der Kabine herrschte Totenstille, als sie in den Landeanflug gingen. Keiner der einhundertfünfzig Passagiere fühlte sich durch die Versicherungen des Piloten beruhigt. Auch nicht dadurch, dass man auf der Landebahn bereits einen feuerlöschenden Schaumteppich ausgelegt hatte, und Krankenwagen und Notärzte bereitstanden. Alle waren sich der Tatsache bewusst, dass sie in ein paar Sekunden tot sein könnten.

Während sich Violet – wie angeordnet – zusammenkauerte, wünschte sie sich, nicht so viele Katastrophenfilme gesehen zu haben. Sie trugen wirklich nicht zu einer optimistischen Einstellung bei.

Überlebende eines Flugzeugabsturzes sagten später oft, ihr Leben sei in Sekundenbruchteilen an ihnen vorübergezogen. Bei Violet war das nicht der Fall. Der einzige Gedanke, der in ihrem Kopf Raum hatte, war der, dass sie als Jungfrau sterben würde. Sie würde sterben, ohne Sex, Liebe und Leidenschaft erlebt zu haben.

Und das ist allein meine Schuld! schoss es ihr durch den Kopf. In diesem Moment legte sie ein Gelübde ab: Wenn ich das hier überlebe, werde ich mich ändern! Ab jetzt sage ich immer ja, wenn mich jemand einlädt. Egal wer!

Und noch ganz andere Dinge würden sich ändern. Sie würde nicht mehr zur Frauenfitness gehen. Sich schicker anziehen. Sich schminken, Parfüm benutzen und Schmuck tragen. Sie würde ihrem Spiegel glauben und nicht der verzerrten Wahrnehmung ihres Hirns. Und sie würde ein Auto kaufen! Einfach weil sie bestimmt bald ein reges gesellschaftliches Leben haben würde. Und kein langweiliges Auto, sondern einen roten zweitürigen Flitzer!

Die Zeiten des Mauerblümchens waren vorbei! Sie würde die Vergangenheit abschütteln und die Zukunft mit offenen Armen begrüßen. Wenn ich denn eine Zukunft habe!

Ihr Herz schlug angstvoll, als das Flugzeug auf der Landebahn aufsetzte. Tonlos bewegten sich ihre Lippen, während sie betete. Die Räder rutschten im Schaum, aber sie hielten. Danke lieber Gott! Sie hob den Kopf – wie in einer Choreografie –, gleichzeitig mit den anderen Passagieren. Alle sprangen auf. Lachten, umarmten und küssten sich. Nie zuvor war Violet so erleichtert, so glücklich gewesen.

Ich habe eine zweite Chance bekommen! Und die werde ich ganz bestimmt nicht vergeuden!

2. KAPITEL

Leo genoss den fantastischen Blick über den Hafen und gönnte sich ein Glas Rotwein. Das Apartment seines Vaters hatte einen Balkon, der sich über die gesamte Länge der sanft geschwungenen Fassade erstreckte. Plötzlich klingelte es. Sein Handy konnte es nicht sein, denn es lag still neben ihm.

„Henry! Telefon!“, rief er, nachdem es noch ein paar Mal geläutet hatte. Er und sein Vater standen sich sehr nah. Das lag sicher auch daran, dass Henry nach dem frühen Tod seiner Frau nie wieder geheiratet hatte. Leos Mutter war gestorben, als er noch ganz klein war. Mit zwanzig ging er zum Jurastudium nach Oxford, und seitdem hatten er und sein Vater sich beim Vornamen genannt. Es war Henry gewesen, der den Vorschlag gemacht hatte. Inzwischen konnte man ihr Verhältnis zueinander als freundschaftlich bezeichnen.

Er wollte schon aufstehen und selbst an das verflixte Telefon gehen, als es aufhörte zu läuten. Entspannt lehnte er sich wieder zurück. Die Aussicht war traumhaft – vor allem an einem warmen, sonnigen Nachmittag. Das tiefblaue Wasser glitzerte im Sonnenlicht. An der Mole schaukelten sanft unzählige Boote. Vom einfachen Segelboot bis zur Luxusjacht. Zu seiner Linken lag die Harbour Bridge, eines der Wahrzeichen von Sydney. Gleich daneben erhob sich das grandiose Operngebäude.

Vor acht Jahren war Henry in Rente gegangen und hatte verkündet, er würde nach Down-Under, nach Australien, ziehen. Damals hatte Leo bezweifelt, dass sein Vater es dort lange aushalten würde. Schließlich war er Londoner durch und durch.

Als erfolgreicher Literaturagent verkehrte Henry hauptsächlich in Künstlerkreisen. Seine Eltern waren Geschichtsprofessoren gewesen, und seine ältere Schwester war eine erfolgreiche Keramikkünstlerin. Er selbst hatte eine Bildhauerin geheiratet, die leider viel zu früh – mit dreißig – an Gehirnhautentzündung gestorben war.

Auch wenn Henry nie mehr geheiratet hatte, hatte er dennoch zahlreiche Beziehungen gehabt. Immer mit berühmten Künstlerinnen: Opernsängerinnen, Balletttänzerinnen, Malerinnen – und natürlich Schriftstellerinnen. Wie sollte ein solcher Mann in Australien glücklich werden? Auch wenn es nicht mehr als kulturelles Brachland galt, konnte es sich doch wohl kaum mit London vergleichen!

Früher oder später würde sich sein Vater langweilen. Darauf hätte Leo seinen Kopf verwettet. Offensichtlich traf diese Prognose jedoch nicht zu. Allerdings ging Henry auch nicht wirklich „in Rente“. Er mietete in der City ein Apartment und richtete sich dort ein Büro ein. Bald vertrat er eine Reihe vielversprechender junger Autoren. Er betrieb die Agentur allein – wie schon in London. Außerdem spezialisierte er sich auf ein Genre – Kriminalliteratur – und konzentrierte sich auf einen begrenzten Autorenkreis. Die Manuskripte, die er nicht selbst lesen konnte, vergab er an freie Mitarbeiter.

Darunter erwies sich eine als echter Glücksgriff. Eine Studentin – Violet – hatte die Gabe, die „Rohdiamanten“ unter den Schriftstellern zu erkennen. Unter ihrem Lektorat wurden deren Romane zu wahren literarischen Schmuckstücken mit großem kommerziellem Erfolg. Henry lernte sehr schnell, Violets Meinung und ihre Ratschläge, ernst zu nehmen. Inzwischen hatte er mehrere Bestsellerautoren unter Vertrag, die Top-Vorschüsse und höchste Tantiemen von den Verlagen bekamen.

Sehr schnell wurde die „Wolfe-Literaturagentur“ zu der Agentur für Krimiautoren. Und auch wenn Henry nicht daran interessiert war, in seinem Alter die Agentur noch zu vergrößern, war er doch geschäftstüchtig genug, Violet nach Beendigung ihres Studiums als Assistentin einzustellen. Und er besaß die Weitsicht, das Apartment inklusive der Einrichtung zu kaufen, als der Immobilienmarkt gerade eine Flaute durchmachte.

Leo musste gestehen, dass die Wohnung ihm gefiel. Genau wie die Stadt. Sydney bot eine unglaubliche Bandbreite an kulturellen Events. Dazu noch das fantastische Klima. Zwar gab es nicht ganz so viele Theater und Museen wie in London, aber die Restaurants waren Spitzenklasse, die Shoppingmöglichkeiten mehr als adäquat und die Strände natürlich unschlagbar. Und dann der Hafen!

Obwohl er erst seit einer Woche hier war, merkte er schon, wie gut es tat, dem grauen London entronnen zu sein. Blauer Himmel und strahlender Sonnenschein hoben einfach die Laune.

Und das war ein Segen für ihn, da er in den letzten Monaten ziemlich deprimiert gewesen war. Kein Wunder, nachdem sein letzter Film gefloppt war. Das hatte er allein sich selbst zuzuschreiben. Er hätte einfach nicht versuchen sollen, aus einem Tausend-Seiten-Roman, der fast ausschließlich von der inneren Befindlichkeit der Protagonisten handelte, einen Zweistundenfilm zu machen. Der Misserfolg war da vorprogrammiert.

Eine bittere Pille nach all den Erfolgen der letzten Jahre. Entsprechend dankbar nahm er auch die Einladung seines Vaters an, Weihnachten und Neujahr bei ihm in Sydney zu verbringen. Er musste unbedingt dem Medienrummel und der Presse entkommen, bis sie ein neues Opfer gefunden hatte. Und vor allem seinen angeblichen Freunden, die nicht müde wurden, das Ende seiner Glückssträhne zu prophezeien.

Leo trank gerade den letzten Schluck von seinem Shiraz, als die Glastür aufgeschoben wurde und sein Vater mit der Weinflasche und einem zweiten Glas auf den Balkon hinauskam.

„Das kann nur gut fürs Geschäft sein“, meinte er orakelhaft, während er über Leos ausgestreckte Beine stieg, sich an den Tisch setzte und die Gläser füllte.

Es war eine von Henrys irritierenden Angewohnheiten, ein Gespräch mit derart orakelhaften Sätzen zu beginnen, und dann zu verstummen. Eine wohlkalkulierte Taktik, um die Neugierde des Gegenübers zu wecken.

„Was?“, fragte Leo denn auch pflichtschuldigst.

„Das war eben Violet am Telefon. Du weißt schon. Meine Assistentin. Du wirst es nicht glauben! Sie kommt tatsächlich zu meiner Silvesterparty!“

Da Leo inzwischen einiges über die Assistentin seines Vaters wusste, konnte er Henrys Überraschung nachvollziehen. Obwohl hochintelligent, war sie anscheinend eine Eigenbrötlerin. Außerdem legte sie offensichtlich überhaupt keinen Wert auf ihr Äußeres, was mit einem kaum vorhandenen Selbstbewusstsein einherzugehen schien.

Henry fand das bedauerlich, da sie sehr viel zu bieten hätte, wenn sie sich nur aus ihrem Schneckenhaus wagen würde. Violet ging zwar mit ihm Kaffeetrinken, weigerte sich jedoch, ihn zu offiziellen Anlässen zu begleiten.

Als extrovertierter Mensch und Partylöwe liebte Henry Vernissagen, Premieren und Partys. Ganz London war zu seinen Silvesterpartys gekommen. Sie waren legendär. Und in Sydney führte er diese Tradition fort.

Doch Violet war bis jetzt nie einer seiner Einladungen gefolgt. Trotz des Feuerwerks, auf das man von seinem Apartment aus einen spektakulären Ausblick hatte.

Laut Henry wohnte sie bei einer älteren Dame und hatte noch nie einen Freund gehabt. Zumindest nicht, seit sie Vollzeit für Henry arbeitete. Das hieß natürlich nicht, dass es nicht früher jemanden gegeben hatte. Herrgott, sie war schließlich an der Uni gewesen. Selbst das schüchternste, unscheinbarste Mädchen hätte dort jemanden gefunden. Und eins konnte man Violet anscheinend nicht unterstellen – sie war weder unattraktiv noch langweilig. Vielleicht hat sie eine unglückliche Beziehung hinter sich und will nun nichts mehr von Männern wissen, überlegte Leo.

„Hast du sie daran erinnert, dass es ein Kostümball ist?“ Die Gäste sollten sich als Filmfiguren verkleiden.

„Habe ich. Offensichtlich kein Problem.“

„Das wundert mich.“ Normalerweise scheuten schüchterne Menschen Mottopartys. Vielleicht irrt Henry sich ja in der Einschätzung ihrer Person. Womöglich hat sie ein heimliches Liebeslieben! Vielleicht sogar einen Lover, der verheiratet ist? „Ich bin gespannt, welche Filmfigur sie sich aussucht!“

„Keine Ahnung. Aber ich hoffe, etwas Originelleres als du.“

„Du erwartest doch nicht wirklich, dass ich in grünen Strumpfhosen und einem Hut mit Feder herumstolziere?“

„Du wärst ein fantastischer Robin Hood! So durchtrainiert, wie du bist!“

Leo hielt sich zwar tatsächlich fit, aber immerhin war er inzwischen vierzig und keine zwanzig mehr. Dem sollte das Kostüm schon Rechnung tragen. „Ich halte den Filmhelden, den ich mir ausgesucht habe, für weitaus besser geeignet.“

„Warum?“, wollte Henry wissen und füllte erneut sein Glas. „Weil du auch ein Casanova bist?“

Diese Bemerkung überraschte Leo. Er sah sich ganz und gar nicht als Frauenheld. Aber vielleicht wirkte es von außen so. Schließlich hatte er zwei Ehen hinter sich, und in der Öffentlichkeit zeigte er sich stets mit einer hübschen jungen Schauspielerin an der Seite.

Was die Medien natürlich nicht wussten, war, dass er nicht mit diesen wechselnden Begleiterinnen schlief. Zumindest nicht mehr. Er hatte aus seinen Fehlern gelernt. Zurzeit schlief er lediglich mit einer einzigen Frau. Mit Mandy, einer geschiedenen Frau in den Vierzigern, die eine Casting-Agentur betrieb und rund um die Uhr arbeitete. Sie trafen sich ab und zu, um miteinander ins Bett zu gehen. In stillschweigender Übereinkunft wahrten sie beide größte Diskretion.

Mandy mochte Leo – und sie mochte Sex. Dagegen lag ihr nichts daran, als das neueste Betthäschen von Leo Wolfe durch die Medien zu gehen. Sie hatte zwei Söhne im Teenageralter, die sie heiß und innig liebte, und einen Ex-Mann, den sie hasste. Nie im Leben würde sie noch einmal heiraten. Sie wollte einfach nur ab und zu einen Mann im Bett. Und wenn Leo sich in Kensington aufhielt, trafen sie sich ein, zweimal die Woche bei ihr, da ihre Söhne während des Schuljahrs im Internat waren.

„Ich bin ganz und gar kein Casanova“, widersprach Leo energisch.

„Aber natürlich! Es liegt dir im Blut. Du kommst ganz nach mir! Ich habe deine Mutter vergöttert, aber wenn sie nicht so früh gestorben wäre, hätte ich sie wahrscheinlich irgendwann betrogen. Ich hätte sie ebenso unglücklich gemacht wie du Grace.“ Energisch hob er das Glas an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck.

„Ich habe Grace nicht betrogen. Und ich habe sie auch nicht unglücklich gemacht.“ Zumindest nicht, bis er sie um die Scheidung gebeten hatte. Bis dahin war ihr völlig entgangen, dass er sie nicht liebte. Und nie geliebt hatte. Obwohl er meinte, sich zu erinnern, ihr das trotzdem gesagt zu haben, bevor er sie bat, seine Frau zu werden. Damals war er gerade einmal zwanzig gewesen, und er hatte Lust mit Liebe verwechselt – und dann war Grace schwanger geworden.

Immerhin dauerte die Lust an … bis zu Liams Geburt. Erst da begriff Leo, was Liebe bedeutete, weil er seinen Sohn abgöttisch liebte. Seinetwegen versuchte er verzweifelt, ein guter Ehemann zu sein. Er spielte seine Rolle … bis es einfach nicht mehr ging. Kurz vor ihrem neunten Hochzeitstag bat er Grace um die Scheidung. Er fing gerade an, sich fürs Filmemachen zu interessieren und erkannte, dass es nicht nur um eine berufliche Veränderung ging. Es war ihm unerträglich, weiter mit einer Frau zusammenzuleben, die er nicht liebte.

Glücklicherweise war Grace keine Frau, die sich rächen wollte, wenn sie verlassen wurde. Sie stimmte dem gemeinsamen Sorgerecht für Liam zu, und sie schafften es, Freunde zu werden. Inzwischen hatte sie wieder geheiratet und schien glücklich zu sein.

Nie würde Leo jedoch den Ausdruck in ihren Augen vergessen, als er ihr mitteilte, dass er sie nicht mehr liebte. In diesem Moment schwor er sich, nie mehr einem Menschen so viel Leid zuzufügen. Und daran hielt er sich. Auch wenn er sich vor ein paar Jahren zum zweiten Mal hatte scheiden lassen.

Autor

Miranda Lee
Miranda Lee und ihre drei älteren Geschwister wuchsen in Port Macquarie auf, einem beliebten Badeort in New South Wales, Australien. Ihr Vater war Dorfschullehrer und ihre Mutter eine sehr talentierte Schneiderin. Als Miranda zehn war, zog die Familie nach Gosford, in die Nähe von Sydney.

Miranda ging auf eine Klosterschule. Später...
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