Einmal - und nie wieder?

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Reisen, frei sein und einmal heißen Sex mit einem Fremden haben: Diese Wünsche will Sienna sich endlich erfüllen! Ihr erster Stopp ist die Metropole Sydney, wo ihr ein toller Mann über den Weg läuft. Sie weiß nicht viel von Rhys Maitland, als sie die Nacht mit ihm verbringt - außer, dass er verteufelt gut küssen und lieben kann! Noch im Morgengrauen schleicht sie sich fort, ohne sich von ihrem Lover zu verabschieden. Doch sie hat die Rechnung ohne Rhys gemacht! Als er einsam in seinem leeren Bett erwacht, macht er sich sofort auf die Suche nach ihr …


  • Erscheinungstag 19.04.2009
  • Bandnummer 0010
  • ISBN / Artikelnummer 9783862955145
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Sydney – Sonne, Wellen und Shopping. Das Einzige, was fehlte, war der Sex.

Sienna lächelte vor sich hin, als sie über den Strand schlenderte. Unter ihren Füßen brannte der heiße Sand. Sie bahnte sich einen Weg zwischen den faszinierenden Körpern hindurch, um wieder zu dem schmalen Steg zu gelangen. Sollte sie je wieder einen Arzttermin wahrnehmen müssen, dann wäre dies der Rat, den sie auf jeden Fall befolgen würde: eine Woche Urlaub und Erholung. Vorbereitung auf das große Abenteuer. Die erste Woche, in der niemand etwas von ihrer Krankheitsgeschichte wusste. Der neue Anfang, auf den sie länger als ihr halbes Leben gewartet hatte.

Sie machte Platz, um ein Paar vorbeigehen zu lassen. Dabei versuchte sie, die Frau nicht um die Selbstverständlichkeit zu beneiden, mit der sie ihren Bikini trug. Die knappen feuerroten Dreiecke ließen mehr erahnen, als sie verbargen. Aber die Frau besaß die Courage und die entsprechende Figur. Mit keinem von beiden konnte Sienna aufwarten. Sie wollte keine Blicke herausfordern, ertrug weder die schlecht verhohlene Neugier noch das Mitleid. Deshalb trug sie auch das T-Shirt mit dem hohen, eng am Hals anliegenden Kragen. Zugegeben, bei ihrem Minirock lag die Betonung mehr auf Mini als auf Rock und sie bemerkte die interessierten Blicke einiger Männer durchaus. Doch sie ignorierte diese Blicke, scheute davor zurück. Nie würde sie ihr Dekolletée zeigen, so wie die Frau vorhin.

Der Ärger über sich selbst und ihr wankendes Selbstbewusstsein beschleunigte ihre Schritte. Wie sollte es ihr je gelingen, all die „Unbedingt erleben“-Punkte auf ihrer Liste abzuhaken, wenn sie nicht einmal dem Blick eines Mannes begegnen konnte? Wie passte das zu dem „Für den Moment leben“, ihrem neuen Motto?

Siennas Stimmung sank. Deshalb überquerte sie die Straße, ließ den Strand hinter sich und wechselte auf die Seite mit den Kneipen, Cafés und Restaurants. Sie musste sich zusammennehmen. Schließlich lautete ihr fester Vorsatz für das neue Jahr, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Vielleicht sollte sie mit den Mädchen, die sie im Hostel kennengelernt hatte, heute Abend tanzen gehen. Die waren nämlich unternehmungslustig und quirlig und könnten ihr sicher ein paar Tricks beibringen. Allein vom Zusehen würde sie etwas lernen.

Aber genau das war es ja, was sie nicht mehr wollte – zusehen. Immer nur am Rand dabeistehen. Nicht teilnehmen zu dürfen.

Nun, jetzt durfte sie teilnehmen. Es war niemand hier, der ihr sagte, dass sie nicht durfte, nicht sollte, nicht konnte. Allerdings war auch niemand hier, um ihr das Gegenteil zu sagen. Sie wünschte, Lucy wäre bei ihr. Die lebenslustige Freundin war die Einzige, mit der Sienna in all den Jahren wenigstens etwas Spaß gehabt hatte, trotz der Einschränkungen. Doch Sienna war ganz bewusst allein nach Sydney gekommen. Weil sie sich beweisen musste, dass sie es schaffte. Denn wenn sie erst sich selbst davon überzeugt hatte, würden die anderen es ihr auch glauben.

Kurz nach drei. Das Lunch-Publikum war also wieder an die Arbeit zurückgekehrt – abgesehen natürlich von den Urlaubern und Touristen. Die Türen der Bar in der Nähe des Hostels standen weit offen, um zu lüften, bevor das aufziehende Gewitter kam. Sienna sehnte sich richtig danach. Die Luftfeuchtigkeit machte das Atmen schwer, sie war diese drückende Luft nicht gewohnt.

Bumm, bumm, tsching. Da spielte jemand Schlagzeug. Jetzt folgte der Akkord einer elektrischen Gitarre, dann eine männliche Stimme.

„Eins, eins. Zwei. Soundcheck.“

Plötzlich fühlte sie sich richtig zu Hause, fühlte sich wieder wohl. Ihre Beine trugen sie direkt in die Bar hinein, obwohl sie eigentlich nicht geöffnet hatte, hin zu der Band, die auf dem kleinen Podium übte. Vier Jungs standen dort auf der Bühne, alle in Shorts und T-Shirts. Der Sänger am Mikrofon sah genauso aus, wie der Schwarm einer Boy-Group auszusehen hatte. Möglichst unauffällig stellte sie sich an die hintere Wand neben den Eingang und sah dem Drummer voller Neid zu.

„Es tut mir leid, aber hier können Sie nicht bleiben. Die Bar hat noch nicht geöffnet.“

Nur unwillig riss Sienna den Blick von dem Geschehen auf der Bühne los, um den Mann anzusehen, der neben ihr stand. Sie blinzelte. Einmal, dann ein zweites Mal. Grundgütiger! Solche Männer existierten also wirklich? Er war der Typ Mann, der jede Frau dazu bringen würde, im Fitnessstudio zu trainieren, weil sie mit absoluter Sicherheit wusste, dass eine Schlafzimmererfahrung mit ihm ein wahrhaft denkwürdiges Erlebnis sein würde.

Auch Sienna wusste das und verkrampfte sich sofort.

Stahlgraue Augen mit einer Andeutung von Grün musterten sie. Umrundet von schwarzen Wimpern, über denen sich geschwungene Augenbrauen bogen. Eine umwerfende Kombination. Doch es war der Mund, der Sienna die meisten Probleme bereitete. Sie sah auf die vollsten und sinnlichsten Lippen, die ihr je bei einem Mann untergekommen waren.

Sie blinzelte noch einmal und senkte den Blick. In Sekundenbruchteilen hatte sie seine gesamte Erscheinung registriert. Er trug die Designershorts mit lässiger Selbstverständlichkeit, dazu ein eng anliegendes T-Shirt und Sandalen aus weichem Leder. Das dunkle Haar war kurz geschnitten. Vor allem aber seine Hände faszinierten sie. Große Hände mit langen Fingern. Auf der Klaviatur könnte er mühelos zwei Oktaven greifen. Die Nägel waren perfekt gepflegt, vermutlich sogar professionell manikürt.

Bestimmt war er schwul.

Als sie mit ihrer Musterung fertig war, fiel ihr sein Blick auf. Die strenge Miene änderte sich unmerklich, während er sie genauer betrachtete. Das Grün in den Augen wurde stärker. Das Signal sprang um. Auf „Los“. Auf Anziehung.

Also nicht schwul.

Sienna erinnerte sich daran, dass sie etwas fragen wollte. „Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich ein wenig zusehe?“ Ihre Stimme schien alle Kraft verloren zu haben, sie klang fast wie ein mattes Krächzen. Ebenso wie ihr Verstand scheinbar die Fähigkeit verloren hatte, einen klaren Gedanken zu fassen. Himmel, der Typ war umwerfend!

Stumm starrte er sie an, und sie starrte ihn an. Endlich öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, doch der Sänger kam ihm zuvor.

„Schon in Ordnung, Rhys. Sie kann ruhig bleiben. Kannst du noch den anderen Verstärker hochbringen?“ Weil der Sänger direkt vor dem Mikro stand, drang seine Stimme so laut durch den Raum, dass Sienna unwillkürlich zusammenzuckte. Mr. Umwerfend neben ihr übrigens auch.

Rhys. Sein Kopf ruckte jetzt zur Bühne, als hätte er sich gerade erst daran erinnert, wo er war. Sienna hatte lange genug mit Bands zu tun gehabt, um zu wissen, was die Männer dachten. Ein Groupie, aber im Moment hatten die Musiker weder Zeit noch Lust darauf. Aber Rhys als Band-Roadie? So einen Roadie hatte sie noch nie gesehen.

Überrascht sah sie ihm nach, wie er hinter die Bar ging und durch eine Tür verschwand, um das fehlende Equipment zu holen.

„Komm, setz dich ruhig nach vorn, wenn du eine Weile zuhören willst“, lud der Sänger sie ein.

Irgendwie gelang es ihr, ein Lächeln zustande zu bringen. Von dem Tisch, den sie wählte, hatte sie einen guten Blick auf die Band und konnte gleichzeitig die ganze Bar überblicken. Sie setzte sich, streckte die Beine aus und ließ sich vom Durchzug abkühlen. Es tat gut, aus der heißen Sonne heraus zu sein. Außerdem konnte sie ihre unruhige Seele hier vom Rhythmus des Schlagzeugs besänftigen lassen.

Zwei Minuten später kam Rhys zurück, einen großen schwarzen Kasten in der Hand. Er schob sich an ihrem Tisch vorbei, hievte den Verstärker auf die Bühne, tippte sich mit einem spöttischen Gruß an die Stirn und verschwand wieder hinter der Bar. Sienna verfolgte jede seiner Bewegungen.

So viel also zum Thema Abkühlen.

Er stand auf gleicher Höhe mit ihrem Tisch, allerdings auf der anderen Seite des Raums. Sienna versuchte, sich auf die Musiker zu konzentrieren. Doch ständig schweifte ihr Blick zu Mr. Umwerfend, sie konnte nichts dagegen tun. Vor allem, weil er sich nicht einmal bemühte zu verbergen, dass er sie anstarrte. Er stand mit dem Rücken an die Theke gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, und sah kühl zu, wie sie der Band zuschaute.

Eine Weile gelang es ihr, sich tatsächlich auf die Musik zu konzentrieren. Ihre Gedanken schweiften allerdings immer wieder ab, vor allem, wenn sie eine Bewegung in den Augenwinkeln wahrnahm. Wie jetzt, zum Beispiel. Er streckte den Arm und griff unter die Bar. Und Sienna vergaß die Musik. Denn bei der Bewegung rutschte sein T-Shirt hoch und gab einen flachen muskulösen Bauch frei. Wie jeder andere Mensch wusste auch Sienna Schönheit zu schätzen, wenn sie sie sah. Und was sie sah, war atemberaubend!

Nun richtete er sich wieder auf, eine Flasche Wasser in der Hand. Wieder sah er zu Sienna. Mit der Andeutung eines Lächelns prostete er ihr zu, setzte die Flasche an die Lippen und nahm einen kräftigen Schluck.

Sie ertappte sich dabei, dass sie die Schluckbewegungen nachahmte, allerdings war ihr Mund staubtrocken. Nicht unbedingt, weil sie Durst hatte. Oder zumindest dürstete es sie nach etwas anderem. Wie mochte es wohl sein, die Tropfen von seinen Lippen zu lecken? Wenn er sie an sich zog und küsste?

Sie riss sich zusammen. Dieses kleine Lächeln in seinen Mundwinkeln machte sie argwöhnisch. Seine Augen funkelten wissend. Offenbar konnte er ihre Gedanken lesen. Und seiner Miene nach zu schließen, fand er sie gar nicht so unangenehm.

Sienna drehte sich zur Band um und ermahnte sich, diesmal wirklich der Musik zuzuhören. Ab sofort würde sie ihn nicht mehr ansehen. Unglaublich, aber sie wollte diesen Mann. Er war genau das, wonach sie immer gesucht und worauf sie nie zu hoffen gewagt hatte. Ein Mann, der konkurrenzlos den Titel „Sexiest Man Alive“ tragen konnte. Ein Mann, der ihr mit einem einzigen Blick sagte, dass sie schön war.

Kaum hatte sie den letzten Gedanken zu Ende gedacht, kehrte sie auf den Boden der Tatsachen zurück. Er würde seine Meinung schnell ändern, wenn er sie erst sah – wirklich sah. Aus Faszination würde Mitleid … und Angst. Das hasste Sienna am meisten: die Angst in den Augen eines Mannes. Nicht unbedingt die Reaktion, bei der man sich begehrenswert fühlte. Oder normal. Und sie wollte endlich, wenigstens ein Mal, normal sein.

Damit fiel ihr sofort wieder ihr verrückter Plan ein. Punkt eins auf ihrer Liste der Dinge, die sie im Leben erleben wollte. Erst heute Morgen hatte sie es in ihr Logbuch eingetragen. Dieses Mal war es ihr ernst. Wenigstens einen Vorsatz wollte sie umsetzen. Würde ihr das gelingen? Würde sie es wagen?

Fahrig spielte sie mit dem Kragen ihres hochgeschlossenen T-Shirts. Unwahrscheinlich. Wenn ein Mann und eine Frau miteinander schliefen, dann geschah das meist nackt.

Und Sienna war nicht für nackt – zumindest nicht, sobald es sie selbst betraf. Denn dann endete der Spaß abrupt, und das Mitleid setzte ein.

Energisch starrte sie auf die Trommelstöcke und hoffte auf eine hypnotische Wirkung. Vergeblich. Ihre Augen wanderten automatisch wieder zur Bar. Wenigstens noch ein letzter Blick …

Er war weg.

Seifenblase geplatzt.

Doch es gab einen Weg, um den Katzenjammer zu vertreiben. Sienna stand auf und ging zur Bühne vor. Die Jungs hörten auf zu spielen, der Sänger ließ das Mikro sinken.

„’Tschuldigung, ich weiß, es ist eine seltsame Frage, und es ist auch okay, wenn ihr Nein sagt, aber dürfte ich mich kurz ans Schlagzeug setzen?“ Bei den letzten Worten sah sie den Drummer an.

„Du spielst Schlagzeug?“

„Ja. Aber ich bin im Urlaub und habe schon länger nicht mehr an den Drums gesessen. Deshalb würde ich es unheimlich gern mal wieder tun.“

„Warum nicht? Wir können sowieso eine Pause gebrauchen. Also, mach nur.“

„Danke.“ Strahlend stieg sie auf die Bühne und ging auf das Schlagzeug zu. Der Drummer überließ ihr lächelnd die Stöcke.

Und Sienna setzte sich, wiegte die Stöcke abschätzend in den Händen, schüttelte ihr Haar zurück. Mit geschlossenen Augen zählte sie still den Takt an … und dann legte sie los und veranstaltete einen Höllenlärm.

Rhys Maitland stand am hintersten Ende der Bar und schloss hastig den Mund, da er ihm vor Überraschung offen stand. Die Arme hielt er vor der Brust verschränkt, als könnte er so den Adrenalinschub unterdrücken. Seit die rotblonde Frau in die Bar gekommen war und ihn mit diesen riesengroßen blauen Augen angestarrt hatte, glaubte er, im Treibsand zu versinken. Auch sein Verstand arbeitete nicht mehr richtig. Nur ein einziger Gedanke drehte sich in seinem Kopf: Er wollte sie nackt in seinem Bett. Zumal er ahnte, dass es ihr nicht anders erging. Immer wieder sah sie zu ihm. Er hatte einen großen Schluck Wasser getrunken, um sich abzukühlen, doch das hatte nicht viel genützt. Also war er zur Hintertür der Bar hinausgeschlüpft und vorn unauffällig wieder hereingekommen, damit er nicht an Herzstillstand sterben würde. Ihre Augen waren einfach unglaublich. Dafür sollte ein Waffenschein Pflicht sein.

So stand er jetzt da und konnte die elfenhafte Figur da oben auf der Bühne aus dem Schatten heraus betrachten. Hinter dem Schlagzeug wirkte sie klein. Doch eigentlich war sie ziemlich groß. Sehr schlank, fast fragil, und doch schlug sie mit enormer Energie auf die Trommeln ein. Aus dem lockeren Knoten, zu dem sie ihr Haar aufgesteckt hatte, lösten sich die ersten Strähnen, und schließlich fiel die Lockenmähne ganz auf ihre Schultern.

Ganz gleich, wie oft er es sich auch vornahm, er konnte den Blick nicht von ihr losreißen.

Alles und jeder in der Bar schien irgendwie stillzustehen. Die anderen starrten sie ebenso reglos an. Sie sah zu Rhys. Und in diesem Augenblick erkannten sie ihr Verlangen nacheinander.

Es war vom ersten Augenblick an da gewesen, als sie die Bar betreten hatte, mit ihren langen Beinen und dem kurzen Rock. Sie trug offene flache Sandalen und ein niedliches T-Shirt und sah nicht anders aus als all die anderen jungen Dinger am Strand. Trotzdem war sie anders. Ihr fehlte das unbeschwerte Selbstbewusstsein. Sicher, sie war in die Bar gekommen, doch zögernd und still, fast schüchtern. Die blauen Augen standen in krassem Gegensatz zu ihrem Verhalten. Denn in ihnen sah Rhys draufgängerischen Wagemut blitzen. Es war dieser Widerspruch, der ihn verwirrte und verunsicherte, wie er weiter vorgehen sollte. Dass er weitergehen wollte, stand außer Frage! Binnen einer Sekunde hatte sich der Nebel der Abgestumpftheit, der ihn in den letzten Wochen eingehüllt hatte, verzogen.

Tim trat neben ihn. „Hast du so etwas schon mal gesehen?“

Weil er seiner Stimme nicht traute, schüttelte Rhys stumm den Kopf.

„Das ist das Heißeste auf zwei Beinen, was mir bisher begegnet ist. Absolut unglaublich.“ Und dann war selbst Tim weise genug, um den Mund zu halten und einfach nur den Anblick zu genießen.

Beide hätten Stunden so zuschauen können, aber nach ein paar Minuten hörte sie auf. Das Kinn auf die Brust gelegt, blieb sie einen Moment schwer atmend sitzen. Dann stand sie auf und gab Greg, dem Drummer, die Stöcke zurück.

„Danke, das brauchte ich.“

„Keine Ursache. Jederzeit.“ Auch Greg starrte sie nun so fasziniert an, dass er fast über den Verstärker gestolpert wäre.

Lächelnd sprang sie von der Bühne. „Ich bin euch wirklich dankbar, Jungs.“ Sie musste doch wissen, dass fünf erwachsene Männer sie fasziniert anstarrten. Aber sie verhielt sich so unkompliziert, als wäre sie sich dessen überhaupt nicht bewusst. „Jetzt geht es mir schon viel besser.“

Ihr ging es besser? Rhys’ Puls schlug härter und schneller, seit sie auf den Drums rumgehämmert hatte. Seit Monaten hatte er sich nicht mehr so lebendig gefühlt. Nun, ihm ging es auch besser. Und er wusste genau, wie es ihm noch besser gehen könnte.

Die Fremde durchquerte den Raum und steuerte auf die Tür zu, die fünf Augenpaare, die jeder ihrer Bewegungen folgten, komplett ignorierend. Als sie an der Bar vorbeikam, drehte sie den Kopf.

Sie waren fünf Tische voneinander entfernt, aber es hätten genauso gut Millimeter sein können. Sie lächelte nicht, als sie diese Killeraugen auf ihn richtete. Aber auch er lächelte nicht. Überhaupt war er völlig unfähig sich zu rühren.

Dann trat sie über die Schwelle nach draußen und war verschwunden. Rhys erwachte aus seiner Starre, erinnerte sich daran, Luft zu holen, und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Band.

„Mann oh Mann, das war vielleicht was!“, kam es von Tim. „Wie die dich gerade angesehen hat. Absoluter Wahnsinn!“

Irgendwie schaffte Rhys es, gespielt unbeteiligt mit einer Schulter zu zucken. Insgeheim jedoch musste er sich erst einmal von genau diesem Blick erholen. Die laserblauen Augen hatten die Nachricht regelrecht in ihn eingebrannt. Rhys kannte „den Blick“ gut. Es war der Blick, mit dem eine Frau einen Mann wissen ließ, dass sie interessiert war. Dass durchaus die Möglichkeit bestand, dass sie und er …

Die Möglichkeit?

Hier handelte es sich um felsenfeste Gewissheit. Er wollte diese Frau, wie er bisher noch keine Frau gewollt hatte. Sofort, intensiv, unvermeidlich. Sich zurückhalten zu müssen, verursachte ihm körperliche Schmerzen. In Sydney gab es schöne und elegante Frauen im Überfluss, und Rhys kannte genügend davon. Doch plötzlich ließ ihn ein Hauch von einem Mädchen in saloppem T-Shirt und einfachem Rock vor Begierde versteinern.

„Sobald sie herausfindet, wer du bist, gehört sie dir“, erklärte Tim knapp.

Das gefiel Rhys nicht. Sie hatte nicht gewusst, wer er war, und das sollte auch so bleiben. Er wollte nicht, dass das elementare Verlangen in ihren Augen durch etwas anderes ersetzt wurde – wie zum Beispiel Dollarzeichen.

Sie sprach mit neuseeländischem Akzent, war also fremd hier. Vermutlich auf Urlaub. Auch Rhys hielt sich nicht gerade in seiner üblichen Umgebung auf. Er kam nur selten in diesen Teil der Stadt, und glücklicherweise kannte ihn hier keine Menschenseele.

Also musste er sich keine Gedanken um seine Identität und ihr mögliches Interesse daran machen. Was für eine wunderbar reizvolle Vorstellung. Denn was er von ihr wollte, war rein physisch. Und sie hatte diese Anziehung auch gespürt, von der ersten Sekunde an.

Er würde die Bar nicht eher verlassen, bis sie zurückkam.

2. KAPITEL

Mit viel mehr Sorgfalt als üblich machte Sienna sich zurecht. Und mit viel mehr Aufregung. Wenn es einen Mann gab, der ihr helfen konnte, Punkt eins auf ihrer Liste abzuhaken, dann er. Kaum hatte Sienna die Worte „Band“ und „Kneipe“ ausgesprochen, waren Julia und Brooke, die beiden Mädchen aus Südafrika, auch schon Feuer und Flamme gewesen. Die beiden waren immer in Partylaune. Garantiert würden sie für einen lustigen Abend sorgen, ganz gleich, ob sich etwas mit diesem umwerfenden Typen ergab oder nicht. Schließlich lag darin der Sinn dieser Reise, nicht wahr? Sie war hier, um sich zu amüsieren. Wie normale junge Frauen sich eben amüsierten.

Als Sienna aus dem Bad kam, waren die anderen beiden schon fertig. „Kannst du mir bitte die Bänder verknoten?“, bat sie Julia.

Die pfiff anerkennend. „Wow! Das ist ein tolles Top!“

Was stimmte. Sienna hatte das Oberteil im allerletzten Moment noch eingepackt, ohne wirklich daran zu glauben, dass sie Gelegenheit haben würde, es zu tragen. Mitternachtsblauer Satin, mit einem Paillettensaum, am Hals nur von einem Band gehalten. Auf Hüfthöhe betonte ein weiteres Band ihre schmale Taille. Vorn war es hochgeschlossen, dafür ließ es den Rücken frei.

„Mach bitte einen Doppelknoten.“

„Sicher? Dann brauchst du eine Schere, wenn du es schnell ausziehen willst.“

„Ganz sicher.“ Darum ging es ja. Das Top war sexy, aber es stoppte neugierige Finger. Von unten kam man nicht weit nach oben, und von oben kam man gar nicht hinein. Es war perfekt.

Zu dem Top zog Sienna einen engen Rock und hochhackige Sandaletten an. Die Beine waren eigentlich das Beste an ihr, und sie gedachte, sie auch im besten Licht zu zeigen. Unter dem Rock trug sie einen Hauch Spitze als Unterwäsche. Alles an ihr war bedeckt, weitaus mehr als bei jener Frau im Bikini am Strand, aber so nackt hatte sie sich noch nie gefühlt.

„Das ist der klassische Vamp-Aufzug“, lautete Julias bewundernder Kommentar, dann schwang sie herum und kramte in ihrem Koffer. „Da muss ich mich unbedingt auch zurechtmachen. Sonst habe ich ja keine Chance!“

Aber Sienna maß der Bemerkung nicht zu viel Bedeutung bei. Sie wusste, dass sie nie Karriere als Pin-up-Girl machen könnte, und Julias Oberweite allein war Garantie für genügend Chancen.

„Wie ist der Sänger?“ Brookes Stimme klang leicht dumpf, weil sie sich gerade ihr Oberteil über den Kopf zog. „Süß?“ „Den kannst du haben. Um genau zu sein, kannst du die ganze Band haben, wenn du willst.“ Brookes Kopf kam wieder zum Vorschein. „An wem bist du denn interessiert? Am Barkeeper?“ War es so offensichtlich, dass sie an jemandem interessiert war? „Nein. Die Band hat jemanden, der ihnen hilft.“

„Oh Gott, du hast ein Auge auf den Roadie geworfen?!“ Brooke wirkte ehrlich entsetzt. „Oder ist er etwa einer dieser milchgesichtigen Tontechniker?“

„Ich kann nicht sagen, was genau er macht. Er hat ihnen mit dem Equipment geholfen.“

Was ihr einen mitleidigen Blick von den beiden anderen einbrachte. „Kein Problem. Den überlassen wir also dir.“

Die drei setzten sich auf ihre Betten und begannen, mit kleinen Handspiegeln an ihrem Make-up und den Frisuren für den Abend zu arbeiten.

Im Grunde ist es lächerlich, dachte Sienna. Da donnerte sie sich voller Aufregung auf – und wahrscheinlich völlig umsonst. Bestimmt war er gar nicht da. Auf einmal hätte sie das ganze Unternehmen am liebsten abgeblasen. Dann riss sie sich zusammen. Sie war in einer fremden Stadt und frei, alles zu tun, was sie wollte. Selbst wenn er nicht da war, würde sie sich amüsieren.

„Also, Mädels, auf geht’s! Holen wir uns das, was wir verdient haben!“ Julia drehte sich einmal um die eigene Achse, und Sienna konnte nicht anders, sie kicherte.

Und als die drei Arm in Arm die Straße entlangliefen, schwappte etwas von dem Selbstbewusstsein, das die beiden anderen in solchem Übermaß besaßen, auch auf Sienna über.

Sie kam erst, als die Band schon die erste Pause hinter sich hatte.

Rhys hatte sich hinter die Bar zurückgezogen, sodass er die Eingangstür im Auge behalten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Da war sie, zusammen mit zwei anderen Frauen, ganz offensichtlich Touristinnen. Während die beiden zur Bühne sahen, schweifte ihr Blick suchend durch den Raum. Er zog sich noch weiter in den Schatten zurück. Im Moment wollte er sie einfach nur eine Weile beobachten, um dann zu entscheiden, wie er vorgehen würde.

Auch Tim hatte die Ankunft der drei bemerkt und gab Rhys kurz ein Zeichen. Dann ließ die Band den letzten Song ausfallen, um auf die Frauen zuzugehen – alle vier. Tim war als Erster bei ihnen und machte keinen Hehl aus seiner Bewunderung für die Fremde von heute Nachmittag. Rhys beobachtete die Szene von seinem Platz aus. Er wollte wissen, ob sie ihren Killerblick auch den anderen gönnte. Konzentriert sah er zu, wie sie lächelnd ihre Freundinnen vorstellte. Danach jedoch zog sie sich zurück und überließ den anderen Frauen das Flirten, während die Jungs sie zu dem Tisch in der hinteren Ecke führten, der für die Band reserviert war. Wieder sah sie sich um, als suche sie jemanden.

Tim kam an die Bar, bestellte eine Runde Tequila für alle. „Doc, wieso versteckst du dich hier? Da sitzt eine Lady an unserem Tisch, der dein Name schon auf der Stirn steht.“

Rhys wollte seinen Namen nirgendwo sehen, wenigstens für einen einzigen Abend.

„Du kannst nicht ständig den hart arbeitenden Doktor mimen. Ab und zu musst du auch mal Spaß haben. Haben sie dir nicht eine Pause aufgebrummt? Mach mal Urlaub, spann aus. Da drüben“, Tim deutete mit dem Kopf zum Tisch zurück, „sitzt deine Entspannung.“

Ja, sie hatten ihm eine Pause verordnet. Er arbeite zu viel, sagten sie. Er häufe zu viele Überstunden an. Wenn es so weitergehe, hätte er bald drei Monate Überstunden voll. Und so etwas sei im Budget nicht vorgesehen.

Also hatte man ihn gezwungen, Urlaub zu nehmen. Zwei Wochen. Rhys machte nicht gern Urlaub. Das bedeutete nämlich, dass er Zeit zum Nachdenken hatte.

„Komm schon, Mann. Wann hast du das letzte Mal einen lustigen Abend mit anschließender Nacht verbracht?“

Für Tim mochte das okay sein. Ihn verfolgten keine Paparazzi. Wenn Rhys auch nur in der Nähe einer Frau gesichtet wurde, türmten sich bereits am nächsten Morgen die Zeitungen mit Berichten über eine angeblich neue Beziehung und Spekulationen über das Hochzeitsdatum. Zudem hatte er lernen müssen, dass jede Seele ihren Preis hatte.

Auch Mandys Seele war für einen Preis zu haben gewesen. Sie hatte sich – und ihn – an den Meistbietenden verkauft. Müde und erschöpft nach einer endlosen Schicht, hatte ihn ihre überschäumende Energie fasziniert, als er in dem Café neben der Klinik saß, in dem sie arbeitete. Es war amüsant gewesen, sich bei einer Tasse Kaffee zu unterhalten. Aus dem Kaffee wurde ein Dinner, dann folgte eine ganze Reihe von Verabredungen. Erst später begriff er, dass sie die ganze Zeit über gewusst hatte, wer er war. Er hatte sich verstanden gefühlt, doch das Einzige, was sie verstand, war der Reichtum und der Status, der mit seinem Namen verbunden war. Eine echte Mandy gab es nicht. Und auch das, was sie miteinander erlebt hatten, war nicht echt. Das einzig Echte an der Episode war ihre Geldgier.

Rhys hatte nicht vor, sich erneut in allen Zeitungen wiederzufinden. Wahrscheinlich sollte er es mit einem gleichgültigen Schulterzucken an sich abperlen lassen. Aber er wollte seinem Leben einen Sinn geben, wollte mehr sein als ein reicher Playboy.

Leider schien ihn das für die Klatschpresse nur noch interessanter zu machen. Und durch Mandys Verrat zeichnete man ihn nun als eine Art verwundeten Heiligen. Der ernsthafte Arzt, der sich seiner Arbeit verschrieben hatte, um der Oberflächlichkeit des privilegierten Lebens und den Tragödien der Vergangenheit zu entkommen. Aber das beschrieb ihn auch nicht richtig.

„Sie ist nicht von hier, oder?“, erkundigte er sich bei Tim. „Aus Neuseeland. Die anderen beiden hat sie hier im Hostel kennengelernt.“

Rhys sah zum Tisch hinüber. Sie lächelte gerade über etwas, und ihre Augen strahlten. Vielleicht, nur einmal, sollte er sich darauf einlassen. Wahrscheinlich war sie sowieso nur ein paar Tage hier. Was sollte sie da sein Name interessieren?

„Na schön. Sie weiß, dass ich Rhys heiße, mehr nicht, oder? Nennen wir mich doch einfach … Rhys Monroe.“

Tim grinste verdutzt. „Und wie verdienen Sie sich Ihren Lebensunterhalt, Mr. Monroe?“

„Keine Ahnung. Was meinst du?“

„Am besten etwas, von dem du absolut nichts verstehst. Je größer die Lüge, desto eher wird sie geglaubt.“

„Woher weißt du das?“

„Rhys.“ Tim sah ihn nur mitleidig an. „Ich bin Profi.“ Er schenkte der Kellnerin, die Zitronenscheiben in die Gläser gab, ein strahlendes Lächeln. „Machen wir einen Handwerker aus dir. Wie wär’s mit Tischler? Genau, das ist es!“

„Blödsinn. Ich hab zwei linke Hände.“

„Eben.“

Autor

Natalie Anderson
Natalie Anderson nahm die endgültigen Korrekturen ihres ersten Buches ans Bett gefesselt im Krankenhaus vor. Direkt nach einem Notfall-Kaiserschnitt, bei dem gesunde Zwillinge das Licht der Welt erblickten, brachte ihr ihr Ehemann die E-Mail von ihrem Redakteur. Dem Verleger gefielen ihre früheren Korrekturen und da es gerade einen Mangel an...
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