Falcon House - Schloss der Hoffnung

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Crys wollte nur eins: Erholung! Auf einem luxuriösen Schloss will sie zusammen mit ihrer Freundin endlich einmal die Seele so richtig baumeln lassen. Aber in Yorkshire verläuft alles ganz anders, als gedacht! Zu Crys Überraschung erwartet l sie in Falcon House nicht Molly, sondern deren Bruder Sam. Der äußerst attraktive —-Drehbuchautor fasziniert Crys sofort. In hitzigen Wortgefechten fliegen die Fetzen, aber Sams Art, ihre Meinungsverschiedenheiten in versöhnliche Bahnen zu lenken, gefällt ihr außerordentlich gut. Stürmisch erwidert sie seine leidenschaftlichen Küsse - Crys hat sich Hals über Kopf verliebt, doch Sam will sich niemals binden ...


  • Erscheinungstag 01.06.2011
  • Bandnummer 1602
  • ISBN / Artikelnummer 9783864942709
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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1. KAPITEL

Draculas Schloss!

Nein, nach kurzer Überlegung entschied Crys, dass diese Bezeichnung Dracula gegenüber ein wenig zu unfreundlich sei.

Sie war seit Stunden unterwegs und hatte nun den Wagen an einer Zufahrt angehalten, in der Hoffnung, trotz des rasch dichter werdenden Nebels ein Hinweisschild zu entdecken. Als sie den Namen des Anwesens in eine der Steinsäulen gemeißelt sah, die das windschiefe Tor flankierten, traute sie ihren Augen kaum. Fassungslos blickte sie zu dem monströsen Haus hinüber, das sich am Ende der verwilderten Allee abzeichnete. Viktorianische Gotik – und, nach den unzähligen Anbauten zu urteilen, so ziemlich jede andere architektonische Stilrichtung seither.

Das ganze Gebilde war eine Beleidigung für Crys‘ ausgeprägten Sinn für Ästhetik.

Dies konnte unmöglich ihr Ziel sein – das in Yorkshire gelegene Domizil von Nancys älterem Bruder. Nancy war ihre beste Freundin. Zugegeben, ein bisschen exzentrisch und auch etwas unkonventionell, aber wie hätte Crys ahnen sollen, dass diese Eigenarten offenbar familientypisch waren?

Stirnrunzelnd betrachtete Crys die Inschrift. Trotz des dichten Moosbefalls war der Name „Falcon House“ deutlich lesbar. Sie griff nach dem Brief, den Nancy ihr vor wenigen Tagen geschickt hatte, und überflog den Inhalt, bis sie zu der Stelle mit der Wegbeschreibung kam. Kein Zweifel, Sam Bartons Heim hieß „Falcon House“!

Haus? Mit seinen hohen Zinnen und Türmen glich es eher einer Festung, um deren Mauern so etwas wie ein Burggraben verlief.

Vielleicht wohnte Sam hinter diesem Monstrum? Hatte Nancy nicht irgendwann einmal erwähnt, ihr Bruder würde das Anwesen für einen verreisten Freund hüten? Angesichts dieses Steinhaufens wunderte es Crys nicht im Mindesten, dass der Besitzer sich lieber woanders aufhielt.

Sie gelangte zu dem Schluss, dass dies die Lösung sein müsse. Wenn sie die Allee hinunter und über die morsche Zugbrücke fuhr, würde sie garantiert auf ein kleineres – und behaglicheres – Gebäude stoßen.

Leider musste sie ein paar Minuten später enttäuscht feststellen, dass sie sich geirrt hatte. Nachdem sie die von Schlaglöchern übersäte Zufahrt passiert und den Innenhof erreicht hatte, erkannte sie, dass es keine weiteren Behausungen gab. An der Rückfront erstreckte sich lediglich ein Stück Land, das früher vermutlich ein Garten gewesen war, inzwischen aber ebenso mit Gestrüpp und Unkraut überwuchert war wie der Burggraben.

Crys parkte den Wagen und stieg aus. Während sie die verkrampften Muskeln lockerte, betrachtete sie die rostigen Fallrohre an der Fassade und die Ziegel, die sich vom Dach gelöst hatten und zu Boden gefallen waren. Die Fenster im Erdgeschoss hatte man entweder mit Brettern vernagelt oder mit Vorhängen vor neugierigen Blicken geschützt. In den oberen Stockwerken schienen die Scheiben zwar noch intakt zu sein, aber zu verwaisten Räumen zu gehören.

Das Ausmaß der Verwahrlosung überzeugte Crys, dass hier tatsächlich niemand wohnen konnte. Es …

Plötzlich drang ein Geräusch an ihr Ohr.

Ein undefinierbarer, dumpfer Laut, aber immerhin ein Lebenszeichen. Es kam offenbar von der Stirnseite des Hauses.

Sie zögerte. Sollte sie dem nachgehen und womöglich ihren Hals riskieren? Oder wäre es klüger, einfach wieder ins Auto zu klettern und die Flucht zu ergreifen?

Letzteres war eindeutig verlockender. Andererseits … Hatte sie das letzte Jahr nicht damit verbracht, schwierigen Situationen auszuweichen? War es nicht endlich Zeit, sich der Wirklichkeit zu stellen? War dies nicht der Grund, weshalb sie Nancys Einladung angenommen hatte, sie für ein paar Tage bei deren Bruder zu treffen?

War hier und jetzt allerdings der rechte Ort und Zeitpunkt, für ein solches Wagnis?

Es hatte einen großen Schritt für sie bedeutet, Nancys Angebot überhaupt zu akzeptieren und die lange, anstrengende Fahrt von London nach Yorkshire allein zu machen. Und all das nur, um mit einem Spukschloss konfrontiert zu werden. Die wabernden Nebelschwaden verliehen ihm ein mysteriöses Flair und steigerten Crys‘ Unbehagen, obwohl das Anwesen allem Anschein nach unbewohnt war.

Wäre da nicht dieses rhythmische Scharren gewesen …

Sicher gibt es dafür eine logische Erklärung, sagte sie sich energisch. Sie musste nur hingehen und es herausfinden. Falls es sich um einen dürren Zweig handeln sollte, der von dem scharfen Wind gegen eine der blinden Scheiben gepeitscht wurde – gut. War das Geräusch jedoch menschlichen Ursprungs, würde sie sich einfach nach dem Weg zu Sam Bartons Haus erkundigen und weiterfahren.

Ihre Entschlossenheit geriet allerdings erheblich ins Schwanken, als sie in den Torbogen trat, der in den Vorhof mündete, und sich dem größten Hund gegenübersah, der ihr je begegnet war.

Crys schnappte erschrocken nach Luft und blieb wie angewurzelt stehen. Der Hund fletschte die Zähne und knurrte drohend, während er die Muskeln anspannte, als wollte er sie jeden Moment anspringen. Der durchdringende Blick der hellen Augen und das donnergleiche tiefe Grollen aus der mächtigen Brust übten eine geradezu hypnotische Wirkung auf sie aus.

„Was ist los, Merlin?“ rief eine körperlose Stimme.

Ein eiskalter Schauder lief Crys über den Rücken.

Woher kam diese Stimme? Außer der gefährlich wirkenden Bestie vor ihr konnte Crys in dem dichten Dunst nichts erkennen, und dennoch hatte sie zweifelsfrei eine Stimme gehört. Und zwar eine männliche, wie sie glaubte. Sicher war sie jedoch nicht, da der Nebel alle Laute verzerrt und dumpfer klingen ließ.

Aber wen interessierte es schon, ob die Stimme einem Mann oder einer Frau gehörte, solange es eine Stimme war! Momentan wünschte Crys sich nichts mehr als die Anwesenheit eines anderen menschlichen Wesens.

Sofern es menschlich war …

Reiß dich zusammen, befahl sie sich ungeduldig. Okay, die Situation war gruselig – rings um sie wabernder Nebel, hinter ihr ein Stein gewordener Albtraum, vor ihr der Hund von Baskerville, der ihr den Weg versperrte –, aber all das war kein Grund, in Panik zu geraten und die Flucht zu ergreifen!

Oder vielleicht doch?

Das Riesenvieh konnte jederzeit die Lust am Knurren verlieren und sich stattdessen auf sie stürzen, um ihr die Kehle zu zerfetzen. Sie …

„Ich warne dich, Merlin. Wenn du noch mehr Kaninchen bis in ihre Löcher verfolgst, komme ich nicht und grabe dich wieder aus“, ertönte erneut die körperlose Stimme.

Es war ein Mann! Er war irgendwo ganz in der Nähe, dessen war Crys sich jetzt sicher. Nahe genug, um sie vor diesem wilden Hund zu retten, wie sie hoffte.

„Hilfe!“

Fabelhaft, ihre Lippen waren so starr, dass der Schrei kaum mehr als ein Quieken war! Trotzdem genügte es, um das tiefe, bedrohliche Knurren in wütendes Gebell zu verwandeln. Das Biest war eindeutig bereit, sie in Stücke zu reißen!

„Hilfe!“ Der zweite Ruf war lauter. Laut genug, um gehört zu werden, wie sie im Stillen flehte. Ihr Vertrauen in die Gutmütigkeit des Hundes war inzwischen restlos verflogen.

„Verdammt, Merlin! Was, zum Teufel …? Aus, Merlin!“

Sofort verebbte das Kläffen zu einem leisen Winseln.

Keine drei Meter von Crys entfernt tauchte ein Kopf aus dem Boden auf: ein dunkler, zerzauster Schopf, ein stoppeliger Dreitagebart bedeckte die untere Hälfte eines Gesichts, aus dem sich smaragdgrüne Augen geradewegs durch den Nebel zu brennen schienen.

Aber immerhin hatte der Hund seinem Herrn gehorcht und sich hingelegt, selbst das Winseln war verstummt – lediglich sein Blick war unverwandt auf Crys gerichtet. Er wartete eindeutig auf den Befehl zum Angriff.

Allerdings hatte sie nicht die Absicht, sich zu bewegen. Sie war unfähig, sich von der Stelle zu rühren, seit der Kopf aus dem Boden gewachsen war.

Vielleicht war dies tatsächlich Draculas Schloss. Vielleicht …

Ihr stockte der Atem, als der Mann sich mit Hilfe eines Spatens aus der Grube hievte. Das Loch im Erdreich war knapp zwei Meter lang, einen Meter breit und wer weiß wie tief …! Die langen Beine des Mannes steckten in schwarzen Jeans, und über seiner breiten Brust spannte sich ein dicker schwarzer Pullover. Das dunkle, wellige Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Er war über einsachtzig, und sein muskulöser Körper wirkte genauso sprungbereit wie der seines Hundes noch vor wenigen Sekunden.

Bei näherer Betrachtung gelangte Crys zu dem Schluss, dass der Hund vermutlich harmloser sei! Nervös befeuchtete sie sich die trockenen Lippen. „Hallo.“

„Hallo?“ erwiderte er spöttisch.

Durch das Erlebnis mit dem Hund und das darauf folgende Auftauchen des Mannes aus dem Nichts war sie zwar noch immer durcheinander, aber keineswegs eingeschüchtert.

„Was tun Sie da?“ Sie deutete auf die Grube. Es war Januar, also zu spät, um den Garten umzugraben, und zu früh für Pflanzungen. Und nach den Ausmaßen des Lochs zu urteilen …

Er furchte die Brauen über den funkelnden grünen Augen. „Was denken Sie denn?“

Trotz seines ungepflegten Äußeren besaß der Mann eine kultivierte Stimme, die Crys unter anderen Umständen durchaus sympathisch gefunden hätte.

Unter anderen Umständen …

Fröstelnd schaute sie zu der Grube hinüber, die er ausgehoben hatte. „Ich habe keine Ahnung.“

Der Mann hatte sich nicht bewegt, und doch sah er auf einmal angespannt aus, der Spaten in seiner Hand wirkte fast bedrohlich. „Raten Sie mal“, verlangte er.

Crys schluckte trocken. Es war einfach lächerlich. Sie wollte sich nur nach Sam Bartons Haus erkundigen und sich nicht auf ein Quiz mit einem Fremden einlassen. Einem gefährlich aussehenden Fremden zudem.

„Es tut mir wirklich Leid, dass ich Sie gestört habe …“

„Sie stören Merlin mehr als mich“, unterbrach er sie kühl.

„Merlin? Ach, Sie meinen den Hund.“

Das Untier saß jetzt zu Füßen seines Herrn und ließ sie nicht aus den Augen. Als sein Name fiel, begann es erneut zu knurren.

„Er schätzt es nicht, wenn man ihn so bezeichnet“, meinte der Mann trocken.

„Aber sagten Sie nicht gerade, dass er so heißt?“ fragte Crys verwirrt.

„Stimmt.“ Er nickte. „Ich bezog mich auf Ihre Bezeichnung seiner Art.“

„Aber …“

Der Mann ließ sie nicht ausreden. „Sie und ich, wir beide wissen, was er ist. Merlin ist derjenige, der in diesem Punkt Zweifel hegt. Ich finde, wir sollten seine kleine Marotte akzeptieren.“

Crys betrachtete das hechelnde Tier. „Und zu welcher … Familie gehört er?“ Es war offenbar besser, Vorsicht walten zu lassen. Immerhin hatte Merlin gerade erst wieder aufgehört zu knurren.

„Zu den Irischen Wolfshunden. Nun ja, es ist gewiss nett, den Tag mit Ihnen zu verplaudern …“, sein Tonfall strafte die Worte Lügen, „… aber wie Sie sehen, muss ich ein Grab ausheben. Wenn Sie also nichts dagegen haben …“

„Ist das tatsächlich ein Grab?“ rief sie ungläubig. Der Nebel und die Kälte ließen sie frösteln.

Gütiger Himmel, war sie am Ende doch in Draculas Schloss gelandet? Aber hieß es nicht, dass Vampire sich nur nachts zeigten? Andererseits konnte man bei diesem dichten Nebel kaum von Tageslicht sprechen. Schließlich hatte sie während der letzten beiden Stunden die Scheinwerfer einschalten müssen.

„Wer … Ich meine, was …?“ Vorsichtig wich sie zurück, und zwar in winzigen Schritten, weil sie fürchtete, der Hund würde jeden offenen Fluchtversuch vereiteln. Das Tier gehorchte seinem Herrn aufs Wort. Einem Herrn, der mit jeder Sekunde beängstigender wirkte …

Zugegeben, er hatte von Anfang an keinen sonderlich herzlichen Eindruck gemacht. Aber wie verschaffte man sich trotzdem einen würdevollen Abgang? Das war ein echtes Problem.

Zum Teufel mit der Würde – Crys wollte nichts wie weg von hier!

„Sie haben Recht, Mr. …? Ich habe genug von Ihrer Zeit beansprucht.“ Sosehr sie sich auch bemühte, ihr wollte einfach kein Lächeln gelingen. „Ich mache mich gleich wieder auf den Weg.“

„Wohin?“

Seine unvermittelte Frage überraschte sie. „Wie bitte?“

„Diese Straße wird nur von wenigen Leuten benutzt, von der Zufahrt ganz zu schweigen. Mich interessiert, wohin Sie wollten.“

Wollten?

Plötzlich verspürte Crys nicht mehr das geringste Verlangen, sich nach Sam Bartons Haus zu erkundigen. Sie hatte keine Lust, dem Mann ihr Ziel zu verraten. Oder gar den Grund ihrer Reise. Aber irgendetwas musste sie sagen!

Sie zuckte die Schultern. „Ich möchte Freunde besuchen.“

Auf diese Weise hatte sie ihm geschickt zu verstehen gegeben, dass man sie erwartete und die Polizei informieren würde, falls sie nicht eintreffen sollte. Nicht dass sie sich bei Nancy dessen so sicher war – ihre Freundin würde vermutlich eher annehmen, dass Crys es sich mit dem Ausflug nach Yorkshire anders überlegt habe. Doch das musste sie diesem Mann ja nicht auf die Nase binden!

„Ich bin im Nebel wohl falsch abgebogen“, fügte sie lässig hinzu. „Nun will ich Sie aber nicht länger belästigen …“

„Wie ich bereits angedeutet habe, fühlt Merlin sich durch Ihre Anwesenheit mehr belästigt als ich.“

„Er scheint sich inzwischen beruhigt zu haben“, meinte Crys versöhnlich. Sie hatte irgendwo gelesen, dass es einem Angreifer schwerer fiel, jemanden zu verletzen, wenn sich eine Art Vertrauensverhältnis entwickelt hatte, dass sich der Kontrahent überrumpeln ließ, wenn das Opfer …

Verdammt, sie war kein Opfer! Sie war lediglich eine verirrte Reisende und zufällig in eine Sache hineingeraten, die … Okay, sie wusste nicht, was hier eigentlich ablief, nichtsdestotrotz nervte es sie so, dass sie schnellstmöglich verschwinden wollte.

„Äußerlichkeiten können täuschen“, erklärte der Mann. „Irische Wolfshunde sind von der Rasse her geborene Jäger“, fügte er beinahe gelangweilt hinzu. „Sie reagieren instinktiv und …“

„Wollen Sie mir Angst einjagen?“ Der Artikel hatte nicht nur empfohlen, in der Beziehung zum Gegner eine persönliche Ebene zu schaffen, sondern außerdem geraten, selbst eine gewisse Aggressivität zu zeigen.

Die Andeutung eines Lächelns umspielte seine Lippen. „Ist das denn nötig?“

Heiße Röte schoss ihr in die Wangen. „Ich fürchte mich nicht vor Ihnen!“

„So? Dann können Sie Ihren Mut glänzend verbergen.“

Sein Spott verschlug ihr sekundenlang die Sprache. „Ich …“

„An Ihrer linken Schläfe pocht eine Ader wie wild“, bemerkte er. „Ihre Pupillen sind geweitet, Ihre Gesichtsmuskeln verweigern den Dienst, Ihr Körper ist völlig verkrampft, Ihre Hände sind zu so festen Fäusten geballt, dass Ihre kunstvoll lackierten Fingernägel sicher tiefe Abdrücke hinterlassen …“ Er wandte den Blick wieder ihrem Gesicht zu. „Sie mögen zwar vor Kälte zittern, aber trotzdem hat sich auf Ihrer Oberlippe ein höchst unvorteilhafter Schweißfilm gebildet.“

Seine Aufzählung entsprach den Tatsachen. Dass er ihre Schwäche jedoch so genüsslich beschrieben hatte, trug nicht dazu bei, sie zu besänftigen.

„Frauen schwitzen nicht, sie transpirieren“, konterte sie mit hochrotem Kopf. „Dieser Ort scheint einem Gruselroman entsprungen zu sein – einschließlich der Bestie von Baskerville. Sie klettern aus einem Grab, um mich zu begrüßen, und wirken dabei so wild und unberechenbar wie … wie Ihr Tier.“ Beinahe hätte sie das verbotene Wort gesagt und damit erneut Merlins Missfallen erregt. „Und Sie erwarten, dass ich dabei ruhig und gefasst bleibe?“

Der Mann war von ihrem Ausbruch gänzlich unbeeindruckt und zuckte die Schultern. „Ich erwarte gar nichts von Ihnen. Ich habe Sie weder eingeladen, noch weiß ich, wer Sie sind, und ich möchte Sie auch nicht kennen lernen.“

„Und Sie müssen noch ein Grab ausheben“, ergänzte Crys wütend.

„Für einen Verwandten von Merlin“, bestätigte er. „Einen Deutschen Schäferhund. Wir haben ihn heute Morgen im Wald gefunden.“ Er wies auf eine Plane, die in einiger Entfernung auf dem Boden lag und die Crys bislang noch nicht wahrgenommen hatte.

Eine Plane, die den Kadaver eines Hundes verbarg.

Sie schluckte trocken. „Hatte er oder sie keinen Besitzer? Jemanden, der informiert werden sollte? Die Leute wollen ihr Tier meist selbst begraben.“ Sie konnte den Blick nicht von der Decke wenden. Ihre Knie zitterten, und die Stimme hatte bei den letzten Worten zu beben begonnen.

„Wahrscheinlich hatte er irgendwann einmal einen Herrn, aber meines Wissens hat er die letzten Monate im Wald gewildert. Die Bauern in der Gegend haben wochenlang versucht, ihn zu erlegen, weil sie Angst um ihre Lämmer hatten.“ Er presste die Lippen zusammen. „Einer von ihnen hatte offenbar Erfolg.“

Es dauerte einen Moment, bis sie die Tragweite begriff. „Ist das denn legal?“

„Vermutlich nicht, aber es ist schwer, einen Beweis zu führen.“

Crys spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich. „Glauben Sie, es ist schnell gegangen?“

Gereizt zog er die Brauen hoch. „Ich bezweifle es. Gift wirkt normalerweise langsam und schleichend.“

„Gift?“ wiederholte sie mit großen Augen. Die Sommersprossen auf ihrer Nase hoben sich noch deutlicher als sonst von ihrem hellen Teint ab.

Der Mann nickte. „Es gibt keine Anzeichen von Verletzungen. Gift kommt als Todesursache durchaus infrage.“

Tod, Tod und noch mehr Tod. Wohin ich blicke, wohin ich komme, überall Tod!

Mit diesem verzweifelten Gedanken sank Crys zu Boden, als tiefe Dunkelheit sie umfing.

2. KAPITEL

Als Crys zu sich kam, spürte sie etwas Raues an der Wange und ein Schaukeln, das ihr ein Schwindelgefühl und leichte Übelkeit verursachte. Sie schlug die Augen auf und stellte fest, dass sie über dem Boden schwebte – offenbar wurde sie getragen. Erschrocken blickte sie in das grimmige Gesicht des Mannes, der, wie sie sich nun erinnerte, einen ebenso grimmig aussehenden Hund besaß. Und dieser Hund wich seinem Herrn nicht von der Seite.

Crys öffnete den Mund …

„Wagen Sie es nicht, zu schreien“, warnte sie der Mann mit zusammengebissenen Zähnen.

Gehorsam machte sie den Mund wieder zu.

„Wenn Sie schreien, lasse ich Sie auf der Stelle fallen“, fügte er beinahe liebenswürdig hinzu.

Solange er – und sein Hund! – weiterliefen, wäre es vielleicht gar nicht so schlecht. Dann hätte sie zumindest eine Chance, zu ihrem Wagen zu rennen und zu fliehen.

„Ich hatte einen verdammt harten Tag“, fuhr der Mann fort. „Es war wirklich kein angenehmer Tagesbeginn, den Hund zu finden – still, Merlin!“ befahl er, als das Biest beim Klang des verhassten Wortes prompt zu knurren anfing. Merlin schwieg sofort.

Für Crys war dies ein Beweis mehr, dass sie – trotz der Größe und Unberechenbarkeit des Tiers – den Mann mehr fürchten musste.

„Nachdem ich heute Morgen den … Leichnam gefunden hatte“, korrigierte er sich mit Rücksicht auf Merlins empfindsame Seele, „wollte ich ihm zumindest ein anständiges Begräbnis zukommen lassen. Also habe ich versucht, eine Grube auszuheben – und zwar in einem Boden, der seit November nicht mehr aufgetaut ist!“ Er seufzte. „Und um mir dann den Tag endgültig zu ruinieren, wird meine Privatsphäre von einer Frau gestört, die sich dank ihrer blühenden Fantasie einbildet, mein einziger Gefährte gleiche einem Ungeheuer aus der Hölle, der ich ebenfalls entstiegen sei.“ Wütend stieß er eine Tür auf, bevor er mit großen Schritten ins Haus ging und die Küche betrat. „Wenn ich es recht bedenke, hätte ich Sie einfach draußen liegen lassen sollen!“ Er setzte Crys ziemlich unsanft auf einem Stuhl ab, bevor er sich aufrichtete und ungeduldig den Raum verließ.

Zum Glück folgte der Hund ihm.

Crys schaute sich erschöpft um, erleichtert, für eine Weile – und mochte sie auch noch so kurz sein – von der überwältigenden Nähe dieses Mannes befreit zu sein. Und von seinem Hund.

Als ihre Benommenheit geschwunden war, brauchte sie nur zwei Sekunden, um zu erkennen, dass sich ihr hier eine Chance zur Flucht bot. Vielleicht die einzige. Sie bezweifelte …

Diese Küche war einfach unglaublich!

Der Mann hatte sie kommentarlos in einer Küche abgeladen, die Crys sich selbst in ihren kühnsten Träumen nicht ausgemalt hätte. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, dass in einem nach außen hin völlig verfallenen Schloss eine solche …

Der Raum war wunderschön eingerichtet, mit hellen Eichenschränken und einem dunkelgrünen Allesbrenner, der wohlige Wärme verströmte. Ein mächtiger Arbeitstisch aus Eiche bildete den Mittelpunkt, darüber befand sich ein Gestell mit allen Gerätschaften, die sich ein Koch nur wünschen konnte, einschließlich unzähliger Tiegel, Töpfe und Pfannen aus schimmerndem Kupfer. Der Boden war mit braunen und cremefarbenen Fliesen bedeckt, und der Stuhl, auf dem Crys saß, gehörte zu einer gemütlichen Essgruppe.

Im Vergleich zu der äußeren Vernachlässigung war diese Küche einfach … unfassbar.

„Das hatten Sie nicht erwartet, oder?“

Zu spät erkannte Crys, dass sie vor lauter Überraschung die Fluchtmöglichkeit verpasst hatte. Stirnrunzelnd wandte sie sich zu ihrem unfreiwilligen Gastgeber um.

Der Mann lehnte lässig an der Tür und beobachtete sie unter gesenkten Lidern. Er hatte die Gelegenheit genutzt, sich ein wenig frisch zu machen, das überlange Haar flüchtig zu kämmen und den schweren Pullover gegen ein Sweatshirt aus dunkelgrünem Kaschmir zu tauschen. Seine Verwandlung war für Crys ebenso erstaunlich wie das Innere des Hauses. Trotzdem fand sie ihn keineswegs sympathischer.

„Warum geben Sie sich so viel Mühe, den Eindruck zu erwecken, das Anwesen sei unbewohnt?“ Sie war ziemlich sicher, dass er damit einen bestimmten Zweck verfolgte.

Er kam näher und stellte einen Kupferkessel auf den Ofen. „Was meinen Sie wohl?“

Jetzt, da er nicht mehr von Nebelschwaden umweht wurde, wirkte er jünger und ohne den weiten Pullover auch größer und schlanker. Das Gesicht unter den dichten Bartstoppeln schien faltenlos. Crys schätzte ihn auf irgendwo in den Dreißigern. Sonderbarerweise hatte er etwas vage Vertrautes an sich – trotz des spöttischen Funkelns in seinen dunkelgrünen Augen.

Sie schnitt ein Gesicht. „Um sich Frauen mit allzu blühender Fantasie vom Leib zu halten?“

Er lächelte kurz und zeigte dabei makellos weiße Zähne. „So ungefähr“, bestätigte er und nahm das kochende Wasser vom Ofen. „Tee oder Kaffee?“

Nach all den Ängsten, die Crys noch vor wenigen Minuten ausgestanden hatte, klang sein höfliches Angebot fast ein bisschen absurd. Oder war sie selbst diejenige, die sich lächerlich aufführte?

„Kaffee, bitte.“ Während er eine Dose und Tassen aus einem der Schränke holte, nahm sie den Hut ab und wickelte sich den Schal vom Hals, da ihr allmählich wärmer wurde. „Wo ist eigentlich Merlin?“ erkundigte sie sich nervös. Der Hund war nicht mit seinem Herrn zurückgekehrt.

„Vermutlich auf Kaninchenjagd“, erwiderte er. „Ich habe ihn vor ein paar Minuten zur Vordertür hinausgelassen, weil …“ Er verstummte abrupt.

Crys war so verzaubert von der behaglichen Umgebung und wohligen Wärme nach der stundenlangen Fahrt im Nebel, dass sie sein Schweigen erst nach ein paar Sekunden bemerkte. Sie hatte sich zufrieden zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Nur ganz langsam wurde sie sich der lastenden Stille bewusst, die Atmosphäre schien vor Spannung zu knistern.

Sie drehte sich zu ihrem Gastgeber um und errötete unter seinem glühenden Blick. Natürlich wusste sie, was er sah: langes silberblondes Haar, das ihr wie ein seidiger Vorhang über den Rücken fiel, graue Augen, zahlreiche Sommersprossen auf der kleinen Stupsnase und weiche, volle Lippen.

Vielleicht war es ein wenig voreilig gewesen, die Vorsicht außer Acht zu lassen und Hut und Schal abzulegen …

Crys wartete, dass seine Verblüffung den ersten Anzeichen des Erkennens wich und er sich äußerte. Ihre Spannung wuchs, als er nichts sagte.

Herausfordernd hob sie das Kinn. „Das hatten Sie nicht erwartet, oder?“ wiederholte sie seine Worte von vorhin. Sollte er sie wirklich nicht erkannt haben?

„Ich habe Sie überhaupt nicht erwartet“, erwiderte er frostig.

Er hatte sie nicht erkannt!

Auch wenn er sie nicht erwartet hatte, jemand anders rechnete fest mit ihrer Ankunft. Je früher sie sich verabschiedete und weiterfuhr, desto besser.

Crys stand auf. „Ich möchte Sie nicht wegen des Kaffees bemühen …“

„Er ist fertig.“ Er stellte den dampfenden Becher vor ihr auf den Tisch und kam ihr somit näher, als ihr lieb war. „Sie sehen aus, als würden Sie frieren. Trinken Sie“, drängte er, bevor sie protestieren konnte.

Ihr behagte sein Befehlston absolut nicht. Unter den gegebenen Umständen und bei der Launenhaftigkeit dieses Mannes war es wohl klüger, nicht mit ihm zu streiten.

Er setzte sich ihr gegenüber und schaute sie prüfend an, während er seinen Becher mit beiden Händen umschloss.

Autor

Carole Mortimer
Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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