Frühling in Kent

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Seit Bianca als Babysitterin der kleinen Lisa die Nacht im Haus des attraktiven Witwers Morgen Hearne verbracht hat, kann sie nicht mehr ruhig schlafen. Doch leider ist diese Bekanntschaft geschäftlicher Natur - und komplizierte Verwicklungen haben so viel Misstrauen zwischen ihnen geschürt, dass für Gefühle kein Platz zu sein scheint …


  • Erscheinungstag 30.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757656
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Vier Männer und zwei Frauen versammelten sich an jenem sonnigen Maimorgen um zehn Uhr im Sitzungssaal und nahmen ihre Plätze an dem großen Mahagonitisch ein, der in der Mitte des Raumes stand. Jack Rowe, der Vertriebsleiter, blickte demonstrativ auf seine Armbanduhr. „Er kommt spät. Man sollte meinen, dass er wenigstens heute einmal pünktlich ist, finden Sie nicht?“

„Seit acht Uhr telefoniert er ununterbrochen“, erklärte Noelle Hyland, die Werbeleiterin, in scharfem Ton und blickte Jack missbilligend an.

„Er sieht sehr müde aus“, seufzte Andrea Watson, die Personalchefin, die Jack Rowes kritische Bemerkung über den leitenden Direktor genauso ärgerlich fand. Sie, die immer fröhlich war, blickte heute genauso ernst und besorgt drein wie ihre Kollegen.

Morgan Hearne blieb an der Tür zum Sitzungssaal stehen und betrachtete seine leitenden Angestellten abschätzend, bevor sie ihn bemerkten. War ein Judas unter ihnen, bereit, ihn und seine Firma zu verkaufen?

Irgendjemand in der Firma müsse die Hand im Spiel haben, hatte sein Anwalt Leigh Hampton ihm vor zehn Minuten erzählt. „Finde heraus, wer es ist, und wirf ihn raus.“

Morgan wollte es nicht glauben. Er ließ den Blick seiner blauen Augen über die Gesichter schweifen und wünschte, er könnte in ihnen lesen. Wer von ihnen hatte heimlich einen Job angeboten bekommen, falls die Übernahme gelang?

Kalte Wut stieg in ihm auf. Er hatte die Firma aufgebaut. Seit zehn Jahren war sie der Mittelpunkt seines Lebens. Und jetzt wollte man sie ihm wegnehmen. Aber das würde ihnen nicht gelingen. Er würde alles tun, die Übernahme zu verhindern.

Als Morgan den Raum betrat, blickten alle alarmiert auf und versuchten in seinem Gesicht zu lesen, was in ihm vorging.

Andrea lächelte ihn zuversichtlich an. Sie fand ihren Chef brillant, viel cleverer als alle anderen Männer, denen sie begegnet war. Und sexy war er obendrein. Obwohl glücklich verheiratet und Mutter von zehnjährigen Zwillingen, bekam sie Herzklopfen, wenn Morgan in der Nähe war.

„Du verschwendest deine Zeit, mein Schatz“, hatte ihr Mann Gary sie aufgezogen, als sie Morgan während einer Dinnerparty im vergangenen Winter mit vor Bewunderung glänzenden Augen beobachtet hatte. „Computer machen ihn an, nicht Frauen. Was findet ihr eigentlich so toll an ihm? Was hat er, was ich nicht habe?“

„Nichts, Liebling. Absolut nichts“, hatte Andrea ihrem Mann schnell versichert. Auf keinen Fall wollte sie seine Gefühle verletzen. Sie liebte ihren Mann, auch in alten Jeans und abgetragenem Hemd. Aber Morgan war einfach umwerfend, eher ein Filmstar als ein Boss. Alle Frauen im Büro dachten so. Noelle himmelte ihn geradezu an. Ja, Andrea kannte keine Frau, die seine warmen blauen Augen, das hellbraune, seidige Haar, das charmante Lächeln und die lässige Eleganz seiner Bewegungen nicht liebte.

Seit seine Frau Aileen vor drei Jahren bei der Geburt ihrer zu früh geborenen Tochter gestorben war, hatte es keine Frau mehr in Morgans Leben gegeben. Seine Ehe war überaus glücklich gewesen. Er und Aileen hatten sich seit ihrer Schulzeit gekannt. Ihr Tod hatte ihn tief getroffen.

Andrea hatte ihn zu trösten versucht, aber er hatte sie schroff zurückwiesen. „Sie sind sehr freundlich, Andrea, aber ich möchte nicht darüber reden.“

Zehn Tage lang hatte er sich nicht im Büro blicken lassen, und als er zurückkehrte, war er wie verwandelt gewesen. Er hatte sich in seine Arbeit vergraben, war grimmig und schweigsam geworden.

Alle hatten sich Sorgen um ihn gemacht, aber der harte Ausdruck in seinen Augen hatte sie davon abgehalten, etwas zu sagen.

Zum Glück war Morgan in den vergangenen beiden Jahren wieder der Alte geworden. Er lachte wieder, plauderte mit ihnen, war umgänglich wie früher. Doch wenn er sich unbeobachtet fühlte, entdeckte man immer noch einen schmerzerfüllten Ausdruck in seinen blauen Augen.

„Guten Morgen, alle miteinander“, begrüßte er sie jetzt und setzte sich auf seinen Platz am Kopfende des Tisches. „Danke, dass Sie so pünktlich sind. Ich will Sie nicht mit langen Vorreden aufhalten. Wir alle wissen, warum wir hier sind. Man ist dabei, unsere Aktien aufzukaufen. Bereits in der Vergangenheit hat man zweimal versucht, unsere Firma zu übernehmen. Wir wissen also, was los ist. Offensichtlich ist es ein ernsthafter Angriff, denn es wird viel Geld auf den Markt geworfen. Ich habe Rod gebeten, so viel wie möglich herauszufinden. Wir wollen uns zuerst ihn anhören, und dann möchte ich gern von jedem von Ihnen wissen, wie er persönlich über das Angebot denkt, bevor wir über Gegenmaßnahmen reden. Einverstanden?“

„Hat man denn schon Verbindung zu Ihnen aufgenommen, Morgan?“, fragte Jack Rowe nervös.

„Nein, noch nicht. Zweifellos wird das aber bald geschehen. Erzählen Sie, mit wem wir es diesmal zu tun haben, Rod.“

„Mit TTO“, erwiderte Rod Cadogan.

Niemand ist überrascht, stellte Morgan mit einem ironischen Lächeln fest. Sie wissen bereits, dass Tesmost Technical Operations hinter dem Übernahmeangebot steht. So etwas kann man nicht geheim halten. Alle großen internationalen Firmen in der EDV-Branche kennen sich untereinander.

Seit durchgesickert war, dass sie einen preiswerten stimmgesteuerten Computer herausbringen wollten, hatten mehrere Firmen in den vergangenen beiden Jahren versucht, Hearne’s aufzukaufen. Man musste ständig neue Ideen entwickeln, wenn man in der Branche überleben wollte, oder es war aus. Morgan hatte seine Forschungen so lange wie möglich geheim gehalten und nur mit den engsten Kollegen darüber gesprochen. Aber irgendwann hatte er den Computer bauen müssen. Und nun, da weit mehr Leute in das Projekt involviert waren, hatte es sich schnell herumgesprochen und die Konkurrenz auf den Plan gerufen.

Bisher hatte Morgan immer genug Geld gehabt, alle Interessenten aus dem Feld zu schlagen. Aber TTO war ein riesiges Unternehmen mit weit mehr Kapital, als er aufbringen konnte.

Er wünschte, er hätte eine Idee, wie er die Firmenübernahme verhindern könnte, ohne jemand um Hilfe bitten zu müssen. Vielleicht sollte er das Haus in Essex verkaufen, das er und Aileen sich nach der Heirat gekauft hatten.

Jetzt wohnte er in seiner Londoner Wohnung. Sie hatte genau die richtige Größe für einen Junggesellen, lag nicht weit entfernt vom Arbeitsplatz und war von Restaurants und Läden umgeben. Aber seine Mutter und seine kleine Tochter wohnten in dem Haus in Essex. Es war nur eine Autostunde von London entfernt, sodass er die beiden oft besuchen konnte. Nach Aileens Tod war seine Mutter in das Haus gezogen, um sich um Lisa zu kümmern. Das Arrangement funktionierte so gut, dass er nie erwogen hatte, es zu ändern.

Traurigkeit erfüllte ihn. Mitunter konnte er nicht glauben, dass seine Frau für immer gegangen war. Aileen war so voller Leben gewesen. Im Geiste sah er sie vor sich, wie sie ihn anlachte, während der Wind von der Essex-Küste in ihrem Haar spielte.

Hör auf, ermahnte er sich. Blick nicht zurück. Denk an die Zukunft.

Wenn er das Haus verkaufen musste, würde er auch seine Wohnung verkaufen und sich nach einer Bleibe umsehen, die auch für seine Mutter und seine kleine Tochter groß genug war. Vielleicht war es Zeit, dass sie alle zusammenwohnten. Er sollte Lisa öfter sehen, nun, da sie größer wurde und kein Baby mehr war.

„Wie du siehst, Morgan, ist es ein gut organisierter Angriff“, riss Rod ihn aus seinen Gedanken.

Morgan nickte. „Das ist es leider.“

Rod seufzte. „Ich habe hier eine Liste von Aktienübertragungen, die bereits von den großen Investoren, den Pensionsfonds und den Firmen vorgenommen wurden.“ Er las die Namen in einem Tonfall vor, als würde er die Trauergäste bei einer Beerdigung ansagen.

Er machte eine Pause und blickte auf. „Für die Organisation der Übernahme und den Aufkauf der großen Aktienpakete ist Bianca Milne, Forward Planning Director of TTO, verantwortlich“, erklärte er und legte ein großes Farbfoto auf den Tisch, das sich alle ansahen.

Jack Rowe pfiff leise durch die Zähne. „He, ich finde sie gut.“

Andrea verspürte bei der Betrachtung des Bildes einen Anflug von Neid. Könnte sie doch so aussehen! Sie würde ihr braunes Haar gern gegen das blonde, zu einem Nackenknoten zusammengebundene Haar eintauschen. Und dann das Gesicht … Es war nicht fair. Manche Frauen hatten einfach alles.

Morgan hatte von Bianca Milne gehört, sie aber nie gesehen. Er nahm das Foto in die Hand und verzog den Mund. „Sie ist überhaupt nicht mein Typ, Jack. Ich würde sogar behaupten, dass du bei ihr nicht weit kommst. Sie ist der Rühr-mich-nicht-an-Typ. Sehen Sie sich die Augen an. Sie sind kalt wie Eis.“

„Wie alt ist sie denn?“, fragte jemand. „Sie sieht viel zu jung aus, um eine führende Rolle bei einem Übernahmeangebot zu spielen.“

„Sie ist nicht so jung, wie sie aussieht“, erwiderte Rod. „Sie wird dreißig in einem Monat oder so.“

„Das nenne ich jung“, meinte Jack. „Ich wünschte, ich würde dreißig im nächsten Monat.“

„Ist sie verheiratet?“, fragte Andrea hoffnungsvoll.

Rod schüttelte den Kopf. „Nein. Zurzeit ist sie ohne Mann. Den Gerüchten zufolge hat sie zuletzt eine Beziehung mit Lord Mistells Sohn Harry Mistell gehabt, der für eine der Handelsbanken arbeitet, für die ihre Firma die neueste Hardware lieferte.“

Morgan blickte Rod an. „Wer hat denn die Beziehung beendet? Sie oder er?“

„Sie. Ihre Firma hat Millionen bei dem Deal verdient, und Bianca Milne hat den Kauf organisiert. Wenige Woche danach hat sie sich nicht mehr mit dem jungen Mistell getroffen.“

„Sie ist nur mit ihm ausgegangen, um den Kauf unter Dach und Fach zu bringen?“ Noelle runzelte die Stirn. „Das ist furchtbar.“

Rod zuckte die Schultern. „Ob sie ihn benutzt hat, oder ob die Beziehung zufällig in die Brüche gegangen ist, wer weiß? Bianca Milne ist seit neun Jahren bei TTO und schnell aufgestiegen. Ihr gutes Aussehen war sicherlich hilfreich, aber sie ist auch clever, zäh und sehr ehrgeizig. Man munkelt, dass sie eine heimliche Affäre mit Don Heston hat, dem Chef der Firma. Ob es stimmt, kann ich nicht sagen.“ Nach einer kurzen Pause fügte Rod hinzu: „Heston ist verheiratet.“

„Und hat Kinder“, ergänzte Morgan.

Rod nickte. „Ja, einen Jungen und ein Mädchen im Teenageralter. Heston ist fast fünfzig, sieht aber jünger aus. Seine Frau sieht man nie. Sie lebt mit den Kindern auf dem Lande. Sie haben ein großes Haus in Buckinghamshire. Heston jettet meistens in der Weltgeschichte herum, wobei Bianca Milne ihn oft begleitet.“

„Daher der Klatsch“, meinte Morgan. „Und wer will es ihm verübeln, wenn er bei einer so attraktiven Frau tatsächlich Geschäftliches mit Privatem vermengt? Okay, berichten Sie über TTOs gegenwärtige Marktposition, Rod. Hören Sie alle gut zu. Wir müssen TTOs schwachen Punkt herausfinden. Ich werde in den nächsten Tagen ein Treffen mit Heston vereinbaren, um zu erfahren, was für ein Krieg das werden soll.“

Sein Blick fiel wieder auf das Foto. Bianca Milne hatte das Gesicht einer Madonna, aber was ging hinter ihrer Stirn vor? Offensichtlich war sie eine Frau, die sich eher von ihrem Verstand als von ihrem Herz leiten ließ.

Morgan dachte an seine verstorbene Frau, die warmherzig, fröhlich und liebenswert gewesen war, eine Frau, die immer ihrem Herzen gefolgt war. Er vermisste sie sehr.

Er verdrängte die Erinnerungen und betrachtete das Foto von Bianca Milne. Gerüchte entstanden nicht von ungefähr. Hatte sie mit Lord Mistells Sohn geschlafen, nur um den Vertrag zu bekommen? Was für eine Frau war sie? Nach dem, was Rod gehört hatte, war sie sowohl Hestons Geliebte als auch seine rechte Hand.

Eine Frau mit so viel Contenance und Kälte im Blick musste auch Schwächen haben. Sie zu kennen, würde nützlich sein. Vielleicht war sie Hestons schwacher Punkt?

Bianca war dabei, ihrer Sekretärin etwas zu diktieren, als Don anrief.

„Fertig?“, fragte er kurz angebunden.

Bianca war über seinen schroffen Ton nicht überrascht. Don verschwendete selten Worte oder Zeit. Aber sie war überrascht, dass es schon zwölf war, als sie auf ihre Uhr sah. Heute Morgen war viel los gewesen, und in dem Bestreben, vor der wichtigen Verabredung zum Mittagessen so viel Arbeit wie möglich zu erledigen, hatte sie die Zeit vergessen.

„Ja, natürlich“, antwortete sie. „In zwei Minuten bin ich unten.“

Don legte auf, und Bianca beendete schnell das Diktat.

„Geben Sie das alles in den Computer ein, und drucken Sie es aus, Patricia. Ich unterschreibe heute Abend, bevor ich nach Hause gehe.“

Patricia stand auf, blätterte die Seiten ihrer Notizen durch und schnitt ein Gesicht, als sie sah, wie viele Briefe sie zu schreiben hatte. Eigentlich machte ihr die Arbeit keinen Spaß. Seit einem halben Jahr war sie verlobt, und sie zählte die Tage bis zur Hochzeit, denn danach, so hatte sie Bianca unumwunden erklärt, wollte sie den Job für immer aufgeben und so schnell wie möglich eine Familie gründen.

„Was für eine altmodische Einstellung!“, hatte Bianca erwidert. „Zwei Einkommen sind besser als eins, vor allem im ersten Ehejahr. Können Sie es sich denn leisten, Ihre Arbeit aufzugeben und von einem Gehalt zu leben?“

„Um Geld brauchen wir uns keine Sorgen zu machen“, hatte Patricia mit einem selbstgefälligen Lächeln geantwortet. „Tony verdient mehr als genug für zwei. Außerdem wollen wir Kinder haben. Ich liebe Kinder, und ich habe mir immer ein schönes Haus mit Garten gewünscht. Ich war nie mit meinem Job verheiratet, wie Sie es sind.“

„Ja, ich habe gemerkt, dass Ihnen Ihre Arbeit keinen Spaß macht. Hoffentlich sind Sie gern Hausfrau. Sie werden feststellen, dass die Hausarbeit auch nicht gerade lustig ist. Kündigen Sie rechtzeitig, damit ich mich nach einem Ersatz für Sie umsehen kann.“

Beim nächsten Mal wollte Bianca eine engagierte Sekretärin einstellen, die ihre Arbeit gern tat und sich nicht nur für ihr Privatleben interessierte.

„Was glauben Sie, wann Sie vom Mittagessen zurück sein werden?“, fragte Patricia auf dem Weg zur Tür.

„Keine Ahnung. Das hängt davon ab, wie die Leute von Hearne reagieren. Es kann ein kurzes Gespräch werden, es kann aber auch den ganzen Nachmittag dauern. Sorgen Sie dafür, dass die Briefe fertig sind und ich sie unterschreiben kann, wenn ich zurückkomme.“

Patricia verließ den Raum, und Bianca ging zum Spiegel, der an der Wand ihres Büros hing, und überprüfte ihr Äußeres. Das blonde Haar, das sie im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden hatte, saß perfekt. Nur die Lippen musste sie noch einmal nachziehen und die glänzende Nase überpudern.

Bei einigen Männern hatte man mit gutem Aussehen sein Ziel schon fast erreicht. Sie hatte monatelang Nachforschungen über Morgan Hearne angestellt und wusste, dass er nicht im Ruf eines Ladykillers stand, aber wenn er so war wie die meisten Männer, würde er sie eingehend betrachten, während sie sich unterhielten, und sie wollte einen guten Eindruck machen.

Ihr fein geschnittenes Gesicht, das blonde Haar und die schlanke Figur standen in scharfem Kontrast zu dem geschäftsmäßigen dunkelblauen Kostüm mit Nadelstreifen, das sie anhatte.

Für wichtige geschäftliche Termine kleidete sie sich immer so. Am Anfang hatten die Männer einen Blick auf sie geworfen und in einem nachsichtigen und herablassenden Ton mit ihr gesprochen, als wäre sie ein Schwachkopf, nur weil sie blond war und grüne Augen hatte. Wenn sie ein strenges Kostüm trug, konnte sie die Männer am ehesten dazu bringen, sie mit Respekt zu behandeln. Der widersprüchliche optische Eindruck, den sie hervorrief, verunsicherte sie und brachte sie aus dem Konzept. Es gab Bianca Zeit, sie davon zu überzeugen, dass sie kein Hohlkopf war und sie ihr genauso aufmerksam zuhören sollten, wie sie einem Mann zuhören würden.

Bianca nahm die kunstvoll aufgemachte Aktenmappe vom Schreibtisch, vergewisserte sich, dass sie alles enthielt, was sie brauchte, steckte sie in ihre schwarze Lederaktentasche und verließ das Büro.

Don wartete in seiner langen schwarzen Limousine im Vorhof des Bürogebäudes auf sie. Groß, mit lockigem, leicht angegrautem braunem Haar und durchdringend blickenden braunen Augen, sah er jünger aus, als er war, denn er trainierte jeden Tag im Fitnessstudio, spielte Golf, ging schwimmen, achtete auf seine Ernährung und trug teure Designeranzüge im neusten Stil.

Bianca setzte sich neben ihn in den Fond und tat, als bemerke sie nicht, wie er wie üblich besitzergreifend den Blick über sie gleiten ließ.

„Sie sind spät dran.“

„Tut mir leid, Don“, erwiderte sie gelassen. „Ich war gerade beim Diktieren, als Sie anriefen.“

„Haben Sie Ihre Hausarbeiten zu dem Deal gemacht?“

„Ja, natürlich.“

Don nickte befriedigt. „Braves Mädchen.“ Während er sie immer noch von oben bis unten musterte, rückte er ungeniert näher, bis sein Knie ihrs berührte. „Wissen Sie, eigentlich ist Ihr Outfit ein Liebestöter. Normalerweise hasse ich es, wenn Frauen sich wie Männer kleiden, aber Sie schaffen es, so noch verführerischer auszusehen. Hoffentlich denkt Hearne auch so. Es wäre sehr nützlich, wenn er sich ebenso in Sie verlieben würde, wie es der junge Mistell getan hat.“

Bianca biss sich auf die Lippe. Sie wollte nicht an Harry denken.

Don legte den Arm oben auf den Sitz hinter ihr, und sie spürte, wie er die Finger langsam über ihren bloßen Nacken gleiten ließ.

„Lassen Sie das.“ Sie wich Dons Liebkosungen aus und war erleichtert, als er die Hand sinken ließ, aber seinen Schenkel presste er immer noch gegen ihren.

Seit sie für Don zu arbeiten angefangen hatte, hatte er Annäherungsversuche gemacht, aber bisher hatte sie ihn immer in Schach halten können. Sie wusste, dass er Affären mit anderen Frauen in der Firma gehabt hatte, und sie hatte nicht die Absicht, auch auf die Liste zu kommen. Aber Don gab nie auf. Beharrlich verfolgte er sein Ziel und ließ sich durch nichts entmutigen.

Es war höchst irritierend, doch Bianca wollte ihn nicht zu heftig zurückweisen. Sie mochte Don und schätzte seinen Verstand. Aber er war verheiratet, und als Kind geschiedener Eltern war ihr allein der Gedanke, eine Ehe kaputtzumachen, zuwider.

Ihr Job machte ihr Spaß. Sie leitete die Abteilung, die sich nach Unternehmen umsah, deren Ankauf der Firma Gewinn bringen würde. Dafür musste sie ein solides Wissen über den Marktwert haben, die manchmal versteckten Kapitalreserven des Unternehmens kennen und das zukünftige Potenzial.

Don gab ihr die Macht und Verantwortung, die sie sich immer erträumt, die auch zu erringen sie aber nie zu hoffen gewagt hatte. Bianca wusste, Don hatte es ihr ermöglicht, ihr finanztechnisches Geschick zu entwickeln, und dafür war sie ihm dankbar.

Zweifellos nahm er an, dass sie den Preis, den er für ihren Job ausgesetzt hatte, auch bezahlen würde. Aber bisher war er noch nicht unangenehm geworden, wenn sie es ablehnte, seinem unverhohlenen Verlangen nach ihr nachzugeben.

„Frigides kleines Ding“, sagte er jetzt und lächelte, denn er glaubte nicht wirklich, dass sie es war, und hoffte immer noch, sein Ziel irgendwann zu erreichen.

„Sie sind verheiratet, Don. Ich werde Ihre Ehe nicht zerstören.“

„Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass wir eine freizügige Ehe führen. Jeder geht seinen eigenen Weg. Sara ist sehr beschäftigt. Sie hat die Kinder, das Haus, die Hunde und die Wohltätigkeitskomitees, für die sie arbeitet. Es wäre nicht einmal Platz für mich da, wenn ich die ganze Zeit zu Hause sein würde.“

„Wie Sie Ihre Ehe führen, ist Ihre Sache, aber ich bin nicht so tolerant. Ehebruch gefällt mir nicht.“

Don lachte. „So altmodisch können Sie einfach nicht sein! Aber vergessen Sie nicht, Morgan Hearne ist Witwer und frei wie ein Vogel.“

„Dies ist ein Geschäftsessen. Sie erwarten doch hoffentlich nicht von mir, dass ich Morgan Hearne verführe, damit er Ihnen seine Firma überträgt!“

„Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, dass es im Geschäftsleben keinen Platz für moralische Bedenken gibt? Entscheidend ist Geld. Nur das zählt.“

„Seien Sie nicht so zynisch!“

„Ich bin rational, nicht zynisch. Wenn wir Hearnes neue Technologie erwerben, werden wir bald viel Geld verdienen. Allerdings ist es wichtig, Hearne persönlich zu bekommen. Er ist ein Genie. Keiner von unseren Forschern kann sich mit ihm messen. Wir wollen ihn und seine Firma.“

„Dann überreden Si ihn doch, den Vertrag zu unterschreiben.“

Don versuchte es anders. „Der Mann muss verdammt einsam sein, wissen Sie. Seit seine Frau tot ist, ist er mit keiner anderen mehr gesehen worden. Das heißt, er braucht guten Sex, und deshalb sollen Sie nett zu ihm sein. Sehr nett, Bianca, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und das tun Sie natürlich.“ Er brüllte vor Lachen.

Eisig blickte sie ihn an. „Sie finden das vielleicht komisch, Don. Ich nicht! Ich werde nicht mit Hearne schlafen, nur um ihn dazu zu bringen, den Vertrag zu unterschreiben.“ Wut stieg in ihr auf. „Sex mag Ihre Lösung für alles sein, meine ist es nicht.“

Sie bogen in den Hof des Savoy Hotels ein, und die Limousine kam langsam vor dem Eingang zum Stehen. Der uniformierte Portier trat vor und öffnete Bianca die Tür. Bianca zügelte ihren Zorn, als sie ausstieg. In der Öffentlichkeit konnte sie wohl kaum einen Streit mit ihrem Boss vom Zaun brechen.

„Sie haben keinen Humor“, sagte Don und folgte ihr durch die Drehtür. „Machen Sie ein fröhliches Gesicht, Schätzchen! Lächeln Sie! Vergessen Sie nicht: Wir wollen Hearnes Unterschrift unter dem Vertrag haben.“

Morgan Hearne und zwei seiner Führungskräfte seien bereits da, teilte man ihnen mit. Sie warteten in der River Room Bar direkt vor einem der berühmten Art-Nouveau-Spiegel.

Don ging an dem weißen Klavier vorbei, das in der Mitte des großen Raumes stand, und auf Hearne zu. Bianca hielt mit ihm Schritt. Sie spürte die Blicke der drei Männer auf sich, sah aber an ihnen vorbei in den Spiegel hinter ihnen. Sie sah sich mit leichtem Schritt auf sie zugehen, sah das glatte blonde Haar, das ovale Gesicht und unter der offenen, fein gestreiften Jacke, die eng anliegende Weste, die ihre festen Brüste und die schlanke Taille betonte. Die goldene Uhrkette über der Brust wippte bei jedem Schritt, den sie machte.

Bianca wirkte gelassener, als sie sich fühlte. Don hatte sie wütend gemacht. Ihr Gesicht glühte, und sie atmete zu schnell.

Die Männer erhoben sich von ihren Sitzen, um sie zu begrüßen.

Don streckte die Hand aus. „Schön, Sie wieder zu sehen, Morgan.“

„Hallo, Don“, begrüßte dieser ihn herablassend.

Don zählt nicht zu seinen Freunden, stellte Bianca fest. Wie auch? Morgan Hearne hatte eine eigene Firma gegründet, die Don jetzt übernehmen wollte. Da dürften sie wohl kaum Freunde werden.

Sekunden später stellte Don sie vor. Morgan Hearne ergriff ihre Hand und drückte sie kurz und kräftig.

Obwohl Bianca Fotos von Hearne gesehen hatte, war sie auf seine eindrucksvolle Präsenz nicht vorbereitet. Er hatte … sie suchte nach einer richtigen Beschreibung … ja, er hatte Ausstrahlung. Und dann diese spöttisch blickenden blauen Augen. Der Mann hatte Charisma und Intelligenz.

Bianca spürte sofort, dass sie bei diesem Mann kein leichtes Spiel haben würde. Er würde sich nicht über den Tisch ziehen lassen.

Hearne stellte sie seinen Kollegen vor. Sie schüttelten ihr die Hand und blickten sie auf eine Weise an, die ihr zwar vertraut war, die sie aber immer noch irritierte. Warum konnten Männer sie nicht erst als Mensch und dann als Frau wahrnehmen? Warum wirkten sie immer so, als würden sie sich vorstellen, wie sie nackt aussah?

Nach den Formalitäten setzten sie sich alle, und ein Ober erschien.

„Was möchten Sie trinken, Bianca?“, fragte Don, den aufmerksamen Gastgeber spielend.

„Wie wär’s mit Champagner?“, meinte er, als sie mit der Antwort zögerte. „Wollen wir alle welchen?“ Er blickte in die Runde, sah dann den Ober an und nickte.

„Wie geht es Ihrer Frau, Don?“, erkundigte sich Morgan Hearne, nachdem sich der Ober entfernt hatte. „Ich habe sie vor zwei Jahren auf einer Party kennengelernt.“

Don machte ein ausdrucksloses Gesicht. „Ach ja? War ich nicht dort?“

„Nein“, bestätigte Morgan Hearne. Der Blick seiner blauen Augen glitt zu Bianca. „Sie waren wohl anderweitig beschäftigt.“

Bianca erstarrte. Bildete sie sich den bedeutungsvollen Unterton nur ein? Worauf spielte Hearne an?

„Es war eine Wohltätigkeitsveranstaltung“, erklärte Morgan. „Ihre Frau hat Geld für tschechische Waisen gesammelt. Sie ist eine sehr liebenswürdige Dame mit einem wunderschönen Lächeln.“

Jetzt war sich Bianca sicher, dass er gegen Don stichelte. Ganz bewusst sogar. Und Don merkte es auch, wie sie an seinem Stirnrunzeln erkannte. Sollte zwischen Morgan Hearne und Dons Frau etwas gewesen sein?

Der Ober kehrte mit einem Eiskühler und zwei Flaschen Champagner zurück, und sie alle sahen zu, wie er die Gläser hinstellte, dann eine Flasche öffnete und einschenkte.

„Auf ein besseres Verständnis.“ Don hob sein Glas und lächelte Morgan Hearne freundlich zu.

Nichts sollte zwischen Don und dem Geldverdienen stehen. Bis er den Deal unter Dach und Fach hatte, konnte er jedwede Gefühle – Begehren, Wut, persönlichen Hass – beiseitelassen.

Ob Morgan Hearne auch so ist? fragte sich Bianca. Er ist außerordentlich erfolgreich. Er und Don müssen viel gemein haben.

„Oh, ich verstehe Sie jetzt schon, Don. Keine Sorge“, versicherte Morgan und prostete Don zu. Wieder schwang ein spöttischer Unterton in seiner Stimme mit.

Don lächelte angespannt. „Das freut mich. Ihre Firma ist ein kleines Juwel, Morgan, und ich verhehle nicht, dass ich sie haben will. Und was ich will, bekomme ich auch.“

Sein Blick schweifte zu Bianca, und sie spürte, wie sich in ihrem Inneren alles zusammenzog. Manchmal konnte Don einem richtig Angst einjagen.

Von nun an wurde es schwierig. Zwar lächelten die Männer viel, aber die versteckten Waffen, die jeder bei sich trug, kamen während des Essens immer deutlicher zum Vorschein.

Bianca fragte sich, wie gut die beiden Männer sich kannten. Waren sie schon länger miteinander bekannt, als Don ihr gegenüber erwähnt hatte?

TTO hatte mehr als ein Drittel der Hearne-Aktien aufgekauft. Sie würden also beträchtlichen Einfluss auf die Geschäftspolitik und künftigen Planungen der Firma haben. Allerdings war es TTO noch nicht gelungen, die Kontrolle über die Firma zu erlangen. Morgan Hearne hielt zu viele Aktien und würde auch nicht verkaufen. Auch seine Schwester besaß eine Anzahl von Aktien. Man munkelte, dass sie und ihr Bruder nicht miteinander redeten. Wenn sie ernsthaft zerstritten waren und TTO sie dazu bringen konnte, ihre Anteile zu verkaufen, würde TTO die Kontrolle über die Firma erhalten.

Das Problem war nur, dass Ann Hearne vor einem Jahr in die Staaten gezogen war und niemand ihre Adresse kannte. Bianca hatte versucht, sie ausfindig zu machen. Ohne Erfolg.

Autor

Charlotte Lamb

Die britische Autorin Charlotte Lamb begeisterte zahlreiche Fans, ihr richtiger Name war Sheila Holland. Ebenfalls veröffentlichte sie Romane unter den Pseudonymen Sheila Coates, Sheila Lancaster, Victoria Woolf, Laura Hardy sowie unter ihrem richtigen Namen. Insgesamt schrieb sie über 160 Romane, und zwar hauptsächlich Romances, romantische Thriller sowie historische Romane. Weltweit...

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