Hilfe, ich liebe meinen Boss

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Oh nein! Erst schlägt Tilly den tollsten Mann, den sie je gesehen hat, irrtümlich mit einem Gartenzwerg nieder. Und dann stellt sich auch noch heraus, dass Marcus ihr neuer Boss ist. Einziger Trost für die quirlige junge Hebamme: Das Verhältnis kann nur besser werden. Oder?


  • Erscheinungstag 22.04.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716509
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Tilly liebte die Freitage. Ein beschaulicher Spaziergang vom Krankenhaus den Hügel hinunter, vor sich das freie Wochenende, dann der erste Hauch salziger Seeluft am Ende der Hill Street und schließlich der erfreuliche Anblick von Mrs Bennett, die elegant gekleidet auf der Veranda saß und ihre Freundinnen zum Tee erwartete – wie jeden Freitag.

Tilly liebte auch Mrs Bennett und ihre Freundinnen, alle ehemalige berühmte Sopranistinnen, mit ihren todschicken Kleidern, den Designerschuhen und dem immer freundlichen Lächeln. Die alten Damen gaben ihr das Gefühl, dass es im Leben nicht schlechter, sondern besser wurde.

Und sie redeten niemals über Männer. Das gefiel ihr.

Sie konnte es kaum erwarten, ihr Fenster an der Rückseite des Hauses hochzuschieben, um Verdis und Puccinis gefühlvolle Musik von Mrs Bennetts Veranda her in ihr Zimmer zu lassen.

Bestimmt finden manche es merkwürdig, dass ich die Gesellschaft älterer Damen der von jungen Männern vorziehe, dachte sie. Aber lieber das, als mich mit einem unzuverlässigen Typen herumzuschlagen. Zwei gescheiterte Beziehungen innerhalb eines Jahres reichten, wie ihre Freundin Ruby betont hatte, bevor sie unmissverständlich darlegte, woran es lag: Du suchst dir immer nur Männer, die zu alt für dich sind.

Tilly musste ihr recht geben. Schon als Schülerin hatte sie sich zu den älteren Jahrgängen hingezogen gefühlt, und auf der Uni war es nicht anders gewesen. Lag es vielleicht daran, dass sie ihren Vater nie kennengelernt hatte? Ruby zumindest war dieser Meinung.

Tilly seufzte. Gleichaltrige kamen ihr immer eher … oberflächlich vor.

Der köstliche Duft nach frisch gebackenen Scones und Marmorkuchen stieg ihr verlockend in die Nase. Tilly schüttelte die trüben Gedanken ab. Es war Freitag. Wochenende!

„Einen schönen guten Tag, Mrs B.!“, rief Tilly.

„Hallo, Matilda, ich freue mich, Sie zu sehen.“

„Klemmt das Fenster schon wieder?“

Mrs Bennett lächelte. „Nein, ich glaube, diesmal haben Sie es wieder richtig hinbekommen. Aber nun quietscht ein anderes. Wenn es schlimmer wird, melde ich mich bei Ihnen.“

Da bleibe ich in Übung, dachte Tilly. Super. Das letzte Mal hatte sie sich in einen Zimmermann verliebt, der sich als heimlich verlobter Kontrollfreak erwies und neben ihr noch weitere Liebschaften laufen hatte. Sie war entschlossen, seine Dienste nie wieder in Anspruch zu nehmen. Genauso wenig wie die des Innendekorateurs, der ihr ständig alles vorschreiben wollte und sich schließlich als verheiratet outete.

„Kein Problem. Kommen Ihre Freundinnen bald?“

Mrs Bennett warf einen Blick auf ihre schmale goldene Armbanduhr. „Ja, sie müssten jeden Augenblick hier sein. Ich hebe Ihnen ein Stück Marmorkuchen auf.“

„Bitte grüßen Sie sie von mir.“ Tilly drückte ihre Gartenpforte auf und stieg die gefliesten Stufen hoch. Zu Hause. Und kein einziger Mann in Sichtweite. Wunderbar.

Hill Street Nr. 71 war ein schmales zweistöckiges Haus, das seine hundert Jahre auf dem Buckel und etwas liebevolle Pflege dringend nötig hatte. Spontan beschloss Tilly, ihm in ihrem nächsten Urlaub einen neuen Farbanstrich zu gönnen. Sie rannte die Treppe hinauf und warf ihre Tasche auf die purpurrote Bettdecke.

In diesem Haus war immer etwas los. Die drei jungen Frauen, die mit ihr hier wohnten, waren für sie die Schwestern, die sie nie gehabt hatte. Ein Leben ohne den Trubel, den Spaß, aber auch die Geborgenheit, die sie mit ihnen erlebte, konnte sie sich nicht mehr vorstellen.

Bei dem Gedanken an die Mädchen musste sie lächeln. Ruby, von Beruf Krankenschwester, war nicht mehr ganz so chaotisch, seit sie Cort kennengelernt hatte. Er war leitender Oberarzt in der Notaufnahme des Krankenhauses, in dem sie alle arbeiteten.

Ellie, ihres Zeichens OP-Schwester, verbrachte den größten Teil der Woche in sterilen OPs, schaffte es aber dennoch ab und an, sich zu verlieben, immer auf der Suche nach ihrem Traumprinzen, mit dem sie die heiß ersehnte Familie gründen konnte.

Jess, der Kinderkrankenschwester, brach es jedes Mal das Herz, wenn Rubys atemberaubender Bruder, der auch ihr Vermieter war, wieder einmal mit einer gertenschlanken Blondine am Arm bei ihnen auftauchte.

Und alle ließen sich nur zu gern von Tilly bemuttern.

Denn das war ihr Job. Sie war Hebamme und liebte ihren Beruf über alles.

Das sagte sie später am Nachmittag auch zu Mrs Bennett, als deren Freundinnen gegangen waren. Tilly half der älteren Dame beim Aufräumen, und dabei trällerten sie einige der bekannten Arien, die Mrs Bennett früher gesungen hatte und auch jetzt gelegentlich sang.

„Ach, um diese Arien singen zu können, muss man die Liebe kennen“, schwärmte Mrs Bennett.

„Dann werde ich wohl nie vollkommen.“ Tilly seufzte.

„Aber natürlich.“ Mrs Bennett deutete zum Himmel. „Irgendwann finden Sie den Richtigen. Sie können doch nicht für immer und ewig Single bleiben.“

Tilly lachte. „Sie sind es doch auch. Und trotzdem glücklich.“

Mrs Bennett zwinkerte ihr zu. „Ich bin wirklich zufrieden mit meinem Leben. Aber es ist schon ein Unterschied zu der Zeit, als ich noch mit der Liebe meines Lebens verheiratet war.“ Sie blickte Tilly an. „Das dürfen Sie sich nicht entgehen lassen.“

„Ach, irgendwie gerate ich immer an die Falschen. Ehrlich, ich habe nichts gegen Männer, aber nach meinen beiden letzten Erfahrungen ist mir die Lust vergangen.“

Mrs Bennett sah sie streng an. „Die waren einfach zu alt für Sie, meine Liebe. Und sie haben Sie angelogen.“

„Stimmt. Das sagt Ruby auch. Und sehen Sie doch, was das Verliebtsein mit meinen Freundinnen anstellt. Auch meine Mutter wurde ein Opfer ihrer Gefühle. Ich werde vernünftig sein, noch für ein paar Jahre den sicheren Weg gehen und allein bleiben. Um die Welt reisen. Es gibt noch so vieles, was ich tun möchte. Das ist nicht so anstrengend.“

„Sehr weise“, antwortete Mrs Bennett lächelnd.

Am Sonntagmorgen, als Tilly einen Blick über den Gartenzaun warf, bemerkte sie einen hochgewachsenen dunkelhaarigen Fremden, der verstohlen durch Mrs Bennetts rückwärtiges Erdgeschossfenster lugte. Tilly überlief es kalt.

Ihr Herz begann zu hämmern, so laut, dass sie für einen Moment befürchtete, der Fremde könnte es hören. Unauffällig blickte sie sich nach einer Waffe um. Ich muss Mrs Bennett beschützen, dachte sie, sie ist ganz allein da drin. Da sah sie etwas Rotes unter der Gartenhortensie hervorleuchten.

Tilly packte den Gartenzwerg an seiner Zipfelmütze und zog ihn aus der feuchten Erde. Die Betonfigur lag schwer in ihrer Hand.

Damit müsste sie den Mann kampfunfähig machen können, bis die Polizei anrückte. Mit der freien Hand klappte sie ihr Handy auf und wählte die Notrufnummer.

Das Fenster quietschte, als der Mann versuchte, es hochzuschieben. Dabei spannte sich sein T-Shirt über der breiten Brust. Ein großer kräftiger Mann wie er sollte sich sein Geld mit ehrlicher Hände Arbeit verdienen, statt wehrlose alte Damen auszurauben! Als unter dem T-Shirt beeindruckende Muskeln spielten, überlegte Tilly kurz, doch besser die Flucht zu ergreifen, nahm dann aber all ihren Mut zusammen.

Sie packte ihre Waffe, zielte auf die Kniekehlen und schleuderte den Gartenzwerg mit aller Kraft auf den Einbrecher.

Hastig unterdrückte sie ein nervöses Lachen, als sich der Goliath mit dem Hinterteil im nassen Gras wiederfand und laut fluchte.

Gute Arbeit, gratulierte sie dem Zwerg stumm und wich hinter die Hausecke zurück, während sie sich die nasse Erde von den Händen streifte. Das Adrenalin bewirkte einen unerwarteten Hitzeschwall, und sie fächelte sich mit dem Handy frische Luft zu.

Da drangen Stimmen aus dem Gerät, und ihr fiel ein, dass sie die Polizei angerufen hatte. „Hier spricht Matilda McPherson“, flüsterte sie. „Ich möchte einen Einbruch melden. In Coogee, Hill Street Nr. 73. In Mrs Bennetts Garten.“

„Was reden Sie da für einen Blödsinn? Ich breche nicht ein, ich repariere das Fenster!“, ertönte eine barsche Stimme hinter ihr. Wie ein zorniger Racheengel stand der Mann vor ihr, seine blauen Augen blitzten wütend. „Ich bin ihr Neffe!“

Seine Hand schoss vor, packte ihr Handy und warf es auf den Boden. Einen schrecklichen Moment lang dachte sie, er würde es zertrampeln.

Doch stattdessen atmete er tief durch und musterte sie wütend.

Ihr Verstand riet ihr, schleunigst das Weite zu suchen, aber der Mann sollte nicht denken, dass er sie einschüchtern konnte. Aus der Nähe betrachtet sah er wirklich nicht wie ein Krimineller aus.

Bevor sie jedoch einen Ton herausbrachte, knurrte er: „Ich sollte Sie wegen Körperverletzung anzeigen!“

„Körperverletzung? Mit einem Gartenzwerg? Eine zarte Frau wie ich?“ Schwungvoll warf sie die Haare zurück, um zu überspielen, wie angespannt sie war. „Macht sich großartig in der Zeitung. Vielleicht bringen sie sogar ein Foto von Ihnen mit der schrecklichen Waffe?“

Er presste die Lippen zusammen, und Tilly beschloss, sich doch zu verziehen.

Da tauchte Mrs Bennett am Gartenzaun auf. „Oh, wie schön, Kinder. Ihr habt euch schon miteinander bekannt gemacht.“ Sie strahlte über das ganze Gesicht, als sie um den Zaun herumkam, den Gartenzwerg innig an die Brust gedrückt. Sie gab ihn Tilly zurück. „Sehen Sie doch, wer mich besucht hat“, sagte sie, als im selben Moment eine Polizeisirene aufheulte und schnell näher kam.

Tilly warf einen Blick auf den dunkelhaarigen Mann. Er machte ein Gesicht, als wäre der Tag für ihn gelaufen.

Den ganzen Weg zurück zu seinem Wagen lachte der Polizist vor sich hin, und Marcus überlegte ernsthaft, wieder ins Bett zu gehen, die Bettdecke bis zur Nasenspitze hochzuziehen und den Tag von vorn zu beginnen.

Stattdessen schloss er die Augen. Hauptsächlich, weil er dann diesen frechen Rotschopf nicht mehr sehen musste. Sonst hätte er ihm doch noch den Hals umgedreht. Aber dann hätte er es mit seiner Tante zu tun bekommen, die die junge Frau anscheinend tief ins Herz geschlossen hatte. Marcus musste allerdings zugeben, dass es ein netter Zug von der Rothaarigen war, sich um Maurine zu kümmern.

„Es tut mir leid.“ Die Frau stand jetzt neben ihm auf der Veranda. Hatte sie kein eigenes Zuhause?

Beinahe hätte er aufgestöhnt. Natürlich hatte sie eines. Leider direkt nebenan.

Ihre nächste Frage empfand er als blanken Hohn.

„Tun Ihnen die Beine sehr weh?“

Er funkelte sie an. „Mir geht’s gut, danke der Nachfrage. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen …“

Wieder schloss er die Augen und seufzte. Wäre das mit der Mietwohnung nicht schiefgegangen, wäre das nächste Hotel nicht wegen einer Konferenz für eine Woche ausgebucht gewesen, müsste er nicht am Montag seine neue Stelle antreten …

Marcus riss sich zusammen. Es war wichtig, dass er sich unter Kontrolle hatte. Er durfte nie die Kontrolle verlieren. Aus leidvoller Erfahrung wusste er, was dann passieren konnte.

Sicher war er sich nicht, wie seine Tante und er miteinander auskommen würden, aber er erinnerte sich noch genau an das Weihnachtsfest nach dem Tod seiner Schwester. Damals hatte er bei Tante Maurine eine sichere Zuflucht gefunden.

Länger als eine Woche dürfte es nicht dauern, bis er eine eigene Wohnung hatte. Und wenn er eine kaufen musste.

Tilly sah ihm nach. Er hinkte. Schade, dass sie es sich mit ihm verscherzt hatte. Er wäre ein hervorragender Genpool für Ellies zukünftige Kinder gewesen. Attraktiv, athletisch gebaut und zudem mit einer ausgesprochen liebenswerten alten Dame verwandt. Aber er hatte keinen Sinn für Humor. Und das war etwas, was für Tilly besonders zählte.

Und wenn schon, was habe ich damit zu tun? Schließlich war es für sie belanglos, wie witzig Ellies Kinder sein würden, oder?

Kurz nach ihr betrat Ruby das Haus, einen wehenden Schal um den Hals und ein hoheitsvolles Lächeln auf den Lippen. „Hi, Tilly.“ Ruby musterte sie von oben bis unten. „Du bist noch nicht fertig? Heute ist doch Sonntagsbrunch im Pub.“

„Hab ich glatt vergessen.“ Tilly warf einen Blick auf die alte Standuhr in der Ecke. „Gib mir zehn Minuten, okay?“

Zwanzig Minuten später saßen die vier Freundinnen auf Barhockern und genossen den Blick aus den breiten Fenstern. Im Park spielte eine Jungenmannschaft Fußball, und dahinter schimmerte das Meer im Sonnenlicht. Strahlend blauer Himmel, keine Wolke zu sehen, es war ein paradiesischer Tag.

Tilly überlegte sich ihre Worte genau, bevor sie ihre Neuigkeiten verkündete. Ganz entgegen ihrer Gewohnheit, mit allem sofort herauszuplatzen. Warum, das wusste sie auch nicht.

„Mrs Bennett hat einen Neffen“, sagte sie.

„Unsere Nachbarin? Hey, das ist ja aufregend!“ Ellie, die neben ihr saß, richtete sich auf. „Sieht er gut aus? Findet er dich nett? Mich vielleicht auch?“

Tilly sah Ellie an. Blond, zierlich, schön. Welcher Mann würde da nicht anbeißen? „Keine Ahnung, was dich betrifft, aber mich mag er garantiert nicht. Ich habe ihn mit einem Gartenzwerg zu Boden gestreckt.“

Drei Augenpaare wandten sich ihr zu.

„Ich hielt ihn für einen Einbrecher, dabei wollte er nur das Fenster reparieren.“ Es klang missmutig, also setzte sie schwungvoller hinzu: „Es war ein richtig guter Wurf, genau in seine Kniekehlen.“

Verblüfftes Schweigen folgte, dann jubelten die Mädchen und redeten schließlich alle durcheinander.

„Was hat er gesagt?“, wollte Ruby wissen.

„Hast du ihn verletzt?“, fragte Ellie.

„Und was hat Mrs Bennett dazu gesagt?“, erkundigte sich Jess.

Tilly zog die Limonenscheibe vom Rand ihres Bierglases und lutschte daran. „Geflucht hat er, er hinkte, und Mrs B. musste sich ein Kichern verkneifen. Der Polizist war nicht so taktvoll. Er hat sich kaputtgelacht.“

Ruby war sichtlich beeindruckt. „Du hast die Polizei gerufen?“

„Ich dachte doch, er wollte einbrechen.“

„Sehr vernünftig.“ Jess nickte. „Es hätte ja sein können, dass er die arme alte Dame ausrauben wollte.“

„Wie heißt er denn, Tilly?“, wollte Ellie wissen, offenbar voller Mitgefühl für ihren zukünftigen Partner.

„Marcus.“ Tilly sah ihn deutlich vor sich. „Er ist ungefähr einen Meter neunzig groß, hat blaue Augen, gewelltes dunkles Haar und die Figur eines Gerüstbauers. Super Gene.“

„Oohh …“ Ellie bekam glänzende Augen.

„Bist du sicher, dass du nichts von ihm willst?“ Ruby musterte sie prüfend.

Tilly trank ihren letzten Schluck Bier und ließ die ausgelutschte Limonenspalte ins Glas fallen. „Nicht mein Typ.“

Ruby und Jess sahen sich amüsiert an. Ellie nicht, die sich anscheinend im Land ihrer Träume befand und es mit kleinen dunkelhaarigen Gerüstbauern bevölkerte. „So ein Mann ist doch für jede Frau interessant“, meinte Jess.

„Und wie lange bleibt er?“ Die Frage kam von Ruby.

„Das weiß ich nicht. Nachdem der Streifenwagen abgerückt war, herrschte zwischen uns Funkstille.“ Tilly blickte auf und sah das unterdrückte Lachen in den Augen ihrer Freundinnen. Stimmt, teilweise war die Geschichte wirklich lustig.

Nur für Marcus nicht. Tilly würde es nicht wundern, wenn er sie am liebsten zum Mond geschossen hätte. Und wenn sie ehrlich war, so machte es ihr schon etwas aus, dass er sie nicht mochte.

2. KAPITEL

Am Montagmorgen schien die Sonne hell ins Gästezimmer, während Marcus sich im Bad die Schultern abtrocknete. Als er sich halb umwandte, sah er in dem streifigen alten Spiegel die blau gefärbten Stellen in seinen Kniekehlen.

Immerhin hinkte er heute nicht mehr. Vorsichtshalber hatte er auf seinen morgendlichen Jogginglauf verzichtet, damit die Schwellungen abklingen konnten. Gebraucht hätte er das schweißtreibende Workout schon, wenigstens, um die Eindrücke des Albtraums zu vertreiben, in dem die rothaarige Hexe von nebenan eine nicht unwesentliche Rolle spielte!

Aber er hatte keine Lust, sich weiter über sie zu ärgern. Marcus hängte das Handtuch auf den Halter und schlenderte nackt ins Zimmer. Heute war ein wichtiger Tag. Sein Handy piepste zwei Mal, eine Erinnerung daran, dass er noch eine Stunde Zeit hatte. Und Marcus kam immer pünktlich.

Er hatte hart gearbeitet, um es beruflich so weit zu bringen.

Nicht nur in den Anfängen, als er zwischen den Vorlesungen in einem überheizten, von Fettschwaden erfüllten Imbiss jobbte, sondern auch mit Extradiensten während der Assistenzarztzeit und unermüdlichem Lernen für die Facharztprüfung.

Alles nur, um wirklich etwas bewegen, etwas verändern zu können.

Um Frauen und ihre Kinder vor schlechten Ärzten und unverantwortlichen Methoden zu schützen. Das hatte er sich damals, noch ein Kind, mit gebrochenem Herzen geschworen.

Endlich war er am Ziel. Ab heute leitete er als Chefarzt eine Geburtsklinik, die nach Großstadtmaßstäben nicht besonders groß war, jedoch einen brillanten Ruf genoss. Marcus wusste genau, wie er sie führen wollte. Seine Mütter und ihre Babys würden die sichersten in Australien sein.

In diesem Moment ertönte aus dem Garten unter ihm eine wundervolle Frauenstimme. Sie sang eine sanfte irische Melodie, bei der ihm unwillkürlich ein Schauer über den Rücken rieselte. Die Stimme war unvergleichlich rein und verführerisch zugleich. Er hob den Kopf, schlang sich ein Handtuch um und lehnte sich aus dem Fenster.

Sofort zuckte er zurück, als er sah, wem diese betörende Stimme gehörte.

Matilda McPherson, nur mit Bikinioberteil und einem Handtuch um die Hüften bekleidet. Ihr langes rotes Haar kräuselte sich feucht, und sie erinnerte ihn an eine der sagenhaften Sirenen, die gerade dem Meer entstiegen war.

Plötzlich kam sie ihm wie eine lästige Stechmücke vor, die ständig in seinem Kopf herumschwirrte und der er am liebsten einen Klaps versetzt hätte. Genau wie ihrem süßen Po.

He, wo kam das denn her? Hitze schoss ihm in die Lenden, und er wich noch weiter vom Fenster zurück.

In den letzten Jahren hatte er hart gearbeitet, da war höchstens Zeit für ein flüchtiges Abenteuer gewesen. Was er jetzt verspürte, war nur natürlich, und vielleicht sollte er dem endlich wieder einmal nachgeben.

Aber nicht in der nächsten Nachbarschaft.

Außerdem war sie zu jung für ihn. Allerdings musste er sich eingestehen, dass er sich seit Langem nicht mehr so jung gefühlt hatte.

Zwei Stunden später beobachtete Marcus seinen Oberarzt und die Stationsschwester, während er ihnen in seinem neuen Büro seine Vorstellungen erläuterte. Und es fühlte sich gut an.

Sein Tag hatte mit einem Rundgang durch die Klinik begonnen. Zuerst waren sie oben in der Gynäkologie gewesen, danach auf der Etage, wo die nachgeburtliche Betreuung stattfand, und zum Schluss im Erdgeschoss mit der Frühchen-Abteilung, der Entbindungsstation und den OPs.

Gina, die diensthabende Hebamme, hatte ihn stolz auf die neuen großen Wasserbecken für die Gebärenden aufmerksam gemacht, in denen die Geburt schmerzfreier verlaufen sollte, aber sicher war ihr nicht entgangen, dass er nicht gerade in Jubelschreie ausgebrochen war.

„Sorgsame Beobachtung bei gleichzeitiger strikter Dokumentation, ärztliche Begleitung der Geburt so intensiv wie möglich, obwohl mir klar ist, dass Geburten zeitlich nicht wirklich planbar sind“, erklärte er. „Aber ich lege großen Wert auf eine durchgängige Überwachung des Fetus von dem Zeitpunkt an, zu dem die werdende Mutter bei uns eingeliefert wird – bis klar ist, dass keine Komplikationen zu erwarten sind. Und ich erwarte eine gründliche Risikoeinschätzung jeder Schwangeren.“

Alle nickten. Gina schien allerdings nicht sonderlich beeindruckt. Und wenn schon, dachte er. Die Entscheidungen treffe ich. „Noch irgendwelche Fragen?“

„Dies ist kein Lehrkrankenhaus für Hebammen“, meldete sich Gina zu Wort. „Meine Kolleginnen sind alle hoch qualifiziert und sehr aufmerksam, medizinisch auf dem Laufenden und bereits sehr gründlich in jeder Hinsicht.“

„Das glaube ich gern.“ Dennoch … „Doch nicht alle Hebammen verfügen über die gleiche Erfahrung.“

Gina war noch nicht fertig. „Meiner Kenntnis nach belegen fundierte Studien, dass eine maschinelle fetale Überwachung die Risiken für die Schwangere unnötig erhöht.“

Das hörte er nicht zum ersten Mal. „Ich bin froh, dass Sie es ansprechen.“ Er wusste, was alles schiefgehen konnte. „Ich habe die Studien gelesen, aber sie überzeugen mich nicht. Ich stelle Ihnen einige zur Verfügung, die zu abweichenden Ergebnissen kommen.“

Als Tilly am Nachmittag zum Schichtwechsel die Station betrat, war es dort ungewöhnlich still. Und überall sah sie düstere Gesichter, bei den Studenten, den Hebammen und auch bei ihrer Freundin Zoe, die auf dem Weg in den wohlverdienten Feierabend war.

„Was ist denn mit euch los?“, erkundigte sie sich irritiert.

„Unsere Träume sind geplatzt“, erwiderte Zoe bedrückt. „Unser neuer Chef ist da, und wir sind gar nicht glücklich mit ihm. In fünf Minuten ist Stationsbesprechung.“

Tilly runzelte die Stirn. Sie hatten sich so auf den neuen Chefarzt gefreut und gehofft, dass ein neuer Besen die überkommenen Methoden zur Tür hinauskehren würde. Damit Schluss war mit der übertriebenen Beobachtung der Mütter und Babys und mit dem frühen Eingreifen in das Geburtsgeschehen. Frauen waren von Natur aus dazu geschaffen, Kinder zu bekommen. Aber das schien man in der Arztausbildung komplett vergessen zu haben!

Der bisherige Chefarzt gehörte noch zur alten Schule, verständlich, dass er bei den bisher praktizierten Methoden bleiben wollte. Aber dass sie mit einem jüngeren Arzt vom Regen in die Traufe kommen würden, damit hatte niemand gerechnet.

Sie folgte Zoe in den Besprechungsraum. „Er ist also nicht jung und modern?“

Zoe verzog das Gesicht. „Jung schon, und er sieht blendend aus. Aber Humor musst du bei ihm mit der Lupe suchen – wer weiß, ob du überhaupt welchen findest.“

Das erinnerte sie unangenehm an jemanden, den sie vor Kurzem kennengelernt hatte. Rasch vertrieb sie den Gedanken wieder. Jetzt ging es um ihre Arbeit.

Gina unterrichtete sie über die neuen Vorgaben. „Vorerst volle elektronische Überwachung der Babys, sobald die Mütter aufgenommen wurden. Unsere Warmwasserbecken für eine schmerzfreiere Geburt gefallen ihm gar nicht. Er wird sie aber tolerieren, solange dort keine Kinder geboren werden, bis es eine neue Einschätzung gibt.“

Autor

Fiona Mc Arthur
<p>Fiona MacArthur ist Hebamme und Lehrerin. Sie ist Mutter von fünf Söhnen und ist mit ihrem persönlichen Helden, einem pensionierten Rettungssanitäter, verheiratet. Die australische Schriftstellerin schreibt medizinische Liebesromane, meistens über Geburt und Geburtshilfe.</p>
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