Historical Exklusiv Band 101

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TURNIER DER LEIDENSCHAFT von CATHERINE ARCHER
Leidenschaftlich gibt sich die junge Meredyth ihrem Gemahl Roland of Kirkland hin. Doch sie muss fürchten, dass es ihre einzige Nacht mit dem stolzen Burgherrn bleiben wird. Wenn der Ritter entdeckt, wer sie wirklich ist, wird er sie bestimmt in die Verbannung schicken …
VERZEHRENDE SEHNSUCHT von MARGARET MOORE
Lichterloh brennt Lady Rebeccas Herz, seit Sir Blaidd Morgan auf Throckton Castle weilt! Und als er sie eines Nachts voller Verlangen in die Arme reißt, wähnt sie sich am Ziel ihrer Träume. Aber seine Liebe erklärt Blaidd ihr nicht. Spielt er nur mit Rebeccas Gefühlen?


  • Erscheinungstag 28.02.2023
  • Bandnummer 101
  • ISBN / Artikelnummer 9783751517645
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Catherine Archer, Margaret Moore

HISTORICAL EXKLUSIV BAND 101

1. KAPITEL

Roland St. Sebastian, Baron of Kirkland, lehnte sich in seinem Kirchenstuhl in der Kapelle von Penacre nach vorn. Die farbenprächtigen Muster, die durch die großen bunten Glasfenster hinter dem Altar auf den peinlich sauberen Steinboden fielen, fanden nicht sein Gefallen. Vielmehr war Roland dadurch beunruhigt, dass die Zeit immer weiter voranschritt. Er zwang sich, jedes Anzeichen seines wachsenden Ärgers zu verbergen, als er das Kinn auf die gefalteten Hände stützte. Indes, er konnte den Ausdruck von Ungeduld und Missfallen nicht aus seinen zusammengekniffenen blauen Augen verbannen, während er zu den beiden anderen Personen im Raum sah.

Wo war seine Braut?

Einer der beiden war der Vater der Braut, Hugh Chalmers, Baron of Penacre, ein großer schlanker Mann mit zahlreichen grauen Strähnen in seinen dunkelblonden Haaren. Er stand stumm und zurückgezogen vor dem Altar, der mit kostbarem rotem Samt drapiert war und auf dem zwei reich verzierte goldene Kerzenleuchter standen. Neben ihm stand der ebenfalls prächtig gekleidete Priester, dem man ansah, wie unbehaglich er sich fühlte.

Als der Priester sich zu ihm wandte und ihm etwas zuraunte, gab Hugh wortkarg Antwort. Sein hagerer Körper blieb nahezu unbeweglich in der langen blauen Tunika mit einer Umrandung aus feinem dunkelblauem Damast. Roland sah, wie sein Blick rasch zu der geöffneten Tür am Ende des Raumes schweifte.

Immer noch blieb der Eingang leer.

Offensichtlich wartete auch Penacre mit Ungeduld auf das Eintreffen seiner Tochter. Roland wusste, der Baron hatte sich dieser Verbindung widersetzt. Doch das Warten machte keinen Sinn.

King John selbst hatte verfügt, dass diese Hochzeit stattfand. Der König hatte entschieden, dass die Kämpfe zwischen den Häusern von Penacre und Kirkland lange genug gedauert hatten, nachdem eine der kleineren Burgen Rolands zerstört worden war und damit auch viele Vorräte. Vorräte waren in diesen Zeiten nach den Kriegen im Heiligen Land knapp und daher von großer Wichtigkeit.

Rolands Gesicht verzerrte sich, und er fuhr sich mit der Hand durch sein schwarzes Haar. Er wollte nicht an den Krieg im Heiligen Land erinnert werden, genauso wenig wie er sich verheiraten wollte. Dieser Krieg hatte seinen älteren Bruder Geoffrey, der nach dem Tod des Vaters Titel und Ländereien erben sollte, das Leben gekostet. Roland fühlte sich noch immer nicht wohl als Erbe seines Vaters, wenngleich er schon vor dessen Tod im Jahre des Herrn 1200, ein Jahr nachdem König Richard sein Ende bei Châlus-Chabrol fand, das Land verwaltet hatte. Wenn nicht eine Reihe von tragischen Umständen eingetreten wäre, trüge er bloß den Titel des jüngsten Sohnes.

Indes wollte er seine Gedanken auf die bevorstehende Vermählung mit Celeste Chalmers richten. Obwohl die Tochter seines Feindes nicht die Braut war, die er selbst erwählt hätte, war sie unvergleichlich schön. Er hatte sie zwar nur ein einziges Mal im Audienzsaal des Königs gesehen, als John verkündete, dass eine Hochzeit die beste Lösung sei, um die Auseinandersetzungen zu beenden, doch Roland fand, dass sie als Gemahlin geeignet war.

Celeste Chalmers war nur Mittel zum Zweck. Er wollte Frieden und Wohlstand auf seinem Land. Ihr reiches Wittum sollte großzügig seine Bemühungen unterstützen, um den Besitz wieder in den gewinnbringenden Zustand zu versetzen, den die Ländereien hatten, bevor sein Vater sich der Hölle der Trunksucht hingegeben hatte. Darüber hinaus sollte diese Ehe sein Leben nicht wesentlich verändern. Die Aufgabe des Weibes war es, dem Gatten das Bett zu wärmen und legitime Erben zu gebären. Sie sollte seine Tafel mit ihrer Schönheit zieren und seine Bedürfnisse befriedigen, wenn er es wünschte.

Roland wollte nicht den Fehler machen, sein Vertrauen blind in die Hände einer Frau zu legen, wie es sein Vater getan hatte. Das war sein Untergang gewesen.

Liebe war für ihn bedeutungslos. Sie hatte seinen Vater in die Knie gezwungen, als seine Gemahlin ihn verließ, und erneut, als eine Frau zwischen ihn und seinen ältesten Sohn trat.

Roland schüttelte den Kopf und richtete sich auf. Er wollte jetzt nicht daran denken. Wieder blickte er mit Ungeduld zu der offenen Kapellentüre.

Wo war das Mädchen, und was dachte es sich dabei, ihn so lange warten zu lassen? Sie sollte nicht denken, dass ihre Schönheit sie davor bewahrte, Rolands Befehlen zu gehorchen, war sie erst einmal sein Weib. Er warf Penacre einen abschätzenden Blick zu und sah die wachsende Enttäuschung des alten Mannes, der die Lippen zusammenkniff. Er hatte den Mann besser eingeschätzt, als dass er einem Mädchen so ein Verhalten erlaubte. Waren sie erst einmal am nächsten Morgen auf dem Weg nach Kirkland, sollte sie schon lernen, wo ihr Platz war.

Erst einige Stunden zuvor war er auf der Burg Penacres angekommen mit nicht mehr als vier seiner am engsten vertrauten Rittern als Gefolge. Roland hatte völlig zu Recht vermutet, als er dachte, dass man ihn nicht mit Falschheit empfangen würde. Er hatte indes auch gewusst, dass man ihm genauso wenig einen herzlichen Empfang bereiten würde.

Penacre hatte ihn begrüßt und in den großen Saal geführt. Nach kurzer Zeit wurde Roland aufgefordert, seine Männer zurückzulassen und in die Kapelle zu kommen, wo seine zukünftige Braut auf ihn warten sollte.

Penacre hatte freimütig eingestanden, als sie zu der Kapelle am anderen Ende der Burg schritten, seine Tochter habe verlangt, dass niemand außer dem Bräutigam, ihrem Vater und dem Priester an der Zeremonie teilnehmen sollten. Roland hatte es seltsam gefunden, das Mädchen so zu verhätscheln, indes, er wollte Penacre nicht sagen, was er in seinem eigenen Haushalt zu tun hätte.

Zwei Stunden waren vergangen, und Roland hatte begonnen, darüber nachzudenken, ob sein Schwiegervater ein närrischer Weichling war. Es überraschte ihn, dass dies derselbe Mann war, der noch vor Kurzem mit ungeheurer Entschlossenheit gegen ihn gekämpft hatte. Die beiden Familien hatten lange miteinander in Fehde gelegen. Oftmals hatten sie bei politischen Konflikten auf entgegengesetzten Seiten gestanden, in den vergangenen Jahren jedoch schien es, als würden die heftigen Attacken Penacres nahezu persönlich. Nur zwei Monate nach dem Tod von Rolands Vater hatte sich heimlich ein Mann in das Kastell der Kirklands geschlichen und das Lieblingspferd seines Vaters gestohlen. Dass Penacres Leute die Tat ausgeführt hatten, wurde erst offenbar, als der Dieb auf der Flucht seinen Mantel abwarf und so das Banner Penacres, die Farben Gelb und Grün, enthüllte. Roland sagte sich, dass es das Pferd des kürzlich dahingeschiedenen Vaters war, sei bloßer Zufall, doch der Vorfall selbst machte ihn wütend.

Der Gedanke daran erzürnte ihn nun erneut in so hohem Maße, dass er nicht länger still sitzen konnte. „Ich werde des Wartens müde. Wo ist Eure Tochter?“ Eine volle Stunde war vergangen, seit Penacre zum letzten Mal jemanden von der Dienerschaft, die draußen im Korridor wartete, sandte, um herauszufinden, wann seine Tochter erscheinen würde.

Hugh Chalmers, der, wie es schien, nach Rolands energischem Ausbruch am Ende seiner Geduld angekommen war, wandte sich ab und schritt den Gang entlang. Diesmal befahl er barsch: „Geh und sieh, was, um alles in der Welt, meine Tochter aufhält.“

Meredyth Chalmers sah den Bediensteten Max mit Bedauern an. „Sag Vater, ich will alles versuchen.“ Sie wandte sich wieder der verschlossenen Tür des Zimmers ihrer Schwester zu. Nichts und niemand, nicht einmal die vertraute Dienerin ihrer Schwester, Agnes, konnte in den vergangenen Stunden etwas sagen oder tun, um Celeste aus ihrem Zimmer zu locken. Die Tür blieb verschlossen.

Meredyth holte tief Luft. „Celeste, bitte, Ihr müsst mich einlassen. Ich werde mein Möglichstes tun, um zu verstehen, was Euch ängstigt.“ Meredyth dachte, ihre Schwester sei von dem Schrecken befallen, einen Fremden ehelichen zu müssen. Vielleicht könnte ihre Furcht sich lösen, wenn sie darüber sprächen.

Zu ihrer höchsten Überraschung und Erleichterung hörte sie, wie der Riegel mit einem leichten Knirschen zurückgeschoben wurde. Für einen langen Augenblick stand Meredyth da, unsicher, was sie ihrer Schwester sagen sollte. Meredyth atmete nochmals tief durch und bemühte sich, Ruhe und Geduld auszustrahlen, als sie die Tür öffnete.

Ihr besorgter Blick fand Celeste nahe am Fenster sitzend. Sie trug ihr elfenbeinfarbenes Hochzeitskleid. Die goldene Stickerei, die die langen Ärmel und den weiten Rock zierte, glitzerte in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Sie fielen auch auf den goldenen Schleier, der Celestes blondes Haar bedeckte, das offen bis zu ihren Hüften herabhing. Ihr Gesicht, jeder Zug darin in vollkommener Harmonie, wurde von dem glänzenden Licht umrahmt. Obwohl Meredyth ihr ganzes bisheriges Leben zusammen mit ihrer Schwester verbracht hatte, fand sie sie auch nun wieder atemberaubend schön. Celeste war wie die Engel, die sie auf den bunt bemalten Zeichnungen der Bibel gesehen hatte, aus der ihnen der Priester das Lesen beigebracht hatte.

Ihre Lieblichkeit passte ausgezeichnet in das kostbar eingerichtete Zimmer mit seinen dicken orientalischen Teppichen und farbenprächtigen Wandbehängen. Das große, dunkel gebeizte Bett mit den schweren saphirblauen Vorhängen zeigte die golddurchwirkte Darstellung eines Greifs, dem Wappentier Penacres, und schien ein passender Platz für solch ein vollkommenes Geschöpf wie Celeste zu sein, um Ruhe zu finden.

Die Worte, die Celeste sprach, ohne den nachdenklichen Blick von ihren schlanken weißen Händen zu heben, verbannten jedoch jeden anderen Gedanken aus Meredyth’ Sinn. „Ich kann Kirkland nicht heiraten. Ich liebe einen anderen.“

Meredyth Chalmers starrte mit beginnendem Entsetzen auf ihre Schwester. „Ihr liebt einen anderen? Celeste, wem seid Ihr in Liebe verfallen?“ Ein plötzlicher, schier unmöglicher Gedanke tauchte in ihr auf. „Es ist doch nicht des Earls Sohn, Orin? Er ist fast noch ein Knabe.“

Celeste blickte sie an. Ihre unschuldigen blauen Augen öffneten sich vor Überraschung. „Nein, wie könnt Ihr nur an so etwas denken? Wie Ihr sagt, er ist noch ein Knabe.“

Meredyth fühlte sich erleichtert, doch nur in geringem Maß. Sie versuchte gelassen zu klingen. „Das beruhigt mich. Seine Verehrung für Euch ist für jemanden, der Augen im Kopf hat, kein Geheimnis, und er ist immer in Begleitung von Sir Giles.“ Wenigstens war Celeste nicht so närrisch gewesen, die verwirrten Gefühle des jungen Mannes zu erwidern. In ihrer Erregung fuhr Meredyth fort: „Diese beiden gehören zusammen, auf eine Art, die ich nicht erklären kann. Beide sind mir unangenehm.“

Ihren Worten folgte ein bedrückendes Schweigen.

Meredyth sah auf und bemerkte in ihrem erregten Zustand, dass ihre Schwester sehr viel stiller schien, seit sie den Namen Sir Giles erwähnt hatte – zu still. „Sagt nicht, es ist …“

Celeste hob den Blick und sah in das Antlitz ihrer Schwester. „Ja. Ich liebe Sir Giles.“ Für einen Augenblick klang sie erleichtert, die Worte laut ausgesprochen zu haben, bevor sich wieder Trauer über sie senkte. „Ich dachte … hoffte, er würde etwas zu Vater sagen … etwas unternehmen, um die Hochzeit mit St. Sebastian zu verhindern, ehe es zu spät ist. Dass er sich vielleicht anders besonnen hätte …“

Meredyth runzelte die Stirne. „Sich anders besonnen hätte?“

Celeste schreckte hoch, und für einen kurzen Moment glaubte Meredyth, Angst in ihren blauen Augen gesehen zu haben. Indes, dieser Eindruck war rasch vergessen, als Celeste heftig ihren Kopf schüttelte. „Es treibt mich nahezu zum Wahnsinn, und ich weiß nicht mehr, was ich sage. Als Ihr gerade eintratet, flehte ich sogar, dass es die Nachricht sei, er … doch … Was soll ich tun?“ Sie ließ den Kopf sinken und begann zu weinen. Heftiges Schluchzen schüttelte ihren schlanken Körper.

Meredyth fuhr nervös über den mit Gold durchwirkten Mittelteil ihres Kleides. Die Berührung ihres eigenen, neuen Gewandes erinnerte sie daran, dass ein Bräutigam Celeste erwartete. „Celeste, sie warten in der Kapelle. Zum zweiten Mal hat Vater einen Boten gesandt, um herauszufinden, warum es so lange dauert. Euer Widerstand gegen diese Ehe war offensichtlich, indes hatte ich so etwas nicht erwartet.“

Das Schluchzen wurde nur noch lauter. In den Wochen, seit der Vater und die Schwester vom Hofe zurückgekehrt waren, war Celeste besonders schweigsam. Sie war schon immer still gewesen, und sie hatte selbstverständlich nichts gesagt, was darauf schließen ließe, dass sie nicht bereit war, diese Ehe einzugehen. Sie hatte einfach zugesehen, immer schön und in Gedanken entrückt, als man ihr das Hochzeitskleid anpasste und Kisten mit Leinen und anderem Hausrat füllte. In Wahrheit hatte sie die Auswahl dieser Gegenstände ihrer jüngeren Schwester überlassen, war Meredyth doch gewohnt, sich um den Haushalt auf Penacre zu sorgen. Obwohl sie um ein Jahr älter war, hatte Celeste niemals Interesse daran gezeigt, die Burg zu führen.

Und man erwartete nicht, dass sie dies täte. Ihre Anmut und zarte Lieblichkeit, der silberhelle Klang ihrer Stimme schienen dem Vater mehr zu gefallen, als Meredyth jemals erreichen konnte, auch wenn sie für seine Bequemlichkeit und sein Wohlbefinden sorgte. Auch Meredyth hätte gerne für sich das Licht der Verehrung in den Augen des Vaters gesehen.

Nicht, dass sie es der Schwester neidete. Sie liebte Celeste. Es wäre schwer, es nicht zu tun. Celeste strahlte eine sanfte Liebenswürdigkeit aus, die Menschen zu ihr hinzog und sie völlig von ihrer überragenden Schönheit einnahm. Sie war zerbrechlich und bedurfte mehr Aufmerksamkeit als andere, Meredyth selbst mit eingeschlossen.

Meredyth hatte Sir Giles niemals ganz vertraut, seit er vor etwa drei Jahren nach Penacre gekommen war, und nun dachte sie daran, ob er wohl aus der romantischen Veranlagung ihrer Schwester Nutzen gezogen hatte. Rasch sagte sich Meredyth, dass er gewiss nicht so weit gegangen wäre, doch ihre Unsicherheit ließ sich nicht zerstreuen. In den großen blauen Augen des Ritters brannte ein Feuer, in dem sie sich entschieden unbehaglich fühlte. Sanft sagte sie: „Celeste, Sir Giles, er hat doch nicht … Euch gezwungen?“

Celeste blickte sie entsetzt an, ihre blauen Augen spiegelten ihre Sorgen und Gefühle wider, die Meredyth indes nicht als Schuld lesen wollte. „Das hat er nicht.“

Meredyth hörte die Qual in der Stimme der Schwester, die Art und Weise ihrer Zusicherung jedoch brachte nur wenig Erleichterung. Widerstrebend zwang sie sich, weiter zu fragen, obwohl es sie schmerzte, wenn sie in Gedanken die zarte Celeste mit diesem harten, urwüchsigen Mann sah. „Erwidert er Eure Zuneigung?“

Celeste wirkte betroffen. „Das tut er nicht. Ich hatte gedacht, meine Liebe wäre stark genug für uns beide, jetzt …“

Meredyth schloss ihre Lider. Sie konnte die unendliche Trostlosigkeit im Blick ihrer Schwester nicht ertragen. Wenn Liebe jemanden dazu brachte, sich so zu verhalten, wollte sie besser niemals lieben. Für sie schien das ohnehin nicht sehr wahrscheinlich. Ihre Stellung als Kastellanin in des Vaters Haushalt war ihr sicher für alle Zeit.

Sie schob ihre eigenen, unbedeutenden Sorgen beiseite, um an die Schwester zu denken. „Wie könnt Ihr einen Mann lieben, der Eure Liebe nicht erwidert?“

Celeste hob ihre schlanken Hände an ihre Brust. „Ich weiß nur, dass ich es tue. Seht Ihr denn nicht, dass ich keine Möglichkeit habe, jemals wieder mit Sir Giles beisammenzusein, wenn ich diesen Mann, diesen Roland St. Sebastian, heirate? Und ich weiß, dass wir das könnten, Meredyth. Giles wird mich lieben, wenn man ihm genug Zeit lässt. Er wird einsehen, dass es für uns keinen anderen Weg gibt, dass wir zusammengehören, dass nichts anderes vorstellbar ist.“

Meredyth stand da, hilflos und verwirrt, und schüttelte den Kopf. Celestes Wahl der Worte hingegen schien seltsam. Schon gar nicht wollte sich Meredyth von den gegenwärtigen Sorgen ablenken lassen. „Ihr seid St. Sebastian versprochen.“

Celeste sprang auf und lehnte sich gegen das offene Süll. Wilder Schmerz und Entschlossenheit standen in ihrem Gesicht zu lesen. „Ich stürze mich hinab aus dieser Höhe, Meredyth. Ich werde es tun.“

Meredyth schlug das Herz dumpf vor Angst, und sie flüsterte: „Das könnt Ihr nicht tun, Celeste.“

Die ältere Schwester hob ihr Kinn und zeigte eine Entschlossenheit, die Meredyth überraschte. „Ich kann ihn nicht heiraten.“

„Wir … es muss uns etwas einfallen“, meinte Meredyth nachdenklich.

Sie war erleichtert, als Celeste sich vom geöffneten Fenster abwandte. Offensichtlich war ihre Verzweiflung geringer, da sie merkte, ihre Schwester begann sie ernst zu nehmen. Meredyth hörte nicht auf, den Kopf zu schütteln, als sie laut rief: „Doch was? Was würde geschehen, wenn Ihr dem Befehl des Königs nicht gehorchtet?“

„Es ist ohne Bedeutung, Meredyth. Ich weiß nur, dass ich Giles liebe. Ihr werdet das nicht verstehen, weil Ihr noch nie etwas für jemanden empfunden habt. Ich beobachte ihn den ganzen Tag. Ich sehne mich nach ihm in der Dunkelheit der Nacht.“

Meredyth errötete. Dieses Gespräch war weit entfernt von ihrer Erfahrung, dennoch konnte sie die Qualen ihrer Schwester nicht unbeachtet lassen. „Ihr habt recht, wenn Ihr sagt, dass ich niemals so gefühlt habe. Indes, ich empfinde Verständnis für Euren Kummer. Gäbe es irgendeinen Weg, Euch zu helfen, Celeste, ich würde ihn gehen. Ach, was kann ich bloß tun?“

Celeste sah sie an. Etwas von ihrem Schmerz schien verschwunden zu sein, als sie mit Zuversicht sprach: „St. Sebastian empfindet nichts für mich. Er heiratet mich lediglich auf Befehl des Königs, um die Streitigkeiten zwischen unseren Familien zu beenden.“ Für einen Augenblick hielt sie inne. Sie biss sich auf die volle Unterlippe, während sie ihre Schwester nachdenklich betrachtete.

Als Celeste flehentlich weitersprach, durchfuhr Meredyth ein Gefühl des Unbehagens. „Vielleicht könnt Ihr doch etwas tun, Meredyth. Ihr sagtet selbst, dass Ihr für niemanden etwas empfindet. Ich verstehe nicht, warum gerade ich diesen Mann ehelichen soll. Was verlangt wurde, ist eine Versöhnung zwischen unseren Häusern. Die Braut ist dabei Nebensache. Ich bin sicher, King John hat mich ausgewählt, weil ich die ältere von uns beiden bin. Es ist üblicherweise Brauch, dass die älteste Tochter zuerst vermählt wird, doch es ist kein Gesetz.“

Meredyth legte die Hände an die Brust, als sie überrascht und bestürzt nach Luft rang. „Ihr möchtet, dass ich ihn an Eurer Stelle heirate? Das kann ich doch nicht tun! Dieser Mann würde es niemals zulassen, dass ich Euren Platz einnehme. Welchen Grund sollte Vater ihm nennen? Dass Ihr einen anderen liebt, wird dabei bestimmt nicht ins Gewicht fallen. Er ist Vaters Feind – und somit unser Feind. Er und seine Männer haben unser Land schwer verwüstet.“

Celeste zögerte nur für einen kurzen Augenblick, bevor ihr Ausdruck sich erhellte. „Deshalb werden wir es dem Baron of Kirkland auch nicht sagen, bis es zu spät ist. Und wir können Vater nichts erzählen, weil er dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden soll.“

Meredyth schüttelte verwirrt den Kopf. „Es nicht sagen? Was meint Ihr?“ Sie machte eine Geste, um auf ihr eigenes Körpermaß hinzuweisen. „Ihr werdet doch nicht glauben, dass man mich mit Euch verwechseln könnte, Celeste. Selbst wenn es nicht unsere unterschiedliche Größe wäre, seht Euch Euer Haar an und dann meines.“ Meredyth griff über ihre Schulter und zog ihr eigenes, schweres, geflochtenes rotes Haar nach vorn. „Es gibt keine Hoffnung, damit Erfolg zu haben.“

Celeste trat näher zu ihr, ihre Augen blickten flehentlich. „Wir können es tun. Wir müssen es tun, Meredyth. Ich … ich bin keine Jungfrau mehr, und St. Sebastian würde mich eher töten als mir vergeben, wenn er das herausfände. Ihr habt selbst gesagt, er sei unser Feind. Denkt Ihr, er würde mich mit Freundlichkeit behandeln?“

Meredyth rang nach Luft. „Ihr sagtet doch …“

„Ich sagte, er hat mich nicht gezwungen.“ Ihre Wangen färbten sich dunkelrot.

Das änderte alles. Meredyth wusste, dass Celeste die Wahrheit sprach. St. Sebastian würde sie bestimmt töten, wenn er herausfand, dass sie nicht mehr unberührt war. „Ich kann nicht dabeisitzen und zusehen, dass Ihr solch ein Ende findet, indes …, das …“ Sie legte die Hände an ihre Wangen und versuchte, einen klaren Kopf zu behalten, obgleich ihre Gedanken von dem soeben Gehörten und der Sorge um ihre Schwester umwölkt waren.

Celestes Ton wurde schmeichelnder. „Meredyth, ich habe diesen Mann gesehen. Selbst wenn er ein Feind unserer Familie ist, muss ich eingestehen, dass er gut aussieht. St. Sebastian ist groß, kräftig und überaus stattlich. Ich habe gehört, wie andere Mädchen bei Hofe voll Sehnsucht von ihm sprachen. Liebte ich nicht einen anderen …“ Sie wich Meredyth’ Blick aus.

Meredyth konnte sie bloß überrascht anstarren. „Ob dieser Mann gut aussieht oder nicht, sorgt mich im Augenblick am wenigsten.“

Die Schwester errötete, doch dann bettelte sie nachdrücklich: „Bitte, Ihr seid meine einzige Hoffnung.“

Als Meredyth keine Einwände erhob, sondern ihren gequälten Blick der Schwester zuwandte, begann diese, ihr Hochzeitskleid auszuziehen. Nun sprach sie, als hätte sie alles bereits durchdacht. „Ich habe einen Schleier, der Euch bedeckt vom Kopf bis zur Taille. Und Ihr werdet meine neue Cotehardie tragen, und …“

„Man wird es herausfinden. Wir haben nicht die gleiche Größe. Es sind mindestens vier Zoll Unterschied zwischen uns.“ Als sie diese Worte ausgesprochen hatte, kam Meredyth die Bemerkung ihrer Schwester über Kirkland in den Sinn – „groß, stark und überaus stattlich“. Dachte Celeste wirklich, sie mit dieser Beschreibung zu ermutigen? Und dass ihn andere Frauen begehrenswert fanden, war für sie ohne Bedeutung.

Celeste schien nichts von ihrer Reaktion bemerkt zu haben und hörte nicht auf, ihre Kleidung abzulegen, als sie sich kurz dem Fenster zuwandte. „Es ist schon fast dunkel geworden. Im Licht der Kerzen wird niemand Eure Identität erraten, wenn Ihr mein Kleid tragt. Männer bemerken solche Dinge nicht. Es liegt nicht in ihrer Natur. Ihr wisst, ich habe verlangt, dass niemand, außer dem Priester, St. Sebastian und Vater, an der Zeremonie teilnehmen soll. Vater ist zu ärgerlich über diese Eheschließung, als dass er darauf achten wird. Und der Baron hat mich nur einmal gesehen, inmitten eines überfüllten Audienzsaales.“

Meredyth glaubte ihr nicht. Jeder Mann, der Celeste auch nur einmal erblickt hatte, würde sich ihrer erinnern. Doch über diese Erkenntnis setzte sie sich hinweg, da sie sich bewusst wurde, dass ihr Vater in der Tat über Celestes Verehelichung mit diesem Mann bestürzt war und wahrscheinlich nicht darauf achten würde, was vor sich ginge.

Gerade als diese Gedanken Meredyth beschäftigten, legte Celeste das letzte ihrer Überkleider ab und ließ es zu Boden gleiten. Sie machte einen Schritt vorwärts und legte ihre Hände um die Schultern von Meredyth, die eine burgunderfarbene Cotehardie trug. „Ich werde Euch beim Ankleiden helfen. Das ist Euer Hochzeitstag.“

Ihre Kehle war vor Angst wie zugeschnürt und ausgetrocknet. Mit zitternden Beinen ging Meredyth den Weg zur Kapelle. Jeder, dem sie auf ihrem Weg begegnete, schien sichtlich erleichtert, zu wissen, dass sie endlich kam. Niemand, nicht einmal dem Vater selbst, schien aufzufallen, dass es Meredyth war und nicht Celeste, die die Kirche betrat. Er eilte ihr entgegen und geleitete sie den Gang entlang zum Altar. Sie atmete tief durch, und nur der Gedanke daran, dass sie vielleicht wirklich das Leben ihrer Schwester rettete, gab ihr die Kraft, nicht davonzulaufen.

Ihr Herz schlug wild, als sie den Gang entlangschritt, der schattenhaften Figur entgegen, dem Mann, den sie nie zuvor gesehen hatte. Dieser Mann sollte ihr Gemahl werden.

Meredyth stolperte beinahe über den Saum des elfenbeinfarbenen, mit Gold durchwirkten Rockes. Sie waren gezwungen gewesen, den Rock mit einem goldenen Gürtel zu raffen. Trotzdem war er noch immer zu lang. Ihr knielanges Haar hatten sie fest zusammengebunden und mit elfenbeinfarbenem Stoff umhüllt, um die Farbe zu verbergen. Das sorgsam hochgesteckte Haar hatte ebenfalls dazu beigetragen, dass sie größer wirkte. Und zuletzt war es der schwere Schleier aus goldenem Zindeltaft, der sie vom Kopf bis zur Taille vollständig bedeckte.

Sie blickte weder nach rechts noch nach links und richtete ihre Gedanken bloß darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Als sie vor dem Altar stehen blieb, war Meredyth so erregt, dass sie nicht einmal den Mann ansehen konnte, der neben ihr stand. Er machte den Eindruck von Größe, ungeheurer Kraft und gewaltiger Unruhe auf sie.

Der Priester seufzte erleichtert auf und zog damit ihren Blick auf sich. „Ich werde die Kerzen entzünden.“

Meredyth tat rasch einen Atemzug und bat: „Tut das bitte nicht.“ Sie war beinahe froh, dass ihre Kehle so eng war und ihre Stimme durch die Angst heiser klang, sodass sie von niemandem erkannt wurde. „Ich …“

Ihre Worte schienen bei dem Mann neben ihr noch größeren Unmut hervorzurufen. Er unterbrach sie mit einer ungeduldigen Geste. „Kümmert Euch nicht um die Kerzen, Pfaffe. Lasst uns das so schnell wie möglich hinter uns bringen.“

Wenn es auch eine Erleichterung für sie war, dass sie mit seinen Wünschen übereinstimmte, war Meredyth weit davon entfernt, so zu fühlen.

Ihre Angst, entdeckt zu werden, hielt sie davon ab, ihre Gedanken auf etwas anderes zu richten als auf den Geistlichen, der das Ehegelöbnis sprach. Der tiefe Klang seiner Stimme schien durch einen dichten Nebelschleier zu ihr zu dringen wie auch die Stimme des Mannes an ihrer Seite. Indes war sie nicht völlig taub, um nicht die Ungeduld in seinem Ton zu bemerken.

Das Pochen ihres Herzens übertönte ihre geflüsterten Antworten. Es schien so schrecklich laut, dass sie mehr als einmal fürchtete, der Mann neben ihr könnte es gleichfalls hören.

Erst als der Pfarrer verstummte, wurde Meredyth sich bewusst, was geschehen war. Nicht ihre Schwester, sie war mit diesem Mann nun in Ehe verbunden.

St. Sebastian nahm besitzergreifend ihre Hand und legte sie in seine warme Hand. Ein heißer, überraschender Schauer und ein anderes, völlig unerwartetes Gefühl, das sie nicht genau beschreiben konnte, durchfuhren sie und ließen ihr Herz noch heftiger schlagen.

Meredyth versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. Als die Zeremonie vollendet war, sprach er zu ihr mit seiner tiefen, heiseren Stimme und einem seltsam sinnlichen Ton. „Ist es mir nun gestattet, einen Blick auf meine schöne Braut zu werfen?“

Eine schreckliche Befürchtung überfiel Meredyth, und sie flüsterte: „Nein, Mylord, bitte. Ich bitte Euch zu verstehen, dass ich mich vor Euch befangen fühle … dieser Ehe gegenüber.“

Er beugte sich über sie, so nahe, dass sie sogar durch den schweren Zindeltaft ihres Schleiers seinen warmen Atem an ihrem Ohr fühlen konnte, und sprach: „Ihr müsst mich nicht fürchten, meine kleine Braut.“

Abermals erschauerte Meredyth, doch diesmal war die Ursache nicht bloß Angst. Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, und antwortete mit einem verzweifelten Flüstern: „Nichtsdestotrotz, es ängstigt mich.“ Er würde niemals erfahren, welche Überwindung dieses Bekenntnis sie kostete. Noch nie in ihrem Leben hatte sich Meredyth so vor irgendjemandem oder irgendetwas gefürchtet. Selbst wenn es jemals so gewesen wäre, hätte sie es nicht zugegeben. Sie hatte ihr Leben damit zugebracht, sich damit abzufinden, dass sie niemals so verehrt werden würde wie ihre Schwester. Meredyth hatte schon lange Zeit zuvor gelernt, ihre Gefühle zu verbergen.

Sie konnte ihm nicht gestatten, sie bereits jetzt zu entlarven. Was würde er tun, dieser wilde Krieger, wenn in aller Öffentlichkeit die Tatsache bekannt wurde, dass er die falsche Braut geehelicht hatte?

Sie und Celeste mussten ohne Verstand gewesen sein, zu glauben, dass sie mit diesem Possenspiel durchkommen könnten. Sie fühlte, ihre einzige Hoffnung, die Situation richtigzustellen, war, St. Sebastian zu erklären, dass sie beide einen dummen Fehler gemacht hatten, bevor sonst jemand die Wahrheit entdeckte. Das bedeutete, sie musste alles daransetzen, um ihr wahres Ich zu verbergen, bis sie mit ihm allein war. Doch Meredyth wusste, das konnte nicht eher sein als bis zur heutigen Nacht, wenn die Hochzeitsnacht-Zeremonie vorbei war.

Verzweifelt flüsterte sie: „Darf ich Euch um eine Gnade bitten, mein Gemahl?“

Sein Atem bewegte ihren Schleier, als er mit zurückhaltender Stimme antwortete: „Und was soll das sein, edles Fräulein?“

Ihre Stimme wurde sanfter trotz aller Kühnheit, als sie sich bewusst wurde, dass dies ihre einzige Hoffnung war. „Ich bitte Euch, auf die Hochzeitsnacht-Zeremonie zu verzichten. Ich denke … dass ich das nicht kann … nachdem jeder mich angestarrt hat …“

Es trat eine lange Stille ein. Dann hörte sie ihres Vaters Stimme, in der ein Bedauern unüberhörbar war. „Celeste, meine Tochter. Ich verstehe Eure Zurückhaltung, doch Ihr habt kein Recht, das von Eurem Gemahl zu verlangen …“

St. Sebastian unterbrach ihn abrupt. „Schweigt, Penacre. Dieses Weib ist nun meine Angelegenheit. Mich dünkt, ich werde dieser seltsamen Bitte nachkommen. Ich habe Celeste gesehen und glaube, dass ich keinen Makel an ihr finden werde. Ich möchte nicht, dass sie zu aufgeregt ist, um … gut …“ Meredyth wusste, er zuckte die Schultern, obwohl sie den Blick noch immer gesenkt hielt. „Die Hochzeitsnacht soll eine besondere Nacht sein.“

Ihr Atem stockte bei seinen Worten. Lieber Himmel, dachte sie und kämpfte gegen die aufkommende Verzweiflung und eine seltsame Erregung an, die sie nicht verstehen konnte. St. Sebastian machte kein Hehl aus seinem Verlangen. Und aus welchem Grund auch immer, seine Worte ließen eine lange im Vergessen ruhende Gemütsbewegung in ihr erwachen. Meredyth hatte sich selbst kaum erlaubt, an eine „Hochzeitsnacht“ zu denken und daran, was dabei geschehen sollte, nicht einmal in ihren geheimsten Träumen.

Ohne ein weiteres Wort wandte sich Meredyth um und eilte davon. Es war ihr gleichgültig, was er oder ihr Vater denken mochten. Sie wusste nur, sie musste weg, weg von seiner starken Ausstrahlung, weg von seiner rauen, sinnlichen Stimme und den Worten, die er gesprochen hatte, weg von den Gefühlen, die er in ihr wachrief.

Doch als sie nicht ihrem eigenen Zimmer, sondern dem ihrer Schwester entgegeneilte, sagte sich Meredyth, dass sie sich wie ein kleines Kind verhalten hatte. Sie konnte mit diesem Mann nicht das Bett teilen. So weit durfte es nicht kommen.

Sie rieb ihre feuchten Handflächen an dem Rock des geliehenen Gewandes. Als sie auf dem Weg zu Celestes Zimmer war, wurde sich Meredyth bewusst, dass sie Kirkland in Wahrheit überhaupt nichts sagen mussten. Celeste brauchte bloß den Platz einzunehmen, der für sie vorgesehen war. Meredyth hatte diesen Mann nur im Namen ihrer Schwester geheiratet. Niemand musste etwas davon erfahren.

Und was Celestes Jungfräulichkeit betraf … gut …, so musste ihr etwas einfallen, um ihren Ehemann zu täuschen, damit er dachte, sie wäre noch unberührt. Meredyth hatte gehört, dass so etwas möglich sei.

Als sie die Tür zum Zimmer ihrer Schwester erreicht hatte, stieß sie diese mit Erleichterung auf, in dem Bewusstsein, dass bald alles wieder in Ordnung sein würde.

Ein prickelndes Unbehagen ließ Meredyth’ Blick suchend umherschweifen, um den Mantel ihrer Schwester zu finden, der üblicherweise auf der Kleidertruhe lag. Er war nicht da. Sie biss sich auf die Lippe und wandte sich um, um den Rest des Zimmers abzusuchen. Dabei entdeckte sie ein Stück Pergament, das auf dem Tisch neben dem Bett lag. Mit zitternden Fingern ergriff Meredyth die Nachricht und las die Worte, die mit kindlicher Hand von ihrer Schwester hingekritzelt waren:

Ich kehre am Morgen zurück, sobald alles vorbei ist. Ich habe niemandem etwas erzählt, nicht einmal Agnes, und auch Ihr dürft es nicht tun. Meinen Dank und meine Liebe. Celeste.

Erregt zerknüllte Meredyth das Pergament in ihrer Faust. Sie war nun alleine, um St. Sebastian entgegenzutreten.

Was sollte sie ihm sagen? „Vergebt mir, Mylord, meine Schwester ist einem anderen Mann in Liebe verfallen, und ich habe ihren Platz eingenommen.“

Es war höchst unwahrscheinlich, dass ein Mann sich mit einem Ersatz zufriedengab. Celeste war eine wahre Schönheit, bekannt für ihre Anmut und liebliche Stimme. Meredyth war bloß sie selbst, klein, rothaarig, mit Sommersprossen auf der Nase. Sie war in keiner Weise einer Frau wie Celeste ebenbürtig. Obwohl sie sich bewusst war, dass auch sie Anmut besaß, würde kein Mann sie in der Gegenwart ihrer Schwester auch nur bemerken.

Gerade als sie dieser Gedanke durchfuhr, wurde die Tür geöffnet, und Agnes trat ein. Sie trug ein beladenes Tablett und blieb zögernd auf der Schwelle stehen. In ihren grauen Augen lag ein Ausdruck von Besorgnis, als sie eintrat. „Ich bringe Euch Essen und Wein, Mylady.“

Meredyth fühlte, wie ihr Herz bis zum Halse schlug, während sie das zerknüllte Pergamentstück fest gegen ihren Busen drückte. Ihre Stimme war ein heiseres Flüstern. „Ich brauche nichts.“

Voll Sorge runzelte die Dienerin die Stirn. „Aber Ihr müsst etwas zu Euch nehmen, Ihr habt den ganzen langen Tag nichts gegessen.“ Agnes wandte sich dem Tisch zu, um das Tablett daraufzustellen. Sie drehte sich um und zeigte auf das Nachtgewand, das am Fußende des Bettes lag. „Ich werde Euch beim Auskleiden helfen, Mylady.“

„Nein“, rief Meredyth und trat einige Schritte zurück.

Die Frau sah sie erstaunt an. „Was ist mit Eurer Stimme, Mylady? Ihr klingt … so seltsam.“

Voll Entsetzen wandte Meredyth ihr den Rücken zu und sprach mit tiefem, rauem Ton: „Es ist nichts seltsam, nur das Naheliegende. Ich habe soeben den Feind meines Vaters geehelicht. Lass mich allein. Ich wünsche jetzt niemanden zu sehen. Ich brauche keine Hilfe.“

„Doch …“ Agnes trat vor, ihre Hand hilfsbereit ausgestreckt.

Meredyth ließ die Dienerin verharren, als sie ihr das Gesicht zuwandte, und schüttelte entschlossen ihr verschleiertes Haupt. „Nein. Ich bitte dich, mir wenigstens ein kleines Maß an Würde zu lassen. Ich kümmere mich um mich selbst.“

Agnes gehorchte zögernd. Ihr Blick war noch immer mit Besorgnis erfüllt. Mit eingesunkenen Schultern wandte sie sich zur Tür. Meredyth hegte Mitgefühl für die andere, da sie wusste, wie sehr die treue Dienerin sich um ihre Schwester sorgte. Indes, sie konnte nicht nachgeben.

Agnes öffnete die Tür und hielt kurz inne. „Ich bleibe in der Nähe, Mylady, für den Fall, dass Ihr meiner bedürft.“

Meredyth nickte, ohne etwas zu sagen. Sie seufzte voll tiefer Erleichterung, als sich die Tür hinter ihr schloss. Ihre Kehle war aus Angst vor der Entdeckung wie ausgedörrt. Sie wandte sich dem Tisch zu, goss Wein in einen Becher und leerte ihn rasch. Den ganzen Tag über war sie zu beschäftigt gewesen, um mehr als einen Becher Wasser zu trinken, und der Wein wirkte nun lindernd auf ihre verengte Kehle.

Beinahe hätte man sie entdeckt. Sie trank noch einen weiteren Becher. Diesmal langsam, Schluck für Schluck, um, wie sie sich selbst sagte, noch klar denken zu können.

Meredyth war sich bewusst, dass sie vorgeben musste, ihre Schwester zu sein, bis sie Gelegenheit hatte, mit Kirkland zu sprechen. Es war die einzige Hoffnung, um sicherzugehen, dass er als Erster die Wahrheit erfuhr.

Meredyth straffte entschlossen ihre Schultern, als sie einen weiteren Schluck des Trankes zu sich nahm. Eines nach dem anderen, sagte sie sich, als ein Gefühl der Entspannung ihre verkrampften Muskeln löste. Sie konnte keine weitere Begegnung mit Agnes wagen. Ihr Blick fiel auf das neue, hauchdünne Nachtgewand, das auf dem Bett bereitlag. Sie wollte sich umkleiden und ins Bett legen, um St. Sebastian zu erwarten. Sollte Agnes nochmals erscheinen, würde sie sehen, dass sie bereits zu Bett gegangen war, und wieder gehen. Das abgelegte Hochzeitsgewand sollte Zeugnis davon geben, dass sie keiner Hilfe bedurfte.

Die Idee schien ihr sehr klug, wie sie sich selbst einredete. Rasch begann Meredyth, sich zu entkleiden.

2. KAPITEL

Roland wandte sich der Dienstmagd zu, die geschäftig mit dem Weinkrug hin und her eilte und sich mühte, die Becher nicht leer werden zu lassen. Er nahm ihr den gefüllten Krug aus den Händen und stellte ihn vor sich auf die Tafel. Erschrocken wich sie zurück. Penacre sagte kein Wort, doch Roland spürte den missbilligenden Blick seines Schwiegervaters.

Er beachtete ihn nicht weiter, als er seinen Becher von Neuem füllte. Roland hob den Kelch und warf einen flüchtigen Blick auf die Gäste in dem großen Saal. Seine Gedanken waren mehr auf die Frage gerichtet, warum er zugestimmt hatte, auf die üblichen Zeremonien vor der Hochzeitsnacht zu verzichten. Der Grund dafür war gewiss, dass das Mädchen so verschreckt schien und nicht nur launisch. Ihre zarte Hand war wie Eis, ihre Worte waren ein ängstliches, heiseres Flüstern gewesen.

Er wollte sich nicht diese seltsame Woge des Mitgefühls eingestehen, das er empfand, als er diese zarten Finger in den seinen hielt. Unter keinen Umständen wollte er zulassen, dass dieses Weib von ihm Besitz ergriff. Roland sagte sich, dass er bloß eingewilligt hatte, weil er das Mädchen in dieser Nacht nicht zu Tode erschrecken wollte.

Seine plötzliche Sorge um sie wuchs aus seinem eigenen, ungestillten Verlangen. Es war schon einige Wochen her, seit er zuletzt das Bett mit Einid auf Kirkland geteilt hatte. Länger als er gewohnt war. Er empfand keine Verpflichtung seiner ehemaligen Geliebten gegenüber. Beide waren sich bewusst, dass ihre Beziehung nur ihrer gegenseitigen Annehmlichkeit diente. Er erfreute sich an ihrer Schönheit und an ihrem Körper – sie genoss seinen Schutz und die Freuden ihrer Begierde.

Der Gedanke an die körperliche Vereinigung mit Celeste Chalmers erregte ihn. Diese Nacht sollte ihnen beiden Vergnügen bereiten. Sein Instinkt als Liebhaber sagte ihm, dass er sie mit Gefühl dazu bringen konnte, seine Zärtlichkeiten zu erwidern. Auch das hatte er in ihrer angstvollen Erregung gespürt.

Raues Gelächter lenkte seine Aufmerksamkeit wieder zurück in den Rittersaal. Die auf Schragen errichteten Tische ächzten förmlich unter dem Gewicht der Braten, der Brote, Stews und anderer Leckerbissen. Doch Roland sah, dass man bisher dem Essen weniger zugesprochen hatte als dem Wein. Die vielen Pokale, Becher und Krüge, die auf den Tischen standen, wurden immer wieder aufs Neue gefüllt. Im ganzen Saal war kein Mann mehr völlig nüchtern, er selbst eingeschlossen. Der Wein hatte jedoch die schwermütige Stimmung noch verstärkt, statt sie zu erleichtern.

Er blickte zum Vater seiner Braut. Der Mann schien an der lärmenden Festlichkeit noch weniger Gefallen zu finden als seine Leute. Sein Gefolgsmann, Sir Giles, machte denselben Eindruck. Man hatte Sir Giles Roland als den Ritter vorgestellt, der Penacre am engsten vertraut sei, und so hatte er auch jetzt an seiner Seite Platz genommen.

Etwas an diesem Manne stieß Roland ab, obwohl er nicht sagen konnte, was ihn dazu veranlasste. Der Ritter war ein großer, schlanker Mann, nicht muskulös, doch kraftvoll. Seine Haut war dunkel, und ein dichter schwarzer Bart zierte die hohlen Wangen.

Gerade als Roland sich abwenden wollte, hob Sir Giles seinen Kopf, und die Blicke der beiden trafen sich. Der tiefe Hass und die Feindseligkeit, die Roland darin sah, überraschten ihn. Es war ein Blick von solcher Bösartigkeit, dass seine Hand unwillkürlich den Griff seines Schwertes suchte. Doch sofort zog er seine Finger hastig zurück. Der Ritter hatte nichts getan, außer ihn anzublicken. In dieser Nacht, seiner Hochzeitsnacht, wollte er die Feindseligkeit dieses Mannes nicht beachten.

Er hatte indes nicht erwartet, hier Freunde zu finden.

Ein anderes Gesicht zog seine Blicke auf sich, das des jungen Orin, Sohn des Earl of Hampstead. In der Tat gab es hier keine Freunde. Die helle Narbe, die die Wange des Knaben verunzierte, war selbst aus der Entfernung unübersehbar. Sein ablehnendes Verhalten überraschte Roland nicht, noch ließ es ihn völlig unberührt.

Sein Vater war einst des Knaben Ziehvater gewesen. Roland war die Aufgabe zuteilgeworden, ihn in den Ritterpflichten zu unterweisen. Doch Orin hatte die Belehrungen nicht angenommen. Roland hatte sein Bestes getan, den Knaben den richtigen Umgang mit dem Schwert zu lehren, er hatte ihn immer und immer wieder ermahnt, seinen Kopf nicht hinter dem Schwertarm zu ducken, wenn er angriff. Es war Orins eigener Fehler gewesen, dass Rolands Schwert an dem seinen abglitt und die Klinge tief in die Wange des Burschen drang.

Verärgert hatte Orins Vater den Sohn nach Hause geholt. Das alles geschah, als King Richard noch am Leben und Rolands Familie dafür bekannt gewesen war, in der Gunst des Königs zu stehen. Roland hatte sich schon immer über die Loyalität des Earl of Hampstead zu Richard gewundert, da Gerüchte gingen, Hampstead hätte heimlich John dabei unterstützt, Richard von seiner Rückkehr nach England abzuhalten. Sein Vater hatte sich geweigert, solchen Spekulationen Gehör zu schenken, und Rolands Verdächtigungen ärgerlich zurückgewiesen, und noch mehr nach dem Unfall, bei dem Orin missgestaltet wurde. Bis zum heutigen Tag hatte Roland nicht gewusst, dass Orin nun im Hause seines Feindes unterrichtet wurde, der ein unerschütterlicher Gefolgsmann des vor Kurzem gekrönten King John war.

Roland berichtigte sich selbst: ehemaliger Feind. Das Dekret des Königs, in dem er diese Heirat verfügte, hatte die Fehde zwischen ihren Familien beendet.

Seit dem Tod seines Vaters im vorangegangenen Jahr war Roland vollauf damit beschäftigt gewesen, den mannigfaltigen Besitz, der ihm mit dem Titel des Baron of Kirkland zugefallen war, zu verwalten. Doch ebenso wenig wie Albert St. Sebastian hatte Roland je vergessen, dass eigentlich sein Bruder Geoffrey der rechtmäßige Erbe war. Es minderte nicht den Schmerz über den Verlust, dass der eigene Vater den Sohn in die Verbannung getrieben hatte …

Roland schob diese Gedanken beiseite und erhob sich. Eine liebliche, wenn auch ein wenig schweigsame Braut wartete auf ihn.

Die lärmende Gesellschaft verstummte. Aller Blicke richteten sich aufmerksam auf ihn. „Ich begebe mich zur Ruhe“, sagte er und versuchte, ungezwungen zu wirken, soweit es unter den gegebenen Umständen möglich war.

Ein aufmunternder Schrei erscholl aus den Kehlen seiner Männer. Brian, sein Knappe und der Jüngste in der Runde, rief: „Wir werden hier bald die Schreie der Lust vernehmen. Kein Weib kann Euch widerstehen, Lord Sebastian.“

Roland straffte seine Schultern und warf ihm ein nachsichtiges Lächeln zu. Da der Bursche vom Wein berauscht war, lag nichts Hinterlistiges in seinen Worten.

Der Baron, Sir Giles und das übrige Gefolge waren auffallend still. Sir Giles hatte den stechenden Blick seiner blauen Augen auf seine behandschuhten Fäuste gerichtet, und Penacre hob seinen Becher, um ihn erneut zu leeren.

Nachdem Meredyth einen zweiten Becher des kühlen Weins getrunken hatte, um sich Mut zu machen, legte sie sich zurück in die weichen Kissen des großen Bettes aus dunkel gebeiztem Holz. Sie hatte die Bettvorhänge rundum zugezogen, sodass keiner, der den Raum betrat, sie gleich sehen konnte. Sie traute der Dienerin nicht, dass sie sich entfernt hielt. Zuviel Besorgnis lag in der Stimme der älteren Frau, als diese mehrfach nach dem Wohlbefinden ihres Schützlings gefragt hatte.

Meredyth indes mochte es nicht, allein im Dunkeln zu liegen. Als die Zeit verrann, schien es, als würde sie nach und nach immer ängstlicher und verwirrter. Sie wusste nicht, was sie Lord Kirkland sagen sollte. Sie hätte den Wein nicht trinken sollen, er hatte ihr nur für kurze Zeit Wohlbehagen bereitet. Nun fühlte sie, wie sehr er ihr in den Kopf gestiegen war.

Was sollte sie zu St. Sebastian sagen, wenn er in dieses Zimmer kam und Celeste erwartete? Sie konnte lediglich beten, dass die Worte von selbst kamen und dass er nicht zu wütend wurde, ehe sie ihm alles erklären konnte.

Das Feuer ging aus, doch Meredyth hatte weder die Kraft noch den Mut, sich zu erheben, um es neu zu schüren. Ihr ganzes Tun war darauf gerichtet, wieder klar zu denken und die richtigen Worte zu finden. Roland St. Sebastian musste verstehen, dass ihre Tat nicht gegen ihn gerichtet war, sondern dass sie bloß ihrer Schwester helfen wollte.

Meredyth versuchte sich vorzustellen, was er sagen könnte und wie sie ihm antworten wollte. Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf herum, verloren den Zusammenhang, und nichts blieb als verwirrte Gefühle.

Zu ihrer größten Überraschung fühlte Meredyth, wie Tränen in ihre Augen traten. Sie gehörte nicht zu denen, die oft weinten. Sie glaubte nicht an die Ehrenhaftigkeit von Tränen. Doch die Ereignisse des Tages forderten ihren Tribut, und sie begann zu weinen. Meredyth konnte nicht aufhören, als sie einmal damit begonnen hatte. Sie wälzte sich herum, um die schmerzhafte Einsamkeit in ihrer Brust zu betäuben, und vergrub ihr Gesicht in dem Kissen. Wie hatte das alles geschehen können? Wie hatte Celeste sie überreden können, dieses wahnwitzige Spiel mitzuspielen?

Weil es eben Celeste war.

Ihr ganzes Leben war Meredyth darauf bedacht gewesen, dass ihre Schwester größerer Aufmerksamkeit bedurfte, obwohl sie um ein Jahr älter war. Als Meredyth sechs und Celeste sieben Jahre alt gewesen waren, hatten sie zusammen auf einer Lichtung nahe der Burg gespielt. Celeste pflückte Blumen und wanderte immer tiefer in den Wald hinein. Immer wieder ermahnte Meredyth ihre Schwester, da Agnes gesagt hatte, sie müssten in Sichtweite der Mauern bleiben. Doch Celeste hatte sie ausgelacht und aufgefordert, mit ihr zu kommen. Meredyth war auf der Lichtung geblieben, und als Agnes kam, um sie abzuholen, war sie zu Tode erschrocken, als sie merkte, dass ihr älterer Schützling verschwunden war. Stundenlang hatte man nach Celeste gesucht. Sie war im dichten Wald gestolpert, hatte sich den Knöchel verletzt und konnte nicht zurückgehen.

Meredyth würde niemals den überraschenden Ärger ihres Vaters vergessen, der sich gegen sie gerichtet hatte. Er hatte gesagt, dass sie, Meredyth, es nicht hätte erlauben dürfen, dass Celeste alleine davonlief, und dass sie künftig nie wieder ihre Schwester sich selbst überlassen dürfe. Ob Meredyth nicht wisse, dass ihre Schwester eine zarte, fantasievolle Natur sei und man deshalb besonders auf sie achten müsse?

Es gab keine Worte des Trostes für Meredyth, die sich um die Schwester geängstigt hatte. Keine Worte des Lobes, dass sie die Anordnung von Agnes befolgt hatte. Von diesem Tag an hatte Meredyth begriffen, dass sie, um sich die Liebe des Vaters erhalten zu können, ihre Schwester beschützen musste, da ihm Celeste das Liebste auf der Welt war.

Es war eine harte Lektion gewesen, doch sie hatte sie ohne Tränen ertragen, bis jetzt.

Wie lange sie geweint hatte, wusste Meredyth nicht; sie spürte nur körperliche Erschöpfung, als das Schluchzen nachließ. Sie lag da und fühlte sich leer. Ihre Augen waren von den Tränen geschwollen und gerötet. Sie schloss die Lider, um zu ruhen, wollte ihren Mut wiedergewinnen und sich vorbereiten …

Roland folgte der Richtung, die ihm eine Dienerin gewiesen hatte. Das war die eigentümlichste Eheschließung, von der er jemals gehört hatte, und nun erwartete man vom Bräutigam, dass er sich seiner Braut selbst darbrachte, ohne die gewohnten Vorbereitungen und Zeremonien.

Je näher Roland seinem Ziel kam, das bedeutungsvoll am obersten Ende der Turmtreppe lag, desto weniger störte ihn das alles. Er dachte nur an das schöne Weib, das seiner harrte. Er wusste, sie war verängstigt und unerfahren, das hatte ihre furchtsame Art ihm gegenüber gezeigt. Nochmals erinnerte er sich an das Erschauern ihres Körpers, als er ihre Hand berührt hatte. Sein Gefühl sagte ihm gewiss nichts Falsches, wenn er davon ausging, dass seine Braut Leidenschaft besaß.

Er war kein selbstsüchtiger Liebhaber und hatte sogar Freude daran, der Frau, mit der er das Bett teilte, Befriedigung zu verschaffen. Er hatte bemerkt, dass auf diese Weise eine Frau anschmiegsamer wurde und begierig darauf bedacht war, ihm Freude zu schenken, nicht nur im Bett, sondern auch auf andere Art.

So sagte er sich, dass es weise sei, die Beziehung mit seiner Frau so zu beginnen.

Roland hatte das Ende der Treppe erreicht und öffnete die Tür. Die Dunkelheit, die lediglich von einigen glühenden Kohlen im Kamin vor dem Bett schwach erhellt wurde, überraschte ihn. Leise trat Roland ein, sein kriegerischer Scharfsinn war auf Gefahr vorbereitet. Er befand sich immerhin im Haus des Geschlechtes Chalmers, Feinde seiner Familie seit Generationen. Er blieb stehen, um seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Schon bald merkte er, dass keine Gefahr lauerte. Keine bedrohlichen Schatten, keine ungewöhnlichen Geräusche. Es fehlte der dumpfe Druck, der die Gefahr stets begleitete.

Seine Spannung ließ nach. Begierig sah sich Roland im Zimmer um, doch konnte er seine Braut nicht entdecken.

Schon dachte er, das Zimmer sei leer, als er leises Atmen vernahm. Er wandte sich der Richtung zu, aus der das Geräusch kam, trat an das Bett und war überrascht. Denn er hatte gedacht, ihre Angst sei zu groß, um ihn hier zu erwarten. Doch es erfreute ihn. Vielleicht war das Mädchen doch nicht so verängstigt, wie er vermutet hatte.

Roland trat in den Schatten des großen Bettes. Rasch entledigte er sich seiner Kleidung. Dann zog er die schweren Vorhänge beiseite und legte sich in das Bett.

Suchend streckte er seine Hand aus und berührte die zarte Wölbung einer Hüfte. Seine Braut. Er spürte ein Ziehen in den Lenden, als er an ihre Schönheit dachte. Obwohl sich sein Verlangen regte, wusste er, dass er langsam vorgehen musste, um ihr höchste Lust zu bereiten, die der seinen nicht nachstehen sollte. Doch nicht Worte, nur sein Körper sollte sprechen. Dass sie sich beide fremd waren, konnte nicht in wenigen Augenblicken geändert werden. In dieser Nacht wollte er einen Bund der Lust schließen, in dem sie beide nahmen und gaben. Diesem Bund traute Roland mehr als allen Verträgen.

Er fühlte ihre Gestalt, mehr denn er sie sah. Roland richtete sich auf und beugte sich über sie. Ihr Atem war süß und warm auf seinem Gesicht, und seine Erregung wuchs. Langsam näherte er sich mit den Lippen dem Mund seiner Braut.

Sie zuckte leicht zusammen und rückte von ihm ab. Seinen Mund sanft auf den ihren gepresst, durchlief ihn ein Gefühl der Befriedigung, als ihre kleine Hand sanft die dunklen Haare auf seiner Brust streichelte. Er hörte nicht auf, sie zu küssen. Voll Verlangen biss und sog er an ihren Lippen, und bald zog sie seinen Kopf an sich. Roland empfand steigende Erregung und wachsende Leidenschaft, da er sich bewusst wurde, dass er seine Frau wohl richtig eingeschätzt hatte. Sein Mund glitt über ihre zarten Wangen, über die sanfte Linie ihres Halses.

Meredyth hatte geträumt, sie liege in einem riesigen, weichen Bett. So weich, dass sie das Gefühl hatte, auf einem friedlichen Meer aus weißem Linnen und Licht zu schwimmen. Nichts konnte sie hier, wo sie sicher und geborgen war, beunruhigen.

Langsam wurde sie sich bewusst, dass es Lippen waren, die sie berührten, und es schien zuerst, als würden auch diese zu dem Traum gehören. Sie waren fest und dennoch sanft. Das Gefühl von Wärme und Licht schien durch sie verstärkt zu werden.

Dann glitt sie immer mehr in dämmriges Erwachen und empfand ein anderes seltsames Gefühl, ein Kribbeln in ihrem Bauch, das gleichfalls von den kühnen, fordernden Lippen zu kommen schien. Ihre Hände handelten wie von selbst, als sie unwillkürlich nach der Quelle dieses süßen erregenden Druckes suchten.

Sie berührte die glatte, nackte Haut, die die harten Muskeln überspannte. Meredyth stöhnte auf, ihr Puls raste, sobald die Lippen sich von den ihren lösten, um heiße, sanfte Küsse auf ihr Gesicht und ihren Nacken zu verteilen. Meredyth hatte zuvor schon von solchen Dingen geträumt, war mit Schuldgefühlen aufgewacht über ihre Reaktion und hatte sich unsagbar traurig gefühlt, weil es nur ein Traum gewesen war. Noch nie waren ihre Träume, geküsst und berührt zu werden und zu berühren, so weit gegangen. Sie fand nicht die Kraft, sich dem zu entziehen. Zu sehr war sie verloren in ihrer Reaktion. Warum dieses Gespenst auch immer in ihren Schlummer gedrungen war, es hatte die schmerzhafte Einsamkeit, die sie zuvor gefühlt hatte, vertrieben.

Das Herz schlug dumpf in ihrer Brust, als die heiße Erregung auch ihren Schoß ergriff. Niemals zuvor hatte Meredyth so gefühlt … so sehr … Ihre Hüften bogen sich, als verstünde ihr Körper weit mehr davon als sie selbst. Eine fremde Kraft schien sie zu zwingen, die Quelle der Freuden an sich zu pressen.

Roland fühlte, wie durch die Berührung und Nähe der Frau seine Erregung wuchs. Diese Frau hatte eine eigene Ausstrahlung, einen zarten, weiblichen Duft, eine samtweiche Haut. Er hatte nicht gedacht, dass sie so rasch und heftig reagieren würde.

Er richtete sich auf. Unsicher, aber behutsam schob er ihre schlanken Beine auseinander. Er schluckte schwer, als seine Finger ihren feuchten Schoß fanden, und eine unbekannte Leidenschaft, wie er sie nie zuvor erfahren hatte, ergriff von ihm Besitz. „Ihr seid so schön, Celeste“, flüsterte er und wusste, er konnte nicht länger warten.

Meredyth spürte die Hände auf ihrem Körper und hörte den Namen ihrer Schwester. Entsetzen durchfuhr sie. Lieber Himmel, das war kein Traum. Niemand anderer als Roland St. Sebastian war es, dessen glatte Haut sie unter ihren begierigen Fingern spürte, dessen Mund sie bestürmte und sie zu leidenschaftlicher Erwiderung brachte. Doch durch den Nebel ihres erwachenden Begehrens wusste sie, dass nicht rechtens war, was hier geschah. Dieser Mann war nicht für sie bestimmt.

Sie zuckte zusammen und wollte sich von ihm zurückziehen. Ihre Stimme erklang in heiserem Flüstern: „Mylord, ich bin nicht …“ Sein Mund fand den ihren und ließ sie verstummen. Er wollte nicht streiten oder rechten. Er wollte diesen Augenblick genießen und war über sich selbst überrascht, sich nicht besser beherrschen zu können. Doch er konnte nicht warten. Ihre offensichtliche Erwiderung machte ihm das unmöglich.

Ohne seine Lippen von den ihren zu lösen, drang er zwischen ihre samtenen Schenkel und fand ihren heißen Schoß. Nur ein kurzes Zögern, und ihre Jungfräulichkeit war gebrochen. Sie rang nach Luft, wie auch er, als er ihren Mund freigab.

Krampfhaft umschloss sie ihn. Roland lag still und erlaubte ihr, sich an ihn zu gewöhnen, während er in der samtenen Wärme ihres Schoßes ruhte. Er war nicht in der Lage gewesen, sich lange genug zurückzuhalten, um ihr zuerst Freude zu bereiten, wie er es gewünscht hatte, doch bereitete er ihr keine Schmerzen.

Als Meredyth fühlte, wie Roland in die geheimen Tiefen ihres Körpers eindrang, wurde sie sich bewusst, dass es nun zu spät war. Es gab kein Zurück mehr. Roland St. Sebastian hatte sie zu seinem Weib gemacht, obwohl sie versucht hatte, ihm die Wahrheit zu sagen, dass sie nicht Celeste war. Jetzt, da er auf ihr lag, spürte Meredyth einen unerwarteten Schmerz des Verlangens. Ihr Atem ging rascher, und dieser süße Schmerz wuchs ins Unermessliche.

Erst als Roland die leichte, unruhige Bewegung ihrer schlanken Gestalt unter sich fühlte, begann er, sich in ihr zu bewegen. Nun gab er sich voll der Leidenschaft hin, die zu Lust und unaussprechlicher Freude wurde. Als er tiefer in sie eindrang, bog Meredyth sich ihm verlangend entgegen. Sie wusste, dass er sich nun in geistiger Entrücktheit befand und dass sie es gewesen war, die ihn dorthin gebracht hatte. Es war seltsam, dass dieser kraftvolle, dominierende Mann die Grenzen seiner Gefühle durchbrochen hatte, für sie – für Meredyth.

Doch das Wichtigste war ihr das Wissen, das ihrer beider Tun in ihr schlummernde Kräfte geweckt hatte. Nun, da sie ihn in sich spürte, spürte sie auch, wie sehr sie beide den Gesetzen der Natur folgten. Selbst sein heißer Atem an ihrem Ohr war seltsam erregend.

Sie hatte ihre Hände auf seine starken Schultern gelegt. Meredyth konnte sich nicht Einhalt gebieten und ließ eine Hand auf seine Brust gleiten und weiter über die gespannten Muskeln seines Nackens. Ihre Finger spielten in seinem dichten Haar. Ein tiefes, sinnliches, leises Lachen war ihre Belohnung.

Roland wusste, er hatte sie nicht befriedigt, nun jedoch war er mehr als bereit, dies nachzuholen. Er zog sich zurück und rollte zur Seite, sein Mund fand den ihren, um einen Seufzer zu ersticken, der in seinen Ohren nach Enttäuschung klang. Sanft strich er von ihrer Hüfte über ihre zarte Haut, suchte wohlgefällige Rundungen und Täler. Der dünne Stoff ihres Nachtgewandes verbarg nicht ihren straffen Körper, und Roland war sehr zufrieden. Er fuhr fort, ermutigt durch den Druck ihrer Hüften gegen seine Handfläche, bis seine Finger, fest und doch sanft, ihre Brüste umschlossen.

Meredyth’ Sinne waren erneut geweckt. Wie ein Pfeil schoss die Begierde heiß zwischen ihre Schenkel. Sie bog den Kopf nach hinten, unterbrach die innige Berührung ihrer beider Lippen und rang laut nach Luft.

Ihr Atem ging schwer, als er die Lippen langsam über ihr Kinn hinunter zu ihrem Hals gleiten ließ.

Zärtlich liebkoste er mit dem Mund die Spitze ihrer Brust, und Meredyth verlor sich in einer Woge der Gefühle, die ihre Glieder erbeben ließen und ihr Herz zum Rasen brachten.

Während seine Lippen ihre Brustknospen umspielten, zog sie ihn näher zu sich heran und hielt ihn mit beiden Händen fest. Sie presste sich an ihn, als abermals süßes, heißes Verlangen ihr Innerstes durchlief. Meredyth hob sich ihm entgegen, da sein Daumen ihre Brustspitze umkreiste, ihre Beine umklammerten ihn, um ihm noch näher zu sein.

Indes, sie fand keine Erleichterung. Sie wusste, dass die Erlösung, die sie so dringend suchte, nur von diesem Ritter kommen konnte.

Seine Erregung wuchs, und sie spürte es. Roland ließ die Hand tiefer gleiten und legte sie sanft und doch fest auf den zarten Venushügel.

Seine linke Hand glitt über ihren wohlgeformten Körper, bis er den Saum ihres Nachtgewandes fasste. Leicht lehnte er sich zurück, um es ihr auszuziehen, und sie folgte seiner Bewegung. Ihre süßen Lippen berührten kosend seine nackte Haut, und die pulsierende Hitze, die sie in ihm auslöste, ließ ihn die Augen schließen.

Sein Atem ging schwer. Diesmal würde er nicht unbeherrscht handeln. Sanft hielt er sie von sich, wollte sehen, wie er ihr Freude bereitete, gleichgültig, wie viel Selbstbeherrschung es ihm abverlangen mochte.

Rasch schob er den zarten Stoff des Nachtgewandes hoch und zog es über ihren Kopf. Sogleich legte sie die Hände wieder auf seinen Körper. Roland hob sie kurz hoch und fühlte überrascht, wie sich die zarte weibliche Gestalt gegen seinen heißen Körper presste, ehe er sie zurück auf die Kissen legte.

Sie seufzte, da er erneut ihre Brüste liebkoste, und empfand ein beinahe schmerzhaftes Begehren. Unfähig, sich Einhalt zu gebieten, flüsterte sie eindringlich: „Bitte, oh, bitte, helft mir. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“

Roland wusste nun, er musste nicht länger warten. Heiser flüsterte er: „Ich tue es.“

Sanft teilte seine Hand erneut ihre Schenkel. Sie bot keinen Widerstand, nur ein erregtes Schluchzen ließ ihr Drängen erkennen. Er holte tief Luft, als er sich auf sie legte. Langsam drang er in sie ein mit zärtlicher Behutsamkeit. Doch bereits, als er ihren feuchten Schoß berührte, hob sie sich ihm entgegen und umfing ihn mit der Wärme ihres Körpers.

Er biss die Zähne fest zusammen, als er ruhig auf ihr lag, und stützte sich mit den Armen ab, während er sich zu beherrschen versuchte, mitgerissen von den Gefühlen, die sie durch ihre ungezügelte Leidenschaft in ihm erweckt hatte. Niemals hatte er solch tiefe Freuden erwartet, wie er sie bei dieser Frau fand. Als sie begann, sich unter ihm zu winden und ihre sanften Hände nach seinen Hüften griffen, gab er die Zügel der Leidenschaft frei.

Meredyth fühlte unergründliche Süße in sich aufsteigen. Ihr schien es, als wäre all ihr Bewusstsein auf den einen Punkt gerichtet, an dem ihrer beider Körper miteinander vereint waren. Ihr Kopf fiel zurück, und ihr Atem kam heftig über die Lippen. War es wirklich nur jener uralte Rhythmus, der dieses Vergnügen so heftig entfachte? Und dann, als sie glaubte, es könnte nicht noch mehr geben – da geschah es. Die Wonne zerbarst in ihr, kam über sie und erfasste sie ganz. In diesem Augenblick war sie eins, Geist, Körper und Seele, alles wurde vereint in höchster Vollkommenheit.

Als das Pulsieren nachließ, seufzte Meredyth auf. Sie war besorgt und verkrampft gewesen, und nun war sie völlig erschöpft durch äußerste Erfüllung. Sie schloss die Augen.

Langsam erwachte Meredyth aus tiefem Schlummer. Widerstrebend öffnete sie die Lider, als das Tageslicht in den Raum drang.

Starr vor Entsetzen, blickte sie in ein Paar kobaltblaue Augen, umgeben von dichten schwarzen Wimpern, die sie nachdenklich betrachteten. Sie schienen durch sie hindurchzusehen, und ihr Innerstes schien in den unergründlichen Tiefen dieser Augen gefangen zu sein.

St. Sebastian. Ihr Gemahl.

Für einen kurzen Moment war sie unfähig, sich zu bewegen. Sie erblickte ihn zum ersten Mal – sah ihn mit wundersamem Erstaunen. Er war stattlicher, als sie ihn sich nach Celestes Beschreibung vorgestellt hatte. Inmitten der Ereignisse des Vorabends hatte sie seinem Aussehen nur wenig Bedeutung beigemessen. Meredyth war zu sehr von der Leidenschaft, die sie in seinen Armen erfahren hatte, gefangen gewesen. Nun ließ sie mit wachsender Furcht ihren Blick über die makellos geformte schlanke Kinnpartie, die hohen Wangenknochen und die sinnliche Unterlippe schweifen. Er sah zu gut aus für einen sterblichen Mann, zu sehr entsprach er der Fantasie jedes jungen Mädchens, das von Märchen und Legenden träumt.

Meredyth fühlte, wie ein heftiger Schauer sie durchlief, als sie den durchdringenden Blick aus seinen blauen Augen auf sich gerichtet spürte. Ihr Blick schweifte zu seinen Lippen, und die Erinnerung, wie dieser Mund ihre Brüste liebkost hatte, durchfuhr sie wie ein Blitz.

Ihr Atem ging rascher, als eine ganze Welle von Erinnerungen über sie hereinbrach und sie schamvoll erröten ließ.

Prüfend betrachtete er sie, und der unnahbare Ausdruck ließ sie erneut erschauern. Seine tiefe Stimme schreckte sie auf, als er fragte: „Und wer seid Ihr?“

Meredyth begann sich aufzurichten, dabei streiften ihre nackten Brüste seine stahlharte Brust. Verlegen bedeckte sie ihren Busen mit den Händen. Nach Luft ringend, sagte sie verzweifelt: „Bitte erlaubt mir, mich zu erheben.“

St. Sebastian ergriff die rote Haarlocke, die auf ihrem Handrücken lag, mit der sie ihren Busen verhüllte. Seine Berührung ließ sie erbeben, und sie war dankbar, dass er ihre Reaktion nicht zu bemerken schien, da er den Kopf nachdenklich schüttelte.

Als er ihr antwortete, vernahm sie einen kühlen, unbarmherzigen Ton in seiner Stimme und musste daran denken, dass sie nicht wünschte, von diesem Mann hartherzig behandelt zu werden. „Nicht bevor Ihr mir erklärt habt, wer Ihr seid und was Ihr in meinem Brautbett macht.“ Er ließ den Blick von ihrem zerzausten Haar über ihre schlanke Gestalt gleiten, die sich unter dem Bettlaken abzeichnete. „Ihr seid nicht die liebliche Celeste Chalmers.“

Meredyth erstarrte. Seine harsche Bemerkung schmerzte, obgleich sie sich bewusst war, dass sie ihr ganzes Leben dem Vergleich mit ihrer Schwester nicht standgehalten hatte. Indes, sie wollte ihn nicht merken lassen, wie sehr er sie verletzt hatte. Stolz hob sie ihr Kinn. „Ich bin Meredyth Chalmers. Ihre Schwester.“

Seine Hand glitt unter ihre schützend gekreuzten Arme und legte sich gewandt auf ihre Brust. Meredyth’ Herz begann, wild zu pochen, als sie sich unter dem Druck seiner Hand aufrichtete trotz der Angst, die sie ihm gegenüber empfand – der Angst, ihm die Wahrheit zu sagen. Er beugte sich weiter vor, sein Atem streifte ihren Mund. „Ist es bei den Chalmers Brauch, die Schwester der Braut ins Ehebett zu schicken?“

Meredyth rang nach Luft und stieß ihn mit aller Kraft von sich. Zu ihrer Überraschung wich er sofort zurück. Sie stellte sein Verhalten nicht infrage, sondern schlüpfte unter ihm hinweg und zog die Decke mit sich, als sie sich vor das Fußende des riesigen Bettes stellte.

Verzweifelt drückte sie das Laken gegen ihren Busen und wurde sich bewusst, dass sie klar denken, die richtigen Worte finden musste, um zu erklären, was vorgefallen war. Der Ärger dieses Mannes war verständlich, da er eine Erklärung verlangte.

Meredyth blickte zu ihm. Wartend saß er mit dem Rücken gegen das geschnitzte Betthaupt gelehnt. Seine breite, bronzefarbene Brust war unbedeckt. Er hob eine Hand und fuhr durch sein tintenschwarzes Haar, wobei sich die Muskeln seiner Unterarme spannten. Bilder stürmten auf sie ein, wie seine starken Arme sie emporhoben, als wäre ihr Gewicht nichts gegen seine Kraft.

Hitze durchströmte sie, und sie wandte den Blick ab. Sie holte tief Luft und zwang sich, klar zu denken.

„Ich warte“, drängte er. „Doch wünsche ich eine Erklärung. Klärt mich auf, Meredyth Chalmers. Warum seid Ihr hier und nicht meine Braut?“

Sie zwang sich, ihn anzublicken. Würde er jemals glauben, dass sie bloß auf ihn gewartet hatte, um ihm die Wahrheit zu sagen? Bei der Beurteilung seines Ausdruckes schien es ihr zweifelhaft. „Ich bin nicht hier anstelle der Braut. Nicht, wie Ihr das meint.“ Ihr verteidigender Blick traf den seinen in der Hoffnung auf Verständnis. Nach allem, was zwischen ihnen geschehen war, könnte er … so hoffte sie jedenfalls. „Seht, ich bin Eure Braut. Ihr habt mich geheiratet, nicht meine Schwester.“

Sein Entsetzen reizte sie beinahe zum Lachen, seine blauen Augen weiteten sich vor Überraschung. Meredyth jedoch lachte nicht, als er sagte: „Was redet Ihr da? King John selbst hat meine Hochzeit mit Celeste Chalmers befohlen. Es ist allgemein bekannt, dass Euer Vater ein treuer Anhänger des Königs ist. Warum sollte er also ungehorsam sein?“

Sie straffte sich, betroffen von seiner offenen Kritik an ihrem Vater. „Mein Vater war dem König gegenüber nicht ungehorsam. Er würde dies niemals sein. John ist von King Richard selbst zu seinem rechtmäßigen Nachfolger ernannt worden.“ Sie hatte gehört, wie ihr Vater davon sprach, dass die Gerüchte, John habe nicht loyal zu seinem Bruder gestanden, falsch seien, und die Tatsache, dass King Richard ihn zu seinem Nachfolger gemacht hatte, sollte das beweisen.

Als Roland sie nun mit verschränkten Armen und hochgezogenen Augenbrauen anblickte, entschied sie, nicht weiter darauf einzugehen. „Ich muss Euch überzeugen zu verstehen, was vorgefallen ist.“ Sie wandte sich ab von dem missbilligenden Blick, den sie in seinen blauen Augen sah. „Ich habe Euch anstelle von Celeste geheiratet. Bereits letzte Nacht wollte ich Euch dies erzählen, doch es wurde spät, und ich bin eingeschlafen, und erst als …“

„Blut Gottes!“, rief er, als ihm klar ins Bewusstsein trat, was geschehen war. Er warf die Decke von sich und sprang aus dem Bett. Meredyth wandte sich rasch ab, jedoch nicht, bevor sie einen Blick auf jenen Teil seines Körpers geworfen hatte, der ihr des Nachts so viel Freude bereitet hatte.

Roland St. Sebastian schien nichts von ihrem Interesse zu bemerken, als er sich bückte, um seine Kleidung vom Fußboden aufzuraffen. Während er sich anzog, sprach er mit kalter Verachtung. „Ich werde Gerechtigkeit einfordern. Ich werde mich von Eurem Vater nicht überlisten lassen, indem ich weniger bekomme, als mir vom König selbst versprochen ist.“

Meredyth fühlte diese Worte in sich eindringen wie eine spitze Klinge. Dass er sie jetzt, nachdem sie das Bett geteilt hatten, weiterhin so brutal mit der Frau verglich, die er zu besitzen dachte, schien ihr eine Beleidigung.

Doch sie wollte nicht, dass er ihren Schmerz sah. Sie trug ihren Stolz vor sich wie ein Schild, als sie ihn anblickte. Meredyth war nicht bereit, seine Beleidigung still hinzunehmen. Wut stieg in ihr auf und überdeckte den Schmerz. „Wie könnt Ihr es wagen! Ihr … Ihr Schurke!“ Eine Hand legte sie an ihre schlanke Hüfte, die andere hielt weiter das Laken fest, um ihre Blöße zu bedecken. Er wandte sich ihr zu, um sie anzusehen. Er schien wenig beeindruckt von ihren Worten, wenn sie seinen unerbittlichen Ausdruck richtig deutete. Dennoch fuhr sie fort: „Mein Vater wusste nichts davon. Meine Schwester und ich handelten alleine.“

Gerade noch stand er mit verschränkten Armen am Kamin, im nächsten Augenblick beugte er sich über sie. Er hatte den Raum rasch durchquert, zu rasch und leichtfüßig für solch einen großen Mann. Ihre Handflächen wurden feucht, als sie in sein verärgertes Gesicht blickte, das, ungeachtet seines Zorns, immer noch erregend gut aussah. Verärgert über sich selbst, überhaupt daran zu denken, bemerkte Meredyth, dass sie nicht einmal bis an seine Schulter reichte. Würde sie noch länger auf diese Art zu ihm hinaufblicken, könnte sie bald mehr als nur ein wenig Unbehagen spüren. Indes, sie wandte ihren Blick nicht ab – sie konnte es nicht.

Meredyth tat ihr Äußerstes, um jede Regung zu verbergen, als er sie mit seinen blauen Augen hart ansah. „Erwartet Ihr von mir, das zu glauben?“

Trotzig antwortete sie: „Das tue ich, weil es die Wahrheit ist und nichts weniger.“

Seine Gesichtszüge blieben hart, und sie wusste, er erwartete nicht, dass sie ihn überzeugen konnte, selbst als er fragte: „Sagt mir dann, Meredyth Chalmers, warum habt Ihr und Eure Schwester das getan?“

Meredyth runzelte die Stirne, völlig überrascht von dieser Frage, obwohl sie darauf vorbereitet hätte sein sollen. „Ich … da ist etwas, was ich Euch nicht sagen kann.“ Sie durfte Celeste nicht verraten, indem sie ihr Geheimnis preisgab. Es brächte ihr keinen Vorteil und konnte Celeste großen Schaden bereiten.

Seine Stimme klang ruhig, zu ruhig, als er antwortete: „Und mit diesen Worten als Erklärung erwartet Ihr von mir zu glauben, dass Ihr und Eure Schwester beschlossen habt, dem Willen King Johns zu trotzen. Noch dazu ohne Wissen Eures Vaters. Und mit Sicherheit ist alles zu meinem Besten, und ich kann zufrieden sein.“

Meredyth empfand Verärgerung über seinen Spott und antwortete mit erzwungener Selbstsicherheit: „Eure Zufriedenheit oder der Mangel einer solchen ist nicht meine Angelegenheit, Mylord.“

3. KAPITEL

Ein Muskel zuckte in seiner Wange. Die Anstrengung, seinen Ärger zu unterdrücken, war für Roland nahezu schmerzhaft. Wie konnte dieses kecke Mädchen es wagen, so mit ihm zu sprechen, nach allem, was sie getan hatte? Und erwartete sie wirklich, er könnte ihrer äußerst unglaubwürdigen Versicherung, ihr Vater habe von alledem nichts gewusst, glauben?

Wenn er die verletzte Ehre, die aus ihren jadegrünen Augen sprach, richtig deutete, erwartete sie in der Tat nichts anderes.

Sein Blick glitt über ihr zerzaustes rotes Haar, hinab zu ihren zierlichen, nackten Füßen. Wie hatte er nur so töricht sein können, zu glauben, dass dies Celeste Chalmers wäre? Sie war klein und zart, während ihre Schwester groß und geschmeidig war. Sein Blick war für einen Moment gefangen, während er die wirren roten Locken, die ihr Gesicht umspielten, betrachtete. Als sie ihm den Rücken zuwandte und unruhig auf dem Boden aus Eichenholz auf und ab schritt, wobei sie immer noch das Laken fest an ihren Busen drückte, sah er, dass ihr Haar wie flammende Kaskaden bis zu ihren Kniekehlen reichte.

Unerwartet trat das Bild vor seine Augen, wie dieses Haar auf seiner Brust lag, während sie ihn mit der Inbrunst einer erfahrenen Frau küsste. Doch er erinnerte sich auch, dass sie dies nicht war. Es konnte kein Irrtum sein, dass er und nur er allein der Mann gewesen war, der ihr die Jungfräulichkeit geraubt hatte. Selbst als er sie jetzt betrachtete, waren die Spuren auf dem Laken, mit dem sie sich vor seinen Blicken schützte, als Beweis deutlich sichtbar.

Warum? Warum, wenn nicht ihr Vater versucht hatte, ihn auf irgendeine Art zu überlisten, hatten sie das getan? Wenn er nicht bald eine Erklärung bekäme, würde er seinen Ärger, der in seiner Stimme hörbar war, deutlich zeigen. „Wenn Ihr nicht auf Drängen Eures Vaters gehandelt habt, warum dann … Meredyth?“ Ihr Name klang fremd aus seinem Munde, obwohl er sich selbst, wenn auch widerstrebend, eingestand, dass ihm ihr Name gefiel.

Er schob diesen Gedanken rasch beiseite. Der Name des Weibes sollte ihn ebenso wenig beeinflussen wie die Erinnerung daran, mit welcher Begeisterung sie seine Leidenschaft erwidert hatte, zu seiner großen Überraschung und Freude. Ein hässlicher Verdacht stieg in ihm auf. Konnte es vielleicht sein, dass Hugh Penacre daran gedacht hatte, ihn um die beträchtliche Mitgift zu betrügen, die er der älteren Tochter zugestanden hatte?

Roland St. Sebastian war entschlossen, dies nicht zuzulassen. Er betrachtete die Frau, die vor ihm stand, mit zusammengekniffenen Augen und versuchte zu übersehen, dass sie mit ihren geröteten Wangen und ihrem feindseligen Blick recht ansehnlich war. Nicht wie ihre Schwester, gab er zu, jedoch auf ihre Art. Sie erinnerte ihn an ein fauchendes rotbraunes Kätzchen mit großen Augen und spitzen Krallen.

Ihr zierlicher, nackter Fuß klopfte ungeduldig auf den Boden, als sie sagte: „Ich kann Euch die Antwort auf diese Frage nicht geben. Lasst es genug sein, wenn ich Euch sage, dass es mir nicht zusteht, dieses Geheimnis zu offenbaren. Ihr müsst mir einfach glauben, dass ich die Wahrheit spreche.“

Er hob ungläubig die Hände hoch, da sie immer noch alle Anzeichen von verletzter Würde zeigte. „Ihr verlangt von mir, Euch zu glauben, Weib. Ihr, die Ihr mich unter falschen Vorgaben geheiratet habt.“

Roland wusste, dass seine Anschuldigungen lauter klangen, als er beabsichtigt hatte, doch verlor er die Geduld mit diesem frechen Feuerkopf. Und das missfiel ihm. Er war stolz darauf, ein Mann zu sein, der sich stets beherrschen konnte, wie schwierig es auch sein mochte. Er gestattete es sich nicht, etwas zu sagen oder zu tun, was ihm später leidtun könnte.

Er wollte nicht dieselben Fehler machen wie sein Vater.

Doch bei dieser Frau hatte er bereits die Kontrolle über seine Gefühle verloren. Wohin würde das erst führen, wenn sie zusammenlebten? Was, wie er zugab, wohl geschehen müsste. Er hatte mit ihr das Bett geteilt.

Durch Betrug, erinnerte er sich. Erneut dachte er an das Wittum, das er erhalten sollte.

Noch ehe er seinen Verdacht äußern konnte, wurde er durch die Zimmertüre, die sich einen Spaltbreit öffnete, abgelenkt. Ein kleines haariges Etwas schoss herein, ein Hund, der die Tür weiter aufstieß. Er lief sofort zu Meredyth Chalmers Füßen, schnüffelte kurz daran und wandte sich laut kläffend Roland zu, sodass dieser ihn am liebsten gewürgt hätte.

Roland hörte einen unterdrückten Aufschrei, und mit finsterem Blick wandte er sich der plumpen dunkelhaarigen Frau zu, die in der Türöffnung stand. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie von ihm zu Meredyth blickte. Die Frau – eine Bedienstete, wie das Kleid aus derb gesponnenem Stoff und die einfachen ledernen Schuhe vermuten ließen – legte entsetzt ihre Hand an die Wange. „Lady Meredyth? Ich … ich konnte nicht ergründen, warum Sweeting unbedingt in das Zimmer meiner Herrin wollte. Indes, jetzt wird mir klar, dass Ihr es seid, zu der er …“ Sie blickte für eine längere Zeitspanne Roland an, ehe sie sich wieder Meredyth zuwandte. „Vergebt mir, Lady Meredyth … ich …“ Sie hielt inne, da ihr offensichtlich die Worte fehlten.

Roland blickte zu Meredyth Chalmers, die vortrat und den noch immer kläffenden Hund hochnahm. Als sie sich vorbeugte, sah Roland, wie die Dienerin das blutbefleckte Laken betrachtete. Er erwiderte ihren verwirrten Blick mit ausdrucksloser Miene.

Meredyth hatte nichts von alldem bemerkt. Sie war zu sehr damit beschäftigt, den noch immer kläffenden Hund zu beruhigen. „Du musst dich nicht entschuldigen, Agnes. Offenbar hast du Lady Celeste hier erwartet. Demnach wirst du mir auch nicht sagen können, wo sie ist.“

Nun konnte die Frau ihre begreifliche Neugier nicht länger zurückhalten. „Nein, Mylady, das kann ich leider nicht. Ja, ich bin überrascht, Euch hier zu sehen. Ich dachte Lady Celeste …“ Verwirrt zog sie die Augenbrauen zusammen. „Sollte nicht Lady Celeste Lord St. Sebastian ehelichen?“

Meredyth runzelte die Stirn und biss sich auf die Lippe. „Oh … ja. Doch es hat eine Veränderung gegeben.“

Roland konnte nicht an sich halten und gab mit deutlichem Sarkasmus in der Stimme von sich: „O ja. In der Tat hat es eine Veränderung gegeben.“

Meredyth’ missbilligendes Stirnrunzeln, das Entsetzen der Dienerin und das beharrliche Bellen des Hundes ließen Roland bewusst werden, dass er nicht hoffen durfte, hier weiterzukommen. Ärgerlich trat er auf die Dienerin zu. „Wo ist dein Herr?“

Einfältig blickte sie ihn an. „In dem großen Saal, Herr, habe ich ihn zuletzt gesehen.“

Roland eilte an der Dienerin vorbei und auf den Flur hinaus. Er wollte der Sache auf den Grund gehen. Wenn Penacre nichts von dem wusste, was seine Töchter getan hatten, was Roland ernsthaft bezweifelte, so sollte er es bald erfahren.

Roland hielt kurz inne, als er Penacres Ritter Giles erblickte, der nur wenige Fuß entfernt stand. Dieser machte einen eigenartig befriedigten Eindruck, als er beobachtete, wie Roland aus der Tür trat. Mit einem zynischen Lächeln verbeugte sich Roland. „Gibt es etwas, wobei ich Euch behilflich sein kann, Sir Giles?“ Er trat näher an den Mann heran und blickte in blitzende Augen, die sich von seinen eigenen nicht unterschieden. „Vielleicht könnt Ihr mir jedoch behilflich sein?“

Roland machte eine Geste zu Meredyth, die in der Türöffnung des Schlafgemaches stand. Als sie den anderen Ritter erspähte, verfinsterte sich der Blick ihrer grünen Augen. Mit offener Feindseligkeit starrte sie ihn an. „Habt Ihr Anteil an dieser Charade, dass ich die falsche Schwester geheiratet habe?“

Sir Giles’ Blick folgte der ihm gewiesenen Richtung, und seine Augen weiteten sich vor Überraschung und Entsetzen. Unverzüglich erkannte Roland, dass er nichts gewusst haben konnte. Die entsetzte Antwort war ein weiterer Beweis. „Verheiratet mit der falschen Schwester? Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr Meredyth anstelle von Celeste geehelicht habt?“

Als Roland nickte, schüttelte Sir Giles fassungslos den Kopf. „Wie konnte dies geschehen?“

Roland zuckte die Schultern. Er spürte, wie erneut Ärger in ihm emporstieg, als er wieder über diese Frage nachgrübelte. „Ihr wäret besser unterrichtet als ich selbst, wenn Ihr die Antwort auf diese Frage wüsstet.“

Roland konnte sehen, dass Sir Giles nicht zuhörte, als er einen Blick auf den Mann warf. Er schien völlig die Fassung verloren zu haben. Ebenso hatte er jedes Gefühl für Höflichkeit vergessen, als er an ihm vorbeischritt, stirnrunzelnd auf die kleine Meredyth hinabblickte und schrie: „Wo ist deine Schwester?“

Meredyth schien über die Heftigkeit von Sir Giles’ Reaktion überrascht. Sie erholte sich jedoch schnell und machte deutlich, ihm nicht zu gestatten, in diesem Ton mit ihr zu reden. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, wobei sie nicht einmal bis an die Schultern des Ritters reichte. Ein Anblick, der Fürsorge in Roland weckte.

„Ich weiß nicht, wo Celeste ist“, kam ihre stolze Entgegnung, „und ich wäre Euch dankbar, Sir Giles, wenn Ihr einen höflicheren Ton anschlagen würdet, wenn Ihr zu mir sprecht.“ Rolands Fürsorge wich zu seiner Überraschung einem Gefühl von Respekt, während er beobachtete, mit welch würdevollem Gesicht sie dem grimmigen Ritter entgegentrat.

Verärgert über diese unerwartete Reaktion bei Meredyth’ Anblick, blieb es Roland nicht verborgen, dass der Mann so von ihrer Antwort gepeinigt wurde, dass er ihre tadelnden Worte nicht beachtete. Statt dessen ging er so weit, nach ihr zu fassen. Er legte seine behandschuhte Hand auf ihren Arm, als sie sich abwandte, und sprach mit rauer Stimme: „Meredyth, Ihr wisst nicht, was ihr beide angerichtet habt.“

Roland wurde von einer ungeheuren Welle von Fürsorglichkeit erfasst, als er diese große Hand auf Meredyth’ zartem, nacktem Arm sah. Er fühlte sich, als hätte ihn ein Rammbock mit der Breitseite getroffen. Selbst als er vorsprang, sagte er sich, dass das Ausmaß seiner Heftigkeit bloß durch die Tatsache entfacht wurde, dass Meredyth seine Frau war, gewollt oder nicht. Kein anderer Mann hatte das Recht, sie zu berühren.

Er war sofort an Sir Giles’ Seite. Seine Finger umschlossen sein Handgelenk. „Nehmt die Hand von meiner Frau.“

Sir Giles blickte zu ihm auf, als käme ihm überraschend seine eigene Unbesonnenheit klar zum Bewusstsein. Während Roland ihn ansah, wurde sein Blick fest, und vorsichtig sagte er: „Gut, Lord St. Sebastian. Ich sehe, dass Ihr niemandem gestattet, widerrechtlich etwas anzufassen, was Euch gehört.“

Roland zauderte nicht mit der Antwort. „Niemandem.“

Es sah aus, als wollte Sir Giles noch etwas hinzufügen. Dann drehte er sich unerwartet um und schritt davon, ohne einen weiteren Blick zurückzuwerfen.

Roland fühlte Meredyth’ Blick auf sich und sah sie an. Eigensinnig und trotzig hatte sie ihr schmales Kinn gehoben. Sie sprach voller Überzeugung. „Ich habe nicht nach Eurem Schutz verlangt, Mylord. Ich bin selbst in der Lage, diesen Dummkopf zurechtzuweisen.“

Roland empfand erneut unerwarteten Respekt für ihr Selbstvertrauen. Rasch schob er seine Empfindung beiseite, indem er sich sagte, dass Respekt ein Gefühl sei, das er nicht in Verbindung mit irgendeinem Weib – und ganz bestimmt nicht mit diesem – wünschte. Sie und ihre Schwester hatten kein Recht, ihn zu täuschen. Er wollte seinen eigenen Standpunkt klar und deutlich machen. „Ich habe weder Bedarf noch das Verlangen, Euch zu beschützen, Lady St. Sebastian. Ich halte nur fest, was mir gehört.“

Seine Heftigkeit verfinsterte den Blick ihrer jadegrünen Augen. Roland wollte keinen weiteren Disput. Bald würde sie einsehen, dass seine Stellung als ihr Gebieter und Gemahl absolut war. Er wandte sich ab und schritt ohne weiteres Wort den Korridor entlang.

Es war offensichtlich, dass ihr sein plötzlicher Abgang nicht gefiel. Er hörte, wie sie laut und empört nach Luft schnappte, dann fiel die Tür krachend ins Schloss. Ein kühles Lächeln umspielte seine Lippen. Das Mädchen benötigte betrüblicherweise Unterricht. Und sie musste lernen, wenn sie verheiratet blieben. In seinem Haushalt konnte es nur einen Herren geben.

Ihre Kapitulation in der letzten Nacht war vollständig und befriedigend gewesen. So sollte es wieder sein, im Bett und außerhalb. Unerwartet fühlte er sein Blut aufwallen.

Rasch schob er diese erfreulichen Gedanken an seine Braut beiseite. Erst musste er eine andere Angelegenheit erledigen. Er wollte sich der Mitgift versichern, die ihm versprochen war.

Keine Frau sollte ihn von seinem Ziel abbringen, gleichgültig, wie befriedigend die Nacht in ihren Armen gewesen sein mochte. Und seine lebhafte Erinnerung an diese Nacht sagte ihm, dass sie lustvoll war, mehr als er jemals erwartet hatte. Entschlossen straffte er seine Schultern. Sollte Meredyth nicht die Mitgift erhalten, musste er auf sie verzichten.

Verärgert und enttäuscht über seine eigene Entscheidung, schob er diesen unwillkommenen und unerwarteten Gedanken von sich.

Er fand Penacre in dem großen Saal, wo dieser gerade sein morgendliches Mahl beendete. Der Blick des älteren Mannes, der am Kopfende des Tisches saß, hieß ihn nicht willkommen, als er seinen Schwiegersohn auf sich zutreten sah.

Roland verlor keine Zeit, seine Forderung vorzutragen. „Penacre, ich möchte Euch in einer privaten Audienz sprechen, sofort.“ Es war seine Absicht, zuerst herauszufinden, ob Penacre in der Tat etwas von dem Betrug seiner Töchter gewusst hatte, und dann, ob er daran dachte, die Mitgift zurückzuhalten.

Es war deutlich erkennbar, dass der ältere Mann dem Ton, den Roland anschlug, keine Bedeutung beimaß. Er hob lediglich mit hochmütiger Miene die silberfarbenen Augenbrauen. „Es steht Euch frei, hier zu sprechen.“ Er machte eine einladende Geste, die zeigen sollte, dass ihn die anderen Teilnehmer des Morgenmahles nicht störten.

„Nein“, antwortete Roland, „Ich werde nur zu Euch allein sprechen. Wenn Eure Tochter die Wahrheit sagt, werdet Ihr erfreut sein, dass ich es vorziehe, mit Euch die Angelegenheit nicht in aller Öffentlichkeit zu erörtern.“

Penacre erhob sich und runzelte die Stirn. „Wie Ihr wünscht.“ Ohne abzuwarten, ob Roland ihm tatsächlich folgte, verließ er den Saal. Roland spürte die unfreundlichen Blicke in seinem Rücken. Es war offensichtlich, dass diejenigen, die seine brüsken Worte an ihren Gebieter gehört hatten, damit nicht einverstanden waren. Doch es war ihm gleichgültig, was Penacres Gefolge von ihm dachte. Er war es, den man hier getäuscht hatte.

Er wurde in ein Zimmer geführt, in dem mehrere Tische und zwei Stühle standen. Die Tische schienen unter dem Gewicht der Hauptbücher, die darauf lagen, zu ächzen. Roland dachte, dass Penacre sehr sorgfältig seinen Besitz verwalten musste, wenn er so genaue Aufzeichnungen führte. Dann fiel ihm ein, dass der Mann auch bloß ein Geizhals sein könnte. Er musste jedoch zugeben, dass Penacres Haus vornehm eingerichtet und seine Tochter reich gekleidet war.

Roland verzog die Lippen und sagte sich, dass es Penacre wohl nicht schlecht getan hatte, ein guter Freund King Johns zu sein. Was ging es ihn an, wen dieser Mann unterstützte? Richard war tot.

Roland überlegte, ob der Baron vielleicht ein falsches Spiel mit ihm trieb. Penacre machte keine Anstalten, sich zu setzen oder ihn dazu aufzufordern. Roland gab sich damit zufrieden, da er keinen oberflächlichen, höflichen Umgang zu pflegen wünschte.

Ohne Umschweife begann er zu sprechen. „Lord Penacre, Eure Tochter hat mir versichert, dass Ihr nicht unterrichtet wart über das, was sie getan hat. Das ist der einzige Grund, warum ich mit Euch darüber rede und nicht mit dem König selbst.“

Penacres gelangweilter Ausdruck verstärkte sich noch. „Was schwätzt Ihr da, Kirkland? Was hat Celeste Euch gesagt, dass Ihr den König aufsuchen wollt, um Klage zu führen?“

Aufmerksam betrachtete Roland den Mann. Er konnte kein Anzeichen bemerken, dass er etwas verbarg, doch Roland hatte noch nicht geendet. „Nicht Celeste – Meredyth.“

„Warum sollte Meredyth Euch Grund zu Unmut geben?“ Der ältere Mann schüttelte seinen Kopf mit offensichtlichem Unverständnis. „Ihr hattet keine Veranlassung, mit Meredyth zu sprechen. Es war nicht nötig, auf irgendeine Weise mit ihr in Fühlung zu treten. Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr ihr aus dem Weg gehen würdet.“ Der Schmerz in seiner Stimme war deutlich erkennbar, als er weitersprach: „Ihr habt mir bereits die Person genommen, die mir das Liebste im Leben war. Was wollt Ihr noch?“

Roland fand diese Worte seltsam, doch er schob sie von sich, um sich nicht ablenken zu lassen. Er forschte weiterhin in Penacres Gesicht nach einem Anzeichen von Verrat, als er sagte: „Oh, ich hatte Gelegenheit zur intimsten Fühlungnahme mit Lady Meredyth. Sie war es, die diese Nacht in meinen Armen verbrachte.“

Penacre trat auf ihn zu, sein Gesicht gezeichnet von Ärger und Verwirrung. „Erklärt Euch besser, Kirkland. Meine Geduld ist am Ende.“

Unbewegt und entschlossen, die Wahrheit herauszufinden, sagte Roland: „Es war Meredyth Chalmers, die mir gestern Abend in der Kapelle das Eheversprechen gab. Meredyth, die nun mein Weib ist.“

Selbst er konnte das große Entsetzen und die Überraschung nicht anzweifeln, die Hugh Chalmers Gesicht aller Farbe beraubte. Als Roland zu dem älteren Mann trat, um ihm in einen Stuhl zu helfen, konnte er sich die seltsame Erleichterung nicht erklären, die er empfand, da er sich bewusst wurde, dass seine Frau ihn nicht belogen hatte.

Rasch schob er dieses Gefühl jedoch von sich. Betrug lag in der Natur der Frauen. Seine eigene Mutter hatte ihn das gelehrt, als sie ihren Gemahl und die Kinder verlassen hatte, um sich mit dem Knappen seines Vaters auf und davon zu machen. Selbst diese mehr als zwanzig Jahre zurückliegende Erinnerung hatte die Kraft, sein Herz mit schmerzhaftem Griff zu umklammern.

Die Erkenntnis, dass Meredyth Chalmers die Wahrheit in dieser einen Sache gesprochen hatte, änderte nichts daran, dass sie durch eine List seine Frau geworden war. Das ließ den Grund ihrer Tat noch geheimnisvoller erscheinen. Wenn es nicht der Versuch war, ihn um die Mitgift zu betrügen, was war es dann?

Einige Zeit war bereits vergangen, seit Meredyth sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte. Was sollte sie noch länger in Celestes Zimmer verweilen? Die Wahrheit war offenbart. Sie wusste, Roland war in der letzten Stunde ihrem Vater entgegengetreten, nachdem er die von ihr verlangte Erklärung nicht bekommen hatte.

Gleichwohl Meredyth ein schlechtes Gewissen hatte, sich dem Vater zu widersetzen, hatte sie sich geweigert, ihre Schwester zu verraten. Celestes Geheimnis sollte nicht durch sie bekannt werden. Celeste selbst musste dies tun, sobald sie wieder in die Burg zurückgekehrt war. Ihres Vaters Männer waren unterwegs, um nach ihr zu suchen.

Hugh Chalmers war nicht klüger als zuvor zu St. Sebastian zurückgekehrt, sein frostiger Blick zum Abschied war ein deutliches Zeichen, dass er Meredyth’ Verhalten missbilligte. Wüsste er jedoch die Wahrheit, wäre es sicherlich sein eigener Wunsch gewesen, dass sie Celeste beschützt hätte. Lediglich diese Gewissheit hielt sie davon ab, alles aus sich herauszuschreien. Dies und die Tatsache, dass ihr Vater nur schlecht die Erleichterung darüber verbergen konnte, dass nun doch nicht Celeste Kirkland geheiratet hatte.

Meredyth löste sich von ihren unseligen Gedanken, als die Tür geöffnet wurde. Jolie, ihre Zofe, stand an der Türschwelle. Dunkle Locken umrahmten ihr blasses Gesicht, und die braunen Augen blickten verwirrt. „Mylady, er ist hier.“

„Er …?“, fragte Meredyth mit einem heiseren Flüstern. Sie hatte jedoch das unbehagliche Gefühl, dass sie bereits wusste, wen das Mädchen mit er meinte.

Bevor Jolie noch mehr sagen konnte, stieß der Mann mit seinen breiten Schultern die Tür weiter auf. St. Sebastian entließ die Zofe, ohne den kalten Blick seiner kobaltblauen Augen von Meredyth zu nehmen. „Du kannst gehen.“

Jolie zögerte und hob beunruhigt ihre Brauen. Meredyth empfand Sympathie für sie. Das Mädchen war noch sehr jung und erst seit drei Monaten in ihren Diensten. Sie hatte noch nicht gelernt, mit Männern wie Roland St. Sebastian umzugehen. Auch Meredyth war nicht gewöhnt daran, doch sie nickte beruhigend. „Es hat alles seine Ordnung, Jolie. Lord St. Sebastian ist mein … Gemahl. Ich habe nichts von ihm zu fürchten.“

Als Jolie widerstrebend einen Knicks machte und ging, dachte Meredyth daran, ob er auch weiterhin ihr Gemahl sein würde. Konnte er einen Weg finden, sich von ihr zu trennen? Die Zustimmung der Kirche war ihm sicher, wenn man die Umstände in Betracht zog. Doch was sollte dann aus ihr werden? Sie war nun keine Jungfrau mehr, und alle in der Burg wussten das. Als Roland sie in Celestes Zimmer allein gelassen hatte, wurde sich Meredyth des blutbefleckten Tuches bewusst, mit dem sie ihre Blöße bedeckt hatte, und der Tatsache, dass auch Agnes wusste, was geschehen war.

Kein anderer Mann würde nehmen, was St. Sebastian beiseitegestoßen hatte. Meredyth dachte, sie müsse sich wohl damit abfinden, ihres Vaters Kastellanin zu bleiben, ohne eigenes Heim und ohne eigene Familie. Der bloße Gedanke an diese unabwendbare Zukunft, sollte Kirkland sich weigern, mit ihr ehelich verbunden zu bleiben, war niederschmetternd.

Er sollte indes nicht bemerken, wie sehr sie dieser Gedanke beunruhigte. Gewiss war es besser, keinen Ehemann zu haben, als die Frau dieses Mannes zu sein. Meredyth straffte sich und blickte ihm offen in die funkelnden blauen Augen. „Nun?“

Roland St. Sebastian lächelte, doch in seinem Lächeln war keine Freude. Ein Gefühl von großem Unbehagen überkam sie. „Nun, Frau, es scheint, ich müsste Euch behalten.“ Noch ehe sie nachsinnen konnte, ob diese Enthüllung eine Erleichterung oder einen Fluch bedeutete, fuhr er fort: „Euer Vater weiß offenbar nicht mehr darüber, was Euch und Eure Schwester zu solch unbesonnenem Handeln veranlasst hat, als ich. Darüber hinaus hat er zugestimmt, dass Ihr dieselbe Mitgift bekommen sollt, die auch Celeste nach Kirkland gebracht hätte.“

Er zuckte die Schultern. „Ich habe beschlossen, den Umstand, dass Ihr mich unter dem Namen Eurer Schwester geheiratet habt, nicht anzufechten, die Angelegenheit muss nur vom Priester gutgeheißen werden. Wir werden den Namen auf dem Ehevertrag ändern und dem König Mitteilung machen. Er wird dem jedoch nicht viel Beachtung beimessen, nachdem seine Aufmerksamkeit auf seine eigene Eheschließung mit Isabella of Angoulême gerichtet ist. Immerhin hat er erreicht, dass unsere beiden Familien miteinander verbunden sind. Eine Chalmers ist so gut wie die andere.“

Meredyth wusste kaum, was sie antworten sollte. Seine Kälte ihr gegenüber kam nicht überraschend, jedoch unerwartet schmerzhaft. Sie richtete ihre Gedanken darauf, was er noch gesagt hatte. Die Erkenntnis, dass Kirkland die geschlossene Ehe einhalten wollte, überraschte sie ebenso wie die Tatsache, dass sie eine Mitgift erhalten sollte, die Tausende Pfunde wert war.

Der Besitz und das Gold sollten indes nicht ihr gehören. Sie gehörten dem Mann, der vor ihr stand. Die Möbel und das Linnen, der große kupferne Badezuber, die Ballen von wertvollen Stoffen und all der andere Hausrat, der für Celestes Hochzeit zusammengetragen worden war, all dies gehörte nun ihr.

Der Gedanke war so überwältigend, dass es eine Zeit lang dauerte, bis sie sich bewusst wurde, dass er wieder sprach. „Euer Vater wird für die Männer sorgen, die die Wagen lenken werden, und ich gebe Euch zwei Leute, die ich nach Penacre mitgebracht habe. Sie werden Euch morgen nach Kirkland eskortieren. Ich nehme an, Ihr selbst seid sicher auf dem Land Eures Vaters. Und danach werdet Ihr auf meinen Ländereien sein.“

Sie runzelte die Stirne. „Sie werden mich eskortieren …?“

„Es gibt andere Dinge, um die ich mich kümmern muss. Ich werde Euch folgen, voraussichtlich in einer Woche.“

Sie holte tief Luft. So sollte sie allein nach Kirkland reisen, dem Sitz der Feinde ihrer Familie. Meredyth begegnete seinem Blick mit wohlüberlegter Kälte, obwohl es sie viel Überwindung kostete. „Wie Ihr wünscht.“ Wenn er dachte, sie könnte darum betteln, dass er sie begleitete, dann irrte er. Um nichts wollte sie bitten. Besser in der Hölle schmoren, als um den Schutz dieses Schurken bitten.

Meredyth konnte sich nicht zurückhalten auszusprechen, was sie dachte. „Nehmt zur Kenntnis, dass ich Euch niemals darum bitten werde, mir gegenüber als pflichtbewusster Ehemann zu handeln. Heute nicht und nicht in aller Zukunft.“ Damit beendete sie dieses Gespräch und wandte ihm den Rücken zu.

Nur wenig später hörte sie völlig überrascht seine Stimme ganz nahe hinter ihr. Er hatte nicht das geringste Geräusch verursacht. Meredyth zwang sich, ihren Schreck zu verbergen. Sie schloss die Augen und hoffte, ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen.

Seine Worte trugen indes nicht zu ihrer Beruhigung bei. „Habt keine Angst, Weib, ich werde meine Pflichten als Ehemann erfüllen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Darum müsst Ihr mich nicht bitten.“

Seine Worte waren nur allzu deutlich und ließen einen Schauer über ihr Rückgrat laufen. Meredyth war über ihre Reaktion erschrocken, nachdem er sie so behandelt hatte. Doch als sie mit ihren eigenen Gefühlen kämpfte, wurde sie sich bewusst, dass dieser Mann niemals erfahren durfte, wie sehr er sie erregte. Entschlossen wandte sie sich ihm zu und blickte ihm offen ins Gesicht. „Ich habe keine Angst davor oder vor irgendetwas, was Euch betrifft, Mylord. Erlaubt mir, Euch noch eine andere Wahrheit zu sagen. Ihr mögt vielleicht denken, dass mich diese Ehe zu Eurem Eigentum gemacht hat, über das Ihr frei verfügen könnt. So ist es nicht. Ich handle stets nach meinem eigenen Willen.“

Als sie ihn ansah, glaubte sie, für einen kurzen Moment ein Aufleuchten von Bewunderung in seinen unwiderstehlichen Augen bemerkt zu haben. Doch dieser Eindruck war nur von kurzer Dauer, denn er betrachtete sie nun mit seinem gewohnten überheblichen Blick. „Ihr gehört mir. Ich werde Euch befehlen, und Ihr werdet gehorchen. Merkt Euch das.“ Ohne weiteres Wort wandte er sich auf dem Absatz um und ging.

Meredyth ritt erhobenen Hauptes durch das Tor in der mächtigen Außenmauer von Kirkland. Sie wollte nicht daran denken, was die Bewohner der Burg wohl davon hielten, dass sie ohne ihren Herrn ankam. Sie hatte keine Absicht, St. Sebastians Gefolge merken zu lassen, wie sehr die Veränderungen der vergangenen Tage und der Mann selbst sie verwirrt hatten.

Ihr Kummer wurde indes um keinen Deut dadurch verringert, dass einige Veränderungen vielleicht auch Gutes für ihre Zukunft bringen könnten.

Sie warf einen ungläubigen Blick zurück auf die zwei Wagenladungen mit Leinen, Möbeln, Kleidern und anderen Gegenständen. All dies gehörte ihr, jedes einzelne Stück war für sie, Meredyth, bestimmt. Nie in ihrem Leben hatte sie gedacht, einmal so viel zu besitzen.

Die einzigen Stücke, die man aus den Truhen genommen hatte, war die Kleidung, die für Celeste angefertigt worden war. Ihre Schwester war letztendlich wieder in die Burg zurückgekehrt, viele Stunden, nachdem sich die größte Aufregung gelegt hatte. Ihr Vater hatte sie zu sich gerufen, und wenig später war sie trotzig aus seinem Zimmer getreten. Sie hatte sich geweigert zu sagen, wo sie gewesen war und warum sie und Meredyth die Rollen getauscht hatten. Nur Meredyth hatte sie gestanden, dass sie die Nacht in einer verlassenen Hütte im Wald verbracht hatte. Sie hatte darauf hingewiesen, ihre Zuversicht, dass sich zwischen Roland und Meredyth alles in Wohlgefallen auflösen würde, habe sich schließlich bewahrheitet.

Meredyth wollte in ihrer Überraschung Celeste nicht mit der unerfreulichen Wahrheit plagen. Sie unterdrückte das Pochen in ihrer Brust, als sie sich erinnerte, mit welcher Kälte dieser Rohling ihr gesagt hatte, dass sie ohne ihn nach Kirkland reisen müsse.

Entschlossen sagte sie sich, dass es wenig bedeute, was er dachte. Was jedoch zählte, war, dass sie nun ihren Hausstand selbst einrichten durfte. Sie konnte die Sachen, die ihr gehörten, nach eigenem Gutdünken verwenden. Meredyth zweifelte, dass St. Sebastian sehr lange an ihr Interesse fände. Er empfand keine echten Gefühle für sie. Vielleicht würde er ihr bald keine Beachtung mehr schenken und sie im Haushalt der Burg tun und machen lassen, was sie wollte, solange sie sich nicht in seine Angelegenheiten mischte. Er war ein Krieger. Welches Interesse konnte er daran haben, wie sie den Haushalt führte?

Aus unerforschlichen Gründen fand sie den Gedanken, von ihm völlig unbeachtet zu bleiben, wenig tröstlich. Sie sagte sich, sie sollte keine Närrin sein, selbst als die Erinnerung daran, wie dieser Mann seinen Mund auf ihre Brüste drückte, sie mit heißer Sehnsucht durchfuhr.

Schamesröte trat ihr vor Wut und Ärger über sich selbst und solche Gedanken ins Gesicht. Meredyth blickte um sich und war froh, dass niemand hier ihre Gedanken lesen konnte. Ihr Groll über St. Sebastians vermessene Abschiedsworte ließ in ihr keine Absicht aufkommen, mit ihm nochmals das Bett zu teilen.

Die beiden Männer, die Roland ihr als Eskorte zugeteilt hatte, saßen stumm auf ihren Pferden und ritten dem Zug voran. Sie hatten den ganzen langen Tag kaum ein Wort mit ihr oder ihrer Zofe, Jolie, gewechselt. Keiner der beiden jungen Männer hatte sie beim Namen genannt, wie auch Roland, bevor er von Penacre weggeritten war, als könnte er es nicht länger ertragen, dort zu sein. Selbstverständlich, sagte sie sich und versuchte aufrichtig zu sein, konnte auch der fortwährend fallende Nieselregen etwas damit zu tun haben.

Nun, da sie innerhalb der Burgmauern waren, fühlte Meredyth viele Augenpaare auf sich gerichtet. Sie hielt weiterhin den Kopf hoch erhoben und widerstand dem Drang, die versammelten Menschen näher zu betrachten, zu sehen, ob die Leute die Ehe ihres Gebieters mit der Tochter des Feindes übel nahmen, wie sie befürchtete. Vorerst musste sie annehmen, dass es so war, und ihre Stellung wurde durch Rolands Abwesenheit doppelt schwierig.

In dem Bewusstsein, daran nichts ändern zu können, tat Meredyth ihr Möglichstes, sich darauf zu konzentrieren, ihr neues Zuhause zu begutachten. Die Burg war ein großer quadratischer, zweigeschossiger Bau, mit einem viereckigen Turm an jeder Ecke. Ein mit Zinnen versehener Wehrgang lief über alle vier Mauern. Die äußere Mauer war durch eine robuste hölzerne Brücke mit dem Zugang zur Burg verbunden. Im Falle eines Angriffes, wenn die äußeren Mauern aufgegeben werden mussten, konnten die Männer sich auf diesem Weg in den inneren Burghof zurückziehen und die Brücke hinter sich niederbrennen, um dem Feind den Weg abzuschneiden. Sie vermutete, dass es noch andere Brücken gab, die für sie von diesem Blickwinkel aus nicht sichtbar waren.

Autor

Catherine Archer
Catherine Archer liebte immer schon Bücher. Bereits als kleines Mädchen hatte sie großen Spaß daran, sich für die Helden ihrer Lieblingsbücher weitere Abenteuer auszudenken. Im Alter von 12 Jahren las sie „Jane Eyre“ – und war so begeistert davon, dass sie beschloss, irgendwann einmal Autorin für Liebesromane zu werden. Dass...
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Margaret Moore
Margaret Moore ist ein echtes Multitalent. Sie versuchte sich u.a. als Synchronschwimmerin, als Bogenschützin und lernte fechten und tanzen, bevor sie schließlich zum Schreiben kam. Seitdem hat sie zahlreiche Auszeichnungen für ihre gefühlvollen historischen Romane erhalten, die überwiegend im Mittelalter spielen und in viele Sprachen übersetzt wurden. Sie lebt mit...
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