Historical Exklusiv Band 72

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DIE SINNLICHE RACHE DES WIKINGERS von FULFORD, JOANNA
"Niemals werde ich die Hure eines Mannes sein!" Astrid ist außer sich, als Leif Egilsson ihr anbietet, ihm übers Meer zu folgen. Aber hat sie eine Wahl? Schließlich ist der wilde Krieger mit den verführerischen blauen Augen ihre letzte Chance, einer schrecklichen Zwangsehe zu entgehen. Sie entscheidet sich für die Flucht - doch ihr grausamer Onkel legt Leif in Ketten und lässt ihn glauben, dass Astrid ihn verraten hätte …

DAS WILDE VERLANGEN DES WIKINGERS von WILLINGHAM, MICHELLE
Irland, im Jahre 875: Wütend zerrt der gefangene Wikinger an seinen Ketten. Doch die schöne Caragh Ó Brannon denkt gar nicht daran, ihn zu befreien! Schließlich wollten Styr Hardrata und seine ruchlosen Männer ihre Siedlung plündern. Dennoch: Sein Kampfesmut hat Caragh tief beeindruckt, und sie sehnt sich danach, seinen geschundenen Körper zu berühren … Was ist nur mit ihr los? Styr ist doch ihr Feind - und verheiratet!


  • Erscheinungstag 07.08.2018
  • Bandnummer 72
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734008
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Joanna Fulford, Michelle Willingham

HISTORICAL EXKLUSIV BAND 72

1. KAPITEL

Leif Egilsson löste seinen Dolch mit einem kräftigen Ruck. Lautlos glitt der Körper des toten Wachmanns zu Boden. Jenseits der weiten Lichtung, die vor ihm lag, erblickte er ein großes Lagerfeuer, um das sich ein gutes Dutzend Männer versammelt hatten. Ausgelassen lachten und scherzten sie miteinander, ihre Waffen hatten sie arglos ein paar Meter entfernt von sich abgelegt. Hinter den Männern war ein imposantes Zelt aufgeschlagen, das zweifellos dem Prinzen und seinem engeren Gefolge als Schlafstätte diente. Direkt daneben entdeckte Leif ein kleineres Beizelt, an dessen Eingang zwei weitere Wachen postiert waren.

„Hier hält Hakke sie gefangen“, raunte er.

Halfdan Svarti nickte. „Wir schlagen zu, noch bevor sie überhaupt ahnen, wie ihnen geschieht. Und in der Zwischenzeit findet ihr Lady Ragnhild und bringt sie in Sicherheit.“

„Du kannst dich darauf verlassen.“

Die zwei Männer gingen den Weg zurück in den Wald, wo fünfzig schwer bewaffnete Krieger bereits auf sie warteten. Halfdan blickte düster in die Runde.

„Heute werden keine Gefangenen gemacht. Wir bereiten der Sache hier ein für alle Mal ein Ende.“ Seine Männer lauschten ihm in wilder Vorfreude auf den kommenden Angriff.

Leif suchte den Blick seines Bruders. „Bereit?“

Finn grinste. „Bereit? Schwingt Thor den Hammer?“

„Heute ganz bestimmt.“

„Freut mich, das zu hören, Vetter“, sagte Erik, „das Leben ist ein bisschen eintönig geworden in letzter Zeit.“

Neben ihnen strich ein ergrauter Krieger sanft über den Griff seiner Axt. „Du sprichst die Wahrheit. Seit Wochen hat es schon so gut wie kein Gefecht gegeben. Mein Henkersbeil ist durstig.“

„Sein Durst soll schon bald gestillt werden, Thorvald“, versicherte ihm Leif.

Der ältere Mann lachte leise und erntete ein vielsagendes Grinsen von den umstehenden Kriegern. Gleich darauf ertönten das Klirren von Kettenhemden und das unheilvolle Wispern blankgezogener Klingen. Leif lächelte, als er seine Hand noch fester um den Griff seines mächtigen Schwertes legte. Nur kurz berührte er das Amulett an seinem Hals.

„Es geht los, Männer.“

Sie setzten sich in Bewegung und marschierten bis zum äußersten Ende des Dickichts. Halfdan reckte jetzt sein Schwert empor, und mit ohrenbetäubendem Geschrei schoss seine Meute aus ihrer Deckung hervor und dem Feind entgegen. Astrid setzte sich kerzengerade auf, erschrocken blickte sie zu Ragnhild hinüber. „Was war das?“

„Ich weiß nicht. Es klang wie …“

Im nächsten Moment wurden ihre Worte von schrillem Kriegsgebrüll und wildem Chaos übertönt: Schreie, trampelnde Füße und das unverkennbare Geräusch von gekreuztem Stahl. Astrid sprang auf die Beine und rannte zum Eingang des Zeltes. Sie riss die Vorhänge beiseite, um einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Panik erfüllte ihre Augen.

„Allmächtige Götter! Wo um alles in der Welt kommen die denn her?“

Ragnhild eilte sofort zu ihr, als auch sie voller Schrecken der Meute kämpfender Krieger gewahr wurde. „Wessen Männer sind das? Weißt du das?“

„Nein, aber es sind ganz bestimmt Feinde von Prinz Hakke, was bedeutet …“

„Sie könnten uns freundlich gesinnt sein?“

„Das hoffe ich.“

Astrid betete inständig, sie möge recht behalten, auf dass sich ihre Lage am Ende nicht noch verschlimmern würde. Ihr Schicksal konnte sowohl Befreiung als auch Verdammnis bedeuten. Prinz Hakke würde seine Gefangenen nicht leichtfertig aufgeben. Eher würde er sie erschlagen, als sie an den Feind zu verlieren. Astrid schluckte schwer. Sie hatten keine Waffen, um sich zu verteidigen, sogar die schmalen Ziermesser hatte man ihnen abgenommen. Wahrscheinlich wollte der Prinz jegliche Gegenwehr von vornherein ausschließen. Und er tat gut daran: Sicher hätte auch Ragnhild von ihrer Waffe Gebrauch gemacht, bevor sie sich seinen Befehlen beugte – und Astrid hätte ihr das nicht zum Vorwurf gemacht. Allein die Vorstellung, nach dem Tod ihrer Herrin unter diesen Leuten zu weilen, musste ihr unerträglich sein. Es gab Dinge, die schlimmer waren als der Tod. Leif parierte den Schlag, der sich gegen seinen Kopf richtete, und kämpfte mit wilder Entschlossenheit. Es gelang ihm, seinen Widersacher einige Schritte zurückzudrängen, doch sein Gegner kämpfte verbissen weiter, kam wieder zu Kräften und griff Leif mit animalischem Schnauben an. Ein zweiter mörderischer Hieb wurde geschickt abgelenkt. Die Klingen kreuzten sich, glitten ab und verhakten sich ineinander. Leif riss sein Knie hoch und hörte noch ein schmerzerfülltes Stöhnen, als der Mann taumelte. Kurz darauf versenkte er Foe Bane tief in die Eingeweide seines Widersachers. Leif zog sein mächtiges Schwert aus dem Körper des Toten und schaute sich um.

Sein Blick fiel auf eine vertraute Gestalt, wenige Meter von ihm entfernt. Seinen Helm schmückte das Wappen des Jagdfalken. Wütend brüllte er seinen Truppen Befehle zu. Ehe sich der Krieger in das Schlachtgemenge warf, entdeckte er Leif in der Menge. Sein Blick funkelte vor Wut.

„Du!“

„Wie du siehst, Hakke.“

„Das hier wirst du mir büßen, Leif Egilsson. So wie die Schlacht bei Eid.“

Bevor sie weiterreden konnten, trat einer von Halfdans Männern in Hakkes Weg und lenkte ihn ab. Weitere Krieger kamen hinzu. Noch einmal sah der Prinz ihm in die Augen, bevor er sich zurückzog und im Kampfgetümmel verschwand. Leif verspürte den unbändigen Drang, Prinz Hakke nachzusetzen, doch er durfte sein Versprechen an den König nicht vergessen. Sollten sich die anderen um ihn kümmern. Sein Auftrag duldete keinen Aufschub. Der Lärm vor dem Zelt wurde lauter. Eine Horde Krieger versperrte den Frauen jetzt den Blick auf das Geschehen. Ein gellender Todesschrei ertönte, Blut spritzte gegen die Vorhänge. Die Frauen rangen nach Luft und sprangen zur Seite, als der leblose Körper eines Wachmanns durch den Zelteingang fiel. Kurz darauf wurden die schweren Vorhänge beiseitegeschoben. Eine große Gestalt trat ein. Der Mann trug einen Kettenpanzer, in seiner Faust ruhte ein blutbeflecktes Schwert. Weitere Krieger umgaben ihn. Die beiden Frauen erbleichten und wichen bis in die hinterste Ecke des Zeltes zurück.

Astrid wollte schreien, doch verstummte jäh, als der Eindringling auf sie zukam. Ihr Blick wanderte von der nackten bluttriefenden Klinge zu dem geronnenen Blut an seinem Kettenhemd und verharrte schließlich auf dem stählernen Helm, der das Gesicht seines Trägers nur teilweise verdeckte. Der Krieger blieb jetzt wenige Schritte vor ihnen stehen, und für die Dauer von ein paar Herzschlägen fiel sein kühler und prüfender Blick auf die beiden Frauen. Er senkte das Schwert.

„Habt keine Angst. Es wird Euch nichts geschehen.“

Das Gefühl der Erleichterung war so überwältigend, dass Astrid beinahe schwindelig wurde.

„Wer seid Ihr?“, verlangte sie zu erfahren. „Was habt Ihr mit uns vor?“

„Euch in Sicherheit zu bringen. Alles andere wird Euch mein Herr selbst erklären.“

„Und wer ist Euer Herr?“

„König Halfdan.“

Beide Frauen sahen ihn erstaunt an. Ragnhild griff beherzt nach Astrids Arm. „Halfdan?“

„Jawohl.“

„Oh, den Göttern sei Dank“, sprudelte es aus ihr heraus. Auch Astrid vermochte wieder zu atmen, nachdem ihr die Angst so lange die Kehle zugeschnürt hatte.

„Ist der König hier?“, fuhr Ragnhild fort.

„Nichts hätte ihn davon abhalten können. Eure Sicherheit und Euer Wohlergehen liegen ihm sehr am Herzen.“

„So wie auch sein Wohlergehen mir am Herzen liegt. Wem also schulde ich Dank für die Überbringung so erfreulicher Nachricht?“

„Leif Egilsson, zu Euren Diensten.“

„Ich werde mich an diesen Namen erinnern.“

„Das ehrt mich sehr.“

In diesem Moment hörten sie weitere Stimmen vor dem Zelt, eine von ihnen war wesentlich kräftiger als die anderen und verlangte, Ragnhilds Aufenthaltsort zu erfahren. Gleich darauf betrat ein Mann von großer Statur mit dunklem Haar und Bart das Zelt. Sein Gesicht schien wie aus Stein gemeißelt, doch als er Ragnhild erkannte, wich mit einem Mal alle Härte von seinem Gesicht. Dieser Blick sagte alles. Ragnhild stürmte ihm entgegen und fiel ihm in die Arme.

„Ich dachte, ich würde Euch nie wiedersehen.“

„Kein Mensch soll Euch mir je entreißen.“ Er betrachtete sie zärtlich. „Hat einer der Barbaren Euch ein Leid zugefügt?“

„Nein, es geht mir gut.“

„Odin sei Dank dafür.“

Astrid betrachtete beide mit einem Lächeln. Sie war beseelt, ihr Herz wollte schier überquellen vor Glück. Sie dankte den Göttern für ihrer beider Schicksal, das sich jetzt so anders zeigte, als sie es zuvor erwartet hatten. Das wiedervereinte Paar verließ jetzt zügig das Zelt, um endlich allein zu sein und in Ruhe miteinander reden zu können. Halfdans Männer grinsten, als sie die beiden fortgehen sahen, und machten sich sodann selbst in unterschiedliche Richtungen auf den Weg.

„Eine glückliche Wende des Schicksals“, sagte Astrid, als sie sich Leif zuwandte. „Ohne Euer rechtzeitiges Eingreifen wären wir verloren gewesen. Ich bin Euch sehr dankbar.“

Leif sagte nichts. Er griff nach den schweren Türvorhängen, wischte das Blut von seinem Schwert und ließ es in die Scheide zurückgleiten. „Ihr braucht mir nicht zu danken. Ich hatte noch eine Rechnung offen. Sie ist nun beglichen.“

„Vielleicht gibt es ja am Ende doch noch Frieden.“

Er setzte seinen Helm ab. „Vielleicht.“

Astrid stockte der Atem, als sie ihn ansah. Es war ihr, als hätte Gott Baldur, der Schöne, menschliche Gestalt angenommen. Sein prachtvolles, goldenes Haar bildete den perfekten Rahmen für sein Gesicht, das sich durch auffallend kantige Konturen und starke Züge auszeichnete. Seine Augen waren von graugrüner Farbe, wie die See nach einem Sturm. Als Astrid merkte, dass sie ihn anstarrte, zwang sie ihre Gedanken rasch auf ihr Gespräch zurück.

„Wenn es an der Zeit ist, werde ich wissen, wem ich zu danken habe.“

Er lächelte etwas zögerlich. „Stets zu Diensten, meine Herrin.“

„Ich heiße Astrid, ich bin Ragnhilds Gefährtin.“

Sein prüfender Blick wanderte von ihrem Antlitz zu ihren Füßen. „Ein schöner Name. Und sehr passend.“

Es war beinahe unmöglich, seinen Gesichtsausdruck zu deuten, was Astrid ein wenig verunsicherte. Hatte er ihr gerade ein aufrichtiges Kompliment gemacht, oder hatte sie nicht doch einen spöttischen Unterton vernommen? Vielleicht ja beides. Wie dem auch sei, sie war sich in diesem Moment nur allzu bewusst, dass alle außer ihnen das Zelt verlassen hatten und dass seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf sie gerichtet war. Auch wenn ihr derlei nicht fremd war, so fühlte sie sich doch beklommen und fürchtete die Rückkehr unliebsamer Erinnerungen. Dieser Mann war ihr bei Weitem nicht so unangenehm, wie es Hakke und seine Schergen es waren, und doch war da etwas an ihm, das sie irritierte – und das auf so andere, ungeahnte Weise.

„Ich bin es, die sich glücklich schätzen kann, im Dienste dieser Herrin zu stehen.“

„Eure Herrin ist auf dem besten Wege, Königin zu werden, nicht wahr?“

Astrid lächelte. „Treffend beobachtet. Aber das ist wohl auch ziemlich offensichtlich.“

„Stimmt.“

„Ich bin mir sicher, dass sie eine wundervolle Ehe führen werden.“

„Überglücklich und einzigartig zugleich.“

„Einzigartig?“, fragte sie verdutzt. „Viele Ehen sind glücklich.“

„Das mag sein, ich habe keinerlei Erfahrung damit.“

Eine merkwürdige Stille senkte sich plötzlich über sie, die es Astrid noch schwerer machte, dem Blick des Kriegers standzuhalten. Eine hitzige Röte kroch ihr über Nacken und Hals. Es war an der Zeit, die Sache zu einem Abschluss zu bringen.

„Ich sollte jetzt nach meiner Herrin sehen.“ Sie hielt kurz inne. „Könnt Ihr mich zu ihr bringen?“

„Ganz wie Ihr wünscht.“

Er zog die Vorhänge beiseite und ließ ihr den Vortritt. Sie rauschte an ihm vorbei und trat hinaus, doch beim Anblick der vielen Toten erstarrte sie. Das geronnene Blut der getöteten Krieger hatte die Erde dunkelrot gefärbt. Sein metallischer Gestank hing noch immer schwer in der Luft. Auch andere furchtbare Gerüche, die sich mit dem des Blutes vermengten, drangen ihr in die Nase. Astrid schluckte schwer und versuchte, nicht allzu tief einzuatmen.

„Der Krieg ist nicht sonderlich schön.“

„Nicht besonders.“

„Und trotzdem schreit Ihr nicht oder werdet ohnmächtig?“

„Ist es das, was Ihr von mir erwartet hättet?“

„Es hätte mich nicht überrascht.“

Sie überlegte, was er wohl getan hätte, wenn sie wirklich in Ohnmacht gefallen wäre. Die Möglichkeiten, die ihr einfielen, waren irgendwie verwirrend, fast so verwirrend wie sein Lächeln in diesem Moment. Schnell wich sie seinem Blick aus.

„Die Realität des Krieges ist grausamer, als ich sie mir vorgestellt hatte.“

„Mit der Zeit gewöhnt man sich daran.“

„Ich könnte mich niemals daran gewöhnen.“

„Das muss eine Frau auch nicht.“

Astrid wollte jetzt nicht mit ihm diskutieren. Stattdessen schaute sie sich um, suchte nach Ragnhild und erblickte sie schließlich in der Nähe. Sie unterhielt sich angeregt mit Halfdan und einigen seiner Männer.

Offenbar war Leif ihrem Blick gefolgt. „Sollen wir zu ihnen gehen?“, fragte er.

„Sicher.“

Er schob seine Hand unter ihren Arm, um sie möglichst sicher durch die schlimmsten Überreste des Gemetzels zu geleiten.

Sie spürte, wie sich seine Wärme durch den Ärmel ihres Kleides hindurch auf ihren Körper übertrug. Rasch blickte sie auf und sah ihn lächeln. Es war ihr, als hätte es das leichte Unbehagen zwischen ihnen nie gegeben. Jetzt, da sie ihn bis in jede ihrer Fingerspitzen spüren konnte, blickte sie schamvoll zu Boden und versuchte, sich auf den Weg zu konzentrieren, bis sie die anderen erreichten.

Die Miene des Königs verhieß nichts Gutes. Fragend blickte Astrid Ragnhild an.

„Hakke ist fort, Astrid.“

„Der Teufel soll ihn holen“, ergänzte Halfdan. „Als er bemerkte, dass wir in der Überzahl sind, hat er sich im Kriegsgewirr aus dem Staub gemacht. Wir haben ihn verfolgt, doch ein paar seiner Männer haben ihm Pferde und einen zweiten Trupp bereitgestellt. Ganz in der Nähe. Das hätte ich wissen müssen.“

„Hinterher ist man immer klüger“, entgegnete Leif.

„Weil wir unsere eigenen Pferde im Wald zurücklassen mussten, hatten sie einen guten Vorsprung. Dieser Mann ist flinker als ein Wiesel.“

„Aber weitaus tückischer, mein König. Höchste Zeit, dass wir ihn unter die Erde bringen.“

„Ich habe bereits Männer abgestellt, die nach ihm Ausschau halten.“

„Er wird versuchen, sein Schiff zu erreichen. Bis zur Küste ist es nicht weit.“

„Genau daran habe ich auch gedacht.“

„Mit Eurer Erlaubnis stelle ich meine eigene Truppe zusammen und schließe mich der Jagd nach Hakke an.“

Halfdan nickte. „Möge Allvater Odin dir dieses Mal mehr Glück bescheren.“

Leif verneigte sich vor Ragnhild und Astrid und bot ihnen ein höfliches Lebewohl. Dann drehte er sich um und entfernte sich rasch. Als Astrid ihn davongehen sah, überfiel sie ein ungewohnt banges Gefühl. Es war Kummer. Kummer, weil sie genau wusste, dass er ihr für immer im Gedächtnis bleiben würde, wohingegen er sie sicherlich bald schon vergessen hätte. Nicht, dass ihr das etwas bedeutete. Wahrscheinlich würde sie ihn ohnehin nie wiedersehen. Sie zurrte ihren Mantel fester und folgte Halfdan und Ragnhild zu den Pferden.

Leif und seine Gefährten erreichten die Küste gerade noch rechtzeitig, um Hakkes Schiff ins offene Meer auslaufen zu sehen. Eine glühende Wut vermischte sich mit Verbitterung, und den grimmigen Mienen der anderen nach zu schließen, war Leif mit dieser Empfindung nicht allein.

„Hakke wird in seinen Bau zurückkriechen und sich die Wunden lecken“, sagte Finn. „Aber er wird zurückkehren.“

„Und das mit Verstärkung, so viel ist sicher“, fügte Erik hinzu.

„Nun, dagegen können wir im Moment nichts tun“, erwiderte Thorvald.

Die übrigen Männer schwiegen. Sie wussten, dass die Brüder recht hatten. Leif widerstand dem Drang, laut zu fluchen. Es würde nichts ändern.

Da warf ihm Finn einen Blick zu. „Es wird bald dunkel. Was hast du vor?“

„Wir werden hier unser Lager aufschlagen.“

„Ich habe gehofft, dass du das sagen würdest. Mein Magen denkt schon, man hat mir die Kehle durchgeschnitten.“

„Offenbar waren Hakkes Männer vor uns hier“, bemerkte Erik mit Blick auf die Überreste eines Lagerfeuers. „Er hat wirklich an alles gedacht.“

Thorvald sah jetzt ebenfalls zum Strand hinunter. „Sie haben mit Sicherheit eine ganze Weile hier gelagert. Sogar Feuerholz haben sie uns hinterlassen.“

„Wie fürsorglich“, bemerkte Finn trocken. „Oder auch nicht, denn bestimmt haben sie darauf gepisst, bevor sie weitergezogen sind.“

Leif grinste. „Wahrscheinlich. Aber selbst wenn nicht, so wird das Holz nicht ausreichen, um ein Feuer länger als eine halbe Stunde in Gang zu halten.“ Er wandte sich den anderen zu. „Aun, Harek, Bjarni, Ingolf und Trygg – macht euch auf die Suche nach mehr Holz. Der Rest von euch kümmert sich um die Pferde.“

Während die Männer sich gehorsam auf den Weg machten, ging er hinunter an den Strand, um das verlassene Lager genauer in Augenschein zu nehmen. Entgegen seiner Vermutung fand er das zurückgelassene Feuerholz trocken vor. Die Asche in der provisorischen Kochstelle jedoch war schon fast kalt. Sie mussten also noch einmal ganz von vorne anfangen. Er strich sich den Ruß von den Fingern, richtete sich auf und machte sich auf die Suche nach Zündholz. Innerhalb einer Stunde loderte ein neues Feuer. Aus ihren Satteltaschen holten die Männer ihren Proviant hervor und setzten sich um die prasselnden Flammen. Doch ihre Gespräche waren sehr verhalten. Sie waren einfach zu erschöpft und enttäuscht darüber, dass Hakke ihnen hatte entkommen können. Nachdem eine Wache zusammengestellt war, legten sich die anderen schlafen.

Auch Leif war müde, doch er fand keine Ruhe. Hakkes Flucht war ein schwerer Schlag und würde sehr wahrscheinlich drastische Folgen haben. Vielleicht wäre es nicht so weit gekommen, dachte Leif, wenn er sich nicht um die Frauen gekümmert hätte. Er seufzte. Es war ungerecht, so zu denken. Man konnte ihnen weder die Schuld an diesem Dilemma geben, noch hatten sie es verdient, Hakkes Gnade oder Ungnade anheimzufallen. Ragnhild war zweifelsohne eine Schönheit, die Tochter eines Jarls und eine angehende Königin. Dennoch war nicht sie es, die seine Gedanken fesselte.

Er konnte sich wirklich nicht erklären, warum Astrid ihn so tief beeindruckt hatte. Sie war hübsch, so viel stand fest. Aber andere Frauen waren nicht weniger schön, Frauen, die es besser verstanden, einem Mann zu gefallen. Leif musste über sich selbst lachen. Er konnte an ihrer Art nun wirklich nichts Kokettes entdecken. Vielmehr vermutete er, dass selbst ihre Dankbarkeit ihm gegenüber nichts mit Sympathie zu tun hatte. Er konnte es ihr auch nicht verübeln. Astrid war zuvorkommend, er dagegen … schroff. Das Thema Hochzeit und Ehe hatte er immer zu vermeiden versucht, er konnte unmöglich unbefangen damit umgehen, ohne zynisch zu werden. Ihm fiel plötzlich ein, dass die Hochzeit zwischen Halfdan und Ragnhild ausgemachte Sache war und sie beide, Astrid und er selbst, sicherlich zu der Feier erscheinen würden. Vielleicht könnte er bei dieser Gelegenheit sein abweisendes Benehmen ja wiedergutmachen …

In den letzten Jahren hatte Leif nur mit Frauen zu tun gehabt, die er für ihre Gefälligkeiten bezahlte. Astrid zählte nicht zu dieser Sorte, was es für Leif keineswegs einfacher machte. Es überraschte ihn, dass er sie tatsächlich wiedersehen wollte. Keine seiner sonstigen Bekanntschaften hatte sich jemals so tief in seinen Gedanken eingenistet. Da war etwas an ihr, das er nicht genau erklären konnte, eine Eigenschaft, die ihn gegen seinen Willen anzog. Ihre Anwesenheit auf der Hochzeitsfeier würde die Veranstaltung interessanter und, so beschloss er, um einiges amüsanter gestalten.

2. KAPITEL

Die Vermählung Ragnhilds und König Halfdans war ein überaus glanzvolles Ereignis, das mit viel Musik und einem prächtigen Festgelage gefeiert wurde. Braut und Bräutigam waren überglücklich und hatten nur Augen füreinander. Astrid betrachtete das Paar und hing ihren eigenen Gedanken nach. Sollte es zwischen zwei Menschen nicht immer so sein? Viel zu oft wurden Ehen geschlossen, ohne dass Gefühle eine Rolle spielten. Umso mehr freute sie sich für Ragnhild.

Halfdan würde sie auf Händen tragen. Nachdem er sie fast verloren hatte, wusste er noch mehr zu schätzen, was er an ihr besaß.

Das Einzige, was einen Schatten auf die Ereignisse dieses Tages warf, war die Flucht von Prinz Hakke nach Vingulmark, das Zentrum seiner Herrschaft. Hier hatte er machtvolle Unterstützer, wie etwa Astrids eigenen Onkel. Der verschlagene Politiker hatte nach den jüngsten Geschehnissen vermutlich ebenso grimmig mit den Zähnen geknirscht wie Prinz Hakke. Der Braut beraubt und im Kampf geschlagen, würde Hakkes Zorn nicht weniger grenzenlos sein wie sein Wunsch nach Vergeltung für diese Schmach und den Tod seiner beiden Brüder. Hysing und Helsing mochten im Kampf gefallen sein, ihr Tod würde dennoch früher oder später einen neuen Aufstand schüren. Es sei denn, Halfdan käme dem zuvor …

„Ihr seht sehr beschäftigt aus“, hörte Astrid eine Stimme hinter sich, „obwohl ich nicht glaube, dass ich es bin, über den Ihr Euch den Kopf zerbrecht.“

Astrids Puls schnellte in die Höhe, als sie sich umwandte und Leif dicht bei sich stehen sah. Das Kettenhemd war nun fort, genau wie der Schmutz und das geronnene Blut. Er trug einen festlichen Rock aus dunkelgrüner Wolle, der mit reichlich goldenem Zwirn an Hals und Handgelenken bestickt war und unter dessen Ärmeln das strahlende Weiß seines Leinenhemdes hervorblitzte. Ein Bildnis von Thor schmückte das Amulett, das er um den Hals trug, und ein prächtiger Dolch war an seinem verzierten Gürtel befestigt. Was für eine beeindruckende Erscheinung.

„Nein, das habe ich tatsächlich nicht“, gab sie zu.

„Das trifft mich jetzt sehr.“

Sie lachte. „Um Euch wirklich zu treffen, bräuchte es wohl etwas mehr, mein Herr. Jedenfalls tut es mir aufrichtig leid, wenn ich Eure Hoffnungen diesbezüglich enttäuscht haben sollte.“

„Warum glaube ich Euch das nicht?“

„Ihr habt recht, es tut mir gar nicht leid, aber ich wollte Eure Gefühle nicht verletzen.“

Seine Augen leuchteten. „Ich habe es wohl nicht anders verdient.“

„Ich musste an Prinz Hakke denken und daran, was er wohl als Nächstes vorhat. Wird es ihm gelingen, eine neue Armee aufzustellen?“

„Ich halte das für unwahrscheinlich. König Gandalfs Streitmacht musste in der Schlacht von Eid große Verluste hinnehmen. Die Überlebenden werden einer erneuten Konfrontation mit Halfdan tunlichst aus dem Weg gehen.“

„Dann sind wir also in Sicherheit.“

„So weit würde ich nicht gehen, nicht solange Hakke am Leben ist.“

„Seine Flucht ist eine Katastrophe.“

„Ja, eine große Katastrophe.“

„Das sollte keinesfalls ein Vorwurf an Euch sein.“

Leif biss sich auf die Lippen. „Da bin ich froh. Ich könnte es nicht ertragen, wenn Ihr deswegen schlechter von mir denken würdet.“

„Oh, ich könnte gar nicht noch schlechter von Euch denken.“ Die Worte waren förmlich aus ihr herausgesprudelt. Sie schwankte innerlich, zuckte zusammen und fragte sich ernsthaft, ob sich ihre Zunge nun völlig von ihrem Verstand gelöst hatte. „Was ich eigentlich sagen wollte, war, dass es mir gar nicht möglich wäre, schlecht von Euch zu denken, nach allem, was Ihr für meine Herrin und mich getan habt.“

„Das erleichtert mich ungemein.“

Astrid bemerkte den leicht spöttischen Unterton und fragte sich, ob er womöglich gekränkt war.

„Vergebt mir. Ich habe mich sehr unglücklich ausgedrückt.“

„Mein Stolz wird sich schon wieder erholen – in einem Monat oder vielleicht zwei.“

Sie konnte nicht anders und lächelte. „Oh, ich vermute mal, das gelingt Euch auch schneller, mein Herr.“ Ihr Lächeln schien ihm gleichsam verschmitzt und unwillentlich betörend, genau wie diese großen, veilchenfarbenen Augen. Leif ertappte sich dabei, wie er sie anstarrte. Er musste zugeben, dass sie mehr als nur hübsch war. Obendrein auch noch intelligent. Er griff nach zwei Krügen Honigwein, die ein Diener anreichte, und gab Astrid einen davon.

„Erzählt mir, wie kommt es, dass Ihr heute im Dienste der Königin steht.“

„Mein Onkel hat mich vor fünf Jahren in die Obhut ihres Vaters gegeben. Sigurd Hjort war damals noch ein Verbündeter. Für mich war das alles nur von Vorteil. Wir wurden sehr bald zu guten Freundinnen.“

„Und Euer Onkel?“

„Er ist mein Vormund. Mein Vater ist vor ein paar Jahren verstorben. Mein Onkel ist schon immer ein sehr ehrgeiziger Mann gewesen und es stand ihm einfach an, gute Verbindungen zu zwei Lagern zu pflegen.“

„Zwei Lager?“

„Vestfold und Vingulmark.“

„Ich verstehe. Er wäre nicht der erste Mann, der versucht, sich nach allen Seiten abzusichern.“

„Nun, ich war jedenfalls froh, nicht mehr im Wege zu stehen. Es ist nicht leicht, mit ihm auszukommen.“

„Kenne ich ihn?“

„Vielleicht. Sein Name ist Jarl Einar von Ringerike.“

Leif, der gerade den Krug zum Munde führen wollte, hielt mitten in der Bewegung inne. Zwar hatte er angenommen, dass Astrid von guter Herkunft sei, wenn auch nur ein Stiefkind, das in günstiger Umgebung aufgewachsen war. Niemals jedoch hätte er es für möglich gehalten, dass ihre Familie zu einer der mächtigsten im Land zählte.

„Ein einflussreicher Mann, Euer Onkel“, sagte er.

„Ja, er besitzt Einfluss“, stimmte sie ihm zu, „und Reichtümer, und trotzdem scheint es mir, als wolle er immer mehr, als würde er nie satt. Bei jeder Gelegenheit klammert er sich eifersüchtig an alles, was ihm gehört. Der Großteil seiner Ländereien liegt genau hinter dem Gebiet, das an König Halfdan abgetreten wurde. Die Lage in dieser Region ist immer noch sehr angespannt.“

„Ich weiß. Auch ich besitze dort Land.“

„Wirklich?“

„Ja, es wurde mir damals vom König als Dank für familiäre Dienste übertragen.“

„Ich verstehe.“

„Das macht uns dann wohl zu direkten Nachbarn.“

„Ich bin seither nicht mehr zurückgekehrt und habe auch kein Verlangen danach. Genauso wenig teile ich die politischen Ansichten meines Onkels. Meine Loyalität gilt einzig und allein Königin Ragnhild.“

„Das ist unter diesen Umständen völlig verständlich, nur wird es in Zukunft immer schwerer sein, diese Haltung zu wahren.“

„Damit wollt Ihr wahrscheinlich andeuten, dass ich immer noch der Kontrolle meines Onkels unterstehe.“

„Genau das.“

„Er ist gerade viel zu beschäftigt, um sich mit mir auseinanderzusetzen. In dieser Hinsicht ähnelt er meinem Vater sehr. Er hat sich schon immer mehr für seine Söhne interessiert.“

„Aber Töchter sind ungeheuer nützlich, wenn es darum geht, Bündnisse zu stärken. Nichten übrigens auch.“

„Ich werde mich damit befassen, wenn es so weit ist.“

„Missfällt Euch der Gedanke einer Eheschließung so sehr?“

„Eigentlich nicht, nein. Aber es käme dabei sehr auf den Mann an.“

„Natürlich.“

„Seid Ihr verheiratet, mein Herr?“

Er konnte es nicht verhindern, dass sein Lächeln gefror. „Nein, ich bin nicht verheiratet.“

Ihr war es offensichtlich nicht entgangen, dass sie sich im Ton vergriffen hatte. Schließlich konnte diese Frage einen Mann zu der Annahme veranlassen, sie hege einen bestimmten Hintergedanken. Amüsiert verfolgte Leif, wie sie beschämt versuchte, das Gesagte zurückzunehmen.

„Ich meinte es nicht so, wie es vielleicht geklungen hat. Ich habe aus reiner Neugierde gefragt.“

„Das ist kein Problem.“ Er zögerte. „Ich hatte tatsächlich einmal eine Frau, aber die Ehe war nicht von Erfolg gekrönt und zerbrach nach einem Jahr.“ Zu behaupten, sie sei ‚nicht von Erfolg gekrönt‘ gewesen, glich einer massiven Untertreibung, fand er und merkte, wie ihm der Gedanke daran sauer aufstieß. Die Geister der Vergangenheit ließ man am besten ruhen.

Eine Scheidung war durchaus nichts Ungewöhnliches. Trotzdem ahnte sie, wie schwer so etwas sein musste. „Es tut mir leid.“ Sie zögerte kurz. „Habt Ihr Kinder?“

„Nein, nicht mehr. Mein Sohn starb im Kindbett.“ Allmächtige Götter, das wird ja immer schlimmer.

„Es tut mir unendlich leid.“

„Das ist schon sehr lange her. Heute folge ich dem Kurs der Wale. Ich fahre zur See.“

„Der Ruf nach Abenteuer?“

„Vielleicht, so etwas in der Art, ja. Jedenfalls passt dieses Leben zu mir. Und darum werde ich auch nicht mehr heiraten.“ Seine Worte waren leicht dahingesprochen, und doch bargen sie eine ernst zu nehmende Warnung in sich, eine Warnung, die sie besser beherzigen sollte. Astrid wusste das und fühlte doch gleichzeitig eine tiefe Traurigkeit in sich aufkeimen.

„Wie dem auch sei“, fuhr er fort, „das heißt ja nicht, dass ich nicht die Gesellschaft einer schönen Frau genießen kann.“

„Ich bin mir sicher, Ihr habt derlei viele kennengelernt.“

„Einige.“ Er konnte die Augen nicht von ihr lassen. „Was ist mit Euch? Seid Ihr schon jemandem versprochen?“

„Nein.“

„Warum nicht? An einem Mangel an Anwärtern kann es nicht liegen.“

Astrid hätte auf diese Frage viele Antworten geben können, jede einzelne von ihnen befasste sich mit tiefen inneren Zweifeln, welche wiederum von komplizierter Natur waren, um sie hier auszubreiten. Stattdessen rettete sie sich in Ausflüchte. „Meinen Onkel beschäftigen momentan wirklich wichtigere Dinge.“

„Sehr nachlässig von ihm.“

„Vielleicht hält er ja gerade Ausschau nach einem König und sieht mich bereits in einer Verbindung, die der von König Halfdan und Ragnhild ebenbürtig ist.“

Obwohl sie ihre Worte nur so dahinsagte, hätte sie ihrem Onkel einen solchen Einfall glatt zugetraut. Tatsächlich war ihm alles zuzutrauen.

Leifs Augen leuchteten. „Welcher König würde ein solches Angebot ablehnen?“

„Könige heiraten ausschließlich zu ihrem politischen Vorteil. Ich fürchte, ich kann einen solchen nicht bieten.“ Astrid nahm einen kräftigen Schluck Honigwein. „Ihr überschätzt meinen Marktwert.“

„Ich habe für mich selbst gesprochen.“

„Dann tut es mir leid, dass ich Euch nichts anzubieten habe, mein Herr.“ Und erst recht niemandem, der ganz offensichtlich den Verlust seiner Frau noch nicht überwunden und eben noch verkündet hatte, dass er nie mehr heiraten wolle.

„Das stimmt so nicht.“

Doch bevor sie etwas erwidern konnte, näherte sich ihnen ein Mann. Sein Gesicht war dem von Leif sehr ähnlich. Zwar war sein Haar um einiges dunkler, doch auch in der Größe stimmten beide Männer überein.

Der Neuankömmling begrüßte sie mit einer kurzen Verbeugung und flüsterte Leif anschließend etwas ins Ohr. Sie bemerkte, wie sich sein Blick verfinsterte.

„Bitte entschuldigt mich für einen Moment.“

Erleichterung überkam sie. „Gewiss.“

Als die beiden Männer sich für ein Gespräch unter vier Augen zurückzogen, nutzte Astrid endlich die Gelegenheit und verschwand in der feiernden Menge. Der jüngste Verlauf ihres Gespräches bestärkte sie in dem Gefühl, genau das Richtige zu tun. Leif war nicht nur gut aussehend, sondern auch charismatisch. Diese Kombination war sehr reizvoll, wenngleich nicht ohne Gefahr. Sie wusste wohl, dass sie ihm nicht gleichgültig war. Gleichzeitig war es ziemlich offensichtlich, dass er nur ein kleines Abenteuer suchte. Es gab mit Sicherheit eine Menge Frauen, die sich nur zu gern mit ihm in ein solches gestürzt hätten. Sie war jedoch keine von ihnen. Als sich Leif wenig später umdrehte, war Astrid verschwunden. Er suchte sofort die Menge nach ihr ab, konnte sie aber nirgends finden. Das Gefühl von Enttäuschung und Bedauern machte sich in ihm breit. Nach ihrem letzten Gespräch hatte er nicht den Eindruck, dass sie sich besondere Mühe gegeben hatte, sein Interesse zu wecken. Und doch hatte sie es getan. Wie sehr, das überraschte ihn selbst ein wenig. Es war ganz offensichtlich, dass sie sich ihm nicht leichtfertig hingeben würde. Ihr ausweichendes Verhalten war eine willkommene Herausforderung, die er gerne annehmen wollte.

„Ein hübsches Mädchen“, bemerkte Finn. „Wer ist sie?“

„Die Gefährtin der Königin.“

„Bei Thor, nicht ganz deine Klasse. Weißt du auch, was du tust?“

„Ich weiß genau, was ich tue.“

„Selbst wenn, du betrittst gefährlichen Boden, Bruder. Du wirst dir noch die Finger verbrennen.“

„Deine Sorge rührt mich wirklich.“

„Es ist ja nur, weil ich Ähnliches durchgemacht habe.“

Leif schenkte seinem Bruder ein schiefes Grinsen. „Ich weiß.“

„Jemand muss auf dich aufpassen.“

„Und es gibt niemanden, der das besser könnte als du. Trotzdem, diesen Kampf kämpfe ich allein.“

„Sie hat in dir wirklich ein Feuer entfacht, nicht wahr?“

„Kümmere dich um deinen eigenen Kram.“

Finn lachte. „Ich nehme das mal als ein Ja.“ Er starrte Leif belustigt an und spekulierte munter weiter. „Und erzähl mir nicht, die Dame wäre immun gegen dein gutes Aussehen und deinen unbändigen Charme.“

„Sie hegt genügend Sympathien für mich, sie weiß es nur noch nicht.“

„Ich vertraue da ganz auf deine Überredungskünste. Aber bis es so weit ist, solltest du dich um willigere Weiber kümmern. Die dunkelhaarige Schönheit da drüben beobachtet dich schon den ganzen Abend.“

Leif folgte dem Blick seines Bruders, bis er schließlich die Frau sah, von der Finn sprach. Sie schenkte ihm ein einladendes Lächeln.

„Ich überlasse sie dir“, sagte Leif.

„Aber behaupte später nicht, du hättest keine Gelegenheit gehabt.“

Finn verabschiedete sich und steuerte auf die Menge zu. Einige Minuten später war er ganz in ein Gespräch mit dem Objekt seines Interesses vertieft. Leif beobachtete die beiden eine Weile, leerte schließlich seinen Krug und wunderte sich ein wenig über sich selbst. Die dunkelhaarige Schönheit hätte sich liebend gerne von ihm verführen lassen, er jedoch empfand nichts als Gleichgültigkeit. Noch vor wenigen Tagen wäre diese Frau vor ihm nicht sicher gewesen. Er wandte sich ab und beschloss, sich doch noch einen Krug Honigwein zu genehmigen.

Astrid lag noch lange wach. Sie konnte die Gedanken an die Verwicklungen dieses Abends einfach nicht abschütteln. Sie war wirklich nicht versucht, sich amourösen Ausflüchten hinzugeben, außerdem hatte Leif seinen Standpunkt ziemlich deutlich gemacht. Er hatte kein Interesse an der Ehe. Hätte sie ihn in seinem Werben ermutigt, wäre sie jetzt seine Geliebte, nicht aber seine Frau. Nicht, dass sie auch nur eine der beiden Optionen für sich in Betracht zog. Vor nicht allzu langer Zeit hätte ihr der Gedanke, einen solchen Mann zu heiraten, wahrscheinlich gefallen. Da Frauen an einer Ehe so oder so nicht vorbeikamen, war es nur verständlich, dass alle Mädchen einen attraktiven, vor Männlichkeit strotzenden Bräutigam bevorzugten. Früher hätte sie sicher keinen dieser Aspekte infrage gestellt. Jetzt tat sie es. Natürlich hatten ihre Zweifel keinerlei Gewicht. Selbst wenn sie ihre Vorstellungen laut geäußert hätte, man würde sie nicht erhören. Ihr persönliches Glück wäre ohnedies das Letzte, woran ihr Onkel bei einer Vermählung denken würde. Da konnte ihr Bräutigam auch alt, hässlich oder grausam sein, vielleicht alles zusammen, und trotzdem würde es für Einar keinen Unterschied machen. Der Jarl wollte sie verheiratet wissen, egal wie und wenn nötig, dann auch mit Gewalt.

Ein lang gehegter Groll erwachte in ihr, und sie versuchte, sich eine Welt vorzustellen, in der eine Frau in dieser Sache selbst und frei entscheiden konnte; eine Welt, in der sie sich nicht ausschließlich dem Willen eines mächtigen Mannes unterwerfen musste. Dieser Gedanke gefiel ihr.

Indes wäre jede weitere Spielerei mit Leif Egilsson eine Katastrophe. Sie hatten schon viel zu viel Zeit miteinander verbracht, und sie wollte unbedingt vermeiden, dass er diesen Umstand als Zugeständnis und sie selbst womöglich als potenzielle Eroberung sah. Aber das sollte für sie keine Rolle mehr spielen. Sie waren lediglich Bekannte, und der Abschied würde nicht lange auf sich warten lassen, schließlich gingen die Feierlichkeiten bald zu Ende. Diese Erkenntnis wurde von einem Gefühl der Erleichterung getragen, und doch spürte sie auch einen Anflug von Reue. Leif war ein stattlicher, sympathischer Mann, der aus allen anderen Männern herausstach. Sie ahnte, dass es nicht leicht sein würde, ihn zu vergessen.

3. KAPITEL

Zwei Tage später reisten die ersten Gäste ab. Jetzt, da die Hochzeitsfeierlichkeiten beendet waren, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch der Rest von ihnen aufbrechen und der Alltag wieder einkehren würde.

Astrid wandte sich um, hatte jedoch nicht vor, in die Halle oder ihr Gemach zurückzukehren. Stattdessen machte sie sich auf in die entgegengesetzte Richtung. Ein kleiner Spaziergang würde sicher dabei helfen, ihre Stimmung ein wenig aufzuhellen. Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie den Mann gar nicht bemerkte, bis sie fast mit ihm zusammenstieß. Als sie erkannte, um wen es sich handelte, hätte sie am liebsten auf der Stelle kehrtgemacht – aber dafür war es jetzt zu spät.

Leif lächelte sie an. „Was für eine angenehme Überraschung.“

„Eine Überraschung, mein Herr?“

„Nun gut, ich muss gestehen, dass ich Euch gefolgt bin. Oder vielmehr habe ich beobachtet, welchen Weg Ihr einschlagt, und dann eine Abkürzung genommen.“

„Warum?“

„Mir fehlte Eure Gesellschaft.“

„Das ist schwer zu glauben.“

„Es ist wahr. Außerdem hatten wir noch nicht die Gelegenheit, unsere Unterhaltung der letzten Nacht zu beenden.“

„Ich glaube schon.“

„Wenn ich Euch irgendwie verletzt haben sollte, dann tut es mir aufrichtig leid.“

„Vergesst es.“

„Ich wünschte, das wäre so einfach. Ich habe an nichts anderes mehr denken können.“ Er zögerte kurz. „Wir müssen reden, Astrid.“

Ihr Pulsschlag schnellte in die Höhe, als er sie beim Namen nannte. „Alles Nötige wurde bereits gesagt.“

„Mitnichten.“

Er betrachtete sie unablässig. Sie seufzte. Da es ganz offensichtlich nicht möglich war, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, schien ihr die Möglichkeit, ihn sein Anliegen vorbringen zu lassen, gleichzeitig der einfachste Weg, ihn wieder loszuwerden. „Na schön.“

„Ich möchte mich bei Euch entschuldigen, sollten meine Manieren bei unserem letzten Treffen zu grob gewesen sein. Sie sind das traurige Ergebnis eines Lebens, das ausschließlich unter kämpfenden Männern stattgefunden hat. Ich bin einfach völlig aus der Übung, wenn es darum geht, sanftere Töne anzuschlagen.“

„Ja, das seid Ihr, aber das spielt keine Rolle.“

„Nun, einige Dinge sagt man am besten geradeheraus.“

„Dann sprecht.“

„In wenigen Tagen werde ich zu meinen Ländereien nach Vingulmark aufbrechen. Ich habe das Gebiet in die verantwortungsvollen Hände eines Verwalters gelegt, und doch gibt es viele Angelegenheiten, die meine Anwesenheit verlangen.“

Diese Neuigkeiten setzten eine Flut ungeahnter Gefühle in Astrid frei. Sie begriff jetzt, dass sie ihn weit mehr vermissen würde, als sie es sich hatte eingestehen wollen. „Ja, das verstehe ich.“

„Kommt mit mir.“

Sie starrte ihn an. „Wie bitte?“

„Kommt mit mir, Astrid.“

„Ihr müsst völlig verrückt sein.“

„Vielleicht bin ich das. Was ich aber weiß, ist, dass ich Euch nicht zurücklassen möchte, dass ich Euch bei mir wissen will.“

Er legte seine Arme um ihre Taille und war ihr jetzt sehr nah. Sie konnte seine Wärme spüren, seinen Duft riechen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als er sich ihr näherte. Seine Lippen berührten jetzt die ihren, streiften sie ganz sanft. Dieser flüchtige Kuss ließ sie innerlich erbeben. Mit Furcht jedoch hatte das nicht das Geringste zu tun. Der Kuss wurde jetzt fordernder, verführerischer, bis sie ihren Mund schließlich öffnete und sich ganz dem zärtlichen Spiel ihrer Zungen hingab. Es fühlte sich richtig an und unendlich gefährlich zugleich. In ihr wurden Empfindungen wach, von denen sie nicht einmal wusste, dass sie existierten.

Noch dichter zog er sie an sich heran, der Kuss wurde immer vertrauter und inniger. Sie konnte seine Erregung jetzt deutlich spüren. Doch plötzlich trat so etwas wie Panik an die Stelle des Verlangens. Astrid verspannte sich und wandte sich ab.

Auch Leif wich einen Schritt zurück, um ihr in die Augen sehen zu können. „Wovor hast du Angst, Astrid? Glaubst du, ich könnte dir jemals wehtun?“

Sie schüttelte ihren Kopf, nicht etwa, um ihm zuzustimmen, sondern um sich die Wahrheit aus dem Kopf zu schlagen. Was er auch beteuerte, natürlich besaß er die Macht, sie tief zu verletzen. Schließlich war sie nicht die Frau, die er wirklich wollte.

„Was ist es dann?“

„Ich werde Euch nicht nach Vingulmark begleiten.“

„Warum nicht?“

„Wie könnt Ihr das überhaupt fragen?“

„Du weißt, was ich für dich empfinde, und ich glaube, dass auch ich dir nicht ganz egal bin.“

„Da liegt Ihr falsch.“

„Du bist eine schlechte Lügnerin, Astrid.“

„Ich lüge nicht.“

„Nicht? Dann sieh mich an und sag mir, dass du nichts für mich empfindest.“ Ihre Blicke trafen sich, und sie gab nach. „Ich gebe zu, dass ich Euch sehr schätze, und ich habe Eure Gesellschaft wirklich genossen, aber das mit uns hat keine Zukunft. Und das wisst Ihr genauso gut wie ich.“

„Ich weiß nur, dass ich dich seit unserer ersten Begegnung nicht vergessen kann. Wenn ich wache, denke ich an dich; wenn ich schlafe, bist du in meinen Träumen.“

„Versteht doch, ich kann Euch nicht folgen.“

„Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde dich gut behandeln. Was auch immer du begehrst, du sollst es bekommen.“

„Kannst du mir eine ehrenhafte Vermählung versprechen, Leif?“

„Meiner Erfahrung nach hat die Ehe nichts Ehrbares an sich, darum werde ich dir keine falschen Versprechungen machen.“ Mit festem Blick sah er sie an. „Was das angeht, war ich dir gegenüber sehr offen und aufrichtig.“

„Das ist wahr, und ich bin dir für deine Offenheit sehr dankbar.“

„Ich will deine Dankbarkeit nicht, Astrid. Ich will dich, aber ich will keine Heuchelei zwischen uns. Wenn du mit mir kommst, weißt du, worauf du dich einlässt.“

„Das weiß ich. Ich kann nicht mit dir gehen.“ Denn du liebst eine andere.

„Du musst dich nicht jetzt entscheiden. Nimm dir etwas Zeit. Denk darüber nach.“

„Da gibt es nichts, worüber ich nachdenken könnte. Niemals werde ich die Hure eines Mannes sein.“

Mit diesem Satz ließ sie ihn stehen und eilte davon. Er sah ihr nach und fühlte sich versucht, sie einfach zurückzuholen. Doch im selben Moment wusste er, wie falsch das wäre. Was er von ihr wollte, konnte man nicht erzwingen. Es überraschte ihn, dass er sie noch immer begehrte. Er hatte ihr sein Angebot aus einem spontanen Impuls heraus gemacht und konnte es trotz ihrer kühlen Absage dennoch nicht bereuen. Er hätte besser darauf vorbereitet sein können. Es war lächerlich, dass er sich so getroffen fühlte. Wenig später erreichte Astrid die Gemäuer. Sie nahm die schnaubenden Pferde und die Gruppe von Männern, die vor der Eingangshalle standen, kaum wahr. Sie wollte so lange niemanden sehen, bis sie sich wieder gesammelt hatte. Eilig schlich sie um die Ecke und lief zu ihrem Gemach. Die Begegnung mit Leif hatte sie aus vielerlei Gründen aufgewühlt, und das nicht nur, weil er recht hatte. Er war ihr nicht egal, und sie spürte noch immer seinen Kuss auf ihren Lippen. Jene kurze Umarmung hatte ein derart tiefes Verlangen in ihr geweckt, dass es sie aufrichtig schockierte. Das konnte nur in einer Katastrophe enden, und sie dankte den Göttern, dass am Ende doch noch die Vernunft gesiegt hatte.

Als sie ihr Gemach erreichte, wusch sie sich als Erstes das Gesicht und brachte sodann ihr Haar in Ordnung. Das beruhigte sie und gab ihr das Gefühl, der Welt wieder entgegentreten zu können. Soeben wollte sie ihre Kammer verlassen, als plötzlich Ragnhild in der Tür stand. Sie lächelte, als sie Astrid sah.

„Ich hatte gehofft, dich hier zu finden.“

„Verzeiht mir, ich war spazieren …“

„Dann wirst du es noch nicht gehört haben.“

„Gehört? Was gehört, Hoheit?“

„Dein Onkel ist soeben eingetroffen.“

Astrid starrte sie bestürzt an. „Mein Onkel? Was tut er hier?“

„Ich denke, das wird er dir selbst erzählen. Er möchte dich sprechen.“ Ragnhild machte eine Pause. „Ich wollte dich nur darauf vorbereiten.“

„Vielen Dank, das ist sehr aufmerksam von Euch.“

„Er erwartet dich in der großen Halle.“ Astrid verharrte einen Moment auf der Türschwelle und beäugte die Neuankömmlinge mit Unbehagen. Sie zählte ein gutes halbes Dutzend Männer, die da ihren Durst mit Bier löschten, und hatte keine Mühe, unter ihnen die kräftige Statur ihres Onkels auszumachen. Obwohl er die durchschnittliche Größe eines Mannes nur geringfügig überragte, war er doch sehr kräftig gebaut und erinnerte sie an einen mächtigen Bären. In ihr wuchs eine bange Ahnung. Schließlich atmete sie tief durch und trat ein.

Ihr Onkel bemerkte sie zunächst gar nicht, bis sein Begleiter ihn mit einem diskreten Hüsteln auf sie aufmerksam machte. Er blickte sie an. Mit seinen listigen dunklen Augen musterte er sie kühl und gründlich. Schließlich bekundete ein kurzes, wenngleich etwas widerwilliges Kopfnicken seine Billigung.

„Sieh an, sieh an. Aus dem Entlein ist ein Schwan geworden.“

Sie machte einen höflichen Knicks. „Euer Besuch ist eine unerwartete Freude, Herr.“

„Zweifellos.“

„Darf ich fragen, was Euch hierherführt?“

„Du allein.“

Er leerte seinen Becher und schleuderte ihn einem Diener entgegen. „Ich bin gekommen, um dich nach Vingulmark zurückzuholen.“

Ihr Magen verkrampfte sich. „Herr?“

„Ich habe einen Ehemann für dich gefunden. Du wirst ihn heiraten.“

Ihr war, als habe ihr jemand ins Gesicht geschlagen. Für einen Moment fehlte ihr die Kraft zu sprechen. Sein Blick durchbohrte sie.

„Was starrst du mich an, Mädchen?“

Es gab viele Dinge, die sie hätte sagen wollen, zornige und wohl auch unkluge Worte, die nur eine öffentliche Szene provoziert hätten. Stattdessen versuchte sie, die Fassung zu bewahren.

„Verzeiht mir. Ich … ich war nur so überrascht, das ist alles.“

Er brummte. „Das sehe ich. Dachtest du etwa, ich hätte die ganze Angelegenheit vergessen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: „Ich gebe zu, es hätte schon früher geschehen können, aber ich war mit anderen Dingen befasst. Das Warten allerdings, hat sich gelohnt. Dein zukünftiger Ehemann gehört zur einflussreichsten Familie in ganz Vingulmark.“

In banger Erwartung benetzte Astrid ihre trockenen Lippen. „Dürfte ich seinen Namen erfahren?“

„Aber selbstverständlich. Du wirst Jarl Gulbrand heiraten.“

Sie unterdrückte ihren Unmut und das aufkommende Gefühl von Panik. Ihr Onkel hatte nicht gelogen. Gulbrand war in der Tat von vornehmem Geblüt. Er war mit dem Königshaus verwandt. Obendrein war er Prinz Hakkes Vetter und besaß wie dieser einen tadellosen Ruf auf dem Schlachtfeld.

„Wann soll diese Hochzeit stattfinden?“

„Nächsten Monat.“

„Aber bis dahin sind es ja nur noch zwei Wochen.“

„Zeit genug. Wir reisen morgen ab.“

„Ich kann so schnell nicht fort. Ich habe hier Verpflichtungen.“

Ihr Onkel kniff seine dunklen Augen zusammen. „Du hast hier keine Verpflichtungen mehr. Mach dich bereit zur Abreise.“

Es war entschieden.

Den Kopf voll wirrer Gedanken, flüchtete Astrid aus der Halle. Draußen holte sie Ragnhild ein.

„Es tut mir so leid, Astrid. Für mich war es auch ein Schock.“

„Gibt es denn nichts, was diese Hochzeit verhindern kann?“

„Ich wünschte, es gäbe etwas, aber dein Onkel ist dein Vormund, nicht ich.“

„Könnte der König nicht eingreifen?“

„Er hat darüber genauso wenig Gewalt wie ich.“

Astrid hielt Tränen der Wut zurück. „Dann bin ich wohl endgültig verloren.“

Als sich Leif an diesem Abend in der Halle umsah, war da keine Spur von der Frau, die er zu finden gehofft hatte. Er fragte sich, ob sie womöglich versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen, verwarf diesen Gedanken jedoch wieder, weil auch Ragnhild nicht anwesend war. Wahrscheinlich war Astrid bei ihr. Wo auch immer sie sich aufhielt, die ganze Angelegenheit war frustrierend, wenn er ehrlich war, enttäuschend zugleich. Ihre Abwesenheit warf einen Schatten auf die Ereignisse. Bis dahin hatte er sich nicht zugestehen wollen, wie sehr er tatsächlich hoffte, sie wiederzusehen, mit ihr zu sprechen, um sie doch noch überzeugen zu können …

„Was in Thors Namen macht der denn hier?“

Finns Stimme riss ihn aus seinen Tagträumen. Er folgte dem Blick seines Bruders, der ihn mit ihrem Cousin Erik in die Halle begleitet hatte. Es fröstelte ihn, als er Jarl Einar erkannte, der an einem der anderen Tische saß. Die Besitztümer des Jarls in Vingulmark mochten an Leifs eigene Ländereien grenzen, das war aber auch schon das Einzige, was ihre gute Nachbarschaft ausmachte. Zwar gab es keine offene Feindschaft zwischen ihnen, trotzdem war es wohlbekannt, dass viele von Einars Verbündeten mit dem Königshaus von Vingulmark in Verbindung standen. Die verlorene Schlacht bei Eid musste ein harter Schlag für ihn gewesen sein. Er hatte weder mit einer Niederlage gerechnet, noch voraussehen können, wie sich die Ereignisse im Anschluss entwickelten, als er seine Nichte damals Sigurd Hjort und seiner Familie anvertraute.

„Gute Frage“, antwortete Leif.

„Ich bezweifle, dass es etwas Gutes verheißt.“

„Er wird hier keinen Ärger anfangen, da kannst du dir sicher sein.“

„Gleichwohl ist er kein Mann, dem ich freiwillig den Rücken zukehren möchte“, bemerkte Finn.

„Du bist gut beraten, das auch nicht zu tun“, entgegnete Erik. „Trotzdem hat Leif recht. Einar ist nicht hier, um Streit anzuzetteln. Er ist gekommen, um seine Nichte mitzunehmen.“

„Wohin mitzunehmen?“

„Zurück nach Vingulmark. Scheint, als wolle er sie verheiraten.“

Leif wurde plötzlich blass. „Verheiraten?“

Erik nickte. „So ist es.“

„Woher weißt du das?“, wollte Finn wissen.

„Ingolf hat ein paar von Einars Männern belauscht.“

Finn blickte zu Leif. „Es sieht so aus, als hätten sich deine Hoffnungen mit einem Mal zerschlagen.“

Wie beiläufig griff Leif nach seinem Krug. „Es sieht ganz danach aus.“

„Mach dir nichts draus. Andere Mütter haben auch schöne Töchter.“

„Du sagst es.“

Erik musterte ihn. „Hast ein Auge auf sie geworfen, was?“

Das war zwar eine Untertreibung, aber Leif wollte diese Tatsache nicht bestätigen. Stattdessen zuckte er nur mit den Schultern. „Mal gewinnst du, mal verlierst du.“

„Wohl wahr. Außerdem hat Finn recht. Die Welt ist voll von schönen Frauen.“

Finn grinste. „Erinnerst du dich an diesen Rotschopf in Alfheim …?“

Leif beachtete ihn kaum, er versuchte noch immer zu begreifen, was er gerade eben gehört hatte. Das hatte er nicht kommen sehen. Er hatte auf mehr Zeit gehofft, um Astrid doch noch zu überzeugen. Nicht genug, dass ihm die Zeit davonlief, auch schien ihm sein Ziel jetzt unerreichbar. Das alles setzte in ihm eine ganze Reihe ungewohnter Gefühle frei. Er hatte verloren. Das konnte passieren. Er hatte nur nicht damit gerechnet, dass es ihm so viel ausmachen würde.

Am folgenden Morgen reiste Astrid mit ihrem Onkel und seinem Gefolge ab. Der Abschied war ihr schwergefallen, ganz besonders der von Ragnhild.

„Ich werde dich vermissen, Astrid.“

„Und ich Euch, Hoheit.“

Die Königin umarmte sie und flüsterte ihr mit leiser Stimme zu: „Solltest du mich jemals brauchen, dann weißt du, wo du mich findest. Vergiss das nicht.“ Ragnhild trat zurück und lächelte. „Ich wünsche dir eine gute Reise. Mögen die Götter mit dir sein.“

Damit verließen sie die Halle. Draußen in der kühlgrauen Morgendämmerung warteten die aufgezäumten Pferde. Schweren Herzens stieg Astrid in den Sattel. Sie schaute sich noch einmal um, auf dass sie sich immer an diesen Ausblick erinnern würde, und war doch fest davon überzeugt, diesen Ort und ihre Freundin nie mehr wiederzusehen.

Da erblickte sie Leif.

Er stand nur wenige Meter entfernt mit ein paar anderen Männern zusammen. Für einen kurzen Moment traf sie der Blick seiner blaugrauen Augen, bevor er sein Haupt langsam zum Abschied neigte. Ihr Groll wich nun einer tiefen Traurigkeit und einem seltsamen Gefühl von Verlust. Mit dem letzten Rest an Selbstkontrolle erwiderte sie den Gruß.

„Was tust du da?“

Astrid erschrak, als sie die Stimme ihres Onkels hörte. Für einen Augenblick trat Verärgerung an die Stelle der Trauer, doch sie ließ sich nichts anmerken.

„Nichts tue ich. Ich habe lediglich einem Bekannten meine Achtung gezollt.“

Das war eine doppelte Lüge, wie sie sehr wohl wusste. Dennoch schien sie ihrem Onkel zu genügen. Mit einem Brummen trieb er sein Pferd an.

„Komm. Es ist Zeit zu gehen.“ Leif sah dem davonziehenden Tross mit teilnahmsloser Miene nach. Die anderen Männer taten es ihm gleich.

„Es sieht so aus, als würden jetzt alle abreisen“, sagte Harek.

Bjarni grinste. „Der Kampf ist vorüber, das Fest ist vorüber. Es gibt keinen Grund, noch länger zu bleiben, oder?“

Leif stimmte ihm im Stillen zu, wenn auch aus anderen Gründen. Harek schaute ihn fragend an.

„Was nun, Herr?“

„Wir reiten nach Vingulmark.“

„Gut. Wann?“

„Sobald wir unsere Ausrüstung zusammenhaben. Sagt es den anderen.“

Als sich die Männer aufmachten, verweilte Leif noch ein paar Augenblicke. Die Reiter waren jetzt fast außer Sichtweite. Er lächelte gequält und wandte sich ab. Bjarni hatte recht: Es war vorbei. Es war an der Zeit, nach vorne zu blicken.

4. KAPITEL

Astrid konnte sich später nur noch bruchstückhaft an die Reise erinnern. Was blieb, war ein stetig stärker werdendes Gefühl von Isolation, die Furcht vor einer ungewissen Zukunft und nicht zuletzt ihr Zorn. War es falsch, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen wollte, statt für politische Machtspiele missbraucht zu werden? Und dass sie nicht als Zuchtstute für einen völlig Fremden herhalten wollte? Der Ruf, der Jarl Gulbrand und seiner Sippschaft vorauseilte, verstärkte ihre Bedenken nur noch mehr.

Der einzige Hoffnungsschimmer am Horizont schien Dalla zu sein. Dalla war Dienstmagd am Hofe ihres Onkels und hatte sich um Astrid gekümmert, seit sie das erste Mal vor sechs Jahren dorthin gebracht wurde. Das war noch vor der Zeit an Ragnhilds Hof. Bis auf ein paar Fältchen mehr hatte Dalla sich kaum verändert. Sie begrüßte Astrid mit überschwänglicher Freude.

„Ich weiß, dass Ihr nicht lange bei uns bleiben werdet.“

„Nein, leider“, bestätigte Astrid.

Dalla blickte sie forschend an. „Nun, wir werden Euch den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich gestalten.“

„Dessen bin ich mir gewiss und ich bin so unglaublich froh, dich zu sehen.“

„Das bin ich auch, Herrin. Wer hätte das gedacht?“

„Tja, in der Tat.“

„Ich war mir ganz sicher, dass Ragnhild – ich meine Königin Ragnhild – einen liebevollen Ehemann für Euch finden würde.“

Ganz unvermittelt musste Astrid an Leif denken und seufzte. „Unglücklicherweise ist die Königin nicht mein Vormund.“

„Bestimmt konntet Ihr Euch vor Anwärtern kaum retten, Herrin. Ihr seid zu einer wahren Schönheit herangewachsen, so viel steht fest.“

„Hoffentlich wird mir das einmal nützen.“

„Das wird schon werden. Alles wird gut, ganz sicher.“

Astrid wünschte sich, dass sie diese Zuversicht irgendwann teilen könnte.

Wie Leif es vermutet hatte, gab es tatsächlich einiges, mit dem er sich nach der Ankunft in Vingulmark herumschlagen musste. Ohne seine kontrollierende und starke Hand hatten der Verwalter und einige der Angestellten die Zügel ordentlich schleifen lassen. Mit der Unterstützung von Finn, Erik und gut dreißig anderen Männern, die allesamt an ein Leben voller Tatendrang gewöhnt waren, fegte er die alte Führung über Nacht beiseite, und schon innerhalb weniger Tage ging es in Vingulmark wieder so geschäftig zu wie auf einem Ameisenhaufen.

Leif verlor keine Zeit und machte sich schnellstmöglich mit den Gegebenheiten auf dem Anwesen vertraut. Täglich ritt er mit Finn oder Erik aus, stets begleitet von einigen seiner Männer. Während ein Großteil der Ländereien landwirtschaftlich genutzt werden konnte, gab es auch größere Waldgebiete, ein Umstand, der besonders seinen Bruder Finn begeisterte.

„In dieser Gegend sollte man wunderbar jagen können. Wenn es dir recht ist, werde ich gleich morgen mit ein paar Männern die Wälder erkunden.“

Leif nickte. „Nur zu. Wir könnten tatsächlich ein wenig frisches Fleisch gebrauchen.“

„Willst du uns begleiten?“

„Dieses Mal nicht. Ich muss mich noch um andere Dinge kümmern.“

„In Ordnung“, sagte Finn.

„Und gib Acht, dass du innerhalb unserer Grenzen jagst. Wir wollen keinen Ärger mit den Nachbarn.“

„Jarl Einar?“

„Zum Beispiel.“

„Keine Sorge.“ Finn folgte dem Blick seines Bruders zu dem Fluss, der die nördliche Grenze des Besitzes markierte. „Wo wir gerade von Jarl Einar sprechen, glaubst du, er wird uns zur Hochzeit seiner Nichte einladen?“

Seine Begleiter mussten grinsen.

„Das bezweifle ich aufrichtig“, sagte Bjarni. „Außerdem, willst du wirklich in ein Hornissennest stechen?“

„Noch nicht einmal für ein Freigetränk“, entgegnete Ingolf.

„Recht hast du. Wir wären da so willkommen wie Pocken im Hurenhaus.“

Die Männer lachten, und als sie weiterritten, verschoben sich die Gespräche auf andere Themen. Leif beteiligte sich an keinem von ihnen. Die scherzhafte Frage seines Bruders hatte in ihm ein seltsames Unbehagen ausgelöst. Obwohl er seit seiner Ankunft von morgens bis abends beschäftigt war, gelang es ihm dennoch nicht, Astrid gänzlich aus seinen Gedanken zu verbannen. Sie geisterte irgendwo am Rande seines Bewusstseins herum, nur um mit voller Wucht wieder aufzutauchen, wenn er etwa gerade Heu zusammenharkte oder einen Zaun reparierte. Sie erschien ihm auch in der Nacht, sobald er sich zurückgezogen hatte. Ihre blau schimmernden Augen hielten ihn dann fest in ihrem Bann. In solchen Momenten erinnerte er sich an den kurzen verstohlenen Kuss, an ihren Duft, ihren Geschmack …

„Geht es dir gut?“, fragte Finn.

Leif blickte schnell auf. „Natürlich. Warum?“

„Du wirkst, als wärst du mit den Gedanken ganz woanders.“ Sein Bruder grinste, als er mit seinem Kopf in Richtung der nördlichen Grenze wies. „Vielleicht dort drüben?“

Leifs Antwort darauf fiel kurz und knapp und durchaus beleidigend aus. Finn bog sich vor Lachen.

Astrid war ihrem Onkel so weit wie möglich aus dem Weg gegangen. Die ersten Tage nach ihrer Rückkehr verbrachte sie ausschließlich in ihrer Kammer und in der unmittelbaren Umgebung. Allerdings verstärkte sich das Gefühl der Gefangenschaft zusehends, und so nahm sie sich vor, jeden Tag einen Spaziergang zu unternehmen, damit sie sich wieder an diesen Ort gewöhnte. Ihr Onkel gestattete diese Ausflüge, es waren allerdings immer ein paar seiner Männer in Sichtweite. Sein Vertrauen hatte offenbar Grenzen, ein Umstand, der ihre Laune nicht unbedingt verbesserte. Auch waren die Hochzeitsvorbereitungen bereits in vollem Gange: Ihr Onkel plante diesem Anlass zu Ehren ein großes Fest, das zweifellos auch den edlen Gästen imponieren sollte. Drei ganze Schweine sollten am Spieß gebraten werden, zusammen mit dem Besten vom Reh und Dutzenden von Hühnern. Die Schlachter hatten alle Hände voll zu tun. Die Reusen ihres Onkels würden Karpfen, Schleien und Hechte in Hülle und Fülle liefern. Bäcker wurden angewiesen, Unmengen von Brotlaiben zu backen, und die Brauer stellten literweise Bier und Met her.

Es war jedoch nicht der Gedanke an das Mahl, der Astrid Übelkeit bereitete. Es war der Gedanke an die Hochzeitsnacht, der sie unablässig quälte. Sie schloss die Augen und erinnerte sich plötzlich wieder an die leere Scheune, an ihren Vetter.

Mit offener Hose stand er entblößt vor ihr. Erschrocken und fasziniert zugleich, konnte sie ihre Augen nicht abwenden. „Würdest du diese Lanze gerne in dir spüren?“ Er grinste sie an. Entsetzt schüttelte sie den Kopf und wollte schon davonlaufen, als er sie festhielt. „Komm schon, du willst es doch auch.“ Doch sie beugte sich hinunter und biss ihm in die Hand. Er fluchte. Endlich löste sich sein fester Griff, und es gelang ihr, sich zu befreien.

Sie hatte nie wieder davon gesprochen.

Jedes Wort hätte einen Aufruhr provoziert, und ihre Aussage stand nun mal gegen seine. Seither versuchte sie, ihrem Vetter aus dem Weg zu gehen. Wenn sich ein Zusammentreffen gar nicht vermeiden ließ, so stellte sie sicher, dass sie nicht mit ihm alleine war. Diese Art von Ekel war schwer abzuschütteln. Es war die Zeit, die ihr half, diesen Vorfall immer besser zu verdrängen.

Sie wusste nicht genau, warum diese Erinnerung sie gerade jetzt wieder einholte. Vielleicht, weil man schon wieder etwas von ihr erzwingen wollte. Aus ihr war eine erwachsene Frau geworden, die genug Erfahrung hatte, um zu begreifen, dass die Ehe zum Leben dazugehörte. Und das war auch gut so, solange es ein gegenseitiges Einvernehmen gab. Die Vorstellung allerdings, wie ein Gegenstand behandelt zu werden, war etwas völlig anderes und widersprach ihrem Instinkt. Ihrem Onkel war das völlig gleichgültig. Er besaß die Macht über ihr Schicksal und würde sicherlich Wege finden, sie gefügig zu machen. Sie musste Gulbrand heiraten. Sie hatte keine Wahl.

Keine Wahl? Zum mittlerweile hundertsten Male erinnerte sie sich an ihr letztes Gespräch mit Leif. Wenn du mit mir kommst, weißt du, worauf du dich einlässt. Noch vor Kurzem hatte sie in Bezug auf die Ehe einen hohen moralischen Standpunkt eingenommen und von Ehrbarkeit gesprochen. Aber es war dieselbe Institution, die nun von ihrem Onkel missbraucht werden sollte, indem er sie mit Gulbrand verheiratete. Und auch sie trug mit ihrem Einverständnis einen Teil dazu bei. Leif wäre amüsiert, wenn er davon wüsste. Tränen brannten in ihren Augen. Er hatte ihr nichts versprechen wollen, was er nicht halten konnte, und ihre gemeinsame Zeit würde eh nur von kurzer Dauer sein. Ich folge dem Kurs der Wale. Dennoch, sie war sich fast sicher, dass auch nur wenige Monate mit Leif viel wertvoller waren, als ein ganzes Leben mit Gulbrand. Wenn sie nur noch einmal wählen könnte …

Das entfernte Geräusch von Hufschlägen riss sie aus ihren Gedanken. Überrascht beobachtete sie die Ankunft einer ganzen Schar von Reitern. Es waren mindestens fünfzig. Die Entfernung war zu groß, als dass sie Genaueres hätte erkennen können. War Gulbrand vielleicht früher angereist? Auch wenn sie sich mit den Konsequenzen nicht auseinandersetzen wollte, so war es ihr doch wichtig, dass sie es zumindest schnell herausfand. Sie versteckte sich hinter dem Brauhaus, von dem aus sie die Ereignisse unbemerkt verfolgen konnte, und wartete.

Die Kolonne kam immer näher, die Helme und Speere warfen das grelle Morgenlicht zurück. Zweifellos handelte es sich um die Gefolgschaft eines Edelmannes, eines mächtigen Edelmannes. Gulbrand. Der Name fuhr Astrid durch Mark und Bein. Die Hufschläge und das Klirren der Pferdegeschirre wurden immer lauter. Endlich erkannte sie, um wen es sich handelte. Sie zuckte zusammen. Hakke! Auch wenn ihr Versteck sicher war, wich sie ein paar Schritte zurück. Sie wollte unter keinen Umständen seine Aufmerksamkeit erregen. Was, bei allen Asen, will er hier? Sie war nicht so naiv zu glauben, sein Besuch hätte lediglich etwas mit der anstehenden Hochzeit zwischen ihr und seinem Vetter zu tun.

Als die Reiter, die die Kolonne anführten, ihre Pferde vor dem Tor zum Stehen gebracht hatten, stieg Hakke ab. Sogleich eilte Einar seinem Gast entgegen, um ihn zu begrüßen. Die Männer wechselten einige Worte miteinander, bevor sie gemeinsam hineingingen. Die Ereignisse hatten Astrid aufgewühlt, und so beschloss sie, außer Sichtweite zu bleiben und den langen Weg zurück zu ihrem Gemach zu nehmen.

Sie ging gerade hinter der Webhütte vorbei, als ein Diener vor ihr auftauchte. Astrid blieb sofort stehen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Der Mann verneigte sich.

„Verzeihung, Herrin.“

Das Herz schlug ihr bis zum Halse. Sie kannte diese Stimme. Das war unmöglich. Sie musste träumen. Verwirrt betrachtete sie das schlichte Gewand ihres Gegenübers, doch das Gesicht, welches unter der Kapuze hervorlugte, gehörte zweifellos zu dem Lächeln, mit dem der Mann sie jetzt begrüßte. Sie zitterte.

„Leif! Was machst du hier?“

„Ich musste dich sehen.“

Sie blickte ängstlich über ihre Schulter, in der Hoffnung, dass niemand sie zusammen sah. „Du musst völlig verrückt geworden sein.“

„Vielleicht. Aber alles, was ich weiß, ist, dass ich dich nicht vergessen kann. Ich musste einfach herkommen.“

„Das war ein furchtbarer Fehler.“

„So furchtbar nun auch wieder nicht.“

„Woher um alles in der Welt hast du gewusst, wo du mich findest?“

„Ich beobachte diesen Ort hier schon seit ein paar Tagen. Ich habe einfach auf eine günstige Gelegenheit gewartet, mit dir zu reden.“

„Hier ist es viel zu gefährlich für dich.“

„Dann wäre es dir also nicht egal, wenn man mich schnappt?“

„Natürlich wäre es das nicht. Wie kannst du nur … “ Sie blickte sich erneut um, konnte aber niemanden entdecken. Ihre Erleichterung mischte sich jetzt mit einer Fülle an zärtlichen Gefühlen für ihn.

„Das wollte ich nur wissen.“ Er kam ihr jetzt ganz nah und ließ seine Hände sanft über ihre Hüften gleiten.

Ihr Herz schlug immer schneller. „Bitte sage mir einfach, was du zu sagen hast, und dann verschwinde von hier, solange du noch kannst.“

„Willst du Gulbrand heiraten?“

„Was ich wünsche oder nicht wünsche, spielt für meinen Onkel keine Rolle. Diese Verbindung ist das Einzige, was ihm am Herzen liegt.“

„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“

Sie spürte einen Kloß in ihrem Hals und wandte sich um.

„Astrid?“

„Nein, ich will ihn nicht heiraten.“

„Dann tu es nicht.“ Er wartete kurz. „Mein Angebot steht noch immer.“

„Das ist nicht fair, Leif.“

„Nicht fair ist das, was Männer wie Einar und Gulbrand mit dir machen. Dein Onkel wird dich schnellstmöglich verheiraten – wenn du es ihm erlaubst.“

„Bei dir hört es sich so an, als hätte ich irgendeine Wahl.“

„Du hast eine Wahl, du musst sie nur treffen.“

Sie atmete tief ein und versuchte verzweifelt, die aufbrandende Fülle an Gedanken und Gefühlen zu sortieren. Sie war zerrissen zwischen Furcht und Hingabe. Es war noch nicht allzu lange her, da hatte sie befürchtet, ihn nie wiederzusehen. Jetzt stand er endlich vor ihr, bot ihr eine Perspektive, eine Zukunft, und sie zögerte immer noch? Das machte keinen Sinn. Entweder vertraute sie ihm jetzt oder nie. Bislang war er immer ehrlich zu ihr gewesen. Nun musste sie ehrlich zu sich selbst sein.

„Dann wähle ich dich.“

Für einen Moment wurde Leif ganz still. Beinahe hätte man glauben wollen, dass ihn ihre Wahl überraschte. Er küsste sie. Es war wie eine zärtliche Begrüßung, die sie bis in die kleinste Pore zu spüren vermochte. „Ich fühle mich geehrt.“

„Was nun, Leif?“

„Jetzt muss ich mich darum kümmern, dass wir dich sicher von hier fortbringen.“

„Wohin willst du gehen?“

„Zu meinem Anwesen in Agder.“

„Über den Landweg?“

„Nur bis zur Küste. Von dort werden wir ein Schiff nehmen.“

„Wenn sie uns finden …“

„Das werden sie nicht. Dein Onkel wird nie erfahren, wo du bist.“

„Es geht nicht nur um ihn, Leif. Prinz Hakke ist heute angereist, mit einer großen Eskorte.“

Sein Blick verfinsterte sich. „Hakke, hier? Bist du ganz sicher?“

„Ziemlich sicher. Ich würde ihn mit geschlossenen Augen erkennen.“

„Das hat uns gerade noch gefehlt.“

„Mir gefällt das auch nicht. Die Hochzeit sollte erst in fünf Tagen stattfinden. Was macht er jetzt schon hier?“

„Halte deine Ohren offen und sieh zu, was du herausfinden kannst.“

Sie nickte.

„Sobald ich alles arrangiert habe, wird man es dich wissen lassen“, fuhr er fort. „Spätestens in zwei Tagen.“

„Ich werde bereit sein.“

Er gab ihr einen Abschiedskuss, dann eilte er davon. Astrid blickte ihm nach, bis er zwischen den Bäumen verschwunden war. Schwer lastete die Bürde ihrer Entscheidung auf ihren Schultern. Sie bekam es mit der Angst zu tun, doch gleichzeitig fühlte sich alles so richtig an. Wenn sie jetzt die Gelegenheit bekäme, alles wieder zurückzunehmen, so würde sie es dennoch nicht tun.

Als Leif auf sein Anwesen zurückkehrte, hatte er keine Zeit zu verlieren. Er musste Finn und Erik finden, sie ins Vertrauen ziehen. Staunend hörten sie ihn an.

„Du hast also vor, Gulbrand die Braut zu stehlen?“, fragte Erik.

„So ist es.“

Finn blickte seinen Bruder mit größter Bewunderung an. „Das muss man dir lassen, Leif. Wenn du auf irgendeine verrückte Idee kommst, sind deiner Fantasie keine Grenzen gesetzt, oder?“

„Hier geht es nicht um verrückte Ideen, im Gegenteil. Unser Vorhaben will sorgfältig und akribisch geplant sein.“

„Ich befürchte eher, dass wir am Ende sorgfältig und akribisch hingerichtet werden.“

„Warum?“

„Das Königshaus Vingulmark leidet noch immer unter der Niederlage bei Eid und dem Tod zweier Prinzen. Hakke wurde seiner Braut beraubt und du schlägst nun vor, dasselbe mit Gulbrand zu tun?“ Finn machte eine Pause. „Ist das dein Ernst?“

„Es war mir noch nie so ernst.“

„Ich dachte, du hättest in dieser Sache aufgegeben.“

„Das dachte ich auch, aber wie es aussieht, kann ich das nicht.“ Leif wusste noch immer nicht genau, weshalb er Astrid nicht aufgeben konnte, daher wollte er sich nicht weiter erklären.

Finn seufzte. „Ich nehme mal an, dass nichts, was ich sage, dich umstimmen wird?“

„Nichts.“ Leif zögerte kurz. „Aber ich verstehe, wenn du nicht Teil dieses Plan sein möchtest.“

„Ich bin dein Bruder, Leif. Ich bin bereits ein Teil davon.“

Erik nickte. „Wir sind eine Familie und wir halten zusammen. Außerdem haben wir einst einen Eid auf unsere Schwerter abgelegt.“

„Das haben wir“, bestätigte Finn. „Also gut, wenn du einen Plan hast, wie wir am besten an Einars Männern vorbeikommen, uns die Frau greifen, Hakkes fünfzig Krieger töten und anschließend ohne ein gekrümmtes Haar wieder nach Agder gelangen, so würden wir ihn wirklich gerne hören.“

Leif lächelte schief. „Tatsächlich habe ich schon über einen Plan nachgedacht.“

„Oh, gut. Für einen Moment dachte ich, wir müssten wieder mal improvisieren.“

5. KAPITEL

Zu ihrer großen Erleichterung hatte Astrid ihrem Onkel und seinem Gast noch keine Gesellschaft leisten müssen. An diesem und den beiden folgenden Tagen zogen sich beide meist für geheime Unterredungen zurück. Das passte ihr gut. Seit ihrer Unterhaltung mit Leif hatte sie dieses quälende Gefühl der Anspannung unterdrücken müssen und fürchtete bald, ihr Onkel würde bemerken, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Sollte er ruhig glauben, sie hätte sich mit Gulbrand als Ehemann abgefunden. Wenn die Dinge nach Plan liefen, wäre sie weit weg und in Sicherheit, ehe irgendjemand ihre Abwesenheit bemerkte.

Sie verbot es sich, weiter als bis zum Zeitpunkt ihrer Flucht zu denken. Wenn ihr früher jemand gesagt hätte, dass aus ihr eines Tages eine geraubte Braut würde, die sich freiwillig ihrem Räuber hingibt, so hätte sie das aufrichtig schockiert. Jetzt aber schien genau das der einzig richtige Weg für sie zu sein. Wenn sie schon einem Mann gehören musste, dann sollte es Leif sein, und sie hoffte inständig, ihr Vertrauen in ihn würde nicht erschüttert werden.

Als sie seinem Plan zustimmte, hatte sie ein triumphierendes Lächeln erwartet. Doch nichts dergleichen war geschehen. Seine Reaktion war nicht die eines Mannes, der eine Hure in seine Höhle verschleppt, sondern die eines Edelmannes, der einer Dame den Hof macht. Ob er sie im Bett ebenso behandeln würde? Genau diesen Teil der Abmachung hatte sie bislang zu verdrängen versucht, erfolglos, wie es schien, denn die Zukunft forderte jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie würde sich ihm hingeben und ihm Vergnügen vortäuschen. Der Gedanke an Letzteres setzte ihr schwer zu, weil sie Leif gegenüber aufrichtig sein wollte. Keine Heuchelei. Vielleicht würde es mit der Zeit besser werden. Vielleicht würde sie sich schnell an ihn und ihre neue Rolle gewöhnen.

Ihre Gedanken wurden jäh unterbrochen, als sich plötzlich die Tür öffnete und Dalla auf der Schwelle stand. „Hier geht es unglaublich geschäftig zu, Herrin. Täglich reisen mehr von Hakkes Männern an, und die Hausangestellten rennen herum wie aufgescheuchte Hühner.“

Astrid schluckte. „Noch mehr von Hakkes Männern?“

„Zwei Schiffsbesatzungen wurden gerade gesichtet. Sie werden jede Minute hier sein.“

„Ist Gulbrand unter ihnen?“

„Das weiß ich nicht, Herrin.“

„Könntest du das für mich herausfinden?“

„Natürlich.“ Dalla schüttelte den Kopf. „Es scheint, als würde Euer Onkel diese Hochzeit zu einem der denkwürdigsten Ereignisse des Landes machen wollen.“

Ein leichter Schauer lief Astrid über den Rücken. Ihr Onkel hatte noch nie etwas ohne Hintergedanken getan. Keine Hochzeit rechtfertigte ein so hohes Aufgebot an Männern, dachte sie, und ihre Befürchtungen sollten sich bestätigen, als nur wenige Minuten später die Neuankömmlinge vor dem Tor standen. Astrid und Dalla sahen sich die Kolonne aus sicherer Entfernung an. Speerspitze reihte sich an Speerspitze. Jeder Mann trug ein Kettenhemd und war bis an die Zähne bewaffnet.

„Söldner“, raunte Astrid.

„Was machen die hier?“

„Ich weiß es nicht, aber ich könnte schwören, dass es nichts mit den Hochzeitsfeierlichkeiten zu tun hat.“

Astrid beobachte mit tiefer Besorgnis, wie immer neue Reihen von Bewaffneten aufmarschierten. Die Männer waren ganz sicher keine Anfänger. Es waren ausgewachsene Krieger, erfahrene Kämpfer, die töteten, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Sie vermutete, dass es sich bei der Horde um mindestens hundert Mann handelte. Ihr Anführer war von kräftiger Statur, seine Gesichtszüge roh, fast raubvogelartig, und in seinen dunklen Bart war ein Stück rotes Tuch eingeflochten.

„Das da vorne ist Steingrim“, sagte Dalla. „Der einäugige Wilde zu seiner Rechten ist Thorkill. Die waren schon einmal hier.“

„Nicht gerade die Sorte Mann, der man im Dunklen begegnen möchte.“

„Nicht die Sorte Mann, der man überhaupt begegnen möchte, Herrin. Diese Männer töten und schlachten, weil es ihnen Spaß macht.“

Jetzt, da ihre Dienstmagd das ausgesprochen hatte, was Astrid zuvor nur befürchtet hatte, verfinsterten sich ihre Gedanken rasch. „Mit diesen ganzen Männern und den Männern, die Hakke hat kommen lassen, beherbergen wir eine kleine Armee. Was hat er nur vor?“

„Nichts Gutes, vermute ich.“

„Sieh zu, dass du etwas herausfindest, Dalla.“

Es war schon später Nachmittag, als die Dienstmagd zurückkehrte. Ihr Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.

„Ihr hattet recht. Ihre Ankunft hat nichts mit Eurer Hochzeit zu tun. Sie sind hier, um einen Vernichtungsfeldzug zu führen.“

„Was sagst du da?“

„Ein paar von ihnen haben sich ganz offen darüber unterhalten. Sie können es kaum erwarten, wie scharfe Hunde an der Leine.“

Eine grausame Vorahnung beschlich sie. „Einen Vernichtungsfeldzug gegen wen, Dalla?“

„Gegen Leif Egilsson und seine Sippschaft. Es sieht so aus, als hätte der Prinz noch eine Rechnung mit ihm offen.“

Astrid wurde blass. „Wann?“

„Noch heute Nacht.“

Für wenige Augenblicke verschlug es Astrid die Sprache. So etwas wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Damit wurde das ganze Ausmaß an Hakkes Niedertracht offenbar. Der pure Gedanke an ihn widerte sie an, und die Sorge um Leif raubte ihr fast den Verstand.

„Das darf nicht passieren.“

„Was wollt Ihr dagegen unternehmen, Herrin?“

„Zuerst müssen wir Leif und seinen Männern eine Nachricht überbringen, sie warnen.“

Dalla hob zweifelnd eine Augenbraue. „Das ist nicht ungefährlich.“

„Einst war es Leif Egilsson, der mir einen Dienst erwies. Das hab ich nicht vergessen.“ Das war nur ein Teil der Wahrheit, doch das musste reichen. Alles andere war viel zu kompliziert, sie verstand es ja selbst kaum.

„Wenn der Prinz oder Jarl Einar herausfinden, dass …“

„Sie werden es nicht herausfinden, wenn wir vorsichtig sind. Ein Mann könnte ungesehen die Mauern verlassen und die Nachricht überbringen.“ Astrid machte eine Pause. „Alles, was ich brauche ist jemand, dem ich absolut vertrauen kann.“

„Ich kenne da eine Person: Ari, den Stallknecht. Er ist eigenbrötlerisch, aber absolut vertrauenswürdig. Vielleicht ist er bereit, uns zu helfen.“

„Wir dürfen keine Zeit verlieren. Geh und frag ihn.“

Als die Magd davongeeilt war, blickte Astrid durch die offene Tür auf den Gang hinaus und bemerkte, dass der Nachmittag zum Abend geworden war. Sie atmete tief ein. Sie musste jetzt ruhig bleiben. Niemandem wäre mit Panik geholfen. Wenn es ihr nur gelänge, Leif eine Nachricht zu übermitteln, dann würde vielleicht alles gut werden. Zugegeben, ihr Vorhaben liefe dann etwas anders ab als geplant, aber niemand könnte sie mehr aufhalten. Außer natürlich, Leif entschied sich gegen sie und für eine Schadensbegrenzung. Das wäre immerhin möglich. Sie hielt ihn nicht für einen Mann, der seine Versprechen leichtfertig brach, und trotzdem blieb ein Risiko. Es wäre so viel einfacher für ihn, die eigene Haut zu retten. Außerdem konnte es ihm letztlich egal sein, ob sie Gulbrand heiratete oder nicht. Ein Mann wie Leif würde problemlos eine neue Geliebte finden. Sie biss sich auf die Lippen. Würde er Wort halten? Würde er kommen, um sie zu holen?

Zwanzig Minuten später kehrte Dalla zurück. Sie nickte, als Astrid sie fragend anschaute.

„Er ist einverstanden.“

„Den Göttern sei Dank. Ich sorge dafür, dass er angemessen belohnt wird“, sagte sie erleichtert.

„Lasst uns hoffen, dass die Warnung sie rechtzeitig erreicht“, erwiderte Dalla.

Leif griff nach einem Brotlaib und brach sich ein gutes Stück davon ab. Der Tag an der frischen Luft hatte ihn hungrig gemacht. Abgesehen von den üblichen täglichen Pflichten, hatte er jetzt ganz andere Pläne in die Tat umzusetzen. Dass dies überhaupt möglich war, war zu einem Großteil seinem Bruder, seinem Vetter und nicht zuletzt einer gut aufgestellten Mannschaft zu verdanken. Und wenn es trotzdem jemanden gab, den ihr plötzlicher Aufbruch überraschte, so schwieg er beharrlich. Auch seine Männer setzten gewissenhaft und ohne Diskussionen ihre Vorbereitungen fort. Sie waren geübt und kamen sehr zügig voran. Auch hatte man bereits ein paar vertrauenswürdige Männer ausgewählt, die Verantwortung für die Ländereien in der Zwischenzeit zu übernehmen. Alles, was er jetzt noch tun musste war, sich Astrid zu holen.

Ihre Entscheidung, nun doch mit ihm fortzugehen, überraschte ihn noch immer. Er war ihr gegenüber aufrichtig gewesen, was ihre gemeinsame Zukunft anging, und trotzdem wollte sie lieber mit ihm gehen, statt Gulbrand zu heiraten. Eine sehr mutige Entscheidung. Für Leif warf sie dennoch einige Fragen auf. War er für sie nur das geringere von zwei Übeln? Er wollte lieber nicht darüber nachdenken. Die Antwort darauf würde er ohnehin nur allzu bald erfahren. Der Gedanke daran machte ihn einigermaßen nervös. Es gab nichts und niemanden, den er in diesem Moment so sehr begehrte wie sie. Wurde eine Frau umso interessanter, je größer das Risiko war, sie zu erobern?

Plötzlich ließ ein kräftiger Windstoß die Fackeln auflodern. Leif blickte auf. Es war Trygg, der die mächtigen Eichentüren der Haupthalle aufgestoßen hatte und nun vor ihm stand.

„Ein Bote ist soeben angekommen, Herr. Ein Mann namens Ari. Er behauptet, er habe wichtige Neuigkeiten.“

Leif runzelte die Stirn und senkte seinen Krug. „Lass ihn herein.“

„Was in Hels Namen kann ein Bote zu dieser Stunde wollen?“, fragte Finn verärgert.

„Gute Frage.“

Die Gespräche am Tisch verstummten, und den übrigen Schildgefährten drängte sich dieselbe Frage auf. Sie blickten einander ratlos an. Doch bevor einer von ihnen etwas sagen konnte, hastete Ari durch die Halle und auf die Tafelrunde zu.

„Meine Herrin Astrid schickt mich, Herr, um Euch eine Warnung zu übermitteln.“

„Was für eine Warnung?“

„Steingrim ist mit einer mächtigen Truppe von Kriegern auf dem Weg hierher.“

In der Halle war es totenstill geworden, und alle Augen richteten sich auf den Boten. Leif warf ihm einen finsteren Blick zu.

„Steingrim ist auf dem Weg hierher?“

„Jawohl, Herr. Sie werden noch heute Nacht angreifen und jeden töten, der ihren Weg kreuzt.“

Die Männer am Tisch blieben stumm, und für einige Momente war das Knacken der brennenden Holzscheite das einzige Geräusch, das die Halle füllte.

Leif sah den Boten scharf an. „Wie hat Eure Herrin davon erfahren?“

„Steingrims Männer haben ganz offen darüber gesprochen.“

„Wie viele Männer hat er?“

„Zwei eigene Schiffsmannschaften, Herr, dazu hat ihm Thorkill eine dritte unterstellt.“

Die jüngste Nachricht erzeugte ein wütendes Gemurmel bei den Männern, sie wollten es nicht glauben. Leif presste seine Zähne aufeinander, als er das Ausmaß der drohenden Katastrophe begriff. Und damit war er nicht allein.

„Hakke wird wohl niemals aufgeben“, sagte Finn.

Erik blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Wir hätten diesen heimtückischen Bastard töten sollen, als wir die Gelegenheit dazu hatten.“

„Wir werden eine zweite Chance bekommen“, warf Leif ein. „Wenn nicht, schaffen wir uns selbst eine. Bis dahin sind wir in der Unterzahl, fünf zu eins.“

„Klingt nach schlechten Aussichten. Was unternehmen wir dagegen?“

„Wir haben keine Wahl. Wir müssen hier weg.“ Leif dachte nach. „Aber wir werden uns trennen. Auf diese Weise kann uns Steingrim nicht folgen, ohne seine Truppe selbst teilen zu müssen.“

Finn nickte. „Das gibt uns die Möglichkeit, sie zu stellen, wenn wir bereit sind.“

„Und“, fuhr Leif fort, „wir werden dafür Ort und Zeit festlegen, sobald wir mehr Schwertkämpfer rekrutiert haben.“

Als nun jeder der Männer begriffen hatte, was ihnen bevorstand, trat auf ihre Gesichter der Ausdruck stillen Einverständnisses.

„Ich trommle meine Männer zusammen und mache mich auf in Richtung Alfheim“, verkündete Finn. „Wir haben Freunde dort.“

„Und ich gehe nach Hedemark“, sagte Erik. „König Sigelac schuldet uns mehr als einen Gefallen. Es wird Zeit, einen von ihnen einzufordern.“ Er warf Leif einen schnellen Blick zu. „Und du?“

„Agder.“

„Agder? Aber hattest du nicht damals gesagt, du würdest nie mehr …“

„Ich weiß, aber es geht nicht anders. Ich werde dort genügend Krieger finden.“

„Zweifellos.“

„Meldet euch, wann immer ihr könnt.“ Leif hielt inne. „Und jetzt legt eure Waffen an und bereitet euch auf die Abreise vor.“

Die Männer taten wie ihnen geheißen und ließen die Reste des abendlichen Mahls liegen. Finn blieb plötzlich stehen. Er blickte sich im Saal um, als versuche er, jedes einzelne Detail noch einmal aufzunehmen, von den gemeißelten Säulen bis zu den rußgeschwärzten Sparren. „Wir haben uns diesen Ort so hart erkämpft, und Steingrim wird ihn in nur einer Nacht dem Erdboden gleich machen.“

„Es gibt nichts, was man nicht wieder aufbauen könnte“, entgegnete Leif. „Der Tag wird kommen, an dem wir in den Kampf ziehen.“

„Wenn es so weit ist, werde ich Steingrim die Kehle durchschneiden.“

„Ich werde dich daran erinnern.“

Innerhalb kürzester Zeit waren die Krieger bewaffnet und bereit aufzubrechen. Leif umarmte seinen Bruder innig, ebenso seinen Vetter Erik.

„Lebe wohl, Vetter. Wir werden uns bald schon wiedersehen, so die Götter wollen.“

Erik nickte und klopfte ihm auf die Schulter. „Möge Odin mit dir sein.“

Sodann schwangen sich beide auf ihre Pferde, hoben zum Abschied die Hand und ritten davon. Leif wandte sich seinen Schildträgern zu. „Und ihr macht unser Schiff, die Seeschlange, klar. Bringt sie über die Landzunge nach Gulderfoss. Ich werde euch dort treffen.“

Seine Männer blickten ihn erstaunt an.

„Wohin gehst du?“, wollte Thorvald wissen.

„Es gibt noch etwas, das ich erledigen muss. Es wird nicht lange dauern.“ Leif sah den Boten an. „Ari, du wirst mich begleiten.“

Mit diesen Worten riss er die Zügel herum und ritt in die Nacht. Thorvald schaute ihm noch einen Moment nach. Dann wandte er sich seinen Männern zu.

„Also schön. Ihr habt gehört, was er gesagt hat. Auf geht’s.“

Leif brachte sein Pferd zum Stehen und besah sich die Umrisse der Gebäude, die den Besitz von Jarl Einar ausmachten. Die meisten von ihnen lagen im Dunkeln, lediglich die große Halle wurde von lodernden Fackeln beleuchtet. Üblicherweise hätte er den Lärm von zechenden Männern erwartet. Doch in dieser Nacht war es unnatürlich still. Er sah seinen Begleiter an.

„Finde deine Herrin und sage ihr, dass sie mich an gewohnter Stelle treffen soll.“

Ari blickte sich ängstlich um. „Das ist alles sehr gefährlich, Herr. Wenn man Euch hier findet …“

„Das ist der letzte Ort, an dem man mich vermutet. Außerdem haben die Bewohner in dieser Nacht anderes zu tun.“

„Aber, Herr …“

„Keine Widerrede – und sei verschwiegen, wenn dir dein Leben lieb ist.“

Während Ari auf die Gebäude zuritt, stieg Leif von seinem Pferd und band es an einen Baum. Er lockerte das Schwert in der Scheide, nahm eine kurze Abzweigung und erreichte schließlich die Rückseite der Webhütte, in deren Schatten er Deckung fand. Die Stille wurde immer lauter, fast schien es ihm, als sei dieser Ort schon lange verlassen. Hakke musste wirklich jeden verfügbaren Mann für seine nächtliche Mission ausgesandt haben. Ob er mit ihnen gegangen war? Und wo war Jarl Einar? Irgendetwas sagte Leif, dass beide noch hier waren und auf Nachricht von Steingrim warteten. Er grinste finster. Unwillentlich hatten sie ihm geholfen, Astrid zu befreien. Wenn sie es bemerkten, wären die Vögelchen längst ausgeflogen.

Astrid war über alle Maßen erleichtert, als Ari ihr vom Erfolg seiner Mission berichtete. Hakkes Plan war also gescheitert. Im schlechtesten Fall würden seine Schergen ein verlassenes Anwesen niederbrennen. Leif und seine Männer würden ihren Kampf an einem anderen Tag aufnehmen. Und trotzdem, ihr Aufbruch zog weitere, unmittelbare Konsequenzen nach sich. Sie versuchte, ruhig zu bleiben.

„Hat Jarl Leif mir eine Nachricht gesandt?“

„Jawohl, Herrin. Er erwartet Euch bereits an gewohnter Stelle, wie er sagte.“

Das Herz schlug ihr bis zum Halse. Er hatte sie also nicht verlassen. Er hat Wort gehalten. Rasch steckte Astrid dem Boten eine Belohnung zu, dankte ihm und entließ ihn. Hastig blickte sie sich um. Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass die Luft rein war, eilte sie in Richtung Webhütte. Als sie ihr Ziel wenig später erreichte, schlich sie sich an der Wand entlang bis hin zur äußersten Ecke.

„Leif?“

Sie hauchte mehr, als dass sie flüsterte. Aus der Tiefe des nächtlichen Schattens trat eine Gestalt hervor.

„Ich bin hier.“

Der blasse Mondschein spiegelte sich schwach im Eisen des Kettenhemdes und in den silbernen Armringen. Die Erleichterung, ihn endlich wiederzusehen, war so groß, dass es fast schmerzte. Gleichzeitig pochte ihr Herz voll wilder Erregung.

„Du bist gekommen.“

„Hast du daran gezweifelt?“

„Nein, aber ich wusste nicht, ob es dir überhaupt möglich wäre.“

„Ich halte meine Versprechen.“ Er machte eine Pause. „Außerdem schulde ich dir Dank für deine Warnung. Damit bist du ein großes Risiko eingegangen.“

„Ich bin nur froh, dass sie dich noch rechtzeitig erreicht hat.“

„Rechtzeitig genug. Meine Männer sind fort und in Sicherheit.“

„Den Göttern sei Dank.“

„Und wir sollten uns auch beeilen.“ Er fasste sie zärtlich bei den Schultern. „Willst du immer noch mit mir gehen?“

Die Berührung durchfuhr sie wie ein warmer Schauer. Seine Nähe nahm ihr jede Angst. „Natürlich.“

„Du kannst deine Meinung noch ändern. Es ist noch nicht zu spät.“

„Ich habe mich bereits entschieden.“

„Dann lass uns hier verschwinden. Ich habe mein Pferd bei den Bäumen hinter der Scheune angebunden.“

Leif nahm sie bei der Hand und führte sie den Weg zurück. Als sie an den Fenstern ihres alten Gemachs vorbeigingen, befiel sie ein kurzes Bedauern, dass es ihr nicht möglich war, sich von Dalla zu verabschieden. Doch ihre Flucht duldete keinen Aufschub, und so eilten sie voran. Immer wieder blickte sie sich um, weil sie fürchtete, von Einars Männern entdeckt zu werden. Es war so still überall, fast ein wenig zu still. Sie zitterte und wollte nur noch fort von hier.

Leif blieb kurz stehen und blickte sie an. „Geht es dir gut?“

Sie nickte. „Ja, es geht mir gut.“

„Dann komm.“

Sie liefen jetzt so schnell sie konnten, bis sie endlich den Wald erreichten. Astrid atmete erleichtert auf. Leif ergriff ihre Hand, und der feste aber zärtliche Druck gab ihr das Gefühl von Geborgenheit.

Autor

Michelle Willingham
Michelle schrieb ihren ersten historischen Liebesroman im Alter von zwölf Jahren und war stolz, acht Seiten füllen zu können. Und je mehr sie schrieb, desto mehr wuchs ihre Überzeugung, dass eines Tages ihr Traum von einer Autorenkarriere in Erfüllung gehen würde. Sie besuchte die Universität von Notre Dame im Bundesstaat...
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