Historical Herzensbrecher Band 6

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IN DEN HÄNDEN DES EROBERERS von TERRI BRISBIN
Lady Fayth trifft die Wahrheit wie ein Schlag. Sie muss den normannischen Eroberer Giles Fitzhenry heiraten. Wenn sie sich weigert, wird ihr Volk leiden. Als Erbin von Taerwood setzt Fayth alles daran, ihr Land zu beschützen - und ihren neuen Ehemann auf Abstand zu halten. Vergebens! Denn jeder Blick in seine strahlend blauen Augen zieht sie stärker in seinen Bann. Doch wie weit darf sie gehen? Schließlich unterstützt sie heimlich seine ärgsten Feinde!

BALLADE DER LEIDENSCHAFT von CAROL TOWNEND
Atemlos blickt Rose ihren Jugendfreund Benedict an. Sie soll ihre Heimat, die Bretagne, verlassen, um in England einen Ritter zu heiraten, und Benedict hat angeboten, sie unterwegs zu beschützen. Aber was könnte ihr gefährlicher werden als die Nähe dieses charmanten Spielmanns? Tatsächlich weckt sein Kuss bald ein brennendes Verlangen in ihr. Doch sie darf ihre Zukunft als ehrbare Lady keinesfalls für einen Abenteurer riskieren!


  • Erscheinungstag 20.12.2019
  • Bandnummer 6
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759445
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Terri Brisbin, Carol Townend

HISTORICAL HERZENSBRECHER BAND 6

PROLOG

Hastings, England

14. Oktober 1066

Der Herzog der Normandie ließ seinen Blick über die weiten, wogenden Felder schweifen, die sich vor ihm ausbreiteten, und nickte seinen Heerführern zu. Er fühlte sich zufrieden wie eine satte Katze bei dem Gedanken, dass er all das, was sein Auge erblickte, nun als König beherrschte – all das und noch so viel mehr. Viel, viel mehr. Freudige Erregung überkam ihn, als er sich die Gesichter der Witan vorstellte, der höchsten angelsächsischen Amts- und Würdenträger, nun da er ihren gesalbten König und dessen Heerscharen besiegt hatte. Erst das Räuspern der Männer gemahnte ihn daran, dass noch einige Aufgaben vor ihm lagen. Die Schlacht um England schritt zu seinen Gunsten voran, war aber noch nicht geschlagen.

William wandte sich um und begegnete den erwartungsvollen Blicken seiner Heerführer, die ein wenig abseits von ihm und seinem Zelt standen. Diese Männer und alle, die als Fußsoldaten, berittene Ritter und Bogenschützen unter ihnen kämpften, warteten auf seine Befehle. Und auf die Entlohnung für die gelungene Invasion. Schon scharten sich die Aasgeier um das Schlachtfeld, um sich an den Toten und Sterbenden gütlich zu tun.

„Es wird Tage dauern, bis das Schlachtfeld geräumt ist“, sagte Vater Obert, Williams Geistlicher.

„Die dort …“, William nickte in Richtung der Männer aus Normandie, Bretagne, Frankreich sowie aus den Provinzen Poitou und Maine, die sich vor seinem Zelt sammelten, „scheinen aber nicht gewillt, tagelang zu warten, Obert.“

William stellte seinen Trinkbecher auf dem Tisch ab und streckte die Hand nach dem Pergament aus, das Obert für ihn vorbereitet hatte. In dem Schriftstück waren die wichtigsten englischen Güter und Festungsanlagen aufgeführt, zusammen mit den Namen der Männer, die in den Genuss von Williams Großzügigkeit kommen sollten. Sofern er, William, dem zustimmte. Er überflog die Liste. Mit einigen der Namen hatte er bereits gerechnet; dann jedoch las er welche, an deren Stelle er eher die seiner engsten Ratgeber und Befehlshaber erwartet hätte.

„Wer ist der Mann, der namenlose Krieger mit solchem Lohn bedacht sehen will?“ William hatte so eine Ahnung, wer das sein könnte. Aber bevor er Land und Titel an irgendwelche Nichtskönner vergab, wollte er zumindest begreifen, warum er das tat.

„Wie immer, Sire, ist es der Bischof, der darüber wacht, dass Eure Interessen gewahrt werden.“ Obert wich Williams Blick aus, indem er den Kopf neigte.

Odo. Williams Halbbruder und Bischof von Bayeux. Er hätte gleich merken müssen, wessen Handschrift diese Liste trug.

„Ah, der Bischof, stets um mein Wohlergehen bemüht.“ Die Worte, treffend und doch von leichtem Spott durchzogen, entlockten Obert ein abfälliges Schnauben. Obert entging kaum eine der Intrigen, die das Leben bei Hofe färbten – und die von der Normandie mit nach England übergesetzt waren. Es war einer der Gründe dafür, dass Obert unerlässlich für ihn war. „Das dürfte all denen gegen den Strich gehen, die lange Jahre schon an meiner Seite stehen und Leib und Leben für mich riskiert haben. Nur um nun mit ansehen zu müssen, wie ihnen die saftigsten Bissen vor der Nase weggeschnappt werden“, wandte William ein.

Drei Namen fielen ihm ins Auge, und er wusste, dass selbst die Väter dieser Männer die Entscheidung beanstanden würden. Wobei die Beanstandung natürlich in höfliche Worte gehüllt daherkäme, auf dass nicht der eigentliche Grund für den väterlichen Groll durchschimmere – dass sie nämlich das Land für sich selbst oder zumindest ihre legitime Nachkommenschaft wollten und es nicht ihren Bastarden gönnten. William lächelte, offenbar recht grimmig, denn Obert wich zurück und blieb stumm. Das war selten der Fall angesichts einer so offenen Einladung, seine Gedanken frei auszusprechen.

„Gewiss habt Ihr einen guten Rat für mich, Vater“, versuchte William Obert die Worte zu entlocken, die diesem auf der Zunge liegen mussten.

„Mylord, es ist nicht im Geringsten gesichert, dass die betreffenden Güter überhaupt eingenommen werden können. Vermutlich wird es sogar überaus gefährlich sein. Gut möglich, dass der Versuch, sie in Eurem Namen zu beanspruchen, mit dem Leben bezahlt wird. Welch ein Risiko es doch für Eure treuesten Untergebenen darstellen würde, das Leben ihrer Nachkommen derart aufs Spiel zu setzen.“

William richtete sich zu seiner vollen Größe auf, sodass sein Kopf fast das Zeltdach berührte, und nickte. „Eine interessante Sichtweise, Obert“, entgegnete er. Dann ging er zur Zeltklappe, hob sie an und bat die Wartenden mit einer Geste herein. „Und ein überzeugendes Argument, dass auch die lautesten Stimmen zumindest für eine Weile ruhig stellen sollte.“

„Ganz wir Ihr meint, Euer Gnaden.“ Obert trat neben ihn, und gemeinsam warteten sie darauf, dass die edelsten, reichsten und mächtigsten unter Williams Getreuen eintraten. „Warum einen legitimen Erben für ein solch riskantes Unterfangen opfern, wenn ein Bastard genauso geeignet ist?“

Jeder andere hätte solche Worte nicht überlebt, und viele hatten in der Vergangenheit bereits erfahren, wie teuer sich William derlei Bemerkungen bezahlen ließ. Obert aber sprach die Worte mit einer Ironie aus, die William nur zu gut verstand – die Worte gingen von Bastard zu Bastard. Ihrer beider Leben und Position fußte auf eben diesem, von Obert formulierten Argument. William blickte auf die Gefallenen, die auf dem Schlachtfeld zu Haufen aufgeschichtet wurden, und nickte. Seine Männer nannten diesen Ort bereits jetzt Senlac, Blutsee. Und es würde noch sehr viel mehr Blut fließen, bevor er, William, ganz England beherrschte.

Dem Boden unter ihm war es egal, ob das Blut, das er trank, adelig war oder nicht. Den Sand interessierte es nicht, ob der Mann, dessen Leben in ihm versickerte, einen Titel oder auch nur einen Namen besaß. Der Erde zu seinen Füßen war es völlig gleich, ob William einen gerechten Krieg focht oder nicht.

Und auch ihm war es gleich – ihm, William, Herzog der Normandie, einem Bastard, einem Sieger, einem Eroberer. Nur der Erfolg zählte jetzt, und wenn die Männer auf Odos Liste alles zu gewinnen und nichts zu verlieren hatten, dann sollte es so ein. Er verschränkte die Arme vor der Brust und nickte Obert zu, der daraufhin den Beschluss verlas.

Erfolg zählte im Krieg. Nicht Blut.

1. KAPITEL

Sprecht die Worte aus, und Ihr werdet Witwe sein, noch bevor Ihr Gemahlin geworden seid!“, raunte Giles Fitzhenry, zum Ritter erhobener Krieger König Williams, ihr drohend ins Ohr.

Aus der tiefen Wunde über seinem Auge rann ihm Blut über das Gesicht und troff auf die Schulter der Dame, die er hielt. Auf die Erbarmungslosigkeit seines Griffs hatte das jedoch keinen Einfluss. Es würde ihn nur ein Lächeln kosten, ihr die Kehle zuzudrücken, und er schwor erst im Stillen und dann laut, dass er es tun werde, wenn sie das Ehegelübde ausspräche. Giles wandte sich zu der inzwischen verstummten Menschenmenge in der kleinen Kapelle um, sodass das Messer sichtbar wurde, das er der Dame an die Seite hielt – womit er noch einmal deutlich machte, dass sie sterben würde, wenn irgendjemand versuchen sollte einzugreifen.

Seine Braut bewegte sich mit ihm und griff nach seiner Hand, als könne sie ihn so aufhalten. Lady Fayth of Taerford hätte vor seiner Ankunft besser über die Folgen ihres Tuns nachgedacht. Bevor so viele seiner und ihrer Männer dem Kampf um die Burg – und um sie – zum Opfer gefallen waren. Giles nickte Roger zu, woraufhin dieser dem Verbündeten der Dame das Schwert an die Kehle hielt und nur noch auf Lady Fayths Antwort wartete.

„Burg und Ländereien gehören nun mir, so wie Ihr, Mylady. Welche Worte Ihr wählt, entscheidet lediglich darüber, ob er langsam oder schnell stirbt.“ Giles beobachtete, wie die Frau in seinen Armen Blicke mit dem Mann wechselte, der einige Schritte entfernt von Roger festgehalten wurde.

Giles spürte, wie ihr Körper nachgab, noch bevor sie ihre Kapitulation in Worte fasste. Mit all seiner Willenskraft versuchte er, nicht auf die weichen, weiblichen Rundungen in seinem Arm zu achten. Er lockerte seinen Griff für einen kurzen Moment und senkte das Messer, um der Dame Gelegenheit zu geben, ihre Wahl zu treffen. „Also, wollt Ihr ihn statt meiner zum Gemahl nehmen?“, fragte er laut.

„Nein.“ Ihre leise Stimme klang rau in der Totenstille, die sich über die Kapelle gelegt hatte.

Daraufhin umringten Giles’ Männer das Volk und drängten es aus der Kirche. Ohne Lady Fayth gehen zu lassen, nickte Giles erst Roger zu, dem nach ihm Ranghöchsten seiner Männer, und dann dem Mann, den Lady Fayth sich als Gemahl erkoren hatte. „Tötet ihn.“

Der Geistliche protestierte laut, aber die Soldaten beachteten ihn nicht, sondern schickten sich an, Giles’ Befehl auszuführen. Die leise Stimme von Lady Fayth war es, die Giles innehalten ließ.

„Mylord“, setzte sie an und wand sich, um ihm in die Augen blicken zu können. Da sein Griff sie nach wie vor wie Eisenzwingen umschloss, erreichte sie damit nur, dass sein Blut sich noch mehr auf ihrem Umhang verteilte. Erst als Giles seinen Griff lockerte, konnte sie lauter sprechen.

„Ich flehe Euch an, Mylord, ihn trifft keine Schuld, bitte glaubt mir. Habt Erbarmen, Mylord, ich bitte Euch.“ Sie ließ den Kopf nach hinten sinken und bot sich damit seinem Zorn selbst als Opfer dar.

Später würde er sich einzureden versuchen, dass er nur nachgab, weil er dem Blutvergießen ohnehin ein Ende hatte setzen wollen. Er würde sich einreden, dass er den Mann eigentlich gar nicht hatte töten wollen, der sich sicherlich nur von seiner Braut hatte umgarnen und auf ihr Geheiß hin zu dem törichten Plan hatte verleiten lassen, Giles’ Recht auf sie wie auch auf das Anwesen anzufechten. Die Wahrheit aber war, dass er ihr in diesem einen Moment, als ihre Blicke sich trafen, kaum eine Bitte hätte abschlagen können. Hörbar atmete er aus und nickte.

„Bringt ihn und seine Männer zur Grenze meines Grund und Bodens und lasst sie frei“, sagte er für alle vernehmlich. „Und sollten sie künftig auch nur ein einziges Mal in Versuchung kommen, Fuß auf meinen Grund und Boden zu setzen oder sich meiner Gemahlin zu nähern, dann tötet sie, ohne zu zögern.“

Nachdem Roger den Gefangenen aus der Kapelle gezerrt hatte, entließ Giles Lady Fayth aus seinem Griff. Sie rang noch nach Atem, als Giles sie auch schon einem seiner Männer zustieß. Er hatte viel zu tun und keine Zeit, sich weiter mit ihr abzugeben.

„Sucht einen Ort, an dem sie sicher verwahrt ist.“

Fayth fasste sich an die Kehle und wandte sich um, als wolle sie noch etwas einwenden, schwieg dann aber. Ein blutiger Abdruck entstellte ihren Hals, und Giles wusste, dass dort, wo seine schwerterprobten Hände auf ihrer weißen Haut gelegen hatten, Blutergüsse entstehen würden. Doch jede Spur von Mitgefühl schwand, sobald er zwei seiner Männer tot im hinteren Teil der Kapelle entdeckte.

Als Giles erneut ihrem Blick begegnete, sagte der Hass, der im dunklen Grün ihrer Augen blitzte, mehr, als Worte es vermocht hätten. Grimmig lächelte Giles ihr zu und nahm damit die stumme Herausforderung an.

„Niemand legt Hand an sie, es sei denn, auf mein Wort hin“, sagte er.

Aye, jawohl, Mylord“, entgegnete der Soldat, der Lady Fayth mit sich zog.

Nachdem Giles die Kapelle begutachtet und sichergestellt hatte, dass man sich um die Toten und Verwundeten kümmerte, schritt er zum Wohnturm, um sein neues Zuhause in Augenschein zu nehmen.

Das Blut an ihr roch metallisch. Fayth spürte es klebrig an ihrem Hals, wo Sir Giles’ raue Hände sie umklammert hatten. Es war, als habe er auf diese Art und für alle sichtbar seinen Besitz markiert. Fayth brannte die Kehle und ihre Brust schmerzte von seinem festen Griff. Während sie von seinen Soldaten über den Hof geführt wurde, sah sie, wie man Edmund und seinen Männern Ketten anlegte. Fayth stemmte sich gegen ihren Wärter und blieb stehen, wagte es jedoch nicht, Edmund etwas zuzurufen. Nachdem die Gefangenen in Ketten gelegt waren, zerrten die Soldaten sie über den Hof und durchs Tor hinaus.

Würde sie Edmund je wiedersehen? Würde der neue Lord, ihr künftiger Herr, Wort halten und die Männer gehen lassen? Bei dem Gedanken, ihren Freund aus Kindertagen nie mehr lebend wiederzusehen, musste Fayth gegen Tränen ankämpfen. Wenigstens sein Leben hatte sie retten können, doch damit waren nun alle fort, die sie einst beschützt hatten – und sie stand den Eindringlingen allein gegenüber.

Ein Tumult in der Nähe riss Fayth aus ihren Gedanken, und entsetzt sah sie, wie die Bediensteten und Leibeigenen des Anwesens in dem Gehege zusammengetrieben wurden, in dem für gewöhnlich die Pferde standen. Männer, Frauen und Kinder – Sir Giles’ Männer durchstöberten systematisch ein Gebäude nach dem anderen und zwangen alle, die sie fanden, sich auf dem Hof zu den anderen zu gesellen.

Wollte Sir Giles sie etwa alle töten? Die Menschen riefen angstvoll ihren Namen, die Augen vor Furcht geweitet. Aber was konnte sie schon tun? Sie war doch selbst eine Gefangene.

Als aber einer der normannischen Soldaten die junge Tochter des Kochs zu Boden stieß, konnte Fayth nicht länger tatenlos zusehen. Mit einer Kraft, die sie selbst überraschte, befreite sie sich aus den Klauen ihres Wärters, lief hinüber zu der jungen Ardith und stieß den Soldaten beiseite, fort von dem Mädchen. Sie half Ardith auf die Füße und schickte sie hastig fort. Gerade als ihr Wärter sie erreichte und Ardiths Angreifer wieder auf die Beine kam, wandte Fayth sich um.

Der Mann, der das Mädchen belästigt hatte, stieß Flüche in normannischem Französisch aus, zu grob und zu schnell, als dass Fayth etwas verstanden hätte. Er packte sie vorne am Umhang, bis ihr Gesicht nur noch wenige Zoll von dem seinen entfernt war. Wut flammte in seinen Augen auf, weil sie ihn bei etwas unterbrochen hatte, das er als sein Recht als Eroberer ansah. Er hob die Faust und holte aus. Sie versuchte, dem Schlag auszuweichen, indem sie sich zur Seite neigte, aber sein Griff war unerbittlich.

In ihrem Kopf explodierte Schmerz, und dann wurde es Nacht um sie.

Vom Fenster seines neuen Gemachs aus betrachtete Giles das Durcheinander unten im Hof. Der großzügige Raum verfügte über einen Kamin, einen Abtritterker und ein Fenster, das den Hof und das Tor überblickte. Die meisten Bewohner der Anlage waren bereits in einem Pferch zusammengetrieben worden, und nur ein paar Nachzügler wurden noch gebracht. Giles’ Männer hatten nun das Tor und alle Wege in ihrer Gewalt, die zum Anwesen führten.

Sie hatten sich den Weg von Hastings vorbei an London bis nach Westen freigekämpft. Dieser Landstrich hatte Harold gehört, dem Earl of Wessex, der bis zu seinem Tod in der Schlacht bei Hastings König von England gewesen war. William hatte auf Eile gedrängt, um ein paar Flüchtige zu verfolgen, die dem Schlachtfeld entkommen waren und nun den Widerstand gegen den normannischen Herzog und rechtmäßigen Herrscher über England organisieren würden. Aus Tagen wurde eine knappe Woche, in der sich beide Seiten ein Scharmützel nach dem anderen lieferten, bis sie schließlich das Lehen erreicht hatten, das Giles versprochen worden war.

Obgleich Giles die Kunde vorausgesandt hatte, dass er kommen werde, um das Anwesen für sich zu beanspruchen, hatten die Lady of Taerford und ihre Verschwörer die hastige Vermählung beinahe zu einem Abschluss gebracht. Giles hatte Taerford gerade noch rechtzeitig einnehmen können. Er lächelte grimmig.

Nun war es sein.

Der Wohnturm war nicht sonderlich groß, genügte aber seinen Ansprüchen. Er verfügte über drei Stockwerke mit mehreren Privatgemächern und einem separaten Küchengebäude. Wohnturm, Küche, Kapelle und verschiedene Wirtschaftsgebäude wurden von einer Palisade umschlossen. Diese war nicht besonders hoch, stellte Giles jedoch zufrieden und würde ihren Zweck erfüllen, bis er das Holz, wie William angeordnet hatte, durch eine Steinmauer ersetzt hatte.

Giles streifte die Kettenhaube ab und sah sich nach etwas um, mit dem er die Blutung stillen konnte. Auf dem Bett fand er ein kleines Leinentuch. Er presste es auf die tiefe Kopfwunde und ging zum Fenster zurück, um nachzusehen, ob seinen Anweisungen Folge geleistet wurde. Zu seinem Leidwesen stellte er fest, dass die Dinge ganz und gar nicht so liefen, wie er befohlen hatte.

Der neueste Soldat in seinem Gefolge hielt ein junges Mädchen fest, und selbst aus dieser Entfernung war die Absicht des Mannes eindeutig. Verflucht sei er! Giles hatte derlei Übergriffe ausdrücklich untersagt, aber dieser Stephen hatte schon während des Kampfes alle Selbstbeherrschung über Bord geworfen, und nun hatte er es ganz offensichtlich auf das Mädchen abgesehen. Giles stürmte aus dem Gemach und die Treppe hinab und erreichte den Hof gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Lady Fayth einschritt.

Bevor Giles ihm Einhalt gebieten konnte, hatte Stephen Lady Fayth schon so fest gepackt, dass er sie buchstäblich von den Füßen hob. Giles befahl ihm laut, sie sofort loszulassen, doch der Lärm im Hof schluckte die Worte. Er rannte los, als Stephen bereits die Faust hob und sie Lady Fayth mit so viel Kraft ins Gesicht donnerte, dass diese bewusstlos zu Boden sank. Mit voller Wucht ließ Giles sich gegen den Soldaten prallen und brachte ihn zu Fall. Ohne auf die Gaffenden zu achten, prügelte er auf den Mann ein, bis jemand ihn wegzerrte.

„André!“, rief er einer der Wachen zu. „Bring Lady Fayth in meine Gemächer. Henri, suche ihre Kammerfrau oder eine Heilerin und sieh zu, dass sie versorgt wird. Und –“, fügte er hinzu, während er sich das erneut fließende Blut von den Lippen wischte, „weiche ja nicht von ihrer Seite.“ Er wandte sich Stephen zu, der immer noch zu seinen Füßen lag. „Ungehorsam und Unbeherrschtheit waren immer schon deine größten Schwächen“, fuhr er ihn an. „Ich habe dich schon einmal gewarnt, aber anscheinend hast du meine Warnung einfach in den Wind geschlagen.“

Giles befahl, Stephen auf die Beine zu helfen, seinen Oberkörper zu entkleiden und ihn an den Zaun zu binden. Eine unheimliche Stille legte sich über den Hof. Alle sahen zu, wie ihr neuer Herr einen der seinen maßregelte. Giles hätte viel darum gegeben, die Strafe nicht hier und jetzt ausführen zu müssen, aber auf Ungehorsam aus den eigenen Reihen musste er sofort antworten, insbesondere in Kriegszeiten. Von seinem Stellvertreter Roger nahm er die Peitsche entgegen. Er tat es nicht leichten Herzens, hatte er doch selbst schon zu spüren bekommen, wie scharf die Hiebe ins Fleisch schnitten. Er aber hatte seine Lektion schnell gelernt und das Leder danach nur noch selten zu spüren bekommen.

Er schritt zum Zaun und ließ seinen Blick über das Volk in der Umfriedung und schließlich über seine Männer gleiten. „Für die Missachtung meiner Befehle wird dieser Mann mit zehn Peitschenhieben bestraft. Zähl mit, Thierry.“

Giles entrollte die Lederschnur und ließ sie durch die Luft schnellen. Viele der Umstehenden zuckten bei dem Knall zusammen, obwohl die Peitsche ihr Opfer noch gar nicht getroffen hatte. Giles trat ein paar Schritte zurück und vollzog dann die von ihm verhängte Strafe. Laut und für alle vernehmlich zählte Thierry mit. Bei jedem Schlag zog Stephen scharf die Luft ein, doch weder schrie er noch krümmte er sich. Bei zehn angekommen, ließ Giles von ihm ab und atmete tief durch.

„Und dafür, dass dieser Mann Hand an Lady Fayth gelegt hat, erhält er zehn weitere Hiebe.“

Diese Ankündigung überraschte die Anwesenden; Giles hörte, wie einige erstaunt nach Luft schnappten. Erneut hob er den Arm und ließ die Peitsche zehn weitere Male niederfahren. Stephens Selbstbeherrschung schwand, bei jedem Hieb stöhnte er auf. Niemand der Umstehenden rührte sich, als es vorbei war, bis Giles schließlich nickte.

„Bindet ihn los, aber lasst ihn dort liegen. Wenn alle Arbeiten erledigt sind, kann sich meinetwegen jemand um seine Wunden kümmern.“

Er sah seinen Männern fest in die Augen, wandte sich um und ging. Zwei seiner Soldaten banden Stephen los und kehrten dann zu den Aufgaben zurück, bei denen der Vorfall sie unterbrochen hatte – und die sie nun wegen der Dummheit und den Gelüsten ihres Kameraden mit einem Mann weniger erledigen mussten.

Giles blickte auf. Die Sonne, bemerkte er, hatte ihren höchsten Stand noch nicht erreicht. Schweiß und Blut rannen ihm übers Gesicht und sickerten unter Kettenhemd und Tunika. Seit kurz nach Sonnenaufgang hatte er gekämpft und war erschöpft. Er stellte noch sicher, dass seine Männer die Situation auf dem Hof im Griff hatten, dann winkte er Thierry zu, ihm in den Wohnturm zu folgen.

Die Tage, die er damit verbracht hatte, sich quer durch England zu kämpfen, hatten ihre Spuren hinterlassen. Giles wünschte sich nichts sehnlicher als ein sicheres Heim, ein heißes Bad und etwas zu essen. Aber der Zustand des Wohnturms wie auch der Aufruhr, der noch immer überall herrschte, sagten ihm, dass sich diese Wünsche heute wohl kaum erfüllen würden.

Und dann musste er sich auch noch seiner Braut stellen.

Fayth versuchte, die Augen zu öffnen, doch allein schon der Versuch ließ ihren Kopf schier bersten. Sie lag ganz still und wartete darauf, dass die Übelkeit abflaute. Reglos lauschte sie den Schritten in der Kammer, die von einer oder auch mehreren Personen stammen mochten. Fayth wollte erneut die Augen öffnen, aber die Wogen des Schmerzes, die ihren Kopf durchzogen, hielten sie ab.

„Mylady?“ Die wispernde Stimme kam Fayth bekannt vor, aber wem sie gehörte, vermochte sie im Augenblick nicht zu sagen. „Mylady?“

Fayth schluckte, einmal und dann noch einmal, brachte aber kein Wort heraus. Ihr Kopf fühlte sich an, als würde er zerspringen, wenn sie auch nur dazu ansetzte zu sprechen. Doch die Frau, verwünscht sei sie, blieb hartnäckig.

„Ihr müsst aufwachen, Mylady. Er kommt.“

Fayth strich sich mit den Fingern über die Stirn, bis sie die Schwellung spürte. Vorsichtig befühlte sie die Beule und fand in ihr die Erklärung für den Schmerz. Bevor sie die Augen aufschlug, hob sie den Arm, um sich gegen das Sonnenlicht zu wappnen, das hell in die Kammer fiel.

Neben ihr hockte Ardith. Das Gesicht des Mädchens war tränenüberströmt. Panik stand in seinen Augen, während der Blick zwischen Tür und Fayth hin- und herflog. Als die Tür aufging, sprang Ardith auf und wich zur Wand zurück. Fayth folgte ihr mit dem Blick, bis der Schwindel sie erneut übermannte.

„Du solltest dich um ihre Verletzung kümmern. Warum ist sie noch immer mit Blut bedeckt?“

Die Worte, in stockendem Englisch gesprochen, hallten laut durch den Raum. Fayth krampfte sich der Magen zusammen. Ardith brachte vor lauter Angst kein Wort heraus und antwortete nur mit einem leisen Schluchzen. Fayth hätte zu gerne eingegriffen, aber Schmerz und Schwindel machten es unmöglich. Mühsam schaffte sie es schließlich zu sprechen.

„Sie ist mit derlei Aufgaben nicht vertraut“, flüsterte sie und hoffte, dass dieser Einwand genügte. Sofort wogte der Schmerz umso heftiger durch ihren Kopf, und ihr Magen hob sich bedrohlich.

Zum Glück erkannte Ardith, was unausweichlich war, griff einen Eimer, der in der Ecke stand, und hielt ihn Fayth hin, als diese zu würgen begann. Anschließend war Fayth so schwach, dass sie nicht einmal den Kopf heben konnte, und sie hätte in dieser demütigenden Haltung über dem Eimer verharren müssen, wenn nicht zwei starke Hände sie gegriffen und zurück auf die Kissen gelegt hätten.

„Bring das weg“, wies Giles das Mädchen an.

Die Anweisung hatte nicht die gewünschte Wirkung. Ardith kauerte sich lediglich tiefer in die Ecke und zitterte so stark, dass sie beinahe den Eimer, den Stein des Anstoßes, fallen gelassen hätte. Hilflos sah Fayth mit an, wie der Krieger auf das Mädchen zustapfte und dabei auf Normannisch vor sich hinfluchte. Ein Tumult vor der Tür ließ ihn innehalten. Emma kam herein, einen Eimer und saubere Leinentücher in der Hand.

„Mylord“, sagte sie und neigte den Kopf vor Giles, „Ihr verschreckt sie.“ Sie ging um Giles herum und streckte die Hand nach Ardith aus. „Ebenso wie Eure Männer.“

Fayth konnte nichts tun außer zuzusehen, wie ihre alte Magd die Mitbringsel auf dem Tisch ablegte, Ardith den Eimer aus den bebenden Händen nahm und damit zur Tür spazierte, vorbei an einem verblüfften Sir Giles. Dort angekommen, drückte sie den Eimer einem der Soldaten in die Hand und befahl ihm zu gehen. Erst als Sir Giles lauthals loslachte, erwachte der Mann aus seiner Starre.

„Ängstlich scheinst du nicht gerade zu sein, alte Frau. Wie ist dein Name?“

„Emma ist alt, Mylord, bitte …“, flüsterte Fayth. Sie versuchte den Kopf zu heben, um seinen Zorn abzuwehren, der sicherlich folgen würde.

„Alt genug, dass ich Euch den Hintern hätte abwischen können, als ihr noch ein Säugling wart, Mylord“, kam es prompt von Emma, ohne Zögern und ohne jeden Respekt.

Dann stemmte sie auch noch die Hände in die Hüften, was einer Herausforderung gleichkam. Du liebe Güte! Für diese Unverschämtheit würde er sie umbringen. Doch zu ihrem Erstaunen reagierte Sir Giles amüsiert.

„Scheint ganz so, wenn man dein und mein Alter betrachtet.“ Giles lachte und sagte etwas auf Normannisch zu dem Mann, der ihm am nächsten stand. Fayth verstand nichts, weil die Worte geraunt und zu hastig gesprochen waren. Dann war Sir Giles auf einen Schlag wieder ernst. „Lass dir die Heiterkeit nicht zu Kopf steigen, Frau, sie soll dich in deiner Kühnheit keineswegs bestärken.“

Dieses Mal gab Emma sich gefügig und verbeugte sich schweigend. Fayth war an das Gebaren ihrer Magd gewöhnt, aber unter den veränderten Gegebenheiten war nicht auszuschließen, dass selbst harmlos gemeinte Worte und Gesten Anstoß erregten. Nicht dass Emma harmlos war …

„Lady Fayth, gesellt Euch zu mir in die Halle, sobald Ihr Euch dazu in der Lage seht“, befahl Giles auf Englisch, wobei er ihr fest in die Augen sah. „Es gilt Angelegenheiten zu klären, und zwar so schnell wie möglich.“

„Aber, Mylord …“, setzte Emma an.

Mit einer Geste und einem finsteren Blick gebot er ihr zu schweigen. „In der Halle. Hilf ihr, sich herzurichten.“

Emma war so klug, nur zu nicken. Sie ging zum Tisch, um zu tun, wie ihr geheißen. Der neue Lord of Taerford verließ das Gemach und gab im Gehen noch ein paar Anweisungen. Stille füllte den Raum, als sich die Tür hinter ihm schloss. Sobald die drei Frauen alleine waren, beugte sich Emma über Lady Fayth und winkte auch Ardith herbei.

„Ich dachte, er würde dich niederschlagen, Emma. Du darfst ihn nicht verärgern“, mahnte Fayth.

Resolut schüttelte die Magd den Kopf. „Mylady, dieser neue Lord achtet nur den Starken.“ Emma legte einen Arm um Fayths Schultern, um ihr Kraft für das bevorstehende Gespräch zu verleihen. Fayth wusste, es würde schrecklich werden. „Ihr müsst Euch wappnen, Mylady, und seiner Stärke mit der Euren begegnen. Seid so stark, wie Euer Vater das von euch erwartet hätte.“

Fayth wünschte, dass Emmas Zuversicht auch sie von der Wahrheit dieser Worte überzeugen könnte. Aber die fürchterlichen Ereignisse dieses Tages waren ihr noch zu frisch im Gedächtnis; sie auszublenden war unmöglich. Und Sir Giles’ Worte ließen darauf schließen, dass sie und ihr Volk sich noch auf weitere schwerwiegende Veränderungen gefasst machen konnten. Ob Edmund noch lebte? Würde er seine Getreuen um sich sammeln können, um England zurückzuerobern, wie er behauptet hatte?

Fayth war so sehr in ihre Gedanken vertieft, dass es sie vollkommen unvorbereitet traf, als Emma sie aufrichtete. Der Schmerz, den die schwere Kopfverletzung zeitigte, schlug mit voller Wucht zu. Es dauerte mehrere Stunden, bis sie in der Lage war, hinunter in die Halle zu gehen. Fayth war so schwach, dass Emma ihr schließlich zwei Wachen an die Seite rief. Denn, so ermahnte sie ihre Herrin, es sei immer noch besser, die steile Treppe mit fremder Hilfe zu meistern, als sie ohne Hilfe herunterzustürzen.

Ganz darauf konzentriert, einen Fuß vor den anderen zu setzen, sah Fayth den neuen Lord erst, als sie genau vor ihm stand. Auf sein Stirnrunzeln hin ließen die Soldaten Fayth los und traten zurück. Sie glaubte schon, dass der pulsierende Schmerz in ihrem Kopf sie zu Fall bringen würde, da fiel ihr etwas an dem normannischen Ritter auf. Der Siegelring ihres Vaters – der neue Lord trug ihn an einer Kette um den Hals. Nie im Leben hätte ihr Vater den Ring abgelegt.

Der Ring ihres Vaters.

Fayth sah auf und begegnete Sir Giles’ zufriedenem Blick. Er schaffte es auch ohne Worte, seine Position und seine Ansprüche deutlich zu machen.

Ihr Vater war wahrhaftig tot, und alles, was er einst besessen hatte, gehörte nun diesem Mann.

Die Wahrheit drang in ihr Bewusstsein, aber noch wehrte Fayth sich dagegen. Sie streckte die Hand aus, um den Ring an sich zu bringen, doch als sie nach ihm griff, umschloss Giles ihre Hand mit der seinen und drückte sie.

„Er gehört nun mir. So wie die Burg – und Ihr. König William hat mich zum Baron of Taerford ernannt, und jetzt herrsche ich über die Ländereien, die einst Bertram gehörten. Und über einige weitere.“

Zwar hatte sie Emma versprochen, dem neuen Lord mit all ihrer Stärke zu begegnen, aber in diesem Moment verlor Fayth jeden Halt. Die Halle begann sich zu drehen, und Fayth ergab sich dem Schmerz, der nach ihrem Kopf nun auch ihr Herz erfasst hatte.

Ihr Vater – ihr Vater war tot.

2. KAPITEL

Es vergingen drei Tage, bevor sich der Nebel in ihrem Kopf lichtete. Den Mann, der sie gefangen genommen hatte, sah sie in dieser Zeit nicht – zumindest nicht bewusst, wenngleich sie sich dunkel an eine tiefe Stimme zu erinnern glaubte, die sie in der ersten Nacht ein paarmal aus dem Schlaf gerissen hatte. Emma erzählte, ein Aderlasser habe geraten, Fayth nie zu lange schlafen zu lassen, oder ihr Geist werde für immer wirr bleiben. Der pochende Schmerz in ihrem Kopf brachte eine Klarheit mit sich, die Fayth sagte, dass diese Befürchtung nicht eingetreten war.

Sie blieb wachsam, immer von der stillen Furcht besessen, sie könne im nächsten Moment hinunter in die Halle gezerrt und mit diesem normannischen Ritter verheiratet werden. Nein, kein Normanne, sagte sie sich, auch wenn er für William den Bastard kämpfte. Sie rieb sich die Stirn, hinter der Schmerz wütete. Der Ritter stamme aus der Bretagne, hatte Emma ihr berichtet, so wie auch die Männer, die an seiner Seite fochten. Seine Herkunft ließ Fayth jedoch keineswegs aufatmen, denn William der Bastard hatte Ergebene aus allen Teilen des Kontinents um sich geschart, um seinen unrechtmäßigen Feldzug zu führen und England unter seine Herrschaft zu zwingen.

So wie Sir Giles die Burg Taerford unter seine Herrschaft gezwungen hatte.

Eine seiner ersten Anweisungen hatte gelautet, dass Fayth in die Gemächer ihres Vaters zu ziehen habe, da der Bretone Gefallen an den ihren gefunden hatte. Fayth selbst blieb die Tür versperrt; die Wachen hielten sie jedes Mal zurück, wenn sie versuchte, ihre Kammer zu verlassen. Aber Emma durfte sich frei auf dem Gelände bewegen. Ardith blieb meist bei Fayth, denn sie fürchtete, erneut die Aufmerksamkeit des Soldaten zu erregen, der sie vor drei Tagen angerührt hatte. Was Emma zu berichten hatte, ließ darauf schließen, dass Giles le Breton die Burg mit eiserner Hand regierte. Er hatte alle Soldaten ihres Vaters durch seine eigenen ersetzt und ließ sämtliche Arbeiten in der Burg und im Dorf ebenfalls von seinen Männern beaufsichtigen – Fayth hingegen ließ er bei all seinen Entscheidungen außen vor.

Sie blinzelte gegen den Schmerz in ihrem Kopf an, der es ihr unmöglich machte, sich auf die Näharbeit in ihrem Schoß zu konzentrieren. Entmutigt ließ sie das Kleid, das sie gerade flickte, in den Korb zu ihren Füßen gleiten und neigte den Kopf in die eine und dann in die andere Richtung, in dem Versuch, sich Erleichterung zu verschaffen.

„Ardith“, sagte sie und winkte das Mädchen zu sich. „Würdest du mir die Zöpfe lösen? Sie sind so schwer.“

Fayth wandte sich so, dass Ardith sich ans Werk machen konnte. Als das Geflecht gelöst war, ebbte der Schmerz tatsächlich ein wenig ab. Fayth schloss die Augen und ließ den Kopf befreit nach vorne sinken. Das Haar floss ihr nun lose über die Schultern, und Fayth genoss die Leichtigkeit und den nachlassenden Schmerz.

Die Stille um sie her wurde ihr erst bewusst, als Ardith scharf die Luft einzog. Fayth hob den Kopf, und ihr Blick traf den ihres Gefängniswärters. Sie hatte nicht gehört, wie sich die Tür geöffnet hatte, doch es war offensichtlich, dass Sir Giles schon eine Weile dort auf der Schwelle stand.

„Sir Giles.“ Fayth weigerte sich, ihm den Titel des Lords zuzugestehen, den er nun für sich beanspruchte, machte aber immerhin Anstalten, sich zu erheben. „Ich habe Euch gar nicht kommen hören.“

Fayth wies Ardith mit einer Geste an, ihr Haar zu richten. Es mochten ihre Gemächer sein, aber in Gegenwart eines Mannes war es dennoch nicht schicklich, sich mit offenem Haar zu zeigen. Schmerzlich zuckte sie zusammen, da Ardith in ihrer nervösen Beflissenheit die Haare straff zusammenzog, zu einem langen Zopf flocht und mit dem Schleier bedeckte. Als die Magd fertig war, wandte sich Fayth Sir Giles zu.

„Geht es Euch gut, Mylady?“, fragte dieser. Der Akzent seiner tiefen Stimme verriet seine Herkunft.

„Ja, im Gegensatz zu …“, setzte Fayth an, brach dann aber ab, weil ihr aufging, wie nichtig ihre Klagen angesichts derer wirken mussten, die ihr Volk vorzubringen hätte.

„Und Euer Kopf?“ Sir Giles nickte ihr fragend zu. „Schmerzt er noch?“ Er trat näher und reichte einem seiner Männer den Helm, den er unter dem Arm trug.

„Es wird besser“, erwiderte sie reserviert. Im Geiste hörte sie Emmas Rat, sich diesem Mann gegenüber stark zu zeigen. Und obwohl Sir Giles ihr Angst einflößte, war sie sich bewusst, dass sie jetzt die Einzige war, die ihr Volk noch beschützen konnte.

Nun, da ihr Vater nicht mehr da war.

Fayth ließ ihren Blick tiefer gleiten und bemerkte, dass Sir Giles noch immer die Kette mit dem Ring trug – wahrscheinlich nur, um deutlich zu machen, dass ihr Vater tot war und nun er, der bretonische Ritter, hier das Sagen hatte.

Als sie wieder aufsah, hatte sein Blick sich verfinstert. Um seinen Mund lag ein harter Zug, die Spannung in der Luft war greifbar. Dann raunte einer der Männer Sir Giles etwas zu, woraufhin dieser nickte, als sei ihm gerade wieder eingefallen, warum er hier war.

„Da es nun auf der Burg und im Dorf wieder sicher ist, dachte ich, dass Euch vielleicht ein wenig Abwechslung willkommen sein würde“, erklärte er an Fayth gewandt. Seine Stimme klang weder warm noch zuvorkommend. Wieder gab es Geflüster von einem der Männer, woraufhin Sir Giles hinzufügte: „Ich weiß, dass Ihr Euch um Euer Volk sorgt, um unser Volk, und ich möchte, dass Ihr Euch davon überzeugt, dass es den Menschen gut geht, nun da ich …“, er hielt inne und suchte nach den passenden Worten, „… hier bin.“

Obwohl sie sich entschlossen hatte, gegenüber diesem Fremden wachsam zu bleiben, gab Fayth ihre Zustimmung. „Ja, gern, Sir Giles.“

Dieser wies seine Männer mit einer Geste an, die Kammer zu verlassen, und bot Fayth dann seinen Arm an. Nach wie vor trug er seine Rüstung und zeigte damit, dass er sich in der Burg noch immer nicht sicher wähnte. Dieser Gedanke entlockte Fayth das erste Lächeln seit Tagen. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und verspürte dabei freudige Erregung – ein Gefühl, das ihr fremd geworden war, seit sie vom Tod ihres Vaters erfahren hatte.

Der Krieger an ihrer Seite trug zwar den Ring ihres Vaters, aber welchen Anteil er an dessen Tod gehabt hatte, wusste Fayth nicht. So wie er das Land mit der Erlaubnis seines Königs an sich gerissen hatte, lag es allerdings nahe, dass er zumindest eine Mitschuld trug. Doch auch wenn ihrer beider Heimat nicht dieselbe war, so würde ihr Schicksal von nun an dasselbe sein, und Fayth würde ihren Platz in der neuen Ordnung der Dinge finden müssen, die mit der Ankunft des Bretonen aufgestellt war.

Vor der Tür hielt Sir Giles noch einmal inne, um Fayth auf Emma und Ardith anzusprechen. „Die Alte und das Mädchen können sich nun wieder gefahrlos auf der Burg und im Dorf bewegen, Mylady. Ihr müsst Euch um ihre Sicherheit nicht länger sorgen.“

Ohne es auszusprechen, gab er ihr damit zu verstehen, dass der Mann, der ihre Magd angefasst und Fayth bewusstlos geschlagen hatte, kein Risiko mehr darstellte. Hatte man ihn hingerichtet? Sie wusste, dass Ungehorsam in Kriegszeiten durchaus mit dem Tod bestraft werden konnte. War dieser Bretone ein so harter Befehlshaber, dass er dazu fähig war? Sie blieb stehen und blickte ihn an.

„Wie das? Ist der Mann tot?“, fragte sie.

„Nein, tot ist er nicht“, erwiderte Sir Giles. Er ging weiter, und da er ihren Arm hielt, musste sie ihm folgen. „Aber Stephen hat gelernt, mir künftig zu gehorchen.“

Die Kälte in seiner Stimme und die Drohung, die in seinen Worten mitschwang, ließen Fayth erschauern. Über die Treppe gelangten sie ins Erdgeschoss und von dort in den Hof. Fast genau dort, wo sich der Vorfall mit Ardith ereignet hatte, hielt Sir Giles an.

Fayth nutzte die Gelegenheit, um wieder zu Atem zu kommen. Selbst wenn sie sich wohlauf gefühlt hätte, wäre es ihr schwergefallen, mit Sir Giles Schritt zu halten. In ihrer Verfassung aber war es ihr nur deshalb gelungen, weil er sie mehr oder weniger mitgezogen hatte. Nun sog Fayth genüsslich die frische Luft und den Duft der Erde ein, der noch das Aroma des kürzlich gefallenen Regens trug. Die Erntezeit war schon lange vorbei und der magere Ertrag bereits eingeholt worden, als ihr Vater mit dem König aufgebrochen war.

Emma und Ardith folgten Sir Giles und Fayth, zusammen mit drei Soldaten des bretonischen Ritters. Als Fayth wieder zu Atem gekommen war, führte Sir Giles sie in einen der kleineren Nebenhöfe, wo er am Tag seiner Ankunft das Gesinde zusammengetrieben hatte. Menschen waren nun keine mehr da; stattdessen stand dort wieder Vieh, wenn auch weniger als zuvor.

Fayth hob die Hand, um ihre Augen gegen die Sonne abzuschirmen, und ließ ihren Blick bis zum Ende des Hofes wandern. Entlang der Mauer patrouillierten die Soldaten des Bretonen. Am anderen Ende des Platzes arbeiteten dessen Männer Seite an Seite mit dem Gesinde der Burg und schleppten Holz, das für die Reparatur von Palisade und Gebäuden bestimmt war.

„Die Hütte des Schmieds ist während des Kampfes teilweise abgebrannt, und nun wird sie wieder aufgebaut“, erklärte Sir Giles und wies auf das Fleckchen Land, das sich an die Schmiede anschloss.

Wohin Fayth auch blickte, überall bot sich ihr das gleiche Bild. Zwar waren ihre Leute in der Minderzahl, weil viele beim Anblick des Feindes geflohen waren, aber niemand trug Ketten. Und obwohl das Anwesen einen neuen Herrn hatte, schienen die meisten wie früher ihrer gewohnten Arbeit nachzugehen. Als die Menschen von Taerford auf Lady Fayth aufmerksam wurden, hielten sie inne und starrten sie an. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte Sir Giles schon ihre Hand ergriffen und hielt sie hoch.

„Wie ich euch gesagt habe“, rief er so laut, dass alle im Hof ihn hören konnten. „Eure Herrin ist gesund und wohlauf.“

Die Leute riefen ihren Namen, und der Jubel schallte quer über den Hof. Dass diese Menschen so sehr um ihr Wohlergehen besorgt gewesen waren, wärmte Fayth das Herz und erfüllte sie mit Stolz. Überwältigt platzte sie heraus: „Ihr habt mich nur hierher gebracht, um den Menschen zu zeigen, dass Ihr mich nicht umgebracht habt?“

Der bretonische Ritter lächelte amüsiert, und in seinen blauen Augen, sonst so dunkel und durchdringend, blitzte der Schalk.

„Ich habe Euch noch nicht umgebracht, Madame“, erwiderte er so leise, dass nur sie es hörte. Dann beugte er sich zu ihr herunter und flüsterte ihr zu: „Sollte ich herausfinden, dass Ihr noch immer Ränke gegen mich schmiedet, dann könnte es durchaus noch geschehen.“

Seine Worte und der Tonfall jagten Fayth Schauer über den Rücken. Sie versuchte sich einzureden, dass er nur scherzte, aber die Spur von eiskalter Entschlossenheit und noch etwas anderem, etwas seltsam Gefährlichem in seiner Stimme war unmissverständlich. Nicht einen Moment zweifelte sie daran, dass ihr Leben vom Gutdünken dieses Mannes abhing. Fayth trat zurück, so weit sein Klammergriff um ihre Hand es zuließ, richtete sich auf und erwiderte seinen Blick.

„Das sollte Euch einige Mühe kosten, Sir Giles“, entgegnete sie und beobachtete, wie er ihre Herausforderung aufnahm.

Giles raunte dem Mann neben ihm etwas zu und wandte sich dann lächelnd an Fayth. „Ah, Madame, Ihr habt recht – leicht würde es mir nicht fallen.“

Er lachte und ließ endlich ihren Arm los. Hastig verschränkte Fayth beide Hände vor ihrem Schoß. „Kommt, Mylady, hier entlang“, sagte Sir Giles.

Fayth folgte ihm und nutzte den Abstand zwischen ihnen, um den Krieger genauer in Augenschein zu nehmen. Er war groß, selbst für einen Mann, und sein ganzer Körper drückte Stärke aus. Fayth hegte keinen Zweifel daran, dass er unter Kettenhemd und Rüstung so durchtrainiert und muskulös war, wie seine Statur es andeutete.

Er trug das hellbraune Haar länger, als es der normannischen Mode entsprach, für englische Verhältnisse aber immer noch kurz. Kein Bart verbarg seine markanten Züge und sein kräftiges Kinn. Das Blau seiner Augen nahm einen dunklen Ton an, wenn er verärgert war, wie sie bereits erfahren hatte, doch wenn keine üble Laune es trübte, strahlte es hell und klar. Fayth hätte ihn nie als anziehend bezeichnet, aber seine männliche Erscheinung war eindrucksvoll und imposant.

Giles blieb stehen und wartete, bis Fayth zu ihm aufgeschlossen hatte. Da sie zu sehr in seinen Anblick vertieft gewesen war, bemerkte sie erst jetzt, dass sie vor der Kapelle standen. Das niedrige Steingebäude war ihr noch zu gut im Gedächtnis – hier hatte sich die Auseinandersetzung zugetragen, die damit endete, dass sie gefangen genommen und Edmund beinahe getötet worden war. Giles Fitzhenry öffnete das hölzerne Portal und lud Fayth mit einer Geste ein hineinzukommen.

Es kostete sie Überwindung, die Kapelle zu betreten, denn noch immer meinte sie die Schreie der Verwundeten zu hören und den Gestank des Blutes wahrzunehmen. Ihr Hals brannte erneut, als sie sich an die groben Hände erinnerte, die ihre Kehle umklammert und ihr die Luft abgedrückt hatten. Wie nahe sie dem Tode gewesen war …

„Kommt“, sagte Sir Giles und ging ihr voran den Mittelgang entlang. Die Bänke waren wieder aufgestellt und der Boden vom Blut gereinigt worden.

Hinter Fayth stand Emma, die ihre Herrin nun sanft vorwärtsschob, dem Ritter zu folgen. Zwei der Soldaten blieben zurück, postierten sich neben dem Portal und blickten ihr unter den Helmen hervor nach. Wieder lief Fayth ein Schauer über den Rücken und ließ ihren Körper erbeben. Sie folgte Sir Giles den Gang entlang und sah, dass Vater Henry vor dem Altar auf sie wartete. Seiner versteinerten Miene entnahm sie, dass er genauso wenig hier sein wollte wie sie. Und dennoch taten sie beide, was der bretonische Ritter befahl.

Dann stand Fayth neben Sir Giles vor dem Altar. Einige Augenblicke verstrichen, ohne dass etwas geschah, und Fayth wurde immer unruhiger. Als Giles ihre Hand ergriff, traf die Wahrheit sie wie ein Schlag – sie würden hier und jetzt heiraten.

Aber das war unmöglich.

Doch sein durchdringender Blick sagte ihr, dass es keineswegs unmöglich war.

„Mylady, diese Zeremonie wird nicht stattfinden, sofern Ihr nicht aus freiem Willen hier seid“, sagte Vater Henry, und Fayth fragte sich, woher er den Wagemut nahm.

Hatte er ihr mit seinen Worten vielleicht einen Ausweg dargeboten? Würde dem Mann an ihrer Seite ohne ihr Zugeständnis ihr Land und auch sie selbst verwehrt bleiben? Ohne Giles Fitzhenry anzusehen, setzte sie zu einer ablehnenden Antwort an, aber er drückte ihre Hand so fest, dass sie scharf die Luft einzog. Sie wandte sich ihm zu. Mit einem Nicken wies er auf den hinteren Teil der Kapelle.

Dort standen Gesinde und Dorfbewohner, umringt von bewaffneten Soldaten. Die Menschen waren zusammengetrieben worden wie das Vieh, das sie hüteten, und betrachteten stumm das Drama, das sich vor ihren Augen abspielte. Dabei war ihren Blicken verborgen, was Fayth sehr wohl sah – die Krieger hatten ihre Waffen gezückt und würden sie notfalls gegen das Volk richten. Sie wandte sich wieder dem Ritter zu und versuchte, seinem Blick zu entnehmen, wie weit er gehen würde.

„Würdet Ihr wirklich unschuldige Menschen töten?“, fragte Fayth.

„Nein, Mylady. Euer Handeln ist es, das über das Schicksal dieser Menschen entscheidet. Erfüllt Eure Pflicht, und ihnen wird kein Leid geschehen.“

„Und wenn ich meine Einwilligung nicht gebe, was dann?“ Fayth hielt den Atem an. Sie wusste, wie die Antwort lauten würde.

„Dann werde ich im Namen meines Königs dieses Anwesen als das meine verwalten und mir eine andere Frau nehmen.“ Fayth war versucht an einen Scherz zu glauben, doch als sie ihn ansah, wusste sie, dass er es ernst meinte. „Mein Herzog hat befohlen“, fuhr Sir Giles fort, „befohlen, dass wir die Tochter zur Frau nehmen sollen, die wir auf dem jeweils eroberten Anwesen vorfinden. Und wenn es keine solche Tochter gibt, sollen wir uns eine andere Frau suchen.“

„Also würdet Ihr mich hier, im Hause Gottes, vor den Augen meines Volkes hinrichten?“

Sie entzog ihm ihre Hand und verschränkte die Arme vor der Brust. Alles an ihr war Auflehnung. Sir Giles neigte sich ihr zu und kam ihr so nahe, dass sie seinen Atem spürte. Wieder überliefen sie Schauer, aber diesmal waren sie ganz anderer Natur und entsprangen seiner Nähe und der plötzlichen Hitze, die in ihr aufwallte.

„Es besteht kein Grund, Euch hinzurichten, Mylady, denn für eine Dame von Eurem Liebreiz findet sich immer eine Verwendung. Ich wüsste da gleich mehrere“, entgegnete Sir Giles, trat noch dichter an sie heran und hob ihr Kinn, sodass sie seinem Blick nicht ausweichen konnte. In seinen Augen stand plötzlich heißes Verlangen, und noch bevor er antwortete, wusste Fayth, dass ihr nicht gefallen würde, was er vorzuschlagen hatte. „Vielleicht befreie ich Euch von Eurem Titel der Herrin von Taerford und mache Euch zu meiner Mätresse, solange ich keine neue Frau gefunden habe.“

Falls es sein Anliegen gewesen war, sie einzuschüchtern, so war es ihm gelungen. Fayth sah keinen Ausweg aus ihrer Zwangslage, und die Angst drohte sie zu überwältigen. Es war ihr Plan, ihr Volk so lange zu schützen, bis sie alle von der normannischen Herrschaft befreit würden, aber dafür musste sie am Leben bleiben. Und das hieß, sie musste sich Sir Giles’ Forderungen beugen. Emmas nervöses Flüstern in ihrem Rücken holte Fayth aus ihren Gedanken.

„Bitte, Herrin, tut, was er sagt“, flehte Emma so leise, dass nur sie drei es hören konnten.

„Nun, Mylady, seid Ihr willens?“, fragte Sir Giles täuschend sanft. „Vater Henry hat Euch gefragt, ob Ihr den Bund der Ehe mit mir zu schließen gedenkt.“ Er gab sie frei, trat einen Schritt zurück und fragte noch einmal lauter: „Seid Ihr willens, Mylady?“

Er streckte ihr die Hand entgegen. Fayth wusste, dass diese Geste den Druck auf sie noch erhöhen sollte, um es ihr unmöglich zu machen, eine andere Antwort als die gewünschte zu geben. Es wurde immer stiller um sie herum, und alle warteten reglos. Fayth warf Sir Giles einen Blick zu und sah, dass die Spur eines Lächelns seine Mundwinkel kräuselte. Nichts wäre ihr lieber gewesen, als ihm dieses Lächeln zu nehmen, aber das wagte sie nicht.

Alles, wofür sie lebte, stand auf dem Spiel. Edmund zumindest war sie in gegenseitiger Zuneigung verbunden gewesen. Und sie hatten ein gemeinsames Ziel verfolgt. Nun sollte sie einen Fremden zum Gemahl nehmen; ihr Volk sollte einen Herrn aus der Fremde bekommen, der sich das Anwesen mit Gewalt genommen hatte – und dessen einzige Fähigkeit darin bestand, sich mit seinem machtvollen Schwert zu erkämpfen, wonach ihm der Sinn stand. Mit einer knappen Geste seiner Hand gab Sir Giles Fayth zu verstehen, dass er – nein, sie alle – auf eine Antwort warteten.

Sie hatte keine Wahl.

Edmund lauerte wahrscheinlich ganz in der Nähe, doch ihm waren die Hände gebunden. Es war kaum anzunehmen, dass es ihm schon gelungen war, eine starke Armee aufzustellen und ihr zur Rettung zu eilen. Und die Freunde und Verbündeten ihres Vaters lagen tot auf einem fernen Schlachtfeld. Niemand würde ihr helfen.

Tief atmete Fayth durch und tat dann das Einzige, was ihr zu tun blieb – sie legte ihre Hand in die von Sir Giles und trat an seiner Seite auf den Altar zu.

Alles, was danach kam, rauschte an Fayth vorbei, ohne dass sie es bewusst aufnahm: die Worte und Rituale, der Jubel ihres Volkes und der normannischen Soldaten und auch die beinahe liebevolle Beflissenheit, mit der ihr Gemahl sie zurück zum Wohnturm geleitete. Sie saß neben ihm an der Festtafel, und sie erinnerte sich später vage, dass er ihr Bissen von ihrem gemeinsamen Teller an den Mund geführt und ihr aus ihrem gemeinsamen Becher Met zu trinken gegeben hatte, aber sie ließ all das wie betäubt über sich ergehen. Fayth vermochte hinterher nicht zu sagen, ob sie auf Fragen geantwortet oder überhaupt ein Wort gesprochen hatte. In ihrem Kopf hämmerte einzig der Gedanke auf sie ein, dass ihr Leben nicht länger ihr gehörte – es gehörte nun dem Mann, der möglicherweise ihren Vater ermordet hatte.

Doch erst als sich die Tür zu ihrem Gemach hinter ihr schloss und sie zum ersten Mal in ihrem Leben allein war mit einem Mann, der kein Verwandter von ihr war, ging ihr das ganze Ausmaß der Veränderungen auf, die ihr Leben ergriffen hatten. Fayth wusste nicht, was sie tun oder sagen sollte, doch Sir Giles’ Worte retteten sie aus ihrer Verlegenheit.

„Ich hatte nicht vor, heute das Blut Eures Volkes zu vergießen, wo die Menschen doch nur gekommen waren, um Euch beizustehen. Deshalb habe ich Euch in die Kapelle gelockt, ohne Euch vorher einzuweihen; ich wollte Gegenwehr verhindern.“ Seine Stimme klang sanft, aber in seinen Augen brannte männliches Verlangen.

„Also war Eure Drohung, mich zu töten oder zur Mätresse zu machen, nichts als …“, setzte Fayth an, verwirrt und überrascht.

Schweigend sah sie zu, wie er zum Tisch in der Mitte des Raumes ging und Wein in zwei Becher füllte. Er brachte ihr einen und wartete, bis sie getrunken hatte.

„… eine Herausforderung, die allein dem Zweck diente, Euch von meinem wahren Ansinnen abzulenken“, führte Sir Giles ihren Satz zu Ende. Er lächelte, und diesmal schien es aufrichtig. „Und offenbar hatte ich Erfolg.“

Fayth betrachtete den Ring an ihrem Finger, der sie als seine Frau auswies, und nickte. Jäh wurde ihr bewusst, dass sie nun gänzlich von seinem Wohlwollen abhängig war – und dessen sie sich nicht sicher sein konnte. Sie spürte einen heißen Stich in der Magengrube. In einem Zug leerte sie den Becher, den Sir Giles ihr gereicht hatte.

„Es gibt weniger grausame Wege, sich meine Aufmerksamkeit zu sichern, Sir“, warf Fayth ein und erkannte dann ihren Fehler. „Mylord“, verbesserte sie sich.

Es war eine Tatsache, die Fayth nach und nach bewusst wurde, auch wenn sie sich innerlich noch wehrte. Der Ehevertrag machte ihn zu Lord Giles Fitzhenry, Baron of Taerford. Kummer trübte ihre Gedanken und schnürte ihr den Atem ab. Immer wieder wurde sie an den Tod ihres Vaters gemahnt. Sie schaffte es nicht, Sir Giles in die Augen zu sehen; die Freude, die sich dort angesichts seines neuen ehrenvollen Titels spiegeln musste, hätte sie nicht ertragen.

Doch Fayth war ihres Vaters Tochter und würde tun, was immer nötig war, um ihr Volk in den turbulenten, grausamen Zeiten zu schützen, die ihnen allen bevorstanden. Sie hob den Kopf und begegnete Sir Giles’ Blick, ohne zu wissen, was von diesem neuen Lord zu erwarten war.

„Ich werde versuchen, dies künftig zu beherzigen“, entgegnete er.

Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Becher und stellte diesen zurück auf den Tisch. War es nun also Zeit, die Ehe zu … vollziehen? Fayth sah auf ihren leeren Becher und wünschte sich, sie hätte etwas Wein übrig gelassen, um sich für das Kommende zu stärken.

Gleich würde Sir Giles – Lord Giles, ermahnte Fayth sich – zu ihr kommen. Fayth versuchte, die innere Anspannung niederzuringen, die sie bei dem Gedanken an die erzwungene und unausweichliche Intimität erfasste. Langsam schritt Lord Giles auf sie zu und nahm ihr den Becher aus den bebenden Händen. Fayth sah zu ihm auf. Er war ihr so nahe, dass sie seine Wärme spüren konnte. Sie wartete darauf, dass er den ersten Schritt tat.

Als seine Lippen die ihren berührten, war sie überrascht von der Zärtlichkeit, mit der dies geschah. Behutsam streifte er ihre Lippen, einmal, zweimal, bevor sein Mund fordernder wurde und verweilte. Auch wenn Lord Giles nur ihren Mund berührte, wappnete sich Fayth unwillkürlich für das, was folgen würde.

Doch dann trat Lord Giles zurück, wandte sich um und schritt zur Tür. Als seine Hand schon auf dem Riegel lag, drehte er sich noch einmal zu ihr um.

„Ich wünsche Euch eine geruhsame Nacht, Mylady“, sagte er und nickte ihr zu.

Fayth schwieg, weil sie nicht wusste, was sie antworten sollte. Ihre Lippen fühlten sich heiß an, und sie berührte sie mit den Fingerspitzen. Eine nie gekannte Angst erfüllte sie. Der Kuss war weit zärtlicher gewesen, als sie erwartet hatte, aber sich einem Mann hinzugeben – einem Krieger, den sie Gemahl und Herrn zu nennen hatte –, erschien ihr nun, da es doch sicherlich geschehen musste, noch erschreckender als zuvor. Aber wieso wandte er sich jetzt ab?

„Sir“, begann sie und wusste nicht, wie sie sein Verhalten deuten sollte. „Mylord, werdet Ihr nicht …?“

„Nein.“ Lord Giles schüttelte den Kopf. „Bevor ich nicht sicher sein kann, dass Ihr nicht das Kind Eures Liebhabers unter dem Herzen tragt, werden wir nicht …“ Er ahmte ihr Zögern nach, indem er den Satz mit einem vielsagenden Blick und einem Nicken in Richtung Bett im Raums stehen ließ.

Fayth war verstört. Sie würden, er würde nicht …? Die Angst, die sie noch einen Moment zuvor im Griff gehalten hatte, wich, und an ihre Stelle trat Wut.

„Ich trage kein Kind unter dem Herzen!“

„Räumt Ihr damit ein, dass er tatsächlich Euer Liebhaber war?“

Fayth durchmaß das Gemach mit wenigen Schritten und begegnete seinem respektlosen Blick. „Ich bin eine ehrbare Frau, Sir. Wie könnt Ihr es wagen?“ Sie hob die Hand, um seine Beleidigung gebührend zu beantworten.

Sir Giles fing die Hand fast spielerisch ab, und Fayth erwartete, dass er zurückschlagen würde. Stattdessen aber sah er sie nur ruhig an und schüttelte den Kopf.

„Ihr wollt mir erzählen, dass Ihr Euch mit Leib und Seele einem der Männer Eures Vaters verschrieben, ihm zu einer solch herausragenden Position verholfen und nichts im Gegenzug dafür erhalten habt?“ Lord Giles verschränkte die Arme vor der Brust. „Nur um einer Frau beizuliegen, riskiert kein Mann sein Leben. Welche Versprechungen hat Edmund Euch im Austausch für das Ehegelübde gemacht?“

„Ihr beleidigt mich schon wieder, Mylord. Was für Versprechungen? Zwischen uns wären keine anderen Gelöbnisse gefallen als die, die auch wir heute ausgetauscht haben.“ Es kostete Fayth Mühe, nicht mit Edmunds Plänen herauszuplatzen. „Edmund hat versprochen, mich und meine Ländereien zu beschützen, wenn ich ihn zum Gemahl nehme, nichts weiter. Aber Ihr habt es verhindert.“

Lord Giles durfte nicht erfahren, wer Edmund wirklich war – nicht solange dessen Leben noch auf dem Spiel stand. Die Ereignisse des heutigen Tages und die Anschuldigungen, denen sie sich ausgesetzt sah, hatten Fayth bis ins Mark getroffen. Und dann war da noch das Schuldgefühl, das an ihr nagte. Sie ließ die Hand sinken und schüttelte stumm den Kopf.

„Bis ich herausgefunden habe, dass Ihr aufrichtig handelt und sprecht, werde ich die Ehe nicht vollziehen, Mylady. Sobald ich es aber weiß …“ Er beendete den Satz nicht, doch die unausgesprochene Drohung ließ Fayth erschauern.

Angespannte Stille legte sich wie ein Keil zwischen sie. Lord Giles trat zurück und stand nun in der geöffneten Tür. Fayth beschloss, dass sie für heute genug hatte – mochte er noch so sehr Eroberer, Gemahl und Herr sein. Sie griff nach der Tür und schlug sie kurzerhand zu, sodass der überrumpelte Lord hinaus auf den Gang stolperte.

„Dann gute Nacht, Herr Gemahl!“, sagte sie, während sie den Riegel vorlegte, der achtlos in einer Ecke lehnte.

Fayth machte sich nichts vor. Wenn Lord Giles wollte, wäre es ein Leichtes für ihn, die Tür zu öffnen, denn das erforderte lediglich den festen Tritt eines starken Mannes. Und abgesehen davon, dass er selbst kräftig genug war, standen mehr als genug von seiner Sorte unter seinem Befehl. Dass plötzlich von jenseits der Tür schallendes Gelächter zu ihr durchdrang, befremdete sie. Mit einer solchen Reaktion auf ihr aufsässiges Verhalten hatte sie nun wahrlich nicht gerechnet.

Fayth wartete einen Moment. Als jedoch niemand einzudringen versuchte, löschte sie die Kerzen in der Kammer und legte sich ins Bett. Sie zupfte sich den Schleier vom Kopf und löste ihr Haar. Dann lag sie da und wartete ab, ob Lord Giles sich vielleicht doch noch Zugang zur Kammer erzwingen würde.

Schon bald aber konnte Fayth nicht länger gegen die Müdigkeit ankämpfen, die sich ihrer bleiern bemächtigte. Also fegte sie alle Angst beiseite und ergab sich der Dunkelheit. Um ihr Schicksal konnte sie sich auch am nächsten Tag noch sorgen.

3. KAPITEL

Alles, was Fayth sagte und tat, überraschte Giles. Die meisten Frauen, die er kannte, hätten sich während eines Angriffs auf ihre Burg zu Tode geängstigt und nie den Mut aufgebracht, die Ehe mit dem Mann einzugehen, der ihr als Einziger Rettung versprach.

Giles wusste, dass Lady Fayth ihn fürchtete. Doch er sah auch, dass in so manchem Augenblick Wut die Angst verdrängte. Dann glomm es gefährlich in ihren Augen, und ein Hauch von Röte legte sich auf ihre Wangen. So wie gerade eben, als sie ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Und seine Nase dabei nur knapp verfehlte, wie er sich eingestehen musste.

Jeder andere Mann in seiner Situation hätte wohl die Tür eingetreten, kaum dass sie vor ihm zugefallen war, doch nicht so Giles. Oh, ein kräftiger Tritt hätte genügt, aber warum den Handwerkern unnötig Arbeit bereiten, wenn man die Tür doch gar nicht zerstören musste, um sie zu entfernen? Giles setzte seine Fäuste immer als letztes Mittel ein, denn jeder Rohling vermochte einen schwächeren Gegner niederzuschlagen. So aber wollte Giles seiner Aufgabe als Lord und Gemahl nicht nachkommen. Nicht bei einer Frau wie Lady Fayth, mit der ihn nun die Ehe verband.

Giles wusste, dass seine Männer ihn beobachteten, nicht nur die beiden Wachen neben der Tür, sondern auch die, die ihn zur Kapelle und zurück begleitet hatten. Er hätte sich nicht derart überrumpeln lassen dürfen, wo er doch um den starken Charakter und die hohe Intelligenz von Lady Fayth wusste. Entschlossen trat er von der Tür zurück und schickte sich an zu gehen.

„Nicht ganz die zarte englische Rose, die du erwartet hast, was?“, fragte Roger.

„Und selbst du hast es nicht geschafft, sie zu pflücken“, warf Brice hinter ihnen ein. „Du bist gut, Mylord, aber so gut dann auch wieder nicht.“

Der Geneckte lachte ebenso wie die beiden Spötter. Eine Rose so schön wie diese zu pflücken wäre Giles nicht im Mindesten schwergefallen. Bedachte man die weiblichen Rundungen und Verlockungen dieser Rose, wäre der Akt im Nu vollzogen gewesen. Ohne Weiteres hätte sich Giles im Grün ihrer Augen verlieren können, doch zu sehr plagte ihn die Sorge, welche Rolle die Dame in den Plänen seines Feindes tatsächlich spielte.

Nur Brice hatte er anvertraut, was er befürchtete und dass er die Ehe erst vollziehen werde, wenn diese Befürchtung ausgeschlossen werden konnte. Eine Braut zu ehelichen, deren Jungfräulichkeit infrage stand, war unschön genug. Aber er würde den Teufel tun und sich ohne sein Wissen das Kind eines anderen Mannes unterschieben lassen. Die Ironie des Gedankens blieb ihm nicht verborgen.

„Ah, doch wir Bretonen“, erwiderte Giles lachend, „sind, was das Pflücken angeht, immer noch besser als die meisten englischen Herren. Auf jeden Fall aber schneller.“ Er schlug Brice kameradschaftlich auf die Schulter und fuhr fort: „Und du, der du dich bald Lord Thaxted nennen darfst, solltest den Mund nicht zu voll nehmen. Gib nur acht, bald macht auch dir eine angelsächsische Maid das Leben schwer.“

Brice entgegnete nichts darauf. Wahrscheinlich weilte er in Gedanken schon in der dornigen Zukunft, die ihm an der Seite seiner eigenen „Rose“ bevorstand. Sobald Giles die Dinge hier unter Kontrolle hatte, würde Brice nach Norden aufbrechen, um die Burg und die Frau zu beanspruchen, die ihm Herzog William übereignete. Giles winkte den anderen, ihm zu folgen, und gab den beiden Wachen schnell noch neue Anweisungen bezüglich seiner … Gemahlin.

Würde je eine Zeit kommen, in der er ein solcher Gedanke ihn nicht befremdete? Als Bastard eines bretonischen Vicomte und einer einfachen Weberin hätte er eine solche Position niemals erreichen dürfen. Davon träumen? Oh, ja, geträumt hatte er und gebetet, dass es wahr würde. Aber jemand wie er heiratete nicht die Tochter eines Adligen oder erlangte einen Titel, so wie es ihm, Giles, nun passiert war. Eigentlich hätte er Bediensteter im Haushalt seines Vaters sein müssen. Aber William hatte Männer gebraucht, die für ihn kämpften, und da Giles sich darauf verstand, war er nun hier und hatte tatsächlich erreicht, was er sich immer erträumt hatte.

Ein Krieg, so würde sein Freund Simon jetzt sagen, machte alle Männer gleich und ebnete auch dem Geringsten den Weg nach oben. Giles lächelte bei dem Gedanken an die vielen Gespräche, die sie beide im Frühjahr auf der Hochzeit von Simon und Elise geführt hatten. Diese Heirat war Simons erster Schritt auf dem Weg gewesen, den das Schicksal ihm wies.

Doch weder Titel noch Braut vermochten zu verhindern, dass Giles jedes Mal von nagenden Zweifeln befallen wurde, wenn jemand ihn „Mylord“ rief. Es würde einige Zeit dauern, bis ihm diese Anrede in Fleisch und Blut übergegangen war und er die aufgebrachte Dame in seinem Gemach als seine Frau betrachten konnte … und noch länger mochte es dauern, bis er sich selbst der Ehre für würdig befand, die sein Herzog ihm gewährt hatte.

Nachdem die Wachen ihre Befehle entgegengenommen hatten, schritt Giles mit seinen Gefährten die Treppe zur großen Halle hinab, wo das Festmahl noch in vollem Gange war – sofern man es als Festmahl bezeichnen konnte. Die Speisen, die die Tafel trug, waren nicht mehr als Bettlerkost, verglich man sie mit den Banketten, denen Giles in der Bretagne beigewohnt hatte. Simons Hochzeitsfestmahl hatte einen ganzen Tag gedauert und das von Giles’ Halbbruder hatte sich gar über drei Tage erstreckt – ein Gang nach dem anderen war aufgetischt worden, und der bloße Gedanke an Geflügel, Fleisch, Fisch und andere Köstlichkeiten ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Weder sein Bruder noch Simon oder die Väter der beiden Bräute hatten sich um das Getreide sorgen müssen, das auf den Feldern und in den Scheunen verbrannt war. Sie hatten keinen Gedanken daran verschwenden müssen, wie viele der Menschen in ihrer Obhut wohl den Krieg und den kommenden Winter überleben würden. Giles seufzte schwer, schob diese trüben Gedanken fürs Erste von sich und stieg die wenigen Stufen zu dem Podest hinauf, auf dem die Festtafel stand, an deren Mitte er Platz nahm. Brice, Roger und mehrere andere seiner Männer folgten ihm wie selbstverständlich.

Giles riss sich ein Stück Fleisch von einem Braten ab, der von einem undefinierbaren Tier stammte, und steckte es sich in den Mund. Er musste kräftig kauen, um das Fleisch so weich zu bekommen, dass er es schlucken konnte, ohne daran zu ersticken. Selbst ein Schluck Bier erleichterte dem Brocken den Weg in seinen Magen nur unerheblich.

Dann erst bemerkte Giles es.

In der Halle war es totenstill geworden. Das anwesende Gesinde war als Erstes verstummt und hatte seine Männer angesteckt. Alle starrten ihn an. Nur mühsam widerstand Giles dem Drang, an sich herunterzuschauen, um zu sehen, ob er vielleicht unbekleidet zur Tafel gekommen war, so sehr verwirrten ihn die prüfenden Blicke.

Schließlich neigte er sich zu Brice hinüber, der neben ihm saß. „Was ist hier los?“, raunte er diesem zu.

„Was glaubst du wohl, was los ist? Dies ist doch nicht deine erste Hochzeit, an der du teilnimmst, mein Freund“, raunte Brice auf Bretonisch zurück.

Giles musterte die ihm zugewandten Gesichter. Überraschung, Besorgnis und sogar Verärgerung spiegelten sich darin. Die Menschen hatten sich satt gegessen, hatten dem Bier reichlich zugesprochen, waren das ganze Mahl über guter Dinge gewesen und hätten sich nun, da die Dunkelheit hereinbrach, zufrieden zur Ruhe begeben sollen. Stattdessen aber war ihr Missfallen zu spüren – und zu hören, denn das Schweigen wich zunehmend verhaltenem Gemurmel in dieser Sprache, die Giles noch immer plump vorkam. Noch bevor Brice zu einer Erklärung ansetzte, erkannte Giles seine Verfehlung.

„Die Leute fragen sich, warum der Bräutigam sich so schnell wieder an der Festtafel blicken lässt“, sagte Brice und lehnte sich zu Giles hinüber, damit niemand sonst seine Worte hörte. „Sie wissen nichts von deiner Sorge, was die … möglichen Umstände deiner Dame angeht, Giles. Sie wissen nur, dass du Lady Fayth geheiratet hast und dem Brautbett entflohen bist, kaum dass du hineingefunden hast.“

Merde – verdammt.

Giles stürzte den Becher Bier hinunter, den er umklammert hielt, und winkte nach mehr. Er hatte nicht bedacht, wie andere sein Verhalten werten würden – ja, dass überhaupt irgendjemand, Leibeigener oder Freier, Anteil daran nehmen könnte. Als Bastard, der seinem Herrn diente, hatte nie gezählt, was er tat, sofern er nicht den Wünschen oder Befehlen seines Herrn in die Quere gekommen war. Nun aber hatte Giles das Sagen. Jetzt mussten andere sich nach ihm richten, und sein Handeln stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Er trank aus seinem nachgefüllten Becher und schüttelte den Kopf. Bewusst hatte er die Vermählung vor dem gesamten Volk abhalten lassen, um den Burgbewohnern die Besorgnis über das Befinden von Lady Fayth zu nehmen. In den Tagen nach der Einnahme der Burg waren Gerüchte aufgekommen, und da die Herrin sich nicht gezeigt hatte, fragte sich so mancher, ob sie überhaupt noch lebte. Nur die Aussage ihrer beiden Dienerinnen, dass Lady Fayth wohlauf sei, hatte das Misstrauen gegenüber Giles ein wenig gedämpft.

Und nun dies.

„Das ist eine persönliche Sache zwischen Lady Fayth und mir“, sagte Giles.

„Nun, Mylord, das siehst du falsch. Denn diese ‚persönliche Sache‘ zwischen dir und deiner Dame wird sich wie ein Lauffeuer verbreiten, und bald schon wird jeder diesseits und jenseits der Burgmauern wissen, dass ihr die Ehe nicht vollzogen habt.“

Giles ließ seinen Blick über die Tische vor ihm gleiten. Stumme Blicke begegneten ihm, von Menschen, die es nie wagen würden, das Wort an ihn zu richten. Doch er konnte und würde die Ehe mit Lady Fayth nicht vollziehen, bevor er nicht die Wahrheit kannte. Zu einer Tat mit solch schwerwiegenden Folgen würde er sich nicht hinreißen lassen.

„Merde.“ Dieses Mal sprach er es laut aus.

„Ganz genau“, bestätigte Brice.

„Ich werde mich vor diesen Menschen nicht rechtfertigen, Brice“, presste Giles hervor. Wieder warf er einen Blick auf die Halle und die Anwesenden. Sein eigener illegitimer Geburtsstand machte die Sache für ihn umso delikater, und er würde diese Angelegenheit keinesfalls mit irgendjemandem bereden.

Was wussten diese Menschen schon? Ihr Leben spielte sich allein innerhalb dieser Mauern, in den engen Grenzen ihres Dorfes ab. Sie ahnten nicht einmal, was es Giles gekostet hatte, sich nach oben zu kämpfen, sich in seiner Heimat auf Turnieren Ruhm und Wohlstand zu erstreiten, um eines Preises wie dieser Burg endlich für würdig befunden zu werden. Das Leben dieser Leute drehte sich allein um ihre Herrin und deren Vater, um ihr Land, das Getreide und ihr Vieh.

Lady Fayth oder das Andenken an ihren Vater zu beleidigen, während sich im ganzen eroberten Land die Rebellen zusammenscharten, wäre nicht besonders klug. Natürlich hätte er den Leuten offenlegen können, welchen Verdacht er hinsichtlich der Unschuld ihrer Herrin hegte und dass Lady Fayth zudem in einen Plan verstrickt sein mochte, um ihm die rechtmäßige Herrschaft über Taerford streitig zu machen. Aber das hätte alles nur noch schlimmer gemacht und für Empörung, wenn nicht gar einen Aufstand gesorgt.

Er durfte nicht unüberlegt vorpreschen, sondern musste jeden weiteren Schritt sorgfältig abwägen und vor allem berücksichtigen, wie sein Gebaren vom Volk aufgenommen wurde.

„Du weißt, warum ich so handle, Brice. Was rätst du mir?“

Brice beäugte die Menschen, die in der Halle versammelt saßen, und sagte an Giles gewandt: „Du kannst schlecht rückgängig machen, was bereits geschehen ist, aber versuche zumindest, die Sache nicht noch zu verschlimmern.“ Er nickte in Richtung der stummen Missbilligung, die Giles vonseiten des Gesindes entgegenschlug. „Die Leute begreifen deine Situation vielleicht besser als du selbst. Sie kennen Lady Fayth und kannten ihren gefallenen Vater, und sie wissen, wer dir deine Position hier streitig macht und wo er sich aufhält.“

Brice sah Giles vielsagend an.

Aha, dachte Giles, also bin ich nicht der Einzige, der glaubt, dass die Verbindung zwischen Lady Fayth und Taerford zu den Gesetzlosen nie abgerissen ist. „Fahr fort“, forderte er Brice auf.

„Du weißt, was du zu tun hast, Giles. Denk an das, was Monseigneur Gautier uns geraten hat für den Fall, dass andere die Folgen unseres Handelns zu tragen haben.“ Brice beschrieb mit der Hand eine Geste, die nur Giles sehen konnte. „Behandle Lady Fayth mit Respekt, vollziehe die Ehe so bald wie möglich, und verfolge den Weg weiter, den du eingeschlagen hast.“ Brice senkte die Stimme. „Du bist noch unerfahren, was das Verhalten eines … Adligen angeht. Nun bist du ein Baron, ein Herr mit eigenem Reich. Das stellt dich vor ganz neue Herausforderungen, Giles, so wie mich in Kürze.“

Giles nickte. Als Bastard eines bretonischen Edelmanns hatte er nie zuvor über andere befohlen, mit Ausnahme der Männer, die sich ihm im Kampf an Herzog Williams Seite angeschlossen hatten. Ansonsten war er stets nur sein eigener Herr gewesen.

Bis jetzt. Nun hatte er Besitz. Und Macht.

„Und du, Brice? Was ist mit dir? Wirst du deinen weisen Rat ebenfalls beherzigen?“

Brice hob Giles den Becher entgegen und nickte ihm respektvoll zu. „Du jedenfalls wirst diesen Weg meistern. Was mich angeht, so kann ich nur hoffen, dass ich ihn genauso meistern werde, wenn ich vor ähnlichen Schwierigkeiten stehe.“

Giles leerte seinen Becher und stellte ihn auf dem Tisch ab. Bei allem guten Rat blieb ein Problem bestehen – er brauchte eine Bleibe für die Nacht. Er hatte nicht beabsichtigt, die Zurückweisung durch Lady Fayth zu einer solch öffentlichen Angelegenheit zu machen, doch das Geräusch des Riegels, der vor die Tür geglitten war, hatte für alle Anwesenden eine unmissverständliche Botschaft dargestellt.

„Sie hat ihren Willen durchgesetzt. Nun bist du an der Reihe“, erklärte Brice, als könne er Giles’ Gedanken lesen. „Wenn die Kluft zwischen euch bleibt, wird das für Gerede sorgen, und das Gerede würde die Burg angreifbar machen. Um die Sache ein wenig glaubhafter zu gestalten, könntest du das Kettenhemd ablegen, bevor du dich zu deiner Gemahlin begibst.“

Lachend klopfte Giles sich auf die Brust. „Du hast nicht gesehen, wie wütend sie war, als ich die Kammer verließ. Ohne das Kettenhemd überlebe ich die Nacht vielleicht nicht.“

So sehr hatte er sich an diese Panzerung gewöhnt, dass er das Hemd nicht einmal zu seiner Hochzeit abgelegt hatte. Doch wenn er an das Feuer in den Augen von Lady Fayth dachte, als er sie zur Ehe gezwungen und anschließend auch noch ihre Ehre angezweifelt hatte, so mochte die Schicht aus verwobenen Eisenringen ohnehin keinen ausreichenden Schutz darstellen, wenn er mit ihr in einem Raum schlief.

„Hab Dank für deinen weisen Rat, mein treuer Freund.“

Mit diesen Worten erhob sich Giles und entließ mit einer Geste die beiden Wachen, die ihm wie Schatten folgen wollten. Er rief nach Martin, seinem Knappen, und ging mit ihm in Richtung Küche. Noch waren die Kochfeuer nicht für die Nacht mit Asche bedeckt worden, und Hitze schlug Giles beim Eintreten entgegen. Es dauerte nicht lange, bis die Bediensteten auf ihn aufmerksam wurden, in ihrem Tun innehielten und ihn anstarrten. Die Küche der Burg Taerford hatte er mit seiner Anwesenheit bislang noch nicht beehrt, aber das wollte er nun nachholen.

Giles verlangte nach einem Zuber und heißem Wasser. Eine Magd namens Gytha führte ihn in eine angrenzende Kammer. Er hatte sich nur oberflächlich von Staub und Dreck befreien wollen, doch der Anblick des aufsteigenden heißen Dampfes war so verlockend, dass er sich entschloss, doch gänzlich ins Wasser zu steigen. Er legte die Scheide mit dem Schwert neben dem Zuber auf den Boden und befreite sich dann mit Martins Hilfe von Panzer und Kettenhemd. Anschließend schickte er den Jungen, der das Ritterhandwerk bei ihm lernte, mit der Anweisung fort, beides zu reinigen und einzuölen. Dann schloss er die Tür, um für sich zu sein.

Er zerrte sich den wattierten Gambeson und das Hemd vom Leib und ließ beides achtlos auf den Boden fallen, Beinkleid und Stiefel folgten. Giles streckte sich und genoss es, von der Last der Rüstung befreit zu sein. Den Luxus eines ausgiebigen Bades hatte er lange entbehren müssen. Für gewöhnlich wusch er sich über einem Eimer Wasser oder, sofern vorhanden, an einem Flusslauf. Das heiße Wasser würde hoffentlich auch die Anspannung lösen, die ihm angesichts der kommenden Begegnung mit seiner Braut in den Knochen steckte.

Giles erwachte, als das Wasser schon kalt wurde. Auf einer Bank neben der Tür lagen saubere Kleider und Leinentücher. Als er sich umblickte, sah er zudem zwei Eimer mit dampfend heißem Wasser in seiner Reichweite stehen. Es war das erste Mal seit Monaten, dass er seiner Erschöpfung hatte nachgeben können. Zunächst hatte er in der Bretagne an der Seite seines Onkels für dessen Anspruch auf sein Herzogtum gekämpft und schließlich, im Namen seines Lehnsherrn Simon, an Williams Seite für dessen Anspruch auf England.

Dabei war wenig Muße geblieben, um ein heißes Bad zu nehmen und einer verführerischen Dame im Bett Gesellschaft zu leisten. Vor ihm lagen noch Monate, wenn nicht gar Jahre harter Arbeit, aber diese Aussicht wurde wettgemacht durch den Gedanken, dass es seine Ländereien, seine Burg und seine Frau waren, für die er sich abmühen würde. Und, so Gott wollte, eines Tages seine Kinder. Zuvor aber musste Giles sich der Angelegenheit mit seiner Gemahlin widmen.

Dem blickte er recht widerwillig entgegen, während er aufstand, sich den verbliebenen Schmutz abwusch und aus dem Zuber stieg. Er trocknete sich ab, streckte sich noch einmal und besah sich dann die Kleidungsstücke, die man ihm bereitgelegt hatte. Als er sich das Hemd überzog, fiel ihm die Qualität des Stoffes auf. Er brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass es sich um einen Teil der Garderobe handelte, die der alte Lord Taerford zurückgelassen hatte, als er mit seinem König Harold in die Schlacht bei Hastings zog.

Auch Beinkleid und Tunika hatten einst Lord Taerford gehört. Der alte Earl war um Schultern und Brust herum breiter gewesen als Giles, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als sich mit diesen Kleidern zu begnügen. Giles hatte schlecht geplant – seine eigene Garderobe lag in einer Truhe in dem Gemach, das er nun mit Lady Fayth teilte.

Beim Gedanken an seine Torheit schüttelte er den Kopf. Er legte seinen Schwertgürtel an und richtete die Scheide so, dass er das Schwert schnell ziehen konnte. Dann zog er die Stiefel an und verließ die kleine Kammer. In das obere Stockwerk des Wohnturms gelangte er über eine Hintertreppe. Vor der Tür des Gemachs, in dem Lady Fayth schlief, standen die beiden Wachen so, wie er sie verlassen hatte.

Nur dass sie nun Türscharniere in den Händen hielten.

„Ein Geschenk von Brice an Euch, Mylord“, sagte einer der Männer und reichte Giles die Scharniere.

Lächelnd nahm Giles das ‚Geschenk‘ entgegen. Brice verfügte über die wundersame Fähigkeit, überall hinein- oder hinauszugelangen. Kein Türschloss war vor ihm sicher; er fand die Schwachstelle einer jeden Sperrvorrichtung. Ohne die Scharniere stellte die Tür zum Gemach kein Hindernis mehr dar. Mithilfe der Wachen hob Giles sie fast geräuschlos beiseite. Er wartete, bis die beiden Soldaten die Tür wieder an den Rahmen gelehnt hatten, und schritt dann hinüber zum Bett.

So beherrscht sich Lady Fayth im Wachzustand gab, so gelöst und ungehemmt wirkte sie im Schlaf. Verlockend ungehemmt, stellte er fest, obgleich sie noch ihre Kleider trug.

Lady Fayth lag halb auf der Seite und halb auf dem Rücken. Ein Arm lag ausgestreckt da, der andere bedeckte ihre Stirn, sodass Giles ihre Augen nicht sah. Zwar waren ihre Beine von Unterkleid und Obergewand bedeckt, aber leicht gespreizt, und Giles verspürte das Verlangen, mit der Hand zwischen ihre Schenkel zu gleiten. Beim Näherkommen sah er, dass ihr Haar gelöst um ihren Kopf floss. Unwillkürlich verspannte Giles sich.

Ein paar lose Strähnen umspielten ihr Gesicht und machten ihre Züge weich. In der schummrigen, nur vom Kaminfeuer beleuchteten Kammer wirkte ihre Mähne viel dunkler als im Tageslicht, wenn die Sonne eine Vielzahl von braunen und helleren Tönen hineinzauberte. Giles sehnte sich danach, es zu berühren, seinen Duft einzuatmen; er malte sich aus, wie die weichen Flechten sein Gesicht streichelten und ihrer beider Haut umspielten, während sich ihre Körper vereinten.

Mit Mühe riss er sich zusammen und versuchte, das Verlangen zu ersticken, das ihn durchschoss. Er war kein unerfahrener Junge mehr, und der Anblick einer Frau sollte ihn nicht derart aus der Fassung bringen. Zumal diese Frau wahrlich nicht versucht hatte, ihn zu verführen; stattdessen hatte sie sich widerspenstig gezeigt, seine Gefälligkeiten zurückgewiesen und seinen Anspruch auf sie und Taerford zunächst verleugnet. Keine der sonst üblichen Bettgefährtinnen für einen bretonischen Bastard, wie er und seine Freunde nur zu oft genannt wurden.

Er trat an die Seite des Bettes, beugte sich über die schlafende Fayth und gab endlich doch dem Drang nach, sie zu berühren. Sanft strich er ihr über Kinn und Wange. Sie murmelte im Schlaf und schmiegte sich an seine Hand. Mit angehaltenem Atem setzte Giles sich aufs Bett, rückte vorsichtig näher und fuhr ihr sacht über die zarte Haut. Im Schlaf nahm Fayth den Arm vom Gesicht und streckte ihn, sodass er in seinem Schoß landete und der inzwischen deutlichen Wölbung dort gefährlich nahe kam. Giles wusste, er war verloren.

Und Fayth schlief einfach weiter.

Beinahe war er versucht, seinen Entschluss fahren zu lassen, sich ihr nicht zu nähern, bis sich herausstellen würde, dass sie kein Kind in sich trug. Beinahe. Und seine Entschlossenheit geriet erneut ins Wanken, als Fayth sich im Schlaf drehte und der Stoff ihres Kleides sich über ihren sinnlichen Brüsten spannte. Dass Giles das Beinkleid von Lord Bertram ein wenig zu weit war, erwies sich nun als Vorteil – denn die dargebotenen Reize blieben nicht ohne Folgen.

Der Schlaf machte das Gesicht seiner Gemahlin unschuldig und weich. Wie verzaubert betrachtete Giles es und sah dann zu, wie sich ihre Brust gleichmäßig hob und senkte. Seine Hand lag immer noch an ihrer Wange. Mit dem Daumen strich er zärtlich über ihr Gesicht und berührte ihre vollen, roten Lippen. In Gedanken liebkoste er sie erneut mit den seinen. Der Drang, Fayth ganz zu besitzen, wurde so übermächtig, dass Giles seinen Blick von ihrem Mund losreißen musste und nach oben wandern ließ.

Augen, so grün wie ein dunkler Wald, starrten ihn an.

Lady Fayth war erwacht.

4. KAPITEL

Fayth blickte Giles in die Augen, und es dauerte einen Moment, bis ihr aufging, wo sie war und wer sie auf diese intime Weise berührte. Schneller, als Giles es für möglich gehalten hätte, schoss sie hoch, wich an die Wandseite des Bettes zurück und ging in Abwehrhaltung, bereit, jeden Angreifer zurückzuschlagen. Lediglich die Waffe in ihrer Hand fehlte noch, um das Bild zu vervollständigen.

„Ihr schlaft in Eurem Kleid?“, fragte Giles sanft, um sie nicht noch mehr zu verschrecken.

„Wie habt Ihr Euch Zugang verschafft?“, gab Fayth zurück, ohne auf seine Spöttelei einzugehen.

„Nun.“ Giles nickte in Richtung Tür. „Als die Scharniere erst einmal entfernt waren, mussten wir nur noch die Tür mitsamt Riegel beiseite heben.“ Er glitt vom Bett und sah sie fest an. „Versperrt nie wieder die Tür.“

Ihre Augen weiteten sich angstvoll, vielleicht aufgrund seiner Worte, vielleicht aber auch wegen des Tonfalls. Zitternd strich Fayth sich das Haar zurück, sodass ihr die dicken Locken den Rücken hinabflossen.

„Kommt“, sagte Giles und streckte ihr die Hand entgegen. „Bitte beruhigt Euch. Tür hin oder her, Euch droht hier keine Gefahr.“

Ihr Blick flog von Giles zur Tür und zurück zum Bett. Zu der Angst in ihren Augen gesellte sich Zweifel. Giles fragte sich, ob ihre Verwirrung vielleicht daher rührte, dass sie plötzlich aus tiefem Schlaf gerissen worden war. Er wich einige Schritte zurück und setzte sich abwartend auf einen Stuhl.

„Ihr sagtet, Ihr würdet nicht …“, flüsterte sie, damit niemand im Gang sie hörte. „Ihr seid doch mit Euren Männern fortgegangen.“

„Ihr habt mich aus der Kammer geworfen und den Riegel vorgelegt. Einen solchen Affront konnte ich mir nicht bieten lassen.“

Wieder trat Furcht in ihre Augen. Giles merkte, dass ihm dies nicht gefiel. Wut ließ das Grün ihrer Augen goldene Funken sprühen, aber Angst machte es stumpf und nahm der Farbe die Tiefe.

„Fürchtet Ihr Euch davor, unsere Ehe zu besiegeln?“, fragte Giles. „Oder hat Eure Besorgnis vielleicht andere Gründe?“

Röte stieg Fayth in die Wangen, und sie wandte den Blick ab. Beschämten sie solch offene Worte? Sie schien nicht bereit, die Angelegenheit mit ihm zu bereden. Bedeutete ihr Verhalten, dass sie sich Edmund hingegeben hatte, oder war dies das schamhafte Erröten einer Jungfrau?

„Ich habe Euch bereits gesagt, dass ich Euch nicht anrühren werde, bevor ich nicht weiß, ob Ihr das Kind eines anderen Mannes im Leibe tragt. Und nun kommt von der Wand weg und legt Euch zur Ruhe.“ Er unterstrich die Worte mit einer Geste seiner Hand.

„Warum beleidigt Ihr mich derart?“ Lady Fayth glitt vom Bett, schüttelte ihr Kleid auf, sodass es ihre Beine bedeckte, und strich es glatt. Das Haar fiel ihr in betörenden Wellen über die Schultern. „Glaubt Ihr wirklich, ich achte meine Ehre und die meines Vaters so gering, dass ich leichtfertig den Verlockungen des Fleisches erliege?“

Im Nu war er aus dem Stuhl hochgeschnellt und stand vor ihr, so dicht, dass er sie fast aus dem Gleichgewicht brachte; aber sie erwiderte seinen Blick, wenngleich ihre Augen sich weiteten und ihr Atem flach ging. Giles aber tat nichts außer dazustehen, reglos, ohne sie zu berühren, ohne auch nur zu atmen.

Die Luft um sie herum schien zu glühen, und die Hitze erfasste Giles und setzte sein Inneres in Flammen. Wie leichtfertig würde sie den Verlockungen des Fleisches erliegen? Die Angst in ihren Augen, ihr bebender Körper und die Blässe ihrer Haut sagten ihm, dass sie das Feuer der Lust, das zwischen Mann und Frau entbrennen konnte, noch nie gespürt hatte. Das hieß nicht, dass sie ihre Unschuld nicht bereits vergeben hatte, aber was den sinnlichen Genuss anging, konnte Giles ihr noch einiges beibringen.

Fürs Erste aber genügte eine einfache Lektion. Alles, was darüber hinausging, würde seine ohnehin schwindende Kontrolle auf eine allzu harte Probe stellen, und zum Äußersten durfte er es nicht kommen lassen – noch nicht. Giles beugte sich vor und zwang Fayth dadurch, ihren Kopf nach hinten zu neigen. So dicht beugte er sich über sie, dass seine Lippen fast die ihren berührten und er ihren Atem spüren konnte. Dann hielt er inne.

„Die Verlockungen des Fleisches reizen Euch also nicht, Mylady?“ Noch näher kam er ihren Lippen. „Aber es gibt vieles, was dafür spricht.“

Fayth wollte etwas dagegen einwenden, wollte erklären, wie ihre Worte gemeint gewesen waren, aber da lagen seine Lippen schon auf den ihren. Mit dieser Berührung schien die Hitze, die sein Körper verströmte, Fayth noch intensiver zu umhüllen, und in ihrer Verwirrung vergaß sie, die Lippen zu schließen. Heiß und fordernd drang seine Zunge ein und suchte nach der ihren. Fayth wusste nicht, was sie tun sollte und verharrte deshalb reglos, wobei sie aber den unfassbaren Drang niederringen musste, die Arme um Giles zu legen und ihn näher zu ziehen.

Sie konnte sich nicht erklären, woher dieses Verlangen kam, aber es erfasste ihren Körper, als seine Zunge die ihre umspielte, und ließ allerhand sündhafte Gedanken und Empfindungen in ihr aufkommen. Sie spürte, dass Giles den Kuss genoss, denn er rückte näher, seine Zunge wurde fordernder, drängender, nahm sie in Besitz. Gerade als ihr der Rhythmus seiner Liebkosungen vertraut geworden war und sie in den Tanz einstieg, zog Giles sich zurück und begann ein neues Spiel.

Sein Mund glitt tiefer, ihr Kinn hinab und ihren Hals entlang. Schon der erste Kuss hätte Fayth zu mehr verleiten können, doch diese neue Zärtlichkeit ließ sie schier bersten. Jede Berührung seiner Lippen jagte eine Glutwelle durch ihr Innerstes, bis sie zu zerspringen glaubte. Zwischen ihren Schenkeln wurde es feucht, und sie verspürte den unschicklichen Drang, sich an ihn zu drücken. So übermächtig wurde das Verlangen, ihn zu spüren, dass sie beinahe …

Giles strich ihr das Haar von Hals und Schulter. Fayth war schwindelig, weil sie vor Erregung den Atem angehalten hatte. Halt suchend griff sie nach seiner Tunika. Das hielt Giles aber nicht davon ab, ihr Ohr und ihren Nacken zu erkunden. Fayth glaubte, ihn etwas flüstern zu hören, doch sie verstand nicht, was es war. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Als Giles die vorderen Bänder ihres Unterkleides löste und den Stoff auseinanderzog, wollte Fayth protestieren, aber er verschloss ihr den Mund mit einem weiteren atemlosen Kuss, der den letzten Rest Vernunft in ihr auslöschte. Seine warmen Lippen führten ihn zu den frei liegenden Ansätzen ihrer weiblichen Kurven.

Fayth war dankbar, dass sie Halt an seiner Tunika fand, ansonsten wäre sie zu Boden gesunken, als Giles erst mit einem Finger und dann mit Lippen und Zunge die Linie der Rundungen nachfuhr. Das Ziehen tief in ihrem Innern wurde zu einem pochenden Verlangen, das Fayth weder verstand noch unterdrücken konnte. Ihr Atem ging in ein Stöhnen über, als Giles an der Haut über ihrer Brust sog; sein sanftes Spiel mit Zunge, Lippen und selbst Zähnen entfachte eine Lust in ihr, die sie nie für möglich gehalten hätte.

Fayth ließ seine Tunika los, umschlang seinen Nacken, um ihn näher zu ziehen – und schlagartig war alles vorbei. Als sei sie ihm plötzlich zuwider, ließ er von ihr ab, löste seine Hände aus ihrem Haar und trat zurück. Schwäche und Erregung brachten Fayth zum Taumeln. Sie tastete nach der Bettkante und sank darauf nieder. Kühl strich ihr die Luft über die schweißnasse Haut an Hals, Schultern und Brust und brachte sie mit einem Schlag wieder zur Besinnung – die sie nie hätte verlieren dürfen und die seinem ungehörigen Betragen hätte Einhalt gebieten müssen.

Amüsiert sah Giles sie an. Fayth ahnte, dass sie in eine Falle getappt war. Ja, in der Tat, denn ihr ganzer Körper sehnte sich nach seiner Berührung, seinen Küssen und dem leidenschaftlichen Spiel seiner Zunge auf ihrer Haut. Dann erkannte sie, welches Ziel Giles verfolgt hatte – er hatte sie dazu gebracht, ihre eigenen Worte über die Verlockungen des Fleisches Lügen zu strafen.

„Hungert Ihr tatsächlich nicht nach mehr, Mylady? Sehnt Ihr Euch nicht danach, an Stellen berührt zu werden, die Ihr nicht auszusprechen wagt?“ Kurz sah es so aus, als wolle Giles zu ihr herüberkommen, doch dann tat er es doch nicht. „Wenn ich meine Hand unter Euer Kleid gleiten ließe, zwischen Eure Schenkel, würde dann etwa keine Wollust meine Finger netzen?“

Fayth verschlug es den Atem angesichts der Vulgarität, aber auch der Wahrheit seiner Worte. Sie musste nicht antworten; denn sie wussten beide, dass Giles recht hatte.

„Also doch“, murmelte er, wandte sich ab und schritt zum Tisch hinüber, wo Wein und Becher standen. „Und bedenkt, Mylady, dass dies nichts als ein Kuss war.“

Giles wandte Fayth den Rücken zu, während er zwei Becher Wein hinunterstürzte. Die Bewegung seiner Schultern zeigte ihr, dass er ein paarmal tief ein- und ausatmete. Bevor er sich wieder umdrehte, griff Fayth geschwind den Ausschnitt ihres Unterkleides, zog die Bänder straff und knotete sie, sodass der Stoff mehr bedeckte als zuvor. Dann warf sie ihr Haar über die Schultern und überlegte, was sie sagen sollte.

Hatte sie verraten, dass die Macht solcher Gefühle ihr neu war? Die wenigen Küsse, die sie mit Edmund getauscht hatte, waren ganz anderer Natur gewesen, mehr wie ein Zeichen der Zuneigung zwischen guten Freunden. Sie war ein wenig in Gareth, den Cousin ihres Vaters, verliebt gewesen, der vor zwei Sommern bei ihnen gewesen war. Aber es war eine einseitige Zuneigung gewesen, von der Gareth nie etwas erfahren hatte, und daher hatten sie natürlich nie solche Küsse getauscht.

Nichts als ein Kuss sollte das gewesen sein? Oh nein, Giles hatte weit mehr getan, als sie nur zu küssen. Er hatte eine Verwundbarkeit in Fayth aufgedeckt, von der sie bislang nichts gewusst hatte, und er hatte es so leichthin getan, wie er die Bänder ihres Kleides gelöst hatte.

Das Schlimmste aber war für Fayth, dass ihr Körper derart empfänglich auf die Berührung eines völlig Fremden reagiert hatte – eines Mannes auch noch, der womöglich auf dem Schlachtfeld ihren Vater getötet hatte. Die letzten Reste des Verlangens erstickte die Scham, die Fayth bei dem Gedanken an ihre Schwäche überkam und wie viel Macht die sündige Fleischeslust besaß. Sie brachte einen dazu, vom rechten Weg abzuweichen und die eigene Ehre aufs Spiel zu setzen, erkannte sie.

Dann bemerkte sie, dass Lord Giles vor ihr stand und ihr einen Becher hinhielt. Wie lange er dort schon verharrte, vermochte sie nicht zu sagen, zu sehr war sie in ihre Gedanken vertieft gewesen. Fayth nahm den Becher entgegen und trank gierig, in der Hoffnung, dass der kühle Wein die Enge in ihrer Kehle fortspülte. Sie brachte es nicht über sich, Giles in die Augen zu schauen und den Triumph dort zu sehen, also erhob sie sich, schritt an ihm vorbei und stellte den Becher selbst auf dem Tisch ab.

Giles entging nicht, dass Fayth schamhaft die Augen niederschlug. Er kannte diesen Ausdruck gut, denn er hatte ihn beinahe täglich auf dem Gesicht seiner Mutter gesehen. Leise fluchte er über seine Dummheit. Lady Fayth zuckte zusammen.

„Mylady, ich wollte Euch lediglich zeigen, wie stark das Verlangen selbst von jemandem Besitz ergreifen kann, der sich dagegen gefeit wähnt.“

„Ja, ich habe die Lektion sehr wohl gelernt, Mylord“, erwiderte Fayth. Sie wandte sich ihm zu, und die Kälte in ihren Augen und die Blässe ihrer Haut sagten Giles, dass sie beide nicht von derselben Lektion sprachen.

Giles wusste nicht, was er sagen sollte. Keines der Worte, die ihm in den Sinn kamen, hätte ihre Scham zu lindern vermocht, sondern hätte die Botschaft, die er eigentlich vermitteln wollte, nur noch mehr zunichte gemacht. Er nickte in Richtung Bett.

„Legt Euch schlafen, Mylady. Es war ein langer, anstrengender Tag, und morgen früh erwartet uns viel Arbeit.“

Fayth schritt an ihm vorbei zum Bett. Über die Schulter warf sie Giles einen Blick zu, der dann über Stuhl, Fußboden und Bett glitt. Giles erkannte darin ihre Überlegung, wo er die Nacht zu verbringen gedachte.

„Nur zu, Mylady, legt Euch zur Ruhe.“ Giles ging zum Bett und lüftete die zahlreichen Schichten aus Leinenlaken, Wolldecken und Tierfellen, die in den langen, kühlen Herbstnächten wohlige Wärme boten. Er fragte Fayth gar nicht erst, ob sie vielleicht Kleid oder zumindest Tunika oder auch nur die Strümpfe ablegen wolle, denn ihre Furcht war schier greifbar.

Fayth atmete hörbar aus, streifte die Schuhe ab und schob sie unters Bett. Dann raffte sie ihr Kleid, stieg unter die Decken, rückte bis an die Wand und ordnete ihre Kleidung, sodass sie wieder züchtig bedeckt war. Giles deckte sie zu und wartete, bis Fayth bequem lag. Dann ging er durch die Kammer, löschte die Kerzen und bedeckte das Kaminfeuer für die Nacht mit Asche.

„Werdet Ihr hier schlafen?“, fragte Fayth im Flüsterton.

Aye, Mylady. Ich werde an Eurer Seite liegen.“ Er rechnete mit ihrem Protest, und als der ausblieb, setzte er von sich aus zu einer Erklärung an. „Wenn ich Euch hätte nehmen wollen, als wäre ich der Barbar, für den Ihr mich haltet, dann hätte ich dies sofort nach der Schlacht getan, als die Kampfeswut noch in mir brannte und solche Gelüste schwer zu beherrschen waren. Oder in den Nächten, in denen Ihr besinnungslos dalagt und keinen Widerstand hättet leisten können. Wenn ich beschließe, dass es so weit ist, Mylady, werdet Ihr keine Zeit haben, Euch Sorgen zu machen – es wird einfach geschehen.“

Giles blies die letzte Kerze aus und zog sich auf dem Weg zum Bett Tunika und Hemd über den Kopf. Er setzte sich auf die Kante, streifte die Stiefel ab, band das Beinkleid los und ließ beides achtlos auf dem Boden liegen. Dann hob er die Bettdecken bis auf die unterste, die er Lady Fayth als Schutzwall ließ.

Schließlich lag er da und lauschte ihrem flachen Atem. Er wusste, dass sie mit dem Rücken zur Wand lag, so weit wie möglich von ihm entfernt. So viel mehr Wälle als nur die dünne Decke trennten sie, und keiner davon würde leicht zu überwinden sein. Noch immer pochte das Verlangen in ihm. Es war in ihm erwacht, als er sie berührt, sie geküsst und liebkost hatte, und er fragte sich, warum er es für eine gute Idee gehalten hatte, Fayth eine Lektion in Sachen Sinnlichkeit zu erteilen. Das Blut, das ihm heiß durch die Adern rauschte, und seine sich regende Männlichkeit warnten ihn, dass er sehr wohl selbst in die Falle tappen mochte, die er Lady Fayth gestellt hatte.

So viel zu Lektionen in Sachen Sinnlichkeit.

Fayth hatte geglaubt, kein Auge zutun zu können in dem Wissen, dass Lord Giles unbekleidet an ihrer Seite schlief. Als aber das erste Sonnenlicht den Schleier der Nacht hob und sie sah, dass Giles nicht mehr da war, wusste sie, dass sie geschlafen haben musste. Denn sie hatte keinerlei Erinnerung daran, dass er gegangen war.

Ihr Rücken schmerzte, weil sie sich die ganze Nacht über an die harte Wand gepresst hatte in dem Versuch, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den warmen, kräftigen Körper neben sich zu bringen. Falls das, was zwischen ihnen vorgefallen war, Lord Giles bekümmert haben sollte, so hatte ihn das jedenfalls nicht daran gehindert, sofort in tiefen Schlaf zu fallen.

Fayth rieb sich die Augen und gähnte, dann glitt sie zur Bettkante. Der Stoff ihrer Kleiderschichten hatte sich ihr im Schlaf um Beine und Hüfte gewickelt, und Fayth war gerade dabei, alles zu ordnen, als die Tür beiseite gehoben wurde. Sie befürchtete schon ein erneutes Zusammentreffen mit ihrem Gemahl, um wenig später erleichtert festzustellen, dass es ihre Kammerfrau Emma war, die eintrat. Es dauerte nicht lange, bis im Kamin ein Feuer prasselte und ein Badezuber mit heißem Wasser für Fayth bereitstand.

Ihre Bedrückung schwand unter Emmas Fürsorge. Die Magd wirbelte durchs Gemach und erteilte barsch den Befehl, die Tür sofort wieder vor die Öffnung zu stellen und ihre Herrin während des Bades gefälligst nicht zu behelligen. Als sie sichergestellt hatte, dass die Tür wieder schloss und ein taugliches Hindernis für jeden möglichen Eindringling darstellte, wandte sie sich endlich Lady Fayth zu. Stirnrunzelnd betrachtete sie das Kleid, verzichtete aber auf einen Kommentar und machte sich stattdessen daran, Fayth mit geschickten Griffen vom Surcot, dem Obergewand, zu befreien, ihr aus den langen Ärmeln der Cotte zu helfen, die Schnürung dieses Untergewands zu lösen und ihrer Herrin schließlich noch das leinene Unterkleid abzustreifen. Nachdem sie die letzte Kleiderschicht entfernt hatte, entfuhr Emma ein entsetztes Keuchen. Fayth blickte an sich herab, um zu sehen, was ihre Kammerfrau so bestürzte.

Auf einer ihrer Brüste verunzierte ein Mal die Haut, ein Bluterguss. Fayth berührte den dunklen Fleck, spürte jedoch keinen Schmerz, was sie überraschte. Lediglich heiß fühlte sich die Stelle an.

„Hat er Euch wehgetan?“, fragte Emma gedämpft, während sie sich geflissentlich daranmachte, die Kleider auszuschütteln. „Hat er, Mylady?“

Fayth glaubte zunächst, sie spiele auf den Vollzug der Ehe an, und drohte vor Scham im Boden zu versinken, bis ihr aufging, dass ihre Magd das Mal meinte. Erneut durchlebte sie, wie Lord Giles die Stelle leidenschaftlich küsste und mit Lippen, Zunge und Zähnen liebkoste und so das Mal hinterlassen hatte. Die Erinnerung traf sie mit voller Wucht. Fayth spürte, wie ihr die Hitze im gleichen Augenblick in die Wangen stieg. Selbst jetzt noch, da sie in Gegenwart der Magd nach Worten rang, merkte sie, dass ihre Brüste dort, wo Giles sie berührt hatte, noch immer seltsam empfindlich waren.

Autor

Terri Brisbin
Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht.
Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt sie...
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Carol Townend

Carol Townend schreibt packende Romances, die im mittelalterlichen England und Europa spielen. Sie hat Geschichte an der Universität London studiert und liebt Recherchereisen nach Frankreich, Griechenland, Italien und in die Türkei – historische Stätten inspirieren sie. Ihr größter Traum ist, den Grundriss einer mittelalterlichen Stadt zu entdecken, die einzelnen Orte...

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