Historical Weihnachten Band 6

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WINTERWUNDER IN DEN HIGHLANDS von SUZANNE BARCLAY
Schottland, 1192: Duncan MacLallan glaubt, unter Heiden geraten zu sein, als er aus Fieberträumen erwacht. Doch die schöne Kara lehrt ihn, ihren Highland-Clan zu schätzen - und sie innig zu lieben. Trotzdem muss er sie noch vor Weihnachten verlassen. Wegen einer anderen ...

ENTSCHEIDUNG AM DREIKÖNIGSTAG von MARGARET MOORE
Warwickshire, 1226: Unfassbar! Lady Giselle ist nicht bereit, zu heiraten. Dabei wollte Sir Myles Buxton beim Weihnachtsfest um ihre Hand anhalten! Mit edlen Gaben will er ihr Herz erobern. Doch was schenkt man einer Maid, die nichts so sehr begehrt wie ihre Freiheit?

MEIN RITTER UNTERM MISTELZWEIG von DEBORAH SIMMONS
Nur einen Weihnachtswunsch hat die junge Noel: Sie will das Herz von Ritter Benedick erobern. Bis zum Dreikönigstag muss sie ihm zeigen, dass sie inzwischen eine Frau ist - eine Frau, die ihn seit langem liebt. Sonst muss sie seine Burg für immer verlassen ...

EIN LAIRD ZUM WEIHNACHTSFEST von JOANNE ROCK
Schottland, 1072: Lady Helene fürchtet dieses Weihnachtsfest. Denn im neuen Jahr soll sie den berüchtigten Clanführer Léod mac Ruadhán heiraten. Es sei denn, sie kann ihm weismachen, dass sie ihre Unschuld längst an einen anderen verloren hat!


  • Erscheinungstag 18.10.2013
  • Bandnummer 0006
  • ISBN / Artikelnummer 9783733763510
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Suzanne Barclay, Margaret Moore, Deborah Simmons, Joanne Rock,

HISTORICAL WEIHNACHTEN BAND 6

SUZANNE BARCLAY

Winterwunder in den Highlands

„Er ist der eine, den ich in den Flammen des Beltane-Feuers sah.“ Die junge Seherin Kara erkennt in dem fremden Kreuzritter den Retter ihres Clans. Sie pflegt den Verletzten gesund – und schenkt ihm ihr ungestümes Herz. Doch Duncan ist seiner Cousine versprochen. Wird er die Bande lösen, oder muss Kara ihn zeitlebens vermissen – so wie in dieser Winternacht?

MARGARET MOORE

Entscheidung am Dreikönigstag

Siegessicher trifft Myles auf Schloss Wutherton ein, um seine Braut kennenzulernen. Da erfährt er das Unglaubliche: Giselle hat ihrem Vormund abgenötigt, bei der Wahl ihres Gatten mitzuentscheiden – und es sieht nicht so aus, als könne die bezaubernde Lady sich für ihn erwärmen. Doch er weiß ein Geschenk, das ihr lieber ist als alles auf der Welt …

DEBORAH SIMMONS

Mein Ritter unterm Mistelzweig

„Ich kann doch dich heiraten!“ Benedick bebt vor lachen über Noels naseweisen Antrag. Sein Mündel hat die Burg in ein behagliches Heim verwandelt, doch sonst kann ein junges Ding wie sie ihm nichts bieten. Mag sie auch noch so hübsch sein mit ihrem Blondhaar, den blauen Augen und dem roten Mund – den sie ihm jetzt unter dem Mistelzweig anbietet …

JOANNE ROCK,

Ein Laird zum Weihnachtsfest

Es heißt, Léod mac Ruadhán sei grausam und unersättlich. Wer wollte Lady Helene also verdenken, dass sie sich vor ihrem Verlobten ängstigt? Um der Ehe zu entgegen, beschließt die Highlanderin, ihn während der Weihnachtstage zu brüskieren. Und der geheimnisvolle Gast, der sie eines Nachts zu treffen wünscht, kommt ihr dabei gerade recht …

1. KAPITEL

Schottische Küste, Oktober 1192

Eiskalter Regen fiel in dichten Kaskaden aus dem bleigrauen Himmel.

Duncan MacLellan hätte nicht gedacht, jemals wieder etwas so Wundervolles auf seiner Haut zu spüren. Er stand am Bug des kleinen Ruderbootes, das Gesicht gen Himmel gereckt, und seufzte. „Ah, es geht doch nichts über guten, ehrlichen schottischen Regen, um einen Mann die Jahre in der heidnischen Wüste vergessen zu lassen.“

„Bei Gottes Fußnägeln, bei dieser Hundskälte friert mir der Hintern noch am Sitz fest“, brummte Angus MacDougal.

„Angus!“, wies Duncan ihn mit einem einzigen Wort zurecht.

Sein Waffenbruder schnaubte nur. „Ich bin mir sicher, dass der Herr Verständnis dafür hat, wenn ich unter diesen Umständen seinen Namen missbrauche. Verdammt, ich kenne wirklich keinen anderen Mann, der seinen Glauben so ernst nimmt wie du.“

„Das hat mir das Leben gerettet während der letzten drei Jahre unter den Ungläubigen.“ Das und die Aussicht, Janet Leslie endlich als seine Braut in Anspruch zu nehmen, fügte er im Stillen hinzu.

Mit Gottes Wunsch und seinem eigenen Willen würde er seinem Ziel nun endlich näher kommen … nach so langer Zeit.

„Es ist eine Schande, dass viele, die sich in den Dienst des Kreuzes stellten, nicht so ehrenhaft und unerschütterlich in ihrer Treue zu Gott waren wie Duncan“, ertönte Vater Simons Stimme aus dem anderen Ende des Bootes. Im Gegensatz zu den beiden muskulösen Rittern war er spindeldünn, und auf seinem kahlen Schädel schälte sich noch der letzte Rest der Haut, die die sengende Wüstensonne verbrannt hatte. „Wäre es anders gewesen, wäre unser Unternehmen nicht ein so jämmerlicher Fehlschlag gewesen.“

„Es war kein Fehlschlag“, erwiderte Angus. „König Richard hat mit diesem elenden Saladin einen Handel geschlossen, der Christen eine sichere Reise zu den Küstenhäfen sichert.“

„Doch der Preis dafür war auf beiden Seiten zu hoch“, murmelte Duncan. Vor seinem inneren Auge sah er wieder die Bilder des Massakers von Acre vor sich. Ungläubige Geiseln wurden von Englands gutem König Richard einfach niedergemetzelt – allein der Gedanke daran reichte, um neue Wut in Duncan aufsteigen zu lassen. Für dieses barbarische Verhalten gab es keine Entschuldigung. Männer von Ehre richteten ihre Schwerter nicht gegen unbewaffnete Menschen.

„Du siehst aus, als sei dir was über die Leber gelaufen, Duncan“, murmelte Angus. Dann fiel sein Blick auf den dicken Verband unter Duncans Kettenhemd, und er runzelte die Stirn. „Schmerzt dich deine Wunde wieder?“

„Es juckt nur ein wenig, nicht mehr.“ Fast hätte ihn der Hieb des scharfen Scimitars das Leben gekostet. Doch dank der rechtzeitigen Hilfe der Brüder des Ritterordens des heiligen Johannes von Jerusalem hatte Duncan von dem Schlag nur eine Wunde in der Schulter davongetragen und nicht mit seinem Leben bezahlt.

„Du hättest noch eine Woche auf deinem Lager bleiben sollen, wie die Heiler es dir geraten haben“, sagte Angus. „Du bist so bleich wie die Segel dieser Kogge, auf der wir schippern. Und ganz sicher auf den Beinen bist du auch nicht.“

„Mir geht es gut.“ Im Geiste bekreuzigte Duncan sich und versprach, diese Lüge zu beichten, sobald sie Threave Castle erreicht hatten. „Ich schwanke nur so wegen des Schiffs. Nicht wegen meines Fiebers – das liegt längst hinter mir. Der Gedanke daran, meine Janet wiederzusehen und sie endlich heiraten zu dürfen … der verleiht mir mehr Stärke als alle Heiltränke der Brüder zusammen. Um ehrlich zu sein, wollte ich auch nicht allein unter lauter Fremden bleiben, während ihr beide weiter gen Heimat zieht.“ Gedankenverloren legte er seine Hand auf die Stelle, an der sich eine kleine Tasche mit eingenähten Rubinen unter dem Stoff seiner wadenlangen Tunika verbarg. Die Templer hatten die Beute aus seinen Raubzügen für die Steine angekauft – auf diese Weise konnte Duncan seinen Reichtum viel leichter und sicherer transportieren.

Angus brummte verächtlich. „Ich hoffe, deine Liebste weiß es zu schätzen, dass du all diese Mühen auf dich genommen hast, um als reicher Mann zu ihr zurückzukehren.“

„Das wird sie.“ Duncan sah auf das immer näher kommende Land. Feiner Nebel verschleierte den Hafen von Carlisle. Nur noch vage erinnerte sich Duncan an die düsteren Docks und verwahrlosten Gebäude, so wie er sie vor drei Jahren am Tag seiner Abfahrt gesehen hatte. Doch an die Straße, die vom Hafen zu Threave Castle führte, an die achtzig Meilen, erinnerte er sich nur zu gut. An Threave Castle und an Janet.

„Viel wichtiger ist, dass ihr Vater uns seinen Segen für die Hochzeit gibt.“

„Drei Jahre sind eine verdammt lange Zeit für eine Frau, um treu zu bleiben. Woher willst du wissen, dass sie nicht längst einen anderen hat?“

„Weil wir uns einander versprochen haben. Janet würde ihr Wort nicht brechen, ebenso wenig wie ich. Ihr Vater muss unser Gelübde anerkennen, denn es wurde auf eine heilige Reliquie gegeben.“

„Nicht alle Männer sind so ehrenvoll“, sagte Angus.

„Niall Leslie ist es.“ Niall, Gutsherr von Threave und der dritte Cousin von Duncans Vater, war bekannt dafür, dass er sein Wort hielt. „Auch wenn er mich für wertlos halten mag, so ist Janet seine vierte und jüngste Tochter. Er versprach seiner Frau am Totenbett, dass Janet sich ihren Gatten selbst auswählen dürfe. Und sie wählte mich.“ Der Gedanke, dass jemand wie Janet, ein perfektes Wesen, einen Mann wie ihn wollen könnte, erfüllte Duncan noch immer mit Stolz und Ehrfurcht.

„Dann hoffe ich für dich, dass du richtig liegst“, sagte Angus, „ansonsten waren die drei Jahre Enthaltsamkeit wohl umsonst.“

„Sie sagte, sie würde auf mich warten. Es war selbstverständlich, dass auch ich ihr treu sein würde.“

Aye, aber das ist für Männer doch etwas anderes als für die Weiber. Männer haben Bedürfnisse. Oder hast du diese schwarzäugigen Schönheiten etwa übersehen?“

„Heidnische Frauen.“ Duncan verzog das Gesicht. Dunkle exotische Kreaturen mit lüsternen Augen und wiegenden Hüften. Viele der Kreuzritter hatten ihren sinnlichen Verführungskünsten nachgegeben. Duncan hatte durchaus körperliches Verlangen nach diesen Frauen verspürt, es jedoch unterdrückt. Er war aus anderem Holz geschnitzt als die Männer, die ihren Begierden willenlos nachgaben; seine Selbstbeherrschung war wie Stahl, dank der harten Lektionen, die sein Cousin Niall in ihn hineingeprügelt hatte. Sosehr Duncan sich auch darauf freute, Janet wiederzusehen, so freute er sich doch fast noch mehr auf das Gesicht von Cousin Niall, wenn der das Vermögen, das Duncan gemacht hatte, erblicken würde.

Spätestens dann würde Cousin Niall ihn nicht mehr als wertlosen Abschaum oder Sohn einer Hure beschimpfen können. Nicht, wenn er Duncan mit dem Zeichen der Kreuzritter auf der Brust und den Juwelen in der Hand sah.

Der Bug des Schiffes stieß knirschend ans Ufer der felsigen Küste. Die Seeleute sprangen heraus und beeilten sich, das Schiff zu vertäuen. Als Duncan von Bord ging, hätten seine Beine beinah unter ihm nachgegeben.

„Hey, nur die Ruhe …“ Angus griff nach seinem Arm, um ihn zu stützen. „Du nimmst dir am besten ein Zimmer im Gasthaus und ruhst dich ein bisschen aus, damit du wieder zu Kräften kommst.“

Vater Simon beeilte sich, Duncan von der anderen Seite zu stützen. „Ich könnte meine Reise zum Kloster auch noch verschieben, wenn du das wünschst.“

„Nay.“ Duncan richtete sich auf und befreite sich von den stützenden Händen. Er hasste es, schwach zu sein, und noch mehr hasste er es, andere um Hilfe zu bitten. Er war auf sich allein gestellt gewesen, seit seine Mutter sich zu Tode gesoffen hatte, als er zehn Jahre alt war und Cousin Niall ihn unter Murren bei sich aufgenommen hatte.

„Es ist meine christliche Pflicht“, hatte Cousin Niall damals gesagt, jedoch niemals einen Hehl daraus gemacht, dass Duncan eine unwillkommene Last war. Und eine beschmutzte noch dazu. Dass seine liebste Tochter sich nun Duncan als Ehemann auserkoren hatte, machte Niall nur umso abweisender und gehässiger gegenüber seinem Mündel – natürlich nur solange seine Tochter außer Sicht- und Hörweite war.

„Mir geht es gut, Angus“, sagte Duncan. „Ich habe genug Geld, um mir ein schnelles Pferd leisten zu können und endlich einen vernünftigen Mantel anstelle dieses Lumpenumhangs zu tragen.“

„Du weißt, wo du mich finden kannst“, sagte Vater Simon. „Solltest du Hilfe brauchen, lass einfach nach mir schicken.“

„Oder nach mir“, fügte Angus hinzu.

Duncan nickte, auch wenn er wusste, dass er keinen der beiden Männer jemals rufen würde. Auch wenn sie gemeinsam drei Jahre Hölle durchstanden hatten, konnte er sich nicht einmal ihnen ganz öffnen.

Er hatte es selbst gehasst, während seiner Erholung auf die Hilfe der Mönche angewiesen zu sein.

Die drei Männer verabschiedeten sich am Stadtrand. Duncan schätzte, dass er etwa eine Woche brauchen würde, bis er Threave erreichte, wo er endlich Janets Liebe genießen und ihren Vater an seinen bitteren Worten ersticken sehen konnte.

Das Fieber übermannte ihn nur zwei Tage später, so leise und gerissen wie ein Krieger der Ungläubigen. Anfangs glaubte er, dass das Wetter langsam wärmer würde. So warm, dass er seinen Mantel auszog und die feuchte Luft seinen erhitzten Körper kühlen ließ. Seine Gedanken wanderten zurück zu Janet, zu dem Tag, da er Threave Castle verlassen hatte. Wie schön sie damals gewesen war, so heiter und rein wie eine Madonna. Sie trug ein blaues Gewand, das die Farbe ihrer Augen unterstrich. Diese Augen, die vom Weinen ganz rot und geschwollen waren, doch keine Träne war darin zu sehen gewesen – Janet hatte ihrem Kummer in aller Abgeschiedenheit Luft gemacht.

Gesegnet sei Janet, seine freundliche, süße Janet, die niemals ein böses oder zorniges Wort gesagt hatte. Sie passten gut zu­einander. Sie würden nicht streiten und schreien, wie seine Eltern es getan hatten. Sie würde ihm auch keine Schande durch andere Männer bereiten, so wie seine Mutter es nach dem Tod seines Vaters getan hatte.

Die Erde unter ihm begann sich zu bewegen und zu schwanken. Er hatte Mühe, sich aufrecht im Sattel zu halten. Und es war so unglaublich heiß; so heiß, dass er schon glaubte, er befände sich wieder in seinem Zelt vor den Toren Jerusalems.

Vielleicht war das alles hier nur ein Traum, und in Wirklichkeit war er gar nicht nach Schottland zurückgekehrt.

Diese Vorstellung versetzte ihn in höchste Alarmbereitschaft; er setzte sich auf und sah sich aufmerksam um. Um ihn herum war das Land so zerklüftet wie die Highlands, in denen seine Mutter aufgewachsen war, mit bedrohlichen Bergspitzen, die zwischen den sanften Hügeln wie gewaltige Biester gen Himmel aufragten. Verdammt, aber sie waren grün. Er musste sich in Schottland befinden, denn kein anderes Land der Welt war von einer solch intensiven Farbe. Dann sah er wenige Fuß entfernt von der Straße einen Fluss. Wenn er sich das Gesicht mit dem feuchten Nass kühlte, würde er sich sicherlich besser fühlen.

Duncan schwang sich aus dem Sattel. Als seine Füße den Boden berührten, wurden ihm die Knie weich. Diesmal waren da keine hilfsbereiten Arme, die ihn auffangen und stützen könnten. Seine Hände fanden Halt an der struppigen Mähne seines Pferdes, doch die Bewegung sandte gleißenden Schmerz durch seine kaum verheilten Muskeln, und er stöhnte auf. Nur langsam hörte die Welt auf, sich wie verrückt zu drehen, und er kroch mühsam zum Ufer des Flusses, um sein heißes Gesicht mit Wasser zu benetzen.

Kühl. So kühl wie der verschämte Kuss, den Janet ihm zum Abschied gegeben hatte, als er seine Heimat verließ, um sich dem Kreuzzug anzuschließen. Der Fluss rauschte, doch das Geräusch wurde von einem tiefen, kehligen Knurren übertönt.

Hunde, dachte er.

Er hob den Kopf und sah etwa ein Dutzend schwarzer Schemen aus dem Wald hervorhetzen, nur etwa hundert Yards entfernt. Die Hunde von Cousin Niall kamen, um ihn zu begrüßen. Er streckte seine Hand aus und wartete.

Doch als die Tiere langsam näher kamen, bemerkte er, dass es keine Hunde waren.

Wölfe!

Duncan versuchte aufzustehen, doch seine Füße fanden keinen Halt, und er rutschte aus und schlug sich im Fall den Kopf an. Dunkelheit bemächtigte sich seiner.

Wölfe!

Kara Gleanedin blieb stehen und drehte sich um.

Die Sonne war gerade eben hinter dem Ring aus Bergen verschwunden, der das Edintal auf allen Seiten umschloss. Nach außen hin waren die Steilwände schroff und abweisend, doch zum Talkessel hin lagen üppige, weich abfallende Hügel, die ihr Clan seit Generationen seine Heimat nannte. Von ihrem Standpunkt über dem Pass aus, der zur Schlucht führte, konnte sie das gesamte Tal überblicken.

Lange Schatten krochen unter den Bäumen hervor, die die Berghänge bedeckten. Doch die einzigen Bewegungen auf den grünen Hügeln waren die Leute des Clans Gleanedin, die, lachend und miteinander scherzend, das Holz für die Samhuinnfeuer aufschichteten, die in drei Nächten angezündet werden wollten.

„Was ist da?“ Eoin zog sein langes Messer aus der Scheide.

„Wölfe.“

„Hier in Edin?“ So etwas hatte es noch nie gegeben. Doch auch wenn die Außenseiten der Berge zu steil waren, als dass ein Mensch sie besteigen könnte, so ließ sich doch manchmal ein Wolf dazu verführen, den beschwerlichen Weg ins Talinnere auf sich zu nehmen, um Jagd auf die schmackhaften Schafe zu machen, die auf den Hängen grasten.

„Ich bin nicht sicher.“ Kara sah nachdenklich in das kleine Feuer neben der Hütte, das die Wächter entzündet hatten, um sich bei diesem nasskalten Wetter ein wenig aufzuwärmen. Ihre Gabe – es waren Vorahnungen, die sie manchmal überfielen – ließ sich nicht willentlich und nach Wunsch herbeirufen. Doch diesmal waren die Zeichen unglaublich stark.

Dort, in den züngelnden Flammen, sah sie es wieder: ein Rudel vierbeiniger Kreaturen mit schwarzem zottigem Fell, das durch die Felder in Richtung des Flusses schlich. Zu ihrer Beute …

Karas Augen weiteten sich, als sie die Figur in den Flammen besser sehen konnte. Ein Mann lag am Ufer des Flusses, der sich quer durch das Tal zog. Die Sonne brach sich auf den Gliedern seines Kettenhemdes, und es sah aus, als würde er von innen heraus leuchten. Sein langes schwarzes Haar war offen und klebte nass an seinem Kopf. Sie konnte ihn dabei beobachten, wie er mühsam versuchte, sich aufzurichten, nur um erneut zusammenzubrechen, die Finger im dicken Schlamm des Ufers vergraben.

Die Wölfe heulten vor Vorfreude, auf ihren Gesichtern …

Gesichter?

„Das sind keine Wölfe“, rief Kara. „Das sind die MacGorys in Wolfsfellen.“ Sie lief fort von dem Feuer und den Visionen, die sie darin gesehen hatte. Ihr aus grober Wolle gefertigter Rock schwang um ihre nackten Beine, als sie zu den Pferden lief.

Eoin lief neben ihr her. „Hattest du eine Vision?“

Aye. Ein Mann liegt im Flachland am Fluss. Er ist krank oder verletzt.“ Noch während sie sprach, schwang sie sich auf ihr struppiges Pferd. „Eine Gruppe der MacGorys hat ihn eingekreist.“

Eoin griff nach ihren Zügeln und hielt sie fest. „Es könnte eine Falle sein.“

„Vielleicht.“ Die MacGorys hatten nahezu alles schon versucht, um die Vormacht in Edin an sich zu reißen, doch das Tal war gut geschützt durch die starken Naturgegebenheiten. „Nay. Er ist keiner von ihnen.“

„Was macht dich so sicher?“

„Ich weiß es einfach.“ Es gab keine logische Erklärung für ihre Gabe; sie wusste nur, dass alle Frauen in ihrer Familie diese besondere Fähigkeit besessen hatten. „Schnell, ruf die Männer zusammen.“

„Warte!“, rief Eoin ihr nach.

„Keine Zeit zu verlieren.“ Kara wendete ihr Pferd in Richtung des Passes. Hinter ihr versammelten sich die anderen, um ihr nachzureiten.

Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, während Kara durch den natürlichen Tunnel innerhalb der Berge ritt, der den einzigen Weg ins Edin Valley darstellte. Dahinter erreichte sie eine hohe Klippe oberhalb des Flusses. Kara ließ den Blick nach unten und den Fluss entlangschweifen.

Ein kurzes Aufblitzen erregte ihre Aufmerksamkeit.

„Da! Da ist er!“ Sie schlug der Stute die nackten Hacken in die Flanken, um sie anzutreiben, und jagte hinab in Richtung Fluss. Das Flussbett lag direkt vor ihr. Sie ritt hindurch, genau in dem Augenblick, als die MacGorys zu rennen begannen. Ihre Umhänge, die sie bisher getarnt hatten, flatterten wie schwarze Flügel hinter ihren Körpern, während die Männer auf den einzelnen Mann zuliefen, der ausgestreckt am Flussufer lag.

Zu spät. Sie würde zu spät kommen!

Da pfiff ein Pfeil über Karas Kopf hinweg und bohrte sich in die Kehle des Anführers der MacGorys. Wie ein gefällter Baum fiel dieser zu Boden. Die übrigen MacGorys wurden nun auf Kara und ihre Clanleute aufmerksam; sie wechselten abrupt die Richtung und rannten nun direkt auf die Gleanedin zu. Ihr durchdringender Kampfschrei ließ die Vögel in den Baumkronen erschreckt auffliegen.

Eoin brach seinerseits in inbrünstiges Kampfgeheul aus. „Kümmere du dich um unseren Streuner dort, Kara“, rief er. „Wir kümmern uns um diese …“ Die Schimpfworte verloren sich in dem lauten Getrappel der Hufe und den aufgeregten Schreien zweier Gleanedins, die es kaum erwarten konnten, den MacGorys ihren letzten Beutezug von vor sechs Monaten und diverse andere Beutezüge auf ihrem Land heimzuzahlen.

Kara murmelte ein kurzes Gebet für ihre Clanleute, um für ihre Sicherheit zu bitten, und beeilte sich, zu dem Mann am Ufer zu gelangen. Er lag mit dem Gesicht nach unten, mit einer Hand umklammerte er einen Langdolch. Handelte es sich um eine Falle, oder hatte er sich aus Angst vor den Wölfen so eingerollt?

„Du kannst wieder aufstehen; es sind keine Wölfe, nur ein Rudel stinkender MacGorys, und Eoin kümmert sich gerade um sie“, rief sie ihm zu. Er antwortete nicht, und sie stieg vom Pferd und stieß ihn versuchsweise mit dem nackten Fuß vorsichtig in die Seite. Er zuckte nicht einmal zusammen. Offensichtlich war er bewusstlos.

„Verdammt, du bist ein ganz schön schwerer Brocken.“ Er musste mindestens sechs Fuß groß sein und an die sechzehn Stones wiegen.

Möglicherweise hatte er sich auch den Kopf gestoßen und damit selbst kampfunfähig gemacht.

Kara kauerte sich neben ihn und starrte auf die blauschwarzen Haarsträhnen, die an seinem Hals klebten. Vorsichtig tastete sie seinen Kiefer entlang, um zu sehen, ob er überhaupt noch lebte. Als sie seinen kräftigen Puls unter ihrem Finger spürte, schien ihr eigenes Herz ins Stocken zu geraten. Ihre Hand zuckte zurück, und in den Fingern spürte sie ein seltsames Kribbeln. „Was soll …?“

Der Mann lag noch immer stumm und reglos auf dem Boden. Hatte sie sich dieses seltsame Gefühl nur eingebildet? Kara schüttelte den Kopf. Das tat jetzt nichts zur Sache. Sie musste ihn von hier fortschaffen, und das konnte sie unmöglich allein tun.

„Hallo. Bist du wach?“ Sie stieß ihn mit dem Finger an. Die Metallglieder seines Hemdes fühlten sich kalt und glitschig an. Was für eine seltsame Art, sich zu kleiden. Sie stieß ihn noch einmal an, härter diesmal.

„Argh! Willst du mich umbringen?“ Er rollte sich herum, bis er auf dem Rücken lag, einen Arm über sein Gesicht gelegt.

Nay, ich wollte nur sichergehen, dass du unverletzt bist.“

„Indem du mich mit glühenden Zangen stichst und mich in der Wüste aussetzt, damit ich von Wölfen gefressen werde?“

„Wölfe.“ Kara drehte den Kopf zur Seite und sah die MacGorys, die laut schreiend und fluchend vor Eoin und den Clanleuten über die Wiese gejagt wurden. „Um die Wölfe musst du dir keine Sorgen machen, die sind schon so gut wie weg. Wie heißt du?“

„Duncan. Heiß … verdammt, es ist so heiß.“

Heiß? Es war ein frischer Oktobertag, und der Wind, der die Bergrücken entlangpfiff, ließ Karas Haut in ihrem Rock und der einfachen Tunika frösteln. „Bist du krank?“, fragte sie alarmiert.

„Natürlich nicht. Bin nie krank gewesen.“

„Vielleicht eine Wunde? Wo wurdest du verletzt?“

„Antiochien.“

Das war wohl ein Ort, wenn auch keiner, von dem Kara jemals gehört hätte. „Ich meinte, wo an deinem Körper wurdest du verletzt?“

„Schulter.“

Mit geübten Händen strich sie über seinen Brustkorb und spürte schon bald den dicken Verband auf seiner linken Seite. Sanft drückte sie dagegen.

Er stöhnte; ein tiefer, knurrender Laut.

„Tut das weh?“

Nay. Mir geht es gut. Lass mich … lass mich einfach hier liegen.“

„Männer – nie wollt ihr zugeben, dass ihr Hilfe braucht!“, schimpfte Kara, nun endlich wieder auf vertrautem Terrain. Sie berührte seine Stirn. „Das hilft dir aber nichts, du glühst vor Fieber und wirst hier sterben, wenn du liegen bleibst. Du kannst ohne Hilfe ja nicht einmal allein aufstehen.“

Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht. In der einbrechenden Dämmerung schien es nur noch aus tiefen Schatten zwischen kantigen Zügen zu bestehen, einer breiten Stirn, eingesunkenen Augen, einer geraden Nase und einem breiten Kinn. „Brauch keine Hilfe. Will keine Hilfe.“

„Dein Pech, Duncan, man bekommt selten das, was man sich wünscht.“

Eine laute Stimme rief nach ihr. Aindreas, der Leiter der Nachtwache, begann gerade seinen Dienst. „Hob sagt, die Jungs jagen ein paar MacGorys und dass du ’nen Verletzten bei dir hast. Brauchst du Hilfe?“

Aye, bring mir ein paar Fackeln und Decken“, rief sie zurück. „Wir müssen eine Trage zusammenbauen, um ihn hier wegzuschaffen.“

„Nay.“ Ihr Patient versuchte mühsam, sich aufzusetzen. Sie stieß ihn mit dem Zeigefinger zurück und sorgte dafür, dass er liegen blieb, bis die Männer kamen. Das Licht der näher kommenden Fackeln tauchte die Umgebung in goldenen Schein, und zum ersten Mal konnte Kara einen wirklichen Blick auf Duncan erhaschen.

„Ihr Götter!“, entfuhr es ihr.

„Kennst du ihn?“ Aindreas zog sein langes Messer und deutete damit auf den Fremden.

Doch für sie war er kein Fremder. „Steck das wieder ein“, sagte sie scharf zu Aindreas. „Er ist keine Bedrohung für uns.“

„Wer ist das?“

„Der Mann, der uns retten wird.“

„Wirklich?“ Aindreas beugte sich zu ihm hinunter und musterte ihn. Was er sah, schien ihn nicht sonderlich zu beeindrucken. „Das ist der Mann, den du im Beltanefeuer im Mai gesehen hattest?“

„Ebender.“ Sie kniete sich neben Duncan. „Es tut mir leid, dass ich dich angestoßen habe.“

Er starrte zu ihnen herauf, und sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich weiter. „Heiden.“

Aindreas versteifte sich. „Hör dir das an, es gibt keinen Grund …“

„Heidnische Barbaren“, murmelte Duncan. „Muss hier weg.“ Er kam endlich auf die Füße, und für einen Mann, der halb bewusstlos war vor Fieber, bewies er eine erstaunliche Kraft.

„Duncan, lass mich dir helfen!“

Er stieß Karas Hand beiseite. „Keine Hilfe.“ Noch immer zitternd und unstet, wandte er sich um und blickte sich suchend nach seinem Pferd um. „Muss hier weg.“ Er schaffte es, zwei Schritte zu tun, ehe die Beine unter ihm nachgaben.

Aindreas fing ihn im Fall auf und ließ ihn zu Boden gleiten.

„Dreckige Heiden“, murmelte Duncan.

Aindreas sah Kara an. „Sieht für mich nicht gerade so aus, als sei er gekommen, um unseren Retter zu spielen.“

Duncan protestierte immer noch, während Aindreas und die anderen ihn aufhoben, auf die Trage betteten und davontrugen.

Kein gutes Zeichen für Karas Pläne.

2. KAPITEL

Mach mich los“, knurrte Duncan zwischen zusammengebissenen Zähnen.

„Du bist noch nicht gesund genug, um aufzustehen, und du bist zu dumm, um es zu begreifen“, sagte seine Wächterin fröhlich. Sie stand an dem winzigen Sehschlitz, dem einzigen Fenster in der zellenähnlichen Kammer, und sah hi­naus. Sie hatten ihn vor zwei Nächten hergebracht, und seither lag er hier.

Duncan konnte sich nicht an viel erinnern, in seinen Erinnerungen vermischten sich Bilder von Wölfen und Fackellicht und der Hitze der Wüste. Nay, das war ein Fiebertraum gewesen. Doch mittlerweile war er wieder genesen. „Das Fieber ist weg.“

„Seit Tagesanbruch“, bestätigte sie, ohne sich vom Fleck zu rühren. „Aber du bist so schwach, dass du gleich wieder zusammengebrochen bist, als du versucht hast, aufzustehen.“

„Kein Grund, mich gleich ans Bett zu fesseln“, grollte er. „Ich werde es schon nicht wieder tun.“

Sie wandte sich vom Fenster ab und neigte den Kopf in seine Richtung. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne hüllten sie in ein unwirkliches Licht und ließen sie wie eine heidnische Göttin wirken. Ihr Haar fiel ihr ungebändigt in weichen Locken über die Schultern bis hinab auf ihren Rücken. Dort, wo das Sonnenlicht auf sie traf, erstrahlten die wilden Strähnen rot wie der feinste Burgunderwein. Ihr Gesicht war eher außergewöhnlich als schön, mit goldenen Augen, wie die einer Katze, hohen Wangenknochen, einer geraden Nase, vollen Lippen und einem spitzen Kinn, das deutlich auf ihren starken Willen hinwies.

Selbst ihr Name war seltsam und heidnisch. Kara Gleanedin, so hatte sie sich ihm vorgestellt. Nicht Mary oder Margaret wie die meisten Frauen, die nach Heiligen benannt wurden. Nicht einmal ein normaler ordentlicher Name wie Jean oder Janet. Janet, gütiger Gott, sie unterschied sich von seiner kühlen, reinen Janet, wie der Tag sich von der Nacht unterschied. Diese Kara war nicht nur dunkel und ungewöhnlich, sondern auch alles andere als zurückhaltend. Ihr Rock aus grober Wolle reichte ihr gerade einmal bis zu den Knöcheln, und unter dem Stoff zeichneten sich deutlich ihre Schenkel ab. Allein sie anzusehen reichte aus, um ein nur allzu vertrautes Brennen in ihm zu wecken. Verlangen. Tief in ihm gab es sie noch, die Saat des Verwerflichen, die Cousin Niall nicht aus ihm hatte herausprügeln können. Etwas an diesem wilden Mädchen sprach zu dem Teil in ihm, den er von seiner Mutter geerbt hatte. Er biss die Zähne zusammen und zerrte an den Stricken, die ihn an das Bett fesselten. „Lass mich aufstehen!“

„Du stehst auf, wenn ich es sage.“

Roter Nebel verschleierte Duncans Sicht, und er hörte auf, sich gegen seine Fesseln zu wehren. „Also bin ich ein Gefangener.“

„Du bist mein Patient.“ Ihre Stimme war weich und warm. Ihre Hüften bewegten sich in verführerischen Schwüngen, als sie auf das Bett zukam.

Verdammt. Duncan schloss die Augen.

„Siehst du, selbst dieser kleine Streit hat dich erschöpft.“

Ha! Duncans Augen öffneten sich wieder, genau in dem Moment, als sie auf Höhe seines Ellbogens stehen blieb. Er saugte ihren Duft auf. Das war nicht der saure Gestank von Schweiß und Pferden. Er wünschte, es wäre so. Nein, sie roch nach Heidekraut. Verdammt. Er hatte von Heidekraut geträumt, während er fiebernd in der Krankenstation gelegen hatte. Von Heidekraut und von seinem Zuhause. Es fühlte sich fast obszön an, diesen Duft nun hier in der Nase zu haben, unterlegt mit dem süßen Moschusduft dieser Heidin.

„Ich bin nicht müde“, fauchte Duncan. „Ich bin wütend da­rüber, dass du und dein … dein heidnischer Clan es gewagt habt, einem Kreuzritter aufzulauern, der sich auf seinem Weg zurück aus dem Heiligen Land befindet.“

„Was ist das, ein Kreuzritter?“ Sie setzte sich neben ihn aufs Bett.

Ihr Duft überwältigte ihn. Duncan stöhnte.

„Bin ich gegen deine Wunde gestoßen?“, fragte sie.

Er kniff die Augen zusammen, biss die Zähne so hart aufeinander, dass sein Kiefer schmerzte und brachte ein Nicken zustande.

„Es tut mir leid.“ Sie stand auf und setzte sich dann wieder auf den Schemel, auf dem sie schon gesessen hatte, als er am Morgen aufgewacht war. „Was ist ein Kreuzritter?“

„Hast du noch nichts von ihnen gehört?“

Sie schüttelte den Kopf, und ihre Locken flogen nur so um ihren Kopf. Sie war so nah bei ihm, dass er ihre Sommersprossen sehen konnte, kleine Pünktchen wie Zimt, die ihre Nase und ihre Wangen besprenkelten. Selbst die grünen Flecken in ihren bernsteinfarbenen Augen konnte er erkennen. Die Augen einer Hexe, dachte er bei sich. Das würde zumindest einiges erklären, doch es machte es ihm nicht leichter, hier zu liegen.

„Wir Kreuzritter sind Ritter, die das Kreuz tragen …“

„Was für ein Kreuz? Wo tragt ihr es hin?“

„Das sagt man nur so“, grollte er. „Wir legen unsere Hände auf das Kreuz und überantworten uns Gott; dann ziehen wir aus, um die Ungläubigen aus dem Heiligen Land zu vertreiben.“

„Oh.“ Ihr Gesicht verdüsterte sich. „Du bist also ein Priester?“

„Das heißt, du hast also doch schon einmal vom Christentum gehört.“

Sie setzte sich aufrecht hin. „Trotz deiner Beschimpfungen sind wir keine Heiden. Wir … wir folgen einfach noch den alten Wegen.“

„Du kannst nicht Heidin und zur gleichen Zeit Christin sein.“

„Vater Luthais macht es nichts aus, also warum sollte es dich stören?“

„Es gibt hier also einen Priester.“ Duncan spürte, wie eine Welle der Erleichterung ihn durchströmte. „Bring ihn zu mir.“

Nay, ich …“

„Wenn du nicht willst, dann gehe ich eben zu ihm.“ Er zerrte abermals an seinen Fesseln.

„Er lebt nicht bei uns, sondern im Kloster in Kindo. Und hör endlich auf, dich gegen die Fesseln zu wehren, du reibst dir nur deine armen Handgelenke wund.“

„Bezeichne mich niemals als arm!“ Als sie mit dem Finger über sein Handgelenk strich, sog Duncan scharf die Luft ein; die Berührung entfachte in ihm ein Feuer. Es raste durch seine Adern wie ein Blitz, der den sommerlichen Himmel zerriss. Jeder Nerv in seinem Körper vibrierte, jeder Muskel zuckte zusammen. Besonders die, über die er keine Kontrolle mehr zu haben schien. Er dankte dem Himmel stumm für die dicke Decke, sonst hätte sie sicherlich sofort gewusst, wie es um ihn bestellt war.

„Dickköpfiger Mann, ich will dir nur helfen.“

„Dann lass mich gehen“, knurrte er.

„Und höchst undankbar bist du noch dazu. Vater Luthais sagt, wir sollen dankbar denen gegenüber sein, die uns Gutes wollen.“

Lektionen in Manierlichkeit, und das von einer Heidin. „Ich bin dankbar, dass du mich gerettet hast, vor …“ Er war sich nicht sicher, wovor eigentlich.

„Den MacGorys.“ Sie grinste. „Eoin und die Jungs haben vier unserer Feinde getötet und den Rest in die Hügel gejagt.“

Er versuchte, sich die empfindsame Janet, die beim bloßen Anblick von Blut in Ohnmacht fiel, dabei vorzustellen, wie sie von einem Kampf mit solch offensichtlichem Genuss sprach. Er brachte es nicht fertig. „Nun ja, dann danke ich dir für dein rechtzeitiges Eingreifen. Und dafür, dass du mich gepflegt hast, bis das Fieber weg war, aber ich werde noch woanders erwartet und kann hier nicht mit …“ Plötzlich erinnerte er sich an den Beutel mit den Edelsteinen. „Wo sind meine Sachen?“, rief er und hob den Kopf, um sich hektisch im Zimmer umzusehen.

„Dort.“ Sie zeigte in die gegenüberliegende Ecke, wo sein Schwert an die raue Steinwand gelehnt war. „Wir sind keine Diebe.“

„Das muss sich erst noch beweisen. Ich hatte auch noch eine Tasche, die an meinem Gürtel hing. Darin befinden sich meine Papiere und einige Münzen.“

Das Mädchen lächelte und stand vom Bett auf, nur um kurz darauf mit der ledernen Tasche zurückzukehren. „Hier ist sie.“

„Binde mich los, damit ich nachsehen kann, ob der Inhalt noch darin ist.“

Sie runzelte die Stirn und presste die Tasche gegen ihre Brust, über die Stelle, an der ihr Herz lag. Durch die Bewegung wurde der Stoff ihres hässlichen braunen Kleides mit einem Mal eng gegen ihre Brüste gedrückt. „Wir würden dich nicht bestehlen.“

„Warum nicht? Du hast offensichtlich auch keine Bedenken, mich hier gefesselt liegen zu lassen.“

Sie seufzte. „Das tu ich nur, um dich davon abzuhalten, dir selbst weiter zu schaden.“

„Ich sorge schon für mich selbst, seit ich zehn Jahre alt bin, und ich bin immer noch derjenige, der am besten weiß, was gut für mich ist.“

Tränen traten ihr in die Augen und brachten die Farben darin zum Schimmern. „Du hast keine Familie“, flüsterte sie.

Er wollte ihr Mitleid nicht. „Ich habe einen Cousin.“

„Sicher, er nahm dich auf. Wir haben eine Menge Waisen hier in Edin, dank der niederträchtigen MacGorys, doch wir kümmern uns um sie.“

„Cousin Niall gab mir ein Heim“, erwiderte Duncan kühl.

„Er war nicht gut zu dir.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Sie tänzelte zurück zum Bett und ließ sich neben ihn fallen; der Duft von Frau und Heidekraut hüllte ihn ein weiteres Mal ein. „Mach dir keine Sorgen. Jetzt hast du ja uns.“ Sie strich ihm über die Wange.

Seine Brust wurde ihm eng, und er biss die Zähne zusammen, um dieses seltsame Gefühl ignorieren zu können. Es war sicherlich Abscheu, was er da fühlte, versuchte er sich einzureden. „Ich brauche euch nicht.“

„Oh.“

Sie wich zurück, Verwirrung und Schmerz huschten über ihr allzu ausdrucksstarkes Gesicht. War sie sich über ihre Offenheit eigentlich bewusst?

„Das ist absolut nicht so, wie es sein sollte.“

„Was meinst du damit?“

Bevor sie antworten konnte, öffnete sich die Tür, und herein kam der hässlichste Mann, den Duncan jemals gesehen hatte. Er musste sich ducken, um in dem niedrigen Raum nicht an die Decke zu stoßen. Sein Gesicht war voller Falten, und die Nase stand schief zu einer Seite ab. Das Schlimmste an seinem Gesicht aber war die lange Narbe, die sich von der Stirn bis hin zu seinem rechten Ohr zog. Es war ein Wunder, dass er bei dieser Verletzung nicht das Augenlicht verloren hatte.

„Fergie.“ Das Mädchen stand auf und warf sich in die Arme des Mannes, der ihre Umarmung mit unübersehbarer Kraft erwiderte. „Ich habe dich so vermisst.“ Sie umfasste sein Gesicht mit beiden Händen und betrachtete bewundernd die vernarbten Züge seines zerstörten Gesichts.

Wie konnte sie bei diesem Anblick nur lächeln? Selbst Duncan, der schon viele Narben aus der Schlacht gesehen hatte, konnte den Anblick des Mannes kaum ertragen.

„Und ich habe dich vermisst, Mädchen.“ Fergie küsste sie auf den Kopf, schlang einen riesigen Arm um ihre Schultern und schlenderte mit ihr zum Bett. „Eoin hat mir berichtet, dass du wieder einen Streuner aufgesammelt hast“, sagte er mit einer Stimme, die so rau klang wie Kiesel in einem Becher.

„Sein Name ist Duncan MacLellan. Duncan, das ist mein Onkel Fergie, Laird des Gleanedin-Clans.“

„Warum ist er gefesselt?“

Duncan hatte genug davon, auf dem Bett liegend als Schaustück für alle anderen herhalten zu müssen. „Weil sie eine gemeine, herrschsüchtige kleine Hexe ist“, polterte er.

Fergie warf seinen grauhaarigen Kopf zurück und lachte schallend. „Das ist sie in der Tat.“ Er wischte sich Lachtränen aus den Augenwinkeln.

„Das bin ich nicht, und die Fesseln sind nur zu seinem Besten.“

„Das sagen sie alle, wenn sie einen Mann dazu kriegen wollen, etwas zu tun, was er nicht tun will.“ Fergie zwinkerte.

Duncan spürte, dass er hier einen Verbündeten gefunden hatte, und konzentrierte sich darauf, ihm in die Augen zu sehen; auf die Narbe zu starren war ohnehin unhöflich und auch verstörend. „Sie hat mich hier festgebunden und mich gezwungen, irgendwelche seltsamen Tränke zu schlucken.“

„Hmm. Hat dich damit aber geheilt, oder etwa nicht?“

Duncan grunzte unwillig.

„Manchmal ist es gar nicht so unpraktisch, eine Hexe im Ort zu haben“, sagte das Mädchen unschuldig.

Verdammt, war sie wirklich eine Hexe? „Ich habe ihr bereits für ihre Pflege gedankt. Aber ich muss jetzt wirklich weiterziehen.“

„Er ist eine Waise, Fergie, und er hat kein Zuhause, wohin er gehen könnte.“

Duncan bemerkte, dass sie ihren eindrucksvollen Onkel beim Vornamen nannte; eine Ehre, die Cousin Niall seinem ungeliebten Mündel niemals hatte zuteilwerden lassen. „Mein Cousin erwartet mich.“ Eine weitere Lüge, die er später würde beichten müssen. Für einen Mann, der sonst kaum sündigte, sammelte er gerade eine ganze Menge Schuld an.

„Sein Cousin hasst ihn“, sagte Kara.

Duncan spürte sein Blut durch die Adern rauschen. „Woher willst du das wissen?“

„Ich weiß es einfach.“

„Na ja.“ Fergie rieb mit seiner knorrigen Hand über die Narbe auf seiner Stirn. „Ich muss zugeben, dass wir einen weiteren Kämpfer an unserer Seite gut gebrauchen könnten.“

„Ich werde nicht für euch kämpfen“, erklärte Duncan fest.

„Er wird es tun.“ Kara berührte die Hand ihres Onkels. „Er ist der Eine“, murmelte sie. „Derjenige, den ich in den Flammen des Beltanefeuers gesehen habe.“

„Wirklich?“ Fergies Augen weiteten sich, und er musterte Duncan von Kopf bis Fuß. „Bist du ganz sicher, Mädchen?“

Kara nickte. „Er trug das metallene Hemd und den langen Dolch.“ Sie deutete auf das Schwert, das an der Wand in der Ecke lehnte.

„Hört mal“, rief Duncan, „ich weiß nicht, wer ihr denkt, dass ich bin, aber …“

„Du bist der Eine, den die Götter zu uns gesandt haben, um uns zu helfen“, sagte Kara.

Blasphemie! „Verdammt, das bin ich nicht.“ Duncan zerrte an den Seilen. „Ihr und euresgleichen seid allesamt verrückt.“ Er zog abermals an den Schlingen und spürte dabei kaum, dass die Seile sich in seine Haut gruben. „Verrückt. Macht mich los, oder …“

„Bist du dir wirklich sicher, Mädchen?“, fragte Fergie noch einmal.

„Lag ich mit meinen Visionen jemals falsch?“

Visionen. Heilige Muttergottes, habe Gnade. Duncans Herz schlug so laut in seiner Brust, dass er kaum noch hören konnte. „Dreckige Heiden.“

„Er scheint uns nicht sonderlich zu mögen“, überlegte Fergie laut. „Schwer, sich vorzustellen, dass er uns helfen will.“

„Das wird er.“

„Das werde ich nicht.“ Duncan spürte Wut und Frustration in sich.

„Lass mich das nur machen, Fergie.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. „War die Jagd erfolgreich?“

Aye. Wir haben zwei Hirschböcke erlegt. Dod und die anderen häuten sie gerade. Ich sollte lieber nachsehen, damit sie nicht versehentlich Hackfleisch aus den armen Tieren machen, aber wenn du mich hier noch brauchst …“

Nay. Ich hole ihm sein Abendessen, und dann werde ich weiter mit ihm über die Sache sprechen.“ Sie schenkte ihrem Onkel ein breites Lächeln. „Männer sind immer viel einsichtiger, wenn ihre Bäuche voll sind.“

„Nun ja …“, brummte Fergie und warf einen finsteren Blick auf Duncan, ehe er die Schultern zuckte. „Du hast uns bisher nie enttäuscht.“ Er stupste ihr Kinn und schlenderte dann hinaus.

Kara schenkte nun Duncan ihr Lächeln. „Es gibt Kanincheneintopf und gekochte Zwiebeln zum Abendessen. Ich hole dir eine Portion.“

„Ich bleibe nicht hier … selbst wenn du mich mit gerösteten Pfauen und Mandelpastete lockst.“

„Ich weiß nicht, was das für Dinge sein sollen, aber du bleibst hier.“

„Du kannst mich nicht zwingen“, knurrte Duncan.

„Ich wette mit dir, ich kann“, sagte die kleine Hexe und warf ihre feuerroten Locken zurück. Sie verließ den Raum, und der Stoff ihres Rocks bewegte sich aufreizend beim Schwung ihrer Hüften.

Trotz seiner Wut spürte Duncan, wie dieser Anblick sich auf das am einfachsten zu erfreuende Organ in seinem Körper auswirkte. Er verfluchte es und alle Frauen dazu, während er erneut versuchte, sich zu befreien.

Fesseln war eine der Lieblingsstrafen von Cousin Niall für ihn gewesen, und Duncan hatte daher schon früh gelernt, wie er Knoten ohne fremde Hilfe lösen konnte.

Er war sich sicher, dass er schon längst verschwunden wäre, wenn diese kleine Hexe zurückkehrte.

Hatte sie einen Fehler gemacht? War er nicht der Eine?

Kara tippte sich nachdenklich mit der Fingerspitze gegen den Mund.

Er hatte in ihrer Vision nicht so groß ausgesehen und auch nicht so wütend. In ihrer Vision hatte er gelächelt und auch gelacht; seine Blicke waren voller Zuneigung gewesen, nicht voll von Abscheu. Doch die Gewänder aus silberfarbenem Metall und der lange Dolch waren so, wie sie sie in ihrer Vision gesehen hatte. Und sein Gesicht … sie konnte es unmöglich verwechselt haben. Duncan hatte die harten Gesichtszüge eines Mannes und die Augen eines einsamen Kindes. Diese traurigen Augen sprachen die Heilerin in ihr an. Der Rest von ihm, sein großer muskulöser Körper, sein hartes, aber doch so schönes Gesicht erweckten andere Gefühle in ihr. Die Gefühle einer Frau.

Sie hatte sich zuvor noch nie von einem Mann angezogen gefühlt. Oh, sie hatte sicher mit den Männern des Clans gelacht und sich auch mit ihnen geneckt; manchmal hatte sie auch mit den Wimpern geklimpert, wie ihre Freundin Brighde es tat.

Doch niemals zuvor hatte es sie gekümmert, was ein Mann von ihr dachte.

Bis jetzt. Es störte sie, dass Duncan sie offensichtlich verachtete.

Warum tat er das? Sie hatte ihr Leben riskiert, um das seine zu retten, zwei Tage und Nächte an seinem Bett gesessen und ihn gepflegt, und doch schmähte er sie. Nannte sie Heidin und Hexe, als würde ein Fluch auf ihr liegen.

War er wirklich der Eine?

Kara starrte in die züngelnden Flammen der Feuerstelle in der Küche. Doch sie sah nichts.

„Hier bist du also. Es gibt noch mehr, wenn er mehr will“, sagte Black Roily. Er streckte ihr ein Tablett mit einer Schüssel voll dampfendem Eintopf, goldbraun gebackenem Brot und einem Krug voll Ale hin. Das Tablett wirkte wie ein winziges Spielzeug in seinen großen, kriegserfahrenen Pranken. Sein Bein war in der gleichen Nacht zerstört worden, in der auch Fergie fast sein Auge verloren hatte. Sie hatte beide wieder zusammengeflickt und sich dabei nicht getraut, zu hoffen, dass die Männer überleben würden. Doch beide waren stark, anpassungsfähig. Roily hatte nach diesem Vorfall seine Laufbahn als Krieger an den Nagel gehängt und sich etwas zugewandt, das er schon immer gern getan hatte. Kochen.

„Es riecht wunderbar, aber sei nicht allzu überrascht, wenn er es nicht aufessen kann. Immerhin erholt er sich noch.“ So wütend, wie er im Augenblick noch war, konnte es sogar gut möglich sein, dass er gar nichts aß. Sie musste etwas tun, damit das nicht passierte; er musste sich wieder beruhigen. Wie sollte sie die MacGorys besiegen, wenn ihr vorherbestimmter Retter seine Rolle nicht spielen wollte?

Sie griff nach dem Tablett und zögerte. In seiner Jugendzeit hatte Roily Edin oft verlassen, um Grenzüberfälle gegen die Engländer zu führen. Er war sogar an König Williams Hof in Edinburgh gewesen und kannte sich in der Welt außerhalb des Tals aus. „Roily, weißt du, was ein Kreus…Kreuzfahrer ist?“

Aye.“ Er lehnte sich mit der Hüfte an den Arbeitstisch. „Das sind Ritter, die geschworen haben, Jerusalem aus den Händen der Ungläubigen zu befreien.“

„Sind sie böse Menschen, diese Ungläubigen?“

„Sehr böse. Noch schlimmer als die MacGorys. Glauben nicht an Gott.“

„Oh.“

„Und sie schneiden die Herzen derjenigen heraus, die es tun.“

Kara sog scharf die Luft ein. „Das müssen wirklich bösartige Menschen sein. Er wurde verwundet, als er gegen sie kämpfte.“

„Duncan?“

Kara nickte. „Er ist ein seltsamer Mann, so voller Stolz und Wut. Er ist so schwach wie ein neugeborenes Fohlen, doch er hasst es, dass er auf unsere Hilfe angewiesen ist. Ich musste ihn sogar festbinden, damit er sich nicht selbst noch schwerer verletzte, doch ich fürchte, das hat es nur noch schlimmer gemacht. Er glaubt, wir sind Heiden.“

„Einige Kreuzfahrer haben sehr strenge religiöse Ansichten.“ Roily erklärte ihr in kurzen Sätzen, wie die Ausbildung eines Ritters vor sich ging und welche Schwüre er vor Gott ablegen musste, um schlussendlich zum Ritter geschlagen zu werden. „Er schwört, die Schwachen zu beschützen und die Unterdrücker zu bekämpfen.“

„Das ist gut, immerhin werden wir von den MacGorys unterdrückt. Und wir haben sein Leben gerettet.“ Kara wiederholte das im Geiste immer wieder, während sie die niedrigen Stufen hinaufging. Wenn er sich bisher nicht hatte überzeugen lassen, würde dieses neue Argument es vielleicht tun.

Sie kam im oberen Geschoss an; alles war dunkel und schattenerfüllt. Die Fackel am anderen Ende des Flurs war schon wieder ausgebrannt. Der arme Dod, Edins Verwalter, wurde langsam vergesslich. Sobald sie Duncan versorgt hatte, würde sie einen von Dods Enkeln schicken, um die Fackel auszutauschen. Natürlich heimlich, damit Dod nicht in seinem Stolz verletzt wurde.

Sie stieß die Tür mit dem Fuß an, um sie zu öffnen, atmete tief ein und setzte ein Lächeln auf. „So, da wäre ich wie…“

Sie verharrte und starrte auf das leere Bett.

Der Retter des Edintals hatte sich von seinen Fesseln befreit und war geflohen.

3. KAPITEL

Duncan lag in seinem Versteck unter dem Bett und hörte mit grimmiger Zufriedenheit Kara Gleanedins erschrockenes Einatmen, als sie erkannte, dass er nicht mehr im Bett lag. Der Holzfußboden drückte sich kalt gegen seine nackte Brust und die bloßen Beine; wenigstens seinen Lendenschurz hatten sie ihm gelassen, als sie ihn ausgezogen hatten. Direkt vor seiner Nase stampfte Kara vor Wut mit dem Fuß auf. Der Saum ihres Rocks bebte dabei. Die deftigen Flüche, die sie ausstieß, empörten Duncan. Eine Frau sollte derlei Beleidigungen nicht einmal kennen, geschweige denn aussprechen.

„Verdammt und zugenäht!“ Sie kam auf das Bett zu.

Hatte sie ihn gesehen? Ahnte sie etwas? Er hielt den Atem an und wünschte sich, er hätte die Zeit gehabt, sein Schwert zu holen, doch er hatte sich nur wenige Augenblicke vor ihrer Rückkehr befreien können.

Holz klapperte, als sie ein Tablett auf den Stuhl stellte, auf dem sie die vergangenen zwei Nächte Wache an seinem Bett gehalten hatte. Eine unwillkommene Erinnerung daran, dass er ihr eigentlich noch etwas schuldig war. Sie fluchte noch einmal, diesmal auf Gälisch, und stürmte aus dem Raum. Er wartete, bis ihre wütenden Schritte verhallt waren, und kroch dann unter dem Bett hervor.

Seine Schulter pochte schmerzhaft, seine Knie waren weich und drohten unter ihm einzuknicken, und sein Geist war wie in Nebel gehüllt, doch er durfte diesen Schwächen nicht nachgeben. Mit einer Hand stützte er sich an der rauen Wand ab und konzentrierte sich darauf, sein Schwert zu erreichen, als wäre er auf der Suche nach dem Heiligen Gral selbst. Er fühlte sich besser, kaum dass er es erreicht und das Heft umfasst hatte. Er bückte sich nach dem Gürtel, der sauber eingerollt daneben auf dem Boden lag. Die Tasche war noch immer daran befestigt.

Er wusste, er würde keine Ruhe finden, bis er nicht die edlen Steine gesehen hätte, daher opferte er einige der kostbaren Sekunden, in denen er noch unentdeckt war, und öffnete die metallene Schließe, um in den Beutel hineinzusehen. Im Beutel befanden sich die wenigen Silbermünzen, die er noch besaß. Das seidene Innenfutter der Tasche war noch intakt. Dann bemerkte er, dass die Nähte in einer Ecke der Tasche mit schwarzem Faden gemacht worden waren; er aber hatte roten Faden benutzt, als er die Steine hinter dem Innenfutter versteckt hatte.

„Nay!“

Er zerschnitt den Faden mit der Spitze seines Schwertes.

Leer!

Er fluchte mit heiserer Stimme und erschrak im nächsten Moment darüber.

Verdammt. Verdammt. Er zerknüllte die Tasche in seiner Hand und sah sich fieberhaft im Raum um. Viel mehr gab es jedoch nicht außer einem Bett ohne Vorhänge mit einer schweren Truhe am Fußende, einem Tisch mit einer großen Kerze darauf und ein paar kleiner Töpfe. Grobe Wandbehänge aus Wolle an den Wänden waren dazu gedacht, den Raum etwas einladender zu gestalten, doch auch dahinter konnte Duncan nichts finden. Es brauchte nur einen Lidschlag lang, um den Inhalt der Truhe zu erkunden. Darin befanden sich einige wenige Kleider. Er vermutete, dass sie Kara gehörten, da ihr Duft noch an ihnen haftete. Aber sie war klug genug gewesen, ihre Beute nicht zwischen ihnen zu verstecken.

Wahrscheinlich trug sie sie bei sich.

Oder sie hatte sie ihrem Onkel übergeben.

Duncan wandte sich zur Tür, die Hand dabei fest um den Griff seines Schwertes gelegt. Während die Gleanedins dort draußen nach ihm suchten, würde er ihr Schloss auf den Kopf stellen. Doch vorher brauchte er Kleidung. Vorzugsweise seine eigene. Auch wenn die Wut heiß durch seine Adern rauschte, war seine Haut doch kalt und klamm. Er nahm eine der Decken vom Bett und schlang sie sich wie eine Toga um seine Hüften und die verwundete Schulter.

Der Flur hinter der Tür war so düster wie eine Gruft, nur eine einzige Fackel am anderen Ende des Flurs spendete ein wenig Licht. Er sah sich um mit der Erfahrung eines Mannes, der schon oft in fremde Burgen eingedrungen war. Doch er entdeckte nichts außer dem Torbogen zu seiner Linken, der zur Treppe führte, und ein paar Türen weiter den Flur hinab. Sollte er es riskieren, die Räume dahinter zu durchsuchen, oder lieber die Chance ergreifen und fliehen, solange er noch konnte?

Draußen im Hof hörte er lautes Rufen und das aufgeregte Trappeln von Pferden. Die Geräusche wurden zu einer riesigen Welle aus Dutzenden von Pferdehufen, und dann war es wieder still.

Sie waren fort.

Duncan grinste und lief in den nächsten Raum.

Dabei musste es sich um Fergus Gleanedins Zimmer handeln: Er besaß nur wenige Dinge, doch das, was er besaß, schätzte er offensichtlich. Ein poliertes Zweihandschwert hing über einem Kamin, in dem noch einige Kohlen glühten. Neben dem Bett stand ein kleiner Tisch, auf dem eine Flasche mit feurigem uisce beatha, dem schottischen Wasser des Lebens, stand. Duncan nahm einen Schluck von dem Getränk und stöhnte leise, als die Flüssigkeit sich seine Kehle hinabbrannte und dann förmlich in seinem Magen explodierte. Ah, wie hatte er das vermisst. Der Alkohol verlieh seinen schwachen Muskeln mehr Kraft. Falsche Kraft, doch er war bereit, zu nehmen, was er kriegen konnte. Es befand sich auch eine Truhe im Raum; Duncan kniete neben ihr nieder und stocherte mit seinem Langdolch im Schloss herum. Als der Deckel aufsprang, fand er in der Truhe Männerkleidung; offensichtlich selbst hergestellt, und das sehr gut. Er nahm sie heraus und wühlte tiefer, bis er einen Beutel fand. Er enthielt etwas Silber, sogar noch weniger, als Duncan selbst besaß. In einem anderen Beutel fand er einige persönlichere Schätze: ein Stück gewachsten Faden an einem stählernen Fischerhaken. Ein Ring mit einem grob gearbeiteten Wappen darauf. Ein Stück Bernstein an einer dünnen goldenen Kette. Eine Seite des Schmuckstücks war schartig, als wäre etwas davon abgebrochen. Wohl auch der Grund, weshalb sich das Schmuckstück in diesem Beutel befand und nicht um Fergus’ Hals hing.

Duncan respektierte die Besitztümer anderer, daher fühlte es sich falsch an, in den geheimen Schätzen eines anderen Mannes zu wühlen. Doch sie hatten ihn bestohlen. Sein Gewissen wurde auf diese Weise von ihm zum Schweigen gebracht, und er zog das letzte Stück aus dem Beutel – es war eine winzige Schatulle. Darin befand sich ein wenig Firlefanz, wie Frauen ihn mochten. Eine silberne Brosche. Ein paar Haarkämme aus Knochen geschnitzt. Und die andere Hälfte des Bernsteins, ebenso an einer Kette befestigt. Vielleicht die Kette von Fergus’ Ehefrau? War sie tot, und war das der Grund, weshalb er das Schmuckstück nicht mehr trug?

Duncan ließ die Kette fallen. Er fühlte sich mit einem Mal unwohl und wusste, dass das nichts mit dem uisce beatha zu tun hatte.

„Genug von diesem Herumspionieren“, murmelte er und legte jedes Teil sorgfältig an seinen Platz zurück, auch wenn er sie am liebsten alle sofort losgeworden und nie wieder angefasst hätte. Nur weil er es mit einem ehrenlosen Pack von Dieben zu tun hatte, hieß das nicht, dass er seine eigenen Grundsätze vergessen musste. Er würde hinausgehen, Fergus finden und ihn auffordern, ihm seine Rubine zurückzugeben.

Mit neuem Mut und einem weiteren Schluck feurigem Wasser des Lebens im Bauch marschierte Duncan zurück zur Tür, öffnete sie und trat in den Flur hinaus. Nach der sonnendurchfluteten Kammer wirkte dieser Teil der Burg nur noch dunkler.

„Bist du fertig damit, dich durch Fergies Sachen zu wühlen?“, erklang eine vertraute Stimme.

Duncan wirbelte herum, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, das Schwert kampfbereit erhoben.

Ein Schatten löste sich aus dem Dunkel und trat ins Licht, das aus dem Zimmer hinter ihm fiel. Es war Kara, die ihn, das Kinn stolz erhoben, vernichtend ansah.

„Warum bist du nicht draußen bei den anderen und suchst nach mir?“

„Weil ich wusste, dass du nicht geflohen bist.“

„Wie das?“

„Kaum dass ich die Treppen hinabgelaufen war, fiel mir ein, dass ich dein Schwert noch im Zimmer habe stehen sehen. Nur ein Narr würde sein Schwert zurücklassen, und du wirkst auf mich nicht wie ein Narr. Wie hast du dich befreien können?“

„Ich bin recht gut mit Knoten.“ Er versuchte, gegen die neuerliche Welle aus Schwäche anzukämpfen, die ihn durchlief. „Kluges Mädchen. Dann sag mir auch, was ihr mit meinen Juwelen angestellt habt.“

„Juwelen?“ Ihr Blick wurde besorgt, und sie schaute auf seinen Schritt. „Ich wusste nicht, dass du auch dort verwundet bist.“

„Wo? Oh.“ Duncan spürte, wie sich Hitze über seiner nahezu nackten Brust ausbreitete. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, wie nah sie voreinander standen, und er bemerkte den feinen Hauch von Heidekraut, der verführerisch in der Luft schwebte. „Von solchen Dingen zu sprechen gehört sich nicht.“

„Du hast doch damit angefangen.“

Diese Worte aus ihrem Mund zu hören bewirkte eine gefährliche Reaktion in der Region seines Körpers, über die sie gerade sprachen. Duncan richtete sich auf und räusperte sich. „Aye, also, das war es nicht, was ich meinte, und das weißt du genau.“

„Ich bin eine Hexe, keine Gedankenleserin. Meine Mutter Guenna jedoch, sie wusste immer, was jemand gerade dachte. Sehr beunruhigend.“

Duncan blinzelte. „Hör auf, ständig das Thema zu wechseln. Ich will meine Rubine, und ich will sie …“

„Ich habe nicht die geringste Ahnung, was das sein soll, Rubine“, erwiderte sie.

„Stell dich nicht dumm. Jedermann weiß, was Rubine sind.“

„Also, ich weiß es jedenfalls nicht.“ Sie hatte ihr Kinn wieder trotzig erhoben, und in ihren Augen blitzte es angriffslustig. „Und ich wette mit dir, sonst weiß es auch keiner. Wir kennen hier nicht viel von der Welt da draußen.“

„Aber …“

„Kara, Mädchen, hast du ihn gefunden?“ Fergus’ Stimme echote durch den kahlen Flur.

„Aye“, rief Kara und sah über ihre Schulter zurück. „Er ist hier in …“ Sie brach ab und quiekte, als Duncan sie packte und fest an sich presste, einen Arm um ihre Hüfte geschlungen.

Er musste schnell einsehen, dass das ein Fehler gewesen war, denn die Unterseite ihrer Brüste ruhte nun auf seinem Unterarm, und ihre weichen Hüften pressten sich gegen seine. Er versuchte, diese süßen Rundungen zu ignorieren, doch sein ausgekühlter Körper sog gierig die Hitze ein, die Kara zu bieten hatte. Bevor er schwach werden konnte, stürmte eine Horde von Gleanedins die Treppe empor und bevölkerte den Flur. Fergus an ihrer Spitze.

„Bleibt zurück, oder ich schneide ihr die Kehle durch“, rief Duncan warnend. Er hob sein Schwert, doch hielt es in ausreichendem Abstand zu ihrem schlanken Hals, da sein Arm noch immer zittrig war.

Fergus’ vernarbtes Gesicht lief rot an. „Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, dann …“

„Er wird mir nichts tun“, sagte Kara mit absoluter Ruhe.

„Und was sollte mich davon abhalten?“

Aye, was?“, fragte Fergus, hinter ihm ein Meer aus schreckensbleichen Gesichtern.

„Seine Ehre. Du solltest wissen – er ist ein Kreuzritter“, erwiderte sie. „Black Roily hat mir erzählt, dass es ihre Pflicht ist, Frauen und Kindern gegenüber ehrenvoll zu handeln. Deshalb wird er mir nichts tun.“

Wütend spie Duncan hervor: „Warum sollte ich dir gegenüber Gnade zeigen?“

„Nun, weil ich, abgesehen von deinen Schwüren als Ritter, dir das Leben gerettet habe.“

Reingelegt, durch die eigenen Bande seiner Ehre. „Das gab dir das Recht, mich einzusperren und mich zu bestehlen?“ Duncan musterte Fergus’ Gesicht eingehend, doch darin war nicht der kleinste Funke von Schuld zu entdecken. Vielleicht hatte es jemand anderes getan, aber die Gesichter in der Menge wirkten ebenso unschuldig wie Fergus’.

„Wir haben nichts gestohlen“, sagte Kara ernst, und er konnte das sanfte, gleichmäßige Pochen ihres Herzens an seinem Unterarm spüren. Entweder war sie die kaltblütigste Lügnerin, die er jemals getroffen hatte, oder sie war wirklich unschuldig.

„Was sollen wir dir denn gestohlen haben?“, fragte Fergus.

„Rubine. Du weißt, was das ist?“, knurrte Duncan.

Aye

Autor

Margaret Moore
Margaret Moore ist ein echtes Multitalent. Sie versuchte sich u.a. als Synchronschwimmerin, als Bogenschützin und lernte fechten und tanzen, bevor sie schließlich zum Schreiben kam. Seitdem hat sie zahlreiche Auszeichnungen für ihre gefühlvollen historischen Romane erhalten, die überwiegend im Mittelalter spielen und in viele Sprachen übersetzt wurden. Sie lebt mit...
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