Holly und der Playboy-Prinz

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"Keine heimlichen Blicke, keine Flirts. Prinz Casper ist ein Playboy!" Die Worte ihrer Chefin im Ohr, betritt Holly die VIP-Lounge. Und plötzlich gibt es nur noch sie, die einfache Kellnerin, und ihn, den unwiderstehlichen Aristokraten! Heiß sieht sie es in seinen Augen lodern - und wird schwach. Tut etwas, das sie nie für möglich gehalten hätte, und gibt sich ihm hemmungslos hin! Doch als Holly bewusst wird, was sie getan hat, ergreift sie die Flucht. Bestimmt wird sie den sexy Prinzen niemals wiedersehen. Sie ahnt nicht, welche Leidenschaft sie in Casper geweckt hat


  • Erscheinungstag 17.10.2009
  • Bandnummer 1892
  • ISBN / Artikelnummer 9783862954315
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Halt den Kopf gesenkt, servier das Essen, und dann geh. Du bleibst nicht länger als unbedingt nötig in der Suite. Keine heimlichen Blicke, keine Gespräche mit dem Prinzen, keine Flirts. Vor allem keine Flirts! Prinz Casper gilt als Playboy. Holly, hörst du mir überhaupt zu?“

Holly tauchte lange genug aus ihren tieftraurigen Gedanken auf, um zu nicken. „Ja“, brachte sie mühsam hervor. „Ich höre dir zu, Sylvia.“

„Und was habe ich gerade gesagt?“

Schlafmangel und permanente Selbstanalyse hatten Hollys Gehirn in einen dumpfen Nebel verwandelt. „Du hast gesagt … Du …“ Ihre Stimme versagte. „Ich weiß es nicht. Tut mir leid.“

Sylvia verzog missbilligend das Gesicht. „Was ist denn nur los mit dir? Normalerweise bist du doch so tüchtig und verlässlich. Deshalb habe ich dich für diesen Job ausgewählt.“

Tüchtig und verlässlich.

Die Beschreibung ließ Holly zusammenzucken.

Noch zwei Schwächen auf der wachsenden Liste, warum Eddie mich verlassen hat!

Sylvia bekam jedoch von der verheerenden Wirkung ihrer Worte nichts mit. „Ich brauche dich ja wohl nicht daran zu erinnern, dass heute der wichtigste Tag meiner Karriere ist: das Catering für ein Mitglied des Königshauses im Twickenham Stadium! Wir befinden uns mitten im Six-Nations-Turnier! Die Augen der Welt sind auf uns gerichtet! Wenn wir den Auftrag richtig ausführen, haben wir es geschafft. Und mehr Arbeit für mich bedeutet mehr Arbeit für dich! Aber dafür musst du deinen Beitrag leisten!“

Eine groß gewachsene, schlanke Kellnerin mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck schlenderte zu ihnen. In den Händen trug sie ein Tablett mit Champagnergläsern. „Jetzt reicht es aber! Ihr Verlobter hat gestern Abend mit ihr Schluss gemacht. Es ist ein Wunder, dass sie überhaupt hier ist. Ich an ihrer Stelle wäre heute Morgen nicht einmal aufgestanden!“

„Eddie hat die Verlobung gelöst?“ Sylvias Blick wanderte zwischen den beiden Frauen hin und her. „Holly, sagt Nicky die Wahrheit? Warum hat er das getan?“

Weil sie zu tüchtig und zuverlässig war. Weil ihre Haare eher die Farbe eines Sonnenuntergangs besaßen, nicht die einer Sonnenblume. Weil sie prüde und verklemmt war. Weil ihr Hintern zu groß war …

Die Länge der Liste ließ pure Verzweiflung in ihr aufsteigen. „Eddie ist zum Marketingdirektor befördert worden. Ich passe nicht zu seinem neuen Image.“ Bislang hatte sie noch keine Träne vergossen, worauf sie ziemlich stolz war. Stolz und ein bisschen verwirrt. Warum hatte sie nicht geweint? Sie liebte Eddie! Immerhin hatten sie Pläne für eine gemeinsame Zukunft geschmiedet. „Der neue Job bringt es mit sich, dass er Kunden und Journalisten treffen muss. Und er fährt jetzt einen Porsche und braucht die passende Frau dazu.“ Sie versuchte, die Sache mit einem schiefen Grinsen und einem Schulterzucken abzutun. „Ich gehöre wohl eher in den familientauglichen Kleinwagen.“

„Du bist viel zu gut für ihn, das bist du“, mischte Nicky sich ein. Die Champagnergläser auf dem Tablett klirrten gefährlich. „Und er ist ein I…“

„Nicky!“ Erschrocken nach Luft ringend, unterbrach Sylvia die Beleidigung. „Vergiss nicht, du bist das Aushängeschild meiner Firma!“

„Wenn das so ist, kannst du demnächst meine Botoxbehandlungen bezahlen. Bei den ganzen Versagern, denen ich jeden Mittag den Lunch serviere, bekomme ich noch richtig tiefe Falten.“ Nickys Augen blitzten auf. „Hollys Ex und sein blondes Flittchen kippen den Champagner hinunter, als sei Eddie Chef in einem multinationalen Konzern, nicht in der örtlichen Filiale vom Pet Palace.“

„Sie ist bei ihm?“ Holly spürte, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. „Dann kann ich nicht nach oben gehen. Ihre Lounge ist gleich neben der Präsidentensuite. Das wäre zu peinlich für alle. Was soll ich nur tun?“

„Such dir einen Ersatz für ihn. Dass wirklich Tolle an unpassenden Männern ist, dass es so viele davon gibt.“ Nicky drückte das Tablett ihrer wütenden Chefin in die Hände und legte einen Arm um Hollys Schultern. „Tief einatmen. Ein … und aus. Sehr gut. Also, du tust jetzt Folgendes: Du gehst erhobenen Hauptes in die Präsidentensuite und küsst diesen ungemein sexy Prinzen. Wenn du dich schon mit einem unpassenden Mann einlässt, dann wenigstens mit einem reichen! Außerdem soll er fantastisch küssen! Los jetzt! Heiße Zungenküsse in Twickenham. Damit würdest du Eddie wirklich schockieren!“

„Den Prinzen würde es auch schockieren.“ Trotz ihrer Traurigkeit musste Holly kichern. Sie entzog sich der Umarmung der Freundin. „Aber ich denke, eine Zurückweisung reicht mir für diese Woche, vielen Dank. Für den Direktor des Pet Palace bin ich nicht blond und dünn genug, also bin ich auch nicht blond und dünn genug, um die Aufmerksamkeit eines Playboy-Prinzen zu erregen.“

Nicky zwinkerte anzüglich. „Mach die oberen Knöpfe deiner Bluse auf, geh in die Suite, und flirte auf Teufel komm raus! Ich an deiner Stelle würde das tun!“

„Glücklicherweise ist sie nicht du!“ Auf Sylvias Wangen zeichnete sich Zornesröte ab. „Und sie wird alle ihre Knöpfe geschlossen lassen! Abgesehen von der Tatsache, dass ich euch nicht fürs Flirten bezahle, nehmen Prinz Caspers romantische Heldentaten allmählich Überhand. Die Anweisungen aus dem Palast waren sehr konkret: keine hübschen Kellnerinnen. Niemand, der ihn ablenken könnte. Vor allem keine Blondinen. Genau aus dem Grund habe ich dich ausgewählt, Holly. Rote Haare und Sommersprossen. Du bist perfekt!“

Holly zuckte zusammen. Perfekt? Perfekt, um mit dem Hintergrund zu verschmelzen!

Sie hob die Hand und berührte ihr widerspenstiges rotes Haar, das sie mit unzähligen Nadeln einigermaßen gezähmt hatte. Sie dachte an die vor ihr liegende Aufgabe, und ihr Selbstvertrauen schrumpfte noch einen Zentimeter. „Sylvia … Ich will das wirklich nicht tun. Die Menschen dort werden alle dünn, blond, reich und selbstsicher sein.“ Alles Eigenschaften, die sie nicht besaß. Mit zitternden Fingern nahm Holly das Tablett aus den Händen ihrer Chefin. „Ich bringe das in die Küche. Nicky kann auf der blaublütigen Party servieren. Ich kann es im Moment nicht ertragen, wenn alle mich ansehen, als ob ich …“

Als ob ich ein Nichts wäre.

„Wenn du deinen Job gut machst, werden sie überhaupt bemerken, dass du da bist.“ Sylvia nahm ihr das Tablett so ruckartig wieder ab, dass die Gläser abermals gefährlich klirrten, und hielt es Nicky hin. „Du bringst die Gläser in die Küche. Holly, wenn du deinen Job behalten willst, machst du dich sofort auf den Weg in die Präsidentensuite. Und keine Dummheiten, hörst du? Außerdem willst du seine Aufmerksamkeit sowieso nicht erregen. Ein Mann in seiner Position interessiert sich bei einer Frau wie dir ohnehin nur für eine Sache.“ Unvermittelt entdeckte sie eine weitere Kellnerin, die sich gerade den Hals verrenkte, um einen besseren Blick auf die sich aufwärmenden Rugbyspieler zu bekommen. Sylvia stöhnte auf. „Nein, nein. Du bist hier, um zu arbeiten, nicht, um Männerbeine zu bewundern.“ Sie ließ Nicky und Holly stehen und eilte zu der anderen Frau hinüber.

„Selbstverständlich sind wir hier, um Männerbeine zu bewundern“, murmelte Nicky. „Was glaubt Sylvia denn, weswegen wir den Job überhaupt angenommen haben? Von den Spielregeln habe ich keine Ahnung, aber ich weiß, dass die Männer atemberaubend gut aussehen. Ich meine, es gibt Männer und es gibt Männer. Und hier haben wir eindeutig Männer, wenn du verstehst!“

Holly hörte gar nicht zu. Sie starrte in die Leere vor sich. Ihr Selbstvertrauen hatte seinen absoluten Tiefpunkt erreicht. „Das Verwunderliche ist nicht, dass Eddie mit mir Schluss gemacht hat“, sagte sie tonlos, „sondern dass er überhaupt etwas mit mir angefangen hat.“

„So darfst du nicht reden! Lass nicht zu, dass du dich seinetwegen schlecht fühlst“, schalt Nicky sie. „Bitte erzähl mir nicht, dass du die ganze Nacht um ihn geweint hast.“

„Seltsamerweise nicht, nein. Ich habe mich auch schon gefragt, warum.“ Holly runzelte die Stirn. „Vielleicht bin ich zu verzweifelt, um zu weinen?“

„Hast du Schokolade gegessen?“

„Natürlich! Nun … Schokoladenkekse. Zählen die auch?“

„Kommt auf die Menge an. Man braucht viele Kekse, um denselben Effekt wie mit Schokolade zu erzielen.“

„Ich habe zwei gegessen.“

„Zwei Kekse?“

Holly errötete. „Zwei Schachteln“, murmelte sie leise und gab dann ein Stöhnen von sich. „Und jetzt hasse ich mich dafür. Aber gestern Abend ging es mir wirklich mies. Außerdem stand ich kurz vorm Verhungern! Eddie hatte mich zum Dinner ausgeführt. Ich nehme an, damit ich ihm nicht vor allen Leuten eine Szene mache, wenn er die Verlobung löst. Ich wusste, dass etwas nicht stimmt, als er eine Vorspeise bestellt hat. Sonst bestellt er nie eine Vorspeise.“

„Ist das nicht mal wieder typisch?“ Verächtlich verzog Nicky den Mund. „In der Nacht, in der er mit dir Schluss macht, erlaubt er dir endlich zu essen, was du willst.“

„Die Vorspeise war für ihn, nicht für mich. Außerdem kann ich vor Eddie sowieso nichts essen. Dass es zwischen uns aus ist, hat er mir zwischen dem gegrillten Fisch und dem Dessert gesagt. Danach hat er mich nach Hause gefahren. Ich habe gewartet und gewartet, aber die Tränen wollten nicht kommen.“

„Das überrascht mich nicht. Wahrscheinlich warst du zu hungrig, als dass dir noch Energie zum Weinen geblieben wäre“, erwiderte Nicky trocken. „Aber dass du Schokoladenplätzchen isst, ist eine gute Nachricht.“

„Sag das mal meinem Rock. Warum besteht Sylvia nur auf diesem Outfit?“ Niedergeschlagen strich Holly den engen schwarzen Rock glatt. „Ich fühle mich, als würde ich ein Korsett tragen. Und er ist viel zu kurz!“

„Darin siehst du sexy wie die Sünde aus. Schokolade zu essen ist der erste Schritt in Richtung Heilung. Diese Stufe hast du erreicht. Als Nächstes musst du den Ring verkaufen!“

„Eigentlich wollte ich ihm den zurückgeben.“

„Zurückgeben? Bist du verrückt geworden? Verkauf ihn, und investier den Erlös in ein Paar hinreißende Schuhe. Dann kannst du auf seiner Erinnerung laufen. Und beim nächsten Mal gib dich mit Sex ohne Gefühle zufrieden.“

Holly lächelte unbehaglich. Nie im Leben hätte sie zugegeben, dass sie mit Eddie gar keinen Sex gehabt hatte. Soweit es ihn anging, war das natürlich ihr größter Fehler. Immer wieder hatte er ihr vorgeworfen, verklemmt zu sein.

Sie unterdrückte den Impuls, hysterisch zu lachen.

Oh ja, ein familientauglicher Kleinwagen mit Zentralverriegelung.

Ob sie wohl weniger verklemmt wäre, wenn ihr Po kleiner wäre?

Vielleicht, aber sie würde es ohnehin nie herausfinden. Das Versprechen, Diät zu halten, hatte sie sich schon oft gegeben. Aber zu hungern versetzte sie immer in missmutige Stimmung.

Wenn sie so weitermachte, würde sie noch als Jungfrau sterben.

Deprimiert von diesem Gedanken schaute Holly in Richtung Suite. „Ich glaube wirklich nicht, dass ich das tun kann.“

„Es lohnt sich auf jeden Fall, einen kleinen Blick auf den verruchten Prinzen zu werfen.“

„Er war nicht immer so. Einmal hat er sich verliebt“, meinte Holly, zumindest kurzfristig von ihren Problemen abgelenkt. „In dieses italienische Supermodel. Sie waren das Traumpaar. Dann sind sie und sein Bruder bei diesem Lawinenunglück ums Leben gekommen. Eine furchtbar traurige Geschichte. Er hat die beiden Menschen verloren, die ihm am Wichtigsten auf der Welt waren. Keine große Überraschung, dass er danach ein bisschen ausgeflippt ist. Er muss am Boden zerstört gewesen sein. Vielleicht braucht er nur jemanden, der ihn liebt.“

Nicky grinste. „Dann geh und liebe ihn. Du kennst doch mein Lieblingssprichwort?“

„Welches?“

„Wenn du die Hitze nicht verträgst …“

„Geh nicht in die Küche?“

Nicky zwinkerte schelmisch. „Zieh deine Kleider aus.“

Casper schlenderte die Stufen von der Suite zu seiner Loge hinunter. Mit ausdrucksloser Miene betrachtete er das imposante Stadion unter ihm. Zweiundachtzigtausend Menschen warteten gespannt auf den Anpfiff.

Es war ein bitterkalter Februartag. Seine Entourage murrte und beschwerte sich lautstark über das britische Wetter.

Casper hörte nicht zu.

Er war es gewöhnt zu frieren.

Er fror seit acht langen Jahren.

Emilio, der Chef seines Sicherheitsteams, beugte sich vor. In der Hand hielt er ein Mobiltelefon. „Savannah für Sie, Euer Hoheit.“

Ohne sich umzudrehen, schüttelte Casper fast unmerklich den Kopf. Emilio zögerte einen Moment, bevor er das Handy ausschaltete.

„Ein weiteres weibliches Herz gebrochen.“ Die zitternde Blondine neben ihm stieß ein ungläubiges Lachen aus. „Du bist kalt wie Eis, Cas. Warum beendest du die Affäre? Savannah ist verrückt nach dir.“

„Genau deshalb beende ich sie.“ Casper beobachtete die Spieler, die sich am Rand des Spielfelds aufwärmten, und ignorierte die sehnsüchtigen Blicke der Blondine.

„Wenn dir die schönsten Frauen der Welt nicht genügen, welche Hoffnung bleibt dann für den Rest von uns?“

Gar keine.

Keine Hoffnung für sie. Keine Hoffnung für ihn. Das Ganze ist doch nur ein Spiel, dachte Casper resigniert. Ein Spiel, das zu spielen er keine Lust mehr hatte.

Sport gehörte zu den wenigen Dingen, die ihm noch Ablenkung boten. Doch bevor das Rugbymatch anfing, kamen erst die gesellschaftlichen Verpflichtungen.

Zwei lange Stunden mit hoffnungsvollen Frauen und höflichen Gesprächen.

Zwei lange Stunden, in denen er absolut gar nichts fühlen würde.

Sein Gesicht erschien auf den überdimensionierten Bildschirmen, die an den beiden Enden des Spielfelds aufgebaut waren. Er betrachtete sich mit distanzierter Neugier, überrascht, wie ruhig er wirkte. Vor allem die Frauen unter den Zuschauern brachen in lauten Jubel aus. Also schenkte er ihnen das erwartete Lächeln und fragte sich unwillkürlich, ob nicht eine von ihnen gerne zu ihm kommen und ihn für die nächsten zwei Stunden ein bisschen ablenken wollte.

Jede wäre geeignet. Es kümmerte ihn nicht wirklich.

Solange sie hinterher nichts von ihm erwartete.

Er schaute über die Schulter zur Suite zurück, in der gleich ein Lunch stattfinden würde. Durch die riesige Fensterfront konnte er sehen, wie eine außergewöhnlich hübsche Kellnerin den gedeckten Tisch begutachtete. Sie bewegte sie Lippen, als ginge sie eine Checkliste durch.

Schweigend musterte Casper sie. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, als sie mit ihrer Arbeit innehielt und eine Hand an den Mund hob. Ihre Brust hob und senkte sich, als sie einen tiefen Atemzug tat. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Für jemanden, der bald das Mittagessen servieren würde, war das eine seltsame Körpersprache.

Und dann wurde Casper klar, dass sie versuchte, nicht zu weinen.

Über die Jahre hatte er sich beigebracht, die Anzeichen weiblicher Seelenpein zu lesen, damit er sich rechtzeitig verabschieden konnte.

Mit kalter Faszination sah er zu, wie sie gegen die Tränen ankämpfte. Sie ist eine Närrin, dachte er, dass sie so tiefe Gefühle überhaupt zulässt.

Unweigerlich breitete sich ein spöttisches Lächeln auf seinen sinnlichen Lippen aus. Hatte er dasselbe nicht auch getan? Damals, mit Anfang zwanzig, als das Leben noch aus unzähligen Möglichkeiten bestand, hatte er da nicht auch naiverweise seinen Emotionen freien Lauf gelassen?

Doch dann hatte er seine Lektion auf eine Weise gelernt, die weitaus effektiver war als jede Stunde, die er mit dem Studium von Verfassungsrecht oder internationaler Geschichte verbracht hatte.

Er hatte gelernt, dass die größte Schwäche eines Mannes seine Gefühle waren. Sie konnten einen Menschen ebenso töten wie die Kugel eines Attentäters.

Also hatte er jede Spur von Gefühlen in sich ausgelöscht und seine Emotionen so tief vergraben, dass er sie selbst nicht wiederfinden konnte.

Und genau so wollte er es.

Ohne jemanden direkt anzusehen, platzierte Holly die Champagner-Himbeer-Torte vor den Prinzen. Das silberne Besteck und die edlen Kristallgläser funkelten auf der weißen Leinendecke, doch das bemerkte sie kaum. In einem Zustand wattiger Betäubung hatte sie den Lunch serviert. Ihre Gedanken kreisten um Eddie, der sich in einer der Nachbarsuiten mit ihrer Nachfolgerin amüsierte.

Holly hatte die Dame nicht gesehen. Bestimmt war sie blond. Und definitiv gehörte sie nicht zu den Menschen, deren bester Freund in einer Krise eine Packung Schokoladenkekse darstellte.

Besaß sie einen Hochschulabschluss? War sie klug?

Plötzlich verschwamm ihre Sicht hinter aufsteigenden Tränen. Heftig blinzelnd, trat Holly unauffällig einen Schritt zurück. O Gott, gleich würde sie die Fassung endgültig verlieren. Hier, in der Präsidentensuite, mit dem Prinzen und seinen Gästen als Zeugen.

Um sich zusammenzureißen, richtete sie all ihre Konzentration auf das Dessert in ihrer Hand. Nicky hatte recht. Sie hätte im Bett bleiben sollen, sich unter der Decke verstecken und abwarten, bis sie ihre Gefühle wieder einigermaßen unter Kontrolle gebracht hatte. Doch sie brauchte den Job so dringend, dass sie sich diesen Luxus nicht leisten konnte.

Das Gelächter der Gäste intensivierte noch ihr Gefühl der Einsamkeit. Sie servierte den letzten Dessertteller und zog sich hastig zurück. Zu ihrem größten Entsetzen lief ihr bereits eine einzelne Träne über die Wange.

Dieser ersten Träne folgten unweigerlich alle andern. Auf einmal war Hollys Kehle wie zugeschnürt. Ihre Augen brannten.

Ihr Instinkt befahl ihr, sich umzudrehen, doch das Protokoll erlaubte es nicht, dem Prinzen den Rücken zuzuwenden. Also blieb sie hilflos stehen, starrte auf den altrosa Teppich mit seinem aus verschlungenen Rugbybällen und Rosen bestehenden Muster und tröstete sich mit dem Wissen, dass niemand Notiz von ihr nehmen würde.

Die meisten Menschen schenkten ihr keinerlei Beachtung, warum sollten sie auch? Sie war die unsichtbare Frau. Sie war die Hand, die den Champagner nachfüllte, oder die Augen, die einen leeren Teller erspähten. Sie war das saubere Zimmer oder der zusätzliche Stuhl. Aber sie war keine Person.

„Hier.“ Eine kräftige Hand drängte in ihr Sichtfeld und reichte ihr ein Taschentuch. „Schnäuzen.“

Ein verlegener Laut entrang sich Hollys Kehle. Sie hob den Kopf. Ihr Blick traf auf düstere und nachdenkliche Augen, dunkel wie der Nachthimmel im Winter.

Dann passierte etwas Seltsames.

Die Zeit schien stillzustehen.

Die Tränen versiegten. Ihr Herzschlag setzte aus.

Es war, als bildeten ihr Körper und ihr Geist nicht länger eine Einheit. Einen winzigen Moment vergaß sie, dass sie sich gerade wahrscheinlich sehr lächerlich machte. Sie vergaß Eddie und sein blondes Flittchen. Sie vergaß sogar die anderen Gäste.

Das Einzige, was jetzt noch in ihrer Welt existierte, war dieser Mann.

Sein Blick wanderte zu ihrem Mund. Und die Bedeutung dieser Geste entfachte in ihrem Körper eine heiß lodernde Flamme. Ihre Lippen begannen zu prickeln, und ihr Herzschlag setzte endlich wieder ein.

„Euer Hoheit.“ Musste sie jetzt eigentlich einen Knicks machen? Sein unverschämt gutes Aussehen hatte sie das gesamte Protokoll vergessen lassen. Was sollte sie nur tun?

Die Ungerechtigkeit der Situation empfand sie wie einen Schlag ins Gesicht. Das einzige Mal, dass sie tatsächlich nicht beachtet werden wollte, wurde sie prompt bemerkt!

Von Prinz Casper von Santallia.

Erschrocken schaute sie auf das Taschentuch in ihrer Hand. Damit war klar, er wusste über ihren Zustand Bescheid. Verstecken war unmöglich.

„Atmen“, befahl er mit sanfter Stimme. „Ganz langsam.“

Erst jetzt fiel ihr auf, dass er sich direkt vor sie gestellt hatte. Mit seinen breiten Schultern schirmte er sie gegen die Blicke der übrigen Gäste ab. Niemand konnte ihre Tränen sehen.

Das Problem war nur, dass sie gar nicht mehr wusste, weswegen sie überhaupt weinte. Ein knisternder Blick aus diesen dunklen Augen reichte, um alle Gedanken auszulöschen.

Peinlich berührt, allerdings gleichzeitig auch glücklich, einen Moment geschenkt zu bekommen, in dem sie sich sammeln konnte, nahm Holly das Taschentuch und schnäuzte, wie befohlen, die Nase. Dann jedoch wurde ihr klar, dass sie sich gerade ein neues Problem eingehandelt hatte.

Er würde sich über sie beschweren. Und wer könnte ihm das verdenken? Sie hätte mehr lächeln sollen. Sie hätte aufmerksamer sein sollen, als die gelangweilt dreinschauende Blondine neben ihm gefragt hatte, ob der Ziegenkäse auf einem Biohof hergestellt wurde.

Er würde dafür sorgen, dass Sylvia sie feuerte.

„Vielen Dank, Euer Hoheit“, murmelte sie und steckte das Tüchlein in die Tasche. „Es geht mir gut. Bitte, kein Mitleid.“

„Mitleid ist sowieso nicht meine Sache.“ Seine Augen funkelten spöttisch. „Es sei denn, es handelt sich um Sex aus Mitleid.“

Holly war zu sehr damit beschäftigt, die Tränen zurückzuhalten, um sich über seinen Kommentar zu entrüsten. Sie tat einen weiteren tiefen Atemzug. Doch diesmal vermochte die weiße Bluse dem Druck nicht standzuhalten. Zwei Knöpfe sprangen auf. Mit einem ungläubigen Laut auf den Lippen erstarrte Holly. Als hätte sie sich vor dem Prinzen nicht schon genug in Verlegenheit gebracht, würde sie ihm gleich auch noch ihren Spitzen-BH präsentieren! Was jetzt? Sollte sie riskieren, seine Aufmerksamkeit überhaupt erst auf das Malheur zu lenken, wenn sie die Knöpfe wieder schloss? Oder hoffen, er habe es nicht bemerkt?

„Ich werde mich über Sie beschweren müssen“, fuhr er fort. Hollys Knie wurden weich.

„Ja, Euer Hoheit.“

„Eine sexy Kellnerin in hauchzarten schwarzen Strümpfen und Spitzenunterwäsche wirkt äußerst ablenkend.“ Er ließ seinen Blick zu ihrem Dekolleté wandern. „Sie machen es mir unmöglich, mich auf die langweilige Blondine zu konzentrieren.“

Gewappnet auf eine gänzlich andere Anschuldigung, lachte Holly erstickt auf. „Soll das ein Scherz sein?“

„Über Fantasien scherze ich nie“, erwiderte er. „Vor allem nicht über erotische.“

Er hielt seine Tischnachbarin für langweilig?

„Sie haben erotische Fantasien?“

„Können Sie mir das verübeln?“ Der bewundernde Ausdruck in seinen Augen stand in so krassem Widerspruch zu ihrer eigenen Wahrnehmung, dass Holly ihn nur verwundert anstarren konnte. Dann wurde ihr klar, dass er selbstverständlich einen Witz gemacht haben musste – schließlich war sie überhaupt nicht sexy.

„Es ist nicht fair, sich über mich lustig zu machen, Euer Hoheit.“

„Sie brauchen mich nur beim ersten Mal mit Hoheit anzureden. Danach reicht ein einfaches Sir.“ Belustigt ließ er seinen Blick von ihren Brüsten zu ihrem Mund wandern. „Und ich glaube, es sind eher Sie, die sich über mich amüsieren.“ Jetzt betrachtete er sie mit jener unverhohlenen Begeisterung, die Männer nur für außergewöhnlich schöne Frauen reserviert hatten.

Doch Holly war nicht schön. Das wusste sie. „Sie haben Ihr Dessert noch nicht angerührt, Sir.“

Der Prinz lächelte verführerisch. „Ich denke, es steht direkt vor mir.“

O Gott! Er flirtete wirklich mit ihr.

Hollys Beine begannen zu zittern, weil er so … so atemberaubend attraktiv aussah. Zudem ließ sie sein Blick sich wie ein Supermodel fühlen. Ihr entwurzeltes Selbstvertrauen blühte auf wie eine vergesse Blume, die endlich den ersehnten Regen abbekam. Dieser unglaublich gut aussehende Mann, dieser charmante, reiche Prinz, der jede Frau auf der Welt haben konnte, hielt sie für so attraktiv, dass er mit ihr flirten wollte.

„Cas“, meldete sich eine nörgelnde Frauenstimme hinter ihnen. „Komm her und setz dich.“

Er wandte sich nicht einmal um.

Die Tatsache, dass er seine Aufmerksamkeit nicht von ihr abwenden wollte oder konnte, steigerte ihr Selbstvertrauen noch weiter. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Wie, fragte Holly sich, hatten sich die Tränen in so kurzer Zeit in erotische Spannung verwandeln können?

Es lag an ihm.

Er war einfach überwältigend.

Und weit außerhalb ihrer Liga.

Flirten war eine Sache, aber hinter ihm saßen Gästen, auffallend hübsche Frauen, die um sein Interesse wetteiferten.

„Man wartet auf Sie, Sir.“

Mit einer hochgezogenen Augenbraue bedeutete er ihr, dass er keine Ahnung hatte, auf welches Problem sie ihn hinwies. Holly lächelte schwach. Er war der herrschende Prinz. Menschen gehorchten seinen Befehlen.

Mit brennenden Wangen räusperte sie sich. „Ihre Gäste werden sich fragen, was Sie hier machen.“

„Und das spielt eine Rolle, weil …?“

„Nun … weil Menschen normalerweise wichtig ist, was andere von ihnen denken.“

„Wirklich?“

„Ja.“

„Ist Ihnen wichtig, was andere Menschen von Ihnen denken?“

„Ich bin eine Kellnerin“, entgegnete Holly trocken. „Es muss mir wichtig sein. Sonst bekomme ich keine Trinkgelder … Und dann habe ich nichts zu essen.“

Der Prinz zuckte die Schultern. „Na, schön. Werden wir die anderen los. Was sie nicht sehen, können sie nicht beurteilen.“ Er nickte den muskulösen Männern zu, die neben der Tür Aufstellung genommen hatten. Der schweigende Befehl reichte offenbar aus, um ihm sofortige Privatsphäre zu garantieren.

Das Sicherheitsteam erledigte seinen Job sehr effizient, binnen weniger Minuten hatten alle Gäste die Suite verlassen. Die Männer verabschiedeten sich mit wissenden Blicken, die Frauen schmollend.

Ungemein beeindruckt von dieser Autorität, fragte Holly sich unwillkürlich, wie es wohl sein musste, so viel Macht zu besitzen, dass man ein Zimmer nur mit einem Blick leeren konnte. Und wie mochte es sich erst anfühlen, sich seiner selbst so sicher zu sein, dass einem völlig gleichgültig war, was andere Menschen von einem dachten?

Erst als sich die Tür hinter dem letzten Gast schloss, wurde ihr bewusst, dass sie jetzt ganz alleine mit dem Prinzen war.

Ein ungläubiges Lachen entrang sich ihrer Kehle.

Gerade hatte er die schönsten und bezauberndsten Frauen fortgeschickt, wegen … ihr?

Autor

Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
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