Im Bann des Wüstensohns

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Prinzessin Samarah liegt auf der Lauer, die Waffe in der Hand. Wenn Ferran das Schlafgemach betritt, wird sie Vergeltung üben! Doch der Scheich ist schneller und stellt Samarah vor eine unfassbare Alternative: Entweder er lässt sie in den Kerker werfen - oder sie heiratet ihn!


  • Erscheinungstag 16.08.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733737566
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Scheich Ferran Bashar, der König von Kadra, würde die Nacht nicht überleben. Noch ahnte er nichts von seinem Schicksal, doch sein Tod war beschlossene Sache.

Allerdings würde es Samarah Überwindung kosten, einen Menschen zu töten. Deshalb hatte sie so lange trainiert, bis sie die Bewegungsabläufe vollkommen verinnerlicht hatte. Ihr Körper wusste nun, was zu tun war. Und wenn der Zeitpunkt gekommen war, würde sie nicht eine Minute zögern. Kein Mitleid empfinden.

Samarah wartete neben der Tür im Schlafzimmer des Scheichs, ein mit Chloroform getränktes Tuch in der einen Hand, ein Messer im dunklen Gewand versteckt. Sie musste lautlos vorgehen. Ihn überraschen.

Wieso sollte sie bei seinem Tod überhaupt Mitleid empfinden? Die Tradition, so alt wie ihre beiden Länder, verlangte diesen Schritt von ihr. Scheich Ferrans Blutlinie musste mit ihm enden.

Genauso wie ihre mit ihrem Vater geendet hatte. Von der Familie des Scheichs von Jahar war nur noch Samarah am Leben. Doch sie hatte ihren Namen ablegen müssen, denn nach dem Tod ihres Vaters hatte es eine Revolution gegeben und ihre Familie war entmachtet worden. Das einstige Königreich aber wurde über Jahre hinweg von schweren Unruhen erschüttert …

Doch Samarah durfte jetzt keine Gefühle aufkommen lassen, sondern musste kaltblütig handeln. Nur deshalb hatte sie vor einem Monat eine Stelle im Palast des Scheichs von Kadra angetreten. Und Ferran hatte sie nicht wiedererkannt. Wie auch? Er hatte der neuen Palastbediensteten nicht ein einziges Mal ins Gesicht gesehen.

Doch sie hatte ihn sofort erkannt.

Scheich Ferran war groß und schlank, mit harten Muskeln, die eine beeindruckende körperliche Kraft erahnen ließen. Sie hatte beobachtet, wie Ferran trainierte, wie er sich bewegte. Sie wusste, wie ausdauernd er war. Sie hatte ihren Gegner genau studiert.

Doch Samarah würde Gnade walten lassen. Ihr Feind würde nichts spüren.

Völlig unerwartet würde sie angreifen.

Heute Nacht würde Samarah ihren Erzfeind besiegen.

Oder sie würde diejenige sein, die die Sonne nicht mehr aufgehen sah.

Samarah kannte das Risiko, aber sie war entschlossen, es einzugehen.

Sie wartete. Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Plötzlich hörte sie Schritte im Gang – Ferran.

Sie holte tief Luft und wartete. Jetzt öffnete sich die Tür. Vom Flur her fiel helles Licht auf den Boden des Schlafzimmers und Samarah erkannte einen einzelnen Schatten. Er war allein.

Jetzt musste sie nur noch abwarten, dass die Tür hinter Ferran ins Schloss fiel.

Sie hielt den Atem an. Er warf die Tür hinter sich zu, und sie wusste, dass der Moment gekommen war.

Bevor sie aus dem Schatten trat, schickte Samarah ein Stoßgebet zum Himmel. Für Gerechtigkeit. Für Vergebung. Für einen schnellen Tod. Sei es für Ferran oder für sie selbst.

Doch in dem Moment, als sie sich auf ihn stürzen wollte, drehte er sich um und ihre Blicke trafen sich. Das Glitzern in seinen tiefen dunklen Augen ließ sie in der Bewegung erstarren. Diese Augen waren voller Leben.

Und sein Anblick war ihr so vertraut.

Trotz der vielen Jahre, die vergangen waren, erkannte sie ihn. Samarah starrte ihn an, unfähig sich zu bewegen oder zu atmen.

Und dieser Moment besiegelte ihr Schicksal.

Ferran sprang zur Seite und packte ihren Arm. Geistesgegenwärtig drehte Samarah das Handgelenk nach hinten und entzog sich seinem Griff. Gleichzeitig machte sie einen Rückwärtsschritt und tauchte mit dem Kopf nach unten weg.

Sie vollführte eine geschickte Drehung, ergriff seine Schulter und benutzte seinen Oberschenkel als Leiter, um auf seinen Rücken zu klettern. Sie riss die Hand mit dem Tuch mit Chloroform nach vorne und versuchte, es auf Ferrans Gesicht zu drücken.

Laut fluchend packte er ihr Handgelenk. Sie versuchte, sich erneut loszureißen, doch dieses Mal hielt er sie fest.

Schnell legte sie den anderen Arm um seine Kehle und drückte zu. Er machte ein paar taumelnde Schritte rückwärts, bis sie beide gegen die Wand stießen. Der Aufprall war so heftig, dass Samarah keine Luft mehr bekam.

Dennoch ließ sie ihn nicht los, sondern klammerte die Schenkel fest um seine Taille. Er schnappte ihr Handgelenk und drückte ihren Arm gegen die Wand, sodass das Tuch herunterfiel. Samarah stieß einen Fluch aus und rang mit dem Mann.

Doch der Überraschungseffekt war vorbei. Obwohl sie eine geübte Kämpferin war, war der Scheich ihr an Körperkraft weit überlegen. Sie hatte ihre Chance vertan.

Samarah schloss die Augen und dachte an ihr Heimatland. Nicht an ihre traurigen Jahre in den Straßen von Jahar, sondern an den Palast, aus dem ihre Mutter und sie nach dem Tod des Vaters vertrieben worden waren. Nach der Hinrichtung ihres Vaters. Die Ferran zugelassen hatte.

Adrenalin schoss durch ihre Adern, und sie setzte ihre gesamte Kraft ein, um Ferran erneut an die Kehle zu gehen. Er taumelte durchs Zimmer, bevor es ihm gelang, sie über die Schulter abzuwerfen. Sie landete auf dem Rücken und japste nach Luft.

Sie musste aufstehen. Sonst würde sie sterben. Scheich Ferran kannte kein Mitleid, das wusste sie. Er würde keine Sekunde zögern, ihr das Genick zu brechen.

Ferran beugte sich über sie, und sie nutzte den Moment, um mit beiden Füßen gegen seine Brust zu treten. Blitzschnell ließ Samarah sich auf den Boden sinken und sprang auf. Sie riss die Hände hoch, um den Gegenangriff abzuwehren.

Er kam auf sie zu, aber sie zog ein Bein hoch und trat ihm ins Gesicht. Er stolperte, und sie nutzte die Gelegenheit und stieß ihn zu Boden. Dann hockte sie sich auf ihn, die Knie auf seine Schulter gepresst, eine Hand an seiner Kehle.

Jetzt musste sie ihm ins Gesicht sehen, wenn sie ihn ins Jenseits beförderte. Und sie hatte kein Chloroform mehr, um ihn vorher zu betäuben. Doch sie durfte nicht zögern. Schnell zog Samarah das Messer aus ihrem Gewand.

Sie durfte nicht zögern. Ferran hatte es auch nicht getan, als er das Todesurteil über ihren Vater bewilligt hatte. Für Mitgefühl war kein Platz, wenn der Feind keins kannte.

Samarah zückte das Messer. Doch Ferran ergriff überraschend ihre Handgelenke, dann drehte er sich mit ihr herum, bis sie beide gegen die Seitenwand des Bettes prallten. Er stieß ihre Hand zurück, wobei das Messer hauchzart ihre Wange streifte. Sofort lief Blut aus der Wunde in ihren Mund.

Schnell grub sie die Finger in Ferrans Haar und riss seinen Kopf nach hinten. Sie versuchte, das Messer erneut zu zücken, doch er packte ihren Arm und bog ihn nach hinten. Die überdehnten Sehnen in ihren Schultern schmerzten, die Schnittwunde auf ihrer Wange brannte.

„Wer hat dich geschickt?“, fragte er scharf.

„Ich bin aus freien Stücken hier“, fauchte sie und spuckte das Blut, das sich in ihrem Mund gesammelt hatte, auf den Boden.

„Was willst du?“

„Dich töten.“

Er knurrte unwillig und drehte ihren Arm um, sodass ihr das Messer entglitt. „Das ist dir nicht gelungen“, sagte er.

„Noch nicht.“

„Niemals“, sagte er verächtlich. „Warum versteckt sich eine Frau in meinem Schlafzimmer und will mir das Leben nehmen?“

„Ich bin nicht zum Diskutieren hier.“

„Stimmt, du willst mich ja töten. Aber das wird nicht passieren – weder heute noch irgendwann sonst. Und jetzt solltest du etwas zu deiner Verteidigung vorbringen. Immerhin hast du versucht, das Oberhaupt eines Staates zu ermorden. Das ist Hochverrat. Ich kann dich auf der Stelle in den Kerker werfen. Ich muss nur meine Wache rufen.“

„Warum tust du es nicht?“

„Weil ich mich nicht seit so vielen Jahren als Scheich behauptet hätte, wenn ich nicht alles und jeden zu meinem Vorteil einsetzen könnte.“

„Ich lasse mich nicht zu deinem Vorteil einsetzen.“

„Dann stell dich auf den Kerker ein.“

Samarah zögerte. Sich mit Ferran zu verbünden, kam nicht infrage. Er hatte ihr Leben zerstört. Er hatte die Regierung ihres Landes gestürzt. Und die Überlebenden ihrer Familie wie Hunde verjagt.

Er war schuld, dass ihre Mutter und sie auf der Straße gelebt hatten, bis ihre Mutter vor Kummer gestorben war.

Dieser Mann hatte ihr alles genommen. Seitdem hatte sie nur ein einziges Ziel verfolgt: Rache.

Jetzt hatte sie versagt.

Es gab nur einen Ausweg: Sie musste sich anhören, was er ihr anzubieten hatte. Und dann die Situation zu ihrem Vorteil nutzen, um am Ende doch noch als Siegerin hervorzugehen.

„Und was muss ich tun, um meine Freiheit zu behalten?“

„Das habe ich noch nicht entschieden“, sagte er. „Und ich weiß noch nicht, ob deine Freiheit überhaupt zur Debatte steht. Aber das liegt allein in meiner Macht.“

„Liegt nicht immer alles in deiner Macht?“, fragte sie. „Du bist der Scheich.“

„Wahr gesprochen.“

„Lässt du mich frei?“

Er langte hinter ihrem Rücken aufs Bett. Als er die Hand zurückzog, lag das Messer darin. „Ich traue dir nicht, kleine Wüstenschlange.“

„Das solltest du auch nicht. Sobald ich die Gelegenheit habe, werde ich dir die Kehle durchschneiden.“

„Dabei halte ich dein Messer in meinen Händen. Und du bist diejenige, die blutet. Ich lasse dich für einen Augenblick frei, aber nur, wenn du meine Anweisungen befolgst.“

„Das hängt von den Anweisungen ab.“

„Ich will, dass du dich aufs Bett setzt.“

Eine neue Angst stieg in ihr auf und ließ sie erstarren. Auf den Tod war Samarah vorbereitet gewesen. Aber sie hatte nicht eine Sekunde daran gedacht, dass Ferran sich an ihr vergreifen könnte.

Nein. Lieber wollte sie sterben. Sie würde ihn mit allen Mitteln bekämpfen und nicht zulassen, dass er sie und ihre Familie noch weiter entehrte. Lieber im Kampf sterben, als ihn in ihren Körper einzulassen.

Aber Ferran würde nie …

Schnell schüttelte sie den Gedanken ab. Ferran war zu allem fähig, er kannte kein Erbarmen. Ganz gleich, wie er damals gewesen war.

„Haben wir eine Abmachung?“, fragte er.

„Du wirst mich nicht anfassen“, sagte sie mit zittriger Stimme.

„Ich habe nicht das Verlangen, dich anzufassen“, sagte er. „Ich will dich nur im Auge behalten. Du bist zwar eine zierliche Frau, aber offensichtlich die bessere Kämpferin. Sonst hätte ich dich leichter geschlagen. So musste ich meinen Größenvorteil ausspielen. Aber ich traue dir nach wie vor nicht. Also setz dich in die Mitte des Bettes und leg die Hände in den Schoß. Ich habe nicht vor, dich weiter zu demütigen, und für Sex bin ich wirklich nicht in der Stimmung. Was das betrifft, bist du also sicher.“

„Lieber würde ich sterben.“

„Und ich würde dich eher töten. Also setz dich endlich aufs Bett.“

Ferran hielt das Messer fest, ließ ihre Hand aber los. Samarah stand auf und setzte sich auf die breite Matratze. In so einem Bett hatte sie zum letzten Mal in ihrer Kindheit geschlafen … Sie konnte sich kaum erinnern, wie bequem es darin war.

Seit sie damals aus dem Palast von Jahar vertrieben worden war, hatte sie auf Pritschen oder Teppichen geschlafen. In den Hinterzimmern von kleinen Läden. In der Dachkammer des Kampfsport-Studios, in dem sie trainiert hatte. Und wenn es ganz schlimm kam, hatte sie sich mit einer schmutzigen Seitengasse begnügt. Als sie im Palast von Kadra als Hausangestellte angefangen hatte, hatte sie zum ersten Mal seit sechzehn Jahren wieder in einem Bett geschlafen.

Die Betten der Angestellten waren schmal, aber sauber … und sogar mit zwei Kissen ausgestattet. Solchen Luxus hatte sie seit ihrer Kindheit nicht mehr erlebt. Aber sie hatte das Gefühl gehabt, kein Anrecht auf diese Bequemlichkeit zu haben, und hatte daher in der ersten Woche auf dem Fußboden geschlafen.

Jetzt saß sie auf dem Bett von Ferran. Ihre Nackenhaare stellten sich auf.

Samarah legte die Hände in den Schoß und wartete ab. Es gab keinen Grund, sich auf sein Wort zu verlassen. Mit seiner scheußlichen Tat hatte er damals bewiesen, dass er kein Fünkchen Ehre besaß.

Letztendlich hatte er den Befehl zur Hinrichtung ihres Vaters gegeben. Die Jahrhunderte währende Freundschaft der beiden königlichen Familien hatte ihn nicht von der Untat abgehalten.

„Ich frage dich noch einmal“, sagte er. „Wer hat dich geschickt?“

„Wie ich schon sagte, ich handle im eigenen Auftrag.“

„Was willst du?“

„Rache.“

„Und was soll ich getan haben, das dir nicht gefallen hat?“

„Du hast meinen König getötet.“

„Ich habe nicht die Angewohnheit, Menschen zu töten“, sagte er bestimmt.

„Vielleicht nicht mit deinen Händen, aber du hast das Gericht zusammengerufen, das die Hinrichtung des Scheichs von Jahar beschlossen hat. Und wenn man den Gerüchten Glauben schenkt, hast du auch bei der anschließenden Palastrevolte in Jahar die Finger im Spiel gehabt. So viel Gewalt … Ich erinnere mich nur zu gut an jenen Tag.“

Ferran erstarrte und ballte die Hand mit dem Messer zur Faust. Nun bekam sie zum ersten Mal doch Angst, denn plötzlich sah sie einen gnadenlosen Wüstenkrieger vor sich. In dem Monat, den sie in seinem Palast verbracht hatte, hatte sie einen viel zivilisierteren Mann erlebt, als sie sich vorgestellt hatte. Aber nicht jetzt. Nicht hier.

„Beim Angriff auf den Palast von Jahar gab es keine Überlebenden“, sagte er mit rauem Tonfall.

„Zu schade, dass es doch welche gab.“

„Die gesamte Familie des Herrschers und alle Diener fanden damals den Tod“, sagte er leise. „So hat man es mir berichtet.“

„Die Berichte waren falsch. Und für meine Sicherheit war es das Beste, die Menschen in dem Glauben zu lassen, ich wäre tot. Aber ich lebe. Wenn auch nur aus dem Grund, dich zu töten.“

Er lachte bitter. „Du willst also der Todesengel sein, der mich in die Hölle schickt?“

„Ja“, sagte sie.

„Klingt interessant.“

„Ich finde, ich bin weit mehr als interessant.“

„Oh, ja.“ Er straffte die Schultern. „Du hast mir Angst gemacht. Und es gibt nicht viele, denen das gelungen ist.“

„Dann habe ich schon Großes geleistet. Trotzdem bin ich nicht zufrieden.“

„Du willst Blut fließen sehen.“

Sie hob trotzig das Kinn. „Ich verlange Rache.“

„Tut mir leid, aber heute Nacht stehe ich leider nicht zur Verfügung.“

„Mir tut es noch mehr leid.“

„Warum bin ich das Objekt deiner Rache?“, fragte er. „Warum nicht die neue Regierung von Jahar? Oder die Leute, die den Palast gestürmt und die Königsfamilie getötet haben? Die Frau des Scheichs und ihre kleine Tochter.“

„Du meinst die Revolutionäre, die von deinen Männern unterstützt wurden?“

„Das ist nicht wahr. Weder ich noch ein anderer Einwohner von Kadra hatte mit dem Sturz der Königsfamilie zu tun.“

„Du hast uns ohne König, ohne Schutz zurückgelassen.“

„Das ist nicht wahr.“

„Du hast den König von Jahar in deinem Land vor Gericht stellen und hinrichten lassen“, sie spuckte die Worte fast aus. „Und die Menschen, die in Jahar zurückblieben, hast du einfach ihrem Schicksal überlassen. Diener, Soldaten – einfach jeder, der sich den neuen Herrschern nicht gebeugt hat, wurde ermordet. Und diejenigen, die entkamen, mussten im Verborgenen leben. Alle Grenzen waren versperrt. Wer entkommen wollte, dem blieb nur der Weg durch die Wüste. In der Hoffnung, zuletzt doch sicher in ein benachbartes Land zu gelangen.“ So wie ihre Mutter es getan hatte. Sie war in die Wüste aufgebrochen – und nie mehr zurückgekehrt. Erst in den letzten zwei Jahren war die Bewachung der Grenzen gelockert worden. Nur so hatte Samarah endlich nach Kadra gelangen können.

„Scheich Rashad war für sein Schicksal selbst verantwortlich. Er hat für seine Sünden bezahlt. Wie sich die Dinge danach entwickelt haben, tut mir dennoch leid.“

„Ach, ja?“, stieß sie hervor. „Mir tut es noch mehr leid, denn ich habe alles verloren.“

„Es ist sechzehn Jahre her.“

„Vielleicht hilft dir die Zeit zu vergessen, mir nicht.“

„Ich sage es noch einmal. Ich habe nicht den Befehl gegeben, deine Leute zu töten. Natürlich kann das nicht über deinen Verlust hinwegtrösten, aber ich habe es wirklich nicht getan. Allerdings kannst du mir glauben, auch mich verfolgt die Vergangenheit noch heute.“

Sie schnitt eine verächtliche Grimasse. „Oh, ich kann mir lebhaft vorstellen, wie schlimm es für dich sein muss. Ich weiß gar nicht, warum ich mich über das Schicksal meines Landes aufrege. Für dich muss es ja um einiges härter sein. In deinem Palast, mit all deiner Macht.“

„Ich würde keine voreiligen Schlüsse ziehen“, sagte er scharf. „Man hat mir oft vorgeworfen, hinter der feindlichen Übernahme deines Landes zu stehen. Aber ich habe meine Leute nicht in den Palast geschickt. Was hätte ich davon gehabt? Bin ich in Jahar heute etwa an der Macht? Mit dem, was in den letzten Jahren dort geschehen ist, habe ich nichts zu schaffen. Dennoch sehe ich ein, dass ich für vieles die Verantwortung trage.“

„Du musst dich entscheiden. Entweder hattest du deine Hände im Spiel oder nicht.“

„Ich musste Entscheidungen treffen und für mein Land und meine Leute stark sein. Hätte ich damals gewusst, wie die Sache ausgehen würde, hätte ich andere Entscheidungen getroffen. Das nicht vorauszusehen, war meine Schuld.“

„Hältst du dich etwa für einen Gott?“

„Ich bin Scheich. Das kommt dem recht nahe.“

„Dann bist du also ein Gott mit kleinen Fehlern?“

„Und du? Strebst du den Thron der Göttin an?“, fragte er und baute sich vor dem Bett auf. Er war groß und stolz, eine imposante Erscheinung. Samarah konnte kaum fassen, dass sie es gewagt hatte, ihn anzugreifen.

„Ich strebe keine Macht an, sondern fordere Gerechtigkeit.“

„Und du glaubst, Gerechtigkeit erreicht man, indem man noch mehr Blut vergießt?“

„Wer hat den König von Jahar vor Gericht gestellt? Wer hat mein Land ohne Herrscher zurückgelassen?“ Wer hat mich ohne Vater zurückgelassen? Die letzte Frage sprach sie nicht aus. Sie durfte keine Schwäche zeigen.

„Ich war’s“, sagte er laut. „Allerdings darfst du nicht vergessen, dass das Blut des Königs von Kadra an seinen Händen klebte.“

„Immerhin hatte Kadra einen Thronfolger!“

Seine Miene verhärtete sich. „Einen Thronfolger und eine zufriedene Bevölkerung! Hätten die Menschen aus Jahar nicht schon jahrelang gelitten, hätte der Verlust ihres Herrschers sie nicht zu einer Revolte getrieben …“

„Ich bin nicht hier, um über Politik zu streiten.“

„Stimmt, du bist ja hier, um mir die Kehle durchzuschneiden.“

Sie blickte einen Moment lang zur Seite. „Du hast ein kleines Mädchen ohne Schutz zurückgelassen. Und eine Königin ohne ihren Mann.“

„Hätte ich den König von Jahar ungeschoren davonkommen lassen sollen, nachdem er meinem Vater das Leben genommen hat? Und meiner Mutter?“

„Das stimmt nicht …“

„Wir werden nicht über den Tod meiner Mutter diskutieren“, sagte Ferran streng. „Das verbitte ich mir.“

„Willst du mich auch töten?“, fragte sie.

„Du kleine Schlange wolltest mich ermorden.“

„Und leider habe ich versagt.“

„Du sprichst nicht gerade wie jemand, der sein Leben retten möchte.“

„Ach nein?“

„Nein. Erst fragst du mich, ob ich dich hinrichten lasse, und als Nächstes sagst du mir ins Gesicht, dass du meinen Tod wünschst. Vielleicht sollte ich jetzt gleich den Befehl geben, dich einen Kopf kürzer zu machen.“

Vor Entsetzen riss sie die Augen auf.

„Aber du hast Glück“, sagte er trocken. „Mir ist gerade nicht danach zumute, ein kleines Mädchen zu töten.“

„Ich bin kein kleines Mädchen.“

„Du kannst nicht älter als zwanzig sein.“

„Einundzwanzig“, stieß sie hervor.

„Schön. Dann ist mir eben nicht danach zumute, ein einundzwanzigjähriges Mädchen zu töten. Lieber finde ich eine Möglichkeit, dich zu meinem Vorteil einzusetzen.“ Er fuhr mit dem Daumen über die Klinge des Messers. „Aber ich werde dich dort einsetzen, wo ich dich im Auge behalten kann. Denn ich möchte das hier nicht in meinem Rücken spüren.“

„Ich verspreche gar nichts.“

„Wir müssen wirklich an deinem Selbsterhaltungstrieb arbeiten.“

„Ich glaube kaum, dass ich noch eine Chance habe.“

Er schaute sie an, und plötzlich hellte sich seine Miene auf. „Du bist keine Palastangestellte. Du bist Prinzessin Samarah.“

Er hatte sie also doch erkannt. Sie hatte gehofft, ihn täuschen zu können. Immerhin hatte er sie seit ihrem sechsten Lebensjahr nicht mehr gesehen, und nicht damit gerechnet, dass sie noch am Leben war.

Sie schaute ihm in die Augen. „Ja, ich bin Samarah Al-Azem, die Tochter des Herrschers von Jahar. Eine Prinzessin ohne Land. Und ich bin gekommen, das einzuklagen, was mir rechtmäßig zusteht.“

„Was soll das sein? Mein Blut, kleine Samarah?“

„Nenn mich nicht klein! Ich habe dich immerhin fast besiegt.“

„Das stimmt, aber für mich bist du dennoch klein.“

„Mal sehen, ob du mich noch beleidigst, wenn ich das Messer wiederhabe und dir die Kehle durchschneide.“

„Ich hab verstanden“, sagte er und musterte sie von oben bis unten. „Du hast dich verändert.“

„Natürlich. Schließlich bin ich nicht mehr sechs Jahre alt.“

„Mein Blut kann ich dir trotzdem nicht geben“, sagte er. „Ich hänge nämlich zu sehr daran.“

„Der Selbsterhaltungstrieb ist ein menschlicher Instinkt.“

„Für die meisten zumindest“, erwiderte er trocken.

„Aber nicht für diejenigen, die nichts mehr zu verlieren haben.“

„So wie du?“

„Warum sollte ich sonst in deinen Palast eindringen und einen Mordanschlag auf dich verüben? Ich hänge nicht sehr am Leben.“

Er kniff die Augen zusammen und spannte die Kiefermuskeln an. „Mein Blut kann ich dir nicht geben, Samarah. Aber du fühlst dich um dein Erbe betrogen. Um deinen Palast. Nun – den kann ich dir vielleicht geben.“

„Ach, ja?“

„Ja. Mir ist eingefallen, wie ich dich zu meinem Vorteil einsetzen kann. In einer Woche werde ich dich der Welt präsentieren – als meine Braut!“

Autor

Maisey Yates
<p>Schon von klein auf wusste Maisey Yates ganz genau, was sie einmal werden wollte: Autorin. <br/>Sobald sie mit einem Stift umgehen und ihre erste Worte zu Papier bringen konnte, wurde sie von der Leidenschaft fürs Schreiben gepackt und bis heute nicht mehr losgelassen. <br/><br/>Von da an konnte nichts und niemand...
Mehr erfahren