Julia Collection Band 13

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KLEINES HERZ IN NOT von ALLAN, JEANNE
Cheyenne Lassiter zögert keine Sekunde, als sie den Hilferuf des kleinen Davy in der Zeitung liest. Sie packt ihre Koffer und reist nach Aspen, um sich bei seinem eiskalten Onkel Thomas als Kindermädchen zu bewerben. Und der sieht Cheyenne - und sagt einfach nur Ja …

AUF UMWEGEN INS GROSSE GLÜCK von ALLAN, JEANNE
Wie glücklich ist Allie Lassiter auf der Ranch ihres Ex-Verlobten Zane! Alles scheint wie früher. Doch die Zeit ist auch in Colorado nicht stehen geblieben. Zane ist mittlerweile stolzer Vater einer süßen Tochter - und weiter auf der Suche nach einer Frau wie Allie …

SAG EINFACH NUR - ICH LIEBE DICH von ALLAN, JEANNE
Seine Leidenschaft muss einfach echt sein! Die kann der charmante Unternehmer Quint Damian der hübschen Greeley Lassiter doch nicht nur vorspielen, um sein Erbe in Aspen zu sichern. Von Liebe hat er aber noch nie gesprochen. Und dabei würde Greeley alles dafür geben …


  • Erscheinungstag 16.09.2009
  • Bandnummer 13
  • ISBN / Artikelnummer 9783862956555
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jeanne Allan

Happy End in Hope Valley

JEANNE ALLAN

Happy End in Hope Valley

Kleines Herz in Not

Diese Frau ist einfach zauberhaft, findet Thomas. Eigentlich hat der erfolgsbesessene Hotelbesitzer aus Colorado die hübsche Cheyenne nur eingestellt, damit sie sich um seinen kleinen Neffen Davy kümmert und er seine Ruhe hat. Doch zur Ruhe kommt er jetzt erst recht nicht mehr, seit diese anziehende Frau in seiner Nähe ist …

Auf Umwegen ins große Glück

Allie Lassiter ist entsetzt, als sie auf der Hochzeit ihrer Schwester ihren Exverlobten Zane Peters trifft. Eigentlich wollte sie den breitschultrigen Rancher aus den Rocky Mountains doch einfach nur vergessen. Aber nun lässt Zane keine Gelegenheit aus, ihr zu zeigen: Er möchte eine zweite Chance, denn sein Herz sehnt sich nach einem Neuanfang!

Sag einfach nur – ich liebe dich

Quints Lippen sind unwiderstehlich. Jeder Kuss ist für Greeley ein Genuss. Für sie gibt es nur noch ihn … Unvorstellbar, dass dieser atemberaubende Mann sie nur benutzt, um das Erbe seines Großvaters in Aspen zu sichern. Doch in Greeley keimen Zweifel. Bis ihr Quint auf lebensgefährliche Weise beweist, wie ernst es ihm mit ihr ist.

1. KAPITEL

Suche Frau. Habe kleines Kind. Muss Kekse backen und Geschichten vorlesen können und viel lächeln. Darf nicht schlagen. Zimmer 301, St. Christopher Hotel, Aspen, Colorado.

Als Cheyenne Lassiter beim Frühstück die Zeitung aufschlug, fiel ihr als Erstes die Anzeige auf. Stirnrunzelnd las sie den Text noch einmal und schob ihn dann zu ihrer jüngeren Schwester hinüber. „Hier, lies.“

Allie überflog die Anzeige und lachte. „Komische Art, eine Frau zu suchen.“

„Denkst du das Gleiche wie ich?“, fragte Cheyenne. „Das hat doch ein Kind geschrieben, oder?“

Allie studierte den Text genauer und gab ihrer Schwester dann die Zeitung zurück. „Sieht fast so aus. Du machst dir Gedanken über ‚darf nicht schlagen‘, stimmt’s?“

„Ja“, erwiderte Cheyenne leise. „Ich weiß genau, ihr denkt alle, dass ich hinter jedem Baum Eltern sehe, die ihre Kinder misshandeln, aber …“ Ihr versagte die Stimme.

„Michael kann nichts mehr geschehen“, sagte Allie beruhigend. „Er ist bei seinen Großeltern gut aufgehoben.“

„Wieso habe ich mich bloß so täuschen lassen? Wieso habe ich nicht bemerkt, dass er mir nicht in die Augen sehen konnte, wenn ich ihn nach den blauen Flecken gefragt habe? Seine Ausreden waren doch wirklich mehr als fadenscheinig: die Treppe heruntergefallen, gegen die Tür gelaufen. Aber seine Mutter war immer so freundlich und hat mir im Unterricht geholfen, und Mr. Karper hat sich sehr für die Fortschritte seines Stiefsohns interessiert. Woher sollte ich wissen, dass da etwas nicht stimmte?“ Cheyenne konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen stiegen.

„Hör auf, dir Vorwürfe zu machen! Das führt doch zu nichts. Kein Mensch wusste, dass der Stiefvater den Jungen geschlagen hat. Du bist doch sofort zum Jugendamt gegangen, als du den Verdacht hattest, dass da etwas faul war. Wenn du nicht gewesen wärst, würde Michael immer noch bei seiner Mutter und seinem Stiefvater wohnen. Oder schlimmer noch …“

„Michael hat verzweifelt um Hilfe gerufen, aber keiner hat es gehört.“ Cheyenne faltete die Zeitung zusammen. „Ich habe mir geschworen, dass ich nie wieder die Augen verschließen werde, wenn etwas Derartiges geschieht.“ Entschlossen sah sie ihre Schwester an. „Mein Termin mit den Brownings ist erst um zehn Uhr.“

„Womit du noch Zeit genug hast, um herauszufinden, was in Zimmer 301 im St. Christopher Hotel vorgeht.“ Allie brach ein Stück vom Brötchen ab und gab es dem Windhund, der erwartungsvoll zu ihr hochblickte. „Meine Schwester, die heldenhafte Retterin der Welt!“

„Du sollst die Hunde nicht am Tisch füttern, das weißt du doch.“ Cheyenne schob den Stuhl zurück und versuchte dabei, nicht auf Allies Katze Amber zu treten, die es sich darunter bequem gemacht hatte.

Völlig ungerührt riss Allie noch ein Stück vom Brötchen ab. „Wer seine Nase zu tief in die Angelegenheiten anderer Leute steckt, wird eines Tages sein blaues Wunder erleben, lass es dir gesagt sein!“

„Ich will doch nur kurz nach dem Rechten sehen. Wenn ich der Meinung bin, dass irgendetwas nicht stimmt, schalte ich das Jugendamt ein. Ich habe gar nicht vor, mich persönlich einzumischen.“

„Wenn auch nur noch eine Frau hier anklopft, dann drehe ich durch!“ Wutentbrannt knallte Thomas Steele den Telefonhörer auf die Gabel und überhörte die gestammelten Entschuldigungen des verängstigten Hotelmanagers.

Die erste Frau hatte bereits morgens kurz nach sechs an die Tür von Thomas’ Hotelsuite geklopft – nein, gehämmert. Völlig verschlafen hatte er geöffnet. Ein Blick auf die Frau und den Keksbeutel in ihrer Hand hatte ihn glauben lassen, eine Verrückte vor sich zu haben, und er hatte sie mit den passenden Worten zum Teufel gejagt. Aber bevor er noch den Hotelmanager hatte herbeizitieren können, um sich zu beschweren, stand die nächste Frau schon vor der Tür. Und damit nicht genug: Seitdem hatte sich ein unablässiger Strom von Frauen jeder Größe, Gestalt und jeden Alters über ihn ergossen, die ihn zu allem Überfluss auch noch mit Keksen überschütteten und lächelten, als hätten sie das große Los gezogen.

Müde fuhr sich Thomas übers Kinn. Das war ja der reinste Albtraum! McCall, der Hotelmanager, beteuerte zwar immer wieder, dass es ihm schleierhaft sei, was hier vorgehe. Eine der Frauen hatte irgendetwas von einer Zeitung gefaselt, und eigentlich hätte er, Thomas, nachhaken müssen, aber vor dem Frühstück war mit ihm nichts anzufangen, und so hatte er ihr einfach die Tür vor der Nase zugeschlagen.

Aus dem Nebenzimmer hörte er, wie der Junge sich bewegte. Er war also wach. Aber Thomas wusste, dass sein Neffe so lange im Bett bleiben würde, bis er ihm die Erlaubnis gab aufzustehen. Der Junge ging im wahrsten Sinne des Wortes die ganze Zeit auf Zehenspitzen umher. Wahrscheinlich glaubte er, dass ihm der Himmel auf den Kopf fallen würde, wenn er es nur wagte, das Wort an seinen Onkel zu richten. Thomas war klar, dass er an dieser Situation selbst schuld war. In einer schwachen Minute in New York hatte er seinen Neffen angesehen und angeboten, den Jungen mit nach Aspen zu nehmen. Aber verdammt noch mal, was sollte er bloß mit ihm anfangen? Er, Thomas Steele, Chef einer exklusiven Hotelkette, ließ sich von einem sechs Jahre alten Jungen aus der Fassung bringen!

Er hatte beim Zimmerservice ein Frühstück für zwei Personen bestellt und war sich keinesfalls sicher, ob der Junge überhaupt Haferflocken mochte. Als er seinen Neffen gefragt hatte, hatte dieser nur die Schultern gezuckt. Also musste er eben essen, was auf den Tisch kam.

Ein leises Klopfen an der Tür hob Thomas’ Laune erheblich. Das Frühstück kam ja wirklich in Rekordzeit. Es war manchmal wirklich von Vorteil, der Chef zu sein. Er zog den Gürtel des Bademantels enger und öffnete.

Noch bevor Thomas überhaupt begriff, dass die große Blondine nicht das Frühstück brachte, hatte sie sich schon an ihm vorbeigedrängt. Am liebsten hätte er sie höchstpersönlich wieder hinausbefördert, aber er überlegte es sich anders. Diesmal würde er Nägel mit Köpfen machen. Er musste endlich herausfinden, was hier gespielt wurde. Mit lautem Knall schloss er die Tür und funkelte die Frau erbost an. Im Einschüchtern war er schon immer ein Meister gewesen.

Aber sie ließ sich nicht beeindrucken.

Wenigstens lächelte sie nicht so dämlich wie die anderen! Schnell blickte Thomas auf ihre Hände. Keine Kekse. Sie hielt nur eine zusammengefaltete Zeitung, mit der sie sich, offensichtlich verärgert, gegen das Bein schlug. Warum, zur Hölle, war sie so aufgebracht? Thomas konnte sich darauf einfach keinen Reim machen. Er war doch derjenige, der den ganzen Morgen von einer Horde wild gewordener Weiber verfolgt wurde!

Beinahe unverschämt musterte er die unwillkommene Besucherin von unten bis oben. Er sah von der Sonne gebräunte lange, schlanke Beine, die oben in schauderhaft aussehenden Khakishorts und unten in dicken weißen Socken und festen Wanderschuhen endeten. Aufreizend langsam ließ er den Blick nach oben zu den schlanken Hüften und der schmalen Taille gleiten. Und zu den festen Brüsten, die, wie er gleich erkannte, von einem BH umschlossen wurden. Die leichte Röte, die ihr jetzt ins Gesicht stieg, verriet Thomas, dass sie seine Gedanken erraten hatte. Mit einem zufriedenen Lächeln blickte er sie direkt an.

Man hätte sie eine Schönheit nennen können – vorausgesetzt, man mochte große, athletisch gebaute Frauen. Sein Fall aber waren exotisch aussehende, dunkelhaarige Frauen, die Eleganz ausstrahlten und Sex-Appeal hatten. Er zog spöttisch die Augenbraue hoch, und sein Blick war kalt wie Eis.

„Keine Kekse?“, fragte er höhnisch. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er sie offenbar aus der Fassung gebracht, aber sie fing sich sofort. Mit ihren grauen Augen – nein, sie waren hellblau, wie er beim näheren Hinsehen feststellte – blickte sie ihn empört an.

„Dann wissen Sie also genau, worum es geht.“

Diese Frau habe ich doch schon einmal gesehen, überlegte Thomas. Doch wo war das bloß gewesen? In der Fußgängerzone von Aspen? Oder … Nein, jetzt fiel es ihm wieder ein: Sie war eine Angestellte des Hotels. Aber nicht mehr lange!

„Nein, ich habe keine Ahnung. Aber etwas weiß ich ganz bestimmt: Sie stehen kurz davor, gefeuert zu werden. Und verlassen Sie sich darauf, ich werde dafür sorgen, dass Sie auch in keinem anderen Steele-Hotel mehr einen Job finden.“

Ihre Verblüffung war unübersehbar.

Das hat gesessen, dachte Thomas gerade, als ein Klopfen an der Tür ertönte. Schnell ging er hin und öffnete. Der Ober brachte das Frühstück herein und lächelte der Frau zu. Alle Angestellten des Hotels würden jetzt mit Argusaugen beobachten, wann diese Frau die Suite wieder verlassen würde. Sie dachten bestimmt, dass er langsam weich wurde. Aber da hatten sie sich gewaltig getäuscht. Sobald er herausgefunden hatte, was hier vor sich ging, würde er diesem frechen Weibsstück eine Standpauke halten, die sie nie vergessen sollte.

Der Ober stellte das Tablett auf den Tisch, ging dann hinaus und schloss die Tür leise hinter sich. Der verführerische Duft von frischem Kaffee zog Thomas magisch an. Er schenkte sich eine Tasse ein und trank einen großen Schluck. Das Coffein brachte ihn erst so richtig in Fahrt. Finster wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Frau zu, die ihn schweigend beobachtete.

Als sie seinen Blick bemerkte, zeigte sie auf das Tablett. „Frühstück für zwei Personen.“

Ach so war das! Thomas war plötzlich alarmiert. Als begehrter Junggeselle wusste er natürlich genau, dass es gewisse Frauen gab, die zu allem bereit waren, nur um ihn zur Ehe zu bewegen. Die beste Abwehr war in diesem Fall immer noch eine erfundene Freundin!

„Sie glauben doch wohl nicht, dass ich sie ohne Frühstück gehen lasse?“

„Das will ich hoffen. Sie braucht ein anständiges Frühstück, damit sie dem Tag gewachsen ist.“ Mit strengem Blick betrachtete die Frau das Tablett. „Milch und Haferflocken. Kein Obst oder Fruchtsaft. Um eine vernünftige Ernährung sicherzustellen, müssen Sie ihr täglich Obst geben. Am besten immer frisch. Und natürlich auch Gemüse.“

Diese Frau hatte sie ja wohl nicht mehr alle! „Ihre Ernährung ist mir egal! Für mich ist nur wichtig, dass sie die entsprechende Leistung bringt. Wie sie das schafft, ist ihr Problem.“

„Sie sind ihr Vater. Selbstverständlich geht es auch Sie etwas an.“

„Vater?“, fragte Thomas verwirrt. „Ich rede von der Frau, die in meinem Bett liegt.“

„Sie sind verheiratet?“

Ihre offensichtliche Überraschung bestärkte ihn nur noch in der Annahme, dass sie wirklich hinter ihm her war. „Bin ich nicht. Und ich habe auch nicht vor, daran etwas zu ändern.“

„Sie sind also nicht verheiratet, haben aber eine Geliebte“, stellte sie stirnrunzelnd fest. „Und das Einzige, was Sie anscheinend interessiert, ist die Tatsache, wie gut sie im Bett ist! Was für ein Beispiel geben Sie eigentlich für Ihr Kind ab?“

„Jetzt reicht’s. Meine Geduld ist am Ende. Was, zur Hölle, geht hier eigentlich vor?“

Die Frau ignorierte ihn völlig. Schnell ging sie zur Schlafzimmertür, klopfte einmal kurz, wartete einen Augenblick und öffnete die Tür. Als Nächstes wühlt sie auch noch in meinem Bett herum, dachte Thomas verärgert. Waren denn heute alle völlig verrückt geworden?

Die Frau blickte sich suchend um, ging dann zum Nebenraum und klopfte noch einmal. Als ein leises „Ja“, ertönte, machte sie die Tür auf, entdeckte Thomas’ Neffen und sagte freundlich: „Hallo. Es tut mir leid, ich wollte nicht stören.“ Sie schloss die Tür hinter sich und wandte sich wieder Thomas zu. „Ich sehe hier keine Frau. Nur Ihren Sohn.“

Thomas zuckte die Schultern. Er hatte keine Lust, ihr zu erklären, dass er gar keinen Sohn habe. „Vielleicht ist sie aus dem Fenster geklettert.“

„Warum sollte sie das tun?“

„Was weiß ich? In Aspen sind merkwürdige Dinge anscheinend an der Tagesordnung.“

„Ich finde eher, dass Sie merkwürdig sind. Wieso wollten Sie mir weismachen, dass Sie eine Frau in Ihrem Bett haben? Sie sind nicht der erste Sexprotz, dem ich begegne, und ich kann Sie nur warnen, Freundchen!“

„Mein Name ist Thomas Steele“, erwiderte er aufgebracht. Und als sie nicht antwortete, fügte er noch hinzu: „Ich bin einer aus der Steele-Hotelierfamilie.“

„Und da Ihrer Familie dieses Hotel gehört, sind Sie vermutlich reich und können es sich leisten, sich jede Nacht eine andere Frau ins Bett zu holen. Also, was war letzte Nacht los? Hat Ihre Auserwählte Sie etwa sitzen lassen?“

Thomas hatte jetzt endgültig genug und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Hören Sie mal, Lady …“

„Ich heiße Cheyenne Lassiter. Ich bin eine aus der Lassiter Ranchbesitzer-Familie.“ Sie machte sich über ihn lustig, und das erboste ihn nur noch mehr.

Am liebsten hätte er sie geradewegs aus dem Hotel geworfen. Oder nein, er hatte eine noch viel bessere Idee: Sie hier an Ort und Stelle aufs Sofa zu legen und die Wut in ihren blauen Augen in etwas ganz anderes zu verwandeln. Was, zum Teufel, war los mit ihm? Kein Wunder, dass er völlig durcheinander war. Schließlich hatte er sich den halben Morgen mit irgendwelchen verrückten Frauen herumschlagen müssen. „Ich weiß nicht, Miss Lassiter, warum Sie und Ihre Freundinnen mich die ganze Zeit über belästigen, aber eins versichere ich Ihnen: Das hat jetzt ein Ende.“ Thomas setzte sich an den Tisch. „Mein Kaffee wird kalt, also entschuldigen Sie mich bitte.“

Sie nickte herablassend. „Ich habe nichts dagegen, wenn Sie in meiner Gegenwart essen. Ich bin sowieso nicht Ihretwegen hier.“ Sie blickte zum Schlafzimmer des Jungen. „Ich wollte zu ihm.“

„Zu mir?“ Thomas’ Neffe schien ihr Gespräch hinter der Tür belauscht zu haben, denn er kam in diesem Moment ins Zimmer. Sein Haar stand in alle Richtungen ab, und er strahlte vor Freude. „Ich darf mit Ihnen gehen? Cool.“

„Kennst du diese Frau?“

„Das ist die Lady von ‚Happy Tours‘.“

Die Frau nickte lächelnd, aber Thomas verzog keine Miene. Streng sah er seinen Neffen an. „Junger Mann, wir hatten doch einige Regeln aufgestellt. Kein Frühstück, bevor du nicht angezogen bist.“

Der Junge ließ den Kopf hängen und zog mit dem nackten Zeh Kreise auf den Teppich.

„Vielleicht ist sein seidener Morgenmantel ja in der Wäsche“, sagte die Frau vorwurfsvoll.

Der Aufmarsch all dieser Frauen hatte Thomas so aus der Fassung gebracht, dass ihm gar nicht aufgefallen war, dass er noch immer seinen Morgenmantel trug. Er warf Cheyenne Lassiter einen bösen Blick zu und befahl dem Jungen dann, sich an den Tisch zu setzen. Dieser gehorchte und lächelte Cheyenne im Vorbeigehen schüchtern an.

Thomas zog einen der Stühle hervor und sagte kurz angebunden: „Setzen Sie sich.“

Sie gehorchte ihm tatsächlich, was ihn sehr überraschte.

„Und jetzt möchte ich, dass Sie mir endlich verraten, was, zum Teufel, hier eigentlich vorgeht.“

Cheyenne runzelte die Stirn, als sie ihn vor dem Jungen fluchen hörte, aber sie beschloss, es ihm durchgehen zu lassen. Sie wandte sich dem Kind zu. „Wie heißt du, mein Junge?“

„Sein Name geht Sie gar nichts an.“

Aber Thomas’ Neffe hatte sich inzwischen ein Herz gefasst und flüsterte: „Davy.“

„Ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen, Davy. Ich bin Cheyenne. Und was Sie angeht, Mr. Steele – ich glaube, Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten, warum ich hier bin.“

Er kniff die Augen zusammen und ärgerte sich über ihren herablassenden Tonfall. „Nichts an Ihnen kann mich noch überraschen.“

Cheyenne nahm aufreizend langsam einen Muffin vom Teller, bestrich ihn mit Butter und biss ein Stück ab. „Ich frage mich, ob es daran liegt, dass Sie Überraschungen gewohnt sind oder nur einfach nicht genügend Vorstellungskraft haben. Worth jedenfalls sagt, dass ich der Nagel zu seinem Sarg bin.“

„Worth? Ist das Ihr Bett… ?“ Gerade noch rechtzeitig fiel Thomas ein, dass der Junge neben ihm saß und dem Schlagabtausch mit offenem Mund lauschte. „Ihr … Freund?“

„Ich weiß nicht, ob ich Worth unbedingt als Freund bezeichnen würde.“

Cheyenne Lassiter schien es wirklich darauf anzulegen, ihn auf die Palme zu bringen. Jetzt sprach sie über seinen Kopf hinweg mit seinem Neffen und erzählte ihm irgendetwas von einer Anzeige, die sie am Morgen gelesen hatte. Wieso sollte sich der Junge dafür interessieren, was sie las?

Aber plötzlich fiel Thomas ein, dass Cheyenne Lassiter eine Zeitung in der Hand gehabt hatte, als sie in die Suite gestürmt war. „Geben Sie mir sofort die Zeitung“, befahl er ungehalten.

Doch der verächtliche Blick, mit dem sie ihn daraufhin bedachte, veranlasste ihn, sich etwas zurückzunehmen. „Bitte“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen, und sie händigte sie ihm aus.

Thomas überflog die aufgeschlagene Seite, auf der eine Anzeige mit roter Tinte eingekreist war.

Davy stand auf, ging zu Thomas und sah ihm über die Schulter. „Es steht tatsächlich da“, flüsterte er mit ehrfürchtiger Stimme.

Thomas las den Text. Einmal, zweimal. Dann blickte er hoch, schüttelte den Kopf und sagte drohend: „Ich hoffe, du hast dafür eine gute Erklärung, junger Mann.“

Erschrocken wich Davy zurück. „Sandy hat das gesagt.“

Thomas überlegte kurz, dann fiel es ihm wieder ein. Sandy war die ältere Witwe, die ihm eigentlich ganz vernünftig vorgekommen war. „Weiter.“ Seine Stimme war so schneidend, dass sein Neffe erschrocken zusammenzuckte und sich nicht traute, Thomas anzublicken.

Cheyenne Lassiter kam ihm zu Hilfe. „Was hat Sandy gesagt?“

„Wir haben diese Sendung im Fernsehen gesehen, und sie meinte, es wäre eine gute Idee, für Onkel Thomas eine Frau zu finden. Ich könnte dann für immer bei ihm wohnen bleiben. Ich habe Sandy gefragt, wie ich das machen solle, und sie hat nur gelacht und geantwortet, ich würde schon einen Weg finden. Ich habe mich dann an Tiffany gewandt, und sie hat mich auf die Idee mit der Anzeige gebracht. Das Geld habe ich von meinem Sparkonto, und Paula hat mich zur Zeitung mitgenommen.“

Thomas traute seinen Ohren kaum. Sein Neffe konnte tatsächlich mehr, als einen Satz auf einmal sprechen! Bis jetzt hatte er nicht mehr als ja und nein aus ihm herausbekommen.

„Er ist nicht dein Vater?“, fragte Cheyenne Lassiter überrascht.

„Nein.“ Davy senkte den Kopf und erwiderte leise: „Er ist mein Onkel.“

„Warum haben Sie mir nicht gleich gesagt, dass Sie nicht der Vater sind?“

Thomas war immer noch damit beschäftigt, das zu verarbeiten, was Davy gerade gestanden hatte, und so überhörte er Cheyennes Frage. Wer, zum Teufel, war Tiffany? Eine der vielen Babysitterinnen, die er angeheuert hatte, damit sie auf seinen Neffen aufpassten? Aber welche? Und Paula? Ach ja, das war die nette, allerdings nicht besonders helle Schwester einer der Frauen, die an der Rezeption arbeiteten.

„Ich kann es nicht glauben, dass die Verlagsleute die Anzeige einfach veröffentlicht haben, ohne mit mir Rücksprache zu nehmen.“

„Ich habe gesagt, dass es eine Überraschung sein soll.“ Davy setzte sich wieder hin und begann, mit der Gabel in den Haferflocken herumzustochern. „Zum Geburtstag“, fügte er so leise hinzu, dass Thomas ihn kaum verstand.

„Ich habe im April Geburtstag.“

„Ich im August.“

Thomas verspürte ein flaues Gefühl im Magen. „Wann im August?“

Cheyenne Lassiter funkelte ihn empört an. „Sie wissen nicht, wann Ihr Neffe Geburtstag hat?“ Davy warf seinem Onkel einen ängstlichen Blick zu. „Am einundzwanzigsten. Ich bin sieben geworden.“

Vor drei Tagen, dachte Thomas erschrocken. Das ist wieder typisch Mutter! Der Geburtstag ihres einzigen Enkels ist ihr egal, und sie hält es auch nicht für nötig, mir etwas davon zu sagen. Aber er ließ sich nicht anmerken, wie unangenehm ihm das war. „Hör auf, in deinem Essen herumzustochern, Junge, und iss endlich auf!“

Dann wandte er sich Cheyenne zu. „Und was Sie angeht, Miss Lassiter, so lassen Sie sich gesagt sein, dass ich, auch wenn in dieser lächerlichen Anzeige das Gegenteil behauptet wird, keine Frau suche. Und nebenbei bemerkt, jeder halbwegs intelligente Mensch hätte sofort erkannt, dass diese Anzeige von einem Kind stammt.“ Leider konnte er Cheyenne Lassiter nicht persönlich an die Luft setzen, jedenfalls nicht im Beisein seines Neffen. „Ich hoffe, dass Sie verschwunden sind, wenn ich mich angezogen habe.“

„Sie haben Ihr Frühstück nicht einmal angerührt.“

„Es wird Sie sicher freuen, wenn ich Ihnen gestehe, dass Sie mir den Appetit gründlich verdorben haben.“ Thomas stand auf und ging zum Schlafzimmer.

„Dann macht es Ihnen sicher nichts aus, wenn ich noch den letzten Muffin esse. Nicht einmal die Muffins meiner Mutter sind so gut wie die hier im Hotel. Und übrigens, Thomas …“

Überrascht, weil sie ihn mit seinem Vornamen ansprach, drehte er sich um und wünschte gleich darauf, er hätte es nicht getan.

Denn Cheyenne ließ aufreizend langsam den Blick über seinen Körper gleiten, bis sie Thomas schließlich direkt ansah. Ein Muskel in seinem Gesicht zuckte und bewies ihr, dass er vor Wut kochte, sich aber bemühte, es sich nicht anmerken zu lassen. Sie lächelte zufrieden. „Eins möchte ich klarstellen: Ich suche keinen Mann. Aber selbst wenn es so wäre, wären Sie ganz unten auf meiner Liste. Knubbelknie sind nun einmal nicht mein Fall.“

Thomas knallte die Tür hinter sich zu, aber er hörte Cheyenne trotzdem noch laut lachen. Am liebsten hätte er seinen Morgenmantel in tausend Stücke zerrissen, aber es gelang ihm, sich zu beherrschen. Er ließ den Mantel auf den Boden fallen und ging zum Spiegel.

Das Gesicht, das ihm entgegenblickte, schien ihn zu verhöhnen. Seine Mutter hatte bestimmt absichtlich den Geburtstag ihres Enkels verschwiegen. Natürlich würde sie es leugnen und ihm die ganze Schuld geben. Verdammt, verdammt! Er würde nicht noch einmal den Fehler begehen, sich etwas zu Herzen zu nehmen!

Er hörte, wie die beiden sich im Nebenzimmer leise unterhielten. Sollte Cheyenne Lassiter ihn doch verachten! Es war ihm egal. Er würde sie sowieso nie wiedersehen.

Cheyenne stellte sich ans Fenster und blickte hinaus. Die Sesselbahn, die ohne Unterbrechung den Aspen Mountain herauf- und herunterfuhr, erinnerte sie an Thomas Steele. Er war wie sie – eine Maschine ohne jedes Gefühl.

Es war ihm deutlich anzumerken gewesen, dass er mit seinem Neffen nichts anzufangen wusste und ihm auch kein bisschen Zuneigung entgegenbrachte. Aber trotzdem – und da war Cheyenne sich sicher – hatte er sich die Sache mit dem vergessenen Geburtstag zu Herzen genommen. Oder ließ sie sich einfach nur von seinem attraktiven Äußeren täuschen?

Auch ihr Vater hatte sein gutes Aussehen und seinen überwältigenden Charme benutzt, um ihre Mutter einzuwickeln. Und Mary Lassiter hatte dafür teuer bezahlt. Sie musste vier Kinder allein großziehen, während Beau Lassiter von Rodeo zu Rodeo fuhr und seine Pflichten als Vater und Ehemann völlig vernachlässigte.

Aber trotzdem musste Cheyenne nicht ohne Liebe aufwachsen. Ihre Mutter und ihr Großvater kümmerten sich aufopferungsvoll um sie und ersetzten erfolgreich den fehlenden Vater. Und Cheyennes Verhältnis zu Worth und ihren beiden Schwestern war hervorragend. Jeder war für den anderen da.

Bei Davy lag der Fall anders. Der arme Junge hatte keinen auf der Welt, der sich liebevoll um ihn sorgte. Seine Eltern waren tot. Cheyenne hatte ihn während des Frühstücks ausgefragt, und seine Antworten hatten sie überzeugt, dass keine körperliche Gewalt im Spiel war. Wenigstens das war dem Jungen erspart geblieben. Jetzt, da sie alles über ihn erfahren hatte, hätte sie eigentlich gehen können, aber sie brachte es nicht übers Herz. Er war so allein. Sie konnte ihn nicht einfach im Stich lassen.

„Was muss ich eigentlich noch tun, damit ich Sie loswerde, Miss Lassiter? Die Polizei rufen?“

Cheyenne war so tief in Gedanken versunken, dass sie Thomas Steele nicht wieder ins Zimmer kommen gehört hatte. Betont langsam drehte sie sich zu ihm um. Verdammt, er sieht wirklich gut aus, dachte sie anerkennend. Wenn da nicht diese Verachtung in den grauen Augen und der arrogante Gesichtsausdruck gewesen wären, hätte sie fast schwach werden können. Aber überhebliche Männer interessierten sie nun einmal überhaupt nicht.

Thomas Steele zog spöttisch die Augenbraue hoch – und Cheyenne wurde plötzlich bewusst, dass er das häufig machte. Wollte er sie damit einschüchtern? Dann überprüfte er noch einmal den Sitz der Krawatte.

Aber eine Cheyenne Lassiter war nicht so leicht abzuschrecken. Sie hatte sich vorgenommen, ihm eine Standpauke zu halten, und sie würde sich durch nichts davon abbringen lassen.

„Ich gehe erst, wenn ich Ihnen meine Meinung gesagt habe.“

„Die interessiert mich nicht.“

„Es geht um Davy.“

„Mein Neffe geht nur mich etwas an.“

„Falsch. Er ist noch klein und kann sich nicht wehren. Und Sie vernachlässigen Ihre Pflichten als Onkel sträflich. Seine Eltern sind tot – ja, er hat es mir erzählt. Ich habe neben ihm gesessen, während er sein Frühstück gegessen hat, und mich mit ihm unterhalten. Was eigentlich Ihre Aufgabe gewesen wäre. Er hat mir auch verraten, dass er so lange bei Ihnen wohnt, bis seine Großeltern aus dem Urlaub zurück sind, und er so gern ins Ferienlager gefahren wäre. Sie haben es ihm jedoch verboten.“

„Mit sechs ist er dafür noch zu klein.“

„Er ist sieben. Vor drei Tagen hatte er Geburtstag – oder haben Sie das etwa auch schon wieder vergessen?“

„In unserer Familie wurde nie sehr viel Wert auf Geburtstage gelegt.“

„Was für eine Familie ist das eigentlich, in der ein Kind Angst haben muss, dass es in seinem Hotelzimmer eingeschlossen wird, wenn es unartig ist?“

Thomas’ Gesicht verfinsterte sich. „Der Junge hat zu viel Fantasie.“

„Tatsächlich? Ich glaube eher, er fürchtet sich vor Ihnen.“

„Soweit ich weiß, hat er vor allem Angst, sogar vor seinem eigenen Schatten.“

„Soweit Sie wissen! Weit kann es damit ja nicht her sein. Er ist ganz allein an einem fremden Ort unter lauter fremden Leuten. Und sein Onkel tut nichts, um ihm das Leben zu erleichtern. Es kann doch wohl nicht so schwer sein, sich zu ihm zu setzen, wenn er isst, ihm etwas vorzulesen und ihn dann und wann auch einmal zu umarmen!“

„Es wird für ihn Zeit zu lernen, dass das Leben kein Zuckerschlecken ist.“

„Davy ist doch erst sieben, und er hat keine Mutter und keinen Vater mehr.“ Für Cheyenne war unvorstellbar, dass jemand so hartherzig sein konnte. „Er vermisst beide schrecklich.“

„Als seine Eltern verunglückten, war er gerade acht Monate alt. Er kann sich gar nicht an sie erinnern.“

Für einen Augenblick sah Cheyenne etwas in seinen Augen aufflackern, und sie verkniff sich die harsche Antwort, die ihr auf der Zunge lag. War es Schmerz gewesen? Hatte Thomas Steele seine Trauer noch nicht überwunden? Sie beschloss, vorsichtiger vorzugehen. „Davy hat mir erzählt, dass sein Vater Ihr Bruder war. Es tut mir leid.“

„Ich brauche Ihr Mitleid nicht.“ Hätten Blicke töten können, wäre Cheyenne auf der Stelle tot umgefallen.

„Auch gut. Wenn es Ihnen also nichts ausmacht, über Ihren Bruder zu sprechen …“

„Es macht mir nichts aus.“

„Warum erzählen Sie Davy dann nichts von seinen Eltern? Er weiß fast gar nichts über sie. Er sagt, dass Ihre Mutter sich weigert, mit ihm darüber zu sprechen.“

Zu Cheyennes großer Überraschung fing Thomas laut an zu lachen – es war ein bitteres Lachen. Aber als er nichts sagte, nahm sie den Faden wieder auf. „Davy hat noch nicht einmal ein Foto von seinen Eltern.“

„Sie haben sich ja anscheinend ausführlich mit ihm unterhalten.“

Sein Spott prallte an ihr ab. „Davy ist einsam. Er hat keinen, der mit ihm spielt. Und seine Babysitter setzen ihn nur vor den Fernseher oder schicken ihn ins Bett. Glauben Sie wirklich, Davys Eltern hätten gewollt, dass ihr Sohn so aufwächst?“

„Keine Ahnung. Ich hatte keinen Kontakt mehr mit meinem Bruder seit seiner Hochzeit.“

„Mochten Sie Ihre Schwägerin nicht?“

„Ich habe sie nie kennengelernt. David wollte es nicht. Er war dazu ausersehen, die Steele-Hotelkette zu führen und nicht dazu, eins der Zimmermädchen zu heiraten. Er hat das College frühzeitig verlassen und den Kontakt zur Familie abgebrochen.“

„Aber er hat sie geliebt und war glücklich …“

„Liebe… Glück …“ So wie er diese Worte ausspricht, dachte Cheyenne, klingt es wie ein Fluch. „Die Steeles heiraten nicht aus Liebe. Wenn sie heiraten, dann geht es nur um Macht, Leidenschaft, Sex, Geld und hundert andere Gründe, aber nicht um Liebe und Glück.“ Thomas drehte sich um, ging zum Faxgerät, das auf einem Schreibtisch in der Ecke stand, nahm ein Schreiben aus der Ablage und begann zu lesen.

Ein deutliches Zeichen für sie, endlich zu verschwinden. Aber da hatte er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Entschlossen ging Cheyenne zum schwarzen Ledersofa und setzte sich. „Sie sind ebenfalls ein Steele. Gilt das, was Sie da gerade gesagt haben, auch für Sie?“

„Höre ich da leise Enttäuschung?“ Thomas blickte hoch und sah sie so spöttisch an, dass sie ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst hätte. „Sie haben doch wohl nicht geglaubt, dass ich einen Blick auf Ihre krausen, gefärbten Haare und blauen Augen werfe und mich rettungslos in Sie verliebe? Wenn ja, dann machen Sie sich keine Hoffnungen. Die Steeles verlieben sich nicht.“

„Und Sie empfinden nicht einmal Liebe für einen kleinen, einsamen Jungen?“

„Der bekommt genug zu essen, Kleidung und wird auf eine Privatschule gehen. Er wird es überleben. Genau wie ich.“

Cheyenne beschloss, den letzten Satz zu überhören. Es ging hier nicht um Thomas Steele, sondern um seinen Neffen. „Davy braucht Liebe und Fürsorge.“

Thomas seufzte genervt. „Miss Lassiter, hören Sie doch endlich auf, mir Vorträge zu halten. Ich gebe ja zu, dass es ein Fehler war, ihn hierher mitzubringen. Aber ich kann es nicht ändern, und jetzt muss er eben bei mir bleiben, bis seine Großeltern zurückkommen.“

„Sie mögen zwar herzlos klingen, aber ich weiß, dass Sie es nicht sind. Immerhin haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, dass Davy zu klein ist, um eine Zeit lang in einem Ferienlager zu verbringen.“

„Interpretieren Sie da bloß nicht zu viel hinein. Wollen Sie die ungeschminkte Wahrheit hören, Miss Lassiter? Wenn mein Bruder nicht auf ein hübsches Gesicht scharf gewesen wäre, würden wir jetzt nicht hier sitzen und überlegen, was wir mit dem Jungen anfangen sollen, den er uns aufgebürdet hat. Die Steele-Familie kümmert sich um Hotels, nicht um kleine Kinder. Es wäre für den Jungen besser gewesen, wenn er zusammen mit seinen Eltern bei dem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen wäre.“

Das Geräusch einer ins Schloss fallenden Tür ließ Cheyenne erschrocken zusammenzucken, und sie unterdrückte nur mühsam einen entsetzten Aufschrei. Thomas Steele blickte starr auf die Tür, die zum Zimmer seines Neffen führte. Nur ein leichtes Zucken seiner Mundwinkel bewies, dass seine Ungerührtheit nur gespielt war.

Cheyenne wartete einen Augenblick, und als sie merkte, dass Thomas nicht vorhatte, zu Davy zu gehen, beschloss sie, selbst nach dem Jungen zu sehen. Sie klopfte an und betrat, ohne auf eine Antwort zu warten, das Zimmer.

Davy saß zusammengekrümmt auf der äußersten Bettkante, und Tränen liefen ihm über die Wangen. Damit erübrigte sich die Frage, wie viel er von der Unterhaltung mitbekommen hatte. Bedrückt setzte Cheyenne sich neben ihn und legte den Arm um ihn.

Davy versuchte, sie abzuwehren, aber sie umarmte ihn nur noch fester. Mit der anderen Hand holte sie ein Taschentuch heraus und hielt es ihm hin. „Er hat es nicht so gemeint.“ Was eine glatte Lüge war, aber Cheyenne war alles recht, wenn sie Davy nur trösten konnte.

„Ich wollte nicht ins Ferienlager. Dort gibt es Wölfe und Bären. Und außerdem darf ich Schnüffel nicht mitnehmen.“

„Schnüffel?“

Davy ließ den Kopf hängen. „Grandma hat meinen Bären weggeworfen, weil er überall Löcher hatte, komisch roch und ich zu alt war, um ihn mit ins Bett zu nehmen. Aber ich habe ein kleines Stück von ihm aufbewahrt. Es ist ein Geheimnis. Nur Pearl weiß davon, aber sie kann dichthalten.“

„Wer ist Pearl? Eine Freundin von dir?“

„Sie arbeitet für Grandma. Im Hotel.“

„Du wohnst im Hotel?“

Davy nickte. Er nahm das Taschentuch und putzte sich die Nase. „Ich glaube, Onkel Thomas weiß auch Bescheid. Deswegen mag er mich nicht.“

Der Kummer des kleinen Jungen brach Cheyenne fast das Herz. „Weißt du was, Davy“, sagte sie und versuchte, fröhlich zu klingen, „ich glaube, dein Onkel Thomas hat als Kind auch einen Schnüffel gehabt und irgendjemand hat ihm ihn weggenommen. Deshalb ist er heute so ein Griesgram und äußert manchmal Sachen, die er nicht meint.“ Tröstend strich sie ihm übers Haar.

„Aber Grandma wünscht sich auch, dass ich weg wäre. Sie will mich bald auf eine Schule schicken, und dann feiert sie eine große Party. Das hat sie jedenfalls gesagt.“

„Das hat sie bestimmt nicht ernst gemeint.“ Cheyenne war so wütend, dass sie sich kaum beherrschen konnte. Was waren die Steeles eigentlich? Monster?

„Aber Onkel Thomas mag mich nicht. Er hasst mich.“

„Nein, Davy, das tut er nicht.“ Verzweifelt suchte Cheyenne nach den richtigen Worten, um den Jungen zu beruhigen. Wie sollte sie ihm bloß etwas erklären, das sie selbst nicht verstand?

„Du bist doch schon sicher einmal hingefallen und hast dir das Knie aufgeschlagen? Dann weißt du, wie weh so etwas tut. Und genau das fühlt dein Onkel. Es ist kein äußerer Schmerz, sondern einer in seinem Innern. Er vermisst seinen Bruder und trauert um ihn.“

„Ich habe vergessen, meinen Goldfisch zu füttern, und er ist gestorben. Grandma hat gesagt, dass ich sehr böse gewesen sei. Sie hat Goldie durch die Toilette gespült.“ Davy warf Cheyenne einen traurigen Blick zu, und sie sah, wie tief sein Kummer war. „Ich war wohl schon als Baby böse. Deshalb sind meine Eltern gestorben. Deswegen hasst Onkel Thomas mich.“

Davy hatte seinen Satz kaum beendet, als ein Geräusch Cheyenne herumfahren ließ. Thomas Steele stand an der Tür.

2. KAPITEL

„Vielleicht sollten Sie zur Abwechslung auch einmal etwas sagen!“, fuhr Cheyenne Thomas, der wie ein Ölgötze dastand und nichts tat, um die Situation zu entschärfen, empört an.

Er bedachte sie mit einem finsteren Blick und wandte sich dann seinem Neffen zu. „Deine Eltern sind gestorben, weil ihr Flugzeug bei schlechtem Wetter abgestürzt ist. Du hast damit überhaupt nichts zu tun, und ich hasse dich auch nicht. Du machst viel zu viel Wind um nichts.“

So viel zum Thema „Mitgefühl“! Cheyenne drückte Davy noch einmal liebevoll an sich und bat ihn dann, ins Badezimmer zu gehen und sich das tränennasse Gesicht zu waschen.

Als Davy außer Hörweite war, sagte Cheyenne aufgebracht: „Das kann ja wohl nicht wahr sein. Sie machen ihm noch Vorwürfe, anstelle ihn in den Arm zu nehmen und zu trösten. Was sind Sie bloß für ein Mensch!“

Ungerührt ließ er ihre anklagenden Worte über sich ergehen. „Ich habe mit Frank McCall gesprochen. Sie sind tatsächlich die, für die Sie sich ausgeben.“

„Ach ja?“

„Sie bieten also Touristen, die abseits vom Trubel ihren Urlaub verbringen wollen, Touren an. McCall hat Sie über den grünen Klee gelobt. Unsere Gäste waren bis jetzt sehr zufrieden mit Ihnen.“

„Ihnen wäre es wohl lieber, wenn ich eine gesuchte Verbrecherin gewesen wäre?“, fragte Cheyenne spöttisch.

„Dann haben Sie also nur auf die Anzeige reagiert, um Ihr Geschäft anzukurbeln?“

„Nein.“

„Verschwenden Sie nicht meine Zeit, ich glaube Ihnen sowieso nicht. Ich bewundere Geschäftstüchtigkeit. Sie haben die Gelegenheit erkannt und beim Schopf ergriffen. Und es hat geklappt. Ich engagiere Sie.“

„Wofür?“

„Die Babysitterinnen, die ich bisher für den Jungen ausgesucht habe, waren anscheinend nicht das Gelbe vom Ei. Sie können sich um den Jungen kümmern, solange ich hier bin.“

„Ich leite geführte Touren und keinen Kindergarten.“

„McCall hat gesagt, dass Sie auch Kinder nehmen.“

„Nur Familien.“

„Schleppen Sie den Jungen einfach mit.“

Cheyenne fluchte unterdrückt. Was dachte sich dieser Mann eigentlich? „Wir organisieren geführte Touren für Familien. Jede Familie hat ihre eigenen Vorstellungen von einem Urlaub. Dafür bezahlen sie mich. Ich kann einen Siebenjährigen nicht so einfach auf eine speziell auf eine bestimmte Familie zugeschnittene Tour – wie haben Sie so schön gesagt – ‚mitschleppen‘. Da tue ich weder den Kunden noch Davy einen Gefallen. Aspen bietet vernünftigere Möglichkeiten, was Kinderbetreuung angeht. Frank McCall kann Ihnen da sicher weiterhelfen.“

„Sie sind zu mir gekommen, Miss Lassiter, nicht ich zu Ihnen. Ich frage mich, warum. Suchen Sie einen Mann, oder wollten Sie Ihr Geschäft ankurbeln?“

Cheyenne ließ sich nicht aus der Reserve locken. Kühl lächelte sie ihn an. „Das liegt doch auf der Hand. In der Anzeige war von Schlägen die Rede. Ich hielt es für meine Pflicht, nach dem Rechten zu sehen.“

Thomas Steele atmete tief durch. Für einen kurzen Augenblick war es ihr gelungen, ihn aus der Fassung zu bringen. „Hat er wirklich gesagt, ich hätte ihn geschlagen?“ Aber gleich darauf war er wieder genauso unnahbar wie zuvor. „Ich schlage grundsätzlich nicht. Wenn er Ihnen etwas Derartiges erzählt hat, hat er gelogen.“

„Er hat nichts dergleichen gesagt. Mir gab nur der Wortlaut der Anzeige zu denken.“

„Sie können mir glauben, ich bin selbst nicht glücklich damit. Aber ich sehe es so, wie es ist: Sie wurde geschrieben von einem Jungen mit viel zu viel Fantasie und Freizeit.“

Davy hatte zwar keine äußeren Verletzungen, aber es gab andere Wege, einem Kind unsagbaren Schaden zuzufügen. „So beurteilen Sie das also? Ich sehe das ganz anders. Es geht hier um einen kleinen Jungen, der laut nach Liebe und Verständnis ruft.“

„Sie sehen wirklich Gespenster.“

Cheyenne blickte ihn an und schüttelte den Kopf. War dieser Mann denn durch nichts zu überzeugen? „Warum sind Sie bloß so verdammt kalt und herzlos?“

„Wieso ist es plötzlich herzlos, wenn ich versuche, eine Betreuung für den Jungen zu finden?“

„Sein Name ist David.“

Starr blickte er an ihr vorbei. „Der Name seines Vaters war David. Er heißt Davy.“

Cheyenne sah, wie sich Thomas’ Gesichtszüge bei diesen Worten verhärteten, und sie konnte nur den Kopf schütteln.

Sie hatte noch nie einen Menschen getroffen, der seine Gefühle mit so viel Erfolg unterdrückte. „Warum nennen Sie ihn dann nicht auch so? Sie sagen immer nur ‚er‘ oder ‚der Junge‘.“

Wieder zog er spöttisch die Augenbraue hoch, und Cheyenne hätte ihn am liebsten geschüttelt. „Es steht Ihnen frei, ihn Davy zu nennen. Oder meinetwegen auch anders. Es ist mir egal. Ich suche nur einen zuverlässigen Babysitter. Nennen Sie Ihren Preis, und ich werde ihn bezahlen. Ich habe keine Lust zum Feilschen.“

Eigentlich sollte ich jetzt aufgeben, dachte sie. Sie konnte ihn nicht umstimmen. Irgendetwas hatte ihn zutiefst verletzt. Sie wusste nur nicht was. Aber eins wusste sie mit Bestimmtheit: Wenn sie jetzt ging, würde sie immer ein schlechtes Gewissen haben. Davy brauchte ihre Hilfe. Und wenn man es genau nahm, sein Onkel auch. „Ich will gar nicht feilschen. Ich …“

„Wollen Sie den Jungen – Davy – leiden lassen, nur weil Sie mich nicht mögen?“

Seine ungerechtfertigte Anschuldigung entflammte Cheyennes Ärger neu. „Die Welt dreht sich nicht nur um Sie. Es stimmt, ich finde Sie einfach unmöglich, aber das hat mit dem Ganzen überhaupt nichts zu tun.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie mit Ihrer kleinen Firma besonders erfolgreich sind“, sagte Thomas und lächelte sie an. „So, wie Sie mit den Leuten umspringen – da läuft doch jeder davon!“

Cheyenne biss sich auf die Lippe. Es war einfach nicht fair, dass ein Mann mit einem Stein anstatt einem Herzen in der Brust ein so gewinnendes Lächeln hatte. „Sie sind kein Kunde“, erwiderte sie schließlich mühsam beherrscht.

„Ich möchte aber einer werden. Kümmern Sie sich um Davy!“

„Ich darf wirklich mit ihr gehen?“ Davy kam aus dem Bad gestürmt und strahlte übers ganze Gesicht.

„Miss Lassiter will dich nicht.“

„Oh.“ Davy ließ die Schultern hängen und ging traurig in sein Zimmer zurück.

Ungläubig blickte Cheyenne Thomas Steele an. „Macht es Ihnen überhaupt nichts aus, die Gefühle eines kleinen Kindes zu verletzen? Ist es Ihnen wirklich nur wichtig, Ihren Willen durchzusetzen?“

„Sie sind doch diejenige, die sich nicht um Davy kümmern will.“

Cheyenne musste eine Entscheidung treffen. Und sie wusste auch, dass sie keine Wahl hatte. Sie konnte die beiden nicht sich selbst überlassen. Da war dieser kleine Junge, der verzweifelt die Arme ausstreckte und sich nach Liebe sehnte, und auf der anderen Seite gab es diesen einsamen Mann, der einfach nicht in der Lage war, sich zu seinen Gefühlen zu bekennen. „Vielleicht gibt es doch eine Möglichkeit …“

Thomas Steele zückte seine Brieftasche. „Ich wusste doch, dass Sie sich etwas einfallen lassen würden.“

Was war bloß in sie gefahren? Warum ließ sie sich darauf ein? „Wie lange bleiben Sie in Aspen?“

„Noch zwei Wochen.“

Zwei Wochen. Dieser Mann hatte mehr als dreißig Jahre lang Zeit gehabt, sich einen Eisenpanzer zuzulegen, und sie wollte es schaffen, innerhalb von nur zwei Wochen zu ihm durchzudringen?

„Wie ich schon sagte, wir führen nur speziell auf den Kunden zugeschnittene Führungen durch. Ich kann Davy unmöglich mit Wildfremden in eine Gruppe stecken. Aber meine Schwester Allie hat im Augenblick Zeit, da eine Familie wegen eines Krankheitsfalls abgesagt hat. Ich könnte sie fragen, ob …“

„Nein.“ Thomas schüttelte den Kopf. „Ich möchte nicht, dass Davy irgendwohin abgeschoben wird. Ich will Sie.“

Wenigstens hatte er „Davy“ gesagt. Vielleicht gab es ja doch noch einen Funken Hoffnung für Thomas Steele.

„Also gut. Die Familien, die für die nächsten Wochen gebucht haben, haben nicht ausdrücklich nach mir verlangt. Meine Schwester könnte für mich einspringen.“

„Dann ist das ja geregelt. Sie kümmern sich also um Davy?“

„Ja. Aber nur unter einer Bedingung: Sie kommen mit.“

Thomas steckte die Brieftasche wieder ein. „Dann habe ich mich also doch nicht geirrt. Sie sind hinter mir her.“

Cheyenne seufzte. Da lag noch ein schönes Stück Arbeit vor ihr! Sie lächelte ihn spöttisch an. „So etwas Dummes! Sie kann man ja wohl wirklich nicht täuschen, oder? Mein ganzes Leben lang war es mein Traum, die Geliebte eines reichen, egoistischen und arroganten Mannes zu sein, der wie eine Maschine reagiert und keine Gefühle kennt – weder Freundlichkeit, Mitgefühl noch Wärme. Aber es ist mir nie gelungen, einen zu angeln. Und ich weiß auch, warum: es sind meine krausen, gefärbten Haare, die jedes männliche Wesen abschrecken.“

Es tut gut, dass ihm einmal richtig die Meinung gesagt wird, dachte Cheyenne befriedigt und freute sich über sein überraschtes Gesicht. „Zieh dich an, Davy“, rief sie laut. „Wir beide werden jetzt etwas Tolles unternehmen. Gehst du gern zum Fischen?“ Dann wandte sie sich wieder Thomas zu und erklärte kühl: „Ich muss Allie anrufen. Sie wird begeistert sein, dass ich all ihre Pläne über den Haufen werfe. Aber das ist Ihnen ja egal, solange Sie Ihren Willen bekommen.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, griff sie zum Telefon und ließ sich mit ihrer Schwester verbinden.

Ich habe mich durchgesetzt, dachte Thomas. Sie kümmert sich um das Kind. Aber warum bloß habe ich nachgegeben und bin mitgegangen?

Thomas Steele, der knallharte Geschäftsmann, der in dem Ruf stand, bei Verhandlungen unerbittlich, aber fair zu sein, der stundenlang Auge in Auge mit Kontrahenten am Verhandlungstisch sitzen konnte, ohne als Erster den Blick zu senken, hatte es tatsächlich zugelassen, dass eine Frau einen Sieg über ihn errang.

Eben noch hatte er sich in seinem Hotelzimmer befunden und sich beglückwünscht, dass er den Jungen endlich losgeworden war, und im nächsten Augenblick stand er schon mit geliehenen, hohen Gummistiefeln knietief im eiskalten Wasser des Roaring Fork River. Sein Hiersein hatte nichts mit dem Jungen oder Miss Lassiters blauen Augen zu tun. Als er sie vom Fischen hatte sprechen hören, da konnte er nicht anders, er musste einfach selbst die Angel auswerfen. Er hatte seine Angelrute mitgebracht, da er gehofft hatte, dass sich die Gelegenheit zum Fliegenfischen ergeben würde – und sie hatte sich schneller ergeben als gedacht.

Er blickte zum Ufer, wo Cheyenne Lassiter mit dem Jungen saß. Sogar auf diese Entfernung hin war ihr anzusehen, dass sie immer noch vor Wut kochte. Sie war wirklich leicht auf die Palme zu bringen. Es gab tausend Dinge, die sie aufregten. Zum Beispiel die Tatsache, dass er den Jungen nicht „Davy“ nannte. Und dass er ihr Haar als gefärbt bezeichnet hatte. Beim genaueren Hinsehen musste er allerdings zugeben, dass die Haarfarbe echt war.

Was für eine dominante Frau! Wenn sie bloß nicht so wundervolle lange Beine gehabt hätte. Aber Frauen mit starkem Willen und einer gewissen Aggressivität lagen ihm nun einmal überhaupt nicht. Sie wollten nur beweisen, dass sie stärker waren als jeder Mann. Verstohlen warf er ihr einen Blick zu. Es gehörte nicht viel Fantasie dazu, sich Cheyenne Lassiter im Bett vorzustellen. Sie würde eine Unmenge Befehle und Anordnungen erteilen, und ein Mann konnte froh sein, wenn er überhaupt einmal zu Wort kommen würde.

Die Fliege schwamm einsam auf dem Wasser. In diesem Teil des Flusses war nur Fliegenfischen erlaubt. Und selbst wenn man einmal einen Fisch am Haken hatte, musste man ihn wieder zurück in den Fluss werfen. Aber bis jetzt hatte Thomas sowieso nichts gefangen. Aber es war einfach erholsam, einmal nicht zu arbeiten und seinem Hobby nachzugehen. Eigentlich sollte er so etwas häufiger machen. Weg vom Büro. Weg von den Hotels. Weg von der Familie.

Lautes Lachen riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte zum Ufer. Davy hatte viel zu große Gummistiefel an und watete durch das seichte Wasser. Die Schuhe hatte er anscheinend von Cheyenne Lassiter. Der Junge blickte sich suchend um und entdeckte einen großen Stein, der in der Mitte des Gewässers lag. Sieh an, dachte Thomas, Miss Lassiter glaubt ja, sie ist allwissend. Aber von der Tatsache, dass Steine eine enorme Faszination auf kleine Jungen ausübten, hatte sie anscheinend noch nichts gehört. Verärgert watete Thomas auf seinen Neffen zu.

Er war nur noch wenige Meter von ihm entfernt, als das geschah, was Thomas schon befürchtet hatte. Der große, nasse Stein war einfach unwiderstehlich. Davy kletterte hinauf, glitt auf der rutschigen Oberfläche aus und fiel ins Wasser. Erschrocken ließ Thomas die Angel fallen und eilte auf das Kind zu. Er hatte seinen Neffen fast erreicht, als er plötzlich das Gleichgewicht verlor. Er ruderte wild mit den Armen, konnte sich aber nicht mehr halten. Es gelang ihm nur noch, so zu fallen, dass er sich den Kopf nicht an einem der vielen Felsen stieß. Das eiskalte Wasser schlug über ihm zusammen, doch er kam sofort wieder hoch und entdeckte Davy, der ihm schon entgegenkam.

Sein Neffe grinste übers ganze Gesicht. „Ich bin auch reingefallen, aber ich bin nicht so nass wie du!“ Doch ein Blick in Thomas’ finsteres Gesicht ließ Davy augenblicklich ernst werden. Erschrocken wich er zurück. „Bist du jetzt auf mich böse, weil du reingefallen bist?“

Warum bloß jagte er dem Jungen unentwegt Angst ein? „Nein.“ Es war nicht Davys Schuld. Thomas wusste genau, wer diesen Schlamassel zu verantworten hatte. Er setzte sich auf und stellte erst jetzt fest, dass das Wasser an der Stelle, an der Davy hineingefallen war, gerade einmal zehn Zentimeter tief war.

Thomas schloss die Augen und zählte langsam bis zehn. Er hätte natürlich auch ausrechnen können, wie viel Dollar jetzt gerade in Form seiner handgefertigten Angelrute den Fluss herunterschwammen. Aber irgendwie glaubte er nicht, dass es das richtige Mittel sei, seinen Ärger zu besänftigen.

„Alles in Ordnung? Haben Sie sich den Kopf angeschlagen?“

Er öffnete die Augen. „Nein“, sagte er zu zwei wirklich aufregenden, nicht enden wollenden Beinen, die sich direkt vor seiner Nase befanden. Miss Lassiter war selber schuld, wenn die Schuhe jetzt ein für alle Mal ruiniert waren, denn die hatte sie offenbar nicht ausgezogen.

„Haben Sie sich verletzt? Soll ich Ihnen aufhelfen?“

„Ich brauche Ihre Hilfe nicht.“

„Ach nein?“

„Jetzt passen Sie mal auf, Miss Lassiter …“ Aber er verstummte unvermittelt, als er sah, dass sie ihm seine Angelrute hinhielt. Wasser tropfte von den Aufschlägen ihrer Shorts. „Danke“, sagte er widerstrebend.

„Worth hätte mir nie verziehen, wenn ich solch ein teures Gerät nicht gerettet hätte.“

Was wohl bedeuten sollte, dass sie das für diesen Worth gemacht hatte und nicht, um ihm, Thomas, einen Gefallen zu tun. Mühsam stand Thomas auf. Er war patschnass. Erstaunlich, dass überhaupt noch Wasser im Fluss geblieben war! Drohend blickte er Cheyenne an. Wenn sie auch nur eine dumme Bemerkung machte, würde er sie höchstpersönlich in den Roaring Fork River werfen, und zwar an der tiefsten Stelle.

„Ich habe noch alte Jeans von Worth im Auto. Ganz sauber und trocken. Ich hole sie.“ Wenige Minuten später kam sie zurück und reichte ihm die Hose.

Er nahm sie, und als Cheyenne anscheinend nicht vorhatte, sich umzudrehen, fragte er: „Wollen Sie mir beim Umziehen zusehen?“

„Nein danke. Ich habe Ihre Knubbelknie bereits zur Genüge genossen. Komm, Davy, du kannst mir helfen, das Picknick vorzubereiten.“

Mit größter Willensanstrengung unterdrückte Cheyenne ein lautes Lachen, als Thomas sich an den Tisch setzte. Die Jeans waren zu kurz, an einem Knie aufgerissen und am anderen schon richtig abgewetzt. Sie hatte Thomas eine Decke gegeben, die er sich um die Schultern gelegt hatte. Ja, der Fluss war wirklich eiskalt. Und nass. Sie biss sich auf die Lippe, um ein Kichern zu unterdrücken, und widmete sich wieder dem Picknickkorb.

Die ganze Zeit hatte Thomas Steele geschimpft und gezetert. Er hatte ihr bittere Vorwürfe gemacht, die darin gipfelten, dass sie seiner Meinung nach Davys Leben leichtfertig aufs Spiel gesetzt hatte.

Aber Cheyenne achtete nicht auf ihn, auch wenn es ihr schwerfiel. Sollte er sich aufregen, bis er schwarz wurde. Er war ein Meister im Unterdrücken von Gefühlen. Doch eben hatte er sich verraten, denn er hatte nicht gezögert, Davy zu Hilfe zu kommen. Es gab doch noch Hoffnung für Thomas Steele.

„Ich bin so hungrig, ich könnte einen ganzen Bären essen“, sagte Davy.

„Tut mir leid, es gibt nur Sandwich mit Erdnussbutter“, erwiderte Cheyenne. „Bär war ausverkauft.“

„Sandwich mit Erdnussbutter.“ Thomas Steele verzog das Gesicht. „Ich dachte, Sie waren noch im Feinkostladen.“

„Ich hatte eben Appetit auf Erdnussbutter. Also war ich im Supermarkt.“

„Ich liebe Erdnussbutter.“ Davy strahlte übers ganze Gesicht.

„Und ich hasse Sandwiches mit diesem Aufstrich.“ Thomas schüttelte sich.

„Dann bleibt für uns eben mehr übrig“, entgegnete Cheyenne ungerührt. Sie reichte Davy eine Scheibe und nahm sich selbst eine.

„Ich habe schon verstanden“, antwortete Thomas höhnisch. „Ich kann ruhig verhungern.“

Cheyenne beachtete ihn jedoch nicht, sondern biss herzhaft ins Brot. Um nichts in der Welt hätte sie zugegeben, dass Erdnussbutter auch nicht gerade ihr Lieblingsessen war, aber sie hatte einige Erfahrung mit Kindern und wusste, was ihnen am besten schmeckte. Und Davys strahlendes Gesicht gab ihr recht. Der Junge verdrückte sein Essen in Rekordzeit und lief dann einem kleinen grauen Eichhörnchen hinterher.

Thomas zog sich die Decke fester um die Schultern, lehnte sich zurück, schloss die Augen und genoss die Sommersonne. Sein Kopf sank nach vorn. Cheyenne trank etwas Apfelsaft und betrachtete Thomas. Seine gepflegten Hände waren so ganz anders als die ihres Bruders. Worth’ Hände war stark, und man konnte sehen, dass er körperlich hart arbeiten musste.

Auch sonst hatte Thomas keine Ähnlichkeit mit ihrem Bruder. Thomas’ schwarzes Haar lag glatt an, und an den Schläfen konnte sie einen leichten Grauton ausmachen. Seine Lippen waren überraschend voll – eigentlich unüblich für einen Mann und besonders für jemanden, der behauptete, er würde nicht an die Liebe glauben. Cheyenne hätte diese Lippen gern berührt. Ob er wohl ein leidenschaftlicher Liebhaber war?

Ein Vogel flog mit einem schrillen Schrei vorbei. Thomas schreckte hoch und bemerkte, dass sie ihn beobachtete. Er lächelte anzüglich. Verdammt sollte er sein! War sie so leicht zu durchschauen?

„Haben Sie einen Freund?“

„Was geht Sie das an?“

„Sie maßen sich ja auch an, über mein Liebesleben zu richten. Es ist also nur fair, wenn wir jetzt von Ihnen sprechen. Ich wette, Sie haben keinen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich auch nur ein halbwegs normaler Mann mit Ihnen einlassen würde.“

„Mache ich Ihnen Angst?“

„Mir kann nichts mehr Angst machen.“

„Und früher? Wovor hatten Sie früher Angst?“

„Vor gar nichts. Wo ist Davy?“

„Er jagt ein Eichhörnchen. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe ihn nicht aus den Augen gelassen, als Sie geschlafen haben.“

„Ich habe nicht geschlafen.“

„Sie lügen wohl andauernd, oder?“

„Haben Sie eigentlich eine Erbschaft gemacht?“, fragte er unvermittelt.

„Wie bitte?“

„Ich versuche nur herauszufinden, wovon Sie eigentlich leben. Mit diesen so genannten Touren kann man doch kein Geld machen.“

„Warten Sie ab, bis Sie meine Rechnung sehen.“

„Sie haben doch nur Einmalkunden. Wer möchte schon gern den ganzen Tag eine Standpauke nach der nächsten hören und als Lügner beschimpft werden.“

„Sollte ich etwa Ihre Gefühle verletzt haben?“, fragte Cheyenne mit honigsüßer Stimme.

„Würde es Ihnen denn etwas ausmachen?“

„Nein.“

„Wieso nur habe ich bloß das Gefühl, dass Sie es förmlich darauf anlegen, mich zur Weißglut zu bringen?“

„Geht das bei Ihnen denn so einfach?“

„Ich verliere nie die Fassung.“

„Das passiert jedem irgendwann einmal. Werden Sie dann gewalttätig?“

„Worauf wollen Sie hinaus? Wollen Sie mich so lange provozieren, bis ich auf Sie losgehe und Sie schlage?“

„Wird es so weit kommen?“

Er blickte sie lange an. „Wenn Sie es darauf anlegen wollen … Aber meinen Sie nicht, dass es vielleicht zu gefährlich werden könnte?“

„Für wen? Für mich oder für Davy?“

Thomas atmete tief durch. Ganz ruhig, ermahnte er sich. „Ich gebe ja zu, das Verhältnis zwischen Davy und mir sollte besser sein. Aber eins kann ich Ihnen versichern: Schläge bekommt er nicht. Es ist alles in Ordnung mit ihm.“

„Stimmt nicht. Er braucht Eltern.“

„Daran kann ich herzlich wenig ändern, und ich glaube auch nicht, dass das wirklich der Fall ist. Heutzutage werden viele Kinder von Kindermädchen großgezogen. Nur weil Ihr Vater Sie jede Nacht ins Bett gebracht und fürsorglich zugedeckt hat, heißt das noch lange nicht, dass andere Kinder das auch brauchen.“

Cheyenne beschloss spontan, ihm etwas über ihre Familie zu erzählen. „Mein Vater hat mich nie ins Bett gebracht. Am Anfang hatte er keine Zeit, weil er an Rodeos teilnahm, und später war er einfach nicht mehr da. Mit zehn Jahren habe ich ihn das letzte Mal gesehen.“

„Deswegen hassen Sie also alle Männer? Weil Ihr Vater Sie im Stich gelassen hat?“

„Ich hasse weder die Männer noch meinen Vater, und er hat mich auch nicht im Stich gelassen. Er ist tot. Er hat sich mit einem Bullen zu viel angelegt.“ Als sie seinen verständnislosen Blick sah, fügte sie hinzu: „Beau hat wilde Pferde und Bullen auf Rodeos geritten. Er war wirklich gut.“

„Sie nennen Ihren Vater ‚Beau‘?“

„Er mochte es nicht, wenn man ihn ‚Dad‘ nannte.“ Cheyenne verzog das Gesicht. „Das war schlecht fürs Image.“

„Und dennoch haben Sie ihn geliebt? Nachtragend sind Sie ja wirklich nicht!“

Der Spott in seiner Stimme war unüberhörbar. „Ich hatte keinen Grund, nachtragend zu sein. Beau war einfach nur Beau. Er hat nie Versprechen gebrochen, denn er hat nie welche gegeben. Er kam nur nach Hause, wenn er eine Verletzung auskurieren musste. So war er eben. Ein Gast, mit dem man nicht gerechnet hatte. Wir hatten Spaß zusammen, und wenn er wieder weg war, war es auch in Ordnung, und das Leben ging ohne ihn weiter.“

„Und das haben Sie gut gefunden?“

„Nein, natürlich nicht. Aber wir haben Beau eben genommen, wie er war.“ Cheyenne beobachtete, wie Davy am Flussufer Steine suchte. „Und gerade weil ich diese Erfahrung gemacht habe, möchte ich verhindern, dass Davy ohne Liebe aufwachsen muss.“

„Ich habe mir schon gedacht, dass Sie darauf hinauswollen. Vergessen Sie’s. Ich bin weder an Ihrer Meinung zum Thema ‚Kindererziehung‘ noch an Ihrer Familiengeschichte interessiert.“

„Warum verwehren Sie Davy das, was Sie hatten? Eltern und eine liebende Familie?“

„Und nicht zu vergessen die vielen gut aussehenden Frauen, die sich darum reißen, Nacht für Nacht mein Bett zu wärmen.“ Er schwieg einen Augenblick. „Ach ja, und bevor Sie jetzt einen Schlag kriegen, sollte ich Ihnen vielleicht noch sagen, dass es immer nur eine zurzeit ist und dass ich keine Orgien feiere.“

Sein Lächeln erreichte nicht die Augen. Und er hatte ihre Frage nicht beantwortet.

Thomas lachte leise. „Wenn Sie mir das nächste Mal wieder eine Ihrer berüchtigten Standpauken halten wollen, erinnern Sie mich bitte daran, dass die Erwähnung meines Liebeslebens Sie zum Schweigen bringt.“

Die Genugtuung in seiner Stimme machte Cheyenne traurig. Es würde ihr nicht gelingen, aus Thomas Steele und seinem Neffen eine glückliche Familie zu machen.

Sie könnte Davy eine Freundin sein. Aber nur zwei Wochen lang. Und danach? Betrübt beobachtete sie, wie der Junge einem bunten Schmetterling hinterherjagte. „Ich hole Davy morgen um halb neun ab.“

Thomas zögerte nicht eine Sekunde. „Er wird fertig sein.“

„Ich habe vor, ihn ins Aspen Center mitzunehmen. Wir könnten uns dort die Biber, Enten und Falken in ihrer natürlichen Umgebung ansehen. Ich denke, das wird ungefähr drei Stunden dauern.“ Und plötzlich hatte Cheyenne eine geniale Idee. „Schaffen Sie es in der Zeit, alles für die Party vorzubereiten?“

Thomas sah sie an, als hätte sie plötzlich Streifen im Gesicht. „Welche Party?“

„Davys Geburtstagsparty natürlich. Morgen Nachmittag. Ihre Aufgabe ist es, die Geschenke und die Dekoration zu besorgen.“

„Sein Geburtstag ist doch schon vorbei.“

„Eine verspätete Party ist besser als gar keine.“

„Also gut. Richten Sie ihm eine Geburtstagsfeier aus, und schicken Sie mir die Rechnung. Wie Sie das machen, ist mir egal.“

Cheyenne tat so, als hätte sie ihn falsch verstanden. „Wenn es Ihnen egal ist, dann habe ich schon eine gute Idee. Meine Mutter und Worth würden sich freuen, für Davy bei uns zu Hause eine Party auszurichten. Ich wollte Davy die Ranch sowieso morgen Nachmittag zeigen. Mom backt gern Kuchen. Ich besorge die Eiscreme und die Dekoration, und Sie sind für die Geschenke zuständig.“

Entnervt wollte Thomas protestieren, aber Cheyenne gab ihm nicht die Möglichkeit dazu. „Sie haben den ganzen Vormittag Zeit. Das sollte reichen. Morgen Mittag holen wir Sie und Olivia dann vom Hotel ab. Olivia ist eine Kundin von Allie und hat für morgen gebucht. Ich weiß genau, dass ihr eine Party gut gefallen wird.“

„Miss Lassiter“, sagte Thomas erbost und stand auf. Die Decke glitt ihm von den Schultern und landete auf dem Tisch. „Ich werde nicht …“

„Sie werden Olivia mögen“, entgegnete Cheyenne schnell und bemühte sich, nicht zu starr auf seinen nackten, muskulösen Oberkörper zu blicken. „Sie ist steinreich und wohnt nur in Steele-Hotels.“

Er kam auf Cheyenne zu und baute sich vor ihr auf. „Ich lege keinen Wert darauf, diese Frau kennenzulernen. Egal, wo sie wohnt, wie viel Geld sie hat oder wie schön sie ist.“

„Keine Angst, ich will Sie nicht verkuppeln. Olivia ist dreiundachtzig.“

„Absolut nicht mein Typ.“

„Aber Sie sind Olivias Typ. Sie ist verrückt nach großen, dunkelhaarigen, attraktiven Männern.“

Er legte ihr die Hände auf die Schultern. „Und was ist mit Ihnen, Miss Lassiter? Was für einen Mann bevorzugen Sie?“ Er lachte rau und zog Cheyenne auf die Füße. „Übrigens, es freut mich, dass Sie mich attraktiv finden.“

3. KAPITEL

Cheyenne konnte einfach nicht glauben, dass sie tatsächlich „attraktiv“ gesagt hatte. Sie ballte die Hände zu Fäusten und suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, Thomas abzulenken. „Ich glaube, Ihre Sachen sind trocken.“ Sie deutete mit dem Kopf auf das Hemd und die Anglerweste, die sie auf einen Stein gelegt hatte.

„Ich mag Frauen, die mich attraktiv finden.“ Sein Mund war nur Millimeter von ihrem entfernt.

Cheyenne atmete tief durch und zwang sich, Thomas direkt in die Augen zu sehen. „Ich habe nur Olivias Meinung wiedergegeben. Wenn meine Kunden zufrieden sind, bin ich es auch. Nur das zählt.“

„Ich bin auch ein Kunde.“

„Nein. Davy ist mein Kunde.“

„Aber ich zahle die Rechung, die – wie Sie mir versichert haben – ja nicht gerade sehr niedrig ausfallen wird.“ Er ließ seine Hand über ihre Schulter gleiten. „Vielleicht sollten Sie so langsam damit beginnen, auch mich zufrieden zu stellen.“

Cheyenne machte erst gar nicht den Fehler zu glauben, dass Thomas Steele ernsthaft an ihr interessiert war. Verführung war nur eins seiner vielen Mittel, um sein Ziel zu erreichen. Sie würde seinem zweifelhaften Charme bestimmt nicht erliegen!

Entschlossen begann sie, die Picknickreste einzupacken. Aber als sie den Korb hochhob, um ihn zum Auto zu tragen, kam Thomas ihr zuvor und nahm ihn ihr aus der Hand. „Ich nehme das. Gehen Sie schon einmal zum Wagen, und öffnen Sie den Kofferraum.“ Er folgte ihr, verstaute den Korb und schloss schwungvoll die Kofferraumklappe.

„Ich weiß nicht, ob ich Davy den morgigen Ausflug zur Ranch erlauben soll. Heute wäre er beinahe ertrunken. Ich möchte mir nicht ausmalen, was so alles passieren kann, wenn Sie von diesem Worth abgelenkt werden und Davy deswegen vernachlässigen.“

„Davy wäre nicht ertrunken, dafür war das Wasser viel zu seicht. Er war nie in Gefahr. Und ich werde mich von Worth auch nicht ablenken lassen. Ganz im Gegenteil, Worth wird sich um Davy kümmern. Er kennt sich auf der Ranch am besten aus.“

„Ich entscheide, wer sich mit Davy beschäftigt.“ „Natürlich.“ Cheyenne bedeutete dem Jungen durch Handzeichen, zum Wagen zu kommen. „Er ist ja Ihr Neffe.“

„Wissen Sie was, Miss Lassiter? Den Spott können Sie sich sparen. Ich werde Ihnen nicht bei dieser so genannten Geburtstagsparty helfen. Ich habe nicht die blasseste Ahnung, was sich ein siebenjähriger Junge wünscht.“

„Das ist doch nun wirklich nicht schwer. Wie haben Sie denn Ihren Geburtstag gefeiert, als Sie in Davys Alter waren?“

Er schwieg einen Augenblick und sagte dann leise: „Gar nicht.“

Das verschlug Cheyenne die Sprache, und sie stellte sich unwillkürlich Thomas Steele als Kind vor. Ein kleiner Junge, der Jahr für Jahr von lieblosen Eltern aufs Neue enttäuscht wurde. Am liebsten hätte sie den Jungen in Thomas in den Arm genommen und ihn getröstet. Aber Davy bewahrte sie davor, sich endgültig lächerlich zu machen, denn er kam lachend auf sie zugestürmt. In der Hand hielt er Thomas’ Hemd, das wie eine Fahne im Wind hinter ihm herwehte.

„Bringst du mir jetzt das Fischen bei?“

Thomas nahm das Hemd und zog es sich über. „Ich muss wieder zurück zum Hotel. Es wartet viel Arbeit auf mich.“

„Oh.“ Davy ließ den Kopf hängen. „Du bist also doch böse auf mich.“

„Das hat nichts mit dir zu tun“, sagte Thomas ungeduldig. „Es gibt eben Dinge, die lassen sich nicht aufschieben.“

„Die kann auch jemand anders erledigen.“ So leicht gab Cheyenne nicht auf. Wenn er wirklich zurück zum Hotel wollte, musste er eben zu Fuß gehen. „Wir fahren jetzt zum Ruedi Reservoir, und dort zeigen Sie Davy, wie man angelt.“

Davy strahlte übers ganze Gesicht. „Echt? Cool.“Verstohlen blickte er seinen Onkel an. „Und ich fange bestimmt auch einen Fisch.“

Thomas kniff die Augen zusammen. „Äußerst du dich etwa abfällig über meine Angelkünste?“

„Ich … ich weiß nicht“, erwiderte der Junge verlegen. „Ich habe nicht verstanden, was du meinst.“

„Du denkst, dass ich kein guter Angler bin.“

„Du hast doch keinen Fisch gefangen.“

Cheyenne begann zu lachen.

Thomas fuhr herum und funkelte sie gespielt böse an. „Jetzt haben sich alle gegen mich verschworen. Also gut. Ich komme mit und werde es euch zeigen. Wir veranstalten ein Wettangeln. Wer den größten Fisch fängt, ist Sieger.“

„Was für einen Preis gibt es denn?“, fragte Davy aufgeregt.

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass du gewinnen wirst, junger Mann?“

„Wenn hier einer gewinnt, bin ich es“, sagte Cheyenne schnell. Nachdenklich sah sie Thomas an. „Und ich bestimme den Preis.“

„Warum nicht?“ Thomas blickte starr auf Cheyennes Mund. „Aber wenn ich gewinne, werde ich mir etwas ganz Besonderes aussuchen. Etwas, das ich bis zur Neige auskosten werde.“

Cheyenne stockte der Atem. Sein unverschämter Blick ließ nur einen Schluss zu. Thomas würde sie dann küssen wollen. Nun, dachte sie, das werden wir ja noch sehen. „Kennen Sie das Sprichwort: ‚Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben‘?“

„Natürlich. Aber gegen mich haben Sie keine Chance. Geben Sie lieber gleich auf.“

„Das könnte Ihnen so passen. Sie werden sich noch wundern.“

Thomas Steele hatte ihr gleich doppelten Anreiz gegeben zu gewinnen. Wenn sie den größten Fisch fing, würde sie als Preis fordern, dass er an Davys Geburtstagsparty teilnahm. Und er würde dann keine Gelegenheit haben, einen Kuss von ihr zu fordern. Sie legte nicht im Geringsten Wert darauf, herauszufinden, wie er küsste.

Cheyenne wusste genau, was Thomas Steele vorhatte. Er wollte sie bestrafen. Und zwar dafür, dass sie ihn gezwungen hatte, den Tag mit Davy zu verbringen. Dafür, dass sie ihm vorgeworfen hatte, Davy zu vernachlässigen. Dafür, dass sie ihn nicht mochte und es ihm deutlich zeigte. Und wahrscheinlich auch noch für die Pizza, die er zum Abendbrot gegessen hatte – obwohl sie dafür nun überhaupt nichts konnte, denn er hatte sich strikt geweigert, nach der Rückkehr vom Ruedi Reservoir zum Hotel zurückzufahren und sie allein essen zu lassen.

Und zu allem Überfluss hatte er auch noch Glück gehabt.

Diese große, dumme Forelle hatte sowohl ihren als auch Davys Köder umschwommen, nur um sich auf Thomas’ künstliche Fliege zu stürzen. Hirnlose Kreatur!

Cheyenne wusste genau, dass er sie küssen wollte. Und dass ihm klar war, dass sie es wusste. Er hätte sie schon küssen können, als er diesen Monsterfisch aus dem Wasser gezogen hatte. Oder als sie vor dem St. Christopher gehalten hatte. Aber Thomas ließ sie zappeln, und das brachte sie zur Weißglut.

Gereizt blickte sie sich in der eleganten Eingangshalle des Hotels um. Davy erzählte gerade dem Portier von den Abenteuern, die er beim Fischen erlebt hatte. Er hielt die Hände weit auseinander, und Cheyenne war klar, dass er gerade von dem Fisch sprach, den sein Onkel gefangen hatte. „So groß war er nun auch nicht“, flüsterte sie gereizt.

„O doch. Er war sogar noch größer.“ Auch Thomas hatte seinen Neffen beobachtet.

„Sie haben ihn so schnell wieder vom Haken gelassen, dass ich ihn mir gar nicht richtig habe ansehen können.“ Natürlich wusste Cheyenne, dass die Überlebenschancen eines Fisches dann am besten waren, wenn er gleich ins Wasser zurückgeworfen wurde. „Vielleicht war mein Fisch ja doch größer.“

„Er war nicht halb so groß“, erwiderte Thomas und lachte jungenhaft. „Sogar Davys war größer.“

Sie hasste es, wenn er so spöttisch lächelte und sich über sie lustig machte. „Ich werde Sie nicht küssen.“ Jetzt war es heraus! Cheyenne hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen, aber es war zu spät. Gesagt war gesagt, sie konnte es nicht ungeschehen machen.

Er lächelte noch breiter. „Wer hat Sie denn dazu aufgefordert?“

Es war ihr egal, dass er ein gut aussehender Mann war. Ihr ging er einfach nur ganz gewaltig auf die Nerven. „Ihr Preis für die gewonnene Wette war ein Kuss.“

„Habe ich das gesagt?“

„Vielleicht nicht so deutlich.“ Dieser Mann trieb sie zur Weißglut. Sie hätte ihn gern einmal so richtig durchgeschüttelt. „Aber Sie haben es angedeutet.“

Thomas ging auf sie zu, blieb direkt vor ihr stehen und nahm eine Haarsträhne in die Hand, die unter der Baseballmütze herausschaute. „Was genau meinen Sie mit ‚angedeutet‘?“

Seine Nähe machte Cheyenne nervös. Sie mochte es nicht, wenn man sich über sie lustig machte. Und noch weniger behagte ihr die Tatsache, dass er mit ihrer Haarlocke spielte.

„Sie haben mich so komisch angesehen.“ Was für eine dumme Antwort!

Thomas Steele lachte laut.

„Ich will Sie nicht küssen“, sagte Cheyenne noch einmal verzweifelt.

„Meine Mutter hat mich zum Gentleman erzogen, Miss Lassiter. Vergessen Sie einfach, was ich gewollt habe. Die Wünsche einer Lady sind mir Befehl. Und da Sie eben selbst gesagt haben, dass Sie mich küssen wollen …“

Es war zum Auswachsen! Er hatte ihr anscheinend überhaupt nicht zugehört.

Er hatte zwar den größten Fisch gefangen, aber diese Schlacht würde er nicht gewinnen.

„Ich will Sie nicht küssen. Sagen Sie mir einfach, was Sie für einen Preis gewählt haben.“

„Das habe ich vergessen. Küssen Sie mich, und wir sind quitt.“

Mit diesem Mann würde sie niemals fertig sein. Dazu war er viel zu sehr von sich überzeugt. Er musste immer seinen Kopf durchsetzen. Genau wie jetzt – aber da hatte er die Rechnung ohne sie, Cheyenne, gemacht. Sie würde ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen.

„Also gut, Mr. Steele. Einen Kuss, und wir sind quitt. Einverstanden?“

Autor

Jeanne Allan
Als Autorin für Harlequin Liebesromane, veröffentlichte Jeanne Allan 22 Romane. Auf dem Cover ihres Romans Peter's Sister, wurde ihr Name als „Allen“ falsch geschrieben. Ihr wahrer Name jedoch ist Barbara Blackman.
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