Julia Collection Band 134

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HEIßE HERZEN - KALTE RACHE?
Nur wenn sie ihn heiratet, verzichtet der arrogante Constantine auf das Geld, das Siennas verstorbener Vater ihm schuldet. Sienna sagt Ja - voller Angst vor einer Ehe ohne Gefühl. Aber auch voller Hoffnung, dass der Tycoon sie nicht nur aus Berechnung zum Altar führt …

GEHEIME AFFÄRE MIT DEM MILLIARDÄR
Heute wird er sich zu mir bekennen! Seit zwei Jahren hat Carla mit dem Milliardär Lucas Atraeus eine geheime Affäre. Auf der Hochzeit ihrer Schwester wartet sie aufgeregt auf das Eintreffen ihres Lovers. Doch der kommt nicht allein - sondern in Begleitung einer Frau, mit der er sich verloben will!

SO REICH, SO SEXY …
Liebe? Erotische Anziehung? Nein danke. Lilah ermittelt ihren Zukünftigen lieber nach einem Punktesystem. Sie hat auch schon den perfekten Ehemann gefunden - doch leider verliebt sie sich in dessen Bruder! Zane Atraeus ist verwegen, sexy … und als bekannter Casanova völlig indiskutabel.


  • Erscheinungstag 21.06.2019
  • Bandnummer 134
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713379
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Fiona Brand

JULIA COLLECTION BAND 134

1. KAPITEL

Aufmerksam ließ Constantine Atraeus den Blick über die Trauer­gemeinde schweifen, die sich zu Roberto Ambrosis Beerdigung eingefunden hatte. Dann fand er endlich, wonach er gesucht hatte. Sie.

Mit ihrem langen blonden Haar und dem sinnlichen, weiblichen Körper stach Robertos glutäugige Tochter Sienna unter den anderen Gästen hervor wie ein wunderschöner Paradies­vogel unter Krähen.

Als er ihre Tränen bemerkte, wurde Constantine unwillkürlich von Mitgefühl übermannt, das er jedoch rasch wieder abschüttelte. Genauso wie die Erinnerungen. Auch wenn Sienna unschuldig wie ein Engel aussah, so durfte er doch nie vergessen: Seine ehemalige Verlobte war die neue Chefin ihres Familienunternehmens, das mit dem Perlenhandel reich geworden war, jetzt allerdings vor dem finanziellen Untergang stand. Vor allen Dingen aber war sie eine Ambrosi. Die Mitglieder dieser einst so wohlhabenden Familie zeichneten sich durch zwei Dinge aus: Sie sahen allesamt unverschämt gut aus – und waren völlig auf Profit fixiert.

Sienna war das beste Beispiel dafür: Damals, vor zwei Jahren, hatte sie es einzig und allein auf sein Geld abgesehen.

„Sag bloß nicht, dass du wieder hinter ihr her bist“, bemerkte Constantines Bruder Lucas. Er wirkte müde, wie er da etwas steif aus dem Audi kletterte. Kein Wunder, Constantine hatte ihn nach seinem Langstreckenflug von Rom nach Sydney gerade erst am Flughafen abgeholt.

Da Lucas in Sydney ein zweitägiges Meeting erwartete, trug er Businesskleidung, im Wagen hatte er allerdings sein Jackett und die Krawatte abgelegt. Zane, in schwarzen Jeans und einem gleichfarbigen Hemd, war bereits ausgestiegen und musterte die Beerdigungsgesellschaft durch seine dunkle Sonnenbrille.

Lucas verfügte über eine äußerst maskuline Ausstrahlung, weswegen ihn die Medien gerne als knallharten Geschäftsmann abstempelten. Zane, der sozusagen ihr Halbbruder war, ließ ebenfalls keinen Zweifel daran aufkommen, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Als Teenager hatte er sich auf den Straßen von Los Angeles durchgeschlagen, bis ihr Vater ihn dort gefunden hatte. Constantine war davon überzeugt, dass seine Brüder keine Gnade kannten, wenn es darum ging, die Interessen der Familie zu schützen.

Während Constantine sein Jackett überzog, das er auf dem Rücksitz des Wagens abgelegt hatte, beobachtete er, wie Sienna die Beileidsbekundungen der Trauergäste entgegennahm.

Konnte es sein, dass er sich tatsächlich noch zu ihr hingezogen fühlte? Schließlich hätte auch sein Anwalt die Formalitäten mit Sienna regeln können.

Nein, das war es nicht. Bereits vor zwei Jahren hatte Constantine gelernt, Sex und Geschäft strikt voneinander zu trennen. Er war fest entschlossen, dass dieses Mal nach seinen Regeln gespielt werden würde, sollte Sienna Ambrosi nochmals in seinem Bett landen.

„Ich bin bestimmt nicht hier, um Blumen auf Robertos Grab zu legen.“ Constantine warf Lucas einen düsteren Blick zu.

„Oder sie in Ruhe trauern zu lassen“, erwiderte sein Bruder ironisch. „Schon mal was von dem Wort morgen gehört?“ Nachdem Lucas sein Jackett übergezogen hatte, schlug er lautstark die Tür der teuren Limousine zu.

Constantine zuckte zusammen. Lucas war nicht alt genug, um sich an jene Zeiten zu erinnern, als die Atraeus-Familie so arm gewesen war, dass sie sich noch nicht einmal ein Auto leisten konnten. Constantine hingegen erinnerte sich sehr wohl. Zwar hatte sein Vater kurz darauf eine ergiebige Goldmine auf der Mittelmeerinsel Medinos entdeckt, doch Constantine würde nie vergessen, wie es sich anfühlte, nichts zu besitzen. „Für die Ambrosis wird es morgen schon zu spät sein.“ Resigniert betrachtete Constantine die Presseleute, die sich eingefunden hatten und wie die Geier auf ihren großen Moment warteten. „Außerdem habe ich den Eindruck, dass die Neuigkeiten schon nach außen gedrungen sind. Mir ist gleichgültig, ob das Timing schlecht ist. Ich will Antworten.“ Und das Geld zurück, das Roberto Ambrosi ihrem sterbenden Vater aus der Tasche gezogen hatte.

Beerdigung hin oder her – Constantine war fest entschlossen, den Betrug aufzudecken, dem er vor gerade einmal einer Woche auf die Schliche gekommen war. Nachdem er tagelang vergebens versucht hatte, telefonisch mit den Ambrosis Kontakt aufzunehmen, und sogar stundenlang das offenbar verlassene Familienanwesen beobachtet hatte, war seine Geduld erschöpft. Seine anfängliche Absicht, die Sache diskret abzuwickeln, hatte er aufgegeben.

Lucas beeilte sich, mit Constantine Schritt zu halten, der geradewegs auf die im Auflösen begriffene Trauergemeinde zusteuerte. Missmutig bemerkte Constantine, dass Lucas bewundernd zu Carla hinübersah, der jüngeren Schwester von Sienna.

„Meinst du wirklich, dass Sienna etwas mit der Sache zu tun hat?“, fragte sein Bruder.

Das bezweifelte Constantine nicht. Was sonst war von einer Frau zu erwarten, die sich vor zwei Jahren bereit erklärt hatte, ihn zu heiraten, obwohl sie wusste, dass ihr Vater und seiner damit unter der Hand ein Geschäft verknüpft hatten. Ein Geschäft wohlgemerkt, dessen Inhalt sie alle drei Constantine verschwiegen hatten. „Sie weiß bestimmt etwas.“

„Du weißt doch aber auch, wie Roberto gewesen ist …“

„Ja, mehr als willig, einen sterbenden Mann über den Tisch zu ziehen.“

Constantine sah kurz zu den beiden Leibwächtern hin, die ihnen in einem zweiten Wagen gefolgt waren. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er gut auf sie verzichten können, aber als Chef eines milliardenschweren Unternehmens kam es eben vor, dass er sich Feinde machte.

Als sie sich der Grabstätte näherten, fiel Constantine auf, dass keine männlichen Familienmitglieder zu sehen waren. Die ehemals reichen und einflussreichen Ambrosis, für die sein Großvater einst als Gärtner gearbeitet hatte, bestanden heute nur noch aus Robertos Witwe Margaret, den beiden Töchtern Sienna und Carla sowie diversen älteren Tanten und entfernten Cousinen.

In dem Moment, in dem er am Grab ankam, schob sich eine dunkle Wolke vor die Mittagssonne – und Siennas und Constantines Blicke trafen sich. Ganz kurz glaubte Constantine, in ihrem Blick so etwas wie Freude zu erkennen. Es schien beinahe so, als hätte sie vergessen, dass sie sich vor zwei Jahren für das Geld und gegen ihn entschieden hatte.

Die Zeit schien stillzustehen, und Constantine hatte das beunruhigende Gefühl, alles schon einmal erlebt zu haben. Er spürte eine überwältigend starke Verbindung zwischen ihnen, von der er gedacht hatte, sie nie wieder in seinem Leben empfinden zu können.

Etwas Unsichtbares schien seiner Brust einen Schlag zu versetzen, und statt seinen Blick abzuwenden, ließ Constantine sich vom Zauber des Augenblicks gefangen nehmen …

Nur einen Moment später wirbelte eine heftige Windböe ein paar welke Blätter durch die Luft, Sienna steckte sich eine Strähne ihres honigblonden Haares hinters Ohr – und die Magie, die Constantine vor zwei Jahren schon einmal zum Narren gehalten hatte, löste sich in Nichts auf. Ungläubig erkannte er, dass er Sienna beinahe wieder verfallen wäre.

Er unterbrach den Blickkontakt, richtete seine Aufmerksamkeit auf den frischen Grabhügel, der von Blumengestecken bedeckt war, und besann sich auf den Grund seines Kommens.

Roberto Ambrosi war ein Lügner, Dieb und Bauernfänger gewesen, doch eines musste man ihm lassen: Er hatte gewusst, wann es Zeit war zu gehen.

Sienna hingegen blieb keine Möglichkeit zur Flucht.

Siennas Herz schlug schneller, als sie Constantine näher kommen sah. Sie war erschöpft, innerlich hin und her gerissen von der Trauer um ihren Vater und der Erleichterung darüber, sich nie wieder mit seiner Spielsucht auseinandersetzen zu müssen. Aber für eine Sekunde hatte sie die traurigen Umstände fast vergessen.

Sie war eine eifrige Verfechterin des positiven Denkens, doch selbst für ihre Verhältnisse war der Tagtraum, der sie beim Anblick Constantines überfallen hatte, außerordentlich fantasievoll gewesen. Sie musste an eine Vergangenheit denken, als für sie die Liebe an erster Stelle gestanden hatte – und nicht Aktien und Vermögenswerte. Als sie Constantine nun in die Augen sah, kam es ihr ganz kurz so vor, als wären ihre Träume wahr geworden.

Seine ebenmäßigen Gesichtszüge, das kohlrabenschwarze Haar und die breiten Schultern vermochten immer noch, ihren Herzschlag zu beschleunigen.

Doch dann bemerkte sie seinen düsteren Blick, der Zauber war gebrochen, und sie fand sich jäh in der Wirklichkeit wieder.

„Was machst du denn hier?“, fragte sie ihn kurz angebunden. Seit dem beschämenden Zwischenfall vor zwei Jahren war das Verhältnis der Familien Atraeus und Ambrosi äußerst unterkühlt. Sie hätte nie damit gerechnet, Constantine auf der Beerdigung ihres Vaters zu sehen – und war ehrlich gesagt auch nicht gerade erfreut darüber.

Constantine ergriff ihre Hand. Als sie die Wärme seiner Haut spürte, kam es einem Schock gleich. Sie holte tief Luft und atmete seinen ihr immer noch vertrauten, männlichen Duft ein.

Zweifellos war Constantine ein äußerst attraktiver Mann. Einst hatte sie sich so sehr von ihm in den Bann schlagen lassen, dass sie ihre wichtigste Regel verletzt hatte. Sie hatte Gefühlen den Vorzug vor dem Verstand gegeben. Ein böser Fehler.

Constantine hatte ganz einfach in einer völlig anderen Liga gespielt als sie. Er war viel zu wohlhabend und – wie sie leider herausfinden musste – zu versessen darauf, seinen Reichtum um jeden Preis zu vergrößern.

Verbittert dachte sie daran, dass die Regenbogenpresse mit ihrer Einschätzung dieses Mannes recht behalten hatte: Er war skrupellos im Geschäftsleben – und im Bett. Der Chef der Atraeus-Group war ein guter Fang. Allerdings durfte man nicht mit einer Hochzeit rechnen.

Er beugte sich so dicht an sie heran, dass sein glatt rasiertes Kinn beinahe ihre Wange berührt hätte. Einen faszinierenden Augenblick lang gab sie sich der Vorstellung hin, er würde sie küssen. Als sie jedoch seinen Gesichtsausdruck sah, verflüchtigte sich diese Hoffnung wieder.

„Wir müssen reden“, sagte er mit seiner tiefen Stimme. Sein kaum merklicher Akzent verriet, dass seine Wurzeln im Mittelmeerraum lagen, er jedoch in den USA aufgewachsen war. „Fünf Minuten. Auf dem Parkplatz.“

Sienna entzog ihm ihre Hand und trat einen Schritt zurück, sodass die Absätze ihrer hochhackigen Schuhe im feuchten Erdreich einsanken. Erwartete er tatsächlich, dass sie sich jetzt mit ihm traf? Mit dem Mann, der ihr in der einen Woche einen Antrag gemacht und sie in der nächsten fallen gelassen hatte wie eine heiße Kartoffel, weil er geglaubt hatte, dass sie nur auf sein Geld aus gewesen war?

Niemals. Da musste schon die Hölle einfrieren.

„Es gibt nichts, worüber wir sprechen müssten.“

„Fünf Minuten. Sei da.“

Beklommen sah sie ihm hinterher, wie er an den Grabsteinen entlang zurück zu seinem Wagen ging. Nur am Rande bekam sie mit, dass Constantine von seinen Brüdern Lucas und Zane begleitet wurde. Zwei Leibwächter hielten Reporter und Schaulustige auf Abstand, die sich für die Familie Atraeus interessierten.

Die Anwesenheit der beiden Brüder und der Bodyguards machte ihr abermals bewusst, wie groß die Kluft zwischen ihrem und Constantines Leben war.

Ihre Schwester Carla berührte sie sacht am Arm. Nur mühsam gelang es Sienna, die beunruhigenden Gefühle zu verdrängen, die Constantines Gegenwart in ihr wachgerufen hatten. In den vergangenen Tagen war sie völlig vereinnahmt gewesen von dem plötzlichen Tod ihres Vaters und den katastrophalen finanziellen Folgen, die damit verbunden waren. Trotzdem hatte ein Blick in Constantines Augen genügt, um sie vergessen zu lassen, wo sie sich befand.

„Du bist kreideweiß“, bemerkte Carla stirnrunzelnd. „Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Es geht mir gut.“ Um Fassung bemüht, suchte Sienna in ihrer Handtasche nach der Puderdose, um ihr Make-up zu überprüfen. Die Tränen, die sie in der Kirche vergossen hatte, und die Hitze hatten dazu beigetragen, dass man nichts mehr von dem leichten Make-up sah, das sie heute Morgen aufgetragen hatte. Außerdem wirkte ihr Haar zerzaust, und ihre Augen hatten rote Ränder. Im Augenblick war sie das exakte Gegenteil der gelassenen und intellektuellen Frau, die sie normalerweise zu sein vorgab.

Carla, der man ihre Herkunft von der Insel Medinos weitaus deutlicher ansah als Sienna, warf ihr glänzendes schwarzes Haar zurück und kniff die faszinierenden, auffallend hellblauen Augen zusammen, als sie nachdenklich den Atraeus-Brüdern hinterherschaute. „Was wollen die hier? Jetzt erzähl mir bitte nicht, dass du dich wieder mit Constantine triffst.“

Mit erzwungener Ruhe steckte Sienna ihre Puderdose wieder in die Handtasche. „Keine Bange. So verrückt bin ich nicht.“

Lediglich verwirrt.

„Und was haben sie dann gewollt?“, fragte Carla wütend.

Im Gegensatz zu ihrer Schwester konnte Sienna sich nicht den Luxus leisten, sich von ihren Gefühlen mitreißen zu lassen. Um das Wohl ihrer Familie und des Unternehmens zu gewährleisten, musste sie sich stets gelassen und unerschütterlich geben – egal, wie besorgt sie in Wirklichkeit war. „Nichts.“

Ein weiterer Windstoß – der dieses Mal mit dicken Regentropfen einherging – ließ sie ihre Benommenheit abschütteln. Sie dachte an Constantines Aufforderung – wohl eher den Befehl –, ihn zu treffen. Und ihr kam plötzlich etwas in den Sinn, das ihr ganz und gar nicht behagte.

Oh, verdammt. Sie musste nachdenken. Und zwar schnell.

Die vergangenen drei Tage hatte sie damit zugebracht, den privaten Schriftverkehr und die Vermögenswerte ihres Vaters durchzuarbeiten. Dabei waren ihr einige geheimnisvolle hohe Beträge aufgefallen, die sie in keinen Zusammenhang mit den Firmengeschäften bringen konnte. Innerhalb von zwei Monaten war eine große Summe Geldes auf das private Konto ihres Vaters eingegangen, die dafür verwandt worden war, seine Spielschulden zu begleichen und die finanziellen Probleme von Ambrosi-Pearls zu beheben. Doch Sienna hatte keine Ahnung, woher das Geld stammte. Zuerst hatte sie geglaubt, dass es sich um Gewinne vom Spieltisch handelte, doch die Beträge waren relativ gleichbleibend gewesen, daher war das unwahrscheinlich. Zwar hatte Roberto Ambrosi in der Vergangenheit schon Geldbeträge gewonnen, doch die waren immer unterschiedlich hoch ausgefallen.

Und jetzt wollte Constantine sie sprechen.

Sienna versuchte, die böse Vermutung, die sich in ihrem Kopf formte, zu verdrängen. Sie musste Carla auf andere Gedanken bringen, die immer noch den Atraeus-Brüdern hinterhersah, als würde sie sie am liebsten in die Luft sprengen. Also schaute Sienna sich suchend nach ihrer Mutter um. „Mom braucht Hilfe.“

Im selben Moment hatte auch Carla Margaret Ambrosi entdeckt, die immer noch geschwächt war von den Beruhigungsmitteln, die ihr der Arzt verschrieben hatte. Ein Reporter redete pausenlos auf sie ein. „Oh, Mist. Ich kümmere mich darum. Wird sowieso Zeit, dass wir hier wegkommen. Wir hätten schon vor zehn Minuten bei Tante Via zum Lunch sein sollen“, sagte Carla.

Seitdem ihr Vater vor vier Tagen zusammengebrochen und an Herzversagen gestorben war, hatten sie alle keine ruhige Minute gehabt. Allerdings ließ sich die Wahrheit nicht länger beschönigen. Ihr Großvater hatte im Zweiten Weltkrieg das Familienunternehmen aus dem Mittelmeerraum von der Insel Medinos nach Sydney verlagert und zu einem florierenden Geschäft ausgebaut. Doch die glorreichen Tage von Ambrosi-Pearls waren längst vorüber und die Schulden ins Unermessliche gestiegen.

Ein Entschluss reifte in Sienna heran. „Sag Via, dass ich es nicht zum Lunch schaffe. Ich komme dann später zu euch nach Hause.“

Nachdem sie Constantine losgeworden war.

Nachdenklich betrachtete Constantine den Himmel durch die Windschutzscheibe des Audi. Er hatte beschlossen, dort auf Sienna zu warten.

Zane saß auf dem Rücksitz und verschränkte die Arme vor der Brust, während er gelassen den Presseleuten zusah, die sich vergebens abmühten, an Constantines Sicherheitsleuten vorbeizukommen. „Ich denke, sie mag dich noch.“

Constantine versuchte, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen. Mit seinen vierundzwanzig Jahren war Zane zwar tatsächlich jünger als er, aber manchmal kam es ihm so vor, als trennten sie weit mehr als sechs Jahre. „Das ist rein geschäftlich.“ Und kein Vergnügen.

„Hast du eigentlich noch eine Gelegenheit gehabt, mit Roberto über den Kredit zu sprechen?“, fragte Lucas, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.

Die Worte vor seinem Tod hingen unausgesprochen in der Luft.

Constantine zupfte an seiner Krawatte herum. „Was glaubt ihr, weswegen er einen Herzanfall hatte?“

Offenbar hatte es mit Robertos Herz nicht zum Besten gestanden.

Siennas Vater hatte Constantine um ein Gespräch gebeten, als Treffpunkt hatten sie sich auf Constantines Haus geeinigt. Doch Roberto war nicht erschienen, sondern hatte stattdessen eine Runde Blackjack gespielt, wie Constantine nach ein paar Telefonaten herausgefunden hatte. Roberto war offensichtlich sehr bestrebt gewesen, das dringend benötigte Geld am Spieltisch zu gewinnen.

Um unnötiges Aufsehen zu vermeiden, hatte Constantine seinen persönlichen Assistenten Tomas ins Kasino geschickt, um Roberto abzuholen. Tomas war eingetroffen, nachdem der ältere Mann nur kurz zuvor hohe Gewinne erzielt hatte – und sich dann plötzlich unwohl fühlte. Sofort hatte Tomas einen Krankenwagen gerufen, doch es war zu spät gewesen. Nur Minuten darauf hatte Roberto sich an die Brust gegriffen und war wie ein gefällter Baum zu Boden gegangen.

Als Constantine davon erfuhr, hätte er selbst beinahe einen Herzinfarkt erlitten. Auch wenn die Medien ihn als knallharten Geschäftsmann bezeichneten, so hätte er liebend gerne mit Roberto über Möglichkeiten der Rückzahlung gesprochen. Aber es ging nicht nur um ihn, sondern um die ganze Familie, denn Roberto hatte Constantines Vater betrogen.

„Weiß Sienna eigentlich, dass du dich mit ihrem Vater treffen wolltest?“, fragte Lucas.

„Bisher noch nicht.“

„Aber sie wird es erfahren?“

„Ja.“ Constantine entledigte sich seiner Krawatte und öffnete die obersten beiden Knöpfe seines Hemdes.

Er wollte Siennas Aufmerksamkeit erlangen. Deswegen hatte er ja auch beschlossen, sich persönlich um die Angelegenheit zu kümmern. Und nachdem er vielleicht indirekt für den Tod ihres Vaters verantwortlich war, konnte er wohl ziemlich sicher sein, dass er ihre Aufmerksamkeit bekam.

Donnergrollen erklang, und Sienna beeilte sich, zu ihrem Wagen zu gelangen, um den Regenschirm vom Rücksitz zu holen.

Als sie den Parkplatz überquerte, wurde die Tür eines parkenden Lieferwagens aufgeschoben, ein Reporter sprang heraus und baute sich vor ihr auf. Als er die Kamera hob, riss sie instinktiv den Arm hoch, um sich vor dem Blitzlicht zu schützen.

Ein zweiter Journalist gesellte sich dazu, und Sienna machte auf der Stelle kehrt. Mit einem Mal schien ihr der Regen gar nicht mehr so schlimm zu sein. Bei den Männern handelte es sich nicht um die zurückhaltenden und höflichen Presseleute, mit denen sie vor der Beerdigung zu tun gehabt hatte. Diese hier wirkten wie Aasgeier, die zweifellos von Constantines Anwesenheit angelockt worden waren und jetzt hofften, einen alten Skandal wieder zum Leben zu erwecken.

Wie hatte er es bloß wagen können, zur Beerdigung ihres Vaters zu kommen? Hatte er etwa vor, sie und ihre bedauernswerte Mutter der Presse zum Fraß vorzuwerfen?

Es donnerte wieder, noch lauter als beim ersten Mal, und plötzlich begann es so heftig zu regnen, dass Sienna augenblicklich bis auf die Haut durchnässt war. Sie umklammerte ihre Tasche, während sie um eine Reihe Bäume herumeilte, die den Parkplatz unterteilten. Als sie über die Schulter zurückblickte, bemerkte sie erleichtert, dass der Regen die Presseleute wenigstens fürs Erste entmutigt hatte. Unmittelbar darauf prallte sie gegen eine muskulöse Männerbrust. Constantine.

Die Wärme seiner Haut schien sich durch den feuchten Seidenstoff ihres Kleides zu brennen, als Sienna Halt suchend nach seinen Schultern griff.

Er nickte in Richtung einer großen Eiche. „Dorthin. Auf der anderen Seite des Parkplatzes sind noch mehr Reporter.“

Dann spürte sie seine Hand an ihrem Rücken. Sie erschauerte wohlig, als sie den Druck seiner Handfläche fühlte. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich bei der Vorstellung, dass Constantine ihr gefolgt war, um sie zu beschützen.

Sie wusste seine Bemühungen zu schätzen, aber das hieß noch lange nicht, dass sie seine Hilfe brauchte.

Er führte sie unter das schützende Laubdach einer alten, knorrigen Eiche. Zwar hielten die Blätter den größten Teil des Unwetters ab, doch einige Tropfen drangen trotzdem hindurch und durchnässten Siennas Haare.

Mit einem Taschentuch wischte sie sich die Regentropfen aus dem Gesicht. Wenigstens brauchte sie sich um ihr Make-up nicht zu sorgen, da vermutlich nichts mehr davon übrig war.

Nur wenige Momente später rissen die Wolken etwas auf, und warme Sonnenstrahlen spiegelten sich in den Pfützen auf dem Parkplatz. Ohne etwas dagegen tun zu können, brach Sienna in Tränen aus und suchte hastig nach einem Taschentuch.

„Hier, nimm das.“

Constantine drückte ihr ein großes weißes Stück Leinen in die Hand. Schluchzend griff sie danach und tupfte sich die Augen ab. Ehe sie sich versah, zog Constantine sie an sich, und sie presste ihr Gesicht an seine Brust. Die ganze Zeit über war sie sich seiner warmen Hand auf ihrem feuchten Nacken bewusst. Nachdem sie sich einen Moment lang versteift hatte, gab sie sich schließlich seiner tröstenden Umarmung hin.

Bisher hatte sie stets nur dann geweint, wenn sie allein war – für gewöhnlich nachts in ihrem Zimmer. Sie wollte ihre Mutter nicht aufregen, die immer noch an den Folgen eines Schocks litt. Die meiste Zeit über hatte Sienna sich irgendwie beschäftigt, um ihre Trauer zu verdrängen, aber jetzt wurde sie plötzlich von ihren Gefühlen überwältigt.

Schließlich lockerte Constantine seine Umarmung ein wenig, sodass sie ihre Nase putzen konnte. Doch es war sinnlos, ihre Tränen unterdrücken zu wollen – sie flossen unentwegt weiter. Zumindest musste sie nicht mehr so schrecklich schluchzen. So blieb sie etwas länger als nötig in Constantines Armen und ließ zu, dass er beruhigend ihre Schulter streichelte und sie mit seinem Körper wärmte. Erschöpft vor Trauer nahm Sienna es einfach hin und genoss es, sich an ihn zu lehnen und auf seine Stärke vertrauen zu können.

Endlich hörte es ganz auf zu regnen. Gleich würde sie sich aus der Umarmung befreien, aber sie fühlte sich noch zu müde, um sich überhaupt zu rühren.

„Wir sollten fahren“, sagte Constantine leise an ihrem Ohr. „Hier können wir nicht sprechen.“

Als sie sich bewegte und ihn dabei streifte, bemerkte sie, dass er erregt war – und im gleichen Moment erinnerte sie sich an damals: Es waren sinnliche Erinnerungen, aber es hatte auch entsetzlich erniedrigende Momente gegeben.

Oh nein. Auf gar keinen Fall würde sie wieder etwas für ihn empfinden.

Entschlossen befreite sie sich aus seiner Umarmung und verlor dabei ihre Handtasche. Während sie sich das nasse Haar aus dem Gesicht strich, bückte sie sich, um die Utensilien einzusammeln, die ihr aus der Tasche gefallen waren – Lipgloss, Puderdose, Autoschlüssel.

Ihre Schlüssel! Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, zu fahren. Wenn Constantine ein Gespräch mit ihr wünschte, würde er wohl einen Termin mit ihr vereinbaren müssen. Auf gar keinen Fall würde sie bleiben und darauf warten, von den Medien wieder dermaßen vorgeführt zu werden, wie es vor zwei Jahren der Fall gewesen war.

„Verdammt. Sienna …“

Klang seine Stimme etwa zärtlich? Und war das Mitgefühl in seinem Blick?

Nein, das konnte gar nicht sein.

Als Constantine in die Hocke ging, um ihr beim Einsammeln ihrer Habseligkeiten zu helfen, beeilte sie sich nur noch mehr, die Sachen in ihre Tasche zu stopfen. Es regnete schon wieder, aber das war ihr egal. Sie war ohnehin bis auf die Haut durchnässt. Sie spürte die feuchten Haarsträhnen im Gesicht, ihr Kleid schien an ihrem Körper zu kleben, und ihre Schuhe waren völlig durchgeweicht.

Constantine ging es nicht besser. Seine graue Anzugjacke spannte feucht über seinen Schultern, und sein weißes Hemd war so durchscheinend vor Nässe, dass Sienna die bronzefarbene Haut darunter durchschimmern sah.

Mühsam wandte sie sich von diesem faszinierenden Anblick ab und richtete sich hastig auf, denn ihr war plötzlich eingefallen, dass ihr schwarzes Seidenkleid im durchnässten Zustand zwar keine Haut enthüllte, aber dennoch überaus dünn war. Zu dünn. „Unser Gespräch wird noch warten müssen“, brachte sie heraus. „Wie du sehen kannst, bin ich nass.“

Sie machte kehrt, ohne auf seine Antwort zu warten, und hielt nach einem Weg zu ihrem Wagen Ausschau, der nicht von Reportern belagert war.

Doch Constantine umfasste ihre Taille und zog sie zurück an seinen warmen Körper. „Vier Tage lang hast du meine Anrufe nicht beantwortet“, flüsterte er leise an ihrem Ohr. Ein Schauer durchzuckte sie beim Klang seiner Stimme. „Wenn du denkst, dass ich mich auch nur noch eine weitere Sekunde von dir hinhalten lasse, dann hast du dich geschnitten.“

2. KAPITEL

Sienna kochte vor Zorn, weil Constantine sie einfach festhielt, in einer intimen Geste, als hätte er jedes Recht dazu. Noch wütender war sie allerdings auf sich selbst – auf die verwirrenden Empfindungen, die auf sie einstürzten, als sie seine Hände auf sich spürte. Verärgert sah sie auf seine Finger. „Lass. Mich. Los.“

„Nein“, entgegnete er bestimmt.

Aus den Augenwinkeln nahm Sienna eine Bewegung wahr, und sie hörte, wie eine Autotür zugeschlagen wurde.

Constantine stieß einen leisen Fluch aus. Jetzt, da der Wolkenbruch vorüber war, trauten sich die Presseleute wieder aus ihren Wagen heraus.

„Das hatte ich zwar nicht vor, aber du hast es ja nicht anders gewollt.“ Er drehte sie zu sich herum und senkte den Kopf, als ob er sie küssen wollte.

Sienna riss den Kopf nach oben und traf dabei sein Kinn, was für sie ziemlich schmerzhaft war – und sie nur noch wütender machte. „So wie vor zwei Jahren? Oh, wie cool, Constantine. Du hast mich wie eine Schwerverbrecherin behandelt, weil mir meine Familie etwas bedeutet, und jetzt …“

Ihre Bemerkung schien seinen Ärger zu verstärken, viel mehr, als es die anrückende Presse tat. „So nennst du das also? Ist ja interessant.“

Sein ruhiger Tonfall stand im krassen Gegensatz zu dem zornigen Ausdruck in seinen Augen – und ließ sie die Schuldgefühle noch heftiger empfinden, die sie in den vergangenen zwei Jahren ohnehin gequält hatten. Zwei Jahre, in denen sie sich zweifelnd gefragt hatte, ob die Trennung vielleicht doch ihre Schuld und nicht die von Constantine gewesen war. Vielleicht hatte sie ihn völlig zu Unrecht bezichtigt, kalte Füße wegen der anstehenden Hochzeit bekommen zu haben. Möglicherweise war es wirklich unverzeihlich von ihr gewesen, ihn nicht von vornherein über die finanzielle Situation ihrer Familie informiert zu haben.

„Was habe ich dir eigentlich getan, Constantine?“, fragte sie herausfordernd.

Er lächelte grimmig. „Falls du tatsächlich eine Erklärung erwartest, vergeudest du deine Zeit.“

„Das hätte ich mir ja denken können.“ Sie legte die Hände auf seine Brust und stieß ihn von sich.

„So warte doch“, erwiderte er ärgerlich und fluchte leise in seiner Heimatsprache.

Beim Klang der melodischen medinischen Sprache – ein italienischer Dialekt mit griechischen und arabischen Einflüssen – spürte Sienna, wie ihre Haut vor Erregung zu kribbeln begann.

Verdammt noch mal. Warum gefiel ihr das nur so gut?

Sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie sich von seiner atemberaubenden Ausstrahlung so einfach in den Bann ziehen ließ. Mit unverminderter Kraft stemmte sie sich weiter gegen seine muskulöse Brust, um wenigstens diesen kleinen Abstand zwischen ihnen wahren zu können.

Trotzdem war sie wie gefangen von seiner aufregenden Nähe. Inständig hoffte sie, dass die Leute von der Presse ihr kleines Gerangel so auslegen würden, als spende Constantine ihr weiterhin Trost.

„Wer hat die Presse benachrichtigt?“, fragte sie möglichst eisig. „Du?“

Er lachte humorlos auf. „Cara, ich bezahle Leute dafür, um sie mir vom Hals zu halten.“

Vergebens bemühte sie sich, gegen das erwartungsvolle Prickeln anzukämpfen, das sich von ihrem Bauch ausgehend in ihr ausbreitete. „Nenn mich bitte nicht …“

„Wie denn?“, fragte er. „Darling? Babe? Sweetheart?“

Mit seinen langen schlanken Fingern strich er über ihr Kinn. Dann beugte er sich so dicht an sie heran, dass es wieder den Anschein hatte, er wolle sie jeden Moment küssen.

Der Anblick seiner klaren blauen Augen, die winzigen Wassertropfen auf seinen langen dunklen Wimpern sowie der rote Fleck an seinem Kinn, der von ihrem Zusammenstoß eben herrührte, riefen bittersüße Erinnerungen in Sienna wach. Unwillkürlich fühlte sie sich in die Zeit zurückversetzt, als sie sich vor etwas mehr als zwei Jahren zum ersten Mal begegnet waren.

Damals war es dunkel gewesen, und es hatte ebenfalls geregnet. Sie hatte ihren Schirm aufgespannt und deswegen nicht sehr viel vom Weg sehen können, als sie vom Taxi zum Eingang eines Restaurants gehastet war. Prompt waren sie miteinander kollidiert. Damals hatte die Wucht des Aufpralls sie auf den Bürgersteig stürzen lassen. Dabei war ihr kurzes schwarzes Kleid ein Stück eingerissen, und sie hatte den Schirm sowie einen ihrer Schuhe verloren.

Constantine hatte sich mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme bei ihr entschuldigt und sich besorgt nach ihrem Wohlbefinden erkundigt. Wie verzaubert hatte sich Sienna den verlorenen Schuh wieder übergestreift, dabei war sie das Gefühl nicht losgeworden, durch ihren Sturz in ein Märchenland geschleudert worden zu sein. Allerdings hätte ein „Prinz Charming“ in ihrer Vorstellung nicht annähernd so gut ausgesehen wie Constantine. Damals war sie sicher gewesen, dass es ihr das Herz brechen würde, wenn er wieder ginge.

Constantine verstärkte den Griff um ihren Arm, und Sienna kehrte mit einem Ruck in die Gegenwart zurück. Als sie ihn genauer betrachtete, fiel ihr auf, dass er nicht nur sehr ärgerlich, sondern auch ein wenig verwirrt wirkte.

„Basta“, stieß Constantine hervor und wich ein Stück von ihren verführerischen Lippen zurück. „Du trägst dasselbe Kleid.“

„Nein“, erwiderte Sienna trotzig und gab damit zu, dass auch sie soeben an ihre erste Begegnung gedacht hatte. „Damals hatte ich ein schwarzes Cocktailkleid an.“

„Es fühlt sich aber genauso an.“ Feucht und samtig, so wie ihre Haut.

„Dann nimm doch deine Hände weg, wenn es dir nicht passt.“

Ihre Stimme klang kühl und kontrolliert, doch der heisere Unterton und ihre Unfähigkeit, ihm in die Augen zu schauen, waren ihm Beweis genug dafür, dass es in ihr anders aussah.

Eigentlich sollte er sie gehen lassen, denn sie kam ihm sichtlich mitgenommen vor. Lucas hatte recht gehabt – wenigstens an dem Tag, an dem ihr Vater zu Grabe getragen wurde, hätte er Erbarmen zeigen können. Doch ungeachtet aller Etikette war Constantine fest entschlossen, ihr keine weitere Möglichkeit mehr zu geben, ihm aus dem Weg zu gehen.

Vor zwei Jahren war Sienna Ambrosi gelungen, was noch keiner Frau vor ihr gelungen war: Sie hatte ihn komplett zum Narren gehalten. Eigentlich sollte es ihn anwidern, sie zu berühren. Stattdessen war er gebannt von der Sehnsucht in ihrem Blick und dem Gefühl, ihren weiblichen Körper so dicht an seinem zu spüren. Es wollte herausfinden, wie verwundbar sie ihm gegenüber wirklich war. „Nicht, bevor ich habe, weswegen ich gekommen bin.“

Entsetzt sah sie ihn an, und schlagartig waren seine Zweifel bezüglich ihrer Mitwisserschaft an dem Betrug ihres Vaters wie fortgeblasen. Dann war Sienna wohl tatsächlich in die üblen Machenschaften ihres Vaters verstrickt.

Sie errötete. „Wenn du mit mir sprechen willst, musst du dich ein wenig gedulden. Falls es dir entgangen sein sollte, es regnet, und ich komme gerade von einer Beerdigung.“ Erneut versuchte sie, ihn von sich fortzuschieben.

Instinktiv verstärkte er den Griff um ihre Arme. Die Nähe ihres Körpers traf ihn mit voller Wucht, und lustvolle Hitze breitete sich in ihm aus.

Vor zwei Jahren hatte die Leidenschaft sein Urteilsvermögen getrübt. Er kannte sowohl die Folgen einer überstürzten Ehe, dabei hatte er seine Eltern vor Augen, als auch den zweifelhaften Ruf der Ambrosis. Doch er hatte sein Wissen ignoriert – zu seinem großen Bedauern, wenn er heute darüber nachdachte.

Seine Schwäche für Sienna war genau das – ein Fehler, aber trotz allem wollte er sie immer noch. Doch er wusste auch, dass eine einzige Nacht mit ihr sein Verlangen nicht stillen würde.

Sienna blickte über ihre Schulter. „Dieser ganze Presserummel ist allein deine Schuld. Wenn du nicht hergekommen wärst, dann hätten sie uns in Ruhe gelassen.“

„Beruhige dich.“ Prüfend betrachtete Constantine die Reporter, die sich ihnen näherten. „Wenn du nicht in den Sechsuhr-Nachrichten erscheinen willst, dann bleib bei mir und verhalte dich ruhig. Ich rede mit ihnen.“

Die beiden Männer in dunklen Anzügen, die Constantine vorhin begleitet hatten, tauchten plötzlich wie aus dem Nichts neben ihnen auf. Dann waren die Journalisten auch schon da – ein ganzes Fernsehteam, wie Sienna zu ihrem Entsetzen feststellte, das sie und Constantine augenblicklich mit Fragen bombardierte.

„Ms. Ambrosi, stimmt es, dass Ambrosi-Pearls kurz vor dem Bankrott steht?“

„Haben Sie etwas zu der Behauptung zu sagen, dass Ihr Vater angeblich Lorenzo Atraeus um Geld betrogen haben soll?“

Blitzlichter blendeten Sienna, und als sie die Augen wieder öffnete, sah sie eine schlanke rothaarige Frau, die sich unter dem Arm eines Bodyguards durchgewunden hatte und ihr nun ein Mikrofon vors Gesicht hielt. Sienna erkannte in ihr die Journalistin eines bekannten Fernsehsenders. „Ms. Ambrosi, können Sie uns sagen, ob bereits Anklage erhoben worden ist?“

„Anklage?“, fragte Sienna völlig entsetzt.

„Wenn Sie keine Verleumdungsklage erhalten wollen“, mischte Constantine sich ruhig ein, „dann schlage ich vor, dass Sie diese Frage wieder zurückziehen. Zu Ihrer Information: Ambrosi-Pearls und die Atraeus-Group verhandeln gerade über einen Geschäftszusammenschluss. Der Tod von Roberto Ambrosi hat die Verhandlungen ein wenig kompliziert, mehr habe ich im Moment nicht dazu zu sagen.“

„Constantine, geht es hier wirklich nur um das Geschäft?“, fragte die hartnäckige rothaarige Reporterin und lächelte charmant. Irgendwie gelang es ihr weiterhin, sich dem Zugriff der Bodyguards zu entziehen. „Wie steht es bei einer Fusion dieser Größenordnung mit einer Hochzeit?“

Sie eilte hinter ihnen her, während Constantine Sienna mit sich zu einem eleganten Audi zog, der gerade wenige Meter entfernt zum Halten gekommen war. „Kein Kommentar.“

Lucas stieg aus der Fahrerseite aus und warf die Schlüssel über die Motorhaube. Geschickt fing Constantine sie auf und öffnete die Beifahrertür. Als Sienna klar wurde, dass er sie zum Einsteigen auffordern wollte, versteifte sie sich. „Ich habe meinen eigenen …“

Constantine beugte sich so dicht an sie heran, dass sie seinen Atem an ihrem Ohr spürte. „Du kannst entweder mit mir kommen oder hierbleiben. Ganz, wie du willst. Aber wenn du bleibst, dann bist du allein mit der Presse.“

Die Vorstellung ließ sie vor Entsetzen erschaudern. „Ich komme mit.“

„Dann brauche ich deine Autoschlüssel. Einer meiner Sicherheitsleute fährt mit deinem Auto hinter uns her. Wenn wir die Presseleute los sind, bekommst du deinen Sportwagen zurück.“

„Woher weißt du, dass ich einen habe?“, fragte sie misstrauisch.

„Glaub mir, nach den letzten Tagen gibt es so gut wie nichts, was ich nicht über dich und deine Familie weiß.“

„Wenn ich an die Antworten denke, die du eben der Presse gegeben hast, dann weißt du sogar noch mehr als ich.“ Sie zog die Schlüssel aus der Tasche und reichte sie ihm. Auch, wenn sie es nur ungern zugab, war Constantines Vorschlag doch vernünftig. Wenn sie später zum Friedhof zurückkehrte, um ihren Sport­wagen zu holen, lief sie Gefahr, noch mehr Reportern zu begegnen, und sie war nicht auf ihre Fragen vorbereitet.

Sekunden später saß Sienna in einem luxuriös ausgestatteten Wagen, dessen getönte Scheiben sie vor den neugierigen Blicken der Presseleute schützten.

Sie hatte kaum den Sicherheitsgurt angelegt, als Constantine auch schon losfuhr. Die kühle Luft der Klimaanlage ließ sie frösteln. Aber ihre Nervosität lag eindeutig daran, dass sie auf so dichtem Raum mit Constantine zusammen war. Um sich abzulenken, griff sie in ihre Tasche und zog eine Packung Taschentücher hervor. Sie nahm ein paar heraus und reichte sie Constantine.

Kurz sah er ihr in die Augen. „Grazie.“

Rasch blickte sie wieder weg, und ihr Herz schien mit einem Mal wie verrückt zu schlagen. Hatten sie ihre Feindseligkeiten zumindest für den Augenblick auf Eis gelegt? „Gern geschehen.“

Dann nahm sie selbst ein paar Tücher und trocknete ihr immer noch regennasses Gesicht und ihre Arme. Allerdings konnte sie kaum etwas gegen ihr feuchtes Haar sowie den Umstand tun, dass ihr nasses Kleid auf dem teuren Ledersitz klebte.

Als sie in den Rückspiegel sah, bemerkte sie ihren kleinen Sportwagen, der ihnen folgte. Gleich dahinter fuhr eine dunkle Limousine, in welcher dann wohl der zweite Bodyguard und Constantines Brüder sitzen mussten. „Wie ich sehe, reist du immer noch mit einem SWAT-Team.“

„Das kann recht nützlich sein“, erwiderte Constantine, während er sich auf den Verkehr konzentrierte.

Sie warf ihm einen kühlen Blick zu. Er sollte bloß nicht damit rechnen, dass sie ihm jetzt danken würde! Immerhin war es seiner Anwesenheit zu verdanken, dass die Presseleute auf sie aufmerksam geworden waren. Vor seinem Auftauchen waren die Ambrosis nicht behelligt worden. Aufmerksam studierte sie sein Profil, den Schwung seiner Wimpern, die kleine Narbe auf seinem Wangenknochen. Unwillkommene Erinnerungen stiegen in ihr auf – seine bronzefarbene Haut im Sonnenlicht, wie er, nur mit einem Laken um die Hüften, auf ihrem Bett gelegen hatte. Sein durchtrainierter Körper …

Sienna spürte, wie ihre Wangen warm wurden, und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Straßenverkehr. „Jetzt sind wir ja allein, und du kannst mir verraten, was es mit dem Medienrummel auf sich hat.“ In ihr regte sich der Verdacht, dass es um etwas sehr Ernstes gehen musste. „Was war das für ein Betrug? Und die Gerichtsverhandlung? Was hat es mit dem Firmenzusammenschluss auf sich?“ Und warum hatte sich Constantine so für sie eingesetzt?

Da sie Wirtschaftsrecht studiert hatte, war Sienna als Anwältin für Ambrosi-Pearls tätig. In den vergangenen zwei Jahren hatte ihr Vater mit keinem Wort die Atraeus-Group erwähnt, erst recht nicht den Umstand, mit ihr Geschäfte zu machen. Nachdem Robertos Versuch gescheitert war, bei den Atraeus’ einen Kredit aufzunehmen, war dieses Thema nie wieder zur Sprache gekommen – genauso wenig wie ihre aufgelöste Verlobung mit Constantine.

Eine Ampel zeigte Rot, und Constantine bremste. „Es gibt ein Problem, aber das möchte ich ungern während der Autofahrt besprechen.“

Während sie warteten, wuchs ihre Verärgerung. „Wenn du es schon nicht mit mir besprechen willst“, sie malte Anführungszeichen in die Luft, „dann erklär mir doch bitte wenigstens, warum du mir eben geholfen hast. Ganz im Gegensatz zu damals, obwohl meine Familie dir jetzt ja angeblich etwas Schlimmes angetan hat.“

„Hast du auch an vor zwei Jahren denken müssen?“, fragte er sanft.

Ihre Wut verrauchte. „Ja“, gestand sie.

Die Ampel sprang auf Grün, und Constantine beschleunigte den Wagen. „Ich habe dir geholfen, weil du unter Schock stehst und gerade erst deinen Vater verloren hast.“

Etwas in seiner ruhigen Art ließ sie wachsam werden.

Obwohl Constantine als knallharter Geschäftsmann bekannt war, so war er auch ein echter Philanthrop, der Unsummen an wohltätige Einrichtungen spendete. Sienna oder ihre Familie hatte er allerdings nie finanziell unterstützt.

„Ich glaube dir nicht“, entgegnete Sienna, wieder misstrauisch. „Da steckt doch noch etwas anderes dahinter.“ Im Laufe des kurzen Gespräches, das sie vor zwei Jahren geführt hatten und in dessen Verlauf er ihre Verlobung aufgelöst hatte, hatte Sienna versucht, ihm die finanzielle Situation ihrer Familie zu erklären. Sie hatte darüber reden wollen, wie hoch die Spielschulden ihres Vaters waren. Wollte ihm erklären, dass sie nicht nur ihre Mutter unterstützen, sondern darüber hinaus auch noch dafür sorgen musste, dass Ambrosi-Pearls zahlungsfähig blieb. Das Geschäft, das ihr Vater Lorenzo Atraeus vorgeschlagen hatte, war zu jener Zeit ihre letzte Chance gewesen … Doch sie hatte lediglich ihren Atem vergeudet.

Constantine war damals viel zu beschäftigt damit gewesen, sie zu verlassen.

„Du hast recht, es steckt wirklich etwas anderes dahinter. Und zwar dasselbe, das zur Auflösung unserer Verlobung geführt hat.“

„Mein Vater hatte eine Geschäftsidee, die deinen Vater sehr interessiert hat.“

„Die Wiedereröffnung einer Perlenfarm auf Medinos hat wohl mehr mit Nostalgie als mit Profit zu tun.“

Constantines abfällige Bemerkung verärgerte sie zutiefst. „Ach, ja? Für dich ist der Profit also wichtiger, als die Vergangenheit zu ehren oder etwas Schönes zu schaffen.“

„Die Idee deines Vaters macht keinen Sinn, weder damals noch heute. Wer will schon eine Perlenzucht in einer Küstenregion, die als Urlaubsziel vermarktet werden soll? Für die Atraeus-Group gibt es wesentlich lukrativere Geschäftsoptionen als die Restaurierung einer alten Perlenfarm.“

„Ja, zum Beispiel Goldminen und der Bau von Luxushotels.“

Er sah ihr in die Augen. „Ich erinnere mich nicht daran, dass du jemals Probleme mit dem Geldverdienen gehabt hast. Vor zwei Jahren noch war es dir sogar wesentlich wichtiger als Nostalgie und Gefühl.“

„Ich weigere mich, mich für ein Geschäft zu entschuldigen, das ich nicht in die Wege geleitet habe.“ Doch schuldbewusst dachte sie an die überwältigende Erleichterung, die sie empfunden hatte, als sich ihr eine Antwort auf die finanziellen Probleme ihrer Familie geboten hatte. „Mein einziges Vergehen besteht darin, dass ich dir nicht von dem Geschäft erzählt habe.“

Sie sah aus dem Seitenfenster, während Constantine den Wagen auf den Parkplatz eines Einkaufzentrums lenkte. Es war zu spät dafür zuzugeben, dass sie damals Angst gehabt hatte, von den Spielschulden ihres Vaters zu sprechen – und von dem rettenden Geschäft mit Constantines Vater. Sie hatte Angst gehabt, es würde sich negativ auf ihre Verlobung auswirken.

Doch dann war alles noch viel schlimmer gekommen. Constantine glaubte, dass sie ihn mit Absicht hintergangen hatte und von Anfang an lediglich auf sein Geld aus gewesen war. „Ich habe mich dafür bei dir entschuldigt“, erinnerte sie ihn. „Ich war davon ausgegangen, dass dein Vater es dir erzählen würde.“

Constantine schaltete den Motor ab und löste seinen Sicherheitsgurt, bevor er sich ihr zuwandte. Lässig stützte er sich auf der Lehne des Beifahrersitzes ab. Sienna fühlte sich wie in der Falle. Seine Nähe raubte ihr den Atem. „Und das dachtest du ernsthaft, obwohl du gewusst hast, dass mein Vater in geschäftlichen Dingen nicht sehr mitteilsam war?“

Neben ihrem Wagen parkte die schwarze Limousine ein, die ihnen gefolgt war, und kurz darauf ihr kleiner Sportwagen.

Sienna löste ebenfalls ihren Gurt und griff nach ihrer Tasche. „Ich wusste nicht, dass du so vehement gegen die Wiedereinführung der Perlenzucht auf Medinos bist.“

In Wahrheit hatte sie damals die ganze Zeit befürchtet, Constantine zu verlieren. Die restliche Zeit war sie damit beschäftigt gewesen, mit dem Medienrummel zurechtzukommen, den die Bekanntmachung ihrer Verlobung zur Folge gehabt hatte. Es war kein Vergnügen gewesen, wie auf dem Präsentierteller zu leben.

Constantine schaute sie ernst an. „Und ich wusste nicht, dass dieser Vertrag genau einen Tag nach Bekanntgabe unserer Verlobung unterzeichnet worden ist.“

Allmählich verlor sie die Geduld. „Wie oft soll ich es denn noch sagen? Ich hatte mit dem Geschäft nichts zu schaffen. Denk doch mal darüber nach, Constantine. Wenn ich so sehr auf dein Geld aus gewesen wäre, dann hätte ich doch sicher damit gewartet, bis wir verheiratet gewesen wären.“

Daraufhin schwiegen sie sich an, und die Zeit schien sich zu dehnen. Jetzt bekam sie wirklich keine Luft mehr. Hektisch hantierte sie am Türgriff herum. Doch Constantine beugte sich herüber und zog ihre Tür wieder zu. Sienna blieb keine andere Wahl, als zu bleiben, wo sie war.

Sein Ärger verstärkte sich durch den körperlichen Frust, den er empfand, seitdem er sich von Sienna getrennt hatte.

Er fragte sich nicht länger, wie in aller Welt es dazu gekommen war, dass er vor zwei Jahren sofort von Sienna fasziniert gewesen war. Er hatte sie damals gesehen und unvermittelt eine unbändige Lust empfunden. Vorhin bei der Beerdigung hatte allein der Anblick ihrer blonden Haare ausgereicht, sein Verlangen wieder aufflammen zu lassen. Selbst mit verweinten Augen und klitschnass vom Regen war Sienna eine atemberaubend schöne Frau, deren Zartheit jeden Mann dazu brachte, sie beschützen zu wollen.

Ihre Schönheit und Sinnlichkeit brachten ihn noch um den Verstand. Er war nicht nur verrückt nach ihr, sondern auch hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, sie zu beschützen, und der Begierde, sie in sein Bett zu bekommen und zu lieben, bis sie sich ihm bedingungslos hingab.

Es beunruhigte ihn, dass er lieber Zeit damit verbrachte, mit Sienna zu streiten, als sich mit einer anderen Frau zu treffen – gleichgültig, wie attraktiv oder hingebungsvoll sie auch sein mochte.

„Ich hatte angenommen, dass du nur aus dem Grunde nichts von dem Kredit gesagt hast, weil dein Vater das Geld zu verzweifelt brauchte, um auf meine Einwilligung zu warten“, kam er auf das eigentliche Thema zurück. Kühl sah er sie an.

Als sie erblasste, wusste er, dass er zu weit gegangen war. Unmittelbar darauf überzog Zornesröte ihre Wangen. „Oder vielleicht hast du ja auch geglaubt, dass ich einfach nur Anweisungen befolgt habe.“ Ihre Lippen waren immer noch blass.

Er schluckte. „Nein“, entgegnete er.

Nahezu vier Jahre lang war Sienna die hochgeschätzte Junior­chefin von Roberto Ambrosis Firma gewesen. Geschickt und mit wirtschaftlichem Sachverstand hatte sie das Familienunternehmen geleitet, während ihr Vater die Gewinne in den Kasinos wieder verspielt hatte. Sie hatte wahrscheinlich noch in der Wiege gelegen, als sie das letzte Mal einen Befehl von Roberto ausgeführt hatte. Wenn sie eine Schwäche gehabt hatte, dann die, dass sie dringend Geld benötigte.

Sein Geld.

Und daran hatte sich nichts geändert.

Sie atmete tief ein, und fasziniert sah er, wie ihre Brüste sich hoben und senkten. Er beugte sich ein wenig zu ihr. Sofort spürte er ihren warmen Atem. Ihr verführerischer Duft schien seine Sinne zu umschmeicheln und weckte sinnliche Erinnerungen an ihre gemeinsame Vergangenheit …

Ein leichtes Klopfen an das Fenster der Beifahrertür löste die knisternde Spannung zwischen ihnen unvermittelt auf. Es war einer seiner Bodyguards.

Constantine ließ den Türgriff los und sah scheinbar gelassen zu, wie Sienna aus dem Wagen stieg und ihre Autoschlüssel entgegennahm.

Als er ebenfalls ausgestiegen war, wurde er von der schwülen Nachmittagsluft fast überwältigt. Er gab dem Leibwächter einige Anweisungen. In den vergangenen vier Tagen hatte er kaum eine Minute ohne Eskorte zugebracht, aber für die nächste Stunde benötigte er völlige Privatsphäre.

Er zog das feuchte Jackett aus und warf es achtlos auf den Rücksitz seines Wagens. Stirnrunzelnd nahm er zur Kenntnis, wie Lucas mit Sienna sprach. Offensichtlich drückte sein Bruder Sienna lediglich sein Beileid aus, aber ihr Lächeln beunruhigte ihn.

Zweifellos war Lucas ein echter Atraeus durch und durch, aber nach den knisternden Momenten mit Sienna im Auto wollte Constantine nicht daran erinnert werden, wie erfolgreich sein Bruder bei Frauen war.

Constantine ging auf Sienna zu, die gerade im Begriff war, ihr Mobiltelefon aus der Tasche zu ziehen, um einen Anruf anzunehmen.

„Bist du sicher, dass du weißt, was du tust?“, fragte Lucas ihn unter vier Augen.

„Ja, ganz sicher.“

„Auf dem Friedhof hat es aber gar nicht wie ein geschäftliches Gespräch gewirkt. Eben gerade übrigens auch nicht.“

Constantine bedachte seinen Bruder mit einem eisigen Blick. „Denke einfach immer nur daran, dass Sienna Ambrosi meine Angelegenheit ist.“

„Das war klar und deutlich“, erwiderte Lucas stirnrunzelnd.

Angespannt beobachtete Constantine, wie Lucas in die Limousine einstieg, und hob kurz die Hand, als der Wagen losfuhr. Vielleicht war es überflüssig gewesen, ihm sozusagen einen Schuss vor den Bug zu verpassen, doch das, was er für Sienna empfand, hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Sienna Ambrosi gehört ihm – so lange, bis er sie endlich ein für alle Mal vergessen würde.

Während er darauf wartete, dass Sienna ihren Anruf beendete, dachte er über die vergangene Stunde nach. Vom ersten Moment an, als er Sienna auf der Beerdigung wiedergesehen hatte, hatte er sich von ihr angezogen gefühlt.

Constantine kannte sich mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass er stets erreichte, was er sich vornahm. Wenn es um Geschäfte ging, schreckte er nie davor zurück, harte Entscheidungen zu fällen, solange es dem Wohl seines heiß geliebten Familienunternehmens diente. Das war auch vor zwei Jahren der Fall gewesen, als er beschlossen hatte, jegliche Verbindung zu Sienna und ihrer Familie abzubrechen.

Er setzte sich seine Sonnenbrille auf, verschränkte die Arme vor der Brust und bewunderte den atemberaubenden Anblick von Siennas zartem Teint, ihre dunklen Augen, das blonde Haar und ihre sinnlichen Lippen.

Im Zuge seiner Ermittlungen gegen Ambrosi-Pearls hatten seine Leute ihm einen Untersuchungsbericht vorgelegt, aus dem hervorging, dass Sienna wenigstens drei Mal Kontakt zu Alex Panopoulos, einem wohlhabenden Geschäftsmann, gehabt hatte. Zu gut erinnerte er sich an den Moment blinder Wut, als er sich vorgestellt hatte, dass Panopoulos möglicherweise Siennas Liebhaber sein könnte.

Rasch hatte er versucht, diese Vorstellung zu verdrängen.

Laut dem Privatdetektiv, der den Griechen näher unter die Lupe genommen hatte, war Panopoulos auf „Beutezug“. Doch bisher war ihm keine der beiden Ambrosi-Schwestern ins Netz gegangen.

Sienna entging nicht, wie angespannt Constantine wirkte, als sie ihr Telefonat mit Carla beendet hatte. Ihre Schwester hatte sich Sorgen gemacht, dass sie in die Fänge der Presseleute geraten sein könnte.

„Wo wollen wir reden?“, fragte Constantine. „Bei dir oder bei mir?“

Sienna verstaute das Telefon wieder in ihrer Handtasche. Allein der Gedanke an Constantines Apartment ließ sie schaudern, denn sie verband damit nicht nur Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit. Wesentlich erschreckender war, dass Constantine ihre Beziehung dort beendet hatte.

Allerdings war die Vorstellung, Constantine in ihr geheiligtes Zuhause zu bringen, ebenso unerträglich für sie. „Bei keinem von uns.“

„Ich habe jetzt ein Haus an der Küste“, wandte er ein. „Das Apartment habe ich verkauft.“

„Ich dachte, du lebst gerne in der Stadt.“

„Ich habe meine Meinung geändert.“

So, wie er damals auch seine Meinung über sie geändert hatte – von einem Tag auf den anderen, aber unmissverständlich und ohne einen Blick zurück.

Er öffnete die Tür ihres kleinen Sportwagens. Nervös nahm sie auf der Fahrerseite Platz und versuchte, Constantine nicht zu berühren. „Carla hat Mom zum Lunch bei Tante Via mitgenommen. Die nächsten Stunden sind sie also beschäftigt. Wir können uns im Haus meiner Eltern am Pier Point treffen. Dort lebe ich seit Dads Tod.“

Constantine schloss ihre Fahrertür und beugte sich zu ihr hinab. „Das erklärt also, warum ich dich nicht in deinem Apartment angetroffen habe. Aber nicht, warum du meine Anrufe bei dir im Büro nicht erwidert hast.“

„Wenn es so dringend gewesen ist, hättest du bei meiner Mutter anrufen können.“

„Das habe ich zwei Mal getan“, erwiderte er grimmig. „Und beide Male hatte ich Carla dran.“

Schuldbewusst dachte Sienna daran, wie besorgt Carla schon die ganze Zeit um sie war, seit sich Constantine von ihr getrennt hatte. Constantine hatte keinen Erfolg gehabt, weil ihre Schwester sie beschützte.

„Das tut mir leid“, entgegnete Sienna, doch in ihrer Stimme klang kein Bedauern mit. „Die Presse hat schließlich so sehr genervt, dass wir beschlossen haben, ins Strandhaus umzuziehen.“

Die Nachrichten, die Constantine in ihrem Büro hinterlassen hatte, hatte Sienna geflissentlich ignoriert, weil sie fieberhaft damit beschäftigt gewesen war, die chaotischen Geschäfte ihres Vaters zu ordnen. Die Aussicht, Constantine zurückzurufen, war ihr genauso wenig verlockend erschienen wie die Vorstellung, mit erbosten Kreditgebern zu sprechen, die auf ihr Geld warteten.

„Warum treffen wir uns dann nicht einfach auf neutralem Boden, wenn Pier Point feindliches Gebiet ist?“

Hörte sie da etwa eine leichte Belustigung aus seiner Bemerkung heraus?

Nein, was auch immer Constantine fühlte, es war ganz bestimmt keine Erheiterung. Vielmehr kam er ihr wie ein entschlossener Jäger vor. Das war ihr bereits auf dem Friedhof aufgefallen, und später auf dem Parkplatz hatte sich ihr Eindruck verstärkt.

Die ungute Vorahnung, die sie vorhin beschlichen hatte, überkam sie von Neuem, und sie spürte, wie sich ihr Pulsschlag beschleunigte.

Plötzlich fühlte sie sich so erschöpft von der Anspannung der vergangenen Stunden, dass sie spontan den Motor startete und den Gurt anlegte. „Das Strandhaus liegt so weit abseits, dass die Presseleute uns dort in Ruhe lassen werden. Wenn unser Gespräch die Richtung annimmt, von der ich ausgehe, dann treffen wir uns besser dort.“

„Sei doch so freundlich und verrate mir, was du damit meinst?“

„Um was sollte es in einem Gespräch mit Constantine Atraeus schon gehen?“, entgegnete sie und zwang sich zu einem Lächeln. „Lass mich mal nachdenken … Es gibt zwei Möglichkeiten: Sex oder Geld. Weil es vermutlich nicht um Sex geht, tippe ich auf das Letztere.“

3. KAPITEL

Obwohl es um Geld gehen sollte, war Sienna sich auf dem Weg nach Pier Point plötzlich nicht mehr so sicher, ob nicht auch Sex ein Thema zwischen ihnen werden würde.

Constantine folgte ihr in seinem Audi so dichtauf, dass sie sich ein wenig getrieben vorkam. Als sie vorhin bei ihm im Wagen gesessen hatte, war ihr nicht entgangen, wie sehr er sie begehrte. Er hatte keinen Hehl daraus gemacht, und sie hatte das seltsame Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben.

Den ersten Kuss hatte er ihr damals in seinem Wagen gegeben. Dabei hatte er zuerst sanft ihr Gesicht umfasst und sich dann zu ihr heruntergebeugt. Er war mit seinen Lippen immer näher gekommen … Bis sie schließlich ihre Vorsicht über Bord geworfen und die Arme um seinen Nacken geschlungen hatte. Und dann hatten sie sich geküsst. Ein Kuss, den sie niemals vergessen würde. Selbst damals, als sie ihn erst wenige Stunden gekannt hatte, war sie wie berauscht von seiner Ausstrahlung gewesen. Sie war nicht imstande gewesen, ihm zu widerstehen, und das hatte er sehr wohl gewusst.

Sie versuchte, die lebhafte Erinnerung zu verdrängen, setzte den Blinker und bog in die Einfahrt ihrer Mutter ein. Innerlich schalt sie sich dafür, dass sie sich von ihren nostalgischen Träumereien ablenken ließ. Sie war gerade erst mit Constantine aneinandergeraten – am Grab ihres Vaters! Und auch wenn Constantine sie jetzt – wieder – begehrte, sollte sie dem nicht zu viel Bedeutung beimessen. Er war eben ein Mann. In den vergangenen zwei Jahren hatte er sich mit mehreren reichen und schönen Damen getroffen, jede einzelne von ihnen eine mögliche zukünftige Mrs. Constantine Atraeus.

Unmittelbar nach Sienna fuhr Constantine in die Einfahrt und folgte ihr durch die kurvige Auffahrt, wobei sich ihr Eindruck verstärkte, von ihm gejagt zu werden. Per Fernsteuerung schloss sie die Tore der Zufahrt und parkte den Wagen. Dann stieg sie aus und überquerte langsam den gepflasterten Hof, der zu dem alten Haus auf dem Kliff führte.

Constantine kam auf sie zu. Er hatte sich die Hemdsärmel hochgerollt, sodass seine muskulösen, sonnengebräunten Unterarme zu sehen waren. Als sie die Eingangstür aufschloss und spürte, wie er ihr in den sonnendurchfluteten Flur folgte, bemerkte sie verärgert, dass ihr Herz vor Aufregung schneller schlug als sonst.

Höflich ließ er ihr den Vortritt, doch sie fühlte sich eher wie ein Beutetier, das von einer großen Raubkatze belauert wurde.

„Was ist mit der Einrichtung passiert?“, fragte er, und beim unvermittelten Klang seiner dunklen Stimme schien sich ihr Herzschlag weiter zu beschleunigen. Geschäft hin oder her – plötzlich war ihr die Vorstellung beinahe unerträglich, allein mit ihm in dem nahezu leeren Haus zu sein.

Flüchtig blickte sie auf die leeren Wände, die einst zahlreiche kostbare Bilder geziert hatten. „Alles verkauft.“ Sie lächelte gequält. „Es ist alles unter den Hammer gekommen, zusammen mit dem gesamten Schmuck meiner Mutter sowie dem von Carla und mir. Auch die Perlen sind fort. Ist das nicht Ironie des Schicksals? Wir besitzen einen Perlenhandel, aber wir können uns unsere eigenen Perlen nicht mehr leisten.“

Sie stieß die verzierte Doppeltür auf, die ins Arbeitszimmer ihres Vaters führte, und trat einen Schritt zur Seite, um Constantine vorbeizulassen. In dem Raum befanden sich lediglich ein Schreibtisch und einige Stühle.

Er ließ den Blick über die Reihen leerer Mahagoniregale schweifen, die einst eine wertvolle Büchersammlung beherbergt hatten. Sie spürte genau, dass er jetzt erst erkannte, was für ein Scherbenhaufen das Leben der Ambrosis geworden war. Sie hatten alles zum Wohle der Firma verkauft, und weder ihr noch Carla oder ihrer Mutter war irgendetwas geblieben.

„Was hat er eigentlich nicht verkauft, um seine Spielschulden zu bezahlen?“, fragte Constantine und sah zu den ebenfalls leeren Wänden und hoch zur Stelle an der Decke, wo einst ein Kronleuchter gehangen hatte.

„Uns gehören immer noch das Haus und das Geschäft. Das ist nicht viel, aber ein Anfang. Wir beschäftigen über einhundert Angestellte, und einige von ihnen arbeiten schon seit Jahrzehnten für uns. Es ist uns also nicht schwergefallen, unseren Besitz zu verkaufen, wenn wir dadurch diesen Menschen ihren Arbeitsplatz erhalten können.“

Sie erwartete nicht, dass Constantine das verstehen würde, da allgemein bekannt war, was für knallharte Geschäftspraktiken er anwandte. „Warte hier“, fügte sie steif hinzu. „Ich hole Handtücher.“

Froh darüber, ihm entkommen zu können, ging sie nach oben in ihr Zimmer. Rasch entledigte sie sich ihrer durchnässten Schuhe. Bei einem flüchtigen Blick in den Spiegel über ihrer Kommode stellte sie beschämt fest, dass ihre Augen glänzten und ihre Wangen leicht gerötet waren. Zusammen mit dem nassen Kleid und ihrem feuchten Haar machte sie einen geradezu sinnlichen Eindruck.

Im Bad frottierte sie ihr Haar, kämmte es und beschloss, das Kleid anzubehalten, das in der Zwischenzeit nahezu getrocknet war. Auf keinen Fall wollte sie den Anschein erwecken, Constantine beeindrucken zu wollen. Es sollte ihr egal sein, ob er sie attraktiv fand oder nicht. Je schneller dieses Gespräch vorüber war, desto besser.

Nachdem sie ein frisches Handtuch aus dem Regal gezogen hatte, ging sie wieder nach unten. Als sie das Arbeitszimmer betrat, wandte Constantine sich zu ihr um und sah ihr kurz in die Augen. Bis dahin hatte er offensichtlich den atemberaubenden Ausblick auf den Pazifischen Ozean genossen.

Siennas Atem beschleunigte sich, und als sie ihm das Handtuch reichte, achtete sie sorgfältig darauf, dass ihre Finger sich nicht berührten. „Wir besitzen nicht mehr viel außer diesem Haus. Und das auch nur, weil Mom ihr Haus in der Stadt verkauft hat. Allerdings ist dieses völlig mit Schulden belastet.“

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie auch das Strandhaus verlieren würden.

Constantine trocknete sich nur flüchtig das Haar, bevor er das Handtuch über eine Stuhllehne legte. „Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm aussieht.“

Er hatte nur von den enormen Spielschulden ihres Vaters gewusst. „Woher denn auch? Schließlich hat Ambrosi-Pearls weder mit Medinos noch mit der Atraeus-Group etwas zu schaffen.“

Sein Gesichtsausdruck änderte sich kaum merklich, und er schien sie nicht länger zu bedauern. Gut, dachte sie erleichtert. Vielleicht befreite sie ein nüchternes Geschäftsgespräch von dieser lästigen sexuellen Erregung, die sich einfach nicht abschütteln ließ, seitdem sie Constantine wieder begegnet war.

Sie forderte ihn auf, sich zu setzen, und ging hinter den ehemaligen Schreibtisch ihres Vaters, um ihre neue Rolle als Firmenchefin von Ambrosi-Pearls zu betonen. „Nicht viele Leute wissen, wie es finanziell um Ambrosi bestellt ist, und ich würde es sehr begrüßen, wenn es dabei bliebe. Es fällt mir auch so schon schwer genug, unsere Geschäftskunden davon zu überzeugen, dass wir über ausreichend Mittel verfügen.“

Constantine übersah geflissentlich den angebotenen Stuhl und blieb mit verschränkten Armen vor dem Tisch stehen. In Bezug auf die dominierende Körpersprache befanden sie sich jetzt in einer Pattsituation.

Nur mühsam gelang es Sienna, den Blick von seinem feuchten Hemd abzuwenden und seiner überwältigenden maskulinen Aura zu widerstehen, die Constantine Atraeus wie ein Schild zu umgeben schien.

„Es ist bestimmt nicht einfach gewesen, ein Geschäft zu führen, dessen Chef ein Spieler gewesen ist.“

Diese Bemerkung genügte, um Sienna fast die Beherrschung verlieren zu lassen. Endlich kam er auf das Thema zu sprechen, über das er vor zwei Jahren nicht reden wollte. „Ich schätze, du kannst das nicht verstehen“, sagte sie, äußerlich kühl bleibend. „Oder hat dein Vater etwa gespielt?“

„Auf vernünftige Weise, ja“, erwiderte Constantine stirnrunzelnd.

„Natürlich.“ Schließlich war Lorenzo Atraeus ein vorbildlicher Geschäftsmann gewesen. „Dein Vater hat an der Börse spekuliert, immer mit abschätzbarem Risiko und besten Hintergrundinformationen. Wir sprechen hier aber von meinem Vater, der nicht nur ein schlechter Geschäftsmann war, sondern auch noch das Geld am Blackjack-Tisch verloren hat.“ Ihr Herz schlug so laut, dass sie befürchtete, Constantine könnte es hören. „Du hast also gar keine Ahnung, was es bedeutet, ständig alles zu verlieren, weil ein Familienmitglied sich nicht unter Kontrolle hat.“

„Meine Familie hat gewisse Erfahrungen mit Verlust“, entgegnete Constantine ernst, und sie erinnerte sich daran, dass die Atraeus’ jahrelang auf Medinos in Armut gelebt und Ziegen gezüchtet hatten. Constantines Großvater war ein Angestellter ihres Großvaters gewesen, bis die Ambrosis ihre Perlenzucht während eines Bombenangriffs im Zweiten Weltkrieg verloren hatten. Doch das alles gehörte längst der Vergangenheit an.

Angespannt beugte sie sich vor. „Du kannst mir glauben, dass es mir nicht leichtgefallen ist, die Firma zu leiten, während mein Vater alles verspielt hat.“

Constantine legte die Hände flach auf den Tisch und beugte sich ebenfalls vor, sodass sich ihre Gesichter gefährlich nahe kamen. „Wenn es so furchtbar war, warum bist du dann nicht rechtzeitig ausgestiegen?“

Mit einem Mal schien die Vergangenheit zu neuem Leben zu erwachen, und Sienna verspürte eine seltsame Freude an diesem Streit. Vielleicht lag es an dem Stress der vergangenen Tage oder daran, dass sie es einfach leid war, ständig die Wahrheit zu verbergen. „Ach, ja? Sollte ich etwa meine Familie und all die Arbeiter von Ambrosi im Stich lassen? Das ist für mich nie infrage gekommen, und ich hoffe, dass es auch dabei bleibt.“ Sie atmete tief durch. „Das wiederum führt uns zu dem Gespräch, das du so dringend mit mir führen wolltest. Wie viel schulden wir euch?“

„Hast du gewusst, dass dein Dad vor zwei Monaten nach Medinos geflogen ist?“

„Nein“, entgegnete sie mit unbewegtem Gesicht.

„Dann weißt du auch nicht, dass er immer noch vorhatte, den Perlenhandel dort wiederzubeleben?“

„Völlig unmöglich.“ Trotzdem verspürte sie plötzlich ein flaues Gefühl in der Magengegend. „Wir hatten ja gerade einmal ausreichend Kapital, um unsere Geschäfte in Sydney aufrechtzuerhalten. Wir wären gar nicht in der Lage gewesen, zu expandieren.“

Etwas in Constantines Blick verriet ihr, dass er zu einer Entscheidung gekommen sein musste – worüber auch immer. Denn er schob ihr ein Dokument zu, das er während ihrer Abwesenheit vorhin auf den Tisch gelegt haben musste. Sorgfältig las Sienna, was darauf geschrieben stand. Plötzlich fühlte sie sich ganz schwach auf den Beinen. Sie verspürte den Drang, sich zu setzen, was sie dann auch tat, um ungläubig den Text erneut zu überfliegen.

Hier handelte es sich nicht nur um einen Kredit, sondern um gleich mehrere Anleihen, die Roberto Ambrosi laut Unterlagen in den Neuaufbau der Perlenzucht auf Medinos stecken wollte. Sienna hatte so etwas befürchtet – die Beträge deckten sich mit den Geldeingängen, die sie in den Unterlagen ihres Vaters gefunden hatte. Sie hatte jedoch die ganze Zeit gehofft, dass es eine andere Erklärung gäbe, das wurde ihr nun bewusst.

Sie hob den Kopf und stellte fest, dass Constantine sie aufmerksam beobachtete. „Warum hat Lorenzo meinem Vater überhaupt etwas geliehen? Er hat doch von seiner Spielsucht gewusst.“

„Mein Vater ist zu diesem Zeitpunkt bereits schwer krank und nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen. Als er vor einem Monat starb, wussten wir, dass Geld fehlte. Doch die Dokumente mit den Darlehen an deinen Vater sind erst vor fünf Tagen aufgetaucht.“

„Warum hast du ihn denn nicht aufgehalten?“, fragte sie erbost.

„Glaub mir, wenn ich da gewesen wäre, hätte ich das sicherlich getan. Aber ich war nicht da. Ich war zu der Zeit im Ausland.“ Ungeduldig rieb sich Constantine den Nacken. „Ich sehe, dass du langsam verstehst. Dein Vater hat sowohl die Ausgaben von Ambrosi-Pearls als auch seine Spielsucht mit dem Geld der Atraeus-Group finanziert. Dafür hat er einem sterbenden Mann etwas von einem Geschäft in dessen geliebter Heimat erzählt und ihn dazu gebracht, das Geld an unseren Anwälten vorbeizuschmuggeln. Dabei bezweifle ich, dass dein Vater dieses Geschäft jemals ernsthaft aufziehen wollte.“

Mit anderen Worten: Ihr Vater hatte Constantines Vater betrogen.

Jetzt begannen die Fragen der Reporter allmählich einen Sinn zu ergeben. „Das hast du der Presse erzählt?“

„Du solltest mich eigentlich besser kennen.“

Seltsamerweise verspürte sie Erleichterung, als sie das hörte. Es machte sie glücklich, dass nicht Constantine derjenige war, der die Medien informiert hatte. Vermutlich war es einer der Angestellten gewesen, der den Mund nicht hatte halten können.

Während Sienna auf die vorliegenden Zahlen starrte, verflüchtigte sich ihre Erleichterung allerdings schnell wieder. Schließlich sah sie auf und durch das Fenster auf den scheinbar unendlichen Ozean hinaus, während sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Es musste doch einen Weg aus dieser verfahrenen Lage geben! Schon oft hatte sie die Firma aus anscheinend hoffnungslosen Situationen gerettet. Sie benötigte lediglich etwas Zeit zum Nachdenken. Jetzt wurde ihr klar, weswegen Constantine sie auf der Beerdigung angesprochen und sie beim Lesen des Dokuments so aufmerksam beobachtet hatte.

Sie sah ihn an. „Du hast geglaubt, dass ich davon wusste.“

Sein Gesichtsausdruck gab nichts preis.

Doch ihre Welt schien zusammenzubrechen, und Sienna sprang so schnell auf, dass sie dabei versehentlich die Papiere vom Tisch fegte, doch das kümmerte sie nicht.

Als Lorenzo Atraeus gestorben war, hatte er sein riesiges Vermögen – bestehend aus einer Goldmine sowie einer Luxushotelkette – seinen drei Söhnen Constantine, Lucas und Zane vermacht.

Sienna begriff, dass Ambrosi-Pearls nun dem größten Anteilseigner der Atraeus-Group unterstand – mit anderen Worten: Constantine.

„Ah, jetzt verstehst du es wohl langsam“, sagte er. „Wenn du mir das Geld nicht zurückgeben kannst, gehört mir Ambrosi-Pearls mit allem Drum und Dran.“

4. KAPITEL

Das Vibrieren eines Mobiltelefons unterbrach ihr spannungsgeladenes Schweigen. Erleichtert nahm Constantine den Anruf entgegen. Auf diese Weise konnte er ein wenig Abstand zu der Situation gewinnen, die ihm zu entgleiten drohte.

Er hatte Sienna vorhin geradezu bedroht, etwas, was er normalerweise nie tat – noch nicht einmal, wenn er es mit aalglatten Geschäftspartnern zu tun hatte. Sein Verhalten war unentschuldbar, zumal er sich nun sicher war, dass Sienna nichts von den Taten ihres Vaters gewusst hatte. Der Anstand hätte es erfordert, sich zurückzuziehen und vorzuschlagen, das Meeting zu einem anderen Zeitpunkt fortzusetzen. Damit hätte er verhindert, sich Siennas Zuneigung ein für alle Mal zu verscherzen.

Leider hatte ihre kämpferische Haltung eine gegenteilige Wirkung auf ihn gehabt. Als er ihre geröteten Wangen und das kriegerische Feuer in ihrem Blick gesehen hatte, fühlte er sich in jene Zeit zurückversetzt, als sie eng umschlungen leidenschaftliche Nächte miteinander verbracht hatten. Es fiel ihm äußerst schwer, taktisch vorzugehen, wenn er dabei den unbändigen Wunsch verspürte, sie zu küssen.

Zudem fiel ihm auf, dass sie ihm früher nie so offen und freimütig vorgekommen war. Selbst im Bett hatte er stets das Gefühl gehabt, dass sie sich zurückhielt. Es schien einen Teil von ihr zu geben, der unerreichbar für ihn blieb. Insgeheim hatte er immer befürchtet, dass Ambrosi-Pearls ihr mehr als alles andere im Leben bedeutete – sogar mehr als er.

Zu allem Überfluss hatte er auch noch die alten Zeiten erwähnt, in denen seine Familie arm wie die Kirchenmäuse gewesen war. Da er eigentlich vorgehabt hatte, Sienna zurück in sein Bett zu bekommen, war es wohl kein sehr cleverer Schachzug gewesen, sie daran zu erinnern, dass er der Enkel eines Gärtners war.

Das Handy am Ohr hielt er den Blick aus dem Fenster gerichtet, während er mit seinem persönlichen Assistenten telefonierte. Tomas hatte schon mehrmals versucht, ihn während der vergangenen Stunde zu erreichen. Zwar war Constantine bewusst gewesen, dass er einige Anrufe verpasst hatte, doch zum ersten Mal in seinem Leben war ihm etwas anderes wichtiger gewesen als das Geschäft.

Auch das war völlig untypisch für ihn.

Als Constantine das Gespräch beendet hatte, beobachtete er Sienna dabei, wie sie die Papiere ein weiteres Mal las, die sie vom Boden aufgehoben und fein säuberlich vor sich auf den Schreibtisch gelegt hatte. Selbst in ihrem zerknitterten Kleid und ohne Make-up strahlte sie die Eleganz und Würde einer Dame aus.

Draußen auf dem Hof wurde eine Wagentür zugeschlagen. Kurz darauf erklang das Klackern hochhackiger Schuhe, bevor die Eingangstür geöffnet wurde.

Constantine bemerkte den Ausdruck blanker Verzweiflung in Siennas Blick, und die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Er hatte das Unrecht, das man seinem Vater angetan hatte, wieder zurechtrücken wollen. Aber Sienna war ebenso fest entschlossen, ihre Familie und ganz besonders ihre Mutter zu schützen. Vor ihm, wie er ernüchtert feststellte. „Mach dir keine Sorgen“, sagte er. „Ich werde es ihr nicht erzählen.“

Voller Erleichterung sah Sienna Constantine an, dann betrat Margaret Ambrosi, gefolgt von ihrer Tochter Carla, den Raum.

„Was geht hier vor?“, fragte ihre Mutter in jenem unterkühlten Tonfall, der vermutlich von dreißig Jahren Ehe mit einem Mann herrührte, der ihr nur selten Anlass zur Freude gegeben hatte. „Und versucht bloß keine Ausreden, denn ich weiß, dass etwas nicht stimmt.“

„Mrs. Ambrosi“, sagte Constantine sanfter, als Sienna ihn je mit ihr hatte sprechen hören. „Mein Beileid. Sienna und ich haben gerade über die Einzelheiten eines Geschäftes gesprochen, das Ihr Ehemann vor einigen Monaten in die Wege geleitet hat.“

Carla wirkte sichtlich angespannt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dad irgendeine Transaktion durchgeführt haben soll, ohne …“

Doch Margaret Ambrosi bedeutete ihr mit einem Handzeichen, zu schweigen. „Deswegen ist Roberto also nach Europa gereist. Ich hätte es mir denken können. Er ist nach Medinos geflogen.“

„Ganz recht“, bestätigte Constantine ruhig. Sienna hätte ihn trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten in diesem Augenblick dafür umarmen können.

Einer der Gründe, warum sie sich vor zwei Jahren so sehr in Constantine verliebt hatte, war die leidenschaftliche Art, mit der er seine Familie liebte und bereit war, sie zu beschützen. Das hatte sie besonders anziehend gefunden, da sie selbst seit Jahren mit einem Vater zu tun hatte, der stets seine eigenen Interessen über die der anderen Familienmitglieder gestellt hatte.

Als sie damals von dem heimlichen Deal zwischen ihrem Vater und Roberto Atraeus erfahren hatte, hatte sie zu viel Angst gehabt, um darüber zu sprechen. Und es war tatsächlich eingetroffen, was sie am meisten befürchtet hatte: Sobald Constantine von dem fragwürdigen Geschäft ihrer Väter Wind bekam, hatte er Sienna unverzüglich verlassen.

Überrascht stellte sie fest, dass diese Erinnerung auch nach zwei Jahren noch die Macht besaß, ihr Schmerz zuzufügen.

Constantine sah auf seine Uhr. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, aber ich habe noch eine andere Verabredung. Ich möchte jedoch nochmals mein Bedauern über Ihren Verlust zum Ausdruck bringen.“

Er sah Sienna kurz in die Augen, und sie las in seinem Blick, dass das Gespräch zwischen ihnen ein anderes Mal fortgesetzt werden würde.

„Ich bringe dich raus.“ Nachdem sie die Dokumente in einer Schublade verstaut hatte, folgte sie Constantine in den leeren Flur. Sie wollte ihn möglichst schnell aus dem Haus haben, damit ihre Mutter nicht doch noch etwas mitbekam.

Das helle Sonnenlicht blendete sie draußen auf der Treppe, und Constantine legte seine Hand um ihren Ellenbogen.

Es war lediglich eine Geste der Höflichkeit, doch sie genügte, um Sienna erneut seine Nähe bewusst werden zu lassen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Rasch ging sie voran, um sich seiner Berührung zu entziehen. Ihre Haut kribbelte bereits erwartungsvoll. Mehr und mehr wurde ihr klar, dass Constantine keineswegs unglücklich darüber war, auf einmal so viel Macht über Ambrosi-Pearls zu haben. Sie ahnte, dass sich hinter seinem Geschäftsgebaren durchaus persönliche Beweggründe verbargen.

Mit einem flauen Gefühl im Magen dachte sie an die spannungsgeladenen Momente in seinem Wagen. Noch vor zwei Stunden hatte sie nicht einen Gedanken an Constantine Atraeus verschwendet, da sie ihn und alles, was nicht mit ihrem Unternehmen oder der Beerdigung ihres Vaters im Zusammenhang stand, komplett ausgeblendet hatte. Doch jetzt war sie kaum noch in der Lage, an etwas anderes als an ihn zu denken. „Danke, dass du meiner Mom nichts von dem Kredit gesagt hast.“

„Wenn ich angenommen hätte, dass deine Mutter damit zu tun hat, hätte ich es getan.“

„Das bedeutet also, du denkst, ich hätte damit zu tun?“, fragte sie streitlustig. Mit einem Mal kam er ihr gar nicht mehr so wahnsinnig anziehend vor.

Constantine drückte auf den Autoschlüssel, und die Türverriegelung des Audis öffnete sich mit einem satten Klang, dem man förmlich anhörte, wie teuer der Wagen gewesen sein musste. „Warum auch nicht? Immerhin leitest du praktisch seit achtzehn Monaten Ambrosi-Pearls und bezahlst Robertos Schulden.“

Aus ihrem Wagen holte sie die Fernsteuerung für die Tore an der Einfahrt hervor. Je eher Constantine abfuhr, umso besser. „Ja, indem ich Vermögenswerte der Familie verkaufe, damit wir uns nicht noch mehr verschulden.“

„Wir haben eine Menge zu besprechen“, entgegnete er. „Da ich jetzt aber keine Zeit habe, muss unser Gespräch bis heute Abend warten. Ich schicke dir gegen acht Uhr einen Wagen. Wir können dann beim Dinner weiterreden.“

Ihre Anspannung wuchs. Ein gemeinsames Dinner klang eigentlich gar nicht so sehr nach Geschäft, aber das ergab keinen Sinn. In den vergangenen zwei Jahren hatte er nicht einmal einen Versuch unternommen, mit ihr in Verbindung zu treten. In den ersten Monaten nach ihrer Trennung hatte sie sehnsüchtig darauf gehofft, dass er anrufen oder einfach vor ihrer Tür stehen und sich bei ihr entschuldigen würde, um ihnen beiden noch einmal eine Chance zu geben. Doch das hatte er nicht getan. Eigentlich war das im Nachhinein sogar besser für sie gewesen, denn so hatte sie über ihn hinwegkommen können. Falls er jetzt dachte, dass sie sich Hals über Kopf auf eine Affäre mit ihm einlassen würde, dann hatte er sich geirrt. „Falls es dir nicht aufgefallen sein sollte, ich habe heute meinen Vater beerdigt. Wir werden reden. Aber erst in ein paar Tagen.“

Das würde ihr etwas Zeit verschaffen, ihren Steuerberater zu konsultieren und sich weitere Informationen zu beschaffen. Zwar bestand nur eine geringe Aussicht darauf, dass sie in der Kürze der Zeit das benötigte Geld auftreiben könnte, aber sie wollte es wenigstens versuchen. Außerdem würde es ihr die Gelegenheit bieten, sich von der überwältigenden Wirkung zu erholen, die Constantine auf sie hatte.

Sie konnte ihn nicht mehr leiden, beschloss sie, geschweige denn lieben. Sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Das alles gehörte der Vergangenheit an.

Autor

Fiona Brand
Fiona Brand ist eine Autorin aus Neuseeland. Derzeit lebt Sie an der wunderschönen „Bay of Islands“, einem subtropischen Paradies zum Angeln und Tauchen. Dort genießt Sie die traumhafte Natur zusammen mit ihren beiden Söhnen, zwei Wellensittichen und einem Goldfisch.

Sie liebt Bücher seit sie alt genug ist Seiten umzublättern Mit...
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