Julia Collection Band 62

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BEGEGNUNG IN PHILADELPHIA von DARCY, LILIAN
Der Ball der Superreichen! Nur hier kann Catrina inkognito einen Rettungsversuch für das Haus starten, in dem sie mit ihren Schwestern lebt. Doch der Millionär Patrick Callahan kommt ihr auf die Schliche. Deshalb muss sie ihn abblitzen lassen. So schwer ihr das auch fällt ?

BLEIB BEI MIR, CINDERELLA von DARCY, LILIAN
Dass die schöne Jill als Cinderella verkleidet dem Cowboy Gray McCall das Jawort gibt, ist nur Teil einer TV-Show. Sie wird ihn schnell wieder um die Scheidung bitten - schließlich muss sie bald den ungeliebten Alan heiraten. Dabei zieht sie der umwerfende Gray wirklich an ?

DER PRINZ VON ARAGOVIA von DARCY, LILIAN
Die zukünftige Regentin von Aragovia! Stephen geht das Herz auf, als er die Neugeborene sieht. Sofort will der Prinz von Aragovia die Kleine in sein Heimatland mitnehmen. Doch wird auch die betörende Suzanne ihn begleiten, die sich so rührend um das Baby kümmert?


  • Erscheinungstag 01.11.2013
  • Bandnummer 62
  • ISBN / Artikelnummer 9783733703196
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lilian Darcy

JULIA COLLECTION BAND 62

Ein Prinz für Aschenputtel

LILIAN DARCY

Begegnung in Philadelphia

Auf einem glamourösen Ball der Superreichen spürt der smarte Computer-Millionär Patrick Callahan gleich: Mit der anziehenden Catrina stimmt etwas nicht. Womöglich hat sie sich nur hereingeschmuggelt und ist gar keine von ihnen! Trotzdem ist Patrick von ihr schlicht hingerissen – nicht ahnend, was die reizende Catrina wirklich im Schilde führt …

Bleib bei mir, Cinderella

Gray McCall muss die bezaubernde Jill einfach befreien! Bei einer TV-Show soll sie an einen finsteren Typen versteigert werden. Also überbietet der faszinierende Cowboy ihn! Dabei hat Gray selbst schon genug Probleme. Die schöne Frau könnte aber vielleicht seine Rettung sein. Wäre Jill nur nicht schon einem anderen versprochen …

Der Prinz von Aragovia

Wie süß die kleine Alice ist! Nach dem Tod der Mutter ist es für Suzanne Ehrensache, die Neugeborene wie ihr eigenes Kind anzunehmen. Als auch der attraktive Unbekannte Stephen sich um das Mädchen kümmern will, fängt Suzanne schon an, von einer Zukunft zu dritt zu träumen. Bis sie plötzlich mit einer Wahrheit konfrontiert wird, der sie sich nicht gewachsen fühlt …

1. KAPITEL

„Ich habe das Ziel lokalisiert, Nummer eins.“

Die unpersönlichen und kühlen Worte schwebten durch die Luft wie ein Seidenschal in leichter Brise. Das Kratzen von Schlittschuhkufen auf frisch aufbereitetem Eis unterstrich den Satz. Eine elegant gekleidete Eisläuferin machte eine graziöse Pirouette, glitt an Catrina Brown vorbei und flüsterte noch einmal und in noch verschwörerischerem Tonfall: „Wiederhole Nummer eins, ich habe das Ziel lokalisiert.“

Catrina, die schon nervös genug war, verlor die Geduld.

„Jill Brown!“, fauchte sie. „Wirst du wohl aufhören, die Sache wie einen Agentenfilm zu behandeln, und mir einfach sagen, wo er ist? Im Umkreis von fünf Metern befindet sich sowieso niemand, der dich hören könnte. Wer würde bei der Musik schon etwas verstehen? Und wenn, wie durch ein Wunder, doch jemand etwas hören würde, meinst du dann nicht, dass ‚Ich habe das Ziel lokalisiert‘ wesentlich verdächtiger bei einer Kellnerin klingt als ‚Hätten Sie gerne einen Drink, Ma’am‘?“

Jill sah enttäuscht aus. „Oh … ich fand es witzig.“

Geschmeidig kam sie neben Catrina auf der Eisbahn zum Stehen und balancierte dabei problemlos ein Tablett mit Sektgläsern in einer Hand.

„Nun, ich nicht“, antwortete Cat. „Du musst mir am Anfang helfen, Schwesterchen. Das ist dein Job. Pixie hat ihr Bestes gegeben, was das Kleid anbelangt.“

Priscilla Treloar, von allen nur Pixie genannt, konnte einfach wunderbar nähen. Sie war mehr als dreißig Jahre lang die Kostümbildnerin einer berühmten nationalen Ballettkompanie gewesen, bis sich ihr Gesundheitszustand verschlechterte und sie die Arbeit aufgeben musste. Sie hatte darauf beharrt, dass die Perfektion des Kleides ein Schlüssel für den Erfolg ihres Planes für den heutigen Abend war, und Cat hatte den Verdacht, dass das stimmte.

Sie fingerte an einem der glitzernden Träger ihrer Robe herum. Abgesehen von diesen Trägern und passenden silbernen Nähten am Mieder war das Kleid tiefschwarz. Sein glamouröser Effekt beruhte ganz auf der figurnahen Schlichtheit und dem perfekten Sitz und Schnitt.

Unter dem weiten schwarzen Rock schimmerte hin und wieder der silberne Unterrock hindurch. Wenn man nicht zu genau hinsah, konnte man das Abendkleid ohne Weiteres für ein Designermodell halten.

„Mein Job ist es, Lady Catrina zu mimen, und dank meiner Vorliebe für britische Komödien kriege ich den Akzent sehr gut hin“, fuhr Cat fort, wobei sich ihre Zuversicht wieder etwas verstärkte. „Ich schaffe das. Ich weiß es. Du musst mir bloß sagen, an welchem Tisch Mr Wainwright, der Stadtrat, sitzt, und ich bringe alles in Gang. Die Sache ist zu wichtig für uns alle, als dass wir sie wie ein Spiel behandeln könnten, Jill. Wir dürfen nicht zulassen, dass Pixie ihr Heim verliert.“

Die Wärme, mit der Cat von der Cousine ihrer Mutter sprach, verriet die Liebe, die sie und ihre beiden Stiefschwestern für Pixie empfanden, und das, obwohl Pixie nicht mit Jill und Suzanne blutsverwandt war.

„Tut mir leid. Du hast ja recht“, räumte Jill ein, doch dann veränderte sich ihr Ton, als einige Neuankömmlinge des legendären Mirabeau on Ice-Balls an ihnen vorübergingen. „Ich kann Ihnen vor allem den Mirabeau-Champagner empfehlen …“

„Vielen Dank.“ Anmutig nahm Cat eines der angebotenen Gläser und spreizte den kleinen Finger ab.

„Er sitzt dort hinten“, flüsterte Jill, sobald die Luft rein war. „An dem großen Tisch in der Nähe der Bar.“

„Dann mache ich mich besser auf den Weg.“

„Ja, denn wie wir ja wissen, bleibt er meist nicht allzu lange.“ Jill grinste und glitt auf ihren Schlittschuhen davon.

Cat seufzte und blieb mit einem Kribbeln im Bauch und glühenden Wangen allein zurück. Doch das Adrenalin, das sie verspürte, rührte nicht von blanken Nerven, sondern einer erregten Erwartung und Zuversicht her.

Ich werde es schaffen. Ich werde den Stadtrat davon überzeugen, bei der nächsten Ratsversammlung im August gegen das geplante Abrissvorhaben zu stimmen, und er wird nicht den blassesten Schimmer haben, dass er dabei manipuliert wurde.

Langsam ging sie um die Eisbahn herum über den Teppich, den man ausgelegt hatte. Sie musste sich in die Rolle von Lady Catrina Willoughby-Brown hineindenken, einem Mitglied der britischen Aristokratie und des internationalen Jetsets.

Die Madison County Eisbahn sah heute Abend zauberhaft aus, ganz anders als sonst. In der Mitte der Bahn befand sich eine riesige Champagner-Fontäne mitsamt einiger Eisskulpturen, die Werken berühmter Künstler wie Rodin, Michelangelo und Moore nachempfunden waren.

Daneben hatte man einen eigens angefertigten und auf Hochglanz polierten hölzernen Tanzboden aufgebaut. Ein äußerer Eisring wurde von dem Personal auf Schlittschuhen benutzt und von allen Gästen, die es wagten, sich auf Kufen zu begeben. Die Halle wurde durch zahlreiche Fackeln und Kerzen illuminiert.

Catrina blendete das elegante Ambiente jedoch vollkommen aus und konzentrierte sich strikt auf ihre Aufgabe.

Ja, da war Wainwright, ganz wie Jill gesagt hatte. Stadtrat Earl P. Wainwright, um genau zu sein. Er saß an einem der besten Tische mit sechs anderen Gästen, vier von ihnen Männer. Cat hatte ihre Strategie im Vorfeld ausgearbeitet und zögerte daher nicht.

Als Erstes winkte sie einem imaginären Bekannten zwei Tische weiter, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit dem links neben dem Stadtrat sitzenden Mann zu, so, als ob sie ihn plötzlich erkannte. Ihre Richtung abrupt ändernd, steuerte sie direkt auf den vollkommen Fremden zu. Das Glas Mirabeau-Champagner in der Hand und ein betörendes Lächeln auf den Lippen.

Doch in diesem Moment trafen sie die Blicke des Mannes. Ihre Hand begann zu zittern, und sie vergoss ein paar Tropfen Champagner. Der Fremde beobachtete sie schon jetzt, und das hatte sie nicht eingeplant. Es lenkte sie fast von ihrem bisherigen Fokus ab. Sein muskulöser Körper ruhte entspannt im Stuhl, und da war ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht, geradeso um seine Mundwinkel. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich verwirrt und unsicher und …

Denk nicht weiter über ihn nach, ermahnte sie sich. Er ist nicht im Mindesten wichtig. Er ist nur ein Teil deiner Taktik für die allererste Minute, mehr nicht.

„Alasdair!“, zwitscherte sie ihm in ihrem wohlgesetzten britischen Akzent entgegen. Auf keinen Fall ließ sie sich von diesen gefährlichen blauen Augen in Bann ziehen. „Wie wunderbar, dich hier zu treffen! Wie reizend, absolut reizend!“

„Oh … ja“, antwortete Patrick Callahan, Präsident von Callahan Systems Software und widerwilliger Gast des Balls an diesem Abend. „Reizend.“

Angenehm überrascht beobachtete er, wie sich die schlanke, in schimmerndem Schwarz gekleidete Dame auf den freien Platz neben ihm setzte.

An seinem Tisch musste er sich mit zwei oder drei absolut uninteressanten Leuten befassen, die er in Zukunft aber vielleicht als wertvolle Kunden seiner Firma gewinnen könnte, und daher gab er sich alle Mühe, nicht gelangweilt zu wirken.

Außerdem versuchte er herauszufinden, warum er den Gedanken an den vor ihm liegenden Abend so schrecklich fand. Die meisten Leute hätten sich gefreut.

Man gelangte nämlich nur mit spezieller Einladung hier rein, und die Gästeliste bestand aus einer exklusiven Mischung der Reichen, Wichtigen, Berühmten und Schönen.

Patrick war sich nicht ganz klar, wie Callahan Systems zu den Karten gekommen war. Die Tatsache, dass er selbst im vergangenen Jahr von einem lokalen Magazin zu „Philadelphias begehrtestem Junggesellen“ gewählt worden war, mochte geholfen haben. Und dass er sich noch dazu vor Kurzem sowohl mit der Erbin der Wentworth-Hotelkette als auch der glamourösen Exgattin eines Senators in der Öffentlichkeit gezeigt hatte, schien auch nicht gerade geschadet zu haben.

Er hätte die Einladung jedoch ausgeschlagen, wenn sein Bruder Tom ihn nicht daran erinnert hätte, dass sich bei einer solchen Gelegenheit gute Kontakte schließen ließen. Aber er hatte sich strikt geweigert, eine Begleitung mitzunehmen. Er ging zurzeit sowieso mit niemandem aus, und seine Affären waren nie von langer Dauer. Außerdem lag ihm nichts ferner, als einer Frau durch eine solche Einladung große Hoffnungen auf eine ernste Beziehung zu machen.

Nein, wenn Tom wollte, dass er Kontakte knüpfte, dann war es besser, allein zu diesem Ball zu gehen.

Irgendwie war ihm seit der Hochzeit seines Bruders diese Aufgabe immer öfter zugefallen. Und wenn sein jüngerer Bruder Connor im September auch noch heiratete, würde die Situation noch schlimmer werden. Dabei machte ihm diese Art von Veranstaltungen überhaupt keine Freude mehr. Tom und Connor hatten nicht die geringste Ahnung, dass er sich in letzter Zeit unzufrieden gefühlt und einen nicht unbeträchtlichen Neid auf das private Glück seiner Brüder verspürt hatte.

Also saß er jetzt hier und machte Small Talk, während er in Gedanken ganz woanders war.

Kein Wunder, dass er die Ablenkung in Gestalt dieser sich nähernden Erscheinung in Schwarz und Silber schon begrüßte, bevor er auch nur die leiseste Idee hatte, dass sie an seinem Tisch halten würde. Doch als sich ihre Blicke eben begegnet waren, hatte er etwas empfunden – ein eigenartiges Aufflackern von Interesse. Nichts, dem er für gewöhnlich nachgab, und das verwirrte ihn.

„Ich fürchte, Sie verwechseln mich“, begann er. Warum fiel es ihm nur so schwer, ihr das zu sagen?

Da sah er, dass sie ihrerseits den Fehler bemerkt hatte.

Dramatisch schlug sie die Hände vor den Mund und ließ sie dann wieder sinken. „Oh, das tut mir furchtbar leid. Ich habe sie für Alasdair Corliss-Bryant gehalten, einen alten Freund von mir aus Gloucestershire Hunt. Natürlich sehe ich nun, dass ich mich geirrt habe.“

„Ich enttäusche Sie nur ungern …“, gab Patrick zurück. Er zögerte.

Die junge Frau schien kein weiteres Interesse an ihm zu haben. Charmant lächelte sie Stadtrat Earl P. Wainwright zu, der dem Neuankömmling mittlerweile seine volle Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Kein Wunder. Sie war entzückend.

„Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Lady Catrina Willoughby-Brown. Wie nett, Sie kennenzulernen.“

Patrick begutachtete sie kühl.

Na ja, vielleicht nicht ganz so kühl, wie er es sich gewünscht hätte.

Sie war mindestens fünfunddreißig Jahre zu jung für Wainwright, was den Mann aber nicht zu stören schien. Wilde, blonde Locken umrahmten ihr Gesicht, und ihre Augen glänzten wie brauner Zucker, der mit Butter in einer heißen Pfanne zerschmolz. Sie hatte lange Wimpern, volle Lippen und eine atemberaubende Figur, die in dem eng anliegenden Kleid voll zur Geltung kam.

Natürlich hatte er all das schon zuvor gesehen. Trotzdem fühlte er sich auf magische Art von ihr angezogen. Weniger von ihrer äußeren Verpackung als durch ihre Schauspielerei. Niemand sonst hatte ihrer kleinen Inszenierung Aufmerksamkeit geschenkt. Dass es sich lediglich um eine Taktik handelte und keinesfalls um eine echte Verwechslung, dessen war er sich fast hundertprozentig sicher. Was ihn wiederum dazu veranlasste, sich um einige Dinge Gedanken zu machen.

Warum, zum Beispiel, hatte sie vorgegeben, ihn zu kennen? Das Geplapper von diesem Alasdair aus irgendeiner Grafschaft schien viel zu kompliziert. Es ärgerte ihn, dass sie sich eine solche Strategie zurechtgelegt hatte. Zu überkandidelt. Unnötig.

Er runzelte die Stirn.

Wäre es nicht wesentlich einfacher gewesen, lediglich über den Teppich zu stolpern und vor seine Füße zu fallen? Eine Frau wie sie würde sich ja wohl kaum über ein Glas verschütteten Champagner oder die Rechnung für die Reinigung seines Anzugs Sorgen machen, wenn sie einen guten Grund hatte, dies zu tun, oder?

Und warum dieser falsche britische Akzent? Er war fast perfekt. Keine Frage. Nicht einer der Vokale entglitt ihr. Dennoch bestand kein Zweifel, dass er gespielt war. Im Geschäftsleben hatte er gelernt, hinter die Fassade zu blicken. Also … warum?

Er erörterte den Punkt weiter, wobei er die Tatsache genoss, dass sein Verstand nun auf Hochtouren arbeitete.

Vielleicht hing es mit dieser Junggesellen-Sache zusammen. Das Medieninteresse, das ihm dadurch gefolgt war, ärgerte ihn jetzt. In letzter Zeit waren einige Bücher herausgekommen, die speziell für solche Frauen geschrieben worden waren, die sich unbedingt einen Millionär angeln wollten. Wahrscheinlich fand man das alles schwarz auf weiß in Kapitel vier: „Gewinne seine Aufmerksamkeit, indem du vorgibst, ein exklusives Mitglied der britischen Aristokratie zu sein.“ Lady Catrina Willoughby-Brown war der Name, den sie offensichtlich für diesen Abend als passend empfunden hatte.

Amüsiert überlegte er, wie er sich weiter verhalten sollte. Sollte er sie sofort herausfordern? Verdient hätte sie es, aber aus irgendeinem Grund fühlte er sich in Versuchung geführt, ihr Spielchen mitzuspielen.

Er hatte sich gerade für diese zweite Variante entschieden, als er eine äußerst überraschende Entdeckung machte. Er, Patrick Simon Callahan, sechsundreißig Jahre alt, mit einem immer noch anwachsenden Vermögen von gut zwanzig Millionen Dollar und einer nicht gerade unbedeutenden Menge persönlicher Anziehungskraft, war gar nicht das Objekt der Begierde der attraktiven Lady.

„Sir Wainwright, es ist mir eine solche Freude, Sie kennenzulernen“, schnatterte sie, nachdem die offizielle Vorstellungsrunde beendet war. Patrick rutschte auf seinem Stuhl zurück, und zwar schon allein aufgrund des Ausmaßes an Entschlossenheit, das sie an den Tag legte.

„Lady Catrina, auch mir ist es eine Ehre“, antwortete der Stadtrat ernsthaft. „Ich liebe Ihr Land. Ich besuche England, wann immer ich die Gelegenheit dazu habe. In der Tat, vielleicht kennen Sie einige meiner Freunde …“

„Oh, wirklich? Wie reizend!“

Sie lehnte sich gegen Patrick, um dem Stadtrat näher zu kommen. Dabei bot sich ihm die Aussicht auf ihr hübsches Dekolleté. Ihre warmen braunen Augen ganz auf Wainwright gerichtet, nickte sie zu dessen Ermunterung, verneinte die Bekanntschaft seiner alten Freunde und bot stattdessen einige zweifellos erfundene eigene Namen. Lord Peter Devries? Die ehrenwerte Amanda Fitzhubert?

Die Tatsache, dass sie den vollkommen falschen Mann jagte, irritierte Patrick enorm. Was hatte seine Mutter ihm und seinen sieben Brüdern als Kindern immer eingetrichtert?

Wenn ein Job es wert ist, dann sollte er auch gut gemacht werden.

Zu seinem Erstaunen stellte er nun fest, dass er dem von ganzem Herzen zustimmte. Wenn eine Frau so auf ein Vermögen aus war, wenn sie sich die Mühe machte, ein solch atemberaubendes, perfekt sitzendes Kleid zu tragen, sich auf diesen Ball zu mogeln, eine adlige Identität zu erfinden, den Akzent zu perfektionieren und eine offizielle Vorstellung zu erzwingen, dann sollte sie dabei wenigstens gut sein. Sie sollte hoch hinauswollen. Sie sollte den richtigen Mann wählen.

Ihn.

Alle anderen Aspekte wie Optik und Temperament beiseitelassend, befand er sich meilenweit vor Wainwright in dem Punkt, auf den es bei einer solchen Frau ankam.

Dem Bankkonto.

Es war nicht so, dass er seine Männlichkeit in finanzieller Hinsicht bemaß. Er kam auch gar nicht aus einer reichen Familie, sondern aus einem Mittelklasse-Umfeld, in dem andere Werte zählten: Ehre, Liebe und Hilfsbereitschaft.

Manchmal zeigte er sich diesen Dingen gegenüber zynisch, aber tief drinnen glaubte er an sie. Vor Kurzem erst war ihm klar geworden, dass einer der Gründe, weshalb er noch nicht glücklich verheiratet war wie seine Brüder Tom, Adam und bald auch Connor, darin bestand, dass er eine Frau weder respektieren noch lieben konnte, für die Geld und Besitztümer und das regelmäßige Auftauchen in Klatschkolumnen das Ein und Alles waren.

Dummerweise zog man aber genau solche Frauen an, wenn man überall als reicher junger Geschäftsmann bekannt war. Die zweifelhafte Lady Catrina gehörte jedenfalls mit Sicherheit zu dieser Sorte. Punkt eins gegen sie. Punkt zwei gegen sie bestand darin, dass sie alles falsch machte.

Daher gab es absolut keine Entschuldigung für seine nächsten Worte.

„Würden Sie gerne tanzen?“ Seine abrupte Frage unterbrach die honigsüße Unterhaltung zwischen Earl Wainwright und Lady Catrina.

Letztere wandte sich daher mit ärgerlichem Gesichtsausdruck ihm zu. Na ja, seine Unterbrechung war wirklich sehr unhöflich gewesen.

Trotzdem erstaunte Patrick die Tatsache, dass er sich entschuldigte. Er fühlte, wie er heiße Wangen bekam. „Entschuldigen Sie. Natürlich erst, wenn Sie Ihr Gespräch beendet haben.“

„Nein, nein …!“ Wainwright winkte großzügig ab. „Nehmen Sie sie, mein Freund.“

„Bitte, Sir Wainwright, erzählen Sie Ihre Geschichte zu Ende“, forderte Lady Catrina ihn auf.

Sie hatte noch nicht einmal in Patricks Richtung geschaut, der sich nun ganz zurücksetzen musste, da sie sich immer noch über ihn hinweglehnte. Ihre nackte, überaus reizvolle Schulter war ihm zugewandt, und zwar so nah, dass er seine Lippen darauf hätte pressen können.

Nicht, dass er das wollte.

„Guter Gott, nein, Earl! Die Geschichte ist wirklich nicht sehr interessant“, protestierte eine der Frauen auf der anderen Seite des Tisches. Sie warf Catrina einen misstrauischen Blick zu. „Macht schon. Tanzt, ihr beiden!“

Die Frau war elegant gekleidet in nachtblauem Satin, und ihre Wangen glänzten rosig vom Champagner. Sie schien so um die fünfundfünfzig, und plötzlich war Catrina alles klar. Um Gottes willen, das war Darlene, Earl Wainwrights Frau!

Patrick hätte dieser pseudobritischen Möchtegern-Adeligen am liebsten zugeraunt: „Komm schon, Mädchen. Du kannst den Mann nicht vor seiner eigenen Gattin angraben!“

Vielleicht hatte Lady Catrina das selbst eingesehen. Jedenfalls stand sie, wenn auch widerwillig, auf.

„Tanzen! Was für eine zauberhafte Idee!“, rief sie wenig überzeugend aus, dann ergab sie sich in das Unvermeidbare und machte einen Schritt in Richtung der Tanzfläche auf dem Eis.

Als sie am Teppich ankam, wurde sie von einem aufmerksamen Kellner eskortiert. Ein Eis-Bunny nahm Patricks Arm und half ihm zu dem sicheren hölzernen Tanzboden hinüber. Sie standen sich gegenüber, während langsame Musik einsetzte. Behutsam zog er sie in die Arme.

Innerlich verfluchte Cat den Fremden noch immer. Wie war sein Name doch gleich? Patrick irgendwas. Callahan, richtig. Generaldirektor von Callahan Systems Software hatte jemand gesagt.

Letztlich vollkommen unwichtig. Der einzige Grund, weshalb sie seine Aufforderung zum Tanzen angenommen hatte, war der, dass sie zu viel Aufsehen erregt hätte, wenn sie es nicht getan hätte. Sie wollte die arme Mrs Wainwright keinesfalls noch mehr verärgern.

Sie begutachtete Patrick Callahans gutes Aussehen mit deutlich weniger Interesse, als sie das getan hätte, wenn sie die Größe und Form eines Christbaums hätte beurteilen müssen. Ja klar, er hatte alles. Die Größe, die Figur, das Haar, die Schultern, griechische Nase und markantes Kinn, den gesunden Teint, die Aura von Selbstsicherheit und Erfolg.

Er war genau die Sorte Mann, die sie verabscheute. Eine aktuelle Version, wie Barry Grindlay vor fünfzehn oder zwanzig Jahren gewesen sein musste. Barry Grindlay, der hinterhältige Bauunternehmer, der nichts anderes im Kopf hatte, als Pixies Heim dem Erdboden gleichzumachen, und zwar in dem Moment, in dem die Abrisspläne für Highgate Street beschlossen würden. Grindlay, der natürlich auch keinesfalls vorhatte, einen anständigen Preis zu zahlen, und der sich weigerte zu akzeptieren, dass Pixie gar nicht verkaufen wollte.

Mit anderen Worten, Patrick Callahan musste arrogant und absolut skrupellos sein. Dieser Anspruch, dass ihm alles zustehe, war quer über sein Gesicht geschrieben. Ein Typ, der für Geld alles tat. Dessen war Cat sich sicher. Zweifellos glaubte er auch, dass Geld ihm alles ermöglichte, inklusive jede Frau aufzugabeln, die er wollte, jeden Deal abzuschließen, der ihm lukrativ schien, und jede Meinung zu kaufen, die er brauchte.

Langsam begannen sie, sich zu einem ruhigen Musikstück zu bewegen. Cat war dankbar für die Tanzstunden, die Jill und Pixie ihr in den letzten Tagen gegeben hatten. Patrick Callahan war ein hervorragender Tänzer. Er machte nicht den Fehler ungeschickter Männer, zu viel Raum auf einmal einnehmen zu wollen. Sie drehten sich sanft auf einer Stelle, was ihm viel Zeit ließ, ihr lange in die Augen zu schauen.

Aus irgendeinem Grund schien er fest entschlossen, genau das zu tun.

Und Patricks Augen zogen sie gleichermaßen in Bann, wie sie bald bemerkte. Sie waren blauer als die Reflexion eines klaren Sommerhimmels in einem Bergsee, blau genug, um sowohl Mel Gibson als auch Paul Newman neidisch zu machen. Und in ihnen schimmerte ein warmer und sehr reizvoller Funken Neugierde, der ihren eigenen Blick fesselte.

Am liebsten hätte sie gesagt: „Warum sehen Sie mich so an?“

Doch da sie keinerlei Interesse an ihm zeigen wollte, verkniff sie sich die Frage. Stattdessen versuchte sie vergeblich, Earl Wainwright weiter im Blickfeld zu behalten.

Wenn sie doch nur mit dem Stadtrat tanzen würde …

In dem Moment brachte Patrick sie weiter in die Mitte der Tanzfläche, sodass andere Paare ihr die Sicht verstellten. Cat konnte Wainwright nicht mehr sehen. Sie unterdrückte einen Seufzer, zügelte ihre Ungeduld für den Moment und hoffte inständig, dass der Tanz bald vorüber wäre.

2. KAPITEL

Patrick spürte die Ungeduld seiner Tanzpartnerin, und wieder einmal gewann seine Neugierde die Oberhand.

Ihr Körper war nämlich eine ganz schöne Ablenkung. Diese Frau hatte etwas an sich, das ihm unter die Haut ging. In seinen Armen fühlte sie sich unglaublich zart und geschmeidig an. Ihr Körper war schlank, dabei aber auch stark und biegsam. Sie versprühte ein Funkeln und eine Wärme, die er nicht erwartet hatte. Eine Aura, die suggerierte, dass sie ihr Leben voll auskostete.

Seine Hand ruhte auf dem Rückenteil ihres schwarzen Kleides. Das Material war keinesfalls Seide. Ihre Haut wäre mit Sicherheit seidiger als dieser Stoff. Es überraschte ihn leicht, dass er sich wünschte, der Ausschnitt ihres Kleides wäre tiefer, sodass er die Beschaffenheit ihrer Haut mit den Fingern ertasten konnte.

Fühlte er sich etwa trotz allem, was er über sie wusste, zu ihr hingezogen?

Ja, verdammt noch mal! Und er konnte absolut nicht verstehen, warum er nicht mehr Kontrolle über sich hatte. Er hatte schon entschieden, welche Art Frau sie sein musste, und war davon alles andere als beeindruckt.

Dennoch, bestimmte Dinge passten einfach nicht zusammen … zum Beispiel kratzte irgendetwas auf ihrem Handrücken. Was war das nur wieder?

Außerdem gab ihm das Kleid Rätsel auf. Es bestand aus einem billigen Material, doch es war sorgfältig angefertigt worden und passte ihr wie ein Designermodell. Ein weiterer Widerspruch. Wenn sie es sich erlauben konnte, ein Kleid maßschneidern zu lassen, warum konnte sie sich dann nicht auch Seide leisten?

Da diese Frage nach wesentlich sichererem Terrain aussah als seine ungewollte und wachsende Reaktion auf diese Frau, entschied er, sie in dem Punkt herauszufordern.

„Ich hatte nicht erwartet, bei dieser Veranstaltung einer Dame aus der britischen Aristokratie zu begegnen. Was führt Sie nach Pennsylvania?“

„Ich besuche ein paar Freunde“, antwortete sie ohne Zögern. Sie zuckte nicht mal mit der Wimper.

„Sind die heute Abend auch hier?“ Natürlich wusste er, dass dem nicht so sein würde.

„Leider nein, sie sind ganz kurzfristig krank geworden und konnten daher leider nicht kommen.“

Ja, klar!

„Wie bedauerlich!“

„Oh ja, furchtbar schade. Deshalb bin ich auch ganz allein hier.“

„Wo haben Sie diese Freunde denn kennengelernt? Hier in den Staaten?“

„Aber nein, letzten Winter in Gstaad. Wir waren alle zum Skifahren dort.“

„Gstaad? Ich dachte, da würde keiner mehr hinfahren“, kommentierte er. Er hatte sich das spontan ausgedacht, denn von Gstaad wusste er nicht viel mehr, als dass es ein Wintersportort in der Schweiz war. Ihre Reaktion enttäuschte ihn allerdings nicht.

„Nun ja, das weiß ich auch“, gab sie etwas zu schnell zurück, doch er bewunderte die rasche Beweglichkeit ihres Verstandes. „Dennoch ist das ja eigentlich der große Vorteil, nicht wahr? Wie unerträglich und schrecklich enervierend sind doch diese besonders schicken und dabei total überfüllten Orte, wo jeder nur hinkommt, um gesehen zu werden.“

„Ja, ich nehme an, dass man dies auf die Dauer als sehr ermüdend empfinden muss.“ Falls sie bemerkt hatte, dass er ihren Akzent und ihre Wortwahl parodierte, so ging sie jedoch nicht weiter darauf ein.

Die Musik endete, und Patrick spürte, wie sie sich aus seinen Armen zu lösen begann, so, als ob sie es nicht abwarten konnte, zu Wainwright zurückzukommen. Hatte sie Angst, entlarvt zu werden?

Während er so tat, als wäre ihm ihre Bewegung nicht aufgefallen, zog er Catrina wieder stärker an sich und sagte unschuldig: „Den nehmen wir doch noch mit, oder? Die Nacht ist noch jung. Mehr als genug Zeit, um …“ Ganz bewusst beendete er den Satz nicht, und sie tappte in die Falle.

„Um was?“

„Ich hatte gehofft, dass Sie mir das sagen.“

„Ich … ich verstehe Sie nicht.“

„Nein?“

Er zuckte die Achseln. Er hatte keine Eile, zum Punkt zu kommen. Es war wesentlich interessanter, langsam vorzugehen. Die Musik setzte wieder ein, diesmal spielte die Kapelle einen Walzer. Auf dem Eis glitten professionelle Schlittschuhläufer in glitzernden Kostümen an ihnen vorüber. Ein leichter Nebel stieg von der kalten weißen Oberfläche auf.

Aus einem Impuls heraus fragte Patrick: „Was halten Sie von der Dekoration heute Abend?“

„Oh, man hat hier wirklich wundervolle Arbeit geleistet, finden Sie nicht auch?“ Ihr Gesicht leuchtete bei diesen Worten auf. Auch der Akzent entglitt ihr etwas, doch das bemerkte sie nicht, und ihm war es gleichgültig. Ihre Augen funkelten warm, und ihre Wangen röteten sich.

„Es ist unglaublich“, fuhr sie fort. „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass die Eishalle so gut aussehen könnte, wo es hier doch normalerweise … oh … so kahl ist. Die Dekorateure müssen sehr hart gearbeitet haben. Ich will gar nicht wissen, wer stundenlang auf einer Leiter gestanden hat, um die Skulpturen zu installieren.“

„Sie haben aber doch sicher schon viele solcher Veranstaltungen besucht“, erinnerte er sie freundlich, obwohl er natürlich die Wahrheit kannte.

Echte Jetsetter äußerten seiner Erfahrung nach nicht eine solche Begeisterung. Vor allem verschwendeten sie nicht einen Gedanken an die zahlreichen Arbeiter, die geschuftet hatten, um das Ganze so hinzukriegen.

Die Frage blieb: Wer war sie wirklich?

Sie wirkte eigentlich nicht wie eine Frau, die hinter Geld her war. Sie hatte eine gewisse Aufrichtigkeit an sich, obwohl dieses Wort natürlich geradezu lächerlich schien, da sie ihm ja nicht einmal ihren richtigen Namen genannt hatte.

„Oh selbstverständlich“, erwiderte sie schnell, wobei der Akzent nun noch übertriebener war als zuvor. „Es erinnert mich nur an den Ascot-Ball. Ich bin angenehm überrascht.“ Sie täuschte ein gelangweiltes Gähnen hinter ihrer Hand vor und warf ihm dann einen raschen Blick zu, um seine Reaktion zu beobachten.

Er musste sich ein Lächeln verkneifen. Himmel, sie war eine süße kleine Lügnerin!

Steigt mir etwa der Champagner zu Kopf, wunderte er sich dann allerdings.

Es war schon lange her, dass er einen Tanz dermaßen genossen hatte. Normalerweise betrachtete er es nur als unangenehme Pflicht. Doch heute … mit ihr …

„Die Dinosaurier sind übrigens große Klasse“, bemerkte er beiläufig.

„Die …? Oh. Ja.“ Eine sanfte Röte überzog ihre Wangen, und mit der Zungenspitze fuhr sie nervös über die sinnlich vollen Lippen.

Patrick unterdrückte ein weiteres Lächeln der Befriedigung und der Amüsiertheit. Er hatte endlich herausgefunden, woher das kratzige Gefühl auf ihrer Hand stammte. Ein Pflaster. Und zwar von der Sorte, wie man sie für Kinder machte: mit roten, blauen und gelben Dinosauriern bedruckt.

Ein weiterer kleiner Hinweis darauf, wer sie wirklich war; ein weiterer Punkt, der sein Interesse entfachte. Wenn sie ein solches Pflaster trug, musste sie viel Zeit mit Kindern verbringen. Und das passte sicherlich nicht zu der Figur, die sie spielte, was ihre nervöse Reaktion erklärte. Seltsamerweise passte es aber auch nicht zu dem Bild einer Frau, die nur auf Vermögen aus war.

„Werden Sie lange bleiben?“, wollte er nun wissen.

„Nein, ich denke nicht. Ich werde so bald wie möglich gehen. Ich muss heute, äh, noch woandershin. Sie kennen das ja, diese ganzen sozialen Verpflichtungen.“

„Sie sprechen von dem Ball. Ich meinte aber, ob sie lange in Philadelphia bleiben.“

„Oh. Natürlich“, stotterte sie.

Erwischt! Schon wieder!

Es war, als wenn sie sich immer stärker in einem Netz verhedderte. Verflucht, sie musste sich wieder stärker auf ihre Rolle konzentrieren! Dieser Patrick Callahan hatte etwas an sich, das sie zu sehr ablenkte.

„Wie dumm von mir!“, flötete sie mühsam. „Natürlich haben Sie von Ihrer wunderbaren Stadt gesprochen. Leider muss ich morgen schon abreisen.“

„Irgendwie dachte ich mir das schon“, murmelte er.

Der Mann machte sie allmählich wirklich nervös. Dieses Funkeln in seinen Augen. Das kleine Lächeln, das immer wieder auf seinem Gesicht erschien. Es lenkte ihren Blick viel zu häufig auf seinen extrem attraktiven Mund.

Guter Gott! Sie verlor wirklich den Verstand! Bloß keinen Champagner mehr, ermahnte sie sich.

Langsam zog er sie noch näher an sich, sodass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als den Kopf an seine Schulter zu legen. Flirtete er etwa mit ihr?

Stumm bewegten sie sich zu den Klängen der Musik. Catrina hätte sich gerne weiter unterhalten, doch die Angst war zu groß, etwas zu sagen, das sie verriet. Sie fürchtete, dass das sowieso schon passiert war.

Verdammt! Er hatte erraten, wer sie war – oder zumindest wer nicht, und jetzt spielte er mit ihr.

Anstatt ihn dafür zu hassen, stellte sie fest, dass sie vielmehr darauf reagierte. Sie reagierte auf dieses kleine Lächeln von ihm, so, als ob sie ein süßes kleines Geheimnis teilten und nicht in Wirklichkeit ein Geheimnis, das, wenn er es entlarvte, ihren ganzen Plan zunichtemachen würde.

Wie viel wusste er genau? Sicherlich nicht die Details!

Nicht, dass sie vor sechs Jahren von ihrer bösartigen Stiefmutter aus dem Haus geworfen worden war, und zwar noch am Abend ihres achtzehnten Geburtstags. Oder dass ihre Stiefschwester Jill, ungefähr im gleichen Alter, dasselbe Schicksal erlitt, weil sie schwanger und unverheiratet war und der wohlhabende Vater des Babys nichts von seinem Sprössling wissen wollte.

Auch nicht die Tatsache, dass Jills ältere Schwester Suzanne sich weigerte, in einem Haus zu bleiben, in dem ihre Geschwister nicht willkommen waren, sodass sie alle drei plus Jills kleinem Sohn Sam mehrere Jahre verzweifelt versuchten, auf einem Campingplatz über die Runden zu kommen.

Jawohl, ein Campingplatz. Und zwar nicht von der Sorte, wo die Bewohner Blumen pflanzten oder Gardinen an die Fenster hängten.

Nur dank Pixie lag dieses Leben jetzt hinter ihnen. Cat war auf dem besten Weg, ihr Krankenschwester-Examen zu machen, und sie liebte diese Arbeit. Nach einer kurzen Karriere als Show-Eisläuferin machte Jill eine Ausbildung in EDV und Verwaltung und jobbte nebenher im Büro der Eishalle. Sich heute Abend in den Ball hineinzuschmuggeln war ihre Idee gewesen. Suzanne hatte vor Kurzem ihren Abschluss in Bibliothekswissenschaften gemacht. Sie alle hatten Pläne und Hoffnungen für die Zukunft, doch sie mussten auch jeden Tag noch ihre Pennys zusammenhalten.

Patrick Callahan wusste, dass sie genauso viel recht hatte, sich Lady Catrina Willoughby-Brown zu nennen, wie zu behaupten, sie könne hellsehen. Aber ahnte er auch, wie wichtig dieser Abend für sie war? Dass sie und Pixie, Jill, Suzanne und Sam alle ihr Heim verlieren würden, wenn er ihre Tarnung auffliegen ließ?

Natürlich nicht, und selbst wenn, bezweifelte Cat, dass ihn das auch nur im Geringsten berühren würde. Nicht Typen wie ihn. Aus bitterer Erfahrung kannte sie die nur zu gut.

Es gab eine Menge solcher Leute, die ihr Leben geprägt hatten. Curtis Harrington III, der Ivy League College-Bursche, der Jill geschwängert hatte. Barry Grindlay und seine Skrupellosigkeit. Auch ihre Stiefmutter Rose hatte Cat so manche unbeabsichtigte Lektion erteilt über die Kluft, die die Privilegierten von den Verlierern trennte.

Als die Musik zu Ende war, führte Patrick sie von der Tanzfläche, seine Finger lose mit den ihren verflochten. Cat fühlte sich so erleichtert, dass sie seine Absicht erst erriet, als es schon viel zu spät war.

Er hatte sie zurück zu Earl Wainwrights Tisch gebracht und schlug dem Stadtrat gut gelaunt vor: „Das hat Spaß gemacht. Warum nehmen Sie und Ihre Frau sich nicht ein Beispiel? Mittlerweile tanzen sehr viele Leute.“

Sofort leuchteten Mrs Wainwrights Augen auf. „Oh ja, Earl. Warum nicht? Er hat recht. Es tanzen nicht nur die jungen Leute, und sie spielen unsere Art Musik.“

Nur Sekunden später musste Cat zusehen, wie die Wainwrights unter der Eskorte einer Kellnerin über das Eis schlitterten. Patrick lehnte sich unterdessen in seinem Stuhl zurück und genoss ganz offensichtlich ihre schlecht versteckte Enttäuschung.

„Oh, es gibt noch etwas zu essen“, bemerkte er und winkte dann zu Jill hinüber, die mit einem vollen Tablett an ihnen vorbeiglitt.

Während sie sich die köstlichen Speisen schmecken ließen, quälte er sie weiterhin gnadenlos. Cat hasste sich selbst dafür, jeden Beweis seiner Cleverness zu bewundern. Er gab ihr nie direkt zu verstehen, dass er wusste, was Sache war. Das wäre zu einfach gewesen. Aber er deckte ihre Tarnung immer wieder auf und spielte Katz und Maus mit ihr.

Dennoch machte er nicht den ersten Schritt, und sie bat ihn auch nicht darum. Vielmehr klammerte sie sich an die vage Hoffnung, dass alles irgendwie gut gehen würde. Was blieb ihr auch anderes übrig?

Einige Minuten später kamen die Wainwrights zurück, und trotz Darlenes misstrauischen Blickes entführte ihr Gatte Cat in Richtung Tanzfläche. Überraschenderweise intervenierte Patrick nicht.

Ganz plötzlich, als sie schon geglaubt hatte, alle Hoffnung sei dahin, lief alles nach Plan. Sie befand sich mit einem gut gelaunten Stadtrat auf der Tanzfläche, der bald schon Wachs in ihren Händen sein würde.

Seine Frage nach ihrem Zuhause brachte sie elegant auf das Thema der chemischen Verschmutzung der Flüsse und Seen in ihrer Grafschaft und damit verbunden zum tragischen Rückgang der Forellenbestände in ihrer Heimat.

Das offenkundige Interesse, das der Stadtrat allem entgegenbrachte, was sie sagte, erlaubte ihr, die charmante kleine Pension in der oberen Highgate Street zu erwähnen, in der sie gerade wohne. Der Besitzer dieser Pension habe ihr erzählt, dass er sehr besorgt sei wegen eines Abrissplans für die untere Highgate Street, wo die Häuser auf dem Grund und Boden einer ehemaligen Gerberei erbaut worden seien.

Die Erde sei dort aber hoffnungslos kontaminiert, was der breiten Öffentlichkeit gar nicht bekannt sei, und es wäre eine Katastrophe, wenn diese Gifte an die Oberfläche gebracht würden.

Außerdem sei der Wert der alten viktorianischen Häuser in diesem Block absolut unbezahlbar und dürfe keinen kommerziellen Interessen geopfert werden.

„Lady Catrina, Sie haben absolut recht“, reagierte Wainwright bestimmt. „Sie können das natürlich nicht wissen, aber Umweltverschmutzung gehört zu meinen größten Sorgen, und es ist ein erstaunlicher Zufall, dass ich jemandem wie Ihnen begegne, der meine Ängste teilt.“

Er nahm sich einen Moment, um sich mit einem Taschentuch über die Stirn zu wischen. „Und was den Denkmalschutz anbelangt, wünschte ich, wir hier in den Staaten verfügten über dieselbe Sensibilität wie die britische Aristokratie. Seien Sie versichert, meine Liebe, dass diese Stadt ebenso wie Sie persönlich sich auf meinen Einfluss im Stadtrat verlassen können. Die Abrisspläne für die untere Highgate Street sind abgelehnt!“

In diesem Augenblick endete die Musik, und ein äußerst atemloser Sir Wainwright führte Cat zurück zu ihrem Tisch.

Dort stürzte sofort seine Frau auf ihn zu: „Earl? Earl! Ich sterbe vor Hunger. Von diesen Horsd’œuvres kann man keinesfalls satt werden! Besorgst du uns noch etwas?“

Gehorsam machte sich der Stadtrat auf die Suche nach einer Kellnerin. Seine Gattin, die ihm offensichtlich nicht traute, was seine Unempfänglichkeit gegenüber den schönen Frauen bei diesem Ball anbelangte, folgte ihm auf dem Fuße.

Catrina strahlte zufrieden.

Sie hatte es geschafft. Pixies Zuhause und die anderen alten viktorianischen Häuser waren gerettet. In siebeneinhalb Wochen, wenn die Sitzung des Stadtrates stattfand, würde der hinterhältige Barry Grindlay keine Chance mehr haben, die arme Pixie aus ihrem Heim zu vertreiben.

Wenn sie jetzt doch nur Jill finden, ihr die guten Neuigkeiten mitteilen und dann von hier verschwinden könnte …

„Freuen Sie sich über irgendetwas, Lady Catrina?“, kam es in tiefer, amüsierter männlicher Stimme vom Tisch.

Cat fiel auf den nächsten Stuhl. Wieder einmal hatte Patrick sie überrascht. Alle anderen tanzten oder begrüßten Freunde, nur er saß hier allein und lächelte sie unergründlich an.

Natürlich hatte sie ihn nicht vergessen. Das wäre mehr als schwierig, selbst wenn der Abend vorbei war. Seine Stimme, sein Lächeln, das Gefühl seiner Arme um sie, wenn sie tanzten, seine Cleverness und der forschende, halb belustigte, halb zynische Blick seiner blauen Augen waren alles Dinge, die sie verfolgen würden. Die ihr den Schlaf rauben würden.

Aber zumindest hatte sie sich für einen Moment davon überzeugt, dass sein Part an diesem Abend beendet war.

Nun wurde mehr als deutlich, dass er das anders sah. Als sie etwas von einer schrecklich anregenden Unterhaltung mit Sir Wainwright während des Tanzes stammelte, lachte er laut auf. Es war ein Klang, der über bloße Amüsiertheit hinausging.

„Während wir hier unter uns sind“, begann er, wobei er sich weiter vorlehnte, „wollen wir doch etwas ehrlicher sein, oder?“

„Was … was meinen Sie?“

„Sie haben genauso viel recht, sich Lady Catrina Willoughby-Brown zu nennen wie ich Prinz Patrick von Kalamazoo! Tut mir leid, Lady, aber ich kenne Ihr Geheimnis. Ich weiß, weshalb Sie wirklich hier sind, und damit werde ich Sie nicht davonkommen lassen …“

3. KAPITEL

„Es sei denn“, fuhr Patrick in weniger drohendem Tonfall fort, „Sie erklären sich einverstanden und verbringen die nächsten Stunden mit mir.“

In dem Augenblick, in dem die Worte heraus waren, bereute er sie auch schon. Er hatte bereits einige ehrgeizige junge Schönheiten abgewehrt, während „Lady Catrina“ mit dem Stadtrat tanzte.

Abgewehrt. Der Ausdruck passte. Sie waren wie Moskitos. Lästig und unangenehm, mit summenden kleinen Stimmchen und blutsaugender Absicht. Den Abend mit einer Frau, die anscheinend nur auf sein Geld aus war, zu verbringen schien keine besonders reizvolle Aussicht.

Die süße Lady für kurze Zeit faszinierend zu finden war daher eine Sache. Sich selbst jedoch als lukrative Beute anzubieten eine ganz andere.

Denn wenn sie als Glücksjägerin auch nur das geringste Talent hatte, würde sie bald dahinterkommen, dass er ein wesentlich lohnenderes Objekt abgab als Wainwright.

„Bitte nicht“, flehte sie als Antwort auf seinen impulsiven Vorschlag. Die echte Verzweiflung in ihrer Stimme schreckte ihn aus seinen selbstzufriedenen Überlegungen auf.

Vor allem, um Himmels willen, was passierte denn mit diesen großen braunen Augen? Waren das tatsächlich Tränen, die in ihnen glitzerten?

„Bitte tun Sie das nicht“, flüsterte sie noch einmal zittrig. „Ich meine, ich nehme an, dass Sie in irgendeiner Verbindung mit dem Stadtrat stehen oder dem Abrisskommando oder wem auch immer, aber … aber … Ach verdammt, warum bettle ich eigentlich?“

Sie ließ den Kopf nach vorne fallen, sodass ihr prächtiges blondes Haar ihr Gesicht bedeckte.

„Als wenn ich mit Betteln irgendetwas erreichen würde! Wenn Sie diesen Handel ernst meinen, dann werde ich natürlich die nächsten zwei Stunden mit Ihnen verbringen. Aber irgendwie glaube ich Ihnen nicht. Was wollen Sie nur damit bezwecken?“

Der falsche Akzent war komplett verschwunden und durch reines Amerikanisch ersetzt worden. Entweder sie bemerkte es nicht oder es kümmerte sie nicht mehr. Es schockierte Patrick, zu sehen, wie aufgeregt sie schien. Himmel, sie zitterte ja!

„Hey!“, redete er eindringlich auf sie ein. „Hey, Lady C!“

„Nennen Sie mich nicht so.“

„Wie sollte ich Sie denn nennen?“

„Nur Cat, okay? Nein …“ Sie schüttelte aufgeregt den Kopf, als sie die Wainwrights mit vollen Tellern zurückkommen sah. „Können Sie bei Lady Catrina bleiben, bitte? So, als wenn Sie mir glauben würden. Bitte! Oder falls Ihnen das irgendetwas bedeutet: Andernfalls werden fünf von uns ihr Zuhause verlieren.“

„Was?“

„Grindlay lässt die Cousine meiner Mutter nicht in Ruhe. Er versucht, sie zum Verkauf zu zwingen, sodass er als Erster an das Land kommt, wenn die Abrisspläne durchgehen. Wir hatten keine andere Idee, wie wir das verhindern können, und jetzt … muss ich mich kurz entschuldigen.“ Damit endete sie abrupt und eilte davon, bevor die Wainwrights an ihrem Tisch ankamen.

Patrick lehnte sich in seinem Stuhl zurück, vollkommen verwirrt. Nacken und Gesicht brannten, doch seine Hände waren eiskalt.

Was war das? Wer sollte sein Heim verlieren? Irgendetwas musste er ganz gewaltig missverstanden haben. Sie war überhaupt nicht hier, um sich einen reichen Mann zu angeln! Sie hatte sich aus einem ganz anderen Grund auf Earl P. Wainwright gestürzt. Seine Gedanken rasten. Stadtrat Wainwright. Sie hatte von einem Abrissprojekt gesprochen …

Langsam fügte sich das Puzzle zu einem Bild zusammen. Sie hatte den Ball genutzt, um Zugang zu Wainwright zu finden und seine Abstimmung im Stadtrat über ein Bauvorhaben, das ihr Haus betraf, zu beeinflussen. Und offensichtlich war sie sich nach dem Tanz sicher, erfolgreich gewesen zu sein. Er erinnerte sich an die Erleichterung auf ihrem Gesicht, als sie an den Tisch zurückgekehrt war.

Ohne die genaue Geschichte zu kennen, stimmte er Cats Vorgehensweise zu. Patrick wusste ein wenig über die Arbeit des Stadtrats Bescheid. Und seiner Ansicht nach wurde oft viel zu schnell ein Abriss beschlossen, eine sinnvolle Stadtplanung kam dabei eindeutig zu kurz.

Der Erfolg ihres Plans hing nun stark davon ab, ob der Stadtrat weiterhin an die Identität der britischen Aristokratin glaubte oder nicht. Deshalb war Lady Catrina so verzweifelt gewesen, als er gedroht hatte, ihre Tarnung auffliegen zu lassen.

Wer war sie wirklich? Sie hatte ganz klar Mut, Fantasie und Selbstbewusstsein. Eine solch extravagante Strategie anzuwenden! Nur er allein hatte Verdacht geschöpft, und das auch nur, weil …

Wow! Die Erkenntnis traf ihn mit der Wucht einer vollen Breitseite.

Es war nur geschehen, weil er von dem Moment an, da er sie das erste Mal gesehen hatte, die Augen nicht mehr von ihr wenden und nicht mehr aufhören konnte, an sie zu denken. Daher wurde er ein Zeuge ihrer gelegentlichen Ausrutscher. Und jetzt, wo er sie ein wenig besser verstand, war das Inte­resse größer denn je. Seit Ewigkeiten schon hatte eine Frau ihn nicht mehr derartig fasziniert.

Patrick saß da, spielte mit den Essensresten auf seinem Teller und wartete ungeduldig darauf, dass sie zurückkam, damit er noch mehr über die ungewöhnliche Lady erfahren konnte.

Cat stand unterdessen mit geröteten Augen vor einem Spiegel und versuchte notdürftig, ihr Make-up zu reparieren. Es gelang ihr nicht besonders gut, aber darauf kam es jetzt wahrscheinlich auch gar nicht mehr an. Vor Kurzem noch hatte sie geglaubt, das Spiel gewonnen zu haben, stattdessen hing alles an einem seidenen Faden, den Patrick Callahan jederzeit zerreißen konnte. Erst wenn sie ihm weiterhin Gesellschaft leistete, würde er Stillschweigen bewahren.

Aber würde er sich damit begnügen?

Oh nein. Natürlich nicht!

Sie verstand nur zu gut.

Der Handel, den Patrick Callahan tatsächlich im Sinn hatte, würde zweifellos erst nach dem Ball stattfinden. Da würde sie dann für sein anhaltendes Schweigen mit ihm schlafen müssen.

Wahrscheinlich würde der Präsident von Callahan Systems an die Telefonnummer von jedem Stadtrat kommen, sodass er ihre Geschichte jederzeit auffliegen lassen konnte. Würde er das tun, nur weil sie nicht mit ihm ins Bett ging?

Cat überlegte ein paar Minuten lang unschlüssig hin und her. Sie musste entscheiden, ob da irgendwo in der breiten Brust von Patrick Callahan ein menschliches Herz schlug. Und wenn ja, dann musste sie einen Zugang zu ihm finden …

Vielleicht kommt sie nicht wieder, begann Patrick zu fürchten.

Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl umher. Er hatte jegliches Interesse an der Unterhaltung an seinem Tisch verloren. Der einzige Gedanke, der ihn noch beherrschte, war der an Lady Catrina.

Lauren Van Shuyler, eine alte Freundin, kam an seinem Tisch vorbei, um ihn zu begrüßen. Er mochte sie aufrichtig, doch in letzter Zeit hatte sie immer sehr traurig gewirkt, und sie war niemals eine Frau gewesen, mit der er flirten konnte. Auch die anderen Schönheiten des Abends konnten seine Aufmerksamkeit nicht fesseln.

„Hallo …“

Er zuckte zusammen. Es war Cat, die halbherzig auf ihn hinablächelte. Nein, Lady Catrina, korrigierte er sich selbst. Er schuldete es ihr, so von ihr zu denken. Während er noch seinen Ängsten nachgehangen hatte, war sie zurückgekehrt.

„Hi“, antwortete er vorsichtig.

Sie glitt auf den Stuhl neben ihm. „Ich hoffe, ich war nicht zu lange weg.“

„Na ja, ich dachte daran, einen Suchtrupp loszuschicken.“

„Es tut mir leid.“

„Hey …“, er runzelte die Stirn. Irgendetwas war anders. Sie hielt ihr Kinn hoch und gab sich wieder als Lady Catrina, doch sie wirkte verängstigt, und Unsicherheit stand in den zuckerbraunen Augen.

Wainwright und seine Frau tanzten gerade, und da niemand sonst an ihrem Tisch ein besonderes Interesse an der britischen Aristokratie hatte, schenkte man ihnen keine weitere Beachtung.

„Lassen Sie uns tanzen“, schlug Patrick schnell vor.

„Okay, wenn Sie mögen.“

Gehorsam, fast zaghaft jedoch, stand sie auf, und wieder fragte er sich: „Was ist passiert?“ Dann stellte er fest, dass er laut gesprochen hatte.

„Ich … ich weiß nicht, was Sie meinen“, stammelte sie.

„Sie verhalten sich anders“, gab er zurück, als sie die Tanzfläche erreichten. „Zu Beginn dieses Abends konnten Sie mich nicht ausstehen.“ Er grinste. „Und irgendwie hat mir das gefallen.“

„Na sicher hat es das!“ Sie zog die Augenbrauen hoch.

„Wirklich“, bekräftigte er. „Es ist eine Erfahrung, die ich nicht oft mache.“

„Aha. Das kann ich mir vorstellen“, nickte sie langsam.

„Dann sind Sie ärgerlich geworden“, führte er die Veränderung in ihrem Verhalten weiter aus. „Und Cat …“

„Lady Catrina.“

„Lady Catrina“, wiederholte er gehorsam, „es tut mir wirklich sehr leid, dass ich Sie so unter Druck gesetzt habe.“ Er nahm ihre Hände, brachte sie auf Brusthöhe und drückte sie fest.

„Tut es das?“ Sie forschte in seinem Gesicht nach der Wahrheit.

„Oh Himmel, ich weiß, woran es liegt!“, rief er aus, während er auf sie hinunterblickte. „Sie glauben, wenn Sie jetzt nicht nett zu mir sind, dann rufe ich die Wachleute, und wenn Sie später nicht noch netter zu mir sind, dann erzähle ich die ganze Sache Wainwright und ruiniere Ihren sorgfältigen Plan.“

„Und Sie sagen mir, dem ist nicht so? Na, dann versuchen Sie dabei mal, überzeugend zu sein!“ Plötzlich waren das ganze Feuer und die Entschlossenheit wieder da. Sie löste sich von ihm, und er merkte, wie er eine Gänsehaut bekam. Verdammt, hatte sie eine Courage! Und Klasse.

„Natürlich sage ich das. Für was für eine Sorte Mann halten Sie mich eigentlich?“

„Für eine reiche.“

Auf diese zynische Bemerkung ging er gar nicht weiter ein. „Glauben Sie wirklich, ich muss auf Erpressung zurückgreifen, um eine Frau ins Bett zu bekommen?“

„Einige Männer würden das amüsant finden, ob sie es nun nötig haben oder nicht.“

Sie hatte ihren Stolz und würde ihm nicht nachgeben. Was mutig war, wenn man bedachte, dass sie glaubte, er würde ihren Plan auffliegen lassen.

„Nun, süße Lady, ich kann Ihnen versichern, dass ich wesentlich bessere Wege kenne, mich zu amüsieren.“ Seine Stimme wurde lauter in dem Bemühen, zu ihr durchzudringen, und verdammt noch mal, das würde er!

Patrick packte ihre Schultern und schaute ihr in die Augen, so, als ob er sie damit zwingen könnte, ihm zu glauben.

„Catrina – und werden Sie mir wohl erlauben, die Lady wegzulassen –, Sie müssen mir vertrauen!“

„Warum?“, fragte sie einfach.

„Weil … weil Sie gar keine andere Wahl haben. Entweder bin ich ein absoluter Schuft, der Ihre wahre Identität verrät, weil Sie nicht mit mir schlafen …“ Der kleine Teufel in ihm ließ ihn hinzufügen: „Und ich gehe recht in der Annahme, dass Sie das nicht tun, richtig?“

„Darauf können Sie wetten!“

„Gut, denn wie der Zufall so spielt, bitte ich Sie auch nicht darum.“

Er fixierte sie mit einem so stahlharten Blick, dass sie wusste, er meinte, was er sagte. Sex mit einer Fremden am Ende eines langen und sehr oberflächlichen Abends hatte vor einiger Zeit seinen Reiz für ihn verloren.

„Oh“, meinte sie kleinlaut.

„Klar?“

„Ja.“ Ihre Wangen hatten einiges an Farbe bekommen.

Dann nahm er seinen vorherigen Gesprächsfaden wieder auf. „Oder ich bin doch ein ganz ordentlicher Bursche, und dann sind Sie sicher. Wie auch immer, Sie haben keine Wahl, denn Sie können nicht durch Süßholzraspeln aus einem Schuft einen anständigen Kerl machen.“

„Süßholzraspeln?“

„Exakt. Genau das wollten Sie noch vor einer Minute tun, oder?“

„Oh ja, ich schätze, das wollte ich.“ Wieder betrachtete sie ihn und fragte sich, wie sie sich nun verhalten sollte.

„Also seien Sie einfach Sie selbst“, forderte er sie auf und fügte etwas verspätet ein „Bitte“ hinzu.

„Ich selbst“, wiederholte Cat langsam.

„Mit einem gelegentlichen, aber entscheidenden Hauch von Lady Catrina natürlich“, versicherte ihr Patrick Callahan ernsthaft.

Auf einmal brach sie in unkontrolliertes Gelächter aus. „Sie tun so, als wäre sie ein Parfum.“

„Das ist sie auch. Sehr geziert und altmodisch. Wie englischer Lavendel.“

„Das ist nicht der Duft, den ich trage.“

„Was dann?“ Er senkte seinen Kopf und atmete die Frische ihres Haars ein, dankbar für die Entschuldigung. Für einen Moment bewegte er sich nicht, dann zog er sie in die Arme, und sie begannen zu tanzen.

Sanft drehten sie sich zur Musik. Ihre Körper verschmolzen dabei immer stärker miteinander. Cat fühlte seine Wärme, seinen Atem und seinen Duft, herb und männlich. Einfach atemberaubend.

Sie wachte aus dieser seltsamen Verzauberung erst auf, als Jill mit einem Tablett voller schmutziger Gläser an ihr vorbeikam. Ihre Schwester zeigte vorwurfsvoll mit dem Finger auf die Uhr.

Cat schnappte nach Luft. Oh mein Gott! Wie spät war es?

Ohne nachzudenken, griff sie nach Patricks Handgelenk und schaute auf seine teure Schweizer Armbanduhr. Es war viel später, als sie gedacht hatte. Sie hätten den Ball schon viel früher verlassen müssen. Ihre Freundin Jackie, die ebenfalls in dem Kinderkrankenhaus beschäftigt war, hatte sich bereit erklärt, einen Teil ihrer Schicht zu übernehmen, danach sollte Cat sie ablösen.

„Jackie wird mich umbringen!“, rief sie laut und befreite sich aus Patricks Armen. „Es tut mir leid … Aber ich muss jetzt gehen.“

Ihre Tasche lag noch auf dem Tisch, weshalb sie über das Eis schlitterte, sich das Täschchen schnappte und eine halbwegs aristokratische Verabschiedung gegenüber den Wainwrights zustande brachte. Dann flüchtete sie und realisierte dabei gar nicht, dass Patrick ihr folgte.

Sie war schon in der Eingangshalle, als sie seine Stimme hinter sich hörte.

„Warten Sie, Cat!“

„Nein, es tut mir leid, Patrick. Ich bin spät dran. Vielen Dank, dass Sie, nun, dass Sie Verständnis hatten für …“

Sie nahm sich nicht die Zeit, den Satz zu beenden, sondern drückte einfach nur die äußere Tür auf und rannte hinaus in die schwüle Juninacht.

Er befand sich aber immer noch hinter ihr.

„Warten Sie, halt! Sie können nicht einfach so gehen, wenn wir … wenn ich keine Ahnung habe, wer Sie wirklich sind.“

„Das ist nicht wichtig.“

„Nein?“, fragte er bedeutungsvoll. Arroganz und Eifer mischten sich in seinen Ton.

„N…nein!“ Sie fand es überraschend schwer, das Wort herauszubringen.

„Doch, das ist es“, betonte er. „Wir hatten eine großartige Zeit miteinander. Es war … ich weiß nicht. Es bedeutet etwas. Wir …“

Cat hörte nicht länger zu. Nicht, dass es ihr leichtfiel, einfach so zu verschwinden. Ihre Haut brannte immer noch an den Stellen, an denen er sie berührt hatte. Aber sie machte sich keine Illusionen über das, was Patrick Callahan tatsächlich von ihr wollte.

Während sie die Steinstufen außerhalb der Eishalle hinunterlief, fühlte sie, wie sich einer ihrer hohen Schuhe löste. Sie hatte die schwarzen Samtpumps in einem Secondhand-Laden gekauft, und sie waren eine Nummer zu groß. Tatsächlich stellte sie fest, dass sie Blasen an den Füßen hatte. Sie taten weh. Wieso hatte sie das vorher nicht bemerkt?

Sie schüttelte den Schuh vom Fuß und ließ ihn auf der Treppe liegen. Patrick konnte ihn haben, wenn er wollte. Ein kleines Andenken an den Abend.

Wie Cinderella.

Als sie den Bürgersteig erreichte, bückte sie sich, zog auch den anderen Schuh aus und warf ihn über die Schulter. Es hatte keinen Sinn, halbe Sachen zu machen. Außerdem ging es wesentlich schneller, wenn sie barfuß lief.

Sie raffte den Rock und sprintete los, während die silbernen Stoffschichten um ihre Beine schwangen.

Patrick war an den Stufen stehen geblieben. Cat wandte den Kopf für eine Sekunde in seine Richtung. Guter Gott! Er hob ihren Schuh auf!

Sie wartete nicht ab, um zu sehen, was er als Nächstes tat, sondern stürmte über die Straße. Ein Auto fuhr zwischen ihr und Patrick vorbei. Sie rannte von Neuem los, bis sie mit den Schlüsseln in der Hand um die Ecke kam und die Sicherheit von Pixies knallrotem Käfer erreichte. Sie hatte sich den Wagen ausleihen müssen, weil der klapprige Buick, den sie sich mit ihren Schwestern teilte, den Geist aufgegeben hatte und in die Werkstatt gebracht werden musste.

Dann saß sie für einen Moment hinter dem Lenkrad, versuchte, zu Atem zu kommen, und war sich absolut nicht sicher, ob sie lachen oder weinen sollte. Warum in aller Welt war sie plötzlich so aufgebracht? Der Abend war vorbei. Sie hatte, was sie wollte. Pixies Haus war gerettet, und das allein zählte.

Nur das zählte! Sie lachte laut auf, schluckte ein Schluchzen hinunter und startete den Motor.

4. KAPITEL

„Das ist absolut lächerlich!“, sagte Patrick laut zu sich selbst.

Am oberen Ende der Treppe hatte er die Verfolgung aufgegeben und stand nun einfach da, wobei er sich hilfloser fühlte als jemals zuvor in seinem Leben. In einer Hand hielt er einen schwarzen Samtschuh, Größe vierzig. Der Besitz einer Frau, die sich selbst Lady Catrina Willoughby-Brown nannte. Plötzlich vernahm er ein seltsames Geräusch unbekannter Herkunft.

Ich stehe nicht wirklich um drei Minuten nach Mitternacht auf den Stufen einer städtischen Eishalle und mit einem Schuh in der Hand …

Das Geräusch verstärkte sich, als ein Auto um die Ecke gebogen kam und genau vor seiner Nase an ihm vorbeifuhr. Ein knallrotes Auto. Mit einer mysteriösen, vermutlich barfüßigen Frau hinterm Steuer.

… und ich schaue nicht gerade einem knallroten Käfer hinterher, wie er in die Nacht verschwindet, von einer Frau gefahren, deren richtigen Namen ich nicht kenne, und von der ich keine Ahnung habe, wie ich sie wiederfinden soll.

Das war verrückt, aber er musste der Wahrheit ins Auge sehen. Nicht nur, dass er sich urplötzlich wie in einem Märchen fühlte, zum allerersten Mal glaubte er auch von ganzem Herzen an ein Happy End.

Er hielt Cinderellas Schuh in seiner Hand, und das Gegenstück lag einige Meter vor ihm auf dem Bürgersteig. Ohne weiter darüber nachzudenken, wusste er, dass er das Schicksal annehmen und alles tun würde, um sein Aschenputtel zu finden.

Natürlich nur, um ihr die Pumps zurückzugeben, versteht sich.

Patrick ging die Treppe hinunter und hob den anderen Schuh auf. Nachdenklich machte er sich auf den Weg zu dem bewachten Parkplatz, um seinen Wagen abzuholen.

„Ein Traum, Sir! Ein absoluter Traum!“, schwärmte der junge Parkwächter, als er Patrick die Schlüssel zu seinem neuen Porsche C4 Cabriolet übergab.

„Nein“, antwortete dieser abwesend. „Sie ist real. Zumindest glaube ich das. Ich meine, ich habe praktisch den ganzen Abend mit ihr verbracht. Sie muss real sein. Die Frage ist nur …“

Er blinzelte, bemerkte den vollkommen konsternierten Blick des Parkwächters und realisierte mit einem Schlag: Gott, er redet von dem verdammten Wagen!

„Danke schön, es freut mich, dass Sie es genossen haben, ihn zu fahren“, brachte er mühsam hervor und kam etwa fünfunddreißig Minuten später ohne die geringste Ahnung, wie er das geschafft hatte, zu Hause an.

Am nächsten Tag hielt ihn weiterhin seine Märchenrolle gefangen. Was hatte der Prinz noch einmal gesagt? „Ich werde nicht ruhen, ehe ich diejenige gefunden habe, der dieser Schuh passt!“

Oder so etwas in der Art.

Schön, großartig. Er musste eine klare, zielorientierte Strategie entwickeln. Daran war er gewöhnt.

Nein, er brauchte eine Therapie …

Punkt eins. Wahrscheinlich lebte sie ziemlich zentral und hatte nicht besonders viel Geld. Schnell entschied er, dass er mit der ersten Annahme nicht weiterkam.

Punkt zwei …

Das war reine Intuition, denn er fügte ein paar Beobachtungen zusammen und bemerkte dabei: Sie kennt die Eishalle. Was hatte sie gesagt, als sie über die Dekoration gesprochen hatten? Dass es dort „normalerweise“ so kahl aussieht? Dann musste sie schon zuvor dort gewesen sein. Und dann blieb da noch die Frage nach der Einladung. An die war schwer he­ranzukommen. Also wird sie jemand hereingeschmuggelt haben. Jemand, der in der Eishalle arbeitet. Ja, genau das war die Lösung!

Ich brauche definitiv eine psychologische Beratung. Und zwar bald!

Nein, bald würde er in der Eishalle vorstellig werden. Es würde die erste Sache sein, die er am Montag erledigte, und zwar in seinem teuersten Anzug, mit der Aura eines Mannes, der es gewohnt ist, dass man seine Fragen beantwortet.

„Ich, ähm, habe diese Schuhe gefunden.“

Während er das Paar wie ein Friedensangebot vorstreckte, wunderte Patrick sich, warum er wie ein schuldbewusster Fünfjähriger klang, und registrierte dabei, dass die Augen der jungen Frau sich vor Überraschung weiteten.

„Oh, beim Mirabeau-Ball?“, fragte sie.

„Ja.“

Sie befanden sich im kühlen Büro der Eishalle. Es war Montagmorgen, und ein schwacher Dunst hing über der zerkratzten Oberfläche des Eises. Die prächtige Dekoration vom Samstagabend war bereits verschwunden, und professionelle Läufer in ihren Trainingssachen bevölkerten das Stadion. Das Geräusch von Kufen auf dem Eis schallte zu ihnen herüber, zusammen mit einer etwas blechernen Musik.

Er glaubte, die Frau zu kennen. War sie nicht eine der Schlittschuh laufenden Kellnerinnen am Samstagabend gewesen? Das würde Sinn machen. Genauso wie ihre Unsicherheit. Sie hatte die Schuhe erkannt, dessen war er sich sicher.

„Okay, vielen Dank, dass Sie sie vorbeigebracht haben“, erklärte Jill. „Ich mache einen Aushang, sodass sich die Besitzerin melden kann. Noch einmal danke“, wiederholte sie.

Kam es ihm nur so vor, oder wollte sie ihn unbedingt loswerden?

Um seinen Verdacht zu überprüfen, erwiderte Patrick: „Was, wenn die Schuhe jemandem gehören, der nicht zur Eishalle kommt? Ich schätze, die wenigsten Gäste des Balls tun das normalerweise.“

Jetzt wurde sie definitiv nervös. „Wahrscheinlich nicht. Aber es könnte jemand anrufen oder so etwas in der Art. Ich …“

Autor

Lilian Darcy
<p>Die Australierin Lilian Darcy hat einen abwechslungsreichen Weg hinter sich. Sie studierte Russisch, Französisch und Sprachwissenschaften und ging nach ihrem Abschluss als Kindermädchen in die französischen Alpen. Es folgten diverse Engagements am Theater, sowohl auf der Bühne als auch als Drehbuchautorin. Später hat Lilian Darcy als Lehrerin für Französisch und...
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