Julia Exklusiv Band 196

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

SERENA UND DER MILLIONÄR von MARTON, SANDRA
Jakes Erfolg ist grandios - in der Geschäftswelt ebenso wie bei Frauen. Emiliy dagegen ist schon lange auf der Suche nach dem großen Glück. Deshalb beobachtet sie ihren attraktiven Chef jetzt ganz genau. Vielleicht kann sie ja von ihm die Liebe lernen?

FALCON HOUSE - SCHLOSS DER HOFFNUNG von MORTIMER, CAROLE
Ein romantisches Schloss mitten in Yorkshire - Crys kann ihr Glück kaum fassen. Ausgerechnet im noblen ‚Falcon House’ darf sie mit ihrer Freundin Molly die Ferien verbringen. Doch dann taucht plötzlich Mollys Bruder auf, und aus Romantik wird heiße Sinnlichkeit ...

ZWISCHEN TAUSEND ROSEN von WEALE, ANNE
Holly ist fassungslos! Der begehrte Junggeselle Pierce Sutherland macht ihr doch tatsächlich einen Heiratsantrag. Ausgerechnet ihr, die lieber mit ihren Rosen spricht als mit Männern. Wie kommt er nur darauf? Und geht es Pierce auch wirklich um Hollys Liebe?


  • Erscheinungstag 19.02.2010
  • Bandnummer 196
  • ISBN / Artikelnummer 9783862952410
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

ANNE WEALE

Zwischen tausend Rosen

„Möchtest Du tanzen?“ fragt Pierce sanft. Mitten in der Nacht. Mitten in Venedig. Holly nickt und schmiegt sich an ihn. Dabei weiß sie ganz genau, dass Pierce sie nur aus Berechnung geheiratet hat. Wenn er doch nur ein einziges Mal die drei Worte über die Lippen bringen würde, die ihr alles bedeuten. Sie wäre zu allem bereit …

CAROLE MORTIMER

Falcon House – Schloss der Hoffnung

Im luxuriösen Falcon House will Crys zusammen mit ihrer Freundin Molly endlich einmal richtig entspannen. Zu ihrer Überraschung erwartet sie dort aber Mollys Bruder Sam. Und obwohl zwischen ihnen ständig die Fetzen fliegen, verfällt Crys dem faszinierenden Mann mit Haut und Haar. Doch leider hat Sam sich geschworen, niemals eine feste Bindung einzugehen …

SANDRA MARTON

Serena und der Millionär

Eine Nacht im siebten Himmel, ein Frühstück in luftiger Höhe. Wie konnte der schüchternen Emily nur so ein Glück widerfahren? Ausgerechnet ihr erfolgsverwöhnter und ausnehmend attraktiver Chef Jake führt sie ins Reich der Liebe ein. Doch Emily spürt: Ein Mann wie Jake hat sicher nicht nur Erfolg im Beruf. Sondern auch bei anderen Frauen …

1. KAPITEL

Holly hätte niemals erwartet, dass sie Pierce Sutherland ausgerechnet um halb sieben vor dem Blumengroßmarkt in London wiedersehen würde.

Holly legte großen Wert auf Pünktlichkeit. Daher war sie auch als Erste am Treffpunkt erschienen, wo sich die Teilnehmerinnen der „Führung durch den Blumenmarkt mit anschließendem Sektfrühstück und einer Vorführung im Blumenarrangieren“ versammelten.

Mittlerweile hatten sich ungefähr zwanzig Frauen – darunter eine Gruppe lächelnder Japanerinnen – eingefunden und tranken Kaffee, den Lucinda, die Organisatorin servierte.

Eine Luxuslimousine mit einem Chauffeur am Steuer glitt heran und hielt an. Ein großer Mann stieg aus und musterte die Frauen mit einem arroganten Blick. An diesen Blick erinnerte sich Holly nur zu gut – obwohl sie ihn nur einmal fünf Jahre zuvor wahrgenommen hatte.

Was, um alles in der Welt, macht Pierce Sutherland denn hier?, fragte Holly sich. Ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen bei dem Gedanken, Pierce könnte sie erkennen. Das ist nicht sehr wahrscheinlich, beruhigte sie sich dann. Er sah noch genauso aus wie damals. Aber sie hatte sich verändert, seit sie als Neunzehnjährige seinen Sinn für Humor auf die Probe gestellt hatte.

„Schenk dein Herz nur einem Mann mit Sinn für Humor“, hatte ihr Vater Holly bei einem ihrer Gespräche gesagt. „Pass auf, dass du dich nicht mit einem wichtigtuerischen Dummkopf einlässt. Davon gibt es viele.“

Obwohl Professor Nicholson dabei gelächelt hatte, war seine Warnung durchaus ernst gemeint gewesen. Er hatte nämlich den Fehler gemacht, nach dem Tod ihrer Mutter eine Frau zu heiraten, die wichtigtuerisch und geistlos war.

Er wusste es. Holly wusste es. Auch seine Freunde und Kollegen wussten es. Nur die zweite Mrs. Nicholson war sich dessen nicht bewusst. Die Beziehung war ähnlich wie die der Bennets in Jane Austens berühmtem Roman „Stolz und Vorurteil“: ein gelehrter Mann, verheiratet mit einer Frau mit Spatzenhirn, deren leibliche Töchter genauso strohköpfig wie ihre Mutter waren.

Chiara, die älteste von Hollys Stiefschwestern, war zwar nicht besonders klug, aber schön und gutmütig. Holly verstand sich mit ihr wie mit einer richtigen Schwester.

Bislang war ihnen beiden nicht das Happyend des Romans beschieden gewesen. Holly hatte noch keinen Mann kennengelernt, der so umwerfend attraktiv war wie Jane Austens Held Mr. Darcy. Und Chiara ging eine Beziehung nach der anderen ein, von denen keine ihr dauerhaftes Glück versprach. Aber wie sollte man auch den richtigen Mann finden, wenn die Welt voll mit den falschen war?

Vor fünf Jahren hatte Chiara geglaubt, Pierce Sutherland wäre der Richtige. Holly war ihm gegenüber sofort voreingenommen gewesen, und ihre Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Die Beziehung mit Chiara hatte drei Monate gedauert, dann hatte eine andere junge Frau sein Bett mit ihm teilen dürfen. Chiara waren teure Erinnerungsstücke an seine flüchtige Leidenschaft geblieben, und die Trennung hatte ihr keinesfalls das Herz gebrochen. Schon bald danach hatte sie eine neue Affäre angefangen.

Trotzdem fand Holly, dass sich Pierce wie ein Schuft benommen und damit ihr Misstrauen bestätigt hatte …

Nach Pierce stieg nun eine elegante Japanerin aus dem Auto, und er eilte zu ihr. Die Frau war viel kleiner als er. Ihre feingeschnittenen Züge und der zarte Teint bildeten einen auffallenden Kontrast zu seinem sonnengebräunten markanten Gesicht. Aber beide hatten etwas gemeinsam, nämlich Stil und Niveau. Sie trug einen Kaschmirschal über einem schlichten Wollkostüm, das sicher von einem Topdesigner stammte. Ihre Stiefel und die Handtasche waren aus feinstem Leder.

Auch Pierce sah – wie Holly sich unwillig eingestand – großartig aus. Er trug eine schwarze Hose, einen Rollkragenpullover aus Kaschmir und darüber eine blassgraue Jacke. Die Sachen betonten seine hellgrauen Augen, das dunkle Haar und die sehr dunklen Brauen.

Pierce war Amerikaner mit einer Vorliebe für alles Britische. Er war zum Studium nach Oxford gekommen und danach nicht mehr in die USA zurückgekehrt. Er hatte seinen Hauptwohnsitz nach London verlegt und besaß außerdem einige Apartments in anderen europäischen Städten.

Holly fand, dass Pierce Sutherland ein ausgesprochen egoistischer Mann war, der seinen brillanten Verstand nur zu seinem eigenen Vorteil nutzte. Als Chiara ihn kennengelernt hatte, war er bereits reich gewesen. Jetzt schwimmt er wahrscheinlich im Geld, dachte Holly abfällig. Aber dass er mit seinem Geld auch etwas Gutes tat, bezweifelte sie.

Nun hakte er seine Begleiterin unter und ging mit ihr zu der Organisatorin. Während die Japanerin anmutig den Kopf neigte, um die anderen Frauen zu begrüßen, unterhielt Pierce sich leise mit Lucinda.

Holly musterte ihn unauffällig. Sie war überrascht, dass seine Genusssucht noch keine Spuren bei ihm hinterlassen hatte, denn er wirkte keineswegs verweichlicht. Er war jetzt ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, sah aber fit und durchtrainiert aus wie ein viel jüngerer Mann mit aktiver Lebensweise, obwohl er die meiste Zeit am Schreibtisch saß und Geschäftsabschlüsse tätigte.

Nachdem Pierce Chiara damals sitzengelassen hatte, hatte Holly sich gezwungen, nicht mehr an ihn zu denken. Das war ihr erstaunlich schwergefallen. Er war einer jener Menschen, die man nach der ersten Begegnung nie mehr vergaß. In letzter Zeit hatte sie jedoch nicht mehr an ihn gedacht, und sie wollte auf keinen Fall die Bekanntschaft mit ihm erneuern. Während Holly ihn noch immer missbilligend betrachtete, gesellte sich eine andere Frau zu der Gruppe.

„Guten Morgen, meine Damen“, sagte sie und übersah dabei Pierce geflissentlich. „Ich bin Marisa Challoner und werde Ihnen später vorführen, wie man Blumen arrangiert. Da wir heute so viele sind, bilden wir zwei Gruppen. Die eine führe ich herum, Lucinda übernimmt die andere.“

Erleichtert stellte Holly fest, dass sie Lucindas Gruppe zugeteilt wurde, Pierce und seine Begleiterin hingegen der Mrs. Challoners.

Die Markthalle war groß wie ein Hangar und enthielt außer den Blumen- und Pflanzenständen auch Geschäfte, in denen Körbe und Vasen, Schleifen, Blumendraht und Weihnachtsgestecke verkauft wurden. Dorthin führte Lucinda ihre Gruppe.

Während sie herumschlenderten, sagte die Frau neben Holly: „Ich frage mich, wer der große gutaussehende Mann ist. Meinen Sie, er könnte der Leibwächter der Japanerin sein? Die Dame sieht doch aus, als wäre sie Mrs. Mitsubishi oder aber Mrs. Toyota … jedenfalls die Frau eines Multimillionärs. Ihr Begleiter spricht übrigens fließend Japanisch.“

„Woher wissen Sie das?“, fragte Holly.

„Ich bin gerade an ihnen vorbeigegangen“, erwiderte die Frau. „Da habe ich gehört, dass er für sie und die anderen Japanerinnen übersetzt hat. Seltsam, dass die an einer solchen Führung teilnehmen, wenn sie kein Englisch sprechen.“

„Vielleicht verstehen sie es besser, als sie es sprechen“, meinte Holly. „Möglicherweise sind es die Frauen von Geschäftsleuten und müssen sich irgendwie die Zeit vertreiben, während die Ehemänner an Sitzungen teilnehmen.“

Pierce hatte sie offensichtlich noch nicht entdeckt. Wenn man bedachte, dass er als Frauenheld berüchtigt war und sie die einzige junge Frau in der Gruppe war, kränkte es sie ein bisschen, dass er ihr nicht einmal einen flüchtigen Blick gegönnt hatte. Allerdings war sie warm angezogen, und die lange Hose, der dicke Pullover und die Öljacke verbargen ihre langen, schlanken Beine und ihre gute Figur. So vermummt, wirkte sie ziemlich unförmig. Was an ihr hätte also Pierce’ Aufmerksamkeit erregen sollen?

Ihr Gesicht war, wie sie fand, keineswegs ihr größter Vorzug. Sie hatte zwar einen klaren, zarten Teint, große Augen und gute Zähne, aber selbst wenn sie geschminkt war und ein schickes Kleid trug, sah sie nur „nett“ aus, nicht „hinreißend“ oder „bezaubernd schön“ wie ihre Stiefschwester. Das bedrückte Holly allerdings nicht.

Ihre Mutter war auch keine Schönheit gewesen, doch ihr Vater hatte sich auf den ersten Blick in sie verliebt – und war über ihren Tod verzweifelt gewesen. Eines Tages, so hoffte Holly, würde jemand ähnlich starke Gefühle für sie empfinden. Ein Mann mit denselben Moralvorstellungen wie sie, kein kaltherziger Frauenheld wie Pierce …

Das Frühstück wurde in einem L-förmigen Raum im ersten Stock der Markthalle serviert. Sobald sich alle gesetzt hatten, gingen die Kellnerinnen und Kellner mit Sektflaschen und Krügen eisgekühlten Orangensafts herum.

Holly trank ihren Sekt lieber pur. Und da sie mit dem Taxi gekommen war, brauchte sie sich auch nicht auf ein Glas zu beschränken. Sie hatte bei Chiara übernachtet und wollte auch bei ihr zu Mittag essen. Nachmittags würde sie dann mit dem Zug zurück nach Norfolk fahren, wo sie arbeitete und lebte.

An dem Tisch mit den Japanerinnen saß Pierce, mit dem Rücken zu ihr. Er erzählte offensichtlich einen Witz auf Japanisch, denn plötzlich erklang fröhliches Gelächter.

Dass Pierce so gut Japanisch spricht, liegt sicher nicht daran, dass er die japanische Kultur schätzt, dachte Holly. Eher interessierte ihn das Land als Wirtschaftsmacht, denn Geld zu scheffeln war schließlich sein Hauptanliegen.

Während sie Croissants aß und gelegentlich an der Unterhaltung an ihrem Tisch teilnahm, blickte sie immer wieder magnetisch angezogen auf Pierce’ breite Schultern und sein markantes Profil.

Nach dem Frühstück stand Marisa Challoner auf und begann die Vorführung im Blumenarrangieren.

„Diejenigen, die mit dem Rücken zu mir sitzen, drehen besser die Stühle um, anstatt ständig über die Schulter zu schauen“, empfahl Mrs. Challoner.

Beunruhigt sah Holly, dass Pierce das tatsächlich tat. Jetzt brauchte er den Blick nur ganz leicht nach links zu richten, um ihr direkt in die Augen zu sehen.

Während sie ein Notizbuch öffnete, überlegte sie kurz, ob sie einen Ellbogen aufstützen und das Gesicht mit der Hand verdecken sollte. Nein, das wäre albern, tadelte Holly sich dann. Pierce würde sie sicher nicht erkennen, da sie sich ja nur einmal begegnet waren: auf jener steifen Dinnerparty, bei der sie sich – laut ihrer Stiefmutter – so danebenbenommen und sich als schlecht erzogen und kindisch entpuppt hatte.

Tatsächlich hatte ihr Streich damals bei allen Anwesenden schallendes Gelächter hervorgerufen – außer bei Mrs. Nicholson, Chiara und Pierce. Holly erinnerte sich genau an seinen eisigen Blick und die missbilligend zusammengepressten Lippen.

Die Vorführung schlug alle in ihren Bann. Aus einfachsten Materialien schuf Marisa Challoner ein Gesteck, das auch dem luxuriösesten Wohnzimmer zur Ehre gereicht hätte. Während sie geschickt die Blumen arrangierte, plauderte sie über ihre aufregendsten Aufträge, zum Beispiel einen Blumenstrauß im Wert von fünfhundert Pfund für einen Filmstar oder den Blumenschmuck für die Hochzeit eines Popstars, wofür ihr ein Budget von hunderttausend Dollar zur Verfügung gestanden hatte.

Nachdem Mrs. Challoner ihren Vortrag beendet hatte, erkundigte sie sich, ob jemand Fragen habe. Holly vergaß völlig, dass sie sich im Hintergrund halten wollte, und hob die Hand.

„Ja, bitte?“, sagte Mrs. Challoner.

Holly stellte die Frage und war sich bewusst, dass sie jetzt unweigerlich Pierce’ Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. Er sah sie so eindringlich an, dass sie beinahe kein Wort von Mrs. Challoners Antwort mitbekam.

Danach schaute Holly verstohlen zu Pierce und merkte, dass er sie noch immer betrachtete. Als sich ihre Blicke trafen, nickte er ihr freundlich zu. Er hatte sie also wiedererkannt, und wahrscheinlich würde er sie nachher sprechen wollen.

Da nun andere Frauen eifrig Fragen stellten, blieben Holly einige Minuten, in denen sie sich gegen die Begegnung wappnen konnte. Was Pierce wohl sagen würde? Vielleicht würde er sich nach Chiara erkundigen. Da deren Fotos häufig die Klatschspalten der Regenbogenpresse zierten, musste er ja wissen, dass Chiara seit der Affäre mit ihm ständig neue flüchtige Beziehungen einging. Er hatte sie – das war jedenfalls Hollys Meinung – sozusagen auf den Pfad der Untugend geführt, ihre Lust an einer Lebensweise geweckt, die ausschließlich dem Vergnügen gewidmet war, für das andere die Rechnungen beglichen. Zumeist waren es wesentlich ältere Männer, und einige von ihnen waren sogar verheiratet.

Chiaras Lebenswandel stieß Holly ab. Es verursachte ihr beinah so viel Kummer, als wäre ihre Stiefschwester drogenabhängig. Sie beide hatten schon ungezählte Male darüber diskutiert, aber Chiara sah einfach nicht ein, warum sie keinen Profit aus ihrem größten Vorzug, nämlich ihrer Schönheit, schlagen sollte.

Mit einem Mal bemerkte Holly, dass die anderen Frauen aufstanden und sich die Mäntel anzogen.

„Wir haben uns wirklich lange nicht gesehen.“ Plötzlich stand Pierce vor ihr. „Wie geht es Ihnen, Holly?“ Sie war erstaunt, dass er sich noch an ihren Namen erinnerte. „Mir geht es gut. Und Ihnen?“, erwiderte sie höflich kühl.

„Sehr gut, danke. Leben Sie jetzt in London?“

„Nein, in Norfolk. Ich bin wegen der Veranstaltung heute extra nach London gekommen.“

„Sind Sie verheiratet?“

Holly schüttelte den Kopf.

„Sie arbeiten?“, fragte Pierce weiter.

„Ja, ich bin Landschaftsarchitektin.“

„Ein schöner Beruf – vorausgesetzt, man bekommt genügend Aufträge, um sich über Wasser zu halten. Hat die Rezession Sie schwer getroffen? Oder arbeiten Sie für eine Firma, die auch die harten Zeiten übersteht?“

„Ich arbeite selbständig und kann davon leben. Und wie ist es bei Ihnen? Ist Schachern und Handeln noch immer Ihr Metier?“, erkundigte sie sich verächtlich.

„Ja, das könnte man so sagen. Allerdings nicht ganz so wie damals, als ich mit Chiara zusammen war. Wie geht es ihr eigentlich? Ist sie immer noch ein Playgirl oder inzwischen glücklich verheiratet?“, erkundigte Pierce sich beiläufig.

Das machte Holly wütend und ließ ihre alte Abneigung gegen ihn aufleben. „Sie sind schuld, dass sie ein Playgirl geworden ist, eine junge Frau, die nur an ihr Vergnügen denkt und andere dafür bezahlen lässt.“

„Das stimmt nicht ganz“, erwiderte Pierce gleichmütig. „Chiara hatte schon zwei Affären gehabt, bevor ich auf der Szene erschien. Eine so hinreißend attraktive Frau zieht Männer magnetisch an, und Chiara kannte das Spiel bereits. Sie hingegen, Holly, hegten romantische Illusionen über das Leben.“

„Da Sie und ich uns bisher nur einmal begegnet sind und bei der Gelegenheit kaum miteinander geredet haben, finde ich Ihre Bemerkung verdammt unverschämt“, sagte Holly aufgebracht. Sie wollte ihn unbedingt in die Schranken weisen.

„Chiara hat aber oft über Sie gesprochen“, erklärte Pierce. „Sie hat sich Sorgen gemacht, dass Sie verletzt werden könnten … dass Sie nicht mit Leuten umgehen könnten, die Ihre Ideale nicht teilten. Ich fand das nicht. Vielmehr meinte ich – nach allem, was ich von Chiara über Sie gehört hatte –, dass Sie zäher seien, als Sie aussahen.“

„Jedenfalls war ich lebensklug genug, um Sie zu durchschauen“, erwiderte Holly. „Dass Sie Chiara sitzenlassen würden, sobald sie Ihnen langweilig würde, wusste ich. Ich habe Sie damals nicht gemocht, Mr. Sutherland, und ich möchte meine flüchtige Bekanntschaft mit Ihnen jetzt keinesfalls vertiefen. Es wundert mich, dass Sie die Unverfrorenheit besessen haben, mich heute anzusprechen. Wenn Sie auch nur einen Funken Anstand besäßen, hätten Sie sich bei meinem Anblick wie ein geprügelter Hund verzogen.“

Sie wollte gerade ein kühles „Entschuldigen Sie mich jetzt bitte“ hinzufügen, als seine japanische Begleiterin zu ihnen kam.

In perfektem Englisch sagte diese: „Ich bin bereit, aufzubrechen, wenn Sie es auch sind, Pierce. Können wir Ihre Bekannte irgendwohin mitnehmen? Es regnet in Strömen, habe ich gehört.“

Pierce stellte Holly vor, die ihre Gereiztheit verbergen musste, während sie mit Mrs. Shintaro sprach.

„Sind Sie mit dem eigenem Auto hergekommen, Miss Nicholson?“, erkundigte sich die Japanerin.

Holly hätte das am liebsten bestätigt. Aber wenn es draußen wirklich goss, würde sie auf der Suche nach einem Taxi bis auf die Haut durchnässt werden. Deshalb hielt sie es für vernünftiger, das Angebot anzunehmen, obwohl sie das Treffen mit Pierce lieber nicht ausgedehnt hätte.

Als sie fünf Minuten später neben Mrs. Shintaro auf dem Rücksitz der Limousine saß, war Holly froh über ihren Entschluss, denn es goss tatsächlich in Strömen, und am Themseufer wehte ein starker Wind.

„Es war sehr nett von Pierce, mich zu begleiten“, meinte Mrs. Shintaro. „Ich spreche zwar recht gut Englisch, aber bei speziellen Themen gibt es immer wieder ungewohnte Fachausdrücke. Pierce ist ein wahres Sprachgenie, und er war mir eine große Hilfe.“

„Was haben Sie denn von der Vorführung gehalten?“, fragte Holly. „Mrs. Challoners Art, Blumen zu arrangieren, ist ja ganz anders als das japanische Ikebana.“

„Sie kennen Ikebana?“ Mrs. Shintaro sah überrascht aus.

„Nicht gut, aber ich habe einige Bücher darüber gelesen“, antwortete Holly.

Pierce wandte sich ihnen zu und mischte sich in die Unterhaltung ein. „Holly hat mir erzählt, dass sie jetzt Landschaftsarchitektin ist. Als wir uns vor fünf Jahren kennenlernten, ging sie noch aufs College. Ich war damals mit ihrer zwei Jahre älteren Stiefschwester eng befreundet.“

„So wie Sie es ausdrücken, klingt es nach Jugendliebe“, sagte Holly kühl. „Aber das war es nicht. Sie waren dreißig, Chiara erst einundzwanzig, und Sie haben sie verführt.“ Eigentlich hatte sie ihm in Mrs. Shintaros Gegenwart keine Vorhaltungen machen wollen, aber die zornige Anschuldigung war ihr so herausgerutscht.

„Ich habe Chiara nicht verführt“, entgegnete Pierce ruhig. „Jedenfalls war ich nicht ihr erster Liebhaber. Der hieß Matthew oder Mike und hat sie auf dem Rücksitz eines Autos entjungfert. Der junge Mann hat es genossen, Chiara nicht. Und sie hatte anschließend zwei Wochen lang höllische Angst, sie könnte schwanger sein. Bei mir hingegen wusste sie, woran sie war: Sie hatte viel Spaß und riskierte es nicht, schwanger zu werden.“ Lächelnd wandte er sich Mrs. Shintaro zu. „Ich hoffe, diese intimen Einzelheiten schockieren Sie nicht, Fujiko, aber dies ist für mich vielleicht die einzige Gelegenheit, Hollys falsche Annahmen über mich zu korrigieren.“

„Ich lebe schon zu lange im Westen, um noch über etwas schockiert zu sein“, erwiderte Fujiko Shintaro gelassen. „Ist es denn wahr, dass Sie Ihre Freundinnen früher schlecht behandelt haben, Pierce?“

„Im Gegenteil, ich war außergewöhnlich nett zu ihnen. Chiara würde es Ihnen sicher bestätigen. Wir sind gemeinsam auf die Seychellen gereist. Ich habe ihr ein Auto geschenkt, Kleider und kurz vor unserer Trennung einen Ring, den sie unbedingt haben wollte.“

Nach einer kurzen Pause fügte er trocken hinzu: „Chiara hat mir nie etwas geschenkt. Außer sich selbst natürlich. Abgesehen von ihrem Gesicht und ihrem Körper hatte sie allerdings nicht viel zu bieten. Ihr Wissen war beschränkt. Sie hatte keine eigene Meinung. Mit ihr zu reden war, als würde man sich mit einer ziemlich unbedarften Fünfzehnjährigen unterhalten. Vielleicht hat sie sich ja geändert, aber vor fünf Jahren fand ich sie wirklich langweilig.“

„Sie sind gemein und ein widerlicher Macho“, brauste Holly auf, dann wandte sie sich Mrs. Shintaro zu. „Würden Sie Ihren Fahrer bitten, anzuhalten, damit ich aussteigen kann? Wenn ich auch nur eine Minute länger in diesem Auto bleibe, könnte ich die Beherrschung verlieren.“

„Aber es regnet viel zu stark“, wandte Mrs. Shintaro ein. „Ich schlage vor, wir fahren in mein Apartment. Dort können Sie und Pierce ungestört streiten und die Sache klären. Ich muss Ihnen nämlich sagen, dass Ihr Bild von Pierce nicht mit meinem übereinstimmt. Und auch mein verstorbener Mann, der ein guter Menschenkenner war, hielt sehr viel von ihm, weil Pierce seltene und schätzenswerte Eigenschaften besitzt. Dass er Ihre Schwester schlecht behandelt hat, ist Jahre her. Jetzt würde er es sicher nicht mehr tun.“

Holly zwang sich, ruhig zu sprechen. „Es tut mir leid, dass wir Sie in diesen Streit verwickelt haben. Es war Pech, dass Pierce und ich uns heute begegnet sind. Übrigens bin ich mir sicher, dass es ihm völlig egal ist, was ich von ihm halte. Ich mag ihn nicht und werde ihn niemals mögen. Wenn Sie ihn schätzen, hoffe ich, dass er Sie nicht enttäuschen wird.“

Diplomatisch wechselte Mrs. Shintaro das Thema. „Sie sind also Landschaftsarchitektin, Miss Nicholson. Wo haben Sie Ihre Ausbildung gemacht?“ Sie schien ehrlich an der Antwort interessiert zu sein.

Deshalb schilderte Holly gern ihre bisherige Ausbildung und Laufbahn, erzählte von der Schule, die sie besucht hatte, und wie sie den ersten Preis in einem Wettbewerb für Gartengestaltung gewonnen und daraufhin gleich zwei Aufträge erhalten hatte.

„Anfangs muss man einfach auch Glück haben“, meinte sie. „Für den Fall, dass es nicht gleich klappen sollte, hatte ich mich auch zur Sekretärin ausbilden lassen und hätte zur Überbrückung eine Zeit lang als Schreibkraft arbeiten können.“

„Sie scheinen demnach sehr praktisch zu denken, aber Sie müssen auch künstlerisch begabt sein, denn alle guten Gärtner sind Künstler. Wer hat Sie besonders inspiriert? Und wessen Arbeit bewundern Sie am meisten?“, fragte Mrs. Shintaro.

Als sich herausstellte, dass Mrs. Shintaro mit europäischer Gartenkunst gut vertraut war, konnte Holly diese Frage ausführlich beantworten. Daraus entwickelte sich eine angeregte Unterhaltung.

Wenn nicht Pierce dabei gewesen wäre, hätte Holly das Gespräch wirklich genossen, denn Mrs. Shintaro war eine der interessantesten Frauen, die sie jemals getroffen hatte. Unter anderen Umständen hätte sie sicher vieles von ihr gelernt.

Mrs. Shintaro schien ihrerseits Gefallen an ihr gefunden zu haben, denn als das Auto vor einem markisengeschützten Eingang in einer eleganten Straße nicht weit vom Grosvenor Square entfernt hielt, lud sie Holly in ihr Apartment ein, um ihr einige Bilder zu zeigen. Der Chauffeur sollte Pierce inzwischen nach Hause und Holly später an jedes gewünschte Ziel bringen.

Dann wandte Mrs. Shintaro sich Pierce zu. „Wir sehen uns ja auf Catrinas Empfang am Freitag. Vielen Dank, dass Sie mich heute begleitet haben.“

Er lächelte. „Es ist mir immer ein Vergnügen, mit Ihnen zusammen zu sein, Fujiko.“ Sein Lächeln verschwand, als er Holly ansah. „Grüßen Sie Chiara von mir. Ich bezweifle, dass sie Ihre Gefühle für mich teilt. Versuchen Sie doch mal, weniger kritisch und voreingenommen zu sein. Bei unserer ersten Begegnung mochte ich Sie gern, Holly, aber jetzt kommen Sie mir ziemlich spießig und selbstgerecht vor. Das sind keine sehr anziehenden Eigenschaften.“

Sein ironischer Ton brachte Holly förmlich zur Weißglut. Zum ersten Mal im Leben verspürte sie den Drang, jemandem mit aller Kraft ins Gesicht zu schlagen.

Doch Mrs. Shintaro zuliebe unterdrückte sie ihren Zorn und stieg aus, ohne auf Pierce’ Abschiedsgruß zu reagieren.

2. KAPITEL

Fujiko Shintaros Penthouse war die luxuriöseste Wohnung, die Holly jemals gesehen hatte.

„Bevor ich Ihnen meine Bilder zeige, trinken wir erst mal eine Tasse Kaffee, einverstanden?“, schlug die Gastgeberin vor.

Danach zeigte sie Holly ihre Kunstschätze. Am besten gefiel Holly eine große Bronzehand mit einem eingravierten Armband und einem seltsamen Muster in der nach oben gedrehten Handfläche.

„Ist die aus Japan?“, fragte sie bewundernd.

„Nein, die hat mein Enkel Ben in Nepal gefunden“, antwortete Mrs. Shintaro und lächelte. „Er ist förmlich verliebt in den Himalaja. Die Hand ist ihm auf einem Markt aufgefallen. Sie wurde als Behälter für Schrauben benutzt. Da Ben dachte, sie würde mir gefallen, kaufte er sie mir. Und sie ist eins meiner liebsten Besitztümer, weil sie ein Geschenk meines Enkels ist. Ben und ich stehen uns sehr nahe. Seine Mutter, meine jüngste Tochter, war mit einem Amerikaner verheiratet. Sie und ihr Mann starben tragischerweise bei einem Unfall, als Ben erst acht Jahre alt war.“ Mrs. Shintaro seufzte. „Ich bemühte mich nach Kräften, ihn zu trösten, und später, als ich meinen Mann verlor, tat Ben dasselbe für mich. Durch ihn haben wir auch Pierce kennengelernt, der übrigens eine ähnliche Bronzehand aus Nepal besitzt.“

Als Holly nichts dazu bemerkte, fügte Mrs. Shintaro hinzu: „Pierce ist ebenfalls von den Bergen fasziniert. Für manche Männer ist es eine Leidenschaft, fast so stark wie Liebe oder Religion.“ Sie machte eine Pause, bevor sie fortfuhr: „Wenn Ihre Schwester nicht böse auf Pierce ist, warum empfinden Sie dann eine so starke Abneigung gegen ihn? Zorn ist ein zerstörerisches Gefühl. Jemanden lange zu hassen schadet der Seele.“

„Ich hasse ihn nicht seit Jahren“, erwiderte Holly. „Inzwischen hatte ich beinah vergessen, dass es Pierce gibt. Man kann ja nicht unaufhörlich vor Zorn kochen. Aber Tatsache ist, dass Pierce meine Stiefschwester – auch wenn er nicht ihr erster Liebhaber war – auf den Gedanken gebracht hat, dass ihre Schönheit … na ja, um es krass auszudrücken, eine Art Ware ist. Seit ihrer Beziehung mit Pierce hat Chiara eine Affäre nach der anderen mit reichen Männern. Sie liebt diese Männer nicht, sondern benutzt sie – so wie Pierce sie benutzt hat. Würden Sie für ihn nicht dasselbe empfinden wie ich, wenn er das Ihrer Tochter angetan hätte?“

Mrs. Shintaro nickte. „Doch, dann wäre ich sicher sehr zornig. Wie haben denn Ihre Eltern damals reagiert?“

Holly erklärte ihr, dass Chiara nur eine Mutter habe, die nicht gerade für ihre Geistesgaben und Lebensweisheit bekannt sei. Nachdem sie ihren familiären Hintergrund geschildert hatte, sagte sie: „Vielleicht führt Pierce ja eine Art Doppelleben und bringt seine nicht Geliebten mit seinen richtigen Freunden zusammen.“

„Nein, das glaube ich nicht, denn meiner Ansicht nach ist Pierce sehr offen und sagt oft Dinge, die andere schockieren. So wie vorhin, als er ganz unverblümt über die Beziehung zu Ihrer Schwester gesprochen hat.“

„Das war bloß Selbstgefälligkeit“, meinte Holly. „Er klang, als wäre er stolz auf sich und als wäre alles in Ordnung, nur weil er Chiara ein Auto geschenkt und mit ihr auf die Seychellen gereist ist. Der Mann hat keine Moral. Für ihn sind Frauen einfach Annehmlichkeiten und keine gleichberechtigten Wesen.“

„Über Gleichberechtigung denke ich natürlich anders als Sie, weil ich einer anderen Generation angehöre und einem anderen Kulturkreis entstamme“, erwiderte Mrs. Shintaro. „Deshalb kann ich also nur sagen, dass eine junge Frau, die Pierce’ Respekt erringen will, ganz außergewöhnliche Qualitäten besitzen müsste, weil er …“ Sie verstummte, als ihr japanischer Butler hereinkam und etwas auf Japanisch sagte.

Mrs. Shintaro antwortete ihm in ihrer Muttersprache, bevor sie sich wieder Holly zuwandte. „Mein Butler hat mich daran erinnert, dass ich zum Mittagessen verabredet bin. Es hätte mir mehr Vergnügen bereitet, mit Ihnen zu essen. Allerdings hoffe ich, dass wir es bei einer anderen Gelegenheit nachholen können. Kommen Sie oft nach London?“

„Ich besuche manchmal meine Schwester, wenn sie mit sich nichts anzufangen weiß. Sie könnte ja auch zu mir kommen, aber sie schätzt das Landleben nicht besonders“, erklärte Holly, während sie den Raum durchquerten.

„Ich würde Sie gern wiedersehen“, sagte Mrs. Shintaro. „Junge Leute interessieren mich, vor allem wenn sie wie Sie, Holly, eine ungewöhnliche Laufbahn eingeschlagen haben. Wenn Sie mir Ihre Adresse geben, können wir in Verbindung bleiben.“

Holly notierte ihre Anschrift und verabschiedete sich. Als sie einige Stunden später im Zug nach Norfolk saß, fragte sie sich, was Mrs. Shintaro über Pierce hatte sagen wollen, als der Butler sie unterbrochen hatte.

Überhaupt verbrachte Holly recht viel Zeit damit, über Pierce nachzudenken. Dass sie ihm über den Weg gelaufen war, bedeutete nicht, dass sie ihn wiedersehen würde. Zwischen ihnen lagen sozusagen Welten. Außerdem hielt sie es für unwahrscheinlich, dass Mrs. Shintaro den Kontakt zu ihr aufrechterhalten würde.

Nein, sie, Holly, würde weiterhin ihre Zuneigung an ihren Kater Parson verschwenden, der immer zutraulich war und nicht nur, wenn er Hunger hatte. Offensichtlich wusste Parson nicht, dass Katzen angeblich von Natur aus zurückhaltend und launisch waren. Vielmehr schien er sich noch zu erinnern, dass sie ihn vor dem Verhungern bewahrt hatte, als er ein Baby gewesen war.

Manchmal fragte sie sich, wie er reagieren würde, wenn und falls sie sich verliebte. Dann müsste er das Bett, das er als sein und ihr Territorium betrachtete, mit einem Dritten teilen.

Bisher hatte Holly noch keinen Mann in ihrem Bett schlafen lassen. Bei ihren zwei unglücklichen Beziehungen hatte sich Sex – für sie keine sehr ekstatischen Erlebnisse – draußen abgespielt, denn es war Sommer gewesen.

Vielleicht war sie ja vom Schicksal dazu verurteilt, unverheiratet zu bleiben und stattdessen eine berühmte Landschaftsarchitektin zu werden – so wie Gertrude Jekyll, die bis heute eine Inspiration für leidenschaftliche Gärtner darstellte.

Das war eine angenehme Zukunftsvision … Aber noch angenehmer war die Vorstellung, in den kommenden Jahren im Winter am Kamin sitzend Saatkataloge durchzublättern oder Gärten zu planen – und jemand saß ihr gegenüber, blickte von seinem Buch auf und fragte: „Wollen wir jetzt ins Bett gehen, Schatz?“

Und das Funkeln in seinen Augen würde signalisieren, dass er nicht nur ans Schlafen dachte …

Zwei Wochen nach der Fahrt nach London, an einem klaren, windigen Tag im November, an dem die kahlen Bäume vor dem Himmel wie auf einem Aquarell wirkten, machte Holly Mittagspause, nachdem sie den ganzen Vormittag energisch Beete umgegraben hatte.

Sie legte sich gerade den Pullover um die Schultern und verknotete locker die Ärmel, als jemand durch den Bogen in der alten Eibenhecke kam.

„Guten Tag“, begrüßte Pierce sie. „Man sagte mir, dass ich Sie hier finde. Ihre Wangen sind rosig wie Feliciarosen. Gehen Sie mit mir essen?“

„Was machen Sie denn hier?“, fragte Holly beklommen.

„Mir war nach einer Fahrt aufs Land zumute. Außerdem wollte ich Sie wiedersehen. Deshalb habe ich Fujiko so lange zugesetzt, bis sie mir Ihren Aufenthaltsort verraten hat.“

„Warum wollen Sie mich sehen? Sie wissen doch, dass ich Sie nicht ausstehen kann und sich daran niemals etwas ändern wird“, verkündete Holly missmutig.

„Wie heißt es doch so schön? ‚Sag niemals nie‘. Finden Sie es nicht ein bisschen voreilig, zu behaupten, Ihre Gefühle würden sich nicht ändern?“

„Das kann Ihnen doch egal sein. Unzählige Frauen sind bereit, nach Ihrer Pfeife zu tanzen. Weshalb wollen Sie dann auch noch mich mit Ihrem Charme betören?“

„Ich fühle mich zu Ihnen hingezogen, Holly – schon seit unserer ersten Begegnung, als Sie mit Ihren neunzehn Jahren noch ein Küken waren. Was Sie damals nach dem Essen aufgeführt haben, war das Komischste, was ich seit Jahren gesehen hatte. Mir gefiel Ihr Sinn für Humor. Kein Mädchen, das ich kannte, hätte auch nur im Traum an einen solchen Ulk gedacht.“

Holly war überrascht. Insgeheim hatte sie Pierce immer angekreidet, dass er an ihrem Streich nichts Komisches gefunden hatte. Und obwohl er damals so pikiert gewirkt hatte, behauptete er nun, er habe sich im Stillen köstlich amüsiert. Durfte sie ihm das glauben?

„Ich habe gehört, dass es nicht weit von hier ein gutes Lokal gibt. Deshalb habe ich, in der Hoffnung, Sie zum Mittagessen mit mir überreden zu können, schon von London aus einen Tisch reservieren lassen. Möchten Sie mit mir essen, Holly? Und mir Gelegenheit geben, Ihnen zu beweisen, dass ich kein so übler Kerl bin, egal, was ich in der Vergangenheit angestellt habe?“

„Na schön“, stimmte Holly nach kurzem Überlegen zu. „Allerdings verstehe ich noch immer nicht, warum Ihnen etwas an meiner Meinung liegt.“ Sie nahm ihre Gürteltasche und hängte sie sich über die Schulter. Vielleicht konnte sie sich im Lokal kämmen und Lippenstift auftragen.

Als sie den Garten verließen und aufs Haus zugingen, sagte Pierce: „Erzählen Sie mir etwas über diesen Besitz. Das Haus ist neu, aber der Garten wirkt alt.“

„Stimmt. Das frühere Herrenhaus wurde vor vierzig Jahren abgerissen, deshalb hat der jetzige Besitzer sich ein neues, kleineres Haus bauen lassen“, erklärte Holly. „Den Garten hat am Anfang des Jahrhunderts ein berühmter Landschaftsarchitekt angelegt, der auch die Eibenhecke gepflanzt hat, aber die Anlage war völlig überwachsen. Nun versuche ich, den ursprünglichen Garten wiederherzustellen.“

Erstaunlicherweise verstand Pierce sofort, was für eine Aufgabe das bedeutete. „Das muss ja die reinste Detektivarbeit sein. Haben Sie die geleistet?“

„Ja, und es hat mir viel Freude gemacht, weil ich gern recherchiere und Hinweisen nachgehe.“

„Wann wird dieser Job beendet sein?“

„Das Haus wird im Frühling bezugsfertig, und bis dahin ist auch der Garten bereit für den neuen Gärtner.“

„Was haben Sie dann vor, Holly?“

„Nichts Bestimmtes. Ich betreue einige Gärten. Einer von ihnen wird in der Januarausgabe von „House and Garden“ vorgestellt, und das könnte mir neue Aufträge einbringen. Übrigens, woher kennen Sie Feliciarosen?“

„Ganz einfach, ich habe einmal welche gesehen und gefragt, wie sie heißen. Sie, Holly, haben mich vor fünf Jahren an eine Rosenknospe erinnert. Jetzt sind Sie – um bei dem Vergleich mit einer Rose zu bleiben – so weit erblüht, dass Sie ein Haus schmücken oder im Mittelpunkt eines Bildes von Fantin-Latour stehen könnten.“ Pierce lächelte. „Ja, von dem habe ich schon gehört. Sie hatten mich als Kunstbanausen eingestuft, stimmt’s?“

„Na ja, ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich für französische Blumenmaler aus dem vorigen Jahrhundert interessieren“, gestand Holly.

„Mich interessiert grundsätzlich alles. Für mich ist das Leben wie ein riesiges Warenhaus, gefüllt mit Gütern aus der ganzen Welt und aus allen Jahrhunderten. Daraus kann man sich für seine persönliche Schatzkiste aussuchen, was einem gefällt. Und ich entdecke allmählich die Dinge in den versteckten Winkeln, Dinge, die man erst ausgraben muss, weil sie einem nicht sofort ins Auge springen. So wie Fantin-Latour zum Beispiel.“

Holly schwieg überrascht. Mit dieser Lebensauffassung hätte Pierce sich gut mit ihrem Vater verstanden. Auch Professor Nicholson hatte die Welt als einen Ort voller Wunder und Freuden angesehen, jedoch oft zwischen Ärger und Verzweiflung geschwankt, weil so viele Menschen nichts Höheres anstrebten und einen engen Horizont hatten.

„Wann haben Sie denn den Weg in die Gartenabteilung des Warenhauses namens Leben gefunden?“, fragte Pierce schließlich.

„Schon als Kind. Meine Großmutter teilte mir in ihrem Garten ein Beet zu, schenkte mir kindgerechte Gartenwerkzeuge und versorgte mich mit den Samen. Und von da an hat sich alles weiterentwickelt.“

„Wo wohnen Sie eigentlich, während Sie sich hier mit dem Projekt befassen?“, erkundigte Pierce sich.

„Ich habe ein kleines Sommerhaus in der Nähe gemietet. Es hat zwar keine Zentralheizung, aber es gibt einen Kaminofen im Wohnzimmer. Ich habe mir eine Ladung Holzscheite und eine Heizdecke gekauft, die mein Bett wärmt.“

Das war ihr so herausgerutscht, und Holly bedauerte es sofort, denn Pierce sah sie vielsagend an.

„Schlafen Sie immer allein, Holly? Auch am Wochenende?“

„Nein, ich schlafe nie allein, sondern teile mein Bett mit einem sehr netten Kater. Er ist kastriert, damit er nachts nicht herumstreunt und Katzenmusik macht. Schade, dass man streunende Männer nicht einfach kastrieren kann. Das würde viele Probleme ersparen.“

Pierce lachte. „Wenn man Sie so sieht, würde man nie vermuten, dass Sie eine Männerfeindin sind.“

„Ich hasse keineswegs alle Männer“, entgegnete Holly. „Nur diejenigen, die Frauen ausschließlich als Sexobjekte betrachten.“

„Dann sollten Sie sich vielleicht von Kopf bis Fuß verhüllen wie moslemische Frauen, damit kein Mann Sie bewundernd ansehen kann. Allerdings wäre so ein Schleier bei der Gartenarbeit sicher hinderlich. Ist es eigentlich üblich, dass eine Landschaftsarchitektin eigenhändig Beete umgräbt? Ich hätte gedacht, Ihre Arbeit erfordere eher ein Lineal als einen Spaten.“

„Eigentlich schon, aber ich kann bei Arbeiten wie dem Umgraben besonders gut über gestalterische Probleme nachdenken.“

„Mir hilft körperliche Betätigung ebenfalls beim Nachdenken“, meinte Pierce. „Ich gehe dann meist schwimmen.“

Inzwischen waren sie bei seinem Auto angelangt, einem bejahrten, aber gepflegten Jaguar. Holly hatte erwartet, dass Pierce einen auffallenden, ungemein teuren Wagen fuhr, doch anscheinend benötigte er keine derartigen Statussymbole.

Seine guten Manieren beeindruckten sie. Er öffnete die Beifahrertür für sie und half ihr beim Einsteigen. Die meisten ihrer Bekannten wussten nicht einmal, dass so etwas früher üblich gewesen war. Holly wusste es, weil ihr Vater tadellose Manieren gehabt hatte. Sie verglich unwillkürlich alle Männer mit ihm, und die meisten reichten nicht an ihn heran.

Während Pierce den Motor anließ, sagte er: „Erzählen Sie mir doch mehr über Ihren Kater, der das Privileg hat, in Ihrem Bett schlafen zu dürfen. Ich besitze nämlich auch eine Katze, eine sogenannte Maine Coon, mit buschigem Fell und ausgeprägter Persönlichkeit.“

„Ja, die Rasse kenne ich“, warf Holly ein.

„Meine Katze schläft allerdings nicht bei mir“, fügte Pierce hinzu. „Sie heißt Louisa und wurde als Kätzchen von meiner amerikanischen Tante, die nichts von den britischen Quarantänebestimmungen hält, nach England geschmuggelt. In meinem Haushalt gibt es also eine illegale Einwanderin. Schockiert Sie das?“

„Nein, aber es überrascht mich. Da ich ja, wie Sie mir neulich vorwarfen, ziemlich spießig bin, würde ich niemals bewusst ein Gesetz brechen.“

„Würden Sie denn jemanden verraten, der es getan hat?“, fragte Pierce. „Vor allem wenn es sich bei dem Gesetzesbrecher um Ihre Lieblingstante handelt?“

„Nein“, gab Holly zu. „Und wenn die Katze geimpft war, bestand ja keine Gefahr, dass sie die Tollwut einschleppt.“

„Stimmt. Und was für eine Rasse ist Ihr Kater?“

„Nur ein gewöhnlicher getigerter Hauskater mit weißen Pfoten und einem weißen Streifen am Hals, der wie eine Halskrause am Talar aussieht. Deswegen habe ich ihn auch Parson genannt. Manchmal begleitet er mich zur Arbeit, aber heute war er schon durch die Katzenklappe verschwunden, bevor ich aufgestanden bin. Er kann kommen und gehen, wann er will.“

Angeregt unterhielten sie sich über ihre Haustiere, und schließlich meinte Pierce: „Wer hätte nach dem Streit letztes Mal gedacht, dass wir jemals so locker über unsere Katzen plaudern würden? Ihnen ist doch klar, dass die meisten Japaner über unser Verhalten zutiefst schockiert gewesen wären, weil sie Konfrontationen vor anderen meiden. Unhöflichkeit ist gleichbedeutend mit einem Gesichtsverlust, also dem Verlust von Würde.“

„Mrs. Shintaro schien es jedenfalls gelassen hinzunehmen. Sie war nachher noch sehr freundlich zu mir.“

„Ja, sie ist ausgesprochen tolerant. Als junge Frau muss sie die absolute Traumfrau jeden Mannes gewesen sein: schön, intelligent, liebevoll und treu ergeben.“

„Sie meinen wohl eher nachgiebig, oder?“, warf Holly ein. „Aber nicht alle Männer möchten eine Frau, die sich sozusagen als Fußabtreter zur Verfügung stellt. Meine Mutter hatte sich vor der Heirat einen Namen als Radioproduzentin gemacht, und mein Vater ermutigte sie, ihren Beruf nicht aufzugeben, sondern ihre Talente zu nutzen. Ich bin mir sicher, dass er Ihre Einstellung zu Frauen nicht gutgeheißen hätte, Pierce.“

„Ach ja? Meine Einstellung zu Frauen hängt davon ab, wie sie zu sich selbst stehen“, erwiderte Pierce. „Wenn sie nichts weiter als Vergnügen wollen, bin ich gern bereit, es ihnen zu bieten. Sie, Holly, werfen mir vor, ich hätte Ihre Schwester vom Pfad der Tugend abgebracht, aber bei Ihnen würde es mir niemals gelingen, stimmt’s?“

„Sie hätten damit auch bei Chiara keinen Erfolg gehabt, wenn meine Stiefmutter nicht so dumm gewesen wäre, zu glauben, Sie wollten Chiara heiraten“, erwiderte Holly schroff. „Anstatt ihre Tochter zu entmutigen, hat sie Chiara noch angestachelt. Mir hingegen war von Anfang an klar, dass die Beziehung mit Tränen enden würde.“

„So hat sie gar nicht geendet“, widersprach Pierce gleichmütig. „Ich habe Chiara nicht das Herz gebrochen, denn sie hat mich nicht geliebt. Sie haben bei ihr damals offensichtlich die Gefühle vermutet, die Sie an ihrer Stelle empfunden hätten. Als Neunzehnjährige hätten Sie sich doch sicher nur mit einem Mann eingelassen, wenn Sie in ihn verliebt gewesen wären – oder es sich zumindest eingebildet hätten.“

Widerstrebend gab Holly ihm insgeheim recht. Chiara war damals sehr niedergeschlagen gewesen, doch dahinter hatte eher gekränkter Stolz als echter Kummer gesteckt.

„Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Sie Chiara auf den Geschmack gebracht haben“, warf Holly Pierce vor. „Sie kann sich so ein Luxusleben nur leisten, indem sie sich … sozusagen an Männer wie Sie verkauft. Sie haben meine Schwester süchtig nach Luxus gemacht, so wie andere Mädchen drogensüchtig gemacht werden. Übrigens, wenn Sie Chiara auch noch mit Rauschgift bekannt gemacht hätten, hätten Sie das büßen müssen.“

„Ach, Sie hätten sich eine Pistole besorgt und mich erschossen?“ Pierce lachte leise. „Das glaube ich sogar. Allerdings hat Chiara unter meiner Obhut nichts Schlimmeres als Champagner bekommen. Ich habe als Teenager einmal Haschisch ausprobiert, und das hat mir gereicht. Diese Art Rausch sagt mir nicht zu. Mir reichen ‚Wein und Weib‘ als Stimulanzien. Und wie ist es mit Ihnen? Woher beziehen Sie Ihren Nervenkitzel?“

„Hauptsächlich aus meiner Arbeit. Allerdings würde ich eher von stiller Befriedigung sprechen als von Nervenkitzel. Gärtnern mag manchen Leuten ungeheuer langweilig erscheinen, aber ich finde darin Erfüllung. Es gibt immer etwas, auf das man sich freuen kann. Ich kann es kaum erwarten, zu sehen, wie sich der Garten, den ich gerade anlege, in zwei, drei Jahren entwickelt haben wird. Kinder aufwachsen zu sehen muss eine ähnliche Freude sein.“

„Das klingt mir zu harmlos für eine junge Frau wie Sie. Wollen Sie denn keine aufregenden Erlebnisse … Abenteuer … Nächte voll Leidenschaft? Dass jemand Sie morgens anruft und Sie überredet, etwas Verrücktes zu tun?“

„Ich glaube, Sie wollen mich auf den Arm nehmen, Pierce. Sie können mich nicht mit Ihrem Charme beeindrucken, also verspotten Sie mich. Wahrscheinlich finden Sie Frauen wie mich, die sich durch Ihre Aufmerksamkeiten nicht geschmeichelt fühlen, irritierend.“

„Vielleicht haben Sie recht. Aber wer weiß? Wenn eine Auster von einem Sandkorn gereizt wird, produziert sie eine Perle. Und unsere gegenseitige Gereiztheit könnte sich allmählich zu etwas so Schönem wie Freundschaft wandeln. Würden Sie den Versuch wagen?“

„Eher nicht“, antwortete Holly kühl. „Ich glaube nämlich, Sie können ebenso wenig mit einer Frau Freundschaft schließen wie ein Leopard mit einer Gazelle.“

Pierce sagte dazu nichts.

Holly fragte sich, worüber er jetzt nachdachte. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, sein Friedensangebot nicht anzunehmen.

Das Lokal lag außerhalb der Stadt. Es war etwas altmodisch eingerichtet, aber nicht abstoßend kitschig.

„Wenn Sie sich frisch machen wollen, Holly, der Waschraum für Damen ist dort entlang“, sagte Pierce, der das diskrete Schild vor ihr entdeckt hatte. „Möchten Sie einen Aperitif?“

Plötzlich fühlte Holly sich wie ein linkisches junges Mädchen, das von einem geduldigen, weltgewandten Patenonkel ausgeführt wurde.

„Einen Wodka mit Tonic, bitte“, antwortete sie und ging rasch in die Damentoilette.

Dort entdeckte sie, dass sie keinen Lippenstift eingesteckt hatte, nur farblose Lippenpomade und Handcreme. Sie konnte daher nicht viel mehr für ihr Aussehen tun, als das im Nacken zusammengebundene Haar zu lösen und zu bürsten, bis es ihr duftig auf die Schultern fiel. Gern hätte sie sich dezent geschminkt, aber nicht, um auf Pierce attraktiver zu wirken, sondern um ihr Selbstbewusstsein zu stärken.

Warum habe ich mich auf das Essen mit Pierce eingelassen, statt einfach nein zu sagen?, fragte sie ihr Spiegelbild im Stillen.

Weil er mich fasziniert, obwohl ich ihn nicht mag und ihn sogar für gefährlich halte, gestand sie sich ein. Er zog sie so unwiderstehlich an wie das Licht eine Motte …

Pierce war reich und führte ein luxuriöses Leben, er besaß außerdem Charme und überwältigenden Sex-Appeal. Von alldem war Chiara fasziniert gewesen, sie, Holly, hingegen interessierte sich dafür, was sich hinter der Fassade des weltgewandten Charmeurs verbarg. Was dachte Pierce wirklich, wofür interessierte er sich, und hatte er womöglich verborgene Schwächen, die ihn verletzlich machten?

Obwohl sie sonst nicht rachsüchtig oder grausam war, verspürte Holly den Wunsch, Pierce zu verletzen. Sie wollte ihn spüren lassen, wie es war, nur als Zeitvertreib angesehen zu werden, denn so schätzte er Frauen ein. Was er Chiara angetan hatte, wollte sie ihm heimzahlen.

Allerdings war Holly klar, dass sie nicht die Waffen besaß, um diesen Kampf zu gewinnen. Sie war nicht schön, ihr Verstand war dem von Pierce unterlegen, und sie besaß keine erotische Ausstrahlung …

Das Einzige, was sie von den anderen Frauen unterschied, die er kannte, war ihr Widerstand gegen ihn. Und wie lange würde ihr dieser sozusagen als Schutzschild dienen, wenn Pierce es darauf anlegte, ihn zu brechen?

Als Holly in die Gaststube ging, saß Pierce an einem Ecktisch und las Zeitung. Er bemerkte sie, legte das Blatt weg und stand höflich auf. Sein Blick fiel auf ihr offenes Haar.

Sie setzte sich und trank einen Schluck von ihrem Aperitif.

„Ich habe zum Abendessen einen Eintopf vorbereitet, deshalb möchte ich jetzt nicht viel essen“, erklärte Holly. „Meistens esse ich mittags nur ein Sandwich und einen Apfel.“

„Kochen Sie gern?“, fragte Pierce.

„Ich esse gern. Und da das Sommerhaus so abgelegen ist, muss ich selbst kochen oder hungern, weil das nächste Schnellrestaurant ungefähr acht Kilometer entfernt ist. Außerdem mache ich mir nichts aus Fast Food.“

„Das sieht man Ihnen an. Sie wirken ausgesprochen gesund und fit. Sozusagen taufrisch – wahrscheinlich schon morgens beim Aufwachen.“ Lächelnd sah Pierce ihr in die Augen.

Das hatte eine fatale Wirkung auf Holly. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie Pierce und sie nackt in einem großen Bett lagen. Ein Stromstoß schien sie plötzlich zu durchzucken, und sie atmete scharf ein.

Wahrscheinlich ahnte Pierce, was in ihr vorging. Ja, er hatte es vermutlich darauf angelegt, solche Gedanken bei ihr zu wecken, und nun war er zugleich erfreut und amüsiert, dass er sein Ziel erreicht hatte.

„Es ist leicht, fit zu bleiben, wenn man körperlich an der frischen Luft arbeitet“, sagte Holly schließlich bemüht ruhig. „Bei Büroarbeit in der Stadt würde ich mich nicht wohl fühlen. Ich weiß gar nicht, wie andere Leute das aushalten, vor allem in Büros mit Klimaanlagen.“

„Die sind wirklich schrecklich.“ Pierce trank einen Schluck Bier. „Wenn ich nur die Wahl zwischen den beiden Möglichkeiten hätte, würde ich auch lieber Laub in einem Park fegen, statt Börsenmakler zu sein. Die arbeiten bis zur Erschöpfung, und warum? Nur des Geldes wegen. Der Beruf bietet keine Befriedigung, keine Sicherheit und ist nicht einmal wirklich angesehen.“

„‚Nur des Geldes wegen‘ sagt sich leicht, wenn man reich ist“, erwiderte Holly. „Ich kann Sie mir wirklich nicht als Gärtner vorstellen.“

„Ich auch nicht“, stimmte Pierce ihr zu und lächelte. „Glücklicherweise standen mir von Anfang an mehr als zwei Wege offen, was meinen Beruf betraf. Wenn man intelligent, ehrgeizig und bereit ist, sich anzustrengen, kann man es zu etwas bringen. Sie zum Beispiel wollten Landschaftsarchitektin werden und haben Ihr Ziel erreicht. Ich bezweifle, dass Ihnen der Erfolg in den Schoß gefallen ist. Vielmehr mussten Sie sich darum bemühen.“

„Viel Erfolg hatte ich noch nicht“, wandte Holly ein. „Ich stehe erst am Anfang meiner Karriere. Aber ich glaube, es ist die Art Laufbahn, die sich gut mit meinen anderen Wünschen vereinbaren lässt.“

„Und die wären?“

Sie sah Pierce direkt an. „Heiraten und Kinder bekommen. Jene altmodische Institution namens Ehe, die Leute wie Sie verachten.“

„Wieso glauben Sie, ich schätze die Ehe gering? Nur weil ich Chiara nicht geheiratet habe, bedeutet das noch lange nicht, dass ich keine Ehefrau möchte – wenn mir die richtige Frau begegnet.“

„Würden Sie ihr treu sein?“, fragte Holly. „Oder weiterhin Affären haben?“

Pierce antwortete nicht sofort, sondern betrachtete sie nachdenklich. Sie fand es schwierig, seinem Blick standzuhalten.

„Anhand sehr weniger Indizien haben Sie ja viele Schlüsse über mich gezogen, die ungefähr so zutreffend sind wie das, was die Sensationspresse über mich verbreitet“, erwiderte Pierce schließlich. „Sagen Sie, Holly, sind Sie denn noch genauso wie vor fünf Jahren?“

„Natürlich nicht. Damals war ich ein Teenager.“

„Ja, ich erinnere mich gut an Sie“, sagte er und lächelte. „Sie trugen ein Kleid, das Ihnen nicht stand, Ihr Haar war schlecht geschnitten, und doch hatten Sie etwas an sich, das versprach, dass Sie einmal so werden, wie Sie jetzt sind.“

Sein Tonfall war fast zärtlich, und in seinen Augen lag ein warmer Ausdruck.

Holly fragte sich, ob Pierce sich wirklich so genau an sie erinnerte, wie er behauptete.

„War das ein übertrieben vornehmes Getue auf der Party!“, fügte Pierce hinzu. „Ihre Stiefmutter würde sicher den ersten Preis in einem Wettbewerb für schlechten Geschmack gewinnen.“

„Und Sie den für Gäste, die ihre Gastgeberin schlechtmachen“, erwiderte Holly kühl.

„Geben Sie doch zu, dass ich die Wahrheit sage. Es war Ihnen damals auch so peinlich, dass Sie sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen hätten.“

Das stimmte. Ihr Vater hatte nie gezeigt, wie verlegen das affektierte und snobistische Benehmen seiner zweiten Frau ihn machte. Nur ihr, Holly, gegenüber hatte er gelegentlich eine ironische Bemerkung darüber gemacht. Allerdings war Professor Nicholson zu der Zeit, als besagte Party stattgefunden hatte, schon tot gewesen.

„Ich war mir sicher“, sprach Pierce weiter, „dass Ihre Stiefmutter – wie eine Gastgeberin des vorigen Jahrhunderts – die Damen nach dem Abendessen in den Salon bitten würde, damit die Herren ungestört ihren Portwein trinken und ‚die Welt in Ordnung bringen‘ könnten.“

Dass er diese Bemerkung ihrer Stiefmutter zitierte und dabei deren neckischen Tonfall nachahmte, brachte Holly zum Lächeln.

„Sie sind sehr unnachsichtig“, sagte sie trotzdem.

Pierce zuckte mit den Schultern. „Ich habe mich fürchterlich gelangweilt, und Sie dürfen nicht erwarten, dass ich Gnade walten lasse gegenüber jemandem, der mir etliche Stunden akuter Langeweile beschert hat. Ehrlich gesagt, war ich versucht, einfach aufzustehen und zu verschwinden. Das Leben ist zu kurz, um es mit solchen Nichtigkeiten zu vergeuden. Erst, als wir ‚Herren‘ ebenfalls in den Salon gingen, war der Abend es plötzlich wert, ihn durchgestanden zu haben.“

Nun lächelte Pierce humorvoll.

„Sie, Holly, saßen allein in einer Ecke und sahen aus, als könnten Sie kein Wässerchen trüben. Dann kreuzten Sie die Beine und zogen Ihren langen Rock ein Stückchen hoch – und da sah man diese riesigen behaarten Füße mit Nägeln wie Krallen.“

Pierce lachte schallend. „Wahrscheinlich konnte man das Kreischen der Dame mit dem vornehmen Akzent und dem Doppelnamen bis ans Ende der Straße hören. Ihr fielen beinah die Augen aus dem Kopf. Ein Wunder, dass sie keinen hysterischen Anfall bekam!“

Nun lachte auch Holly. „Aber Sie waren damals gar nicht amüsiert“, erinnerte sie Pierce dann. „Sie saßen mit starrer Miene da.“

„Ja, weil ich die Zähne fest zusammengebissen hatte, um mich zu beherrschen. Insgeheim habe ich mich ausgeschüttet vor Lachen. Als ich dann später über den Vorfall lachte, war Chiara sehr ärgerlich. Sie hat nicht Ihren Sinn für Humor. Tatsächlich kann ich mich nicht erinnern, dass sie jemals herzlich über etwas gelacht hätte. Sie kicherte höchstens. Bitte, reißen Sie mir jetzt nicht gleich den Kopf ab, weil ich Ihre Schwester kritisiere. Wenn wir nicht offen miteinander reden können, werden wie beide nie Freunde, denn Aufrichtigkeit ist das Fundament einer Freundschaft.“

„Wenn Sie meine Stiefschwester schlechtmachen, möchte ich gar nicht mit Ihnen befreundet sein“, informierte Holly ihn.

„Das tue ich doch gar nicht. Ich bin bloß ehrlich. Chiara ist eine Schönheit ohne einen Funken Humor. Sie hätte unter gar keinen Umständen jemals diese Füße gezeigt. Woher hatten Sie die überhaupt?“

„Das war ein Geschenk für den kleinen Bruder meiner besten Freundin. Nach dem Essen bin ich schnell in mein Zimmer gegangen und habe die Füße angezogen. Das habe ich übrigens gemacht, um herauszufinden, ob Sie Sinn für Humor haben, Pierce. Ich habe zwar nicht angenommen, dass Sie Chiara heiraten wollten, aber für den Fall, dass Sie es doch vorhatten, wollte ich Sie einigen Tests unterziehen, die mein Vater mir empfohlen hatte.“

„Und welche Tests waren das?“, erkundigte Pierce sich.

„Der erste betraf Ihren Sinn für Humor, und über die anderen möchte ich jetzt nicht sprechen.“

„Was die Vermutung nahelegt, dass sie mit Sex zu tun hatten. Und das ist ein Thema, über das Sie nicht gern sprechen, jedenfalls nicht mit mir. Noch nicht“, meinte Pierce trocken.

Sein Scharfsinn war beunruhigend. Pierce gab ihr das Gefühl, dass er ihre Gedanken lesen konnte.

Sie war erleichtert, als er meinte, es sei endlich Zeit, das Essen zu bestellen.

Er wählte gefüllte Paprika, sie aß einen gemischten Salat mit Hähnchenbruststreifen. Dazu tranken sie Mineralwasser.

„Wenn ich nicht fahren müsste, könnten wir eine Flasche Wein trinken“, meinte Pierce. „Aber da Sie nachmittags ja noch arbeiten, wollen Sie sicher auch keinen. Übrigens, ich soll Ihnen von Fujiko etwas ausrichten. Sie sagte, falls ich es schaffte, den Streit mit Ihnen beizulegen, möchte ich Sie doch bitte zu einer Party mitbringen, die Fujiko demnächst gibt. Ihre Partys sind immer erstklassig. Es würde Ihnen gefallen. Darf ich mich also als Begleiter anbieten?“

„Brauche ich einen Begleiter? Wäre ich allein nicht willkommen?“

„Natürlich wären Sie das, Holly. Fujiko meinte allerdings, ich könnte Ihnen die Zugreise nach London ersparen, indem ich Sie mit meinem Hubschrauber abhole. Die Einladung schließt übrigens auch eine Übernachtung mit ein – in Fujikos Wohnung. Ja, ich kann mir vorstellen, wie Sie reagieren würden, wenn ich Sie zu mir einladen würde. Obwohl Sie nichts zu befürchten hätten“, fügte er hinzu. „Ich mache einer Frau keine Anträge, wenn ich nicht sicher bin, dass sie sie annimmt.“

Holly achtete nicht auf diesen Seitenhieb. Möchte ich mit Pierce auf eine Party gehen?, fragte sie sich.

„Fujiko gibt diese Party, weil ihr Enkel Ben zu Besuch kommt“, berichtete Pierce. „Hat sie Ihnen von Ben erzählt? Er ist ein wirklich netter junger Mann. Sie werden ihn mögen, Holly. Er ist nämlich das genaue Gegenteil von mir“, fügte er trocken hinzu. „Warmherzig, mitfühlend und ausgesprochen ritterlich gegenüber Frauen. Also, Holly, wie steht’s? Kommen Sie mit mir zu der Party?“

Sie atmete tief durch, da ihr klar war, dass sie womöglich den größten Fehler ihres Lebens machte.

„Ja, in Ordnung.“

3. KAPITEL

Am Tag vor Mrs. Shintaros Party fuhr Holly mit dem Zug nach London. Dort wollte sie die nächsten zwei Tage bei Chiara verbringen.

Sie hatte Pierce informiert, dass er sie nicht mit dem Hubschrauber abzuholen brauche und sie allein zur Party kommen und ihn erst dort treffen wolle. Er hatte ihren Entschluss widerspruchslos akzeptiert.

Chiara war sonnengebräunt, da sie erst kürzlich Urlaub in Südspanien gemacht hatte – auf der Jacht ihres derzeitigen „engen Freunds“ Eric.

„Schätzchen, wie schön, dich zu sehen!“ Chiara umarmte Holly herzlich. „Du siehst ein bisschen spitz aus. Alles in Ordnung mit dir?“

„Es könnte mir nicht besser gehen“, erwiderte Holly. „Ich bin nur nicht so braun wie du. Wie war es in Spanien?“

„Ach, nicht übel.“ Chiara zuckte mit den Schultern. „Allerdings ein bisschen langweilig mit all den alten Leuten. Das Durchschnittsalter an der Costa del Sol muss ungefähr siebzig Jahre betragen. Man sieht selten eine Frau, die nicht schon das fünfte oder sechste Facelifting hinter sich hat, abgesehen von dem einen oder anderen Betthäschen.“

Ihr ist offensichtlich nicht klar, dass viele sie als genau das bezeichnen würden, dachte Holly traurig.

Seit Chiara mit Eric liiert war, hatte sie sich das blonde Haar noch heller färben lassen und trug extravagante Sachen, die sichtlich viel Geld gekostet hatten, in denen sie aber – wie Holly fand – irgendwie billig aussah. Anscheinend gefiel es Eric, wenn Chiara die Blicke auf sich zog.

Unter Pierce’ Obhut hatte Chiara elegante Designerkleidung getragen, die sogar Holly bewundert hatte, obwohl ihr nicht gefallen hatte, dass Pierce dafür bezahlte.

„Ich hätte nicht erwartet, dich so bald wieder in London zu sehen“, meinte Chiara, während sie ins Wohnzimmer gingen. „Was führt dich denn diesmal her?“

„Ich möchte einige Weihnachtseinkäufe erledigen … und ich brauche ein Kleid für eine Party morgen Abend.“

„Du gehst zu einer Party in London? Wie kommt denn das?“

Während Chiara Kaffee machte, erzählte Holly ihr, wie sie Mrs. Shintaro auf der Führung durch den Blumengroßmarkt kennengelernt hatte und anschließend von ihr im Auto mitgenommen worden war. Pierce erwähnte sie zunächst nicht.

„Wie aufregend!“ Chiaras veilchenblaue Augen leuchteten. Partys und Kleider waren ihr Lebensinhalt. „Aber du brauchst dir nicht extra was zu kaufen, Dummerchen. Schau mal in meine Kleiderschränke. Du findest sicher etwas, das dir gefällt.“

Obwohl es auf den ersten Blick nicht auffiel, da Holly sich anders anzog, hatten sie und Chiara dieselbe Größe und Figur.

Nachdem sie Kaffee getrunken hatten, nahm Chiara sie in ihr Zimmer mit, in dem ein begehbarer Kleiderschrank ihre umfangreiche Garderobe beherbergte.

Einer der liebenswertesten Charakterzüge Chiaras war ihre Großzügigkeit. Sie hatte ihre Sachen schon immer mit ihren Schwestern und ihrer Stiefschwester geteilt.

Jetzt zeigte sie Holly ihre neusten Erwerbungen, darunter etliche kleine Schwarze, allerdings nicht von der schlicht-eleganten Art, sondern aufregend verführerische Kreationen, die zu tragen Holly nicht gewagt hätte.

Chiara hielt ihr ein kurzes Kleid aus elastischem Samt hin, das hauteng sein musste, und Holly fragte sich, wie Pierce reagieren würde, wenn sie auf der Party viel Dekolleté und Bein zeigen würde.

Nein, das war nicht ihr Stil, war es nie gewesen und würde es nie sein. Sie wollte nicht, dass die Männer sie mit den Augen auszogen. Vielmehr wollte sie verführerisch aussehen, ohne ihre Vorzüge so offen zur Schau zu stellen.

Das Handy läutete. Chiara nahm den Anruf entgegen. „Es ist Eric“, informierte sie Holly. „Ich gehe jetzt ins Wohnzimmer. Such du inzwischen weiter, und probier an, was dir gefällt“, bot sie an. „Einen Moment, Schatz“, sagte sie dann ins Telefon.

„Ich spreche gleich mit dir. Holly ist hier, sie ist gerade angekommen. Wir gehen heute Nachmittag einkaufen – außer du hast etwas Besseres mit mir vor“, fügte sie hinzu und lachte vielsagend.

Holly hatte Eric noch nicht kennengelernt, sondern kannte nur ein Foto von ihm, das ihn an Bord seiner Jacht zeigte. Er war Ende Vierzig, zweimal geschieden und hatte sein Vermögen laut Chiara mit irgendwelchen pharmazeutischen Produkten gemacht. Holly fand, er sah aus, als könnte er in dunkle Machenschaften verstrickt sein. Von allen bisherigen „engen Freunden“ Chiaras mochte sie Eric am wenigsten – der Gedanke, dass er ihre Stiefschwester aushielt, war ihr äußerst zuwider.

Als Holly den Blick über Chiaras Kleider gleiten ließ, die in allen Farben des Regenbogens schimmerten, entdeckte sie eine azurblaue Franse. Sie zog das dazugehörige Kleidungsstück aus dem Schrank – es war eine mit zitronengelben, rosa und lila Fransen besetzte lindgrüne Jacke.

Holly zog die Jacke an, die sie an den Frühling und Unbeschwertheit denken ließ, an Apriltage in Paris, an bunte Luftballons und Eiscreme. Das Etikett wies sie als Modell eines bekannten italienischen Designers aus.

„Lieber Himmel, das Ding ist uralt“, meinte Chiara, die in dem Moment zurückkam. „Die Jacke ist irgendwie drollig, aber nicht ganz mein Stil, deshalb habe ich sie kaum getragen. An dir sieht sie großartig aus, obwohl es auch nicht dein üblicher Stil ist.“

„Hat Pierce dir die Jacke gekauft?“, fragte Holly.

„Nein, so alt ist sie nun auch wieder nicht“, antwortete Chiara amüsiert. „Wieso denkst du gerade jetzt an ihn? Dass ich mit ihm liiert war, ist doch Jahre her. In dem, was er mir damals gekauft hat, würde ich jetzt richtig bieder aussehen.“

„Na ja, ich bin ihm zufällig begegnet“, erklärte Holly. „Er hat Mrs. Shintaro zu der Führung durch den Blumenmarkt begleitet.“

„Hat Pierce dich erkannt?“

„Überraschenderweise ja.“

„Er hat ein fantastisches Gedächtnis. Ich konnte ihn nie anschwindeln, weil er es sofort gemerkt hat“, meinte Chiara.

„Und warum wolltest du ihn überhaupt anschwindeln?“

„Ach, ich weiß nicht … Das tut man einfach“, antwortete Chiara beiläufig. „Männer sind schwierige Geschöpfe. Man muss lernen, sie richtig zu behandeln. Damals wusste ich das noch nicht und bin falsch mit Pierce umgegangen. Er hat immer bestimmt.“

„Und Eric tut das nicht?“

„Nein, wirklich nicht. Er frisst mir sozusagen aus der Hand. Männer sind so sehr auf Sex fixiert, dass man alles von ihnen verlangen kann, wenn sie unbedingt mit einem ins Bett wollen. Eine Frau, die das weiß, kann alles haben.“

Holly runzelte die Stirn. „Das klingt ja schrecklich – als wären sie süchtig.“

„Du übertreibst, Holly. Sex schadet den Männern doch nicht und bringt sie nicht um. Außer vielleicht, es sind sehr alte Männer, die es übertreiben. Aber ansonsten versetzt Sex sie in gute Laune – und sie würden dir alles schenken, worum du sie bittest. Manchmal glaube ich, ich könnte einen echten Bestseller schreiben, mit dem Titel ‚Wie man Männern richtig behandelt‘. Aber das ist im Grunde so einfach, dass das Buch nur wenige Seiten umfassen würde.“

Impulsiv fragte Holly: „Hast du gern Sex mit Eric?“

Chiara lachte. „Nein, aber er mit mir, und das zählt.“

Holly schwieg. Ihre Einstellung zu Sex war von ihrem Vater geprägt worden, der sie nicht nur über die biologischen Fakten aufgeklärt, sondern ihr auch gesagt hatte, dass körperliche Liebe zu den schönsten Erfahrungen im Leben zählte, wenn man sich nicht leichtfertig darauf einließ.

„Warte, bis du wirklich verliebt bist, Holly“, hatte er ihr geraten. „Das macht den wesentlichen Unterschied aus.“

Aber sie hatte nicht auf ihren Vater gehört. Neugier und erotische Anziehung waren der Grund für ihre erste Beziehung gewesen, und Einsamkeit und erotische Anziehung hatten sie in die zweite getrieben …

Da Chiara abends mit Eric verabredet war, ging Holly ins Theater. Flüchtig hatte sie überlegt, ob sie Pierce dort zufällig sehen würde, aber das war nicht geschehen. Darüber war Holly froh, denn wenn sie ihn in Begleitung einer hinreißend attraktiven Frau entdeckt hätte, hätte es ihre Vorfreude auf die Party gedämpft.

Am nächsten Morgen stand Chiara erstaunlich früh auf, obwohl sie erst um drei Uhr ins Bett gegangen war, und machte nach dem Frühstück einen ausgedehnten Einkaufsbummel mit Holly.

Mittags aßen sie in einem schicken Restaurant, und unvermittelt fragte Chiara: „Als du Pierce getroffen hast, hat er mich da erwähnt?“

„Ja, er hat gefragt, wie es dir geht und ob du inzwischen geheiratet hättest.“

„Das hat er mir damals empfohlen. Er meinte, ich wäre nicht zum Playgirl geeignet, denn um die Mätresse eines reichen Mannes zu werden, müsse eine Frau nicht nur schön sein, sondern auch Verstand haben. Er war so unhöflich, zu behaupten, ich wäre nicht klug genug. Da hat er sich aber geirrt. In Spanien habe ich nämlich einen wirklich reichen Mann kennengelernt. Er hat mehr Geld als Pierce oder Eric.“

Holly war entsetzt. „Chiara, du willst doch nicht Eric den Laufpass geben und schon wieder eine neue Affäre anfangen, oder? Pierce hatte völlig recht. Du brauchst einen liebevollen Ehemann und einige Babys. Die würden dich viel glücklicher machen als die schrecklichen älteren Männer, deren einziger Reiz ihr Geld ist.“

„Du meinst, ich soll mich in einer Vorstadt niederlassen, mit einer Hypothek auf dem Reihenhaus und einem sabbernden Säugling in einem Kinderwagen? O nein!“, erwiderte Chiara heftig. „Meine Schönheit hält nicht ewig, also muss ich jetzt das Beste daraus machen. Du hast ja keine Ahnung, Schwesterchen. Der Mann in Spanien, der ein Auge auf mich geworfen hat, spielt sozusagen in der Oberliga. Wenn er tatsächlich so auf mich steht, wie ich vermute, kann ich mich demnächst von Kopf bis Fuß mit Brillanten behängen – und noch einen im Nabel tragen.“

„Viele Männer sehen dich begehrlich an. Wieso glaubst du, er möchte eine Beziehung mit dir anfangen?“, fragte Holly.

„Weil er mir durch einen seiner Bediensteten einen Brief geschickt hat, zusammen mit einer Schachtel feinster Pralinen. Eine Praline fehlte, und stattdessen lag da ein riesiger Aquamarin. Ich habe ihn von einem Juwelier schätzen lassen. Er ist zweitausend Pfund wert. Findest du nicht auch, dass das eine wahnsinnig romantische Geste ist?“

„Was stand denn in dem Brief?“, wollte Holly wissen.

„Nur, dass ich die schönste Frau sei, die er jemals gesehen hat, und er sich sicher sei, dass unsere Pfade sich in naher Zukunft kreuzen.“

Als Holly abends im Taxi zur Party fuhr, wusste sie, dass sie noch nie so gut ausgesehen hatte. Chiara hatte ihr das Haar locker aufgesteckt und einen Stylingschaum verwendet, der das Haar glänzen ließ.

Zu der Jacke hatte Chiara einen violetten Chiffonrock ausgesucht, und da Holly und ihre Stiefschwester dieselbe Schuhgröße hatten, hatte Holly auch die farblich passenden Schuhe zum Rock ausleihen können. Chiara hatte ihr sogar violette halterlose Seidenstrümpfe gegeben.

Holly hatte so etwas noch nie getragen, aber Chiara versicherte ihr, die Strümpfe würden auf keinen Fall rutschen.

„Ich trage solche Dinger immer“, fügte Chiara hinzu. „Sie sind viel verführerischer als Strumpfhosen. Männer sind begeistert, wenn sie nackte Haut spüren, wo sie eigentlich Nylon erwartet hatten.“

„Das mag stimmen, aber bei mir wird kein Mann heute Abend so weit kommen“, hatte Holly erwidert. „Ehrlich, Chiara, deine Beziehungen zu Männern drehen sich alle um Sex. Wünschst du dir nie, sie würden sich auch einmal für deinen Verstand interessieren?“

„Nein, denn von den Dingen, die mich interessieren, wollen sie nichts wissen. Und ihre Gesprächsthemen – Autos, Golf und Investitionen – langweilen mich zu Tode.“

Während das Taxi nun zum Grosvenor Square fuhr, seufzte Holly. Sie machte sich Chiaras wegen Sorgen. Die neue Affäre, die sich zwischen ihrer Stiefschwester und dem noch unbekannten reichen Verehrer anbahnte, schien für Chiara eine Nummer zu groß zu sein. Aber es gab keine Möglichkeit, sie aufzuhalten, wenn der betreffende Mann sie wirklich begehrte.

Das Taxi hielt vor Mrs. Shintaros Apartmenthaus, und ein livrierter Portier eilte herbei, um die Wagentür zu öffnen.

Holly bezahlte und stieg aus. Sie hätte sich nie Schuhe mit so hohen Absätzen gekauft und fühlte sich ein bisschen unsicher darin, aber sie ließen ihre Beine besonders lang und wohlgeformt erscheinen.

Als sie gerade über den roten Teppich zum Eingang gehen wollte, hupte es.

Sie wandte sich um und sah Pierce’ Jaguar hinter dem Taxi stehen. Pierce winkte ihr zu, während er darauf wartete, dass das Taxi abfuhr.

Kurz darauf händigte er die Autoschlüssel einem Bediensteten aus, der den Wagen parken würde. Dann wandte er sich Holly zu und sagte: „Sie sehen bezaubernd aus, Holly. Ich dachte, Sie seien ein typisches Mädchen vom Land, aber heute Abend verkörpern Sie Glamour.“

„Danke.“ Sie verschwieg ihm, dass sie sich sozusagen mit fremden Federn schmückte. „Sie sehen auch nicht übel aus.“

Er trug einen hellgrauen Anzug, ein apricotfarbenes Hemd und eine dazu passende Krawatte, alles von ausgezeichneter Qualität.

Pierce nickte nur flüchtig, trat einen Schritt zurück und betrachtete Holly. „Heute Abend sehe ich Ihre Beine zum ersten Mal. Es ist eine Schande, dass Sie sie sonst unter langen Hosen verstecken.“

„Röcke sind beim Gärtnern nicht sehr praktisch“, erwiderte Holly errötend.

Er hakte sie unter und führte sie in die luxuriöse Eingangshalle, die mit einem weichen Teppich, Sofas, Lampen mit Seidenschirmen und üppigen Blumengestecken ausgestattet war.

Einer der beiden Lifte stand offen. In der verspiegelten Rückwand sah Holly sich neben Pierce und erkannte sich selbst fast nicht wieder.

Bisher hatte sie gedacht, sie könnte Pierce niemals wirklich beeindrucken, auch wenn er behauptet hatte, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte. Doch als sie jetzt ihr Spiegelbild betrachtete, spürte sie zum ersten Mal, dass es ihr durchaus möglich sein würde, ihn wenigstens etwas zu beeindrucken. Nicht für lange. Und schon gar nicht für immer. Aber lange genug, um später von einigen aufregenden Erinnerungen zu zehren …

„Obwohl Sie darauf bestanden haben, ohne Begleitung herzukommen, erlaube ich Ihnen nicht, sich auch weiterhin allein durchzuschlagen“, sagte Pierce, als sich die Lifttüren schlossen. „Wo übernachten Sie?“

„Bei Chiara in Chelsea. Wir beide stehen uns noch immer nahe, aber zu ihrer Mutter habe ich keinen Kontakt mehr.“

„Sie ist eine abscheuliche Frau. Als Chiara mir damals von Ihrem Vater erzählte, konnte ich mir nur schwer vorstellen, was ihn dazu bewogen hatte, seine zweite Frau zu heiraten. Wahrscheinlich dachte er, es sei für Sie das Beste.“

„Ja, und ich glaube, sie hat ihm anfangs etwas vorgespielt.“

„Das tun Männer auch, und es ist der Grund dafür, dass so viele Ehen zerbrechen“, meinte Pierce trocken. „Erst wenn zwei Menschen zusammenleben, entdecken sie oft, dass der Partner ganz anders ist. Lassen Sie uns beide einen Pakt abschließen, nämlich dass wir uns nie nur von unserer besten Seite zeigen, wenn wir zusammen sind.“ Er lächelte. „Dann wissen wir von Anfang an, woran wir sind.“

Holly sah ihn an. „Das weiß ich schon. Ich bin die Gazelle, und Sie sind der Leopard. Wenn ich nicht aufpasse, verspeisen Sie mich zum Abendessen.“

Bevor Pierce etwas erwidern konnte, öffneten sich die Lifttüren und gaben den Blick auf die Halle vor Mrs. Shintaros Penthouse frei. Die Wohnungstür stand weit offen, sodass man bis in das Wohnzimmer sehen konnte.

Als Holly entdeckte, wie viele illustre Gäste Mrs. Shintaro zur Begrüßungsparty ihres Enkels eingeladen hatte, war sie froh, dass Pierce bei ihr war.

Obwohl sie nicht schüchtern war, empfand sie es als angenehm, seine Hand auf dem Rücken zu spüren, als sie vom Lift ins Wohnzimmer gingen.

Einige Gäste saßen entspannt auf den Sofas und Sesseln, andere hatten sich zu kleinen Gruppen zusammengefunden. Alle tranken Champagner, den die japanischen Diener servierten.

„Pierce … Holly!“ Ihre Gastgeberin hatte sie entdeckt und eilte zu ihnen. Mrs. Shintaro trug ein Abendkleid aus braunem Samt und sanft schimmernde, offensichtlich echte Perlen.

„Meine Liebe, Sie sehen zauberhaft aus.“ Mrs. Shintaro umarmte Holly herzlich.

Dann ließ sie sich von Pierce auf die Wangen küssen. Ihre Augen leuchteten, als sie sagte: „Ihr beide habt offensichtlich die Feindseligkeiten eingestellt. Das sehe ich gern. Jetzt möchte ich Sie mit meinem Enkel bekannt machen, Holly. Ich habe ihm gesagt, wie sehr Ihnen die Skulptur aus Nepal gefallen hat, und er freut sich schon, eine junge Frau mit so ausgezeichnetem Geschmack zu treffen. Wo steckt Ben denn nur?“

Während sie sich umschaute, drängte sich ein junger Mann durch die Menge und kam direkt auf Pierce zu.

Holly war überrascht, als die beiden sich nicht nur die Hände schüttelten, sondern sich umarmten wie Brüder, die sich lange nicht gesehen hatten.

Die unverhohlene Zuneigung rührte sie. Das warf ein neues Licht auf Pierce’ Charakter. Ein Mann, der tiefe freundschaftliche Gefühle wecken konnte, war gewiss auch fähig zu lieben. Warum sie Wert auf diese Eigenschaft legte, fragte Holly sich allerdings nicht.

Bevor Mrs. Shintaro sie vorstellen konnte, fragte Ben schon: „Sie sind die Landschaftsarchitektin, stimmt’s? Ich bin Ben Rockland. Wie geht es Ihnen, Miss Nicholson?“

„Danke, gut. Bitte, nennen Sie mich doch Holly.“

Ben war ausgesprochen attraktiv. Von seinem amerikanischen Vater hatte er die Größe und die athletische Figur geerbt, von seiner japanischen Mutter die dunklen Augen, die feingezeichneten Brauen und das schwarze Haar. Wenn sie Pierce nicht gekannt hätte, hätte Holly gesagt, Ben sei der bestaussehende Mann, den sie jemals gesehen habe.

Erst beim Essen hatte sie dann Gelegenheit, sich ausführlich mit ihm zu unterhalten, denn er war ihr Tischnachbar zur Linken.

Er eröffnete das Gespräch, indem er sagte: „Meine Großmutter hat mir erzählt, wie sie Sie kennengelernt hat. Aber Pierce kennen Sie schon länger, stimmt’s?“

„Ja, ich bin ihm vor Jahren einmal begegnet. Sie kennen ihn viel besser als ich. Soviel ich weiß, teilen Sie mit ihm die Leidenschaft für die Berge.“

„Das stimmt. Zurzeit planen wir eine Expedition zum Aconcagua, dem höchsten Berg Argentiniens und des gesamten amerikanischen Kontinents.“

„Wird das riskant?“, fragte Holly.

„Es kann riskant sein, eine Straße zu überqueren“, erwiderte Ben und lächelte. „Der Aconcagua ist ein schwieriger Berg wegen der Wetterbedingungen, aber man muss nicht wirklich klettern.“

„Und wie lange wird die Expedition dauern?“

Autor

Anne Weale
Jay Blakeney alias Anne Weale wurde am 20. Juni 1929 geboren. Ihr Urgroßvater war als Verfasser theologischer Schriften bekannt. Vielleicht hat sie das Autorengen von ihm geerbt? Lange bevor sie lesen konnte, erzählte sie sich selbst Geschichten. Als sie noch zur Schule ging, verkaufte sie ihre ersten Kurzgeschichten an ein...
Mehr erfahren
Sandra Marton
Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
Mehr erfahren
Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
Mehr erfahren