Julia Exklusiv Band 296

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IN EINER NACHT DER LEIDENSCHAFT von MOREY, TRISH
Sommer in Paris: Kaum hat Helene schweren Herzens der Trennung zugestimmt, gibt sie sich ihrem Exmann Paolo in einem letzten Moment der Leidenschaft hin - nicht ohne Folgen …

IM COTTAGE DER LIEBE von LAWRENCE, KIM
Als Miranda ein idyllisches Cottage auf dem Land einhütet, versetzt unerwarteter Besuch ihr Herz in Aufruhr. Wer ist dieser Gianni Fitzgerald, der plötzlich mitten in der Nacht auftaucht? Er gibt Miranda Rätsel auf - und weckt mit einem überraschenden Kuss ihre Sehnsucht …

SO SEXY KÜSST NUR DU von ANDREWS, AMY
Der berühmte Anwalt Max Sherrington lächelt zufrieden, als er an seinen One-Night-Stand zurückdenkt - an die nackte, erwartungsvoll auf seinem Bett ausgestreckte Fremde. Außer ihrem Vornamen weiß er nichts von ihr. Und das ist gut so. Die Nacht war für sie beide eine Ausnahme …


  • Erscheinungstag 29.03.2018
  • Bandnummer 0296
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711139
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Trish Morey, Kim Lawrence, Amy Andrews

JULIA EXKLUSIV BAND 296

1. KAPITEL

Ein lautes Klopfen an der Tür ließ Helene Grainger aus ihren Träumen auffahren und erschrocken auf die leuchtend rote Anzeige ihres Digitalweckers blicken. Erleichtert stellte sie fest, dass sie weniger als eine Stunde geschlafen hatte, es bestand also keine Gefahr, dass sie ihren Flug verpasste.

Das Hämmern wurde immer lauter, und Helene stolperte schlaftrunken aus dem Bett, schlüpfte in ihren seidenen Morgenmantel und ihre Pantoffeln. Allmählich setzte auch ihr Denkvermögen wieder ein. Wenn dies also kein energischer Taxifahrer war, der sich um seinen lukrativen Auftrag für eine Fahrt zum Flughafen Charles de Gaulle sorgte, wer um Himmels willen schlug dann mitten in der Nacht mit den Fäusten gegen ihre Tür? Es sei denn, ihre Nachbarin Agathe hatte einen erneuten Anfall gehabt …

Helene beschleunigte ihren Schritt. Vielleicht war Agathe gestürzt? Eugène war bestimmt nicht in der Lage, sie allein hochzuheben. „Je viens!“, rief sie. Ich komme.

In ihrer Besorgnis warf sie alle Vorsichtsmaßnahmen über Bord und riss die Tür auf, nur um im nächsten Moment wie vom Blitz getroffen zurückzuschrecken. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen, während ihr Verstand sich bemühte, den Anblick zu verarbeiten, der sich ihren müden Augen bot.

Der Mann hatte die Faust erhoben, um damit erneut gegen die Tür zu hämmern. Seine Haare waren zerzaust, auf seinen Wangen zeigte sich ein dunkler Bartschatten, und in seinen Augen lag ein gepeinigter Ausdruck. Mit der anderen Hand umklammerte er eine schwarze Ledermappe.

„Paolo.“ Zu mehr als einem Flüstern war sie nicht in der Lage, zu schwer lasteten die Jahre auf ihr, in denen sie sich nach ihm verzehrt hatte, die vielen Nächte, in denen sie schlaflos wach gelegen und an ihn gedacht hatte. Doch jetzt, wo er vor ihr stand, empfand sie nur kaltes Entsetzen. Sie hatte zwar immer gewusst, dass der Tag einmal kommen würde, aber sie hätte nicht gedacht, dass es auf diese Weise geschehen, dass Paolo so ernst und angespannt sein würde.

Während er die Hand langsam sinken ließ, hob er einen Mundwinkel zu einer Grimasse, die nur entfernt an ein Lächeln erinnerte.

Dann schüttelte er langsam, beinahe unmerklich den Kopf. „Es ist vorbei.“

Im gleichen Augenblick hörte Helene, wie auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs der Schlüssel im Schloss herumgedreht wurde. Dann öffnete sich die Tür einen Spalt, und Eugènes schwache, achtzigjährige Stimme erklang: „Helene! Dois j’appeler la police?“

Nächtliche Besucher hatte es in all den Jahren, die Helene in diesem Haus lebte, noch nie gegeben. Kein Wunder, dass ihr Nachbar glaubte, die Polizei rufen zu müssen.

Helene trat an Paolo vorbei in den Hausflur, wo die Beleuchtung gerade stark genug war, dass sie Eugènes faltige Gesichtszüge durch den Türschlitz erkennen konnte. „Mais non, Eugène“, beruhigte sie den alten Mann, „c’est juste un vieil ami“.

Auf Eugènes Stirn zeigte sich eine tiefe Falte. Wahrscheinlich fragte er sich, welcher alte Freund mitten in der Nacht auftauchen und so einen Lärm veranstalten würde. Schließlich blieb ihm jedoch nichts anderes übrig, als sich mit Helenes Worten zufrieden zu geben. „Bon“, sagte er zögernd, bevor er die Tür wieder schloss und von innen den Riegel vorschob.

Helene drehte sich wieder zu Paolo um, und ihre Blicke trafen sich. In seiner Miene stand ein solcher Schmerz, dass sie das Gefühl hatte, als seien ihre eigenen Gefühle dadurch noch schwerer zu ertragen. Dabei würde er doch bald ein freier Mann sein. Was also war geschehen, was ihm solche Qualen bereitete?

„Am besten, du kommst erst einmal rein“, sagte sie nach einer Weile, wobei sie zu ihrer Muttersprache Englisch zurückkehrte. Ihr Herz klopfte heftig, und immer noch hallte das Echo seiner Worte in ihrem Kopf wider.

Dies war kein gewöhnlicher Besuch.

„Ich komme wohl besser morgen wieder“, sagte er und trat einen Schritt zurück, so als sei ihm gerade erst bewusst geworden, wie spät es war. „Ich möchte nicht, dass du meinetwegen Ärger bekommst.“

„Dafür ist es schon zu spät“, stellte sie nüchtern fest. „Und morgen früh fliege ich weg. Lass es uns also hinter uns bringen.“

Sie streckte die Hand aus, um ihn in die Wohnung zu führen, doch zog sie sogleich wieder zurück. Es war besser, wenn sie ihn nicht berührte.

Paolo sah ihr zu, wie sie ihm vorausging, und atmete tief durch. Sie schien von seinem Erscheinen vollkommen durcheinander zu sein, und das war auch kein Wunder. Wahrscheinlich hatte sie in den vergangenen Jahren alles getan, um ihn zu vergessen – und die Umstände, die sie damals zusammengeführt hatten.

Das hatte auch er versucht, und eine Zeit lang hatte es sogar funktioniert. Bis vor kurzem, als ihre gemeinsame Vergangenheit mit voller Wucht in sein Leben zurückgekehrt war.

Unschlüssig schüttelte er den Kopf. Er konnte immer noch verschwinden. Ein andermal wiederkommen, wenn sie beide ausgeschlafen waren. Vielleicht sollte er auch nur ein Fax schicken und die ganze Angelegenheit so offiziell wie möglich halten. Er war schließlich Anwalt.

Beinahe hätte er sich umgedreht und wäre wieder gegangen. Doch irgendetwas hielt ihn zurück – der Anblick ihrer blonden Haare, die vom Kopfkissen ganz zerdrückt waren, die Schatten unter ihren Augen, die ebenfalls davon zeugten, dass sie vor wenigen Minuten noch im Bett gelegen hatte, die volle Unterlippe, auf der sie bei seinem Anblick nervös gekaut hatte.

Sie sah noch genauso aus wie das junge Mädchen, das er vor so vielen Jahren gekannt hatte. Ihr eleganter britischer Akzent war unverändert, und auch ihr Verhalten strahlte immer noch die gleiche Mischung aus Stolz und Verletzlichkeit aus. Und dennoch war nicht zu übersehen, dass sie nicht mehr die gleiche Frau war wie damals.

Paolo schloss die Augen und beschwor sich, nicht die Nerven zu verlieren. Denn der sanfte Schwung ihrer Hüften, die sich unter dem seidenen Morgenmantel abzeichneten, ließ ihn beinahe vergessen, weshalb er hier war, und erfüllte ihn mit der Sehnsucht nach etwas, was ihm nicht zustand.

Seufzend folgte er ihr in das Apartment. War Helene vor zwölf Jahren schon genauso betörend gewesen? Waren die Schwierigkeiten, mit denen sie damals zu tun gehabt hatten, so beherrschend gewesen, dass er ihre Schönheit nie bemerkt hatte, oder hatte erst die Zeit eine hübsche Studentin in eine atemberaubende Frau verwandelt?

Mit äußerster Anstrengung zwang er sich, vernünftig zu bleiben. Es war etwas zu spät, sich der Attraktivität einer Frau bewusst zu werden, von der man sich in zehn Minuten scheiden lassen würde.

Sie betrat ein geschmackvoll eingerichtetes Wohnzimmer und knipste eine Tischlampe an, deren getöntes Glas den ganzen Raum in ein weiches Licht tauchte. Dann drehte sie sich zu ihm um. „Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?“

Er sah definitiv so aus, als könne er einen Drink vertragen, aber das war nicht der einzige Grund, weshalb sie gefragt hatte. Sie brauchte dringend etwas Abstand, um wieder zu Atem zu kommen. Denn obwohl sie zwölf Jahre auf diesen Moment gewartet hatte, war er dennoch viel zu plötzlich gekommen, war die Situation viel zu niederschmetternd und schmerzhaft.

Paolo war gekommen, um sich ihrer zu entledigen.

Sie konzentrierte sich darauf, ruhig zu atmen und ihre Hände davon abzuhalten, sich nervös zu verschränken. Während sie auf seine Antwort wartete, wünschte sie, dass sie etwas mehr anhätte als einen dünnen Morgenmantel und einen rosafarbenen Slip aus Baumwolle.

Paolo schien eine Weile über ihre Frage nachzudenken, bevor er antwortete: „Vielleicht einen Kaffee?“

Erleichtert verließ sie das Zimmer und eilte in die Küche. Wenn das Schweigen zwischen ihnen sich noch eine Sekunde länger hingezogen hätte, wäre irgendetwas explodiert – wahrscheinlich ihr Herz. Helene schaltete den Wasserkocher ein, löffelte Kaffeepulver in einen Papierfilter und nahm zwei Tassen aus dem Regal. In ihren Gedanken war sie jedoch ganz woanders.

Zwölf Jahre waren vergangen, in denen aus dem gut aussehenden Studenten ein Mann geworden war, der wie die Statue eines jungen Gottes wirkte. Selbst mit seinem sorgenvollen Gesichtsausdruck und den zerzausten Haaren sah er gut aus. Besser als gut, um genau zu sein, und besser als auf den Bildern, die sie in den Hochglanzmagazinen beim Friseur gesehen hatte. Irgendwie hatte er auf diesen Aufnahmen immer gewirkt, als würde er dem Fotografen, der ihn ablichtete, am liebsten den Hals umdrehen.

Ganz anders dagegen die Frau an seiner Seite, die stets mit einem strahlenden Lächeln in die Kamera geblickt hatte. Aber wer hätte es ihr auch übel nehmen können, dass sie glücklich war? Sie war eine erfolgreiche Designerin des berühmten Mailänder Modehauses Bacelli, sie war atemberaubend schön, und sie hatte Paolo.

Sapphire Clemenger.

Unmöglich hätte Helene diesen Namen vergessen können. Wenn man den Klatschreportern glauben konnte, handelte es sich um die zukünftige Mrs. Paolo Mancini. Und wenn Paolos unerwarteter Besuch bedeutete, was Helene befürchtete, würde Miss Clemenger nicht mehr lange auf die Erfüllung ihrer Träume warten müssen.

„Du scheinst nicht besonders froh zu sein, mich zu sehen.“

Helene zuckte zusammen und atmete tief durch, bevor sie sich umdrehte. Paolo stand in der Tür, eine Hand an den Türrahmen gelegt. Er hatte seinen Mantel ausgezogen, und das weiße Hemd, das wie angegossen saß, brachte seine breiten Schultern und den muskulösen Oberkörper besonders gut zur Geltung. Helene spürte, wie ihre Kehle trocken wurde.

„Es ist schon spät“, sagte sie stockend. „Ich dachte, Agathe von nebenan sei etwas zugestoßen. Sie hat ein schwaches Herz, und Eugène weiß, dass er mich jederzeit rufen kann, wenn etwas ist …“ Sie brach ab.

„Du weißt, warum ich hier bin.“

Sie nickte, bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr das Ganze sie mitnahm. „Khaled hat geheiratet.“

„Ja.“

Ihr war, als würde man ihr das Herz bei lebendigem Leibe aus der Brust reißen. Dabei hätte sie eigentlich froh sein sollen, endlich sicher vor Khaled Al-Ateeq zu sein, dem Mann, dem sie mit siebzehn Jahren versprochen worden war. Die Verheiratung seiner Tochter war Teil eines Handels gewesen, den Helenes Vater mit Khaleds Vater abgeschlossen hatte und der seine geschäftlichen Interessen im Mittleren Osten sichern sollte. Es war dabei um Öl und um sehr viel Geld gegangen, und Helene hatte diese Pläne endgültig zunichte gemacht, als sie heimlich mit Paolo durchgebrannt war und ihn geheiratet hatte.

Die kurze, nüchterne Trauung auf dem Standesamt hatte indessen nicht nur die Geschäfte ihrer Väter durchkreuzt, sondern ihr auch Khaleds erbitterten Zorn eingebracht. Helene hatte solche Angst gehabt, dass Khaled ihr auch weiterhin nachstellen würde, dass Paolo geschworen hatte, so lange mit ihr verheiratet zu bleiben, bis Khaled sich seinerseits eine Frau genommen hätte.

Es war ein einfacher, scheinbar sicherer Plan gewesen, und keiner von ihnen hatte geglaubt, dass Khaled länger als ein Jahr warten würde, bevor er eine andere Frau zur Braut nahm.

Tatsächlich hatte seine Drohung, sich an Paolo und ihr zu rächen, mehr als ein Jahrzehnt lang wie ein dunkler Schatten über ihrer beider Leben geschwebt, eine Giftwolke, die alle Beziehungen, die Helene bisher gehabt hatte, im Keim erstickt und die auch Paolo davon abgehalten hatte, zu heiraten und eine Familie zu gründen.

Bis jetzt.

Nun, da Khaled geheiratet hatte, waren sie beide frei.

Für Helene bedeutete diese Freiheit allerdings, die letzte Verbindung zu dem einzigen Mann aufzugeben, für den sie jemals etwas empfunden hatte.

„Er hat sich ja ganz schön Zeit gelassen“, sagte sie.

Ein Schatten huschte über sein Gesicht, und sie erkannte, dass ihr Versuch, die Stimmung etwas aufzulockern, gründlich danebengegangen war.

„Du musst dir seinetwegen keine Sorgen mehr machen. Du bist sicher. Er wird dich nie wieder belästigen.“

Seine gefühlvollen Worte brachten sie dazu, ihn noch einmal genauer zu mustern, und ein tiefes Schuldgefühl erfasste sie. Zwölf Jahre lang hatte er sich an sein Versprechen gebunden gefühlt. Er hätte schon längst verheiratet sein und ein Haus voller Kinder haben können, doch stattdessen hatte er einer Frau die Treue gehalten, die er niemals haben wollte.

Kein Wunder, dass er es kaum erwarten konnte, frei zu sein.

„Ich nehme an, du hast mir ein paar Papiere zum Unterzeichnen mitgebracht?“, fragte sie und schob sich mit einem Tablett an ihm vorbei, auf das sie die Kaffeekanne, die Tassen, Zucker und Milch gestellt hatte. Dabei hielt sie die Luft an, um nicht seinen Duft einzuatmen, den sie so bald wieder würde vergessen müssen.

Paolo nickte und wies in Richtung Wohnzimmer. „Sie sind in der Mappe, die ich mitgebracht habe.“

„Dann lass uns keine Zeit verlieren“, sagte sie mit aufgesetzter Munterkeit.

Er breitete die Dokumente vor ihr aus, während sie den Kaffee einschenkte. Dabei wünschte sie, sie hätte sich stattdessen einen Kräutertee gemacht. Es war schon spät, und sie wollte noch ein paar Stunden Schlaf haben, bevor sie am frühen Morgen aufbrechen musste. Das Letzte, was sie jetzt brauchen konnte, war eine Nacht voller Schlaflosigkeit und trüber Gedanken.

Ihr Blick fiel auf Paolo, und ihr wurde klar, dass sie sich selbst etwas vormachte. Es spielte keine Rolle, was sie trank, sie würde heute Nacht in jedem Fall kein Auge zutun. Nicht nachdem sie erfahren hatte, dass alles vorbei war.

Paolo ließ sich neben ihr auf dem Sofa nieder und setzte sich dabei unabsichtlich auf den Zipfel ihres Morgenmantels. Helene, die daraufhin ein Stück von ihm abrückte, begriff erst zu spät, dass sie damit ihr linkes Bein bis zum Saum ihres rosafarbenen Slips entblößt hatte.

Hastig zog sie an der anderen Seite des Morgenmantels, um die entstandene Lücke zu schließen. Dabei bereute sie es, dass sie nicht die Gelegenheit genutzt hatte, sich noch schnell etwas überzuziehen. Aber wenn man bedachte, dass sie normalerweise nackt schlief, war es schon ein glücklicher Zufall, dass sie überhaupt etwas unter ihrem Morgenmantel trug.

Paolo sah von seinen Papieren auf und starrte auf Helenes Knie, bevor er seinen Blick langsam nach oben wandern ließ. Er blinzelte, als seine Augen die Stelle erreichten, an der Helenes Haut unter dem dünnen Stoff verschwand, dann betrachtete er für einen Augenblick, der ihr wie eine Ewigkeit erschien, ihre Hände, die den Mantel mühsam zusammenhielten, und schließlich ihr Gesicht.

Seine Kiefermuskeln spannten sich an, und in seinen Augen flammte etwas Heißes und Gefährliches auf. Helene spürte, wie sich ihre Scham unter der Hitze seines Blicks in etwas sehr viel Bedrohlicheres verwandelte. Dann kühlte die Temperatur jedoch genauso schnell wieder ab, wie sie angestiegen war, und Paolos Augen nahmen einen zerknirschten Ausdruck an. Innerhalb von Sekunden war er aufgestanden und hatte das gesamte Zimmer durchquert, wo er ein plötzliches Interesse für die Gegenstände vortäuschte, die auf dem Kaminsims standen.

„Es tut mir leid“, sagte er mit belegter Stimme.

Helene zog den Morgenmantel so fest zusammen, wie es ging. Sie kannte diesen Blick, erinnerte sich nur zu gut an dieselben Worte aus Paolos Mund. Er dachte doch nicht etwa, sie habe wieder versucht, ihn zu verführen? Sie war keine naive Siebzehnjährige mehr, die ihrer Hochzeitsnacht entgegenfieberte. Sie hatte dazugelernt.

In ihrer Erinnerung hallten seine Worte wider, als ob seitdem nicht Jahre, sondern nur Sekunden vergangen wären. „Es tut mir leid“, hatte er gesagt und sich aus ihren Armen befreit, die sie um seinen Hals gelegt hatte. „Aber bei dieser Ehe geht es nicht um Sex.“

Er konnte doch unmöglich glauben, dass sie sich noch einmal einer solchen Demütigung aussetzen wolle? Er hatte sie in ihrer Hochzeitsnacht zurückgewiesen, und es war mehr als offensichtlich, dass er sie auch jetzt nicht wollte. Glaubte er wirklich, dass sie es immer noch nicht aufgegeben hatte, nach zwölf Jahren, in denen ihr Kontakt lediglich aus Weihnachtskarten bestanden hatte, die Paolos Sekretärin in seinem Auftrag verschickt hatte?

Wenn er das glaubte, war er verrückt.

Vollkommen verrückt.

Und doch hätte er recht gehabt.

Die Zeit, die vergangen war, und der Schmerz, den Helene seitdem erfahren hatte, hatten das Gefühl nicht ausgelöscht. Wenn überhaupt, hatten sie es geschärft, zu einer feinen Spitze geschliffen, die sich ihr vorhin, als sie die Tür geöffnet hatte, direkt in ihr Herz gebohrt hatte.

Aber wie war es möglich, dass ein Mann, den sie sich schon vor Jahren geschworen hatte zu vergessen, ihr immer noch weiche Knie bereitete? Das war nicht fair. Besonders wenn er es kaum erwarten konnte, eine andere zu heiraten.

Andererseits war es nur allzu verständlich, dass er seine Freiheit so schnell wie möglich zurückwollte, nachdem er ihr zuliebe so lange darauf verzichtet hatte. Es war das Mindeste, was sie ihm schuldete.

„Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest“, sagte sie ruhig, während er immer noch die wenigen Fotografien betrachtete, die auf dem Kaminsims standen. „Ich nehme an, du hast es eilig. Ich werde die Papiere unterschreiben, während du deinen Kaffee trinkst.“

Paolo dachte, dass ein Kaffee jetzt genau das Richtige war. Oder besser noch etwas Stärkeres. Immerhin konnte er sich jetzt wieder gefahrlos umdrehen, ohne dass sie glauben musste, er sei hier, weil er etwas ganz anderes als ihre Unterschrift wollte.

Es war lange her, seit er mit einer Frau geschlafen hatte. Monate. Aber ihm war erst bewusst geworden, wie lange, als seine Lust vorhin auf dem Sofa außer Kontrolle geraten war.

Hinzu kam, dass die letzten zwölf Jahre Helene in eine äußerst begehrenswerte Frau verwandelt hatten. Ihre grünen Augen, die im warmen Licht der Tischlampe golden schimmerten, strahlten Intelligenz und Wärme aus. Ihr Kinn wies zwar den gleichen entschlossenen Ausdruck auf wie das ihres Vaters, doch ihre Lippen waren voll und einladend. Und als Paolo sich zu ihr vorbeugte, um die Papiere vor ihr auf den Tisch zu legen, hatte er einen Hauch ihres Parfüms eingeatmet, das sich mit ihrem eigenen Geruch zu einem ganz eigenen und betörend weiblichen Duft vermischt hatte.

Sie war zweifellos eine attraktive Frau. Doch es war der Anblick ihrer nackten Haut gewesen und die plötzliche Erkenntnis, dass sie nicht viel mehr als einen rosafarbenen Slip unter ihrem Bademantel tragen konnte, die in ihm den Wunsch geweckt hatten, sie wieder zurück in ihr Bett zu tragen, aus dem sein nächtlicher Besuch sie aufgeschreckt hatte.

Vielleicht war sie aber auch gar nicht allein gewesen.

Auf einmal wollte er mehr über sie erfahren. Was hatte sie in den letzten zwölf Jahren gemacht? Mit wem war sie zusammen gewesen?

Und gab es jemanden, der in diesem Augenblick im Nebenzimmer auf sie wartete?

Die Fotografien auf dem Kaminsims gaben darüber keinen Aufschluss. Es gab in der ganzen Wohnung keinen Hinweis auf die Anwesenheit eines männlichen Wesens, doch Paolo wollte Gewissheit haben.

„Die Stellen, an denen du unterschreiben musst, sind gekennzeichnet“, sagte er. „Bist du sicher, dass ich außer dir niemanden geweckt habe? Einen Freund oder Mitbewohner?“

Sie blickte von den Papieren auf und sah ihm direkt in die Augen. „Ganz sicher.“

Er unterdrückte einen Fluch. Diese Antwort befriedigte seine Neugier keineswegs. „Heißt das, du hast keinen Freund, oder heißt das nur, dass ihr nicht zusammen wohnt?“

Helene setzte den Stift ab und sah Paolo mit zusammengekniffenen Augen an. „Mir war nicht klar, dass es das ist, worauf deine Frage abzielte. Nein, ich habe keinen Freund, weder in dieser noch in einer anderen Wohnung. Auch keinen Mitbewohner. Und der einzige Ehemann, den ich habe, bist du. Je eher ich diese Papiere hier unterzeichne, desto schneller wird allerdings auch das der Vergangenheit angehören.“

Es klang, als könne sie es kaum erwarten zu unterschreiben. Paolos Blick fiel auf ein Foto von einem Paar, das er auf der Stelle wiedererkannte. Helenes Eltern. Seine Schwiegereltern. Caroline Grainger lächelte in die Kamera, ganz die Dame aus gutem Hause mit Designerkostüm, Perlenschmuck und perfekt frisierten Haaren. Richard Graingers blaue Augen blickten dagegen kühl und mit dem Selbstbewusstsein eines Mannes, der glaubt, dass ihm die ganze Welt gehört. Wenn man die zahllosen Anteile an Unternehmen bedachte, die Richard Grainger rund um den Globus hielt, stimmte das auch beinahe.

„Wie geht es deinen Eltern?“, erkundigte Paolo sich.

„Ich weiß es nicht.“

Er stellte das Bild wieder an seinen ursprünglichen Platz zurück und drehte sich zu ihr um. „Was soll das heißen, du weißt es nicht?“

Sie legte den Stift zur Seite und atmete tief ein. Fasziniert beobachtete Paolo, wie sie ihr Haar mit den Händen zurückstrich, wie die Strähnen sich zunächst glätteten, um dann wieder in ihre ursprüngliche Wellenform zurückzuschnellen.

„Das letzte Mal, als ich von meinem Vater gehört habe, war vier Wochen nach der Hochzeit. Du warst nach Mailand zurückgekehrt, und ich hatte gerade meine erste Wohnung in Paris gefunden. Dort hat mich der Brief seines Anwalts erreicht. Darin steht, dass mein Vater der Ansicht ist, er habe niemals eine Tochter gehabt, und dass ich niemals wieder mit ihm oder mit meiner Mutter sprechen dürfe.“

„Er hat dich verstoßen?“

„So könnte man es nennen.“

„Das wusste ich nicht.“

Sie zuckte die Achseln. „Ich wusste, dass er verärgert sein würde. Wir haben ihm einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht. Er hat nicht nur sein Gesicht verloren, sondern wahrscheinlich einige Millionen. Vielleicht sogar Milliarden, wenn das Geschäft so erfolgreich geworden wäre, wie er erwartet hatte. Das konnte er mir nicht so ohne weiteres durchgehen lassen. Er wollte, dass ich für meine Tat bezahle.“

„Ja, aber dich so kalt abzuservieren und von deiner Mutter fern zu halten …“

„Halb so schlimm“, sagte sie zu schnell, als dass er ihr hätte glauben können. „Ich habe alles, was ich brauche. Ich liebe meine Arbeit bei der Internationalen Frauenorganisation, und ich fühle mich hier in Paris sehr wohl.“ Sie wagte ein schwaches Lächeln. „Und das verdanke ich alles dir.“

„Nein“, widersprach er ihr, „das hast du ganz allein geschafft.“

„Aber ich hätte niemals die Gelegenheit dazu gehabt, wenn du nicht gewesen wärst. Du warst der Einzige, der die Entschlossenheit und den Mut aufgebracht hat, sich meinem Vater in den Weg zu stellen und zu verhindern, dass er mich wie ein Stück Vieh an einen seiner Geschäftspartner verhökert.“

Paolo war sich nicht sicher, dass sein Handeln damals tatsächlich so nobel gewesen war. Er war einfach empört gewesen, dass eine Kommilitonin und gute Freundin von ihrer Familie in eine derartige Lage gebracht werden konnte, und sein Idealismus und Gerechtigkeitssinn hatten ihn den Entschluss fassen lassen, diesen Plan zu durchkreuzen.

Er atmete tief durch. Wenn er damals gewusst hätte, was er heute wusste, hätte er Helene vielleicht den Rücken gekehrt und sie Khaled heiraten lassen.

„Du hast mir meine Freiheit geschenkt“, fuhr sie fort, „und dafür deine eigene aufgegeben. Ich weiß nicht, wie ich dir all die Jahre vergelten soll, die du an mich gebunden warst, aber du sollst wissen, dass ich dir immer, immer dankbar sein werde.“

Wieder lächelte sie, trotz des feuchten Schimmers in ihren Augen, und Paolo spürte, wie sich etwas in seiner Brust zusammenzog. Wie hatte er auch nur die Möglichkeit in Betracht ziehen können, sie im Stich zu lassen? Er musste seine ganze Willenskraft aufwenden, um nicht zu ihr zu gehen und sie in seine Arme zu ziehen.

Aber seine Angst hielt ihn zurück. Schon einmal war er kurz davor gewesen, die Kontrolle zu verlieren, und wenn er sie in seinen Armen spürte, würde es kein Zurück mehr geben.

Also zwang er sich zu einem Lächeln und bemühte sich, nicht an die Folgen ihres damaligen Handelns zu denken und nicht an jene andere Frau, die nun mit genau dem Mann verheiratet war, vor dem er Helene damals gerettet hatte.

Was war sein damaliges Opfer schon wert, wenn er nichts getan hatte, um Sapphy vor dem gleichen Schicksal zu bewahren? Er hatte sie Khaled gewissermaßen auf einem Silbertablett serviert. Darauf war er alles andere als stolz.

Paolo beschloss, das Gespräch zu einem Ende zu bringen, bevor es zu gefährlich oder zu schmerzhaft wurde. „Es war das Mindeste, was ich tun konnte“, sagte er rau und drehte sich wieder um, damit sie nicht bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Wenige Sekunden später hörte er das Rascheln von Papier hinter sich und wusste, dass Helene sich wieder den Dokumenten zugewandt hatte.

Es war keine gute Idee gewesen, mitten in der Nacht hier aufzutauchen. Warum hatte er die Papiere nicht einfach mit der Post geschickt? Hierher zu kommen, war, wie den Verband von einer Wunde zu reißen, die niemals richtig verheilt war.

„Das verstehe ich nicht“, sagte Helene nach einer Weile und riss ihn aus seinen Gedanken. „Das sind die Unterlagen für eine ganz normale Scheidung. Ich hatte gedacht, wir …“

Er sah zu, wie ihre Wangen sich immer dunkler färbten. Dann fragte er: „Was hast du gedacht?“

„Ich hatte gedacht, dass wir die Ehe annullieren lassen würden. Schließlich …“

Wieder brach sie ab, und Paolo trat einen Schritt auf sie zu und beobachtete die widerstreitenden Gefühle, die sich auf ihrem Gesicht abzeichneten.

„Schließlich ist die Ehe nie vollzogen worden?“

Sie nickte, und ihre Gesichtsfarbe nahm einen noch dunkleren Rotton an. Paolo erinnerte sich, dass Helene damals nicht abgeneigt gewesen war, die Hochzeitsnacht mit ihrem frisch angetrauten Ehemann zu verbringen. Nach all der Anspannung, die ihrem Vorhaben vorausgegangen war, und nachdem er Helene von einem Einkaufsbummel mit ihrer Mutter entführt und bei sich versteckt hatte, bis sie vor einen Standesbeamten getreten waren, hatten sie sich großartig gefühlt. Sie hatten es geschafft, die Pläne ihrer Familie und dem Herrscher eines Wüstenstaates zu durchkreuzen, und alles hatte wie am Schnürchen geklappt.

Sie hatten Fotos ihrer Trauung und eine Kopie der Heiratsurkunde an Helenes Eltern geschickt, und anschließend hatten sie in der Wohnung eines Kommilitonen gefeiert. Bis tief in die Nacht hinein hatten sie billigen Schaumwein getrunken und gelacht und getanzt und sich zu ihrem Sieg gratuliert.

Und dann hatte Helene ihn geküsst und angedeutet, dass sie bereit war, sich auch körperlich mit ihm zu vereinigen, und auf einmal war alles furchtbar kompliziert geworden.

Obwohl er sich nur allzu gerne auf ihren Vorschlag eingelassen hätte, hatte er die Situation nicht ausnutzen wollen, dass sie euphorisch und ziemlich angetrunken war. Außerdem hatte er nicht gewollt, dass sie glaubte, ihm auf diese Weise für seine Hilfe danken zu müssen. Er erinnerte sich, dass er versucht hatte, seine Gründe zu erklären, und dass er vollkommen versagt hatte. Danach hatte sie nicht mehr versucht, sich ihm körperlich zu nähern, und er war davon ausgegangen, dass sie insgeheim erleichtert gewesen war, dass er ihr Angebot nicht angenommen hatte. Damals war er ebenfalls erleichtert gewesen, heute dagegen war er sich nicht mehr so sicher, wie er darüber dachte.

Für Helene war es offensichtlich, dass auch Paolo sich an ihre damaligen Annäherungsversuche erinnerte. Sie konnte geradezu sehen, wie sich die Handlung Bild für Bild auf der Leinwand seiner dunklen Augen abspielte. Was für eine Idiotin war sie damals doch gewesen!

Er schüttelte leicht den Kopf, wie um die Bilder aus der Vergangenheit abzuschütteln. „Aus juristischer Sicht ist das nicht relevant. Obwohl die meisten Menschen das glauben, ist der nicht stattfindende Vollzug einer Ehe kein ausreichender Grund für ihre Annullierung.“

Nicht relevant? Helene wurde ganz schwindelig, während sich ihre Perspektive auf die Vergangenheit jäh verschob. Sie hatte geglaubt, dass er sie damals zurückgewiesen hätte, um ihre Chancen auf eine Annullierung der Ehe nicht zu verderben. Aber wenn es stimmte, was er soeben gesagt hatte, konnte das nicht der Grund gewesen sein. Also hatte er einfach keine Lust gehabt, mit ihr zu schlafen.

Was für eine Närrin war sie doch all die Jahre gewesen!

„In unserem Fall“, fuhr er fort und riss sie aus ihren Gedanken, „genügt es, dass wir seit mehr als zwei Jahren getrennt leben und die Scheidung übereinstimmend beantragen.“

Ihre Finger schlossen sich fester um den Stift, den sie wieder zur Hand genommen hatte. Unterschreib, sagte sie sich selbst, während sie versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Unterschreib einfach und lass ihn dann gehen. Denn er hat dir niemals gehört.

Ohne das klein gedruckte Formular zu lesen, setzte sie ihre Unterschrift neben die erste Markierung.

„Willst du es dir nicht zuerst durchlesen?“, erkundigte Paolo sich.

„Ich habe genug gelesen“, antwortete sie. „Außerdem gehe ich davon aus, dass du als Anwalt weißt, was du tust.“

Irgendetwas an ihrer Stimme erregte seine Aufmerksamkeit, und er trat einen Schritt näher auf sie zu.

„Helene?“

Sie sah auf, und er bemerkte das feuchte Schimmern in ihren Augen. Weinte sie etwa?

„Was ist?“, fragte sie.

„Ich dachte, du bist froh, dass Khaled endlich geheiratet hat.“

„Das bin ich auch“, erwiderte sie und setzte ein weiteres Mal ihre schwungvolle Unterschrift auf eine gestrichelte Linie. „Das ist eine wundervolle Neuigkeit. Du selbst bist wahrscheinlich auch sehr erleichtert.“

Paolo schlug seine eigenen Warnungen in den Wind, ließ sich neben ihr auf dem Sofa nieder und hob vorsichtig mit der Hand ihr Kinn. „Warum weinst du dann?“

„Das sind Freudentränen“, sagte sie und setzte ein schiefes Lächeln auf. „Eine wundervolle Neuigkeit, wie gesagt. Wer ist denn die unglückliche Braut? Jemand, den wir kennen?“

Er antwortete nicht, aber der gequälte Ausdruck auf seinem Gesicht sagte Helene, dass Khaleds Heirat kein Zufall gewesen war.

„Wer ist sie?“, fragte sie noch einmal.

Paolo starrte sie mit leerem Blick an, und sie wusste, dass seine Gedanken ganz woanders waren. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.

„Khaled hat mir damals geschworen, dass er sich an mir rächen würde. Er sagte, er würde mir eines Tages jemanden wegnehmen, der mir sehr viel bedeutet, so wie ich es bei ihm getan hätte.“ Der Blick in seinen Augen veränderte sich, und Helene wusste, dass er sie jetzt wieder sehen konnte. „Genau wie dein Vater dir nicht verzeihen konnte, wollte auch Khaled, dass ich für meine Taten bezahle.“

„Oh nein!“, entfuhr es ihr, und sie schlug entsetzt die Hand vor den Mund.

„Und jetzt hat er seine Drohung wahr gemacht. Er hat mir einen Menschen weggenommen, der mir sehr nahe stand.“

Er brach ab, und Helene wartete unruhig darauf, dass er fortfuhr. Die Verzweiflung und der Schmerz, die aus seiner Miene sprachen, waren nicht zu übersehen.

„Und er hat sie geheiratet?“, fragte sie schließlich.

Er lachte bitter. „Oh ja, er hat sie geheiratet.“

„Wer ist sie?“ Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.

„Ich weiß nicht, ob du von ihr gehört hast. Sie ist … oder vielmehr: Sie war eine der Modedesignerinnen des Hauses Bacelli in Mailand. Ihr Name ist Sapphy – Sapphire Clemenger.“

2. KAPITEL

„Oh mein Gott! Ich hatte gehört … Ich hatte geglaubt … Oh Paolo!“

Helene war vom Sofa aufgesprungen und lief unruhig auf dem Teppich auf und ab. Sie war unfähig, stehen zu bleiben, und in ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken an das Unglück, das sie angerichtet hatte. Paolos nächtlicher Besuch, sein angespannter Zustand, das unbeherrschte Klopfen an der Tür – plötzlich ergab das alles einen Sinn. Der Mann, der auf ihrem Sofa saß, war in Trauer, er war aller Hoffnung beraubt. Und sie war dafür verantwortlich.

„Das ist alles meine Schuld!“

„Helene. Sag doch nicht so etwas.“

„Aber es stimmt doch! Alles ist meine Schuld. Durch mich hat alles seinen Anfang genommen.“ Sie drehte sich zu Paolo um und rang verzweifelt die Hände. „Wenn du mich damals nicht geheiratet hättest, wäre nichts davon geschehen.“

„Und was wäre dann gewesen?“ Er war ebenfalls aufgestanden. „Hättest du Khaled geheiratet? Du weißt, dass das niemals eine Alternative war.“

„Aber sieh doch, was dadurch alles in Gang gesetzt wurde! Es ist wie ein Fluch, der zwölf Jahre lang über uns geschwebt hat. Und jetzt ist dein Leben und das von Sapphire dadurch ruiniert worden. Das ist ein zu hoher Preis, den du für deine Hilfe gezahlt hast. Ich hätte das niemals von dir verlangen dürfen.“

Plötzlich schien das Gewicht all dessen, was Paolo ihr zuliebe aufgegeben hatte, sie zu erdrücken – zwölf Jahre seines Lebens, zwölf Jahre, in denen er keine Frau vor den Traualtar führen konnte, zwölf Jahre, in denen er keine Familie hatte gründen können. Und als ob das noch nicht genug wäre, hatte sie ihm jetzt auch noch die Frau geraubt, die er hatte heiraten wollen.

Das war einfach zu viel!

Sie schlug eine zitternde Hand vor ihren Mund. „Es tut mir leid, Paolo. Es tut mir so furchtbar leid.“

Dann konnte sie nicht mehr sprechen, denn ein heftiges Schluchzen erschütterte ihren Körper.

Sie merkte kaum, wie Paolo neben sie trat, doch dann zog er sie in seine Arme, und Helene ließ sich dankbar gegen seine Brust sinken. Ihre zu Fäusten geballten Hände sanken kraftlos nach unten, während Tränen auf sein Hemd fielen und ihr Schluchzen immer lauter wurde.

„Ist ja gut“, redete er leise auf sie ein. „Alles wird wieder gut.“

Sie hatte keine Wahl. Ihr fehlte die Kraft, gegen den Orkan ihrer Gefühle anzukämpfen, die so lange in ihrem Inneren verschlossen gewesen waren und sich jetzt einen Weg nach draußen gebahnt hatten.

Noch einmal empfand sie den Schrecken über die Kaltblütigkeit, mit der ihr Vater seinen Plan angekündigt hatte, sie an einen Geschäftspartner zu verkaufen. Noch einmal spürte sie die Verzweiflung, als ihre Mutter ihre Hilferufe ignoriert hatte, und noch einmal erlebte sie die Angst und Verzweiflung, die sie dazu gebracht hatten, mit aller Kraft nach einem Weg zu suchen, um ihrem Schicksal zu entgehen.

Helene erinnerte sich wieder an die Erleichterung, die sie gefühlt hatte, als Paolo mit seinem Plan an sie herangetreten war. Er hatte ihr damit nicht nur eine Rettungsleine zugeworfen, er hatte ihr buchstäblich zu einem Zeitpunkt das Leben gerettet, als sie schon geglaubt hatte, der einzige Ausweg aus ihrer Lage bestünde darin, es sich zu nehmen.

Die Tränen, die sie damals aus Dankbarkeit vergossen hatte, mischten sich mit den Tränen, die sie heute um Paolos Verlust vergoss, um das Leben, das er hätte führen sollen und das ihm nun für immer verwehrt war.

Ihr Atem ging immer noch stoßweise, als sie bemerkte, dass Paolo sie sanft in seinen Armen wiegte. Es fühlte sich gut an. Paolo fühlte sich gut an.

Sein Hemd war unter ihrem Gesicht ganz feucht, aber auch das war nicht unangenehm. Vielmehr weckten das stetige Schlagen seines Herzens und der Geruch seiner warmen Haut in ihr den Wunsch, sich noch tiefer in ihn zu versenken. Sie konnte ihn in ihrem Atem schmecken. Sie konnte spüren, wie seine Stärke allmählich auf sie überging und sie beruhigte.

Und doch gehörte sie nicht hierher, in Paolos Arme. Sie musste die restlichen Papiere unterschreiben, die er mitgebracht hatte, und ihn dann gehen lassen, damit er sein Leben wieder aufnehmen konnte. Widerwillig hob sie das Gesicht und wischte sich mit einem Handrücken die Augen. Dann sah sie auf und entdeckte das feuchte Schimmern in seinen Augen.

„Oh Paolo“, flüsterte sie, und erneut war ihr, als würde ihr Herz in tausend Stücke zerspringen, denn sie wusste, dass niemand anders als sie selbst für seine Tränen verantwortlich war. „Es tut mir so unendlich leid.“

Er hob einen Arm, und einen Augenblick lang glaubte sie, dass er sie ganz loslassen würde. Doch eine Hand blieb auf ihrem Rücken liegen und drückte sie weiterhin an sich, während er mit der anderen Hand behutsam ihr Kinn anhob.

„Schluss mit den Entschuldigungen.“

„Aber …“

„Nichts aber.“ Mit einem Finger verschloss er ihre Lippen. Ihre Blicke trafen sich, und Helene spürte, wie seine Augen geradezu erglühten.

Die Hitze war ansteckend. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Ihre Brustspitzen wurden hart, und ihre Haut brannte dort, wo ihre Schenkel die seinen berührten, wie Feuer.

Etwas hatte sich verändert. Er war auf einmal kein alter Freund mehr, der sie im Arm hielt und tröstete, sondern er war ein Mann, dessen Körper unmissverständlich auf ihre Nähe reagierte.

Helene hielt den Atem an. Es war, als würde die ganze Welt darauf warten, dass etwas geschah.

Und dann küsste er sie, und jeder klare Gedanke wurde unmöglich. Sanft berührten seine Lippen die ihren, sein warmer Atem war wie Balsam für ihre verwundete Seele.

Ihre Hände lösten sich aus seinem Hemd, in das sie sich verkrallt hatten, und strichen zart über den weichen Stoff, genossen das Gefühl des festen, muskulösen Körpers, der darunter lag.

Gleichzeitig wurde Paolos Kuss drängender, verlangender. Im gleichen Maße, wie seine Zunge ihren Mund erforschte, verabschiedete sich Helenes Fähigkeit, logisch zu denken. Was machte er hier nach all den Jahren? Warum war er gekommen? Es war ihr gleichgültig. Alles, worauf es ankam, war der warme Hauch seines Atems auf ihren Wangen.

Paolo ließ seine Hände über ihren Rücken gleiten, und es schien, als würde sich ihr Morgenmantel unter seinen Berührungen in Luft auflösen. Dann küsste er ihren Hals und entfachte dort ein Feuer, das ihre Haut zum Glühen brachte.

Vorsichtig öffnete er ihren Morgenmantel bis zu den Schultern und liebkoste jeden Zentimeter, der dadurch entblößt wurde. Helene klammerte sich an ihn und vertraute darauf, dass er sie stützte, denn sie wusste, dass ihre Knie nicht mehr in der Lage waren, sie aufrecht zu halten.

Während sie die Magie genoss, die von seinen Küssen ausging, senkte er seine Lippen auf ihren Ausschnitt und wanderte dann immer tiefer bis zu der Stelle, wo sich die festen Spitzen ihrer Brüste unter dem dünnen Stoff abzeichneten. Ein tiefes, leidenschaftliches Stöhnen entfuhr seiner Kehle.

Als er nach einer Weile aufsah und ihre Blicke sich trafen, konnte sie das Verlangen in seinen Augen erkennen. Es war ein Augenblick, in dem die Zeit stillzustehen schien. Einerseits wagte sie kaum, die Augen abzuwenden, weil sie befürchtete, dass ihr etwas in seinem Blick entgehen könnte, andererseits hatte sie Angst, dass er in ihrem eigenen zu viel lesen könnte.

Was auch immer er darin entdeckte, es schien ihn zufrieden zu stellen. Geschickt löste er den Knoten, mit dem der Gürtel ihres Bademantels zusammengehalten wurde. Sie hielt die Luft an, als der dünne Stoff von ihren Schultern glitt und hinter ihr auf den Boden fiel.

Paolos Augen schienen zu glühen, während er den Anblick ihres Körpers förmlich aufsog. Er stieß ein Seufzen aus, das der Ergriffenheit und Bewunderung in seinem Blick entsprach.

Dann ging auf einmal alles sehr schnell. Seine Arme schlossen sich um sie, und seine Lippen verschlangen geradezu die ihren. Helene drängte sich immer enger an ihn, und auch Paolo ließ seine Hände über ihren Rücken und unter den Stoff ihres Slips gleiten, um sie noch fester an sich ziehen zu können.

Als sein Mund endlich den ihren freigab und ihren Hals herunterwanderte, schnappte Helene nach Luft, doch es schien, als würde der Sauerstoff vom Feuer ihrer Leidenschaft schneller verbrannt, als sie ihn einatmen konnte. Mit jedem Atemzug schlugen die Flammen höher, wurde ihr Verlangen drängender.

Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihn zu berühren, von ihm berührt zu werden, ihn tief in sich zu spüren. Nur so konnte das beinahe schmerzhafte Sehnen in ihrem Unterleib gestillt werden.

Hastig zerrte sie an den Knöpfen seines Hemdes, um sie zu öffnen, und strich dann vorsichtig über die seidige Haut seines Oberkörpers, die sanfte Wölbung seiner muskulösen Brust und über die weichen Haare um die Brustwarzen herum.

Dann wanderten ihre Hände tiefer, genossen das Gefühl, wie seine Bauchmuskeln sich unter ihrer Berührung anspannten, und schlüpften schließlich in den Bund seiner Hose. Doch bevor sie weiter vordringen konnten, wurden ihre Handgelenke gepackt und festgehalten.

„Hab Erbarmen“, raunte er ganz nahe an ihrem Ohr. „Es ist eine Weile her.“

Machte er Witze? Es war eine Ewigkeit her! Oder zumindest schien es ihr so. Zwei Partner in zwölf Jahren. Zwei unbefriedigende Liebesbeziehungen, die sie hatten glauben lassen, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Keiner der beiden Männer hatte in ihr auch nur einen Bruchteil dessen entfacht, was sie jetzt spürte. Keiner hatte sie auch nur ansatzweise in solche Raserei versetzt. In diesem Augenblick konnte sie sich nicht einmal mehr an ihre Namen erinnern.

Und Paolo bat sie, Erbarmen mit ihm zu haben?

„Keine Chance“, flüsterte sie und ließ eine ihrer Hände tiefer gleiten.

Sein Körper erstarrte, und für einen Moment glaubte sie, zu weit gegangen zu sein. Noch nie in ihrem Leben hatte sie einen so kühnen Vorstoß gewagt. Aber sie war auch noch nie zuvor so erregt gewesen.

Nach einer Weile stöhnte er, ein tiefer, kehliger Laut, der sie ihre Zweifel vergessen ließ und sie wieder mit erwartungsvoller Spannung erfüllte.

Paolo hob sie in seine Arme und trug sie in ihr Schlafzimmer, wo er sie behutsam auf das Bett legte. Beinahe gleichzeitig streifte er sein Hemd und seine Schuhe ab. Wenige Sekunden später hatte er sich auch seiner Hose entledigt, und dann folgten seine Unterhose und Socken und zuletzt Helenes rosafarbener Slip.

„Du bist wunderschön“, hauchte er, während er sich neben ihr niederließ. Dann fanden seine Lippen wieder die ihren, und seine Hände schienen überall gleichzeitig zu sein. Helene gab sich ganz dem Zauber seiner Berührungen hin, der Magie seiner Küsse. Seine Zärtlichkeiten hatten sie ganz und gar verhext.

Mit einem leidenschaftlichen Stöhnen rollte er sich auf sie, und nun konnte sie den unwiderlegbaren Beweis seiner Erregung zwischen ihren Beinen spüren. „Ich will dich“, sagte er, seine Augen glänzend vor Verlangen, und beinahe hätte sie ihm geglaubt. Dann jedoch bemerkte sie noch etwas anderes, eine Art inneren Kampf, der wie eine dunkle Wolke über seine Pupillen zog.

Und da wurde es ihr mit einem Schlag klar. Sapphire! Vor seinem inneren Auge sieht er Sapphire. Er wünscht sich, dass sie an deiner Stelle wäre.

Alles, was sie tun konnte, war zu versuchen, seinen Schmerz zu lindern und ihm zu helfen, das Vergangene zu vergessen.

Helene schloss die Augen, genoss die Hitze seines Kusses. Jeder Muskel ihres Körpers war zum Zerreißen gespannt, jede Faser schrie nach Erfüllung. Seufzend bog sie sich Paolo entgegen. Als dieser endlich in sie eindrang, schwindelte ihr vor Lust, doch nach einer Weile fand sie die Kontrolle über ihren Körper zurück, passte sich Paolos Bewegungen an, folgte dem Rhythmus, den er vorgegeben hatte.

Sein Mund kehrte zu ihren Brüsten zurück, umkreiste die Spitzen mit der Zunge, knabberte mit den Zähnen leicht daran, und dann geschah es.

Leuchtend bunte Farben zerbarsten vor ihren Augen in Millionen von Lichtpartikeln, die wie winzige Glühwürmchen in der Luft schwebten. Immer und immer wieder kamen neue Explosionen hinzu, bis schließlich auch die letzten Funken in der Dunkelheit erstarben wie das Echo eines Feuerwerks. Erst dann kehrte auch ihr Körper wieder auf die Erde zurück.

Schwer atmend lagen sie nun nebeneinander, und Helene war wohl kurz weggenickt, als sie wie von ferne seine Stimme vernahm.

„Hast du etwas gesagt?“, murmelte sie.

„Ich habe gesagt, dass es mir leid tut.“

Das warme Wohlgefühl, das ihren Körper erfüllt hatte, kühlte mit einem Schlag ab. „Es muss dir nicht leid tun. Du hast mich zu nichts überredet, was ich nicht selbst gewollt hätte.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe kein Kondom benutzt. Das ist mir noch nie passiert.“

Seine Worte holten sie vollends in die Realität zurück. Was hatten sie sich nur dabei gedacht? Nun, offensichtlich hatten sie überhaupt nicht gedacht.

„Gibt es etwas, was ich wissen sollte?“, fragte sie vorsichtig. „Ich kann dir versichern, dass bei mir alles in Ordnung ist.“

„Es ist nicht nur das“, sagte er. „Das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können, ist ein Baby. Zumal wir kurz davor stehen, uns scheiden zu lassen.“

„Natürlich, du hast recht.“ Die Scheidung. Helene biss sich auf die Unterlippe. Sie konnte ihm nicht verdenken, dass die Scheidung für ihn im Augenblick das Wichtigste war. Nach zwölf Jahren, die er an sie gekettet gewesen war, war es nur allzu verständlich, dass er endlich seine Freiheit zurückwollte.

Das war schließlich auch der Grund, aus dem er hierher gekommen war. Dass sie miteinander geschlafen hatten, war eben einfach nur so passiert. Es war nicht so, dass sie ihm etwas bedeuten würde.

„Verhütest du?“

Sie wollte gerade Ja sagen, doch dann fiel ihr ein, dass sie die Pille abgesetzt hatte. Sie hatte sie jahrelang genommen, weil ihre Periode sehr unregelmäßig und auch schmerzhaft war, bis der Arzt ihr letzten Monat empfohlen hatte, die Einnahme für eine Weile auszusetzen. Aber sie konnte nicht schwanger sein. Es gab schließlich Paare, die nach dem Absetzen der Pille monatelang warten mussten, bevor die Frau schwanger wurde. Außerdem war es schon viel zu spät in ihrem Zyklus. Ihre Regel würde in wenigen Tagen einsetzen.

„Es besteht kein Grund zur Sorge“, erklärte sie so zuversichtlich wie möglich.

Erleichtert zog Paolo sie an sich und küsste sie zärtlich. „Wenn das so ist …“

Das Geräusch der Flugzeugmotoren war weder leise genug, als dass Helene hätte schlafen können, noch laut genug, um die Erinnerungen aus ihrem Kopf zu vertreiben. Und sie wollte schlafen. Sie war müde und völlig erschöpft. Doch anstatt endlich Ruhe zu finden, sah sie immer wieder die Szenen der vergangenen Nacht vor sich.

Wie viele Male hatten sie sich geliebt? Sie vermochte es nicht zu sagen.

Gott sei Dank war Paolo nicht aufgewacht, als sie im Morgengrauen die Wohnung verlassen hatte. Helene hätte nicht gewusst, was sie ihm hätte sagen sollen. Es war einfacher gewesen, einen Zettel zu schreiben – obwohl sie auch dazu ein halbes Dutzend Anläufe gebraucht hatte, bevor sie mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden gewesen war. Was sagte man zu jemandem, mit dem man soeben den besten Sex aller Zeiten gehabt hatte, den man aber wahrscheinlich nie wiedersehen würde?

Mit Sicherheit war er ebenfalls froh gewesen, sich die peinliche Szene am Morgen danach ersparen zu können. Bestimmt war er erleichtert, sich nicht verabschieden zu müssen.

Und sie?

Seufzend lehnte sie sich zurück. Obwohl die Sitze in der ersten Klasse relativ bequem waren, war es ihr unmöglich, sich zu entspannen. Sie hatte die aufregendste Nacht ihres Lebens hinter sich. Die Erinnerungen an das, was sich in ihrem Schlafzimmer abgespielt hatte, würden sie für den Rest ihres Lebens begleiten. Erinnerungen an eine Nacht, in der sie, wenn auch nur für ein paar Stunden, in der Lage gewesen war, sich vorzumachen, dass sie und Paolo mehr verband als ein juristisches Vertragswerk.

Und selbst damit war es jetzt vorbei. Helene hatte, bevor sie gegangen war, noch einmal überprüft, ob sie auch alle Papiere unterschrieben hatte. Sie wollte Paolo nicht noch mehr Probleme bereiten, als er ihretwegen ohnehin schon gehabt hatte.

Denn er hatte recht. Es war vorbei.

Sie war fort. Ihre Hälfte des Bettes war kalt und leer, als Paolo die Augen aufschlug. Die ganze Wohnung war merkwürdig still, keine Geräusche aus dem Bad oder der Küche waren zu hören.

Er griff nach seiner Uhr und starrte ungläubig auf die Zeiger. Es war beinahe Mittag. Paolo konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt so tief geschlafen hatte.

Aber wo war sie? Ihm fiel zwar wieder ein, dass sie gestern Abend etwas davon gesagt hatte, am nächsten Tag irgendwohin zu fliegen, aber sie konnte doch nicht schon weg sein? Sie hätte sich doch mit Sicherheit verabschiedet.

Er rief ihren Namen, doch vergebens. Dann stützte er sich langsam auf, und in diesem Augenblick entdeckte er die Papiere, die neben ihrem Kopfkissen lagen. Ein kleiner Zettel, der ganz oben auf dem Stapel gelegen hatte, flatterte nach unten, als Paolo die Unterlagen aufhob, und landete auf dem Boden neben dem Bett. Paolo ignorierte ihn, während er die Formulare durchsah. Sie hatte jedes einzelne unterschrieben und sie dann dort abgelegt, wo er sie auf jeden Fall finden würde.

Ein Gefühl der Verbitterung breitete sich in seinem Inneren aus.

Gestern Nacht hatte er den Eindruck gehabt, sie bedauere es sogar ein wenig, dass ihre Scheinehe nun bald vorüber sein würde. Und dann hatte sie sich ihm so vollkommen hingegeben, dass er sich in den Armen einer Göttin geglaubt hatte.

Ihr Verhalten heute Morgen zeigte jedoch, dass sie eine ganz andere Frau war als die, für die er sie gehalten hatte. Sich ohne ein Wort aus der Wohnung zu stehlen nach dem, was sie zuvor miteinander erlebt hatten – eine solche Kaltblütigkeit hatte er ihr nicht zugetraut.

Die Papiere hätten noch warten können. Es bestand kein Grund zur Eile, zumindest von seiner Seite aus nicht. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte sie die Unterlagen auch erst unterschreiben können, nachdem sie von ihrer Reise zurück war. Dann hätte sie Zeit gehabt, sie in Ruhe durchzulesen und sicherzustellen, dass sie mit allen Punkten einverstanden war.

Aber sie hatte sich die Zeit nicht genommen, hatte ihn nicht einmal darum gebeten. Sie konnte es anscheinend kaum erwarten, ihn endlich los zu sein.

Er stand auf und bemerkte das Stück Papier, das zuvor auf den Boden gefallen war. Während er danach griff, hob sich seine Stimmung wieder. Helene hatte ihm also eine Nachricht hinterlassen. Vielleicht mit ihrer Telefonnummer, sodass er sie dort, wo sie hingeflogen war, erreichen konnte.

Dann jedoch las er den Zettel, und sein Ärger wuchs von neuem. Dabei ging es gar nicht so sehr um das, was sie geschrieben hatte, sondern um das, was sie nicht geschrieben hatte.

Paolo,

bedien dich mit allem, was du in der Küche finden kannst. Wenn du gehst, zieh einfach die Tür hinter dir zu. Die Putzfrau kommt um eins.

Helene

Das war alles? Er schnaubte wütend. Offensichtlich wollte sie ihn nicht wissen lassen, wo sie sich aufhielt. Sie wollte nicht, dass er sich bei ihr meldete. Und sie wollte nicht, dass ihre Putzfrau ihn in ihrer Wohnung vorfand.

Nachdem er den Zettel zusammengeknüllt hatte, warf er ihn in die Ecke des Zimmers. Sollte die Putzfrau ihn ruhig finden!

Und jetzt nichts wie weg.

3. KAPITEL

Der Arzt hatte einen so verständnisvollen Blick, dass es Helene nicht schwer fiel, sich in seiner Gegenwart zu entspannen. Er war älter als ihr Arzt in Paris, vermutlich so um die sechzig, mit geröteten Wangen und freundlichen blauen Augen.

Er hatte das Zimmer verlassen, während sie sich wieder angezogen hatte, und nun saß er ihr an seinem Schreibtisch gegenüber, an dem er sie auch empfangen hatte. Helene fragte sich, warum in aller Welt sie so lange gewartet hatte, um einen Termin zu vereinbaren. Sicher, ihr dreimonatiger Aufenthalt in New York war beinahe vorüber, und in zwei Wochen hätte sie auch ihren Arzt in Paris aufsuchen können, aber sie hatte sich schon viel zu lange mit diesem Problem herumgeschlagen.

Je eher sie wieder begann, die Pille zu nehmen, desto besser. Schon jetzt hatte sie ein paar Mal nicht zur Arbeit gehen können, weil sie so starke Bauchkrämpfe gehabt hatte und weil ihr zudem übel gewesen war. Wenn sie wieder die Pille nahm, würde ihr Zyklus sich bestimmt wieder beruhigen.

Der Arzt griff nach der Brille, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag, und hielt sie sich, ohne sie aufzuklappen, vor die Augen, um seine Unterlagen besser lesen zu können. „Miss Grainger“, sagte er und wandte sich wieder seiner Patientin zu, „wann werden Sie wieder nach Frankreich zurückkehren?“

„In zwei Wochen“, antwortete sie enttäuscht, da sie zu ahnen glaubte, worauf der Arzt hinauswollte. „Sie meinen doch nicht, ich sollte warten, bis ich wieder zu Hause bin, um mir ein neues Rezept ausstellen zu lassen?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich wollte nur wissen, ob wir genug Zeit haben, noch ein paar Tests zu machen.“

„Was für Tests?“

Der Arzt machte eine beruhigende Geste. „Nichts Ernstes. Aber zu Ihrer eigenen Beruhigung sollten wir sie so bald wie möglich machen.“

„Ich verstehe nicht …“

Er lächelte. „Miss Grainger, ich bin nicht mit Ihren privaten Lebensumständen vertraut, deshalb weiß ich nicht, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht für Sie ist, aber haben Sie schon an die Möglichkeit gedacht, dass Sie schwanger sein könnten?“

Anschließend hätte Helene nicht zu sagen vermocht, wie sie nach Hause gekommen war. In ihrem Kopf war nur Platz für einen einzigen Gedanken.

Sie war schwanger.

Das war zwar völlig unmöglich, und ihr erster Impuls war gewesen, dem Arzt zu widersprechen, doch dann hatte ein Test bestätigt, was der Arzt schon nach seiner Untersuchung vermutet hatte.

Und nun würde sie ein Kind bekommen. Verwundert legte sie eine Hand auf ihren Bauch. Irgendwo dort drinnen wuchs ein Baby heran. Und in gerade einmal sechs Monaten würde sie es im Arm halten können.

Es war zu viel auf einmal. Zu plötzlich – und zu unglaublich. Schließlich hatte sie ihre Periode gehabt, wenn auch unregelmäßig und schwächer als sonst. Aber das war ihr nicht ungewöhnlich erschienen, nachdem ihr Arzt in Paris sie gewarnt hatte, es könne eine Weile dauern, bis ihr Zyklus sich nach dem Absetzen der Pille wieder normalisieren würde.

Und sie hatte Paolo gesagt, es bestünde kein Grund zur Sorge!

Der Gedanke an den Vater ihres ungeborenen Kindes versetzte sie aufs Neue in Verzweiflung. Paolo würde alles andere als begeistert sein. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie er gesagt hatte: „Das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können, ist ein Baby.“

Aber genau das war geschehen. In derselben Nacht, in der sie die eine Verbindung gelöst hatten, die sie zwölf Jahre aneinander gekettet hatte, hatten sie eine neue geschaffen, die sie ein Leben lang aneinander binden würde.

Sie hätte lachen können, wenn ihr nicht so elend zu Mute gewesen wäre. Aber es führte kein Weg daran vorbei: Sie musste Paolo Bescheid sagen. Denn obwohl sie wusste, wie er reagieren würde, hatte er doch ein Recht zu erfahren, dass er Vater wurde – und zwar mit der Frau, von der er sich gerade hatte scheiden lassen.

Sie musste seine Kanzlei anrufen und sich zu ihm durchstellen lassen.

Vorausgesetzt, dass alles in Ordnung war.

Helene fischte die Karte aus ihrer Handtasche, auf der die Sprechstundenhilfe den Termin für die morgige Ultraschalluntersuchung notiert hatte. Der Arzt hatte zwar mehrfach wiederholt, dass sie sich keine Sorgen machen solle, doch er hatte auch erwähnt, dass der Ultraschall Aufschluss darüber geben werde, ob ihr Blutverlust dem Fötus schaden könne oder ihm bereits geschadet habe.

Nur noch ein Tag. Es bestand keine Notwendigkeit, vorher mit Paolo zu sprechen. Nicht, wenn die Möglichkeit bestand …

Beunruhigt sprang Helene aus ihrem Sessel auf. Sie musste sich irgendwie beschäftigen – ablenken. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was die morgige Untersuchung zu Tage fördern könnte. Es spielte keine Rolle, dass sie erst gerade herausgefunden hatte, dass sie schwanger war. Oder dass sie es Paolo beichten musste und dass es das Schwierigste werden würde, was sie in ihrem ganzen Leben getan hatte. Sie würde es schon irgendwie schaffen.

Alles, was jetzt zählte, war, dass es dem Baby gut ging. Helene wollte nicht über die anderen Möglichkeiten nachdenken. Das konnte sie ihrem Kind nicht antun. Sie war zwar noch ein Neuling auf dem Gebiet der Mutterschaft, aber sogar ihr war klar, dass ihr Baby sie jetzt brauchte, damit sie es beschützte. Sie würde es nicht im Stich lassen, so wie ihre Eltern es mit ihr getan hatten. Sie würde es lieben.

Helene war froh, dass sie den Rest des Tages freibekommen hatte. Die Ultraschalluntersuchung würde schon aufregend genug sein, ohne dass sie anschließend ihren Kolleginnen gegenüber so tun müsste, als sei alles in bester Ordnung. Sie hatte sich ja selbst kaum an den Gedanken gewöhnt, dass sie schwanger war.

Ein Blick aus ihrem Fenster, von dem aus sie den Central Park sehen konnte, verriet ihr, dass das Wetter gut war. Also zog sie nur einen dünnen Mantel über ihr Leinenkleid und öffnete die Tür.

„Paolo! Was machst du hier? Wie hast du mich gefunden?“

Er hob eine Augenbraue, und seine Augen blickten sie kühl an. „Ich freue mich ebenfalls, dich zu sehen. Möchtest du mich nicht hereinbitten?“

„Wie bist du am Pförtner vorbeigekommen?“

„Warum bist du nicht bei der Arbeit?“, antwortete er mit einer Gegenfrage und schob sich an ihr vorbei durch die Tür. „Man hat mir gesagt, du seist krank.“ Mit zusammengekniffenen Augen musterte er ihren Mantel und die Handtasche. „Aber du siehst nicht krank aus. Und du wolltest gerade die Wohnung verlassen. Ich frage mich, warum du an einem so schönen Tag wohl die Arbeit schwänzt. Triffst du dich vielleicht mit einem Mann?“

Helene stand immer noch an der geöffneten Tür. Der Schock über sein plötzliches Erscheinen verwandelte sich allmählich in Ärger. „Paolo, lass den Unfug. Warum bist du hier?“

„Warum hast du mir denn nicht gesagt, dass du nach New York fliegst?“

„Du hast mich nicht gefragt.“

„Du bist einfach verschwunden, ohne ein Wort …“

„Ich habe dir einen Zettel geschrieben“, unterbrach sie ihn.

„Ja, einen völlig nichts sagenden!“, hielt er ihr entgegen.

„Was hätte ich denn schreiben sollen? Frohe Scheidung?“ Sie atmete tief durch. Ein leichtes Schwindelgefühl überkam sie. „Willst du mir nicht sagen, was los ist?“

Paolo kam einen Schritt auf sie zu. Seine Augen waren nur noch zwei schmale Schlitze, und er sah wütend aus. „Ich habe herausgefunden, wo du arbeitest, und bin vorbeigekommen, um dich zu sehen. Um der alten Zeiten willen.“ Er schnaubte verächtlich. „Ich konnte ja nicht ahnen, dass du schon eine Verabredung hast.“

Helene sah unruhig auf ihre Uhr. „Du hast recht. Ich muss los.“

„Und du erwartest, dass ich dich so einfach gehen lasse.“

„Ich habe eine viel bessere Idee.“ Sie sah seinen überraschten Gesichtsausdruck und entschied, dass der Anblick ein kleiner Ausgleich für das unangenehme Gespräch war, das ihr noch bevorstand. „Du kommst mit.“

Er runzelte die Stirn. „Wohin?“

„Du meinst, du weißt es nicht? Und dabei warst du dir vorhin noch so sicher, dass ich mich mit einem Mann treffe. Nun, es ist tatsächlich so, und ich finde, du solltest mit mir kommen und ihn kennen lernen.“

Aufgeregt packte er ihre Schultern und funkelte sie an. „Wovon sprichst du?“

Sie sah ihm fest in die Augen und erklärte: „Ich gehe zu einer Ultraschalluntersuchung.“

„Weshalb? Wozu?“ Doch selbst während er sprach, konnte sie sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete und wie sein Gesicht sie nacheinander verwirrt, fragend und schließlich ungläubig anblickte. „Du meinst, du bist schwanger?“

„So ist es.“

Schlagartig ließ er ihre Schultern los und drehte sich um, sodass er ihr den Rücken zuwandte.

Helene spürte, wie ihr Selbstbewusstsein dahinschmolz, während sie seine breiten Schultern betrachtete. Sie konnte ihm seine Reaktion kaum übel nehmen. Schließlich war sie es gewesen, die beteuert hatte, dass kein Grund zur Sorge bestand. „Der Ultraschall soll klären, ob alles normal verläuft“, fuhr sie fort. „Hör zu, ich weiß, dass das alles etwas plötzlich kommt, aber ich muss jetzt wirklich los, sonst verpasse ich meinen Termin.“

Sie war schwanger. Dio! Er hatte versucht, die Träume zu ignorieren, die seit jener Nacht in Paris immer wiedergekehrt waren. Doch anstatt zu verblassen, waren die Bilder immer klarer, die Erinnerungen immer drängender geworden.

Und dann hatte eine Kollegin vor ein paar Tagen beiläufig erwähnt, dass die Internationale Frauenorganisation ihren Sitz in New York hatte, und Paolo hatte instinktiv gewusst, dass Helene hier war. Die ganze Zeit über hatte sie in derselben Stadt gelebt wie er, und er hatte keine Ahnung gehabt!

Der Gedanke hatte seine Träume noch intensiver und sein Verlangen noch größer werden lassen. Zuletzt hatte er beschlossen, nicht länger dagegen anzukämpfen. Warum sollten sie sich nicht sehen können? Es gab kein Gesetz, das es ihnen verbot.

Und jetzt, wo er sie endlich gefunden hatte, war es zu spät!

Es hatte schon geschmerzt, als er geglaubt hatte, sie wolle sich mit einem anderen Mann treffen, aber die Nachricht, dass sie schwanger war, machte alles noch viel schlimmer. Sie erwartete das Kind eines anderen! Beinahe konnte er sie mit diesem Kind sehen, einem Mädchen vielleicht, das sich am Rock ihrer Mutter festhielt und das die gleichen Locken und grünen Augen hatte wie sie …

In seinem Mund war ein bitterer Geschmack. Helene hatte seit ihrer Ankunft in New York wirklich keine Zeit verloren.

„Paolo? Ich komme zu spät zu meinem Termin!“

Er fuhr herum, ging an Helene vorbei nach draußen und mit großen Schritten auf den Aufzug zu. „Dann möchte ich dich nicht länger aufhalten.“

„Paolo?“

Er drehte sich um, seine Hand schon an der Tür, die zum Treppenhaus führte. Sie stand immer noch unbeweglich auf der Türschwelle, nur dass sie jetzt nicht mehr überrascht, sondern verwirrt aussah.

„Ja?“, fragte er knapp.

„Willst du denn nicht mitkommen?“

„Warum sollte ich?“, fragte er bitter.

Sie sah ihn einige Sekunden lang stumm an. Ihre grünen Augen schienen beinahe zu groß für ihr ansonsten perfekt proportioniertes Gesicht.

„Weil es dein Kind ist, Paolo. Du bist der Vater.“

4. KAPITEL

Die Lifttüren öffneten sich, und eine Mutter und ihre Tochter traten heraus. Ihre fröhliche Unterhaltung brach ab, als sie die angespannte Atmosphäre in der Eingangshalle wahrnahmen: auf der einen Seite die Frau, die schweigend in der Tür ihres Apartments stand, auf der anderen der grimmig dreinblickende Mann, der sich schon zum Gehen gewandt hatte und nun wie in seiner Bewegung erstarrt schien.

Eine Sekunde später hatte Paolo jedoch kehrtgemacht und Helene zurück in ihre Wohnung geschoben.

„Was soll das heißen?“, fragte er schroff.

Mit funkelnden Augen stieß sie seine Hände weg, die er auf ihre Arme gelegt hatte. „Was gibt es da nicht zu verstehen? Ich bekomme ein Kind von dir.“

„Du lügst!“

„Wie bitte? Ich weiß doch, wer der Vater meines Kindes ist!“

„Wie kannst du dir da so sicher sein?“

Sie schnappte verärgert nach Luft. „Was möchtest du damit andeuten? Für was für eine Frau hältst du mich?“

„Was weiß denn ich! Ich kenne dich doch kaum.“

„Es ist dein Kind“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Gewöhn dich lieber an den Gedanken, denn es ist die Wahrheit.“

„Und du bist nicht auf die Idee gekommen, mich davon in Kenntnis zu setzen, bis ich heute zufällig bei dir hereingeschneit bin? Bist du so verzweifelt, dass du dein Kind dem erstbesten Mann anhängst, der bei dir anklopft?“

„Nein! Du bist der Vater! Es ist dein Kind!“

„Und wann wolltest du mir davon erzählen? Es ist drei Monate her, dass wir miteinander geschlafen haben! Hattest du überhaupt vor, mich über deine Schwangerschaft zu informieren, oder wolltest du sie vielleicht vielmehr vor mir geheim halten?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß es selbst erst seit gestern. Und ich wollte es dir sagen, aber erst nach der Ultraschalluntersuchung.“

„Und das soll ich dir glauben?“

„Es ist die Wahrheit.“

Er ging mit großen Schritten vor dem Fenster auf und ab. „Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte. Du hast gesagt, dass kein Grund zur Sorge bestehe.“

„Ich weiß“, sagte sie etwas kleinlaut. „Das habe ich auch geglaubt.“

„So, das hast du also geglaubt!“, wiederholte er höhnisch.

„Es tut mir leid. Das war ein Fehler.“

„Und was für ein Fehler!“

„Da hast du recht“, erwiderte sie kühl. „Und es war nicht mein einziger Fehler in dieser Nacht.“ Damit zog sie sich die Handtasche über die Schulter. „Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest. Ich muss wirklich zu meinem Termin.“

„Nicht so schnell!“ Seine Augen bohrten sich in die ihren. „Wenn das Kind wirklich von mir ist …“

„Es ist von dir! Obwohl ich hoffe, dass es nicht nach dir schlägt.“

„In dem Fall komme ich mit dir“, erklärte er mit unbewegter Miene.

Die Fahrt mit dem Taxi verlief schweigend. Als der Wagen vor dem Krankenhaus hielt, öffnete Helene hastig die Tür. „Du musst nicht mit hereinkommen“, sagte sie, während sie ausstieg. „Warum wartest du nicht hier draußen auf mich?“

„Auf keinen Fall“, gab Paolo zurück und nahm ihren Arm.

„Ich kann dir doch auch erzählen, was der Arzt gesagt hat“, beharrte sie.

„Ich möchte die Informationen lieber aus erster Hand.“ Damit zog er sie in Richtung Eingang.

Wütend wand Helene ihren Arm aus seinem Griff. „Du musst mich nicht festhalten. Ich habe nicht vor, die Flucht zu ergreifen.“

Schweigend funkelte er sie mit seinen dunklen Augen an. Dann stieg er vor ihr die Treppe hinauf, wobei er immer zwei Stufen auf einmal nahm. Helene folgte ihm.

Als sie die Rezeption erreichte, wartete Paolo dort bereits auf sie. Ohne ihn eines weiteren Wortes zu würdigen, trat Helene auf den Tresen zu und nannte ihren Namen. Sogleich wurde sie zu einem Umkleideraum geführt, wo sie in einen Bademantel schlüpfte. Anschließend brachte der behandelnde Arzt sie in ein Untersuchungszimmer.

„Tut mir leid“, sagte er und versperrte Paolo, der ihnen folgen wollte, den Weg. „Ich rufe Sie, sobald ich weiß, dass alles in Ordnung ist.“

„Was soll das heißen?“, wollte Paolo wissen. „Was soll denn nicht in Ordnung sein?“

„Reine Routine. Machen Sie sich keine Sorgen.“

„Aber was könnte denn nicht in Ordnung sein?“

Helene seufzte. „Ich hatte einige Blutungen. Der Arzt meint zwar, dass wahrscheinlich kein Grund zur Sorge besteht, aber er will zunächst überprüfen, ob die Schwangerschaft normal verläuft.“

„So ist es“, stimmte der Arzt zu. „Und sobald ich mich davon überzeugt habe, werde ich Sie zu uns hereinbitten, damit Sie sich die Bilder ansehen können.“ Damit schloss er die Tür hinter sich zu.

„Ist das Ihr erstes Kind?“, erkundigte er sich, während er Helene auf die Untersuchung vorbereitete. „Der Vater scheint etwas nervös zu sein.“

Helene versuchte sich vorzustellen, wie Paolo sich fühlen musste. Sie selbst hatte einen Tag Zeit gehabt, sich mit ihrer Schwangerschaft auseinander zu setzen, und es fiel ihr immer noch schwer, sie als Tatsache zu akzeptieren. Paolo hatte nicht einmal eine Stunde gehabt, um die Neuigkeit zu verdauen.

„Ihm geht gerade eine Menge durch den Kopf“, antwortete sie.

Zehn Minuten später öffnete der Arzt die Tür, und Paolo kam hereingestürmt. „Was gibt es?“

Der Arzt ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder und drehte den Monitor in Paolos Richtung. „Sehen Sie selbst.“

Doch anstatt auf den Bildschirm zu schauen, wanderte Paolos Blick über Helenes nackten Bauch. Wie weich ihre Haut aussah … Er erinnerte sich daran, dass er jeden Zentimeter dieser Haut mit den Lippen berührt hatte. Und er spürte, wie das Verlangen erneut in ihm aufstieg.

„Das hier ist Ihr Kind.“

Die Worte des Arztes rissen ihn aus seinen Gedanken, und endlich richtete Paolo seinen Blick auf den Monitor. Da war es, erstaunlich deutlich, die Beine leicht angewinkelt, eine Hand an der Wange.

„Wie weit ist es?“, fragte er.

„Nun“, antwortete der Arzt, „nachdem ich die Messungen vorgenommen habe, werde ich Ihnen das noch genauer sagen können, aber ich schätze, zwölf Wochen. Kann das ungefähr hinkommen?“

Es war, als würde eine Welle über Paolos Kopf zusammenbrechen. Es war sein Kind. Das kleine Geschöpf mit den winzigen Fingern und Zehen war sein Kind!

„Was ist das?“, fragte er und zeigte auf einen pulsierenden Punkt auf dem Bildschirm.

„Das ist das Herz Ihres Babys“, erklärte der Arzt.

„Dio“, entfuhr es Paolo ehrfürchtig. Das Herz seines Kindes. Es war beinahe zu viel, um es zu begreifen.

Es dauerte eine Weile, bis die Stimme des Arztes zu ihm vorgedrungen war. „Mr. Grainger, möchten Sie vielleicht ein Bild des Babys mit nach Hause nehmen?“

„Oh“, sagte Helene hastig, „wir sind nicht ver…“

„Meine Frau hat bei unserer Hochzeit ihren Mädchennamen behalten“, unterbrach Paolo sie. „Mein Name ist Mancini. Nicht wahr, Liebling?“

„Was sollte das?“, wollte Helene wissen, nachdem sie wieder in ihre Wohnung zurückgekehrt waren. „Warum wolltest du so tun, als seien wir verheiratet?“

„Weil es die Wahrheit ist. Wir sind schon seit Jahren verheiratet.“

„Aber ist die Scheidung denn noch nicht durch? Ich habe die Unterlagen doch schon vor drei Monaten unterschrieben.“

„Normalerweise würde das ausreichen.“ Er zuckte mit den Achseln.

„Was soll das heißen?“, fragte sie. „Du hast die Papiere doch abgeschickt, oder?“

Er schwieg, und nach einer Weile verstand Helene. Er hatte sie nicht abgeschickt. Aber warum nur? Schließlich war er es gewesen, der mitten in der Nacht gegen ihre Tür getrommelt hatte, um ihre Ehe so schnell wie möglich aufzulösen.

„Ich hatte keine Zeit“, sagte er. „Ich musste zurück in die USA und den Fall beenden, an dem ich arbeite.“

„Das heißt also, offiziell sind wir immer noch verheiratet?“

„Offiziell, ja.“

Helene ging zum Fenster hinüber und sah auf die Baumwipfel herab. „Und wann gedenkst du, die Papiere abzusenden?“

In der Fensterscheibe konnte sie sehen, wie er näher kam und die Hände hob, um sie ihr auf die Schultern zu legen, und sie dann doch wieder sinken ließ.

„Was hast du vor?“, fragte er.

Überrascht drehte sie sich zu ihm um. „Was meinst du?“

„Willst du weiterhin arbeiten?“

„Natürlich. Ich liebe meinen Job.“

„Und du willst das Kind bekommen?“

Helene atmete tief durch. „Du hast es doch selbst gesehen, Paolo. Unser Baby ist keine bloße Vorstellung, es ist ein kleiner Mensch mit einem Herz, einem Gehirn, Händen und Füßen. Glaubst du wirklich, ich könnte dieses Leben zerstören, das wir geschaffen haben?“

„Aber du möchtest trotzdem weiterhin arbeiten?“

„Solange es geht, ja.“

„Und was ist mit dem Baby?“

„Ich bin schwanger, Paolo, nicht krank.“

Doch er ließ nicht locker. „Aber die Blutungen, von denen du vorhin gesprochen hast …“

„Die Untersuchung heute hat gezeigt, dass alles in Ordnung ist. Der Arzt meinte, die Blutungen seien wahrscheinlich auf die hormonelle Umstellung zurückzuführen.“

„Und was wirst du tun, wenn das Baby da ist?“, bohrte er weiter. „Wie willst du ganz allein für ein Kind sorgen?“

Sie drehte sich wieder um und suchte in der Landschaft vor ihrem Fenster nach einer Antwort. „Ich weiß noch nicht genau, was ich tun werde. Erst einmal werde ich Erziehungsurlaub nehmen, und was danach kommt, weiß ich nicht. Ich habe noch nicht lange genug darüber nachdenken können. Aber mir wird schon etwas einfallen.“

„Nicht nötig“, erwiderte er nachdrücklich. „Ich weiß schon, was wir machen.“

Sein zuversichtlicher Tonfall machte Helene misstrauisch. „Nun, ich höre mir gerne an, was du vorzuschlagen hast“, sagte sie zögernd. „Es ist ja auch dein Kind. Es gibt also keinen Grund, warum wir nicht gemeinsam eine Lösung finden sollten.“

„Es gibt nur eine einzige sinnvolle Lösung.“

„Und die wäre?“

„Du kommst mit mir nach Mailand. Meine Arbeit hier in New York ist beinahe beendet, und ich werde bald nach Italien zurückkehren. Und du wirst dort alles haben, was du brauchst. Ich werde mich um dich und das Baby kümmern.“

Autor

Trish Morey
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