Julia Exklusiv Band 304

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VERFÜHRT VOM GRIECHISCHEN MILLIARDÄR von MARINELLI, CAROL
Erst die Hochzeit, dann die Katastrophe! Noch im Brautkleid erfährt Connie, dass sie betrogen wurde. Sie flieht - doch ihre Hochzeitsnacht auf der griechischen Trauminsel verbringt sie trotzdem nicht allein …

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  • Erscheinungstag 09.11.2018
  • Bandnummer 0304
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711214
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carol Marinelli, Sara Craven, Miranda Lee

JULIA EXKLUSIV BAND 304

PROLOG

„Heute Nacht schlafen sie getrennt“, sagte Alexandros. „Jeder in seinem eigenen Zimmer.“

„Was schadet es schon …?“, begann Roula und hielt mitten im Satz inne. Sie hatte gelernt, Alexandros’ Entscheidungen nicht in Zweifel zu ziehen, aber bei dieser musste sie sich gegen ihn behaupten. Die Babys zu trennen wäre grausam, deshalb versuchte sie es anders. „Sie werden dich mit ihrem Weinen wecken.“

„Sollen sie doch schreien, auf die Art kapieren sie, dass du nachts mit mir zusammen bist.“ Er schob ihr die Hand zwischen die Schenkel.

Heute gibt’s keine Ausflüchte, hieß das. Nicht, dass er zuhörte, wenn Roula welche machte.

Als er ging, um wie jeden Tag vor der Taverne zu sitzen, Karten zu spielen und zu trinken, war Roula nur einen Moment erleichtert, bevor sie sich vor seiner Rückkehr zu fürchten begann.

Siebzehn und Mutter von Zwillingen, waren sie das einzige Positive in ihrem Leben. Sie waren schöner als alle anderen Babys, und sie konnte ihnen stundenlang beim Schlafen zusehen: wie sie am Daumen lutschten und dabei den Zeigefinger an die kleine Nase drückten, die Wimpern so lang, dass sie die Wangen berührten. Gelegentlich wachte einer der beiden auf, blickte mit großen, dunklen Augen seinen Bruder an und schlief beruhigt wieder ein.

Spiegelbildzwillinge, hatte die Hebamme zu Roula gesagt. Eineiige Zwillinge, aber seitenverkehrt. In ihrem weichen Babyhaar hatte Nico den Wirbel nach rechts, Alexandros nach links.

Fast ein Jahr alt, schliefen sie noch immer in einem Kinderbett und weinten, wenn Roula sie zu trennen versuchte. Selbst wenn sie die Betten zusammenschob, ließen sich die Babys nicht besänftigen. An diesem Abend würde er ihnen getrennte Zimmer aufzwingen.

Und sie würde sie die ganze Nacht schreien hören, während ihr Ehemann ihren Körper benutzte. Roula konnte es nicht mehr ertragen.

Bestimmt würde ihr Vater helfen, wenn er Bescheid wüsste. Alexandros mochte es nicht, wenn sie ausging, deshalb hatte sie ihren Vater seit der Hochzeit nur ein paarmal gesehen. Er hatte gewollt, dass sie heiratete, weil das bisschen Geld, das er für seine Bilder bekam, nicht für sie beide reichte. Außerdem war er seit dem Tod ihrer Mutter etwas verschroben und zog es vor, allein zu sein. Aber dieses Leben wünschte er seiner Tochter und seinen Enkelsöhnen gewiss nicht.

„Jetzt“, befahl sie sich, „du musst es jetzt tun.“ Ihr blieben vielleicht fünf oder sechs Stunden, bevor Alexandros zurückkehrte.

Sie lief in den Flur, holte einen Koffer und packte die wenigen Sachen ein, die sie für ihre Babys hatte, dann rannte sie in die Küche zu dem gut versteckten Marmeladenglas voller Geld, das sie monatelang gehortet hatte.

„So dankst du es mir?“

Roula erstarrte, als sie seine Stimme hörte. Und schaltete innerlich einfach ab, während er sie schlug und schimpfte, sie sei eine Diebin, wenn sie dem Mann Geld wegnahm, der ihr ein Dach über dem Kopf gab.

„Du willst gehen? Raus mit dir!“

Ihr wurde leicht ums Herz, doch schon im nächsten Augenblick versetzte ihr Alexandros seinen brutalsten Schlag.

„Du bekommst einen von ihnen …“ Er zerrte Roula ins Schlafzimmer, wo ihre Babys schrien, die bei den schrecklichen Geräuschen aufgewacht waren. „Welcher ist der Erstgeborene?“ Er erkannte nicht einmal seine eigenen Söhne. „Welcher ist Alexandros?“

Als sie antwortete, hob er Nico hoch und drückte ihn ihr in die Arme.

„Nimm ihn, und jetzt raus.“

Entsetzt, weil Alexandros allein bei ihm zurückgeblieben war, lief Roula zum Haus ihres Vaters, überzeugt, dass er ihr beistehen würde. Nur dass es mit Brettern vernagelt war. Die Nachbarn erzählten ihr, er sei gestorben. Sie empörten sich darüber, dass sie sich in den Tagen vor seinem Tod nicht um ihn gekümmert hatte und nicht einmal auf seiner Beerdigung gewesen war.

Am schlimmsten fand Roula, dass die Nachbarn ihren Mann informiert hatten. Er hatte es gewusst und ihr nichts gesagt.

„Wir bekommen deinen Bruder wieder“, tröstete sie den schreienden Nico. Der Dorfpolizist trank regelmäßig mit Alexandros, deshalb würde er ihr nicht helfen, aber sie würde in die Hauptstadt von Xanos fahren, die im Norden der Insel lag. Dort gab es einen Anwalt.

Roula ließ sich in einem Lastwagen mitnehmen und musste den Fahrer auf die übelste Art bezahlen, aber sie tat es für ihren Sohn. Sie tat es noch oft, denn der reiche junge Anwalt wollte Geld im Voraus, bevor er sich für sie einsetzte.

Ein kleiner Schluck billiger Ouzo aus dem Schraubverschluss sorgte dafür, dass Nico nachts schlief und sie mehr verdienen konnte. Der Rest der Flasche brachte sie durch die Nacht.

Und Roula bemühte sich.

Bis sie eines Tages in der schmalen Gasse, in der sie mit ihrem Baby im Arm saß, von diesem Mann angesprochen wurde.

„Wie viel?“

Roula sah auf und wollte ihren Preis nennen, doch neben dem Mann stand eine Frau, und das war etwas, was Roula nicht machte.

„Kein Interesse.“

Nur wollte er gar nicht ihren Körper. „Wie viel für ihn?“

Der Fremde erzählte ihr, sie seien kinderlos und vom Festland auf Urlaub hier, um ihren Kummer zu vergessen. Er erklärte ihr, sie hätten Geld und könnten ihrem schönen kleinen Jungen eine gute Ausbildung bieten. Sie würden sich auf der Nachbarinsel Lathira ein Haus kaufen und ihn als ihr eigenes Kind aufziehen.

Roula dachte an Alexandros, der noch immer bei diesem Mistkerl war. Irgendwie musste sie Nicos Bruder retten. Sie dachte an den Ouzo, an die Freier, die sie in dieser Nacht haben würde, und an all die schrecklichen Dinge, die sie getan hatte. Sicherlich hatte Nico Besseres verdient.

Er wird sich eingewöhnen, sagte sich Roula wieder, als das Ehepaar mit ihrem Baby das Büro des reichen Anwalts verließ. Bald würde Nico vergessen.

Sie dagegen würde ihr ganzes Leben damit verbringen, es zu versuchen.

1. KAPITEL

Vielleicht hätte er anrufen sollen.

Als er auf die Auffahrt zum Haus seiner Eltern einbog, fragte sich Nico Eliades, was er eigentlich hier wollte. Aber ein Geschäft war unerwartet schnell abgeschlossen worden – das Hotel, das er hatte kaufen wollen, gehörte jetzt ihm –, und dadurch hatte er plötzlich ein freies Wochenende. Da er ganz in der Nähe war, hatte er sich entschieden, nach Lathira zu fliegen und seine Eltern zu besuchen.

Es kam ihm nicht wie sein Zuhause vor.

Nur Pflichtgefühl führte ihn die Stufen zur Eingangstür hoch.

Sogar Schuldbewusstsein.

Weil er seine Eltern nicht mochte. Er mochte nicht, wie sie ihren Reichtum benutzten und dass sie ständig Selbstbestätigung brauchten. Sein Vater war vom Festland auf die Insel gezogen, als Nico ein Jahr alt gewesen war, und hatte zwei Luxusjachten gekauft, die Touristen durch die griechische Inselwelt fuhren.

Zweifellos würden sie sich heute wieder streiten. Sein Vater würde wieder verlangen, dass er hier auf der Insel lebte und etwas von seinem sehr großen Vermögen ins Familienunternehmen investierte. Seine Mutter würde ihn wieder weinerlich bitten, sich eine Braut zu suchen und ihnen Enkelkinder zu schenken: Er sollte ihnen für alles danken, was sie getan hatten.

Ihnen danken?

Wofür?

Nico atmete tief ein und aus, um sich zu beruhigen. Weil er nicht feindselig ins Haus gehen mochte, weil er keine weitere Auseinandersetzung wollte. Aber immer fingen sie davon an, immer sagten seine Eltern, er solle dankbarer sein. Für die Schulbildung, die Kleidung, die Chancen.

Weil sie ihm ermöglicht hatten, was doch wohl alle Eltern ihrem Sohn ermöglichten, wenn sie es sich leisten konnten.

„Sie sind nicht da.“ Das Hausmädchen sah besorgt aus, denn ihre Arbeitgeber würden sich darüber ärgern, einen seltenen Besuch von Nico verpasst zu haben. „Sie sind auf der Hochzeit und kehren erst morgen zurück.“

„Ach ja, die Hochzeit.“ Die hatte er vergessen. Er hatte seinen Eltern mitgeteilt, er würde nicht hingehen, und ein Mal hatten sie nicht mit ihm darüber gestritten. Stavros heiratete, der Sohn von Dimitri, dem geschäftlichen Hauptkonkurrenten seines Vaters. Normalerweise bestand er darauf, dass Nico bei solchen Events mitkam, weil er mit seinem erfolgreicheren Sohn angeben wollte.

Nicos Ego brauchte das nicht.

Überraschend hatten ihn seine Eltern jedoch nicht gedrängt, bei dieser Feier dabei zu sein.

Jetzt widerstrebte es ihm, wegzufahren, ohne seine Mutter und seinen Vater gesehen zu haben. Er war zuletzt vor einigen Monaten zu Hause gewesen, und wenn er mit ihnen zusammentreffen würde, musste er sie erst in mehreren Monaten wieder besuchen.

„Wo findet die Hochzeit statt?“, fragte Nico das Hausmädchen, denn seine persönliche Assistentin hatte ihm zwar von der Einladung, aber nichts Näheres erzählt.

„Xanos“, erwiderte es und rümpfte dabei die Nase. Obwohl Xanos seit Kurzem ein exklusiver Zufluchtsort für die Reichen und Berühmten war, galten die Einheimischen als arm, und die Leute auf Lathira hielten sich für etwas Besseres. „Die Braut stammt von der Insel, deshalb wird dort geheiratet.“

„Im Süden?“ Das würde bedeuten, dass Stavros selbst Erfolg gehabt hatte.

„Nein, in der alten Stadt.“ Das Hausmädchen lächelte. „Ihr Vater und Dimitri müssen heute Nacht auf den gewohnten Komfort verzichten.“

Sogar Nico lächelte nun. Zweifellos war sein Vater wohlhabend, dennoch blieb der Süden mit seinen Luxusferienanlagen für ihn unerreichbar.

Nico beschloss hinzufahren.

Dass er abgesagt hatte, interessierte ihn nicht. Mit solchen Nebensächlichkeiten beschäftigte er sich nicht. Angestellte versetzten Berge, reservierte Tische waren wieder frei, Präsidentensuiten wurden hervorgezaubert, wo auch immer er landete. Charlotte würde das regeln.

Ihm fiel ein, dass sie heute auch auf einer Hochzeit war.

„Suchen Sie mir einen Anzug heraus“, bat er das Hausmädchen, als der Chauffeur seine Koffer brachte. Ihm sagte er, er solle den Flug organisieren.

„Alle Flüge sind ausgebucht“, teilte ihm der Mann ein paar Minuten später nervös mit. „Die Hubschrauber haben gestern Abend die ganze Verwandtschaft hinübergeschafft und kommen erst morgen zurück.“

„Kein Problem.“ Fertig angezogen, ließ sich Nico zum Hafen fahren. An verschiedene Chauffeure war er gewöhnt, denn er hatte nicht wirklich einen festen Wohnsitz. Nicht gewöhnt war er daran, sich um Kleinigkeiten zu kümmern. Aber seine persönliche Assistentin stand ihm normalerweise Tag und Nacht zur Verfügung, und Charlotte hatte dieses eine freie Wochenende verdient.

Die Blicke der anderen Passagiere machten ihm nichts aus, als er sein Ticket bezahlte.

Gekleidet in einen dunklen Anzug, saß Nico zwischen Touristen, die den schönen Mann anstarrten, der nicht auf die Personenfähre passte.

Öffentliche Verkehrsmittel sind gar nicht so schlecht, dachte Nico. Er kaufte sich einen Kaffee und hatte eigentlich vor, die Zeitung zu lesen, doch hinter ihm schrie ein Baby, und es wollte einfach nicht aufhören.

Während sich das Schiff hob und senkte, ihm der Geruch der Abgasschwaden in die Nase stieg und das Baby immer weiterweinte, breitete sich ein wachsendes Unbehagen in ihm aus. Nico drehte sich um und sah die Mutter an. Seine Miene war so finster, dass die junge Frau erschrocken zurückwich.

„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich und versuchte, das Kind zu beruhigen.

Er schüttelte den Kopf, wollte ihr sagen, dass es ihn nicht ärgerte, aber seine Kehle war plötzlich wie ausgedörrt. Nico schaute aufs Wasser, auf die Insel Xanos vor ihm, spürte den Wind im Gesicht und fror trotz der warmen Nachmittagssonne. Er spürte, dass ihm der Schweiß ausbrach, und einen Moment lang glaubte er, sich übergeben zu müssen.

Zu stolz, um vor Fremden Schwäche zu zeigen, stand Nico auf, entfernte sich von den Passagieren und stellte sich an die Reling. Doch auch hier erreichte ihn das Babygeschrei.

Vielleicht war er seekrank. Nur konnte das nicht sein, weil er regelmäßig segelte. Freie Wochenenden verbrachte er oft auf seiner Jacht. Nein, dies war irgendetwas anderes.

Er blickte in Richtung Lathira und dann hinüber nach Xanos, wohin er fuhr, und die böse Vorahnung ließ ihn nicht los.

Nachdem sie im Hafen angelegt hatten, ging er rasch von Bord. Inzwischen war er zu dem Schluss gelangt, dass er sich an öffentliche Verkehrsmittel nicht gewöhnen und mit dem Hubschrauber zurückfliegen würde.

Im Taxi reagierte Nico nicht auf die Versuche des Fahrers, ein Gespräch anzufangen, sondern sah sich die Straßen an, die ihm seltsam vertraut waren. Als sie vor der Kirche hielten, erkannte Nico sie wieder, konnte sich das nicht erklären, wollte es nicht. Auf den Stufen zum Eingang hatte er irgendwie das Gefühl, dass er sich an einen Traum erinnerte. Um sich zu beruhigen, bevor er hineinging, lehnte Nico sich an eine Säule.

Die Braut traf ein, und er beobachtete, wie sie aus dem Auto stieg und die Brautjungfern wie bunte Schmetterlinge um sie herumschwirrten, das Kleid glatt strichen und den Schleier ordneten, den sie über ihr Gesicht heben würden, bevor sie die Kirche betrat.

Ob die junge Frau nun aus dem Norden oder dem Süden stammte, Stavros hatte unglaublich gut gewählt, denn sie war einfach fantastisch. Für den Bräutigam ist sie viel zu schade, dachte Nico.

Lag es am Kleid? Schlicht und auf Taille gearbeitet, betonte es ihre üppigen Rundungen. Oder faszinierte sie ihn so, weil er normalerweise Beziehungen zu superschlanken Frauen hatte, die ihren Körper mit Hilfe von persönlichen Fitnesstrainern und Schönheitschirurgen in Form brachten? Die Braut war von Natur aus kurvenreich. Als sie sich vorbeugte, um ihrem kleinen Blumenmädchen zu danken, bewegten sich ihre Brüste. Die Brüste, die er gewohnt war zu halten, taten das nicht.

An ihr war alles echt und natürlich. Ihre Haut war samtig zart und für eine Einheimische hell. Nico konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Die Unruhe, die ihn gequält hatte, seit er an Bord der Fähre gegangen war, legte sich allmählich, während er die Schönheit heimlich beobachtete.

Ihr dichtes braunes Haar trug sie hochgesteckt. Wie gern hätte Nico es gelöst! Aus dieser Entfernung konnte er die Farbe ihrer Augen nicht erkennen, aber sie strahlten, als sie lächelte. Er fand ihre Energie überwältigend, das Lächeln und die Art, wie sie sich bei ihrem Vater einhakte.

Der Priester ging auf sie zu, und ihr Lächeln verschwand. Sie straffte die Schultern und holte tief Luft. Das ist mehr als nur Nervosität, dachte Nico. Es war, als würde sie all ihren Mut dafür zusammennehmen, die Kirche zu betreten. Dann arrangierte die ältere der Brautjungfern den Schleier, und Nico konnte das Gesicht der Braut nicht mehr sehen.

Nervös zu sein ist ganz normal, sagte sich Connie, als der Priester auf sie zukam. Aber plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie tatsächlich heiratete. Was sie während der ganzen Vorbereitungen für diesen Tag verdrängt hatte.

Ihr Vater wollte, dass sein einziges Kind eine für die prominente Familie angemessene Hochzeit feierte. Den Einwohnern von Xanos und seinen Freunden auf Lathira sollte gezeigt werden, dass er, trotz gegenteiliger Gerüchte, viel Geld verdiente. Monatelang war sie von Anproben, der Menüauswahl und dem Tanzunterricht mit Stavros in Anspruch genommen worden. Erst jetzt wurde es für Connie Wirklichkeit.

Es passierte, ob sie es wollte oder nicht.

Als ihr Vater ihr von dem Ehemann erzählt hatte, der für sie ausgewählt worden war, hatte sie geweint.

Später vertraute sie ihrer Mutter an, wie verletzend Stavros’ Bemerkungen manchmal waren. Sie solle den Mund halten, sagte ihre Mutter dazu nur. Auch berichtete ihr Connie verlegen, Stavros sei anscheinend nicht an ihr interessiert, er habe noch nicht einmal versucht, sie zu küssen. Die Antwort darauf war, sie hätten einen Gentleman für sie ausgesucht, mit solchen Dingen warte man bis nach der Hochzeit.

Bin ich die letzte jungfräuliche Braut? fragte Connie sich.

Die Jungs auf der Insel hatten zu große Angst vor ihrem überbesorgten Vater gehabt, um sich mit Connie zu verabreden. Wie sie sich nach einer Romanze gesehnt hatte!

Aber es hatte nie eine gegeben.

Selbst während ihres Wirtschaftsstudiums in Athen war jeder ihrer Schritte überwacht worden. Von ihrem Cousin, der alles ihren Eltern meldete, bis sie nach Xanos zurückkehrte und anfing, in der kleinen Anwaltsfirma ihres Vaters zu arbeiten.

Wie es erwartet wurde.

„Alles Gute.“

Ihre Brautjungfer wünschte ihr Glück. Connie hakte sich bei ihrem Vater ein und wusste nicht, wer wen stützte. Er fühlte sich so zerbrechlich an.

Deshalb bin ich hier, erinnerte sie sich.

Es war der innigste Wunsch ihres Vaters, seine Tochter gut verheiratet zu sehen.

Auf der Insel war es keineswegs ungewöhnlich, dass die Eltern den Partner aussuchten. Nicht zu gehorchen stand außer Frage. Schließlich hatte Connie das Heiraten schon für ihr Studium aufgeschoben. Und sie … mochte Stavros, obwohl er manchmal gemein zu ihr war. Die Liebe würde noch kommen, hatte ihre Mutter gesagt. Sie hätten eine gute Wahl für ihre Tochter getroffen.

Trotzdem empfand Connie Trauer, als sich der feierliche Zug auf die Kirche zubewegte. Trauer wegen all der Dinge, die sie nun niemals erleben würde.

Während ihres Studiums hatte sich Connie die Geschichten ihrer moderner erzogenen Freundinnen über Flirts, Dates, erste Küsse, leichtsinnige Nächte, Liebesbeziehungen und Trennungen angehört, und sie wollte all das ausprobieren. Doch es sollte nicht sein.

Und dann sah sie ihn. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.

Wie ein Vorzeichen.

An eine Säule gelehnt, stand er auf den Stufen, als würde er Connie davor warnen, hineinzugehen.

Mit dunklen Augen lockte er sie. Jetzt stützte ihr Vater zweifellos sie, denn ein einziger Blick auf diesen Mann genügte und ihr wurde schwindlig. Nur ein einziger Blick, und sie hatte das Gefühl, eine Sekunde lang alles kennenzulernen, was ihr versagt worden war, alles, was ihr versagt bleiben würde, wenn sie die Kirche betrat.

Er war der schönste Mann, den Connie jemals gesehen hatte.

Noch nie war sie so angestarrt worden. Langsam musterte er sie von oben bis unten, und eine brennende Hitze durchflutete sie. Im ersten Moment noch froh über den Schleier, weil sie darunter bestimmt knallrot war, spürte sie im nächsten, wie sich die prickelnde Röte von ihrem Gesicht auf den Hals ausbreitete.

Bräute erröten an ihrem Hochzeitstag, sagte sich Connie auf der Treppe zum Portal.

Nur dass sie nicht wegen des Mannes glühte, der vor dem Altar auf sie wartete, sondern wegen des Fremden. Es kam ihr unwirklich vor, einfach verrückt, auf ihre Zukunft zuzugehen und gerade jetzt einen anderen Weg zu sehen.

Obwohl nicht einmal die Andeutung eines Lächelns auf seinen sinnlichen Lippen lag, spürte Connie eine unglaublich starke Anziehungskraft zwischen ihnen, während sein Blick ihren festhielt. Wenn sie zu ihm rennen würde, davon war sie überzeugt, würde der Unbekannte sie schon mit ausgestreckten Armen erwarten. Sie war sicher, dass sie jetzt sofort davonlaufen und ein Leben beginnen könnte, dass ihr gehörte.

Als sie an ihm vorbei waren, vor der Kirchentür, blieb Connie stehen. Der Geruch aus dem Weihrauchfass des Priesters sorgte dafür, dass ihr schlecht wurde. „Ich kann nicht.“

„Das sind nur die Nerven“, sagte ihr Vater freundlich. „Dieser Tag ist mein ganzer Stolz.“

Wie aus einem Traum erwacht, schaute sie nicht zurück zu dem Fremden, dessen Blick noch immer auf ihrer nackten Schulter brannte, sondern nach vorn durch den langen Mittelgang zu ihrem zukünftigen Ehemann.

Nico hatte gesehen, wie die Braut errötete, und ihr Erschrecken wahrgenommen. Was war da gerade passiert? Einen Moment lang hatte er gemeint, dass sie einander kannten, so stark war die Verbindung zwischen ihnen gewesen.

Vielleicht hatten sie einmal eine Affäre gehabt? Daran müsste ich mich erinnern, dachte Nico. Oft war es schwierig, sich zu erinnern, weil er schon so viele Frauen in den Armen gehalten hatte. Zu viele Male war eine Exgeliebte auf ihn zugestürzt und weinend wieder weggegangen, weil die Nacht mit ihr seinem Gedächtnis entfallen war. Aber diese Braut? Ihre Figur, ihr schönes Gesicht … Sicherlich hätte er es nicht vergessen, wenn er je mit einer solchen Frau geschlafen hätte.

Er ging hinein und suchte sich hinten einen Platz, anstatt sich zu seinen Eltern zu setzen. Inzwischen war sie vor dem Altar angekommen. Nico bemerkte, dass Stavros keine Reaktion zeigte: kein bewunderndes Lächeln, kein staunender Blick.

Wäre sie die Meine … Den Gedankengang verdrängte Nico sofort, weil er nicht an die Liebe glaubte, weil er sich nicht vorstellen konnte, sein ganzes Leben mit nur einer Frau zusammen zu sein. Bestenfalls hatte er Kurzzeitbeziehungen, meistens hielten sie bloß eine Nacht.

Sie hieß Constantine, erfuhr er vom Priester, und Nico fand, dass der Name zu ihr passte.

Griechische Hochzeiten dauerten lange, und Nico dachte daran, zwischendurch einfach hinauszuschlüpfen und in eine Bar zu gehen. Der Priester segnete die Ringe und fragte die Braut, ob sie willens sei, die Ehe einzugehen. Bei ihrem gefährlichen Zögern wünschte Nico ihr, sie würde auf ihre innere Stimme hören.

Weil Constantine zu schade dafür war.

Zu schade für die erstickenden Gesetze und Traditionen, die er hinter sich gelassen hatte.

Für einen Ort, wo der äußere Schein alles war, wo niemand diskutierte, wo sich nichts weiterentwickelte, nichts veränderte.

Gibt es mehr als das hier? überlegte Connie wie schon so oft. Sie hörte den Priester noch einmal fragen, ob sie willens sei, und wieder wollte sie davonlaufen, wollte sie sich zur Gemeinde umdrehen und nachsehen, ob der Fremde wartete. Du bist albern, sagte sie sich.

Für diesen Tag war sie großgezogen worden. Wie kam sie dazu, die Entscheidungen ihres Vaters, die Traditionen anzuzweifeln? Schließlich antwortete sie leise mit Ja, und ihr war, als hörte sie das Tor zur Verwirklichung ihrer heimlichen Träume endgültig zufallen.

Eine Tür ging tatsächlich zu, weil Nico bei Constantines Antwort die Kirche verließ.

In einer Taverne bestellte er einen starken Kaffee und dankte dem Barkeeper, der ihm auch einen Ouzo brachte. Den mochte Nico eigentlich nicht, aber dieses eine Mal bestellte er sogar noch einen. Er schaute hinaus auf eine Stadt, die ihm irgendwie bekannt vorkam: die staubigen, belebten Straßen, der farbenprächtige Obst- und Gemüsemarkt, das geschäftige Treiben und das Geplauder der Einheimischen, die vor der Kirche auf das Hochzeitspaar warteten.

Nico holte sein Telefon heraus, um Charlotte zu bitten, ihm eine Hotelsuite im Süden der Insel zu reservieren – er würde seinen Eltern Guten Tag sagen und dann verschwinden –, dann steckte er es wieder ein. Und nicht aus Rücksicht auf seine persönliche Assistentin. Ihm wurde klar, dass er hierbleiben wollte. Ihm gefiel es, am Marktplatz in der Nachmittagssonne zu sitzen, er mochte den Geruch aus der Taverne und die Mundart auf Xanos, die er um sich herum hörte.

Als das jungvermählte Paar auf den Stufen erschien, ging Nico zum Hotel und teilte seine Ankunft mit.

Da musste der Empfangschef erst einmal schlucken, weil dieser neue Gast zweifellos das Beste verlangte.

„Ich nehme an der Hochzeitsfeier teil“, informierte Nico ihn außerdem noch. „Nico Eliades. Ich sitze bei meinen Eltern.“ Weder fragte er, ob das machbar sei, noch entschuldigte er sich. Er erwartete und erhielt immer ein Ja.

„Nico!“ Seine Mutter schien entsetzt zu sein, ihn zu sehen. „Weshalb bist du denn hier?“

„Das ist ja eine tolle Begrüßung. Sonst flehst du mich immer an, solche gesellschaftlichen Veranstaltungen zu besuchen.“

„Natürlich …“ Verzweifelt blickte sie sich im Saal nach ihrem Mann um.

Als er seinen Sohn am Tisch entdeckte, kam er sofort herüber. „Was für eine nette Überraschung.“

„Wirklich?“, fragte Nico, weil die Miene seines Vaters etwas anderes ausdrückte. „Ihr wirkt auf mich nicht gerade erfreut.“

„Du bist doch Besseres gewohnt“, erwiderte seine Mutter. „Das Hotel ist schäbig …“

Seine Mutter war ein unerträglicher Snob. Dieses prachtvolle alte Hotel besaß Charakter und Charme, zwei Eigenschaften, die seinen Eltern fehlten.

„Dimitri ärgert sich darüber, dass der Empfang hier stattfindet. Je eher sie das Mädchen zu Hause auf Lathira haben, wo wir angemessen feiern können, desto glücklicher sind wir alle. Ehrlich, Nico.“ Zuckersüß lächelte seine Mutter ihn an. „Das ist nicht der geeignete Ort für dich.“

„Tja, jetzt bin ich hier.“ Nico zuckte die Achseln. Seine nächsten Worte trieften vor Spott. „Was könnte schöner sein, als einen Tag mit meiner Familie zu verbringen?“

Er aß, ließ die Reden über sich ergehen und gelangte zu dem Schluss, dass es dumm gewesen war, zu kommen.

Frauen flirteten. Klasse Frauen. Insbesondere eine entsprach seinem üblichen Geschmack. Wie leicht wäre es, sich eine Flasche Champagner von einem Tisch zu schnappen und mit der Blondine nach oben auf sein Zimmer zu gehen! Aber Nico beobachtete Constantine, während sie mit ihrem Mann tanzte, und erkannte mit Bedauern, dass er ihretwegen heute Abend keine Lust auf Silikonbrüste hatte. Sein einziger Gedanke war: glücklicher Stavros.

Zum ersten Mal beneidete er Stavros.

Sein Vater Dimitri und Nicos Vater waren geschäftliche Rivalen und miteinander wetteifernde Freunde, und so waren die Kinder ständig verglichen worden.

Dauernd hatte Nico gewonnen.

Außer beim Pflichtgefühl.

Nico war nicht ins Familienunternehmen eingetreten, sondern hatte seinen Weg lieber allein gemacht. Trotz der Proteste seiner Eltern war er mit achtzehn aufs Festland gezogen und hatte in einer Bank gearbeitet. Als ihn das nicht zufriedengestellt hatte, war er nach Amerika gegangen. Er hatte sich einen geschönten Lebenslauf verpasst, und man war sehr beeindruckt von dem jungen Griechen gewesen, der die Börsenkurse deuten konnte.

Sein eigenes Portfolio aufzubauen war zuerst mühselig gewesen, aber dann hatte er weltweit die Märkte abgetastet, in Immobilien investiert, wenn die Preise einbrachen, und sie wieder verkauft, wenn das Pendel zurückschlug.

Das tat es immer.

Nico verstand nicht, warum andere es nicht erkennen konnten. Sie gerieten in Panik, und manchmal stiegen sie aus, während er gelassen auf neues Wachstum wartete.

Jedes Mal, wenn er seine Eltern besuchte, war er in der Zwischenzeit noch reicher geworden. Und trotz der Streitereien war sein Vater stolz darauf, dass Nico mehr Erfolg hatte.

Es mit der außergewöhnlichen Schönheit von Stavros’ Braut aufzunehmen dürfte allerdings schwer werden.

Armes Ding.

Der Gedanke kam ihm, während Nico beobachtete, wie sie um die Aufmerksamkeit ihres Mannes buhlte, der jedoch in ein Gespräch mit seinem Freund vertieft war. Als Constantine ihm schließlich auf die Schulter tippte, wirkte Stavros verärgert. Er fuhr ihr mit der Hand über den Po und flüsterte Constantine etwas ins Ohr.

Gekränkt zog sie sich zurück, und Nico wusste, dass Stavros ihr kein Kompliment gemacht hatte.

Nico zweifelte nicht daran, weil es auf Lathira Sitte war, dass die Männer ihre Frauen ständig kritisierten – wie Constantine bald herausfinden würde.

Die Welt, in die sie eingeheiratet hatte, bedeutete Vernichtung durch tausend Gemeinheiten, von denen er die erste gerade miterlebt hatte.

Von jetzt an gehörte Constantine zu Lathiras Schickeria. Sie würde mit anderen Trophäenfrauen zu Mittag essen und am nächsten Morgen wieder im Fitnessraum dafür büßen. Man würde ihr jede Lebhaftigkeit und Natürlichkeit nehmen, bis sie so perfekt und hart war wie der Rest. Und Nico wollte nicht einmal einen Moment lang dabei zusehen.

Bei der Feier aufzutauchen war ein Fehler gewesen. Nico hatte es nicht so mit Gefühlsdingen, und Hochzeiten verwirrten ihn irgendwie. Wie konnte man bloß sein Leben, seine Zukunft mit jemandem teilen, sich einem anderen Menschen anvertrauen?

Die Braut strahlte nicht vor Glück, sondern war blass und sichtlich gestresst. Seine Eltern saßen völlig verkrampft da. Andere Paare lächelten gequält und trieben gezwungen Konversation. Nichts schien Nicos Theorie zu widerlegen, dass es die große Liebe nicht gab. Während er sich im Saal umsah, entdeckte er zwei Jungen, die lachend bei jedem vorbeikommenden Kellner Cola bestellten.

Zwei Brüder, die Unfug machten. Plötzlich empfand Nico eine Traurigkeit, die er sich nicht erklären konnte.

„Ich gehe auf mein Zimmer.“ Er wartete auf die Proteste seiner Eltern, aber den einzigen Protest erhob die Blondine, an deren Namen sich Nico nicht erinnerte.

„Sehen wir uns am Morgen?“

„Vielleicht.“ Nico zuckte die Achseln. „Oder ich reise sehr früh ab.“

„Besuch uns bald auf Lathira“, sagte seine Mutter. „Es ist schon eine Ewigkeit her.“

„Ich bin ja jetzt hier bei euch.“ Das musste als Besuch zählen, weil er sich erst in einigen Monaten wieder blicken lassen würde.

Als er aus dem Ballsaal ging, wünschte Nico, er würde seine Eltern lieben. Er wünschte, er wäre blind gegenüber ihren charakterlichen Schwächen, doch er sah nur zwei habgierige, ichbezogene Menschen.

Er holte seinen Schlüssel, ging aus einer Laune heraus jedoch nicht nach oben, sondern nach draußen.

An der Kirche und der Taverne vorbei lief er zu den Booten und den Fischern, die rauchend am Strand saßen, dann folgte er einem Weg, der ihm nicht bekannt sein sollte und es dennoch war. Wohin er führte, schien Nico nämlich zu wissen. Aus irgendeinem Grund hatte er ein entspanntes Verhältnis zur Schattenseite der Stadt, und er lief weiter, an Nachtbars vorbei bis zu der Straße, die sich in mit Kopfstein gepflasterte schmale Gassen gabelte.

Nico blickte in das müde Gesicht einer Prostituierten, hörte Atmen und schwere Schritte und dann die Stimme eines Mannes hinter sich.

„Wie viel?“

Ihre Miene wurde ausdruckslos, als die Frau ihren Preis nannte, und ihm stockte das Herz. Nico schaute die Gasse hinunter, wohin sie den Freier mitnehmen würde, und hörte die Worte in seinem Kopf noch einmal.

Wie viel?

Zum ersten Mal hatte Nico große Angst. Er mischte sich ein. „Sie hat schon einen Kunden“, sagte er zu dem Mann, der die Schultern zuckte und sich trollte.

„Seit wann?“ Die Prostituierte grinste höhnisch.

Nico wollte sie nicht, aber der gierige Kerl sollte sie auch nicht haben.

„Geh nach Hause“, forderte Nico sie auf.

Sie beschimpfte ihn, schrie, sie habe die Weltverbesserer satt, und verstummte, als er sie großzügig bezahlte. „Wofür ist das?“

„Für Frieden“, erwiderte er und verstand selbst nicht, was er meinte. Er hatte lediglich die Absicht, das Geschäft zu unterbinden, ein Unrecht auszulöschen.

Wie ein Verrückter lief er durch die Straßen. Die Rathausuhr schlug, und er erkannte, dass es zwei Uhr morgens war. Er wollte raus aus dieser Stadt, weg von den Gefühlen, die sie in ihm auslöste. Gleich morgen früh würde er abreisen, jetzt würde er sich in seine Suite zurückziehen und beim Zimmerservice eine Flasche Brandy bestellen.

Rasch durchquerte Nico die Hotelhalle, mied den Fahrstuhl und nahm die Treppe, zwei, drei Stufen auf einmal, nichts und niemand hätte ihn aufhalten können. Aber jemand tat es.

Noch immer im Hochzeitskleid, eine halb ausgetrunkene Flasche neben sich, saß die Braut weinend auf der Treppe.

„Lass mich in Ruhe“, schluchzte sie.

Er zog sie hoch, spürte ihre heiße Hand in seiner und wollte Constantine ganz. Er wollte sie in den Armen halten, ihre Tränen trocknen und sie trösten.

„Lass mich“, bat sie. „Mir geht es gleich wieder besser.“

Mit dem Champagner konnte sie vielleicht ihre Verzweiflung genug betäuben, um zurückzugehen, aber sie würde ihn morgen und jede weitere Nacht wieder brauchen, damit sie die Ehehölle ertrug. Was Constantine bevorstand, wusste Nico, weil ihm die Wahrheit bekannt war.

„Komm mit.“ Er führte Constantine in sein Zimmer.

2. KAPITEL

„Er ist schwul.“

Damit platzte sie heraus, noch bevor Nico die Tür hinter ihnen ganz geschlossen hatte. Er war überrascht und ziemlich stolz, dass Constantine zugab, was sie nach dieser Nacht nie wieder zu einem anderen sagen durfte.

„Warum hat man mir die Hochzeitssuite gegeben?“, fragte er, als er das Licht anknipste und zum ersten Mal sein Zimmer sah.

Mit Tränen in den Augen schaute sich Connie um und lachte ein bisschen hysterisch. Diese Suite hatte sie an dem Tag ausgesucht, an dem ihr Vater das Hotel gebucht hatte. Später hatte sie sich ausgemalt, wie diese Suite zu einer märchenhaften Nacht beitragen würde.

„Stavros hat die Reservierung geändert. Er wollte lieber die Suite mit zwei Schlafzimmern haben. Ich dachte, er tue das aus Rücksicht, damit ich mich in Ruhe fertig machen kann. Stattdessen sind er und sein Freund …“

Ihr Schluchzen wurde lauter. Nico ging ins Bad und kam mit einer Schachtel Kosmetiktücher wieder heraus.

Die Zimmermädchen mussten angenommen haben, dass diese Räume als Hochzeitssuite genutzt wurden, und hatten sie für das „glückliche Paar“, hergerichtet: Kerzen, die längst heruntergebrannt waren, Rosenblüten auf dem Bett, eine Flasche Champagner in einem Eiskübel. Das Eis war inzwischen geschmolzen.

„Wann hast du es erfahren?“, fragte Nico.

„Gerade eben. Als wir von der Feier nach oben gekommen sind und Stavros mich noch immer nicht küssen wollte und ich gebettelt habe … da hat er es mir gesagt …“ Constantine schluchzte. „Er hat sogar gelacht, weil ich es nicht kapiert habe, weil ich mich nicht gefragt habe, warum er mich nie begehrt hat. Ich dachte, er hält sich aus Respekt vor dieser Nacht zurück.“

„Du hattest keine Ahnung?“ Nico war davon ausgegangen, dass Constantine Bescheid wusste und deshalb in der Kirche gezögert hatte. Dass sie mitspielte, wie so viele auf den Inseln es taten.

„Ich habe vermutet, dass Stavros sich wegen meines Vaters nicht traut – die Männer haben immer Angst vor ihm – und sich nach der Hochzeit alles ändert. Noch liebe ich Stavros nicht, aber ich habe geglaubt, wir würden lernen, einander zu lieben.“

Connie fühlte sich so gedemütigt, so blamiert. Ihre Küsse schienen ihn abgestoßen zu haben.

„Ich nehme mir einen Liebhaber“, sagte sie trotzig. „Ich nehme mir zehn!“

Nico unterdrückte ein Lächeln, doch schon fing sie wieder zu weinen an, und er erfuhr, was die schöne Braut wirklich bedrückte.

„Mein Vater wusste es“, schluchzte sie. „Warum hat er sich nur darauf eingelassen? Er ist der Rechtsanwalt auf der Insel, da bin ich doch wohl mehr als eine Scheinehe wert? Ich habe ihm geglaubt, als er behauptet hat, er hätte die beste Wahl für mich getroffen. Warum bloß hat er einen Mann für mich ausgesucht, der mich unmöglich lieben kann?“

Das war für Nico nicht schwer zu erraten.

Nach hiesigen Maßstäben war es eine verschwenderische Hochzeit gewesen. Offenbar gehörte Constantines Vater zu den Reichen auf der Insel. Aber wie konnte ein Anwalt reich werden, wenn doch die Leute, die er vertrat, arm waren? Die Promis im Süden hatten ihre eigenen Anwaltsteams und würden niemals einen Einheimischen beauftragen. Nico wusste, wie es auf Lathira lief, hatte bei seinen Verwandten erlebt, wie weit sie gingen, um ein Geschäft an Land zu ziehen. Weshalb er nichts damit zu tun haben wollte.

Er war überzeugt, dass es hier auf Xanos nicht anders funktionierte. Während er Korruption witterte, schien Constantine keine Ahnung zu haben.

„Ich hätte nichts sagen sollen.“ Panik flackerte in ihrem Blick auf, als sie sich darüber klar wurde, wem sie sich gerade anvertraute. „Wenn Dimitri dahinterkommt, dass dein Vater über Stavros im Bilde ist … Ihn möchte Dimitri immer beeindrucken.“

„Constantine. Dein Geheimnis ist bei mir sicher.“

So gern sie Nico glauben wollte, trauen durfte sie ihm ja wohl nicht. Schließlich kannte er nicht einmal ihren Namen. „Connie“, verbesserte sie ihn. „Leute, die ich gut kenne, nennen mich Connie.“

„Und wenn du mich gut kennen würdest, wüsstest du, dass ich mit meinem Vater höchstens über das Essen auf dem Tisch und das Wetter rede.“

„Du könntest jetzt …“

„Nein. Ich werde nicht darüber sprechen. Aber vielleicht entscheidest du dich eines Tages dafür.“

Dieser Hölle ein Ende zu machen wäre erst nach dem Tod ihres Vaters möglich, und da waren immer noch ihre Mutter, ihre Verwandten und der gute Ruf der Familie, von dem ihrer aller Existenz abhing. Connie konnte es ihnen einfach nicht antun.

„Ich verstehe, wie schwer das ist“, fügte Nico hinzu.

Ungläubig sah sie ihn an. Dass irgendjemand auf diesen starken, durchsetzungsfähigen Mann Druck ausübte, war unvorstellbar.

„Für meine Eltern stand von vornherein fest, dass ich ins Familienunternehmen eintrete. Dass ich mit meiner Frau und meinen Kindern in einem Haus nur wenige Minuten entfernt von ihnen wohne und die ganze Familie abends und an den Wochenenden zusammen isst. Dass ich meinen ersten Sohn nach meinem Vater Vasos nenne.“

Connie biss sich auf die Unterlippe, weil Nicos Worte ihre Zukunft beschrieben. Denn als Stavros ihr eröffnet hatte, er sei schwul, hatte er ihr auch gesagt, dass sie Kinder haben und ihren ersten Sohn Dimitri nennen würden.

„Ich habe mich von meinen Eltern losgemacht und mein eigenes Unternehmen aufgebaut. Von Zeit zu Zeit komme ich nach Hause, aber es gibt jedes Mal Krach. Heiraten interessiert mich nicht, und ich will niemals Kinder haben. Darüber streiten meine Eltern und ich bis auf den heutigen Tag. Ich bin ihr einziges Kind, und, wie sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit klagen, eine bittere Enttäuschung für sie.“

Verwundert blickte Connie ihn an. Wie konnte Nico überhaupt enttäuschen? Sie hatte den Neid aus Dimitris Stimme herausgehört, als er von den Eliades und ihrem erfolgreichen Sohn gesprochen hatte. Aber er hatte anscheinend zu Hause genauso unter Druck gestanden wie sie. Ja, vielleicht verstand Nico sie tatsächlich.

„Ich bin auch ein Einzelkind. So viel wird von mir erwartet, das Glück meiner Eltern hängt von mir ab.“

„Wenn du erst einmal klar erkennst, was du alles opfern musst, um sie glücklich zu machen, willst du vielleicht lieber selbst glücklich werden.“

„Große Opfer muss ich bringen“, erwiderte Connie zynisch. Sie versuchte, tapfer zu sein und es positiv zu sehen. „Ich werde auf Lathira in einem schönen Haus wohnen, Gäste bewirten …“

„Die perfekte Ehefrau“, unterbrach Nico sie. „Du wirst mit deinen Freundinnen zu Mittag essen, dein Geheimnis mit dir herumtragen, vielleicht sogar Mutter sein …“

Und Connie weinte ein bisschen, weil er recht hatte: Alles war geplant worden.

„Stavros hat gesagt, wir werden Kinder bekommen, ich könne schwanger werden, ohne …“

Zwar mochte sie „ohne dass er mich anfassen muss“, nicht sagen, aber Nico hörte dennoch jedes unausgesprochene Wort. Er wäre gern über den Hotelflur gelaufen und hätte Stavros verprügelt, und danach ihren Vater auch. Wegen all der Dinge, die sie Constantine verweigerten. Natürlich gab es für sie Möglichkeiten, Kinder zu bekommen und ihre Rolle perfekt zu spielen. Nico hatte keine Schwierigkeiten, sich ihre Zukunft vorzustellen, weil so viele Leute auf den Inseln mit Geheimnissen lebten.

Er blickte ihr in die Augen und stellte fest, dass sie dunkelblau waren. Mit Sicherheit hatte Constantine Besseres verdient. Er wollte, dass sie erkannte, wie viel mehr sie haben konnte. So viel mehr als das Leben, das ihr aufgezwungen wurde.

„Wenn du mit deinen neuen Freundinnen einkaufen gehst, ein Kleid anprobierst und sie schwärmen: ‚Du siehst schön aus, kauf es, dann wird Stavros nicht die Hände von dir lassen können …‘“ Nico sah wieder Tränen in ihren Augen schimmern. Vielleicht sollte er damit aufhören, aber es war nur die Wahrheit, der sich Constantine würde stellen müssen. „Bist du imstande, in solchen Situationen gegenüber den sogenannten Freundinnen zuzugeben, dass er dich nicht ein einziges Mal berührt hat?“

„Bitte lass das.“

„Heute Abend auf der Feier hat Stavros eine Bemerkung gemacht, die dich offenbar gekränkt hat. Was hat er gesagt?“

Constantine schlang die Arme um sich, als wollte sie ihren Körper verbergen.

„Was hat dein Mann zu dir gesagt?“

„Dass ich zu dick bin.“

„Verbiet ihm, so mit dir zu sprechen.“ Nico betrachtete sie und überlegte es sich anders, denn sie sollte keinesfalls bei diesem Kerl bleiben. „Erklär ihm, dass du so nicht leben willst.“

„Ich kann nicht.“

„Bemüh dich um die Annullierung der Ehe, Constantine.“

Resigniert verzog sie das Gesicht. Sie war einfach zu stark in die Sitten und Gebräuche der Insel eingebettet, um einen derartigen Schritt zu wagen.

Und es ist nicht meine Aufgabe, diese junge Frau zu retten, ermahnte Nico sich. Schließlich würde er gleich morgen früh abreisen. „Dann tust du eben dein Möglichstes, um dein Leben zu ertragen.“ Es stand ihm überhaupt nicht zu, sie umzustimmen. „Nimm dir deinen Liebhaber.“ Nico zuckte die Schultern. „Nimm dir zehn.“

„Das geht nicht. Was, wenn er nicht verschwiegen ist, wenn die Leute davon erfahren …?“

„Du machst dir zu viele Sorgen darum, was andere denken.“

Nicht Tränen der Wut oder Verbitterung weinte Constantine jetzt, sondern sie weinte wegen all der Dinge, die ihr versagt bleiben würden, wegen einer Zukunft ohne Liebe und ohne Sex, wegen der ganzen Hoffnung, die sie auf diese Nacht gesetzt hatte. Ihr Kummer war so groß, so echt, dass er Nico einfach rühren musste. Er ging zu ihr und schloss sie in die Arme.

Seiner Beweggründe war er sich nicht völlig sicher, doch er glaubte, dass er die unglückliche Braut trösten wollte.

Die Umarmung, sein Duft und alles, was sie an diesem Abend erlitten hatte, brachten Connie jedoch dazu, mit dem Mund seinen zu suchen.

Nico spürte ihren ungeschickten, verzweifelten Kuss auf seinen Lippen und musste sich zurückhalten.

Er löste den Mund von ihrem und hörte ihr Schluchzen. Ihm wurde klar, dass er Constantine noch mehr demütigte, indem er tat, was Stavros sicher viele Male getan hatte.

„Wo ist dein Ring?“, fragte Nico, als sein Blick auf ihre zitternden Hände fiel.

„Ich habe ihn Stavros vor die Füße geworfen. Ich stecke ihn nie wieder an.“ Eine Träne rollte ihr über die Wange.

Weil die Situation ausweglos war. Morgen würde sie den Ring tragen, daran zweifelte Nico nicht. Constantine würde ihre Pflicht tun.

„Ich gehe jetzt zurück. Danke.“ Sie lächelte matt. „Danke, dass du mit mir geredet hast. Und ich entschuldige mich dafür, angedeutet zu haben, du würdest vielleicht tratschen …“

„Ich bin verschwiegen.“

„Danke.“ Sie holte tief Atem. „Ich sollte besser zurückgehen.“

„Ich meinte …“ Lass sie, sagte Nico sich. Was kümmerte ihn das alles? Aber der Gedanke daran, dass sie allein im Bett lag und sich in den Schlaf weinte, dass ihre Wünsche unerfüllt blieben, berührte ihn, obwohl ihn rührselige Geschichten normalerweise nicht interessierten. „Du fürchtest doch, dass ein Liebhaber es womöglich nicht ist …“

Ein Hoffnungsschimmer flackerte in ihr auf, und Nico musste es ihr wohl angesehen haben, denn er erstickte ihn sofort.

„Als dein langjähriger Liebhaber sehe ich mich nicht, ich bin niemandes Zuflucht. Aber ich will gern heute Nacht mit dir zusammen sein.“

„Nur heute Nacht?“ Connie wünschte sich mehr: Wochenenden in Athen, diskrete Treffen in Hotels, heimliche Anrufe und all die Leidenschaft, die ihr versagt worden war.

„Ja.“ Nico schaute sie an, die noch unschuldige Braut, die es ohne ihn bleiben würde. Er ließ den Blick über ihren Körper wandern, an den er nun schon seit Stunden dachte. „Ich zeige dir, was dein Ehemann dir verweigert – was du nicht bekommst, wenn du dich entscheidest, die liebende Ehefrau zu spielen.“

„Ich habe keine Wahl.“

„Wir haben immer eine Wahl“, widersprach Nico. Und er beschloss, seine Gefühle in dieser Nacht nicht genauer zu untersuchen. Die Straßen von Xanos hatten ihn aus dem Gleichgewicht gebracht und Emotionen geweckt, die er unbedingt verdrängen wollte. Er brauchte Ablenkung von seinen düsteren Gedanken, und hier wurde sie ihm in Form einer verweinten schönen Jungfrau geboten.

Connie sah sich das Schlafzimmer an. Es passte zur Hochzeitsnacht ihrer Träume, bloß der Mann war falsch. Dann schaute sie noch einmal hin. Wenn sie ganz ehrlich war, musste sie schuldbewusst einräumen, dass Stavros ihrer Fantasievorstellung niemals gerecht geworden wäre.

Ihr Traummann stand vor ihr, und sie konnte ihn haben. Aber nur für eine Nacht.

3. KAPITEL

Nico würde niemals heiraten und sich niemals verlieben.

Als sich Constantine für einen Moment entschuldigte, stellte Nico sich ans Fenster und blickte hinaus auf das in der sternenlosen Neumondnacht tintenschwarze Meer. Die Entscheidung, die er vor langer Zeit getroffen hatte, war richtig gewesen.

Er glaubte nicht an die Liebe.

Nicht, dass er etwas hatte, worauf sich das gründete. Die Ehe seiner Eltern war anscheinend glücklich, seine Tanten, Onkel und Cousins auf dem Festland waren alle verheiratet. Die ganze Verwandtschaft hatte angenommen, dass Nico den Familiennamen fortführte, aber der Gedanke lag ihm fern.

Lieben hieß Verlieren.

Woher diese Überzeugung stammte, wusste Nico nicht, doch sie war so real und tief verwurzelt wie seine Gewohnheit, bei Tagesanbruch aufzustehen. Und er verlor grundsätzlich nicht. Also zog er es vor, nicht zu lieben.

Sein Herz zu verschenken, sich zu binden, das war für ihn unbegreiflich.

Der Kinderwunsch eines Paares war, soweit er es beurteilen konnte, das Einzige, was für eine Heirat sprach. Und er wollte keine Kinder haben. Nichts konnte schrecklicher sein, als ein Kind zu lieben und zu verlieren. Deshalb blieb Nicos Herz verschlossen.

Er drehte sich um und sah Constantine nervös zurück ins Zimmer kommen. Fast, als wäre sie seine Braut.

Wenn er es gewagt hätte, auch nur zu erwägen, eine zu wählen, dann wäre sie diejenige gewesen.

Unter seinem prüfenden Blick röteten sich ihre Wangen. Nico nahm Constantines üppige Rundungen in sich auf, ihren unberührten Körper, der in dieser Nacht ihm gehörte, den er erforschen würde. Ihre Nervosität, ihre Aufregung und die knisternde Spannung zwischen ihnen konnte Nico spüren: Alles war genau so, wie es in einer Hochzeitsnacht sein sollte. Jetzt durfte er wohl nachgeben und Constantine halten.

Die Eindrücke von den Straßen der Inselhauptstadt ließen ihn nicht los, Constantine zu küssen würde ihn angenehm ablenken. Nico ging auf sie zu, streichelte ihr die nackten Arme und fühlte, dass sie vor Angst zitterte.

„Vielleicht möchtest du es doch lieber nicht …“

Connie erkannte, dass er sich zurückziehen wollte, dass er ihr Erschauern falsch verstanden hatte. Aber sie bebte nicht nur vor Nervosität, sondern auch, weil seine Nähe sie überwältigte. Der Mann machte sie schwach, und dabei hatte er sie noch nicht einmal geküsst. Ganz neue Empfindungen stürmten auf sie ein, und als seine sinnlichen Lippen schließlich ihre berührten, verwünschte sie ihre Unerfahrenheit. Denn während er seinen Mund geschickt auf ihrem bewegte, wusste sie nicht, wie es ging …

Und dann wurde Nicos Kuss leidenschaftlicher, so intim, dass Connie erschrocken und überrascht das Gesicht wegdrehte.

„Ich bin noch nie geküsst worden“, gestand sie verlegen.

Er blickte auf ihren Mund, auf die Lippen, die wie geschaffen dafür waren, und konnte nicht glauben, dass sie allein ihm gehörten. „Du hast noch nie geküsst?“

„Ich habe nichts getan.“ Sie schluchzte es heraus, weil es keine Küsse gegeben hatte, keine Berührungen, keine intimen Zärtlichkeiten. Und sie war wütend auf sich, weil sie so naiv gewesen war. Als hätte irgendein Ehrgefühl Stavros davon abgehalten, sie anzufassen! Auch schämte sie sich für ihre Küsse, die sie ihm aufgedrückt hatte. Zwar hatte sie es verdrängt, sich etwas anderes eingeredet, aber natürlich hatte sie sich von ihrem Verlobten zurückgewiesen gefühlt, immer wieder.

Tief im Innern hatte sie gewusst, dass ihn ihre Berührungen abstießen.

„Ich dachte, heute Nacht wird alles anders …“

„Und das wird es“, sagte Nico. Er würde dafür sorgen, dass Constantine in den Stunden, die sie zusammen sein konnten, sämtliche Erfahrungen machte, die sie mit vierundzwanzig noch nicht hatte. „Wir gehen es langsam an“, versprach er. „Ich zeige dir, was du versäumt hast. Für den ersten Kuss …“

Nico versuchte, sich einzubilden, jünger zu sein. Er versuchte, sich einen Abend vor vielen Jahren vorzustellen, Ereignisse, die niemals stattgefunden hatten.

„Vielleicht kommen wir gerade aus der Taverne am Marktplatz …“

Als sie sich die Szene ausmalte, lächelte Connie. „Ich wohne gleich um die Ecke.“

„Dann begleite ich dich nach Hause …“ Nico konnte es tatsächlich vor sich sehen. „Ich bringe dich dazu, stehen zu bleiben.“ Er umfasste ihr Handgelenk. „Und ich drehe dich herum, sodass du mich ansiehst.“

Langsam neigte er den Kopf, sie wartete mit atemloser Spannung, und dann spürte sie Nicos Lippen auf ihren. Es war ein sanfter Kuss, der Connie Zeit gab, sich dafür zu gewöhnen, ein Gefühl dafür zu bekommen, das Geschenk der intimen Berührung anzunehmen.

Und Nico drehte nicht ruckartig das Gesicht weg, als Connie ihren Mund ein bisschen fester auf seinen drückte. Sie fand das Küssen sehr angenehm, aber auch zügellos, denn wie könnte sie anders reagieren, wenn sie doch durchdrungen war von seinem männlichen Duft?

„Jetzt …“, sagte Nico, während Connie nach ihrem ersten Kuss leise aufseufzte, „… da wir zusammen zu Abend gegessen haben und am Strand spazieren gegangen sind, bleiben wir dennoch vorsichtig, weil wir die Beweggründe des anderen noch immer nicht kennen. Alles, was wir wollen, ist ein Vorgeschmack auf zukünftige Verheißungen.“

So würde ich Constantine küssen, wenn ich jung und zum ersten Mal mit ihr verabredet wäre, dachte Nico. Für ihn war das auch neu, denn er hatte von älteren Frauen gelernt, die von den Kreuzfahrtschiffen an Land kamen und sich danach sehnten, ihrem vernachlässigten Leben für ein paar Stunden zu entrinnen. Trunken vom Ouzo und dem Tanzen auf den Tischen, hatte Nico ihnen nur die Hand hinstrecken müssen, und die Frauen waren heruntergestiegen und über ihn hergefallen.

Ihre verzweifelten, fieberhaften Küsse und der schnelle, heiße Sex hatten Nico für eine Weile befriedigt, danach hatte er sich bis zum nächsten Mal innerlich leer gefühlt.

Wenn in seiner Jugend Constantine da gewesen wäre, hätte er sie so sanft und zärtlich geküsst. Er legte ihr die Hände um die Taille und hielt Constantine von der Erregung in seiner Hose ab, während sein Kuss leidenschaftlicher wurde. Und diesmal fand sie Gefallen daran. Nun war es ein schwerer Kampf, sie nicht an sich zu ziehen. Noch nicht! befahl Nico sich. In der Welt, die sie erfunden hatten, konnte er auf mehr am nächsten Abend hoffen.

Sein leidenschaftlicher Kuss war herrlich, aber er weckte in ihr das Verlangen nach mehr. Wie von selbst glitten ihre Hände nach oben zu seinen Schultern, um seinen Nacken und in sein Haar. Und Nico holte sie ab zu einem Date, das Connie nie gehabt hatte, zu scharf gewürzten Calamares, gekauft in der Taverne und gegessen am Strand. So real war ihr Traum, dass Connie das Meer rauschen hörte, während Nico sie küsste.

Nach einem Moment stoppte Nico sie, er atmete schwer, und seine Stimme klang rau. „Jetzt muss ich dich nach Hause bringen.“

„Ich will nicht.“ Connie wollte nicht zurück zu ihrem Vater, sondern ihre nächste Verabredung haben und herausfinden, was Nico tun würde und wie sie ihn vielleicht verlocken könnte.

„Inzwischen habe ich dich … zweimal zum Abendessen ausgeführt.“ Nico lächelte sie an, es war ein intimes Lächeln, das er noch keiner anderen geschenkt hatte. Er betrachtete seine Braut, die nicht seine war, dann musterte er das Kleid. Selbst ein erfahrener Liebhaber wie er war noch nie auf ein so kompliziertes gestoßen.

Ratlos zupfte er an der langen Reihe von winzigen Knöpfen. Fast hätte Connie ihm gesagt, dass sie nur Verzierung waren, aber das Gefühl seiner tastenden Finger auf ihrem Rücken und seiner Lippen auf der empfindlichen Haut an ihrem Hals ließen sie vor Wonne schweigen.

Nico liebte das. Mehr als jemals zuvor liebte er es, eine Frau langsam zu erforschen. Während er mit einer Hand die Satinknöpfe untersuchte, erkundete er mit der anderen ihre Taille, entdeckte triumphierend einen verdeckten Reißverschluss und folgte ihm bis unter die Achselhöhle.

„Du würdest mich daran hindern, das zu tun“, sagte Nico, als er den Reißverschluss aufmachte.

„Warum sollte ich?“, fragte Connie. Sie spürte einen Luftzug auf ihrem Oberkörper und dann Nicos warme Hände. Gleichzeitig wurden seine Küsse auf ihrem Hals leidenschaftlicher. „Wo es sich doch so wunderbar anfühlt?“

Worte sollten nicht solch eine Wirkung haben, und dennoch erregte ihn ihre Antwort so sehr, dass er Constantine zurückhalten musste. Sie jetzt an sich zu pressen würde dem Traum binnen Minuten ein Ende machen. Nico wollte sie im Bett haben, sehnte sich danach, eins mit ihr zu sein, doch er zwang sich, zu warten. Einen Moment lang drohte daraus nichts zu werden, als er mühelos den trägerlosen BH öffnete und Constantines üppige Brüste umfasste.

Die Lust war unbeschreiblich. Warme Hände auf ihrem Körper, Hände, die sich auf eine Art bewegten, wie Connie es sich nie hätte vorstellen können. Dann drückte Nico sanft mit dem Daumen auf eine hart gewordene Brustwarze, streichelte sie, bis Connie dachte, dass noch angenehmere Empfindungen sicher nicht möglich waren. Gerade da ließ Nico die Lippen von ihrem Hals tiefer gleiten und küsste ihre Brüste ebenso gekonnt, ebenso verlangend und herrlich, wie er ihren Mund geküsst hatte.

Verwundert fragte Connie sich, wie sie eigentlich gelebt hatte, ohne diese Wonnen kennenzulernen. Es beunruhigte sie, dass sie beinahe ein Leben geführt hätte, in dem ihr diese Wonnen versagt geblieben wären.

Nico sah auf, und sie wollte seinen Mund zurück auf ihrer Brust haben, doch gleich darauf wollte Connie es nicht, weil sie noch mehr bekam.

Sie bekam, was Nico sich schon so lange gewünscht, aber unterdrückt hatte. Geschickt zog er sie an sich, genau dorthin, wo sie hingehörte, und empfand eine geradezu schwindlig machende Erleichterung. Nur befriedigte es ihn nicht, nicht einmal eine Sekunde lang, denn sofort wurde sein Verlangen noch stärker.

Er beobachtete, wie ihre Augen groß wurden, als sie seine Erregung spürte. Wie sie nervös schluckte, als er härter vorwärtsdrängte. Und noch einmal, bis sie sich an ihn schmiegte.

Und zum ersten Mal lernten beide echte Teenagerküsse kennen, mit denen sie sich an einen süßen verbotenen Ort trieben. Nico schlüpfte aus seinem Jackett, und es war Connie, die ihn von seiner Krawatte befreite. Irgendwie gelangten sie zum Bett, er schleuderte seine Schuhe weg, streifte ihr die High Heels ab, und sie riss hektisch an seinen Hemdknöpfen.

Schließlich lag er neben ihr, ihre nackten Brüste an seiner entblößten Brust, Haut an Haut, was die Leidenschaft ihrer Küsse noch steigerte. Nico strich ihr über den Po und ließ die Hand unter ihr Kleid gleiten. Wie konnte ein Mann Constantine nicht begehren?

An Stavros war die Frage natürlich nicht gerichtet, aber an die Narren, die sich vor Constantines Vater gefürchtet hatten. Wenn Nico auf Xanos gelebt hätte, wenn sie sich früher begegnet wären, dann wäre dieser Moment schon vor langer Zeit seiner gewesen.

Connie spürte seine Finger zwischen ihren Schenkeln und presste reflexartig die Beine zusammen.

„Genau so, wie es ein anständiges Mädchen tun würde“, flüsterte Nico.

„Ich will nicht anständig sein.“

„Dann entspann dich.“

„Ich weiß nicht, wie.“

„Aber du möchtest, dass ich weitermache?“, fragte er, obwohl er sich sicher war, ihre Antwort zu kennen.

„Oh ja!“

„Also brauchst du mir nur zu vertrauen.“

Sie vertraute ihm hundertprozentig.

„Wo sind wir?“, fragte sie. „Wohin hast du mich mitgenommen?“

„Zu einer Spazierfahrt“, sagte Nico. „Bald musst du zu Hause sein. Wir haben am Hang angehalten … Jetzt werde ich dir den siebten Himmel auf Erden bereiten, bevor ich dich nach Hause bringe.“

Und Connie war in seinem Auto, sie viele Jahre jünger, und Nico auch. Sie drückte die Lippen an seinen Hals und atmete einfach seinen Duft ein, anstatt daran zu denken, was Nico da gerade tat. Als sie die Beine spreizte, schob er seine Hand höher, und Connie wappnete sich mit Mut für das, was sie noch nicht kannte.

Doch Nico war so geduldig, wie sie es nicht zu hoffen gewagt hatte. Die Hand auf ihrem Slip, küsste er Connie auf die Wange, auf die geschlossenen Augen, bis sie entspannt zurück ins Kissen sank. Erst dann ließ er die Finger in ihren Slip gleiten und erforschte sie gekonnt.

Ein zuerst fast unmerkliches Pochen breitete sich in ihr aus, ein Pulsieren von Lust, das den Rhythmus widerspiegelte, der sich immer mehr steigerte. Connie versuchte, aufzuhören und sich wegzudrehen. Aber ihr Körper sagte Nein dazu, sich von Nicos meisterhaftem Streicheln zurückzuziehen. Deshalb blieb Connie, und sie stellte fest, wie viel sie verpasst hatte. Sie erreichte den Gipfel an seiner Hand und wollte nie wieder hinabsteigen.

Nico küsste Constantine, bis sie außer Atem war. Dann erzählte er ihr, was als Nächstes kommen würde. Wie es in der anderen Welt passiert wäre, die sie sich ausgedacht hatten. Eine Welt, in der er netter, freundlicher und vertrauensvoller war und sich intensiv um die Frau in seinen Armen kümmerte.

„Bei unserem nächsten Date will ich mehr von dir“, flüsterte er. „Die ganze Woche hat es mich verrückt gemacht, mir auszumalen …“

Er kniete sich aufs Bett und zog ihr das Kleid aus. Flüchtig packte Connie den Stoff, dann ließ sie ihn los, weil Nicos Blick sie wärmte und ihr alle Hemmungen nahm. Jetzt waren nur noch die Strümpfe und der Slip übrig. Nico wurde mit den Ersteren spielend fertig, küsste ihre Zehen, ihre Fußsohlen und fand eine Stelle, die eine Verbindung zu derjenigen haben musste, wo eben seine Finger gewesen waren, weil Connie unwillkürlich die Hüften anhob.

Nico schob sich zwischen ihre Beine und hielt einen Moment inne, um Atem zu schöpfen. Wie ihn der kostbare Schatz lockte, der unter ihrem Slip verborgen lag! Dennoch beschloss Nico, noch zu warten. Um ihr nicht wehzutun, würde er sie weiter mit dem Mund erregen, bis sie wirklich bereit war. Nur dass seine jungfräuliche Braut andere Vorstellungen hatte.

„Ich habe auch an dich gedacht, Nico“, sagte sie. „Ich wollte dich sehen.“ Sie streifte ihm das offene Hemd von den Schultern. „Lass mich dich anschauen.“

Er stand auf und zog sich aus. Aufgeregt, neugierig und ein bisschen beklommen beobachtete Connie ihn. Aber er war zu schön, um ängstlich zu sein. „Und jetzt?“, fragte sie.

„Und jetzt …“ Nico kniete sich wieder aufs Bett, zwischen ihre Schenkel, und versuchte, sich die Fortsetzung der Geschichte auszudenken.

Wozu überhaupt keine Fantasie erforderlich war, denn alles hatte sich ja schon richtig ergeben.

„Ich habe gewartet. Bis zu der Nacht, in der ich mit meiner Braut schlafe.“ Plötzlich hatte er das Gefühl, als wären sie tatsächlich miteinander gegangen, als würde er hier auf der Insel leben und die Zukunft würde ihnen gehören.

Nervös, tapfer, aber irgendwie vertrauensvoll blickte sie ihn an, und da glaubte er, dass er tatsächlich gewartet hätte. Wenn er sie geliebt hätte.

Langsam schob er ihr den Slip hinunter, dann ärgerte er sich über sich selbst, weil ihm einfiel, dass sein Jackett auf dem Boden lag. Bevor Nico aus dem Bett steigen konnte, hielt sie ihn zurück.

„Für meine Hochzeit habe ich angefangen, die Pille zu nehmen.“

Dumm, das zu sagen. Nico hatte vor, Constantine später davor zu warnen, es irgendjemandem außer ihm anzuvertrauen. Aber er wollte in diesem Moment nicht an andere Männer denken.

Und selbstsüchtig sehnte er sich danach, sie auf eine noch nie erlebte Art für sich zu haben. Deshalb missachtete er seine eigenen strengen Regeln. Nur das eine Mal und nur für Constantine.

„Wird es wehtun?“, fragte Connie, obwohl sie keine Antwort darauf brauchte. Weil der Schmerz nichts sein würde im Vergleich zu dem von morgen, wenn Nico fort war.

„Ein bisschen, vielleicht.“

Nico schloss sie in seine Arme und küsste sie auf den Mund, so wild und leidenschaftlich, dass es ihr den Atem raubte. Es war ein Kuss, den sie hingerissen erwiderte, der sie alles außer Nico vergessen ließ. Als er in sie glitt, flüsterte er ihr Koseworte ins Ohr wie ein echter, liebender Ehemann, und dann bewegte er sich in ihr, und sie bewegte sich mit ihm. Sie hob sich ihm entgegen, umschlang ihn, um ihn tiefer in sich aufzunehmen.

Mit Nico gelangte Connie an einen Ort, der für immer in ihrem Herzen fortleben würde. Gemeinsam fanden sie dort Erlösung, und Connie wollte mit Nico in dem Paradies bleiben, das sie sich erschaffen hatten. Aber das Pulsieren ihres Körpers verebbte, und allmählich atmete sie ruhiger. Ein wenig später, obwohl sie zweifellos in ihr Zimmer zurückgehen sollte – einzuschlafen wäre sicherlich gefährlich –, erlaubte sie sich, in Nicos Armen auszuruhen.

Sie wollte noch eine Weile in ihrer Hochzeitsnacht mit ihm zusammen sein.

Nico hörte die Rathausuhr fünfmal schlagen. Er wollte Constantine an sich ziehen und langsam Liebe machen, anstatt sich dem Morgen und den Gedanken zu stellen, die ihn gestern Abend gequält hatten.

Er streckte die Arme nach ihrem warmen Körper aus, dann kämpfte er darum, ihr zu widerstehen. Sex am Morgen hatte etwas zu Intimes. Auf die Dauer war es besser, es bei der vergangenen Nacht zu belassen, wie Nico festgestellt hatte. Und er beschloss, sich an diese Erkenntnis zu halten. Wenn er jetzt noch einmal mit ihr schlief, ermutigte er Constantine vielleicht hinterher, sich gegen ihre Familie aufzulehnen.

Wie könnte er Constantine aus ihrem vertrauten Umfeld herausreißen? Schon gar nicht durfte er das mit Versprechen, die er brechen würde.

Deshalb weckte er sie. „Du solltest jetzt gehen.“

Connie wollte in ihrem Traum bleiben, in ihrer Hochzeitsnacht mit diesem schönen Mann neben sich. Trotzdem stieg sie aus dem Bett und zog sich an. Dabei wünschte sie, Nico würde zu ihr sagen, sie brauche nicht zurückzugehen. Natürlich war es nicht seine Aufgabe, das zu tun. Die Entscheidung konnte sie nur selbst treffen.

„Danke.“ Es war eine seltsame Art, eine solch leidenschaftliche Nacht zu beenden. Aber Connie dachte daran, wie unglücklich sie auf der Treppe gesessen hatte, was für Wonnen sie ohne Nico niemals erlebt hätte, und ihr Dank kam tatsächlich von Herzen.

„Constantine …“

Auf dem Weg zur Tür erstarrte sie einen Moment lang. Eine knisternde Spannung lag plötzlich in der Luft. Wenn sie sich jetzt umdrehte, würde sie wieder in seinem Bett landen, und sie beide wussten es.

Sie zu retten war nicht seine Sache.

„Connie“, verbesserte sie, öffnete die Tür und zwang sich, hinaus auf den Flur zu treten und die qualvollen Schritte zu ihrer Suite zu gehen.

In ihrem Bad duschte sie, dann zog sie das schöne Nachthemd aus Spitze an, das sie für ihre Hochzeitsnacht gekauft hatte, und legte sich in das leere, kalte Bett.

So würde ihr Leben aussehen, falls sie es überhaupt einen Tag lang durchhielt, die liebende Ehefrau zu spielen. Nico ahnte ja nicht, wie dankbar sie für die Nacht mit ihm war. Ihr Zusammensein war so viel mehr gewesen als Sex: Es hatte ihr gezeigt, wie das Leben sein sollte.

Sein könnte, dachte Connie. Aber das würde bedeuten, vielen Menschen wehzutun.

4. KAPITEL

Nico wachte auf, bevor er zusammenzuckte. Er hatte sich antrainiert, rechtzeitig die Augen zu öffnen, damit die jeweilige Geliebte in seinem Bett nicht den Ruck spürte, der durch seinen Körper ging.

Entweder so, oder jede Nacht allein schlafen, und darauf hatte Nico keine Lust.

Nachdem Constantine ihn verlassen hatte, war er wieder eingeschlafen und hatte seit einer Ewigkeit zum ersten Mal wieder den Traum gehabt. Er hätte damit rechnen sollen, denn der Vortag hatte irgendetwas in ihm aufgewühlt. Der nächtliche Spaziergang durch die Straßen von Xanos war ihm vorgekommen wie die Rückkehr zu seinem vertrauten Traum.

In dem er wie gelähmt war und sich dennoch laufen, sprechen, atmen, leben sah. Nico hasste den Traum, hasste es, bewegungsunfähig dazuliegen und nicht in Verbindung treten zu können mit dem Nico, den er beobachtete.

Er rollte sich herum. Neben ihm im Bett hing noch ihr Duft, und Nico bedauerte, dass er Constantine heute Morgen nicht noch einmal geliebt hatte. Er stand auf und duschte, rasierte sich aber nicht und kleidete sich nicht sorgfältig. Zu der Hose, die er am vergangenen Abend getragen hatte, zog er ein maßgeschneidertes schwarzes Hemd an.

Kurz spielte er mit dem Gedanken, im Restaurant zusammen mit seinen Eltern zu frühstücken, entschied sich jedoch dagegen. In Anbetracht dessen, dass es bei Charlotte in London zwei Stunden früher war, nahm er Rücksicht auf die Arme, die sonst immer alles für ihn managen musste. Also rief er unten an und bat den Empfangschef ihm einen Flug zurück aufs Festland zu organisieren.

„Wohin?“, fragte der Empfangschef. „Und benötigen Sie einen Anschlussflug?“ Er könne einen Hubschrauber oder ein Wasserflugzeug nach Volos und dann einen Flug nach Athen buchen.

Nico wünschte, er hätte doch Charlotte angerufen, denn er wusste eigentlich nicht, wohin er wollte. Immer war seine Zeit verplant, und dieser unerwartete freie Tag machte ihn nervös. Er besaß überall Immobilien, nur handelte es sich um Kapitalanlagen. Da er dauernd geschäftlich durch die Welt jettete, lohnte sich eine Wohnung oder ein Haus für ihn nicht, deshalb zog er Hotels vor. Seine Jacht lag in Puerto Banus in Spanien, und vielleicht wurde Spanien sein Zuhause. Weil Nico tatsächlich erwog, in Marbella Grundbesitz zu erwerben und selbst zu nutzen.

„Schaffen Sie mich einfach nach Athen“, sagte Nico und legte auf. Er würde später entscheiden, wohin er von dort weiterflog. Nach seinem gestrigen Erlebnis auf der Fähre reizte ihn ein Tag auf See nicht besonders.

Dass er Constantine an diesem Morgen sehen würde, kam ihm nie in den Sinn. Um den Schein zu wahren, müsste das „glückliche Ehepaar“, ja wohl im Bett frühstücken. Aber als die Fahrstuhltüren aufgingen, stand sie mit Stavros in der Kabine. Constantine sah fantastisch aus, durch und durch die gepflegte Lathira-Ehefrau – perfekt geschminkt, das Haar hochgesteckt, mit dem dezenten Hauch eines teuren Parfüms um sich.

„Guten Morgen“, grüßte Nico die beiden und wurde zum ersten Mal in seinem Leben rot.

Was Connie nicht mitbekam. Starr blickte sie nach unten auf ihre neuen Schuhe, sicher, dass sie knallrot im Gesicht war. Neben ihr stand Stavros und bemerkte die plötzlich spannungsgeladene Atmosphäre nicht. Schuldig fühlte sich Connie jedoch nicht. Ihr sogenannter Ehemann war schließlich in ihrer Hochzeitsnacht mit seinem Liebhaber zusammen gewesen.

Einzig und allein Nicos wegen hatte Connie das Gefühl, in Flammen zu stehen. Ihr brannten die Wangen bei der Erinnerung an seinen Mund, seine Hände und alles, was er ihr in der Nacht beigebracht hatte.

„Guten Morgen“, sagte Stavros und stieß seine gehorsame Ehefrau an, die, wie er ihr erklärt hatte, immer ihre Aufgabe erfüllen, ihre Rolle überzeugend spielen und gastfreundlich sein musste …

Connie setzte zum Sprechen an, um ihren Liebhaber als einen Gast des Hochzeitsfrühstücks zu begrüßen. Und entschied sich dann, es nicht zu tun. Wieder stupste Stavros sie an, eine gereizte Ermahnung, die Connie wieder ignorierte.

Obwohl er vor ihnen stand, wusste Nico, was vorging. Er hörte Stavros vor Wut schwer atmen und sah in den spiegelblanken Türen, wie er sich seiner streitlustigen Ehefrau zuwandte. Unbemerkt lächelte Nico, als hinter ihm die Rebellin in ihr erwachte.

Im Erdgeschoss verließen sie den Fahrstuhl. Nico blieb einen Moment stehen und beobachtete, wie Stavros ihre Hand ergriff und Constantine ins Restaurant führte. Jetzt lächelte Nico nicht, denn sie hatte ihren Trauring noch immer nicht angesteckt. Dadurch drang der Streit im Schlafzimmer nach außen, und Nico machte sich Sorgen um Constantine. Weil er wusste, was es bedeutete, sich seinen Eltern zu widersetzen.

Er hatte dem Familienunternehmen und der Insel den Rücken gekehrt, sich keine geeignete Ehefrau gesucht und ihnen keine Enkelkinder geschenkt. Selbst für einen psychisch so starken Mann wie Nico war es schwierig gewesen. Wie viel schwieriger musste es für Constantine sein, das Blatt jetzt noch zu wenden? Für eine verheiratete Frau, für die geliebte Tochter, die große Hoffnung und der ganze Stolz ihrer Eltern?

Der Empfangschef riss Nico aus seinen Gedanken. Sämtliche Hotelangestellten waren mit den anspruchsvollen Hochzeitsgästen vollauf beschäftigt, und seitdem Nico Eliades dazugekommen war, herrschte hinter den Kulissen Chaos. Ganz gleich, wie er jongliert hatte, der arme Mann musste seinem hochgeschätzten Gast mitteilen, dass sich sein Abflug um weitere fünfzehn Minuten verzögern würde.

Bestenfalls.

„Möchten Sie frühstücken, während Sie warten?“

Nico aß morgens nie etwas. Aber ja, er konnte sich ebenso gut von seinen Eltern verabschieden.

Nicht, dass sie erfreut waren, ihn zu sehen.

Erschrocken fuhr seine Mutter zusammen, als er am Tisch auftauchte. „Nico!“, rief sie entsetzt, bevor sie angenehm überrascht tat. „Ich dachte, du wärst abgereist.“

„Offensichtlich nicht“, sagte er.

„Wann?“, fragte sein Vater.

„Ich weiß noch nicht. Vielleicht mache ich vorher eine Besichtigungstour.“ Natürlich hatte Nico nicht die Absicht, eine zu unternehmen. Er testete nur die Reaktion seiner Eltern.

„Du und Sightseeing?“ Seine Mutter lächelte gekünstelt. „Dir gefällt doch bloß die Aussicht von deiner Jacht oder aus dem Fenster eines Fünfsternehotels.“

„Ich würde gern mehr von der Insel sehen. Es wundert mich, dass wir nie hier waren. Ich habe Xanos immer für total öde gehalten.“ Weil seine Eltern jedes Mal die Nase gerümpft und behauptet hatten, ein Besuch sei reine Zeitverschwendung, wie Nico plötzlich erkannte. „Die Insel ist wirklich bezaubernd. Ich möchte sie mir anschauen.“

Seine Mutter wollte etwas sagen, unterließ es jedoch. Sogar sein Vater blieb still.

„Stört euch das?“ Einem Streit ging Nico niemals aus dem Weg.

„Selbstverständlich nicht“, erwiderte seine Mutter viel zu schnell.

Dann beeilte sie sich, darauf hinzuweisen, dass es keine Bedienung am Tisch gebe.

Kaffee wurde ihm jedoch gebracht. Während er ihn trank, beobachtete Nico, wie Constantine mit Gästen plauderte und Stavros sofort auf seine Frau zusteuerte und vorschriftsmäßig ihre Hand ergriff.

Nicht von Eifersucht, sondern von Wut wurde Nico gepackt. Und vielleicht machte es Constantine auch wütend, denn sie entzog ihrem Mann demonstrativ die Hand und ging von ihm weg zum Frühstücksbuffet. Nicos Sorge um Constantine kehrte zurück.

Regeln und Bräuche mussten befolgt werden, Hunderte von unausgesprochenen Dingen wurden von einem erwartet. Man hinterfragte sie nicht, man tat sie einfach. Nico bereute, zu ihr gesagt zu haben, sie habe eine Wahl, wo sie doch in Wirklichkeit keine hatte.

„Ich hole mir etwas zu essen.“ Für Constantine würde er nicht nur seinen Grundsatz missachten, bis zur Mittagszeit nichts zu essen, er zog sogar eine spezielle Visitenkarte heraus, nicht diejenige, die er seinen Geliebten gab. Er hatte Visitenkarten mit einer Telefonnummer für Frauen, die häufig anriefen, ihn aber selten erreichten, weil sie sich allzu oft änderte. Auf der anderen Visitenkarte stand eine Nummer, unter der man ihn fast immer erreichte. Die sollte Constantine bekommen.

„Guten Morgen“, sagte Nico zum zweiten Mal an diesem Morgen, als er sich am Frühstücksbuffet neben Constantine stellte.

„Guten Morgen“, erwiderte sie. Jetzt brauchte sie zweifellos keinen Stups von Stavros.

„Wie geht es dir?“, fragte Nico leise.

Die Besorgnis in seiner Stimme ließ Connie fast zusammenbrechen. „Ich versuche zu wählen …“

Obwohl ihr Blick über das Obst schweifte, sprachen sie über etwas ganz anderes.

„Sei vorsichtig.“

Völlig ruhig löffelte Nico Joghurt in eine Schüssel, während Connie die falsche Wahl traf. Blaubeeren waren nicht so toll, wenn einem heftig die Hand zitterte.

Autor

Sara Craven

Sara Craven war bis zu ihrem Tod im November 2017 als Autorin für Harlequin / Mills & Boon tätig. In über 40 Jahren hat sie knapp hundert Romane verfasst. Mit mehr als 30 Millionen verkauften Büchern rund um den Globus hinterlässt sie ein fantastisches Vermächtnis.

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