Julia Exklusiv Band 320

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  • Erscheinungstag 31.01.2020
  • Bandnummer 320
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715151
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Natalie Anderson, Lynn Raye Harris, Jennifer Hayward

JULIA EXKLUSIV BAND 320

1. KAPITEL

James lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fuhr sich müde mit den Händen über die Augen. Heute Morgen war er um kurz nach fünf Uhr mit seinem Flieger aus Kuala Lumpur in Sydney gelandet. Von dort hatte er ein Taxi zu seinem Büro genommen, wo er sich kurz duschte und umzog, ehe er sich wieder an den Schreibtisch setzte.

Inzwischen hatte er einiges an Korrespondenz, die während seiner Abwesenheit angefallen war, durchgeschaut und sich Notizen dazu gemacht. Jetzt sehnte er sich nach einer zweiten Tasse Kaffee und etwas Handfesterem, als dem gummiartigen Muffin, den er während des Fluges gegessen hatte.

Deshalb horchte er erfreut auf, als aus dem Vorzimmer zu seinem Büro plötzlich Geräusche drangen. Bridget, seine Sekretärin … endlich! Ein wenig später als gewohnt, wie ihm ein rascher Blick auf die Uhr verriet, aber das störte James nicht, weil sie ansonsten eine echte Perle war. Zumindest bisher …

Mit mutwilligem Grinsen nahm er den Stapel Post und einen Report vom Schreibtisch, marschierte zur Tür und stieß sie auf. „Hallo Bridge, haben Sie sich etwa alle zehn Finger gebrochen? Die Quote der Tippfehler in diesem Machwerk ist beachtlich. Ich kann das Geschreibsel kaum entziffern.“

Er schaute von dem Schriftstück auf, das ihn eben so amüsiert hatte, und blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen. Verblüfft starrte er die schöne Fremde an, die sich langsam von ihrem Platz hinter dem Schreibtisch erhob.

Sie war groß, schlank, dunkelhaarig … verdammt sexy … und nicht …

„Nicht Bridget!“, entfuhr es ihm laut.

„Nein, das bin ich nicht.“ Ihre gelassene Stimme wies einen schwachen Akzent auf, aber nicht eine Spur von Verlegenheit oder gar Schuldbewusstsein.

Und unversehens fühlte sich James seines ansonsten messerscharfen Verstandes und klaren Denkvermögens beraubt. Wie betäubt starrte er auf die hinreißendste Frau, die jemals seinen Weg gekreuzt hatte. Das einzige Wort, das sich in seinem umnebelten Hirn formte, war: WOW

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sein normaler Herzschlag wieder einsetzte. Und als es so weit war, ging James wie magisch angezogen auf den Schreibtisch zu. Mit jedem seiner Schritte vertiefte sich die zarte Röte auf den Wangen der fremden Schönheit.

„Ich … ich bin …“

„Prinzessin Elissa …“ Offenbar hatten seine grauen Zellen wieder ihre normale Funktion übernommen. Erst wenige Wochen war es her, dass er ihrem Bruder Alex versprochen hatte, ihr einen Job in seiner Firma zu verschaffen, es allerdings über der wichtigen Auslandskonferenz wieder vergessen. Die Prinzessin musste inzwischen seit … etwa einem Monat hier in Sydney sein.

James kam sich vor wie ein dummer Schuljunge, weil er einfach nicht die Augen von ihr lassen konnte. Dabei kannte er sie von Fotos, die regelmäßig in unzähligen Zeitungen, Magazinen und TV-Sendungen veröffentlich wurden. Allerdings hätte er nie vermutet, dass sie in Wirklichkeit noch umwerfender aussah! Meist verloren diese Modeltypen in der Realität beträchtlich an Zauber, sobald die richtige Beleuchtung, tonnenweise Make-up und eine entsprechende Bildbearbeitung am PC fehlten.

Doch keine noch so perfekte Hochglanzaufnahme hatte die tanzenden Lichter in ihren wundervollen schokobraunen Augen wiedergeben können oder war dem faszinierenden Farbspiel der langen dunklen Haarmähne gerecht geworden, die ihn einzuladen schien, seine Finger in ihrer seidigen Fülle zu vergraben. Und erst recht hatte ihn kein Foto auf die Perfektion ihres Körpers vorbereitet. Schlank, biegsam und gleichzeitig mit herausfordernd weiblichen Kurven versehen …

„Bridget ist im Urlaub. Man hat mir gesagt, ich solle so lange ihren Platz einnehmen.“

James nickte, zu sehr damit beschäftigt, Elissa anzustarren, um ihr antworten zu können.

„Ich … ich werde den Report gleich noch mal tippen“, bot sie mit brennenden Wangen an und streckte die Hand nach den Papieren aus.

Das brachte ihn endlich auf den Boden zurück. Irgendetwas drängte James dazu, ihr offensichtliches Unbehagen zu mildern. „Wahrscheinlich sieht die europäische Tastatur etwas anders aus?“

„Genau.“ Einen Herzschlag lang begegneten sich ihre Blicke, dann senkte die Prinzessin rasch die Lider und wollte ihm den Report abnehmen. Doch James war so fasziniert von ihr, dass er es erst merkte, als Elissa energisch an dem Papierstapel zog, den er immer noch festhielt. Sofort ließ er los und wandte sich im gleichen Moment irritiert ab.

Viel zu lange hatte er sie bereits angestarrt und sich dabei ziemlich lächerlich gemacht. Aber Alex’ Schwester so unerwartet in natura vor sich zu sehen, war ein echter Schock für ihn gewesen. Was für ein Prachtweib! fuhr es ihm ungebeten durch den Kopf, und bereits in der nächsten Sekunde ärgerte er sich über die ungewohnte Verwirrung, in die ihr Anblick ihn stürzte.

Zur Hölle, er musste erschöpfter sein als gedacht! Dieser verflixte Jetlag!

Unwillig schüttelt James den Kopf und kehrte in sein Büro zurück. Dabei wunderte er sich insgeheim, dass Prinzessin Elissa, die ein Leben lang im Licht der Öffentlichkeit stand, und keineswegs als schüchtern galt, derart liebreizend erröten konnte.

Egal! Auf jeden Fall war sie nichts für ihn. Zu schön, und sich dessen zu verdammt bewusst, lautete sein Urteil. Eine Frau, von der jeder Mann träumte, und die es gewohnt war, die Aufmerksamkeit eines jeden Mannes zu wecken.

Doch James Black war niemand, der gern teilte …

Mit leisem Zischen stieß Lissa den Atem aus, den sie so lange angehalten hatte, bis die Tür hinter ihrem neuen Boss ins Schloss fiel. Dann warf sie sich in ihrem Stuhl nach hinten, und verdrehte die Augen gen Himmel.

Das war also James Black?

Aus irgendeinem Grund hatte sie sich ihn als Endfünfziger mit schütterem Haar und leichtem Bauchansatz vorgestellt. Aber nicht im Traum als einen durchtrainierten Adonis von höchstens Anfang dreißig, mit kurzem, widerspenstigen braunen Haar und einem derart verführerisch goldenen Schimmer in den funkelnden Augen, dass sie an sich halten musste, ihn nicht mit schmachtendem Blick anzuhimmeln wie ein alberner Teenager.

Sie hätte sich vorher besser informieren sollen. Und vor allem einen Erste-Hilfe-Sekretärinnen-Schnellkurs auf dem Flug von Aristo hierher durchackern müssen.

Dies war ihre letzte Chance … zumindest die letzte, die sie sich selbst einräumte, um zu beweisen, dass sie mehr war, als das wilde Party-Girl, das alle anderen in ihr sahen. Wenn sie hier scheiterte, wollte sie nie wieder nach Aristo zurückkehren und ihrer Familie unter die Augen treten, sondern irgendwo anders hingehen und dort ihr Dasein fristen …

Aber das würde sie nicht zulassen. Hier, in Sydney, wartete ein neues Leben auf sie! Dieser Job war ihre Erfüllung, das spürte Lissa plötzlich mit jeder Faser.

Na super! verspottete sie sich selbst. Und was für einen beeindruckenden Start du hingelegt hast! Erst den Report zu verstümmeln und dann auch noch rot zu werden wie ein Schulmädchen? Sonst wurde sie nie rot!

Aber wie hätte Lissa auch damit rechnen können, dass ihr Boss mit diesem umwerfenden Lächeln und dem humorvollen Zwinkern in den bernsteinfarbenen Augen aus seinem Büro zu ihr an den Schreibtisch kam? Ebenso wenig, wie sie erwartet hatte, bei seinem Anblick von einer gigantischen Woge des Begehrens erfasst zu werden, die sie fast umwarf!

Immer noch verstört versuchte Lissa, einen eingehenden Anruf anzunehmen und ins Chefzimmer weiterzuleiten, was aber danebenging. So musste sie peinlicherweise Katie, die Rezeptionistin, bitten, ihr erneut die Telefonanlage zu erklären. Dabei hatte sie sich die einzelnen Schritte extra aufgeschrieben, konnte den Zettel in ihrer momentanen Verwirrung aber nicht finden. Immer wieder stellte sie versehentlich den Anrufbeantworter an, anstatt das Gespräch weiterzuleiten. Oder noch schlimmer, sie kickte den Anrufer gleich aus der Leitung!

Dabei bereitete ihr die Bedienung ihres ultramodernen Handys ebenso wenig ein Problem, wie die Handhabung ihres unentbehrlichen elektronischen Organizers. Wahrscheinlich lag es einfach an diesem seltsamen australischen System.

Katie und Lissa waren noch in eine angeregte Diskussion über die Tücken der Technik vertieft, als James erneut aus seinem Büro kam.

„Willkommen daheim, James“, begrüßte seine Rezeptionistin ihn mit einem strahlenden Lächeln, das er wesentlich zurückhaltender erwiderte.

„Danke, Katie. Ich hole mir im Coffeeshop nebenan einen Kaffee und bin in spätestens zwanzig Minuten zurück. Ist bis dahin der neu getippte Report fertig?“, wandte er sich an Lissa.

„Natürlich“, behauptete die mit mehr Überzeugung, als sie empfand. Aber das sagte sie schon zu seinem Rücken, da James einfach weitergegangen und längst bei der Tür angelangt war, die sich kurz darauf hinter ihm schloss.

Katie seufzte ekstatisch und markierte eine Ohnmacht. „Er ist wieder da …!“, hauchte sie entzückt. „Ganz schön sexy, oder? Und du Glückliche sitzt den ganzen Tag direkt vor seiner Bürotür auf dem Präsentierteller!“

Lissa nickte vage, nicht unbedingt darauf erpicht, den unleugbaren Erotikfaktor ihres neuen Bosses zuzugeben oder sich sonst wie am Büroklatsch zu beteiligen. Stattdessen analysierte sie lieber im Stillen James Blacks Reaktion auf Katies mehr als liebenswürdige Begrüßung. Dabei kam Lissa zu dem Schluss, dass sein Lächeln, das er ihr schenkte – weil er sie für seine Sekretärin hielt – sehr viel wärmer ausgefallen war. Jetzt musste sie nur noch mehr über diese geheimnisvolle Bridget herausfinden und …

„Aber Vorsicht!“, warnte Katie sie mit dramatischem Augenrollen. „Er ist sehr launenhaft!“

Fragend hob Lissa die fein geschwungenen Brauen. Katie lächelte listig, und spätestens jetzt wusste Lissa, wen sie fragen musste, wollte sie etwas über die Firma oder irgendeinen der Mitarbeiter wissen.

„Lass dich auf keinen Fall von seinem Charme einwickeln! Er hält absolut nichts von festen Beziehungen.“

„Nicht …?“ Lissas Interesse verebbte.

Während sie sich demonstrativ ihrer Arbeit zuwandte, plapperte Katie munter drauflos. „Maximal drei Tage, dann ist es vorbei.“

„Kannst du mir noch ein letztes Mal erklären, wie ich ein Gespräch durchstelle?“, brachte Lissa sie erfolgreich von ihrem offensichtlichen Lieblingsthema ab.

Katie lachte. „Hier … und hier drücken. Das hast du schnell raus. Wahrscheinlich bist du einfach nicht an derartige Arbeiten gewöhnt.“

Das konnte Lissa blind unterschreiben. Aber was blieb ihr für eine Wahl, wenn Alex ihren Treuhandfond sperrte, bis sie ihm bewies, dass sie ihr täglich Brot selbst verdienen konnte? Und zwar in einem Job, den er ausgesucht hatte.

Elissa, das enfant terrible der königlichen Familie … ans Ende der Welt verbannt! Aus den Augen, aus dem Sinn. Das Ganze verlief so schnell und reibungslos, dass Lissa ziemlich betroffen und gekränkt gewesen war, obwohl sie es sich nicht hatte anmerken lassen.

Nach dem Tod ihres Vaters war sie aus Paris heimgekehrt und wollte eigentlich in Aristo bleiben. Sie überlegte sogar, wie sie sich zu Hause nützlich machen könnte! Doch anstatt ihr entgegenzukommen, brachte man sie in einem gemieteten Apartment in Sydney unter! In einem Wohnkomplex, der ihrem neuen Boss gehörte, wie sie schnell herausfand. Und nach der ersten Mietüberweisung musste sie schockiert feststellen, dass von ihrem schmalen Gehalt nur noch ein Bruchteil übrig blieb, um ihre sonstigen Lebenskosten zu bestreiten.

Zum ersten Mal in ihrem Leben war Prinzessin Elissa Karedes gezwungen, ihre Brötchen selbst zu verdienen, ihre Ansprüche herunterzuschrauben und Verantwortung zu übernehmen. Sie wollte es unbedingt schaffen … und wenn nur, um sich und den anderen zu beweisen, dass sie dazu ebenso fähig war, wie jeder von ihnen.

Vielleicht würde sich dann sogar deren schlechtes Gewissen melden, und sie durfte wieder nach Hause kommen …

Dieser Möglichkeit wollte sie sich auf keinen Fall selbst berauben, indem sie unangebrachte Gedanken bezüglich ihres neuen Bosses wälzte!

„Er wird in einer Minute zurück sein, und du hast noch nicht mal angefangen, den Report zu tippen“, erinnerte Katie sie.

„Oh nein …!“

James wünschte, er hätte seine Bürotür hinter sich geschlossen, aber das tat er nie. So konnte er Bridget einfacher herbeizitieren, wenn er irgendetwas von ihr wollte.

Insgeheim fürchtete er sich schon jetzt vor dem Tag, an dem seine überaus kompetente Sekretärin ihm eröffnen würde, dass sie schwanger sei. Und wenn er sich nicht schwer irrte, würde er darauf wahrscheinlich gar nicht allzu lange warten müssen, eingedenk der romantischen Kreuzfahrt, zu der sie gerade mit ihrem Gatten aufgebrochen war. Doch selbst darüber konnte James sich jetzt keine Gedanken machen, weil er sich zuerst mit dieser … Granate von Ersatzsekretärin auseinandersetzen musste.

Frustriert griff er nach dem Stapel Zeitungen, die sich in der Zeit, als er in Übersee war, angesammelt hatten. Er schaute sie nur flüchtig durch, da er die wichtigsten Schlagzeilen und Fakten während seiner Geschäftsreisen online konsumierte. Doch als er jetzt zu den Gesellschaftsnachrichten kam, stutzte er.

Da war sie … seine neue Sekretärin! In extravagantem Schwarz und Weiß war sie das strahlende Highlight irgendeiner Eröffnung oder Aufführung in Sydney und sah einfach umwerfend aus.

James legte das aktuelle Blatt zur Seite und griff nach der Zeitung vom Vortag. Er suchte nach dem Gesellschaftsteil, und … Treffer! Umringt von einer Horde attraktiver Männer, lächelte sie direkt in die Kamera. James ging weiter im Datum zurück – dasselbe! Offensichtlich war die Prinzessin ziemlich fleißig gewesen. Kein Wunder, dass sie sich ständig vertippte, wenn sie die Nächte durchtanzte und – feierte.

Was war er nur für ein Idiot, ihr auch noch einen Mitleidsbonus einzuräumen!

Mit zusammengeschobenen Brauen zog James erneut die aktuelle Zeitung heran und starrte auf das Foto. So hinreißend die Prinzessin darauf auch wirkte, wusste er inzwischen aus eigener Erfahrung: der Schein trog. Dass er sich von ihr angezogen fühlte, konnte er nicht leugnen. Kein Mann würde etwas anderes behaupten können, wenn er ehrlich war.

Doch James war an die Gesellschaft und Anhimmelei schöner Frauen gewöhnt und hatte längst gelernt, nichts davon ernst zu nehmen. Wie bunte Schmetterlinge flatterten sie von einem Partner zum anderen.

Lissa war zweifellos der schönste unter ihnen. Und einer der erfolgreichsten! Auf ihrer Abschussliste tummelten sich neben Reedereierben und Medienmagnaten, Society-Größen jeder Couleur. Die dazugehörigen Fotos wurden in internationalen Hochglanzmagazinen sowie einschlägigen Klatschblättern veröffentlicht.

Für eine begehrenswerte Frau ihres Formats zählte keine spontane Sympathie oder normale Anziehung. Sie gehörte zu der Sorte verruchter Vamp, dem es gefiel, aufreizend zu sein und kleine Spielchen zu inszenieren, um das Leben interessanter zu gestalten.

James’ Mundwinkel wanderten nach unten. Sich auf Elissa Karedes einzulassen bedeutete Ärger, und den konnte er wahrlich nicht gebrauchen. In dieser Hinsicht hatte er seine Lektion gründlich gelernt! Also hielt er sich an die Devise: Nichts Ernstes, nichts Langfristiges und nichts Kompliziertes. Nichts, was zu viel Aufsehen erregt …

Und Elissa war sozusagen das Synonym für Aufsehen. Offensichtlich konnte sie nicht genug davon bekommen.

Wütend über seine spürbare Irritation schob James die Zeitung zur Seite und griff nach einem weiteren Schriftstück, das Lissa ihm gegeben hatte. Ein flüchtiger Blick zeigte ihm, dass sämtliche Diagramme fehlerhaft waren.

James reckte den Hals, sodass er einen Teil ihres Schreibtisches durch die halb geöffnete Tür sehen konnte. Sogar die Art, wie sie auf ihrem Drehstuhl saß, wirkte irgendwie … königlich. Den Kopf stolz erhoben, als trage sie eine Tiara oder so etwas. Die Party-Prinzessin spielte Sekretärin!

Auch er war Spross einer wohlhabenden Familie. Nicht ganz auf dem Level eines Königshauses, aber immerhin. Und auch er hätte sich ein bequemeres, leichtfertigeres Leben leisten können, aber das tat er nicht. Im Gegenteil. Der angesehene Name seiner Familie und ihr Reichtum trieben ihn eher dazu an, aus eigener Kraft Erfolg haben zu wollen.

Sein Vater und Großvater hatten ihr Vermögen hart erarbeitet. Und James fühlte sich in ihrer Tradition. Seine anstrengende und verantwortungsvolle Tätigkeit forderte ihn heraus und bereitete ihm ebenso viel Freude wie Befriedigung, und zwar in einem Maße, wie es diese Person dort draußen wahrscheinlich nie kennengelernt hatte. Keine Frage, dass sie an die üppig beladenen Silbertabletts gewöhnt war, die ihr von einer devoten Dienerschaft hinterhergetragen wurden …

Nun, in seinem Boot war auf jeden Fall kein Platz für arbeitsscheue Passagiere! Hier wurde jeder nach dem beurteilt, was er leistete. Und ganz besonders verwöhnte Prinzessinnen!

James stand auf, schnappte sich die Unterlagen, marschierte mit grimmiger Miene ins Vorzimmer und knallte es seiner Ersatzsekretärin auf den Tisch. „Diese Grafiken müssen ebenfalls neu erstellt werden“, forderte er brüsk und wartete auf ihre Reaktion.

Diesmal errötete sie nicht, sondern wurde schlagartig blass. Was war nur mit ihr los? Scheute sie etwa vor ein wenig Zusatzarbeit zurück?

„Sie müssen sich unbedingt mehr anstrengen, Elissa. Nur weil Sie königlichen Geblüts sind, haben Sie keinen Anspruch auf Sonderbehandlung.“

Bisher hatte sie stumm auf ihren Schreibtisch gestarrt, doch sein sarkastischer Tonfall ließ sie aufschauen. Das humorvolle Funkeln und der goldene Schimmer in den Augen ihres Chefs waren verschwunden. Stattdessen wirkten sie kalt und regelrecht abweisend.

Lissa wusste genau, was das bedeutete – Missbilligung und Distanz.

Immer und immer wieder hatte sie ähnliche Blicke von ihren überbesorgten, konservativen, älteren Brüdern aushalten müssen. Und nun schien sie vom Regen in die Traufe gekommen zu sein. Dabei hatte sie James doch gar nicht um eine Sonderbehandlung gebeten, oder? Nichts wollte sie weniger! Nur ihren Job gut machen und vorankommen. Seine harsche Kritik schmerzte besonders, weil sie sich ehrlich Mühe gab. Doch sein überraschend heftiger Angriff wegen des fehlerhaften Reports, der missglückten Diagramme, und die Angst, den hohen Ansprüchen ihres Bosses nie genügen zu können, machten sich bei Lissa in einem unkontrollierten Ausbruch Luft.

„Glauben Sie vielleicht, ich höre so etwas zum ersten Mal?“, fragte sie gereizt. „Warum reden wir nicht offen? Nur, weil ich bin wer ich bin, muss ich mehr leisten, als jeder andere. Sie schrauben Ihre Erwartungen so hoch, dass ich gar nicht gewinnen kann!“, warf sie ihm bitter vor, zog die Unterlagen zu sich heran. Doch als sie den Pfusch sah, den sie angerichtet hatte, wurde Lissa brandrot. Aber zurückrudern konnte sie jetzt nicht mehr. „Dieses nur weil du eine Prinzessin bist, heißt das noch lange nicht blah, blah, blah, ist absolut passé! Warum lassen Sie sich nicht etwas Originelleres einfallen?“, fügte sie trotzig hinzu, obwohl sie sich innerlich krümmte.

James ließ den Ausbruch stumm über sich ergehen. Und das stoische Schweigen hielt an und an …

Wenn überhaupt möglich vertiefte sich die Farbe auf Lissas Wangen. Am liebsten wäre sie einfach in den Boden versunken, doch der tat sich leider nicht auf. Also starrte sie auf ihre Schreibtischplatte und hoffte inständig, nicht gleich am ersten Tag ihrer Begegnung mit dem Boss gefeuert zu werden.

„Tut mir leid“, murmelte sie widerwillig. „Das war wirklich nicht angemessen.“

Sie durfte diesen Job nicht verlieren! Wohin sollte sie sonst gehen?

Das lastende Schweigen zerrte an ihren Nerven. Lissa wusste, dass sie sich wie ein aufmüpfiger Teenager aufführte, und nicht wie eine erwachsene, verantwortungsbewusste Frau, die danach strebte, ihre Arbeit möglichst perfekt zu machen.

James baute sich jetzt so vor ihr auf, dass sie ihn unmöglich übersehen konnte. Als er schließlich sprach, tat er es ruhig, kontrolliert und mit einer unterkühlten Stimme, die Lissa trotz brennender Wangen frösteln ließ.

„Tatsache ist, Sie sind nun mal nicht wie jeder andere, Prinzessin.“ Aus seinem Mund klang das kaum nach einem Kompliment. „Wie sollte ich da keine Qualität erwarten? Als gebildete junge Frau mit einem Universitätsabschluss aus Paris, die sich fließend in diversen Sprachen verständigen kann und offensichtlich über ein helles Köpfchen und genügend Selbstbewusstsein verfügt, müssten Sie schon etwas mehr leisten können, als der Durchschnitt, finden Sie nicht?“

Positiv überrascht von seiner Einschätzung, hob Lissa den Kopf.

„Das Prinzessinnen-Ding ist hierbei völlig irrelevant“, fuhr er nüchtern fort. „Was zählt, ist allein Ihr Verhalten, und nicht meine Erwartung an Sie. Das einzige Problem sehe ich in Ihrem offenkundigen Widerstreben, sich herabzulassen, die Arbeit ernsthaft anzupacken und dranzubleiben …“

Peng! Das war’s auch schon mit dem wohligen Gefühl in der Magengrube! Lissa presste die Lippen fest zusammen, damit sich die alberne Trotzattacke von vorhin nicht wiederholte. Sie musste sich zusammennehmen und ihrem arroganten Boss beweisen, dass er sich irrte. Sie hatte den ganzen Vormittag über so hart gearbeitet! Leider schien sich ihre Anstrengung bisher nur nicht sichtbar niederzuschlagen …

Ihre Blicke trafen sich, und in seinem funkelte unverhohlener Sarkasmus.

„Nehmen Sie sich besser in Acht, Prinzessin. Sonst könnte ich beim nächsten Mal tatsächlich versuchen, etwas Originelles zu sagen …“

Genau genommen war das eine Drohung … oder eine Beleidigung, wenn auch mit sanfter Stimme präsentiert. Lissa spürte, wie sich die Härchen auf ihren Armen und im Nacken aufrichteten. Nicht in der Lage, etwas anderes zu tun, als ihn einfach anzustarren, sah sie plötzlich die goldenen Funken in seine dunklen Augen zurückkehren, die unversehens ein warmes Feuer in ihr entzündeten. Sie wollte etwas sagen, um die unerträgliche Spannung zwischen ihnen zu durchbrechen, doch ihr Hirn war wie leergefegt. Sekundenlang schauten sie einander nur an. Taxierend, abwartend, suchend … mit steigendem Interesse und … Verlangen.

Der überwältigende Wunsch, diesem völlig veränderten Mann näherzukommen, um sich an dem Leuchten in seinen Augen zu wärmen, machte sie ganz schwach. Unerwartet fühlte Lissa sich von heißem Begehren überflutet, dass sein Echo in James’ angespanntem Gesicht fand.

In diesem Moment zerschnitt das schrille Klingeln des Telefons die lastende Stille, und endlich gelang es Lissa, sich aus dem Bann zu befreien, der sie in seinen magischen Fängen gehalten hielt.

Als sie nach dem Hörer griff, war ihr Boss bereits in seinem Büro verschwunden und hatte die Tür hinter sich ins Schloss gezogen.

2. KAPITEL

Am nächsten Tag saß Lissa konzentriert vorm PC und versuchte, hinter die Geheimnisse und Tücken des Tabellenkalkulationsprogramms zu kommen. Obwohl sie die Grundlagen für die Erstellung von Tabellen und Grafiken in den Grundzügen beherrschte, verhielt sich dieses Softwareprogramm ihr gegenüber eindeutig feindlich. Sie kam einfach nicht weiter und landete stets wieder auf der gleichen nutzlosen Infoseite.

Trotzdem zögerte Lissa, eine der anderen Sekretärinnen um Hilfe zu bitten, um ihnen nicht die Zeit zu stehlen, und ihre eigene Unfähigkeit nicht mehr Leuten als unbedingt notwendig präsentieren zu müssen. Auch Tempo und Fehlerquote beim Tippen hatten sich über Nacht leider nicht verändert, sosehr sie auf ein Wunder hoffte. Dabei lag es eindeutig nicht an der Tastatur, die absolut identisch mit der war, die sie kannte. Doch ihre Finger schienen zu glauben, sie wolle in Suaheli schreiben.

Vorsichtshalber hielt sie den Blick gesenkt, als James aus seinem Zimmer kam, einen Ordner auf ihren Schreibtisch feuerte und wortlos das Büro verließ. Sie wusste, dass er zu einem Meeting unterwegs war. Und sie wusste, dass sie ihre Lunch-Pause dazu nutzen würde, erneute Fehler zu berichtigen, die ihr möglicherweise unterlaufen waren. James schien davon überzeugt zu sein, sie sei absolut nutzlos, und obwohl es sie kränkte, konnte Lissa es ihm nicht einmal verdenken.

Seufzend widmete sie sich wieder ihrer Arbeit, ohne Pause. Katie und eine Sekretärin aus der Buchhaltung schauten zwischendurch kurz rein und verkniffen sich ein Grinsen, als sie ihre neue Kollegin mit hochroten Wangen und aufgelöstem Haar über einem Wust von Papieren brüten sahen. Lissa wusste, dass sie sich auf ihre Kosten amüsierten, nach dem Motto: Prinzessin versucht ernsthaft zu arbeiten … und verursacht nur ein heilloses Chaos.

Lissa hasste es, zu versagen. Und noch mehr, wenn andere es mitbekamen, wie es hier tagtäglich geschah. Dabei wusste sie beim besten Willen nicht, warum sie einfach keine Linie in ihre Arbeit bekam. Irgendetwas fehlte ständig, misslang ihr oder sie übersah es einfach. Und je mehr sie sich anstrengte, desto schlimmer wurde es.

Mehr als einmal spielte sie mit dem Gedanken, alles hinzuwerfen, Alex anzurufen und um Gnade zu bitten. Sie konnte ihm ja versprechen, wie eine Nonne zu leben, wenn er sie nur nach Aristo zurückkehren ließ. Aber darauf würde ihr Bruder nicht eingehen. Er wollte sie nicht dort haben. Nicht, bevor sie ihm bewiesen hatte, was er von ihr verlangte.

Also: Kopf runter, weitermachen und nicht im Traum daran denken, in dem smarten James mehr als ihren gestrengen Boss zu sehen …

Leider Pech, dass er genau in dem Moment das Büro betrat, als Lissa sich gerade mit dem Drehstuhl vom Schreibtisch abstieß und die Sandaletten von den Füßen schleuderte, um ihre Beine mit einem wohligen Seufzer auf die Schreibtischplatte zu legen. Die Arme hoch in die Luft gereckt, um die verkrampfte Muskulatur zu entspannen.

Der Nachmittag drohte sich wie eine endlose Durststrecke vor ihr auszudehnen. Doch es winkte Trost: Sobald Feierabend war, wollte Lissa in ihr Apartment fahren, sich umziehen und auf der Einweihungsparty einer neuen Bar, im angesagtesten Viertel von Sydney, allen Frust abtanzen und – feiern.

Jetzt verharrte sie allerdings schockiert in ihrer peinlichen Position und errötete unter James’ sengendem Blick. Bedächtig ließ er ihn von ihren Knöcheln angefangen über die endlos langen Beine und den Körper, bis hinauf zu ihrem Gesicht gleiten, das inzwischen die Farbe einer reifen Tomate angenommen hatte. Dabei kam er Schritt für Schritt auf sie zu, bis er direkt vor dem Schreibtisch stand.

Er bemühte sich gar nicht erst, Missbilligung und Widerwillen zu kaschieren. „Haben Sie jemals überhaupt auch nur versucht, das Prinzip ernsthafter Arbeit zu ergründen?“, fragte er schneidend und stützte sich mit beiden Händen auf der Tischkante ab. Zu ihrer Verblüffung blitzte in seinen Augen plötzlich ein übermütiger Funke auf. „Ist es das, was Sie auch im Bett bevorzugen, Prinzessin? Sich einfach faul zurücklegen und anderen die Arbeit zu überlassen …?“

Lissa schwang sie die Beine vom Tisch und rollte mit dem Stuhl nach vorn, um sich vor ihm zu verbergen. Als sie in ihrer Verlegenheit nach einem Schriftstück greifen wollte, umfasste er rasch ihre Hand und studierte aufmerksam die perfekt manikürten und lackierten Fingernägel.

„Schon mal Dreck unter den Nägeln gehabt? Ich meine von ehrlicher, harter Arbeit?“

Mit einer heftigen Geste entriss sie ihm ihre Hand. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und das einzige Wort, das in ihrem Kopf widerhallte war: Bett

Die Atmosphäre im Raum war plötzlich so elektrisch aufgeladen, dass es zu knistern schien. Doch keiner von ihnen beiden dachte daran, die Notbremse zu ziehen, um eine mögliche Katastrophe zu verhindern. Dafür waren die Versuchung und der Reiz viel zu groß.

Lissa fragte sich insgeheim, was sie anstellen müsste, um das herausfordernde Glimmen in James’ Augen zum Aufflammen zu bringen.

Noch während sie überlegte, sah sie den Schatten, der über sein Gesicht zog und riss sich in letzter Sekunde zusammen. Trotz des überwältigenden Verlangens, das sie förmlich in seine Arme trieb, erinnerte sie sich mit letzter Kraft daran, weshalb sie hier war. Sie durfte ihre Zukunft nicht für ein erotisches Intermezzo aufs Spiel setzen. Ebenso wenig ihre Glaubwürdigkeit unterminieren, indem sie auf diese gefährliche Weise mit ihrem Boss flirtete!

Also richtete sie sich kerzengerade auf und wies mit dem Kopf auf den Monitor. „Ich bringe Ihnen den Bericht gleich in Ihr Büro“, informierte sie James kühl. „Ich muss ihn nur kurz überfliegen und ausdrucken.“

Langsam richtete er sich zu seiner stattlichen Größe auf. Das gefährliche Glitzern in seinen Augen hatte einem Ausdruck Platz gemacht, der an Respekt grenzte. „Großartig.“ Und damit war er auch schon verschwunden.

Lissa saß noch sekundenlang wie erstarrt da. Sie hatte es tatsächlich fertiggebracht, der Versuchung zu widerstehen und ihr Gesicht zu wahren! Warum fühlte sie dann diesen Anflug von Enttäuschung? Lautlos zählte sie von eins bis hundert, schnappte sich den ausgedruckten Report und den Terminplaner, in dem sie alle Geschäftsmeetings für die kommende Woche festgehalten hatte.

James nahm beides wortlos entgegen, doch nach dem ersten Blick in den Kalender schwand das angedeutete Lächeln und seine Miene verfinsterte sich. Lissa spürte, wie ihr Herz schmerzhaft gegen die Rippen pochte. Sie hatte doch hoffentlich nicht schon wieder etwas falsch gemacht?

„Tatsächlich bin ich ein Mann mit vielen Talenten“, sagte er gedehnt. „Doch dazu gehört nicht, dass ich an zwei Orten zur gleichen Zeit sein kann.“

„Wie meinen Sie das?“

„Montag, drei Uhr am Nachmittag …“, zitierte er, „… haben Sie mich einmal für eine Konferenzschaltung eingetragen und gleichzeitig meine Teilnahme an einer Präsentation zugesagt.“

Fassungslos starrte Lissa auf die fragliche Stelle im Kalender und schluckte heftig.

„Schauen Sie, Prinzessin …“

„Ich werde das sofort in Ordnung bringen“, unterbrach sie ihren Boss hastig. Sie streckte die Hand aus und schaute ihn flehend an. Wie sollte sie es ertragen, wenn er sie jetzt auch noch aufgeben würde. Wenigstens nicht so schnell!

James zögerte kurz, dann hob er gleichmütig die Schultern und händigte ihr den Terminplaner aus.

„Danke, das werden Sie nicht bereuen …“, flüsterte sie und eilte zurück ins Vorzimmer. Zum Glück hatte sie noch keine E-Mails an die anderen Teilnehmer und Geschäftspartner rausgeschickt!

James wusste sehr gut, dass er niemals diesen despektierlichen Kommentar über das Bett hätte anbringen dürfen. Das war unpassend und kaum professionell zu nennen. Doch weil es ihm nun mal entschlüpft war, hatte er das Gefühl, Lissa wenigstens noch eine letzte Chance einräumen zu müssen.

Andererseits … wirklich bereuen konnte er seine Unverschämtheit nicht, wenn er an den Ausdruck auf ihrem Gesicht zurückdachte. Der war wirklich unbezahlbar gewesen! In der ersten Sekunde absolut schockiert, in der nächsten extrem animiert. So, wie er sich bereits den ganzen Tag über gefühlt hatte.

Sie in ihrem Schreibtischstuhl hingegossen zu sehen, die schlanken Beine auf der Schreibtischplatte drapiert, sodass der enge Rock hochrutschte und noch mehr gebräunte seidige Haut sehen ließ als ohnehin schon, hatte ihn fast umgeworfen. Was hätte ihm da anderes in den Sinn kommen können, als eine betörend erotische Fantasie: Prinzessin Elissa Karedes, wie sie sich lasziv auf seinem King-Size-Bett räkelte, der perfekte Körper erhitzt und mit winzigen Schweißperlen bedeckt … das ebenmäßige Gesicht gerötet, aber diesmal vor brennender Lust und zügelloser Leidenschaft …

Einen winzigen magischen Moment lang hatte er es in ihren Augen aufblitzen sehen. Doch sie hatte ihrem Gefühl nicht nachgegeben, sondern sich blitzschnell hinter einem unsichtbaren Vorhang verschanzt. Warum? Und warum der wachsame Blick, den sie schnell hinter gesenkten Lidern zu verbergen suchte?

Dieser unerwartete Rückzug faszinierte und reizte ihn. Er forderte James heraus und beflügelte seine Fantasie nur noch mehr, obwohl das kaum notwendig war!

Und vor allem … was ging es ihn an, wie diese Frau, die so wankelmütig wie das Aprilwetter war, tickte? Dass sie sich nicht wohl in ihrer Haut fühlte, war offensichtlich. Wahrscheinlich machte es ihr zu schaffen, zum ersten Mal in ihrem Leben richtig arbeiten zu müssen.

James schaute auf seine Uhr und seufzte. Verdammt! Er war ziemlich mit seiner Arbeit im Rückstand! Und alles nur wegen seiner neuen Sekretärin, die heute pünktlich auf die Minute genau Feierabend machte, ihren Schreibtisch verließ und offensichtlich nicht schnell genug aus dem Büro verschwinden konnte.

Sollte ihm nur recht sein. Endlich lag die Kontrolle über seine Gedanken und seinen Körper wieder bei ihm, sodass er sich voll und ganz auf die Arbeit konzentrieren konnte.

Es war ohnehin dumm von ihm, auch nur eine Sekunde seiner kostbaren Zeit zu verschwenden, um über eine Frau nachzugrübeln, die so unstet, so wenig vertrauenswürdig war wie sie. Eine vergnügungssüchtige, untreue Freundin war mehr als genug! Die Narben waren kaum verheilt und schmerzten immer noch höllisch. Noch dazu wurden sie durch die Konfrontation mit dem katastrophalen Zustand der Ehe seiner Eltern täglich gereizt. Langfristige monogame Beziehungen konnten einfach nicht funktionieren.

Kurze, reizvolle Affären … immer gerne!

Aber Lissa war seine Angestellte und kam somit für diese Variante auf keinen Fall in die engere Wahl. Noch schwerer wog allerdings ihre ständige Präsenz in den Medien. Was James betraf, reichte ihm die zweifelhafte Popularität, die er durch einen einzigen Auftritt dieser Art erlangt hatte! Also war es wohl das Beste, Prinzessin Elissa Karedes fortan einfach zu ignorieren …

Natürlich war sie da! Auf der Eröffnungsparty der neuen Bar, und zwar in glamourösester It-Girl-Aufmachung!

James entdeckte sie sofort. Aber wie hätte er sie auch übersehen können, in dem aufsehenerregenden schwarzen Kleid, das sich um ihre aufregend weiblichen Kurven schmiegte wie eine zweite Haut, bevor es unterhalb der Hüften glockenförmig auseinandersprang. Als sie sich bewegte, sah man die Schlitze auf beiden Seiten, die der Trägerin freie Bewegung, und dem Betrachter einen freizügigen Blick auf ihre unglaublich langen Beine gewährten. Das glänzende Haar fiel in weichen Wellen über den Rücken bis fast zur Taille hinab, und wieder wurde James von dem Verlangen erfasst, seine Finger darin zu vergraben und es auf seinem Körper zu spüren, wie einen seidenen Fächer …

Und dann entdeckte sie ihn.

Lissa hielt gerade den Kopf zur Seite geneigt und lachte über etwas, das ihr ein offenkundiger Verehrer ins Ohr flüsterte, als sich ihre Blicke trafen. Das Lachen verebbte, aber auf den vollen roten Lippen blieb ein Lächeln, während das mutwillige Funkeln in den strahlenden Augen erstarb.

James gab sich einen Ruck und ging gemächlich auf sie zu. Dabei grüßte er nach rechts und links, während Lissa sich weiter mit einigen Partygästen unterhielt, die sie umringten, wobei ihr Blick immer wieder in Richtung ihres Bosses abschweifte. Als er sie fast erreicht hatte, unterbrach sie das launige Geplauder und trat aus dem Kreis heraus auf ihn zu.

Damit wollte sie offenbar die besondere Art der Beziehung zwischen ihnen demonstrieren, was ihm ziemlich schmeichelte. Obwohl James das nie zugegeben hätte. Nicht einmal vor sich selbst! Sicher, er war ihr Arbeitgeber, aber daneben bewegten sie sich immerhin auf einem ähnlich hohen gesellschaftlichen Niveau.

„Sie haben gar nichts davon erwähnt, dass Sie heute Abend auch hier sein würden.“ Er hätte sie sonst ohne Weiteres in seinem Wagen mitnehmen können.

„Ich bin Ihnen gegenüber allein über meine Arbeitszeit auskunftspflichtig, soweit mir bekannt ist“, entgegnete sie kühl. „Es überrascht mich allerdings, Sie hier zu sehen. Ich dachte, Sie hätten noch einen Berg Arbeit zu bewältigen.“

James grinste. Wie es aussah, hatte sie seine kleinen Sticheleien vom Nachmittag noch nicht abgehakt, aber das wollte er ihr nicht nachtragen. Anstatt einen passenden Kommentar abzugeben, konzentrierte er sich lieber auf den Anblick ihrer zarten Füße und die aufsehenerregenden Schuhe, in denen sie steckten. Es erschien ihm unmöglich, wie derartig dünne und hohe Absätze auch nur das Gewicht einer Katze tragen konnten – geschweige denn, einer erwachsenen Frau.

„Sind Sie nicht schon groß genug, Prinzessin?“, fragte er ironisch.

Ein Lächeln, so hinreißend und strahlend, dass es ihn blendete, blitzte auf, während sie so dicht an ihn herantrat, dass nichts mehr von einem professionellen Sicherheitsabstand zwischen Boss und Sekretärin zu spüren war. Als James ihrem herausfordernden Blick begegnete, klopfte sein Herz zum Zerspringen. Lissa legte den Kopf zurück, was sie noch ein paar Zentimeter größer erscheinen ließ, und kam immer näher. Jeder Nerv in seinem Körper war zum Zerreißen angespannt. Durch die leicht geöffneten Lippen sah er das Weiß der Zähne aufblitzen und die Spitze ihrer rosigen Zunge …

Zur Hölle! Sie wollte ihn offensichtlich küssen! Und er stand da, wie ein unerfahrener Teenager, anstatt sich wie ein Mann zu benehmen! Doch gerade, als er sich vorbeugte, um endlich die Initiative zu übernehmen, hob sie die flache Hand und maß den Unterschied zwischen ihrer und seiner Augenpartie ab.

„Scheint nicht so“, stellte sie nüchtern fest.

Scheint nicht so? Hatte er irgendetwas Entscheidendes verpasst?

„Sie überragen mich immer noch um … na, sagen wir vier bis fünf Zentimeter.“

Verdammt! Sie beantwortete nur seine rhetorische Frage, und er bildete sich ein …

Als er Lissas tanzendem Blick begegnete und das amüsierte Lächeln um den weichen Mund sah, hätte James ihr am liebsten zu diesem kleinen Geniestreich applaudiert, allerdings ließ das seine gekränkte Männlichkeit nicht zu. Doch bereits in der nächsten Sekunde wurde sein Ego schon wieder gestreichelt, als er sah, wie sich der Ausdruck in ihren Augen veränderte. Es fehlte nur ein kleiner Anstoß, um aus dem kleinen Spielchen Ernst zu machen, und den vorgetäuschten Kuss Wirklichkeit werden zu lassen.

Das war unübersehbar, und sie wussten es beide …

Ehe er entscheiden konnte, wohin das führte, war Lissa plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Obwohl das Unsinn war. Mit ihrer natürlichen Körpergröße, die noch durch die mörderischen High Heels unterstützt wurde, war sie zwischen den anderen Partygästen leicht auszumachen.

Selbst, wenn sie einen Meter kleiner wäre, würde sie die anwesenden Frauen locker überstrahlen, fuhr es ihm ungebeten durch den Kopf. James schluckte mühsam und überlegte, was er zuerst brauchte. Frische Luft oder einen starken Drink.

Da er mit dem Wagen hier war, entschied er sich fürs erstere, trat vor die Tür und atmete ein paar Mal tief durch. Nachdem er eine Weile reglos dagestanden hatte, kam er zu einem Entschluss. Es hatte keinen Zweck, sich etwas vorzumachen, oder zu versuchen, die Anziehung zwischen Lissa und ihm zu verleugnen. Stattdessen wollte er sie sich zunutze machen. Dabei musste er nur geschickt vorgehen …

Bamm, bamm, bamm!

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis Lissas Herzschlag sich normalisierte. Ihr alberner kleiner Flirt hatte ihr das alarmierendste Herzrasen ihres gesamten Lebens beschert! Wer weiß, ob sie es überlebt hätte, wäre sie nicht so jung und bei stabiler Gesundheit. Und wenn das so bleiben sollte, gab es nur eines. Sie musste sich zukünftig unter allen Umständen von James Black fernhalten!

Doch sie hatte keine Ahnung, wie sie das aushalten sollte …

Es war das erste Mal, dass sie ihn in Gesellschaftskleidung sah. Und ein klassischer Smoking veränderte jeden Mann. Was James betraf, katapultierte er ihn eindeutig in die Götterriege! Selbst Adonis musste hinter so viel herausfordernder Männlichkeit zurückstehen.

Mit den klassisch ebenmäßigen, fast strengen Gesichtszügen, der hochgewachsenen, schlanken Gestalt mit den breiten Schultern brachte er ihre Knie zum Zittern. Doch was sie bis ins Innerste erbeben ließ, war diese unfassbare Aura, die ihn umgab. Sein Charisma. Er gehörte zu der Art von Menschen, denen alle Blicke zuflogen, wenn sie einen Raum betraten. Denen man einfach nur nahe sein wollte …

Lissa schauderte unwillkürlich.

Sie konnte es kaum fassen, wie nahe sie ihm eben gewesen war! Und wie kurz sie davor gestanden hatte, ihn zu küssen … aus einem fast übermächtigen Impuls heraus, den sie sich nicht erklären konnte. Obwohl … dieser maskuline, frische, klare Duft … einfach nur eine herbe Seife und Mann …

„Sind Sie darin nicht meiner Meinung, Lissa?“

„Verzeihung …?“, brachte sie heiser hervor und versuchte sich zu orientieren. Vielleicht sollte sie ihre erotischen Träume lieber auf später vertagen, wenn sie allein war. Oder noch besser, sie ein für allemal begraben!

Mit strahlendem Lächeln wandte sie sich wieder ihrer Gesellschaft zu und versuchte, die Party so gut wie möglich zu genießen. Das war wenigstens ein Terrain, auf dem sie sich zurechtfand. Hier kannte sie die Regeln und beherrschte den einen oder anderen Trick, den sie in Paris gelernt hatte. In erster Linie ging es schließlich darum, neue Leute kennenzulernen und Spaß zu haben. Dabei half Lissa ihre angeborene Neugier, was Menschen betraf.

Im Moment interessierte sie sich allerdings vornehmlich für James Black. Mit versteckten Seitenblicken konnte sie feststellen, dass es ihm offenbar keine Mühe bereitete, jeden in seinen Bann zu ziehen, dem er sein seltsam zurückhaltendes und dennoch unwiderstehliches Lächeln schenkte.

Mich eingeschlossen! dachte Lissa voller Selbstironie und legte eine Hand auf ihr wild hämmerndes Herz, als sich ihre Blicke für einen Sekundenbruchteil erneut begegneten.

Während er seinen eigenen sozialen und geschäftlichen Verpflichtungen nachging, beobachtete James, wie die Prinzessin ihren Part in diesem Gesellschaftsspiel absolvierte – lächelnd, ein Glas Champagner in der schlanken Hand, an dem sie nur hin und wieder nippte.

Das vergnügte Funkeln in ihren Augen war also keinesfalls auf den Einfluss von Alkohol zurückzuführen. Offenbar hatte sie derartige Hilfsmittel nicht nötig, um sich königlich zu amüsieren. Sie sprach die anderen Gäste mit ihren Namen an und nahm sich bewusst Zeit, mit jedem ein paar Worte zu wechseln – inklusive jener Klientel, die offensichtlich darauf erpicht war, wenigstens einmal im Leben mit einer echten Prinzessin zu plaudern. Als wäre sie die Gastgeberin des Abends, dachte James mit widerwilliger Bewunderung.

Und wo bleibe ich? schoss es ihm plötzlich völlig unsinnigerweise durch den Kopf.

Lissa die ganze Zeit vor Augen zu haben und nicht einmal berühren zu können, machte ihn langsam verrückt. Erst heizte sie seine Libido an, bis sie sicher war, dass er unrettbar am Haken hing, und dann servierte sie ihn kalt lächelnd ab. Aber dafür würde sie bezahlen. Doch jetzt musste er unbedingt Abstand zu ihr halten.

Besonders, weil sich inzwischen eine Gruppe von Paparazzi Einlass verschafft hatte. Und an der Seite der Prinzessin im Gesellschaftsteil der Zeitung verewigt zu werden, war das Letzte, was James sich wünschte. Also behielt er Lissa weiter im Auge und brütete düster vor sich hin.

Langsam verstand er, warum Alex’ kleine Schwester Partys liebte … sie war wirklich gut. Vielleicht wäre es besser, sie suchte sich in diesem Metier einen Job. Sich als Sekretärin beweisen zu wollen, war jedenfalls ungefähr so Erfolg versprechend, wie einer Giraffe Roller-Skating beizubringen!

Doch er durfte nicht ungerecht sein und musste zugeben, dass sie sich zumindest redlich Mühe gab.

Auf seinem Weg nach draußen konnte James der Versuchung einfach nicht widerstehen. Ich bin die Motte, und sie ist das Licht, schoss es ihm durch den Kopf. Über ein derart abgegriffenes Klischee musste er selbst lachen. Außerdem war er viel zu schlau und vorsichtig, um sich zu verbrennen. Aber vielleicht ein wenig wärmen …?

„Soll ich Ihnen ein frisches Glas besorgen? Sie haben Ihres ja kaum angerührt. Der Champagner ist inzwischen unter Garantie schal.“

Lissa drehte sich langsam zu ihm um, und der Partygesellschaft damit den Rücken zu. „Ich werde später, wenn alle weg sind, die Reste aus den Flaschen trinken“, witzelte sie, entschlossen, den Ton zwischen ihnen leicht zu halten.

„Ah, dann eröffnen Sie den Abend also als elegante Dame und beenden ihn als wildes Partygirl?“, ging er ohne zu zögern auf ihren Jargon ein.

Sie grinste. „Tja, manche Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen.“

„Dann sollte ich vielleicht doch noch ein wenig bleiben und mich später an ihre Fersen heften. Einfach nur, um auch ihre wilde Seite kennenzulernen.“

„Das kann bis nach Mitternacht dauern“, warnte sie ihn. „Wahrscheinlich zu spät für Sie.“

„Wann haben Sie denn vor zu gehen?“

„Wenn mir danach ist“, kam es sofort zurück.

James’ Lächeln fiel rasiermesserdünn aus. „Um morgen früh mit der Frische eines Tausendschönchen zu Ihrer Arbeit anzutreten?“

Lissa versteifte sich. „Mein Privatleben hat keinen Einfluss auf meinen Job.“

„Ist das so?“

„Natürlich! Privates und meinen Job halte ich grundsätzlich auseinander!“

„Und darauf kann ich mich verlassen …?“ Es war nicht allein der ungläubige Ton und kaum verhohlene Sarkasmus in seiner Stimme, der heiße Röte in ihre Wangen trieb. Dass er die ganze Zeit über den Blick fest auf ihren Mund gerichtet hielt, konnte nur eine nonverbale Anspielung auf den Fast-Kuss von vorhin sein, den sie trotzdem nicht bereute. Dafür hatte es ihr viel zu gutgetan, ihren Boss wenigstens für einen winzigen Moment aus seiner unerschütterlichen Ruhe gebracht zu haben.

Er hatte diesen Kuss ebenso gewollt wie sie. Davon war Lissa überzeugt. Und dieses Wissen gab ihr die Kraft für einen eleganten Abgang.

„Wir sehen uns dann morgen“, teilte sie James mit einem leichten Neigen des Kopfes mit, und brachte ihn damit unerklärlicherweise zum Lachen.

„Wo immer Sie wünschen, Prinzessin. Sollten Sie allerdings das Büro meinen, werden Sie dort allein sitzen. Morgen ist nämlich Samstag …“

3. KAPITEL

Lissa war so müde, dass sie leicht eingeschlafen wäre, hätte sie nicht ununterbrochen James’ attraktives Gesicht vor Augen gehabt. So verbrachte sie eine unruhige Nacht, in der er durch ihre Träume geisterte, und als sie spät am Morgen die Augen aufschlug, machte ihr Kopfkino da weiter, wo beim Einschlafen der Film angehalten hatte …

Sie wusste einfach nicht, was sie von James’ widersprüchlichem Verhalten ihr gegenüber denken sollte. In einer Sekunde zog er sie mit den Blicken fast aus, in der anderen las sie nur Missbilligung und Sarkasmus in seinen dunklen Augen. Die Anziehung zwischen ihnen war nicht zu leugnen, doch die Umstände waren eindeutig nicht auf ihrer Seite.

Wenn ihm der Smoking nur nicht so verdammt gut stehen würde! Zum Glück hatte sie ihn noch nie in Freizeitkleidung sehen müssen! Die Vorstellung, seinen athletischen Körper in verwaschenen Jeans und weißem T-Shirt …

Energisch verbot Lissa sich derart gefährliche Tagträume, stand rasch auf und sprang unter die Dusche. Das Rauschen des Wassers unterbrach wenigstens für eine Weile die lastende Stille in ihrem leeren Apartment. Anschließend schlüpfte sie in hautenge Jeans und ein bequemes Leinenhemd. Auf Make-up verzichtete Lissa ganz, und nach einem zusammengewürfelten späten Frühstück, oder frühem Lunch, beschloss sie, zeitiger als geplant aufzubrechen.

Da die nächtlichen Fahrten mit dem Taxi schon viel zu viel von ihrem nicht gerade fürstlichen Verdienst als Sekretärin verschlangen, hatte sie sich nach dem Albtraum der letzten Woche, wo im Büro alles schiefgelaufen war, vorsichtshalber mit den Tücken des öffentlichen Nahverkehrs vertraut gemacht. Inzwischen wusste sie genau, mit welchem Bus und welchem Zug sie wohin gelangen konnte. Jetzt musste sie es nur noch schaffen, rechtzeitig am Bahnhof zu sein. Lissa schnappte sich eine bereitstehende Kiste mit Naschkram, die überraschend schwer war, und verließ das Apartment. Der Lift brachte sie bequem nach unten, und während sie die großzügige Lobby durchquerte, ärgerte sie sich bereits, dass sie nicht ihren Rollkoffer genommen hatte, anstatt sich derart zu plagen. Aber dazu war es nun zu spät.

Zu allem Überfluss verlor sie beim Laufen auch noch einen ihrer bequemen Slipper, der wie ein Boot über den polierten Marmorboden davon segelte.

„Verdammt!“

„Wo wollen Sie denn hin?“

Lissas Kopf flog herum. James! Was hatte der denn hier verloren? „Zum Bahnhof“, antwortete sie automatisch.

„Und was schleppen Sie da mit sich herum?“

Diese Frage ignorierte Lissa, da sie durch sein Äußeres extrem abgelenkt wurde. Sie hatte recht behalten mit ihrer Ahnung, was James’ Astralkörper und Jeans betraf! Die Art und Weise, wie sie seine schmalen Hüften und muskulösen Schenkel umschlossen – nicht zu eng und nicht zu locker – war so atemberaubend sexy, dass ihr die Luft wegblieb.

„Was … was tun Sie hier …?“, stieß sie gepresst hervor.

„Ich wohne oben im Penthouse.“

„Oh.“ Lissa wandte mit Mühe den Blick von ihm ab und hangelte mit dem nackten Fuß nach ihrem Slipper, wobei die Kiste auf ihren Armen bedenklich ins Schwanken geriet.

„Kann ich helfen?“

„Nein danke.“ Cool und professionell bleiben! mahnte sie sich. Weder an die heißen Jeans denken, noch darüber fantasieren, wie sein Penthouse wohl eingerichtet sein mochte. Beides ging sie absolut nichts an!

Inzwischen hatte James ihr die Kiste einfach abgenommen. „In welchen Teil der Stadt wollen Sie denn mit diesem sperrigen Gepäckstück?“

„Oh … hmm, nur auf die andere Seite von Chatswood.“

„Und warum?“

Lissa hob vage die Schultern und versuchte immer noch, sich zu fassen. „Ich habe dort etwas zu tun.“

James schob die Brauen zusammen. „Da ich ohnehin rausfahre, werde ich Sie mitnehmen und absetzen, wo Sie wollen.“

„Oh nein … danke, James …“ Sie brach ab, als sie bemerkte, dass sie nur noch mit seinem Rücken sprach. Ihr Boss stand bereits am Lift, der sie ins Untergeschoss bringen würde. Wortlos folgte sie ihm. Bis sie in der Tiefgarage ausstiegen, wo er zügig auf ein schnittiges Cabrio zusteuerte, fiel kein weiteres Wort. Und zu Lissas großer Erleichterung auch nicht während der Fahrt. Sie nannte ihm nur die Adresse, und das war’s.

So blieb ihr ausreichend Zeit, sich von dem Schock zu erholen, dass sie beide im gleichen Haus lebten. Und um ihren Chauffeur möglichst unauffällig noch ein wenig genauer zu betrachten. Nach wenigen Sekunden entschied Lissa, dass sie besser aus dem Fenster schaute, wenn sie nicht alle guten Vorsätze skrupellos über den Haufen werfen wollte. Ihr Herzrasen würde sie allerdings kaum in den Griff bekommen, solange sie …

„Werden Sie hier lange brauchen?“, fragte James, während er den Wagen an den Straßenrand lenkte.

Fast hätte Lissa gekichert, so sehr erinnerte er sie mit dem grimmigen Gesicht und den inquisitorischen Fragen an die Bodyguards, die ihr in Aristo immer auf Schritt und Tritt folgten. „Ein, zwei Stunden denke ich“, erwiderte sie vage. Sie wollte nur eine Weile mit den Mädchen herumhängen, plaudern und, was viel wichtiger war, zuhören.

„Passt mir gut“, behauptete James. „Ich hole Sie dann wieder ab.“

Das war kein Angebot, sondern ein Statement, und Lissa wusste, dass es keinen Zweck hatte, zu widersprechen. Warum sollte sie sich also nicht auch zurückchauffieren lassen? „Danke, sehr nett von Ihnen …“

Zwei Stunden später saß James draußen am Steuer seines offenen Sportflitzers und wartete. Weitere zwanzig Minuten später stieg er aus. Nicht, dass er sich Sorgen machte. Der Prinzessin ging es sicher bestens.

Kaum, dass er sie hier abgesetzt hatte, war er in sein Büro gefahren, um den Namen des Gebäudes zu googeln, in dem sie so rasch verschwunden war. Atlanta House, eine soziale Einrichtung für junge werdende Mütter, in der sie bleiben konnten, bis ihr Baby geboren war. Ein sicherer Platz, an dem sie ihre Schulausbildung weiterführten und alles Notwendige übers Elternsein lernten. Ein Ort, wo sie willkommen waren, wenn niemand sonst sie unterstützte.

Und ein perfekter Wohltätigkeitsjob für die Prinzessin. Kein schlechter Schachzug, eingedenk der Ermahnungen ihres Bruders Alex. Immerhin ist es das, was alle reichen und hochwohlgeborenen Society-Ladys tun, dachte James zynisch. Ganz vorneweg meine eigene Mutter. Ein Komitee für dies, eine Charity-Gala für das …

Kein Zweifel, dass Lissa hier ihren Auftritt als wohltätiger Engel ebenso erfolgreich und überzeugend absolvierte wie als Party-Queen am Abend zuvor! Aber wofür mochte nur diese unförmige, schwere Plastikkiste sein?

Nachdem er geklopft hatte, wurde ihm die Tür von einem hochschwangeren Teenager geöffnet. Die Augen des Mädchens wurden bei seinem Anblick kugelrund. Ihr Blick wanderte von ihm zu seinem im Halteverbot geparkten Sportwagen und wieder zurück.

James fragte nach Lissa.

„Sie ist im Aufenthaltsraum bei den anderen. Ich werde sie holen …“ Damit wandte sie sich ab und eilte kichernd davon.

James betrat das Foyer und schaute um sich. Sein Blick blieb an einer riesigen Pinnwand hängen – gespickt mit Bildern von jungen Müttern, die ihre neugeborenen Babys in den Armen hielten. Fotos, Postkarten, Briefe und Berichte über persönliche Erfolge. Fast erwartete er auch noch Lissa zu sehen, den prominentesten Gast dieser Einrichtung, umgeben von Teenie-Müttern, die sie anhimmelten.

Die schrille Stimme des Mädchens, das ihm die Tür geöffnet hatte, drang bis zu ihm in die Eingangshalle.

„Lissa, da ist ein echt heißer Typ draußen, der dich sehen will!“

Es folgte ein Laut, der eindeutig Unmut ausdrückte. „Zur Hölle! Ist es schon so spät?“ Gelächter, Wortgeplänkel, Aufbruchsgeräusche.

„Wow, du bist schneller als der Blitz!“

„Ist er dein Freund?“

„Nein!“ Das kam prompt und hörte sich sehr entschieden an.

„Dein Bodyguard?“, fragte ein anderes Mädchen.

James hob voller Selbstironie die Brauen, als er sich dabei ertappte, an der Idee Gefallen zu finden. Wahrscheinlich lag es an diesem speziellen Ort, dass sein Beschützerinstinkt unerwartet aufflammte.

„Er ist nur mein Boss.“

Du musst arbeiten, Lissa?“

„Jeder muss arbeiten, Sandy“, kam es leichtherzig zurück.

„Aber du bist eine Prinzessin.“

„Auch die müssen essen, und ich bin eigentlich immer hungrig.“

Eine Woge von Gelächter schien Lissa und die Mädchen in Richtung Foyer zu tragen. Als Lissa im Türrahmen erschien, war das Mädchen von vorhin an ihrer Seite, und dahinter drängte sich ein neugieriges Gesicht ans andere.

James starrte sie fasziniert an und merkte plötzlich, wie sich sein Mund zu einem breiten Lächeln verzog. Ungeschminkt, in ihren engen Jeans und dem lässigen Hemd, wirkte die Prinzessin kaum älter als ihre Schützlinge, mit denen sie offensichtlich sehr vertraut war. Ihre Wangen glühten, und als sich ihre Blicke begegneten, vertiefte sich die Farbe noch.

Während sie auf ihn zukam, balancierte sie wieder diese sperrige Kiste auf den Armen.

James sog ihren reizenden Anblick in sich hinein wie ein Verdurstender nach einem langen heißen Wüstentrip. Heute erschien sie ihm noch viel attraktiver und begehrenswerter, als gestern Nacht in der Bar. Und einen verrückten Moment lang stellte er sich vor, wie Lissa wohl als werdende Mutter aussehen mochte …

„Tut mir leid, James, aber mir ist das Zeitgefühl irgendwie abhanden gekommen. Habe ich Sie sehr lange warten lassen?“

Sofort schüttelte er den Kopf und nahm ihr die Kiste ab, wobei er peinlichst darauf achtete, ihre schmalen Hände keinesfalls zu berühren und jeden Blickkontakt zu vermeiden, aus Angst, er könne sich womöglich verraten. Vor seinem inneren Auge lief ein Film ab, den er einfach nicht stoppen konnte. Der Titel bestand aus einem einzigen Wort: SEX … und die beiden Hauptdarsteller waren Lissa und er.

„Ich bin bald wieder bei euch, okay?“, verabschiedete die Prinzessin sich von den Mädchen, die wild auf sie einschnatterten, sich überschäumend bedankten und deutliche Vorfreude aufs nächste Mal bekundeten.

James war nicht entgangen, dass Lissa kein Datum genannt hatte, wann sie ihren Besuch wiederholen wollte, und die Bitterkeit ob ihrer Oberflächlichkeit, für die er sich zwischendurch sogar geschämt hatte, kehrte postwendend zurück. Dabei nahm er ihr durchaus ab, dass sie vorhatte, wiederzukommen. Wahrscheinlich dann, wenn sie sich langweilte und nichts Besseres zu tun hatte.

James war froh, dass ihm Lissa selbst gerade noch rechtzeitig wieder die Augen geöffnet und davor bewahrt hatte, sich womöglich lächerlich zu machen. Einen effektiveren Dämpfer für sein brennendes Verlangen hätte es nicht geben können.

„Und, hat es wenigstens Spaß gemacht?“

Sein sarkastischer Ton ließ sie aufhorchen. „Mir schon … ich hoffe, den anderen auch …“, erwiderte sie leise.

Bildete er sich die Unsicherheit in ihrer Stimme nur ein? „Davon bin ich fest überzeugt“, versicherte er spontan. „Solange ich dort war, habe ich nur lautes Lachen und Kichern gehört.“

„Ja … das stimmt.“ Ihre steifen Schultern schienen sich zu entspannen, und als James zur Seite schaute, verursachte ihm das sanfte Lächeln auf ihren Lippen ein seltsames Gefühl im Magen. Es war, als erinnere sie sich an etwas ganz Besonderes. Sie wirkte so … zufrieden und glücklich. Am besten, er sagte gar nichts mehr, um ihre angenehmen Gedanken nicht zu stören oder sich womöglich doch noch lächerlich zu machen.

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln dauerte der Weg zu ihrem Apartment über eine halbe Stunde, doch in einem Sportwagen, und dank James’ Fahrweise, stieg Lissa bereits nach fünfzehn Minuten in der Tiefgarage aus und griff nach ihrer Kiste, die auf dem Rücksitz stand.

„Vielen Dank fürs Mitnehmen und Abholen. Tut mir wirklich leid, dass ich Sie habe warten lassen.“

„Kein Problem.“

Schon jetzt kämpfte James gegen ein Verlustgefühl an, das er sich selbst nicht erklären konnte. Er wollte sie nicht gehen lassen. Er wollte … er wollte mehr Zeit mit ihr verbringen. Dabei ging es ihm in diesem Moment nicht einmal ums Bett wie bisher, sobald er an Lissa dachte. Einfach nur ums Zusammensein.

Seite an Seite liefen sie zum Lift hinüber. James steckte eine Code-Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz und tippte eine Nummer ein, ehe Lissa auch nur reagieren konnte.

„Sie sehen müde aus. Trinken wir einen Kaffee bei mir“, schlug er vor, ohne sie anzusehen.

Lissa suchte seinen Blick, schien einen Moment zu überlegen, dann seufzte sie leise. „Okay, ich könnte wirklich einen Schluck Kaffee vertragen“, gab sie nach und fragte sich insgeheim, ob sie nicht gerade einen großen Fehler beging.

Sobald sich in der obersten Etage die Tür öffnete, und zwar direkt in der großzügigen Diele des Penthouses, nahm James ihr die Kiste ab, stellte sie zur Seite und lief voran in Richtung Küche.

Lissa blieb dicht hinter ihm. Mit jedem Schritt zweifelte sie mehr an der Richtigkeit ihrer spontanen Entscheidung. Sie vermochte nicht einmal zu beurteilen, in welcher Stimmung James sich gerade befand. Spielte er wieder den Zyniker oder …?

Mit Sarkasmus und Misstrauen konnte sie auf jeden Fall besser umgehen. Das würde sie wenigstens davon abhalten, James näherzukommen. Die Art, wie er seine Jeans trug, war dazu auf keinen Fall angetan! Ebenso wenig wie das Lächeln, das er den aufgeregten Mädchen geschenkt hatte. Er war ein Charmeur, ein Don Juan, ein Herzensbrecher …

Unversehens begannen alle Alarmglocken in Lissas Hinterkopf zu schrillen. Sie müsste längst in ihrem eigenen Apartment sein, wo sie wenigstens sicher wäre. Doch James hatte sie heute netterweise gleich zweimal chauffiert, da wollte sie nicht diese harmlose Einladung einfach auszuschlagen. Ein schneller Kaffee konnte schließlich nicht schaden, oder?

Lissa blieb mitten im Wohnzimmer stehen und schaute sich neugierig um, während James in der Küche mit der Kaffeemaschine hantierte.

„Tolle Aussicht.“ Eine breite Fensterfront, die bis zum Boden reichte, bot einen fantastischen Blick über den Hafen. Das Wasser glitzerte in der Nachmittagssonne, die vom strahlend blauen Himmel schien. Der ultimativ grandioseste Sydney-View, wie sich ihn nur wenige leisten können, dachte Lissa, wandte sich um und begutachtete die Einrichtung.

Die ebenso ultimative Bleibe von Junggesellen gehobener Gehaltsklasse, lautete ihr Urteil. Helle Farben in unterschiedlichsten Schattierungen unterstrichen den edlen Glanz dunkler Designermöbel. Eine stylische und dennoch gemütliche Lounge, mit ultramodernem High-Tech-Sound-System, integriert in eine elegante Regalwand. Die schien nebenbei auch noch als Ablage für so ziemlich alles herhalten zu müssen. Bücher, CDs, DVDs, Papiere, Magazine … eine Kaffeetasse und eine zu drei Vierteln geleerte Flasche Rotwein. Ein optischer Mischmasch in Farbe und Form als einziger Hinweis auf einen kreativen Genießer, inmitten von maximalem Minimalismus …

Neugierig trat Lissa näher, um sich durch Buch-, Film- und Musiktitel einen Eindruck von James’ Geschmack zu verschaffen. Dabei zupfte sie gedankenverloren Perlenschnüre aus ihrem Haar, die ihr eines der Mädchen eingeflochten hatte.

„Nicht rausnehmen“, bat James, der plötzlich dicht hinter ihr stand. „Mir gefällt’s.“ Er reichte ihr eine Tasse Kaffee, die sie gleich an die Lippen führte, um ihr überraschtes Lächeln vor ihm zu verbergen. Dann flüchtete Lissa sich zum Fenster, weil ihr der Blick nach draußen momentan am sichersten erschien.

„Gehen Sie oft dorthin?“ James ging auch zum Fenster hinüber, aber zum anderen Ende.

„Ich war einige Male da.“

„Um Ihren kleinen Beitrag zum Thema Wohltätigkeit zu leisten?“

Lissa warf ihm einen scharfen Seitenblick zu. „Ja … möglichst große Wirkung bei möglichst geringem Einsatz.“ Ihr Sarkasmus stand seinem in nichts nach. Er hielt sie also für eine Blenderin.

„Warum gerade Atlanta House? Warum nicht krebskranke Kinder oder hungernde Menschen in Afrika, oder etwas anderes in der Art.“

Sein blanker Zynismus reizte ihren Widerspruch, aber sie riss sich zusammen. „Alles populäre Problemfälle, die bereits über eine starke Lobby verfügen“, resümierte sie kühl. „Die brauchen mich nicht. Egal, was ich tue, es würde keinen Unterschied machen.“

„Ich weiß nicht. Sie bringen den gewissen Glamourfaktor, der das Thema gleich attraktiver macht, und damit die notwendige Publicity.“

„Aber darum geht es mir nicht“, erwiderte sie gelassen und sagte damit schlicht die Wahrheit. Sie hasste dieses Prinzessinnen-Charity-Ding und legte absolut keinen Wert darauf, dass jemand von ihrem Engagement für die jugendlichen Mütter erfuhr. Lissa wollte einfach nur wie alle anderen sein … da helfen, wo sich eine Chance für sie auftat. Wenigstens ein bisschen. Aber die Skepsis in James’ Blick war nicht zu übersehen.

„Während meines Studiums in Paris habe ich einmal wöchentlich eine Art telefonische Jugendbetreuung übernommen“, gestand sie fast widerwillig. „Viele der Anrufer waren junge Frauen mit ähnlichen Problemen wie die Mädchen hier …“ Ihre Sorgen hatten sie immer berührt und mitgenommen. Besonders, seit sie von dem harten Schicksal ihrer Freundin Cassie erfuhr, die ihr Baby während eines Gefängnisaufenthaltes zur Welt bringen musste.

Was sie Cassie damals nicht an Liebe und Fürsorge zukommen lassen konnte, versuchte sie jetzt wenigstens den Mädchen zu gewähren, die sie regelmäßig besuchte.

Lissa starrte auf die faszinierende Kulisse von Sydney Harbour hinunter und wünschte sich insgeheim, James möge sie nicht für so oberflächlich und egoistisch halten, wie es offenbar der Fall war.

„Ich bin kein Psychologe oder Ratgeber. Ich kann ihnen keine Ratschläge geben. Sie haben mit weitaus größeren Problemen in ihren Leben zu kämpfen, als ich sie je am eigenen Leib erlebt habe. Aber ich bin jemand, der ihnen zuhört.“

„Und das ist es, was sie Ihrer Meinung nach brauchen?“

Lissa wandte den Kopf und schaute James offen an. Hoch aufgerichtet stand er da und maß sie voller Hohn und Spott, anstatt sich an dem wundervollen Hafenblick zu erfreuen.

„Natürlich ist es nur ein Bruchteil dessen, was sie dringend benötigen“, erwiderte sie kühl. „Aber Tatsache ist, dass es kaum jemand gibt, der sie überhaupt sieht, geschweige denn, ihre Bedürfnisse wahrnimmt. Sie sind benutzt worden, fallen gelassen und vergessen … von den potenziellen Vätern, der Gesellschaft, ihren eigenen Familien.“

Der Statistik nach waren ihre Zukunftsaussichten mehr als miserabel. Aber hatten sie nicht trotzdem Anspruch auf ein wenig Spaß und Leichtigkeit in ihrem Leben wie jeder andere auch?

„Manchmal tut es wirklich gut, jemanden zum Reden zu haben“, sagte Lissa wie zu sich selbst. „Ein Gegenüber, das dir seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt und ein bisschen Theater um dich macht. Dir einfach das Gefühl gibt, etwas ganz Besonderes zu sein …“

Während ihrer Arbeit bei der Telefonseelsorge hatte sie das leicht weitergeben können, weil sie in absoluter Anonymität agierte. Aber am anderen Ende der Welt, in einer Stadt, wo niemand sie kannte, wollte sie lieber den direkten Kontakt, weil das persönlichere und intensivere Begegnungen zuließ.

Deshalb hatte Lissa sich Atlanta House ausgesucht und freute sich darüber, dass man ihr bereitwillig gestattete, die jungen Mütter regelmäßig zu besuchen. Um sie besser kennenzulernen und ihnen zu beweisen, dass es ihr ernst damit war, eine Art Freundin und Vertraute für sie zu werden, ging sie anfangs so häufig wie möglich hin. Inzwischen hatte es sich auf einen Besuch in der Woche eingependelt, für den sie sich so viel Zeit wie möglich nahm.

Der Ablauf war immer ein anderer und wurde hauptsächlich von den Wünschen und akuten Bedürfnissen der einzelnen Mädchen bestimmt. Heute hatten sie einfach gemütlich zusammengesessen, geplaudert, gelacht, bunte Armbänder und dünne Zöpfchen aus Wollfäden, Perlen und Glitzergarn gefertigt, die sie einander umhängten oder ins Haar flochten.

Auch Lissa hatte sich plötzlich wie ein Teenager und von den anderen akzeptiert gefühlt. Und das tat ausgesprochen gut.

„Es ist kein schönes Gefühl, von niemandem wirklich gewollt zu sein …“ Sie schaute wieder aus dem Fenster, sah aber weder den blauen Himmel noch die reizvolle Hafenkulisse. Denn unverhofft war ihr aufgegangen, dass es genau das war, was sie mit ihren Schützlingen verband. Ihre Familie hatte seit Jahren nicht das geringste Interesse an ihr gezeigt, und jetzt wusste sie auch, warum.

Sie war immer aufsässig und rebellisch gewesen, hatte sich wie ein störrisches Kind verhalten. Doch da das niemand zu interessieren schien, überspannte sie den Bogen und verpasste leider den Absprung. Möglicherweise wäre sie viel schneller erwachsen geworden, wenn irgendjemand aus der Familie sie wirklich wahrgenommen hätte.

Doch das taten sie ja nicht einmal heute … außer ihrem Bruder Alex. Und der agierte nur als Stellvertreter ihres verstorbenen Vaters und ältesten Bruders Sebastian, indem er sie sang- und klanglos nach Down Under expedierte, ohne nach ihrem eigenen Willen zu fragen.

Plötzlich wurde Lissa bewusst, wie lange es geradezu atemlos still im Raum war. James hatte nicht den leisesten Versuch gemacht, sie in ihrer Versunkenheit zu stören. Was mochte er nur von ihr denken?

Lissa spürte, wie sich sengende Hitze in ihrem Körper ausbreitete und fühlte sich zunehmend unbehaglich. Sie trank ihren kalten Kaffee aus und trat einen Schritt vom Fenster zurück.

„Ich sollte jetzt gehen.“

James kam auf sie zu, nahm ihr die Tasse ab und stellte sie zusammen mit seiner ins Regal. „Okay …“

Schnurstracks machte Lissa sich auf den Weg in Richtung Lift. „Danke fürs Fahren, und für den Kaffee. Er wird mir helfen, heute Abend im Theater nicht einzuschlafen.“

„Sie wollen noch ausgehen? Ehrlich gesagt wirken Sie auf mich immer noch ziemlich müde und erschöpft.“

Und genauso fühlte sie sich auch. „Es soll eine großartige Aufführung werden.“

James war ihr gefolgt und gab eine Zahlenkombination für den Lift ein. „Haben Sie niemals das Verlangen, einen Abend zu Hause zu verbringen und einfach nur abzuhängen?“

„Nicht wirklich“, behauptete sie mit einem flüchtigen Lächeln. Was sollte sie da auch tun? Mit den Wänden reden? „Ich habe für heute zugesagt und will die anderen nicht enttäuschen.“

„Natürlich …“

Lissa zuckte zusammen und schaute James von der Seite an. Der Hauch von Sarkasmus war in seine Stimme zurückgekehrt. Kein Wunder, hatte er doch gerade seine Klischeevorstellung von ihr, als unermüdliches Partygirl, bestätigt bekommen. Stumm betrat sie den Lift und hörte seinen Abschiedsgruß gerade noch durch die sich schließenden Türen.

„Wünsche einen angenehmen Abend …“

James rief sie in sein Büro, in der Sekunde, als sie am Montagmorgen die Tür zum Vorzimmer öffnete. Pünktlich!

„Prinzessin, lassen Sie uns aufrichtig zueinander sein“, lautete die knappe, harsche Begrüßung.

Oh nein! dachte Lissa beklommen, er sieht so schrecklich ernst aus!

Außerdem beherrscht er offensichtlich diese Trennung von Job und Privatem viel besser als ich. Eben noch charmanter Begleiter und Unterhalter, dann plötzlich wieder furchteinflößender Inquisitor!

„Also, dieser Sekretärinnenjob …“

Es war so weit! Jetzt wurde sie gefeuert!

„Es funktioniert einfach nicht.“

„Aber ich dachte …“, sie schluckte trocken und rang verzweifelt die Hände, „… ich hoffte … es wurde doch jeden Tag ein wenig besser, oder …?“

Sie wollte nicht einfach weggeschickt werden. Gab es denn überhaupt einen Platz auf der Welt für sie, an dem sie anerkannt wurde? Dabei hatte sie sich wirklich Mühe gegeben, nicht wieder zu versagen …

„Aber es gibt da etwas anderes, das Sie für mich tun könnten“, drang James’ Stimme in ihr Gefühlschaos hinein.

Lissa hielt automatisch den Atem an.

„In wenigen Wochen werde ich in Aristo ein neues Hotel eröffnen.“

Aristo?

„Zum Ende nächster Woche ist eine große Eröffnungsparty geplant …“ James’ Mundwinkel wanderten nach oben. „Wie stehen Sie eigentlich zu Partys, Prinzessin?“

„Das wissen Sie doch“, erwiderte sie defensiv. Wollte er sie etwa dazu einladen? Sozusagen als Trostpflaster, nachdem sie in Ungnade gefallen und zurück nach Hause geschickt worden war? Lange würde ihr Aufenthalt dort ohnehin nicht dauern. Alex hatte Freunde in der ganzen Welt. Er brauchte nur irgendwen anzurufen und …

„Ich möchte, dass Sie die Planung übernehmen. Ich will Exklusivität, Glamour. Und von allem nur das Beste!“

Lissa schüttelte ihr Selbstmitleid ab wie eine schwere Wolldecke und schaute ihren Boss aufmerksam an. James Black wollte, dass sie seine Party organisierte?

„Einen Gala-Ball, wie man ihn zuvor nie gesehen hat. Mit internationaler Prominenz und Presse. Das Hotel soll in hellstem Glanz erstrahlen, und ich will Fotos der Party in jedem wichtigen Hochglanzmagazin.“

Lissas Herz klopfte zum Zerspringen, und zum ersten Mal nicht wegen der Art und Weise wie James sie anschaute, sondern vor Aufregung über die einmalige Chance, die er ihr bot.

„Okay …“, sagte sie heiser. „Das sollen Sie bekommen.“

Noch während sie sprach, formierten sich in ihrem Kopf erste Ideen und Pläne. Nichts liebte sie mehr, als große, glanzvolle Partys, und diese hier würde alles toppen, was die Welt bisher erlebt hatte!

„Also los.“ James wies mit dem Kopf in Richtung Tür, und sein verstecktes Lächeln wärmte ihr Herz. „Sie brauchen nur in den PC zu schauen, um alles Wichtige und Notwendige zu erfahren, inklusive des zur Verfügung stehenden Budgets und der bereits geleisteten Vorarbeiten. Schauen Sie alles in Ruhe durch und ändern Sie, was Sie wollen. Das ist Ihre Party, Prinzessin! Machen Sie etwas daraus.“

„Ja, Boss!“ Lissa konnte sich gerade noch daran hindern, spaßeshalber zu salutieren. Sie fühlte sich plötzlich so leicht, als könne sie aus dem Büro fliegen. Doch an der Tür wurde sie noch einmal von James’ Stimme aufgehalten.

„Prinzessin?“

Sie stoppte und wandte sich um. Das Lächeln war verschwunden und die Botschaft in den dunklen Augen eindeutig ernst.

„Sorgen Sie dafür, dass ich meine Entscheidung nicht bereue.“

4. KAPITEL

James würde es nicht bereuen, sondern sich den Rest seines Lebens selbst zu seiner ausgezeichneten Wahl gratulieren!

Lissa sah es schon in schillerndsten Farben vor sich: den fabelhaften Erfolg ihrer Party, von der jeder noch nach Jahren schwärmen würde. Ein Event, dessen Einladungen höher gehandelt würden, als die raren rosa Diamanten aus Calista.

Und stattfinden sollte dieses Ereignis auch noch in Aristo!

Bittersüße Erinnerungen und Vorahnungen ließen sie erschauern. Endlich würde sie Cassie wiedersehen. Darauf hatte Lissa sich schon gefreut, als sie zur Beerdigung ihres Vaters aus Paris heimgekommen war. Doch dann hatte Alex sie ohne Vorwarnung nach Australien geschickt, ehe sie wusste, wie ihr geschah. Und jetzt, nachdem ihr ältester Bruder Sebastian, der gegenwärtige Prinzregent von Aristo, seine Exgeliebte Cassie und ihren gemeinsamen Sohn gefunden hatte, und die drei endlich glücklich vereint waren, gab es so viel zu feiern! Lissa konnte es immer noch kaum fassen, dass sie bereits einen fünfjährigen Neffen hatte, und ihre Freundin so viel hatte durchmachen müssen, ohne dass sie an ihrer Seite gewesen war.

Die Strafversetzung nach Sydney kränkte Lissa zwar nach wie vor, aber wenn sie aus der Hoteleröffnung eine Jahrhundertparty machte, würde ihre Familie sie vielleicht endlich anerkennen und wieder in ihrer Mitte willkommen heißen.

Energisch schob Lissa ihre Gefühle beiseite und beschloss, sich lieber einer erfreulicheren Tätigkeit zu widmen. Rasch durchforstete sie am PC die entsprechenden Dateien und stellte fest, dass die grundlegenden Vorbereitungen für die Gala bereits erledigt waren.

An ihr lag es jetzt, dem Event Glanz und Exklusivität zu verleihen, um die hohen Erwartungen der Eingeladenen möglichst noch zu überflügeln. Und die Gäste mussten mindestens so glamourös und bedeutend sein, wie die Party selber.

Es kostete Lissa nur wenige Minuten, eine Liste der wichtigsten Gesellschaftsgrößen aus Aristo zu erstellen, und dank ihrer reichhaltigen Erfahrungen auf dem internationalen Parkett bereitete es ihr ebenso wenig Probleme, Prominente aller Herren Länder hinzuzufügen, mit denen sie umgehend Kontakt aufnehmen würde. Die Einladungen mussten natürlich besonders stilvoll sein. Am besten, ihnen haftete der Hauch schwer zu erlangender Zugehörigkeit zu einem exklusiven Zirkel an …

Zwei Wochen waren zwar knapp bemessen, um all ihre Ideen umzusetzen, aber Lissa recherchierte eifrig im Internet und gewann immer mehr Zutrauen zu ihren eigenen Fähigkeiten. Sie war sicher, diese diffizile Aufgabe zu James’ Zufriedenheit erfüllen zu können. Dabei kam ihr das intensive Sekretärinnentraining der letzten Tage durchaus zugute.

James hatte das Beste verlangt, und er sollte es bekommen!

Das beste Essen, die besten Weine, die beste Ausstattung und Dekoration – ultimative Opulenz!

Dass James ihr absolut freie Hand in allem ließ, wunderte Lissa zwar ein bisschen, spornte sie aber auch gleichzeitig an. Sie versuchte gar nicht erst, sich etwas vorzumachen. Neben all dem Spaß, den sie bei ihrem neuen Job hatte, stand an erster Stelle der brennende Wunsch, ihren Boss zu beeindrucken. Den hässlichen Ausdruck von Misstrauen und Sarkasmus ein für allemal von seinem Gesicht zu wischen.

Und wenn sie ganz ehrlich war, erhoffte sie sich insgeheim sogar …

Autor

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