Julia Extra Band 484

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DER VERFÜHRER MIT DER MASKE von MICHELLE CONDER

Zum Glück trägt Ruby eine Maske! Sonst würde Sam, der ihr einst das Herz gebrochen hat, sie sofort erkennen. Aber so kann sich Ruby auf dem Maskenball der Anziehung zwischen ihnen hingeben, überzeugt, dass er nicht weiß, wer sie ist. Doch Ruby täuscht sich …

NUR EINE NACHT DER LEIDENSCHAFT IN MANHATTAN? von CLARE CONNELLY

"Matt?" Die hübsche Frankie kann es kaum fassen, als der Mann, mit dem sie eine heiße Liebesnacht verbracht hat, plötzlich vor ihr steht. So lange hat sie ihn überall gesucht - aber nirgends gefunden! Kein Wunder: Ein König bleibt lieber undercover …

TAUSEND LILIEN FÜR DIE LIEBE von DANI COLLINS

Berauscht von dem Duft der Lilien im Gewächshaus, gibt sich Zimmermädchen Poppy dem attraktiven Rico Montero hin. Kurz darauf allerdings verlässt Poppy Madrid und kehrt nach Kanada zurück. Niemals darf der spanische Aristokrat ihr kleines Geheimnis erfahren! Doch er folgt ihr …

GEFANGEN AUF DER INSEL DES VERLANGENS von ANNIE WEST

Um ihre beste Freundin vor einer arrangierten Ehe zu retten, fasst Prinzessin Mina von Jeirut einen mutigen Plan: Sie wird zu Alexei Katsaros fliegen und sich als Carissa ausgeben. Aber schockiert stellt sie fest, dass der stolze Grieche in ihr heißes Verlangen entflammt …


  • Erscheinungstag 26.05.2020
  • Bandnummer 484
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714840
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Conder, Clare Connelly, Dani Collins, Annie West

JULIA EXTRA BAND 484

MICHELLE CONDER

Der Verführer mit der Maske

Sam erkennt die Schöne hinter der Maske sofort: Ruby Clarkson! Er will in dieser Ballnacht vollenden, was vor zwei Jahren zwischen ihnen so verheißungsvoll begann – bevor es zu einem Desaster kam …

CLARE CONNELLY

Nur eine Nacht der Leidenschaft in Manhattan?

König Matthias von Tolmirós kann es nicht fassen: Die hübsche Frankie offenbart ihm, dass ihre Liebesnacht in Manhattan ungeplante Folgen hatte. Dem Königreich droht ein Skandal!

DANI COLLINS

Tausend Lilien für die Liebe

„Wir werden heiraten.“ Durch einen Zufall findet Rico Montero heraus, dass sein ehemaliges Dienstmädchen ein Kind von ihm hat. Eine Ehe ist eine Frage der Ehre – wenn auch nicht der Liebe …

ANNIE WEST

Gefangen auf der Insel des Verlangens

Die schöne Carissa ist für Alexei nur Mittel zum Zweck, um ihren Vater zu finden! Doch dann entdeckt der stolze Grieche an der vermeintlichen Tochter seines Feindes eine höchst verführerische Seite …

PROLOG

Sam war ungewöhnlich nervös, als er in seinem Privatjet Platz nahm. Er konnte den Start der Maschine kaum abwarten.

Den vierzehnstündigen Flug von L. A. nach Sydney würde er für seine Arbeit nutzen – und für eine verdiente Ruhepause, bevor es in Australien wieder voll zur Sache ging. Sein Job war stressig, aber Sam konnte normalerweise sehr gut mit dem Stress umgehen.

Was war bloß mit ihm los? Warum machte ihn seine Entscheidung, wieder nach Sydney zurückzukehren, plötzlich so unruhig?

Sam hatte ein gutes Leben in Los Angeles. Er surfte regelmäßig, betrieb eine boomende Anwaltskanzlei, die zwei Kontinente umspannte, wohnte in einem großartigen Anwesen am Malibu Beach und konnte sich jederzeit mit schönen Frauen treffen, wenn er Lust auf Gesellschaft hatte.

Seiner Familie war es natürlich egal, welche Annehmlichkeiten Sam hinter sich ließ. Sie war überglücklich, dass er nach zwei Jahren in der Stadt der Engel wieder nach Hause kam, um seine überaus erfolgreiche Kanzlei mit einer renommierten australischen Firma zu verschmelzen.

Den Vorschlag hatte ihm sein alter Studienfreund Drew Kent bei einem Dinner unterbreitet. Drews Vater setzte sich gerade zur Ruhe, und Drew wollte die Leitung ihrer großen Anwaltskanzlei nicht allein übernehmen. Seit seiner Heirat war ihm eine ausgewogene Work-Life-Balance sehr wichtig. Und da Sam sich nach einer neuen Herausforderung sehnte, hatte er spontan zugesagt.

Jetzt blickte er in den nachtschwarzen Himmel hinaus, während die Maschine langsam auf die Startbahn zurollte. Die Ehe schien einen Mann zu verändern. Das hatte Sam nun schon bei etlichen Kollegen und auch bei seinem eigenen Bruder beobachtet. War das vielleicht auch der Grund für seine eigene Ruhelosigkeit? Die Tatsache, dass Valentino geheiratet hatte und glücklich war? Nicht, dass Sam ihm dieses Glück missgönnte. Er war sehr froh darüber, Tino so erfüllt zu sehen. Vielleicht würde er ja eines Tages selbst in den Hafen der Ehe einfahren. Irgendwann in ferner Zukunft, wenn er eine Frau fand, die nicht völlig besessen von ihrer eigenen Karriere war – oder von dem luxuriösen Lebensstil, den er ihr bieten konnte.

Unwillkürlich wanderten seine Gedanken zurück zu jenem Abend vor zwei Jahren, als sein Bruder Miller kennengelernt hatte, seine jetzige Frau. Sam und Tino hatten sich in einer Bar in Sydney getroffen, um sich mal wieder auf den neuesten Stand zu bringen, als sie von einer atemberaubenden Blondine auf sündhaft hohen High Heels angesprochen wurden. Sie stellte sich als Ruby Clarkson vor und erklärte, dass ihre Freundin Miller unbedingt eine Begleitung für ein Businessevent brauche. Tino hatte sich spontan bereit erklärt, ihrer besten Freundin zu helfen, sodass Sam und die wunderschöne Blondine allein zurückblieben. Da sie beide damals für dieselbe Anwaltsfirma arbeiteten, sich aber noch nicht begegnet waren, plauderten sie den ganzen Abend über die Arbeit, bis die Bar schließlich schloss. Da Sam nicht wollte, dass der Abend schon endete, bot er Ruby an, sie nach Hause zu begleiten. Genau da begannen die Probleme.

Selbst jetzt noch wurde ihm heiß, wenn er daran dachte, was draußen vor ihrem Apartmentgebäude geschehen war. Oder was beinahe geschehen wäre. Eigentlich hatte er ihr nur eine gute Nacht wünschen wollen, doch plötzlich hielt er Ruby in seinen Armen, und sobald sich ihre Lippen berührten, war er verloren. Diese Frau entzündete ein loderndes Feuer in ihm! Erst als eine Nachbarin auf den Balkon trat und laut nach ihrer Katze rief, wurden die Flammen der Leidenschaft abrupt gelöscht …

Später meinte sein Bruder, dass Sam bei Rubys Anblick ausgesehen hätte, als hätte man ihm mit dem Golfschläger eins über den Schädel gezogen. Genauso war es bei ihrer zweiten Begegnung auf Tinos und Millers Hochzeit vor einem Jahr gewesen.

Er hatte einen Blick auf Ruby in ihrem engen, hoch geschlitzten Brautjungfernkleid geworfen und sofort beschlossen, dass sie beenden würden, was sie in der Nacht ihrer ersten Begegnung begonnen hatten. Und zur Hölle mit den Konsequenzen! Zumindest bis ihre Begleitung, ein hipper Bankertyp, an ihre Seite getreten war und diese Fantasie zunichtegemacht hatte. Sam erinnerte sich wieder daran, dass Ruby ihm danach während der ganzen Hochzeit äußerst kühl begegnet war. Zum wiederholten Mal fragte er sich, warum sie so distanziert gewesen war.

Und er fragte sich auch, was Ruby Clarkson nur an sich hatte, dass seine Libido so unkontrolliert auf sie reagierte. Nun, eines Tages würde er es herausfinden. In Anbetracht der Tatsache, dass sie denselben Beruf ausübten und gemeinsame Kontakte hatten, konnte das in Sydney sogar schneller geschehen als gedacht. Vielleicht würde er ja sogar feststellen, dass diese verrückte Anziehung, die er immer dann verspürte, wenn sie in einem Raum mit ihm war, mittlerweile verpufft war? Immerhin hatte er schon oft genug das Interesse an einer Frau verloren. Warum sollte es mit Ruby anders sein?

Nachdenklich nahm Sam das Glas Scotch in die Hand, das die Flugbegleiterin ihm hingestellt hatte. Ob Ruby sich noch an den Abend erinnerte, an dem sie sich begegnet waren? Und arbeitete sie noch immer für Clayton Smythe oder hatte sie sich zu neuen Ufern aufgemacht?

Er selbst hatte die Kanzlei in Sydney kurz nach ihrem Kennenlernen verlassen, um seine eigene Firma in L. A. zu gründen. Damals hatte er jegliches Interesse an Ruby rigoros unterdrückt. Und er hatte auch stets eisern vermieden, seine Schwägerin danach zu fragen, was ihre beste Freundin machte. Irgendein sechster Sinn sagte ihm jedoch, dass die wunderschöne Blondine trotz ihres selbstbewussten Auftretens eine verkappte Romantikerin war, mit der man nicht spielen durfte.

Nicht, dass er das vorhatte. Schließlich jagte Sam keinen sinnlosen Leidenschaften mehr hinterher, seit er miterlebt hatte, wie seinem Vater, dem Rennfahrer, die Leidenschaft für den Motorsport zum Verhängnis geworden war.

Das Verhältnis zu ihm war nie eng gewesen. Und der tragische Rennunfall war leider geschehen, ehe es Sam gelungen war, die volle Aufmerksamkeit seines Vaters zu gewinnen. Auch wenn er weiß Gott genug Zeit damit verschwendet hatte, es zu versuchen. Er erinnerte sich noch immer an seinen neunten Geburtstag, als er seinem Vater auf die Rennbahn gefolgt war. Ein einziges Desaster! Den ganzen Tag hatte er darauf gewartet, Zeit mit seinem Dad zu verbringen, doch wie üblich war dieser nur mit seiner Arbeit beschäftigt gewesen. Am Ende war er sogar ohne den kleinen Sam nach Hause gefahren, weil er ihn schlichtweg vergessen hatte.

Es war das letzte Mal gewesen, dass sein Vater ihn in seinen Gefühlen verletzt hatte. Nicht, dass es heute noch eine Rolle spielte. Damals hatte Sam eine wertvolle Lektion gelernt: Hänge niemals dein Herz so stark an Dinge oder Menschen, dass du nicht auf sie verzichten könntest!

„Eine gute Sache“, murmelte er und griff nach seinem Laptop.

Wenn er gegen Mittag in Sydney ankam, standen zunächst ein paar Meetings mit seinem neuen Partner an und dann ein schicker Kostümball am Abend.

Vor ein paar Monaten hatte er einen wichtigen Urheberrechtsfall für Australiens berühmteste Filmleute gewonnen, Gregor und Marion Herzog. Während der Prozessphase hatte sich eine Freundschaft zwischen ihnen entwickelt, und natürlich hatten die beiden es sich nicht nehmen lassen, Sam zu ihrem jährlichen Maskenball einzuladen, der berühmten Herzog-Party. Zumal die große Wohltätigkeitsveranstaltung in diesem Jahr auch noch mit Gregors fünfzigstem Geburtstag zusammenfiel.

Zum Glück litt Sam selten unter Jetlag, dennoch bereute er, die Einladung angenommen zu haben. Das Wochenende war vollgepackt mit familiären Verpflichtungen, und am Montag übernahm er die neue Firma – da hatte er keine Zeit für Banalitäten wie einen Maskenball. Oder für Gedanken an eine atemberaubende Blondine mit langen Beinen.

Rasch zwang Sam sich, das Bild von Ruby Clarkson abzuschütteln. Die Tatsache, dass diese Frau ihn über eine Entfernung von zwölftausend Meilen antörnen konnte, war mehr als beunruhigend. Eigentlich sollte er sich mit anderen Dingen beschäftigen!

Aber die wunderschöne Blondine ging Sam einfach nicht aus dem Kopf …

1. KAPITEL

Mit goldenen Lettern hatte das Motto von Sydneys bekanntestem Maskenball auf der Einladungskarte geprangt: „Gewagt, romantisch, verführerisch …“

Na dann, dachte Ruby, die nur mit Mühe ein Gähnen unterdrückte. Hoffentlich signalisierte ihr Lächeln so viel wie: „Ich habe wirklich verdammt viel Spaß!“ Und nicht: „Ich wünschte, ich könnte dieses Glas Riesling zu Hause auf dem Sofa trinken, während ich die neueste Folge von Law & Order schaue.“

Ein opulenter Ball war das Letzte, worauf sie nach einer Achtzig-Stunden-Woche Lust hatte, die mit jedem Tag schlimmer geworden war und ihr auch noch am Wochenende eine Menge Arbeit abverlangen würde. Aber sie war hier, um ihre Schwester zu unterstützen, deshalb kam es nicht infrage, einfach zu gehen. Zumal das Ganze eine interessante Abwechslung zu der täglichen Mühsal in ihrem winzigen Anwaltsbüro darstellte, in dem sie beharrlich für Recht und Gerechtigkeit kämpfte.

Wohin Ruby auch blickte, überall sah sie prächtig gekleidete Gäste, die sich in funkelnden Kostümen und Masken durch den Raum bewegten und fröhlich miteinander plauderten. Es war, als würde man in eine Zeit zurückreisen, als Frauen noch Perücken und Männer Federhüte getragen hatten.

Zum wiederholten Mal rückte Ruby den Ausschnitt ihres taillierten Kleids zurecht, der immer wieder verrutschte und dabei mehr Dekolleté enthüllte, als ihr lieb war. Gott sei Dank konnte sie sich hinter einer aufwendigen schwarzen Spitzenmaske verstecken.

„Ich weiß wirklich zu schätzen, dass du heute Abend mitgekommen bist, das weißt du doch hoffentlich?“, murmelte Molly neben ihr.

„Ich finde es toll hier“, versicherte sie rasch, damit ihre Schwester kein schlechtes Gewissen bekam, nur weil sie sie heute hierher geschleift hatte. Molly hatte eine Mission – auf dem Ball wollte sie mit irgendeinem berühmten Regisseur ins Gespräch kommen und ihn davon überzeugen, sie für seinen nächsten Hollywoodfilm zu casten. Nachdem sie die Schauspielschule absolviert hatte, war Molly in einigen kleineren Theaterproduktionen und Fernsehserien aufgetreten. Ruby würde alles tun, um ihrer Schwester dabei zu helfen, ihren Traum zu verwirklichen.

„Nein, das tust du nicht“, seufzte Molly. „Aber ich weiß deine Lüge zu schätzen. Davon abgesehen habe ich den strikten Auftrag, dafür zu sorgen, dass du endlich mal ein bisschen Spaß hast.“

„Lass mich raten“, erwiderte Ruby und verdrehte die Augen. „Mum hat dich beauftragt, mir einen netten Mann zu suchen, in den ich mich verlieben und mit dem ich jede Menge Enkelkinder produzieren soll.“ Als wäre das etwas Neues!

„Du weißt doch, wie Mum ist – ein bisschen altmodisch. Das kannst du ihr nicht vorwerfen“, verteidigte Molly ihre Mutter.

„Ich werfe es ihr nicht vor. Ich hege nur nicht die Absicht, ihrem Beispiel zu folgen.“

„Indem du überhaupt nicht mit Männern ausgehst?“

„Ich gehe mit Männern aus“, widersprach Ruby und schob eine widerspenstige Strähne ihres Blondhaars unter die pompöse weiße Perücke. „Wenn ich Zeit dazu habe.“

Jetzt war es an Molly, die Augen zu verdrehen. „Das letzte Mal, dass du ein Date hattest, streiften noch Dinosaurier über diesen Planeten.“

Ruby musste lachen. „Ich bin einfach keine Romantikerin so wie du und Mum. Ich erkenne leider nicht in jedem Mann, der zu mir rüberschaut, den Richtigen.“

„Das liegt daran, dass du keinem eine echte Chance gibst. An allen hast du etwas auszusetzen. Aber ehrlich, Rubes, nur weil Dad Mum damals wegen einer anderen verlassen hat, heißt das nicht, dass jeder Mann mit uns dasselbe tun wird.“

Ruby konnte nicht leugnen, dass das Verhalten ihres Vaters sie misstrauisch gemacht hatte, was die Liebe anging. Doch das war nicht der einzige Grund. Ihrer Erfahrung nach wollten Männer viel mehr von einer Frau, als sie selbst zu geben bereit waren, und bislang war ihr noch kein Mann begegnet, der sie eines Besseren belehrt hätte.

Nicht mal Sam Ventura.

Vor allem nicht Sam Ventura – auch wenn er jetzt der Schwager ihrer besten Freundin war.

Und wieso kam ihr jedes Mal sein Name in den Sinn, wenn es um Männer und Heiraten ging? Er war nun wirklich der Letzte, an den sie in diesem Zusammenhang denken sollte. Vor zwei Jahren hatte er sie erst mit seinem Charme bezirzt und sie dann vor ihrer Haustür halb besinnungslos geküsst. Danach hatte er ihr versprochen, sich bei ihr zu melden – was er nur leider nie getan hatte.

Himmel, sie errötete noch immer, wenn sie daran dachte, dass sie ihn sogar auf einen Kaffee in ihr Apartment eingeladen hatte. Zum Glück hatte er abgelehnt!

Kaffee!

Da hätte sie doch genauso gut Bett sagen können!

Nach dem unglaublichen Kuss hatte Sam Ventura sich nicht mehr bei ihr gemeldet. Das, und die Tatsache, dass sie am nächsten Tag ein Foto von ihm während eines Polospiels sah, bei dem er den Arm um eine andere Frau gelegt hatte, bestärkten sie in der Gewissheit, dass Männer die Mühe nicht wert waren. Das Schlimmste für Ruby war, dass sie Sam an jenem Abend wirklich an sich herangelassen hatte. Sie hatte ihren Schutzschild auf eine Art und Weise gesenkt wie nie zuvor. In seiner Nähe kam sie sich wie eine naive Dreizehnjährige mit ihrem ersten großen Schwarm vor – nach dem Kuss hatte sie eine ganze Woche lang ihr Handy mit sich herumgeschleppt und auf einen Anruf gewartet, den er offensichtlich niemals hatte tätigen wollen.

Nie wieder wollte sie etwas mit ihm zu tun haben. Hoffentlich hatte sie ihm das deutlich gemacht, als sie ihn auf Tinos und Millers Hochzeit im vergangenen Jahr geflissentlich ignorierte.

„Ich halte nicht jeden Mann für einen E. F.“, behauptete sie nun gegenüber Molly und benutzte dabei ihre geheime Abkürzung für „Emotionaler Feigling“. „Aber ich bin vorsichtig. Ich stürze mich nicht in etwas, das ich nicht erst aus allen Blickwinkeln betrachtet habe.“

„Du sollst die Liebe aber nicht aus allen Blickwinkeln heraus betrachten“, versetzte Molly lachend. „Du sollst sie spüren. Erfahren. Ausleben.“

Ruby schauderte. „Du vielleicht, ich nicht.“ Was ihre Schwester wohl erst sagen würde, wenn sie wüsste, dass Ruby sogar immer noch Jungfrau war, so wie diese alten Tanten in den viktorianischen Romanen?

Plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit durch lautes, aufgeregtes Schnattern auf eine geradezu bizarre Szene gelenkt. Ein wütender Schwan hatte sich durch die geöffneten Flügeltüren aus dem Park in den Ballsaal verirrt und pickte nun an den goldenen Kleiderfransen einer nichts ahnenden Frau. Diese fuhr erschrocken zusammen und wäre wohl gestrauchelt, wenn nicht ein Mann, der neben ihr stand, sie aufgefangen hätte.

Ruby stockte der Atem, während ihr Blick über die breiten Schultern und das dichte, dunkle Haar des Mannes glitt.

„Himmel, was für ein Mann!“, seufzte Molly verzückt.

Er trug eine bronzefarbene Stoffmaske, die sein Gesicht zur Hälfte verdeckte. Seine athletische Gestalt zeichnete sich dafür nur zu deutlich unter seiner Kleidung ab, als er den empörten Vogel nach draußen scheuchte und sich danach vergewisserte, ob sich die Frau von ihrem Schock erholt hatte.

Er ist es nicht, redete Ruby sich ein, während sie das halb zynische, halb verführerische Lächeln sah, das um seine Lippen spielte, als die dankbare Frau seinen Arm ergriff und ihm etwas ins Ohr flüsterte.

Er konnte es nicht sein. Sam Ventura lebte in L. A., und selbst wenn er zu Besuch in Sydney war, was machte er dann hier auf der Party der Herzogs?

Ruby beruhigte sich. Ihre Fantasie ging mit ihr durch. Wieder mal. „Männer wie er wollen nur eins von einer Frau“, erklärte sie voller Geringschätzung.

„Ich weiß“, seufzte ihre Schwester. „Meinst du, er würde es von mir wollen?“

„Molly!“

Zum Glück musste sie ihre Schwester nicht daran erinnern, dass sie gerade erst mit einem nutzlosen Typen Schluss gemacht hatte, weil in diesem Moment eine von Mollys Freundinnen zu ihnen trat. Noch immer ein wenig verstört, da der dunkelhaarige Mann mit der bronzefarbenen Maske sie so sehr an Sam Ventura erinnerte, bot Ruby an, ein paar Drinks zu besorgen.

„Cosmopolitan“, bat Molly.

„Für mich auch“, fügte ihre Freundin hinzu.

Ruby steuerte auf die vergoldete Bar zu und reihte sich seufzend in die Schlange davor ein. Molly schien zu glauben, dass hinter jeder Ecke die Liebe ihres Lebens auf sie wartete, während Ruby sich eher vor der Gefahr fürchtete, die von der Liebe ausging. Man musste sich doch bloß anschauen, wie sie sich nach einem einzigen Kuss von Sam Ventura verhalten hatte. Nur weil sie kurz in seinen Armen gelegen hatte, hatte sie beinahe auf einen Schlag ihre Würde – und ihre Unschuld – an diesen Mann verloren! Nicht, dass sie sich in ihn verliebt hätte, aber begehrt hatte sie ihn, was ihr danach einige schlaflose Nächte beschert hatte.

„Sorry, Darling“, entschuldigte sich ein Mann hinter ihr, der sie versehentlich angerempelt hatte. Ruby schaute kurz über die Schulter und erhaschte einen Blick auf vier bunte Gestalten in Zorromasken, die ihr ungeniert in den Ausschnitt glotzten.

Wie originell, dachte sie genervt, drehte sich wieder um und ignorierte die Gruppe geflissentlich, während sie darauf wartete, dass die Frau vor ihr ihre Getränke einsammelte.

„Hör zu, Puppe, hab ich gesagt.“ Der Typ, der sie angerempelt hatte, sprach überlaut zu seinen Kumpanen. „Wenn du es willst, dann weißt du, wo du es findest. Auf den Knien!“

Seine Begleiter röhrten wie Schuljungs auf dem Pausenhof. Ruby verdrehte die Augen. Mit halbem Ohr hörte sie, wie sie sich mit Sexgeschichten brüsteten, die viel zu übertrieben klangen, als dass sie wahr sein konnten.

„Wartet, bis ihr das hier gehört habt“, tönte nun ein anderer von ihnen. „Vor ein paar Tagen reißt Michael dieses Mädel auf, und jetzt passt auf …“, der Kerl machte eine dramatische Kunstpause, „er sagt, er hat sie geküsst und nicht mal gemerkt, dass es seine Ex war, bis sie ihm eine Ohrfeige verpasst hat. Anscheinend hatte sie eine neue Frisur und Brustimplantate!“

Ehe Ruby den Typen einen weiteren verächtlichen Blick zuwerfen konnte, schaltete sich eine tiefe Männerstimme ein, der sie vor zwei Jahren einen ganzen unvergesslichen Abend lang zugehört hatte.

„Was für ein Idiot“, verkündete die tiefe Stimme kühl. „Kein Mann vergisst eine Frau, die er geküsst hat. Zumindest nicht, wenn er einen Hauch Würde und Anstand besitzt.“

Rubys Herzschlag beschleunigte sich. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Er kann es nicht sein. Das geht einfach nicht!

„Was hätten Sie gern, Ma’am?“

Von der Frage überrumpelt, starrte Ruby den Barkeeper nur wortlos an.

„Zu trinken?“, fügte der hinzu und deutete dabei auf die vielen bunten Flaschen auf dem Regal hinter ihm.

„Entschuldigung.“ Sie riss sich zusammen. „Ich hätte gern …“ Was hatten Molly und ihre Freundin noch mal bestellt? „Zwei Cosmopolitan und einen Weißwein.“

„Riesling? Chardonnay? Chab…?“

„Geben Sie mir den stärksten“, unterbrach sie ihn. Und bitte schnell. Ihre Handflächen schwitzten. Nur mit Mühe hielt sie sich davon ab, sich umzudrehen und nachzusehen, wem diese viel zu sexy Stimme gehörte.

Glücklicherweise hörte sie sie nicht noch mal. Als der Barkeeper ihr die Drinks zuschob, warf sie ihm ein Lächeln zu und sammelte die Gläser rasch ein.

Dann drehte sie sich mit gesenktem Kopf um und wäre fast in die Männergruppe hinter ihr gerannt, wenn nicht eine Hand vorgeschossen wäre. Über eins der Gläser schwappte Flüssigkeit. Bestürzt flog ihr Blick nach oben und begegnete besorgten braunen Augen.

Unwiderstehliche Schlafzimmeraugen mit langen, dunklen Wimpern.

Ihr Puls geriet völlig außer Kontrolle. Es war der Mann in der Bronzemaske. Der Große mit den unfassbar breiten Schultern und langen Beinen. Der die Frau davor bewahrt hatte, von einem Schwan gefressen zu werden.

Hitze sammelte sich in ihrer Brust und strahlte von dort bis in alle Nervenenden. Es war genauso wie in der Bar vor zwei Jahren. Genauso wie bei Millers Hochzeit vor einem Jahr.

Er ist es nicht, redete sie sich erneut ein. Es ist nicht …

„Tut mir leid.“ Ein träges Lächeln spielte um seine Mundwinkel. „Mein dummer Begleiter hat nicht aufgepasst, wohin er tritt.“

Ruby erstarrte. Ihr IQ sank ins Bodenlose. Der Mann, der – bitte, lieber Gott – nicht Sam Ventura sein konnte, legte den Kopf leicht schief und wunderte sich offensichtlich über ihr beharrliches Schweigen. Sein Blick senkte sich erst auf ihre Lippen und glitt dann auf die Gläser, die sie ungeschickt in den Händen balancierte. „Kann ich helfen?“

Rasch zwang sie ihr Gehirn, sich wieder einzuschalten. Das hier war nicht Sam Ventura. Es war einfach nur ein attraktiver, gut gebauter Mann, der ihm verteufelt ähnlich sah.

„Nein danke“, stieß sie hervor. „Ob Sie es glauben oder nicht – ich brauche keinen Mann, der mein Leben perfekt macht.“

Und warum in aller Welt habe ich das jetzt gesagt?

Ruby war sich bewusst, dass sie damit die ganze Gruppe zum Schweigen gebracht hatte. Sie befahl ihren Beinen zu gehorchen und eilte schleunigst zurück zu Molly.

Da hat mich doch tatsächlich die wunderschöne Ruby Clarkson in die Schranken verwiesen, dachte Sam, während er beobachtete, wie sie mit einer Schnelligkeit in der Menge verschwand, als wären alle Höllenhunde hinter ihr her. Auch wenn es erstaunlich war, dass er Ruby schon an seinem ersten Abend in Sydney begegnen sollte, hegte Sam doch keinerlei Zweifel, dass sie es war.

Die atemberaubende Figur in dem lavendelfarbenen Kleid, der Schwanenhals … Hitze entflammte in ihm. Aber offensichtlich hatte sie ihn nicht erkannt, was schon ein wenig … enttäuschend war.

Vor zwei Jahren hatte er sie geküsst und dabei das Gefühl gehabt, auf einem Drahtseil ohne Sicherheitsnetz zu balancieren. Vor einem Jahr hätte er diese Erfahrung zu gern wiederholt – und er hätte schwören können, dass es ihr genauso ging. Aber jetzt lief sie an ihm vorbei, als wäre er … was? Niemand Besonderes? Eine lästige Nervensäge?

Sam ignorierte die vier Idioten an der Bar, schnappte sich sein Bier und mischte sich wieder unter die Menge.

Hat Ruby mich wirklich nicht erkannt?

Der Gedanke war wie ein Stachel in seinem Fleisch. Er selbst konnte nicht leugnen, dass seine Sinne sofort zu Leben erwacht waren, als sie ihm so unerwartet über den Weg gelaufen war. Was seine frühere Frage beantwortete – nein, die Anziehung war nicht verblasst. Kein bisschen, um genau zu sein …

Für eine Weile beobachtete er die Partygäste und überlegte, ob er sich bereits verabschieden konnte. Oder sollte er lieber erst nach Ruby suchen und darauf warten, dass sie ihn erkannte?

Und dann was? fragte seine innere Stimme. Du denkst doch nicht etwa daran, das zu beenden, was du vor zwei Jahren begonnen hast?

Sam nahm einen kräftigen Schluck von seinem Bier.

Dachte er daran?

Zugegeben, die Vorstellung war noch immer verdammt reizvoll. Mehr als das, um ehrlich zu sein. Ruby war eine bildschöne Frau. Welcher Mann würde sich nicht danach sehnen, sie in sein Bett zu bekommen – nackt und willig? Allein bei den Bildern, die sein geistiges Auge ihm vorgaukelte, wurde Sam hart. Er verfluchte seine ungezügelte Lust. Zweifellos wäre sie großartig im Bett. In seinem Bett.

Warum er sich in ihrer Gegenwart wie ein Höhlenmann aufführte, verstand er selbst nicht. Dass sie diese Wirkung auf ihn ausübte, behagte ihm nicht. Ob eine Nacht in seinem Bett dieses Problem lösen würde? Würde eine Nacht ihn von dem starken Bann, den sie über ihn hatte, befreien oder alles nur noch schlimmer machen?

Sam erhaschte einen Blick auf eine verführerische Gestalt in einem lavendelfarbenen Kleid, die sich einen Weg Richtung Tanzfläche bahnte. Nun, es gab nur eine Möglichkeit, seine Theorie auf die Probe zu stellen. Nicht, dass er die Absicht hegte, Ruby gleich heute Nacht in sein Bett zu bekommen. So verzweifelt war er nicht. Aber er konnte sich doch ein wenig Spaß mit ihr gönnen, oder? Nur bis sie ihn erkannte.

Ein Lächeln spielte um seine Lippen, während er ebenfalls Richtung Tanzfläche ging. Wie lang würde sie brauchen, um ihn zu erkennen? Eine Minute? Zwei?

Plötzlich versprach der Abend verdammt interessant zu werden …

2. KAPITEL

„Ich sehe niemanden, der wie ein Pirat aussieht“, sagte Ruby, während sie sich den Hals verrenkte, um die gut gefüllte Tanzfläche zu überblicken. „Bist du sicher, dass der Regisseur überhaupt hier ist?“

„Katy sagt, dass sie ihn gesehen hat“, entgegnete Molly und presste die Lippen zusammen. „Ich muss ihn finden, schließlich kriege ich nicht jeden Tag Tickets zu einem Event wie diesem.“

Ruby schenkte ihrer Schwester ein aufmunterndes Lächeln. Sie bemühte sich sehr, nicht wieder über die Schulter nach dem Mann mit der Bronzemaske zu schauen. Sie hatte seinen Blick auf sich gespürt, als sie von der Bar geflüchtet war, und war sich fast sicher gewesen, dass er ihr folgen würde. Seitdem waren ihre Nerven angespannt wie Drahtseile.

„Ich glaube, ich habe ihn entdeckt“, wisperte Molly aufgeregt.

Ruby folgte dem ausgestreckten Finger ihrer Schwester. Der Regisseur im Piratenkostüm war groß und blond und sah verdammt grimmig aus. „Bist du sicher?“

„Beinahe. Lass uns tanzen gehen, damit ich näher an ihn rankomme.“

„Du tanzt, ich halte die Drinks“, entschied Ruby, nahm Molly das halb leere Cocktailglas ab und nickte in Richtung Tanzfläche. Je eher sich ihre Schwester dem Regisseur vorstellte, desto schneller konnten sie gehen. „Zeit für den großen Auftritt, Kleines.“

Molly glättete ihren Rock, holte einmal tief Luft und stürzte sich ins Getümmel. Ruby beneidete ihre Schwester manchmal darum, wie sie es schaffte, für ihre Träume zu kämpfen. Ruby konnte das für ihre Mandanten ebenfalls, aber wenn es um sie selbst ging, nun ja …

Sie nippte an ihrem Wein, Mollys Glas in der anderen Hand, genoss die Spritzigkeit des Rieslings und vergaß darüber fast den Mann mit der Bronzemaske – zumindest bis sie aufblickte und ihn mit einem sexy Grinsen auf den Lippen auf sich zukommen sah.

Sofort stockte ihr Atem, und ihr Puls begann zu rasen. Es war, als würde er ihre Reaktion bemerken, denn ein gefährliches Funkeln trat in seine Augen. „Als Sie diese Drinks bestellt haben, war mir nicht klar, dass Sie sie ganz allein trinken würden“, scherzte er.

Ein Schauer lief Ruby über den Rücken. Oh, dieser Mann war gut. Gefährlich gut. Es handelte sich ganz eindeutig um Sam Ventura. Was brachte es, es noch länger zu leugnen?

„Eine weitere schlechte Anmache“, erwiderte sie kühl. „Wenig originell.“

Anstatt ihre Bemerkung als die Abfuhr zu interpretieren, die sie war, schien Sam sich nur zu amüsieren. „Mir war gar nicht bewusst, dass ich schon eine erste Anmache versucht habe.“ Seine Augen hinter der Maske glühten. „Wenn ich Ihnen sagen würde, dass Sie die Art Lächeln haben, die einen Mann mitten ins Herz trifft … das wäre eine schlechte Anmache.“ Er lächelte. „Dennoch wäre es wahr.“

Ruby schluckte. Sein Ton und die Tatsache, dass er sie siezte, ließen darauf schließen, dass er sie für eine Fremde hielt, aber wie war das möglich? Sie hatte ihn sofort erkannt – würde ihn mit verbundenen Augen in einem dunklen Raum erkennen, weil ihr ganzer Körper in seiner Gegenwart zu prickeln begann.

Sollte sie nun beleidigt oder erleichtert sein? Vielleicht beides. Es schien nur zu bestätigen, dass die besondere, gemeinsame Anziehung, die sie bei ihrer ersten Begegnung verspürt zu haben glaubte, weder besonders noch gemeinsam war.

Konnte es da verwundern, dass sich Trotz in ihr regte? Sollte er doch versuchen, sie aufzureißen! Sollte er es doch versuchen und dann sehen, wohin ihn all sein Charme führte, wenn sie ihn eiskalt abblitzen ließ.

„Also, keine schlechten Anmachsprüche“, stimmte er zu. „Wie wäre es stattdessen mit einem Tanz?“

„Ich tanze nicht mit Fremden“, entgegnete sie und blickte rasch auf die Tanzfläche, in der vagen Hoffnung, dass Molly schon bereit war, nach Hause zu gehen. Natürlich war ihre Schwester nirgends zu sehen.

„Fremder?“ Er legte den Kopf leicht schief. „Das lässt sich leicht ändern …“

„Nein!“ Ihre Augen weiteten sich. Auf keinen Fall wollte sie ihm ihre Identität enthüllen und dann ein unangenehmes Gespräch über ihre Vergangenheit führen müssen. „Keine Namen.“

„Keine Namen?“ Verwundert blickte er sie an.

„Besteht nicht ein Großteil des Reizes eines Maskenballs darin, anonym zu sein?“

„Das ist mein erster Maskenball. Ich kenne die Regeln nicht.“

„Dann erlauben Sie mir, sie Ihnen beizubringen.“ Sie senkte ihre Stimme bewusst zu einem rauen Wispern. „Namen sind nicht notwendig.“

„Ist das so?“ Plötzlich wurden die Lichter um sie herum gedimmt, und sanfte Musik ertönte. Rubys Herz pochte wie verrückt. Sie musste wirklich so schnell wie möglich von diesem Mann fortkommen. Die Gefühle, die er in ihr auslöste, waren einfach zu verwirrend!

„Wenn Sie also nicht tanzen und auch keine Namen austauschen wollen …“, sein Blick streifte wie eine federleichte Berührung ihre Lippen, „… was wollen Sie dann tun?“

Dich küssen, dachte sie. Ich will dich küssen und nie mehr damit aufhören.

„Ein Tanz.“ Er lächelte wissend, fast so, als ob er ihre Gedanken gehört hätte. „Ich bin ganz harmlos, versprochen.“

Ich rufe dich morgen an, versprochen.

Das Letzte, was Ruby wollte, war, wieder seine Arme um sich zu spüren, doch er hatte ihr bereits beide Gläser abgenommen, an die sie sich wie an ein Rettungsseil geklammert hatte, und ehe sie sich versah, befand sie sich genau dort – in seinen Armen.

Was sie umso wütender machte. Was hatte dieser Mann nur an sich, dass sie bei ihm alle Vorsicht in den Wind schlug?

Als sie einen Blick zu ihm hoch riskierte, stellte sie fest, dass er sie aufmerksam betrachtete. Fühlte sie sich vertraut an in seinen Armen? Ohne ihre hohen Absätze war sie kleiner, aber …

Oh, komm schon, Ruby Jane. Er weiß nicht, wer du bist, also vergiss es. Entspann dich.

Doch das konnte sie nicht – nicht, solange sie seine Hitze spürte und seinen Duft wahrnahm. Ihr Puls raste schon wieder. Und sie erinnerte sich daran, wie sich seine Haut unter ihren Fingerspitzen, sein Mund auf ihren Lippen angefühlt hatte. Warm und fest. Sie wollte diese Lippen wieder spüren. Wollte die Macht seines Verlangens spüren.

Kein Mann vergisst eine Frau, die er einmal geküsst hat. Zumindest nicht, wenn er nur einen Hauch Würde und Anstand besitzt.

Erinnerte er sich daran, dass er sie geküsst hatte? Würde die Erinnerung zurückkehren, wenn sie sich jetzt auf die Zehenspitzen stellte und ihn küsste?

Ihre Gedanken schockierten sie so sehr, dass sie zurückzuckte. Sam Ventura zu küssen war das Letzte, woran sie denken sollte. Dieser Mann war gefährlich für ihr inneres Gleichgewicht!

„Alles in Ordnung, Engel?“ Er hatte ihr Straucheln bemerkt, weshalb er sie enger an sich zog und ihr ins Ohr flüsterte. Ruby spürte seinen warmen Atem auf ihrer Haut und hielt die Luft an. Dieser Name – vor zwei Jahren hatte er sie auch Engel genannt …

Rasch schüttelte sie die ungewollte Erinnerung ab, stählte sich innerlich.

„Nein, es ist nichts in Ordnung“, sagte sie, traf die erste bewusste Entscheidung an diesem Abend und löste sich aus seinen Armen, um blindlings von der Tanzfläche zu stürmen.

Vor ihr ragte eine Terrasse auf, die einen fantastischen Blick über den Hafen bot. An der Seite führte eine Treppe in den Garten, erhellt von mehreren sanft leuchtenden Laternen. Sie hatte gerade den Fuß der Treppe erreicht, da …

„Warte.“

Ihr war nicht bewusst gewesen, dass Sam ihr gefolgt war, aber es überraschte sie auch nicht. Sie blieb wie angewurzelt stehen. Jetzt, wo sie draußen waren, bildete die Musik nur noch ein leises Hintergrundgeräusch.

„Was ist da gerade passiert?“ Besorgt musterte er ihr Gesicht. Er war ihr so nah, dass sie die Hitze und Energie seines Körpers spüren konnte.

Panik war gerade passiert. Sehnsucht und Verlangen …

„Hör zu“, begann er, nach seiner Maske greifend. „Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir …“

„Nein!“ Hektisch packte sie seinen Arm und hinderte ihn so daran, die Maske abzunehmen. Sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als dass er jetzt die Maske fallen ließ, denn dann würde er erwarten, dass sie dasselbe tat. Was sie in arge Erklärungsnöte bringen würde, denn warum war sie geflüchtet? Sie würde ihm gestehen müssen, dass seine Hitze, seine Berührungen, sein Atem auf ihrer Haut sie so überwältigt hatten, dass sie davongelaufen war. Sie würde ihm erklären müssen, dass sie sich mehr gewünscht hatte. Mehr von ihm.

„Hey …“, murmelte er leise, ihren inneren Aufruhr richtig deutend, und fuhr sanft mit dem Finger über ihr Kinn. „Schau mich an.“

Sie folgte seiner Bitte. Er war so schön. So männlich. Die Bronzemaske verlieh ihm ein geradezu verwegenes Aussehen.

Ruby atmete heftig, während sie sich wortlos anstarrten. Dann legte er seine Hand in ihren Nacken … Sie wusste nicht, ob er sich hinunterbeugte oder ob sie sich auf die Zehenspitzen stellte, aber plötzlich lagen seine Lippen auf ihren, warm und fest und verlockend.

Wie von selbst schloss sie die Augen und öffnete den Mund. Sie hörte ein Stöhnen, das ganz tief aus seiner Brust zu kommen schien, und er vertiefte den Kuss. Er brannte wie flüssiges Feuer, berauschte sie, verzehrte sie und riss sie in einer Woge mit sich, der sie nichts entgegenzusetzen hatte.

Eine schwache Stimme warnte sie, dass dies ein Fehler war, dass sie sich verbrennen würde, wenn sie mit dem Feuer spielte. Sie hörte die Stimme und akzeptierte sie, doch stärker war diese unendliche Sehnsucht nach mehr, nach Lust und Leidenschaft, die niemals enden würden.

Er küsste sie stürmisch und selbstbewusst, doch dann spürte sie, dass er den Kuss beenden wollte.

„Nicht“, flehte sie sanft und schlang ihre Arme fester um seinen Nacken. „Bitte, hör nicht auf.“

Sam gehorchte stöhnend, auch wenn ihm sein Instinkt sagte, dass er sich dringend zügeln sollte. Genauso war es schon vor zwei Jahren gewesen. Unglaublich intensiv und sündhaft erotisch. Allein die Berührung ihrer Lippen reichte aus, um ihm den Verstand zu nehmen. Sie jetzt so zu halten und ihre ungehemmte Reaktion zu spüren war reine, süße Folter.

Er zog sie noch enger an sich, strich verlangend mit seinen Händen über ihre Flanken. Zitternd bog sie sich ihm entgegen. Ihr Dekolleté war absolut hinreißend. Sam wollte diese wunderbaren Brüste sehen, sie anfassen und schmecken …

Er redete sich ein, dass er diesen Wahnsinn gleich beenden würde, während er mit der Hand über ihren Arm und die Schulter strich und dann … endlich … über ihren wogenden Busen.

Ihr Atem stockte, und sie presste sich noch enger an ihn. Er spürte ihr Verlangen, fühlte es in seinem eigenen Blut und ließ heiße Küsse auf ihren Hals und Nacken regnen. Seufzend warf sie ihren Kopf zurück, während sie heftig erschauerte und sich noch dichter an ihn schmiegte – wenn das überhaupt möglich war.

Hitze brannte in ihm, löschte jeden rationalen Gedanken aus. Irgendwo im Hafen hörte er ein Schiffshorn, jemand kicherte laut, als er in den Pool sprang. Sam nahm es kaum wahr. Er fing Rubys Seufzer mit seinem Mund auf.

„Verdammt, schmeckst du gut“, murmelte er und führte seine Lippen an ihr Ohr heran, während sie gieriger wurde und ihre Hände in seinem Haar vergrub.

Seine Maske war im Weg, er wollte sie bereits runterreißen, da schob sie sein Jackett zurück, sodass er es von den Schultern schütteln musste. Im nächsten Moment griff sie nach seinem Hemd und zog es aus dem Hosenbund heraus. Hunger fraß sich tief in seine Eingeweide. Er hob sie hoch, stürzte seinen Mund auf ihren.

Sam hatte mit seinen einunddreißig Jahren schon mit einigen Frauen geschlafen, und er wusste, dass er ein guter, großzügiger Liebhaber war, aber das hier … Ruby zu berühren, ihre sanften Seufzer zu hören, während er herausfand, was ihr gefiel, war eine sinnliche Erfahrung, wie er sie noch nie erlebt hatte. Nicht nur wollte er alles annehmen, was sie ihm bot, sondern er wollte ihr im Gegenzug auch alles zurückgeben.

„Mehr“, bat sie. Innerlich fluchend gab Sam ihr, was sie wollte. Er schob sie in die Schatten des Gartens, presste sie gegen die weinumrankte Mauer und legte seine Hände auf ihren Körper. Packte ihre Hüften und ließ sie seine Erregung spüren, knetete die weichen Rundungen ihrer Brüste. Brüste, die er endlich sehen musste.

Irgendwo im Hinterkopf klingelte eine Alarmglocke, doch konnte die irgendetwas gegen ihrer beider Verlangen ausrichten? Was war schon eine weitere Minute Wahnsinn?

Sam hob sie so hoch, dass sie auf Augenhöhe waren, dann senkte er den Kopf, um den Ansatz ihrer Brüste zu küssen. Mit zitternden Fingern schob er den Stoff ihres Ausschnitts hinunter, sodass eine neckische Knospe zum Vorschein kam.

„Ich will dich schmecken.“ Seine Stimme klang rau und guttural, gierig umschloss er die rosige Spitze mit seinen Lippen.

„O Gott.“ Ruby bog sich ihm verlangend entgegen, vergrub ihre Finger in seinem Haar. „Ich brauche dich“, stöhnte sie, während sie hektisch begann, an seinem Gürtel zu nesteln.

Sam wusste, dass er sie aufhalten sollte, aber er konnte es nicht. Stattdessen raffte er ihre Röcke hoch und strich mit den Händen über ihre Schenkel. Ein dünnes Seidenhöschen war alles, was ihn vom Paradies trennte. Mit einem Ruck fiel es zu Boden.

Als er sie zwischen den Schenkeln berührte und sie warm und nass vorfand, stöhnte er laut. Am liebsten wäre er auf die Knie gesunken und hätte den Honig, der jetzt an seinen Fingern haftete, gekostet, doch sie presste sich bereits gegen ihn.

„Mehr, bitte, ich will mehr.“

Beinahe brutal senkte er seinen Mund auf ihren und drückte sie gegen die Wand. Ein Teil seines Gehirns versuchte ihn daran zu erinnern, dass er ein zivilisierter Mann war, der eine Frau nicht gegen eine Wand gelehnt nahm, während nebenan eine Party gefeiert wurde, doch ihr heißer Körper machte jeden klaren Gedanken zunichte und zerstörte seine Selbstdisziplin.

Sam konnte nur noch daran denken, dass er seine Finger durch seinen Schaft ersetzen wollte. Er musste diese Frau endlich haben! Etwas, das sie sich offensichtlich genauso sehr wünschte wie er, denn sie zerrte am Reißverschluss seiner Hose. Und dann war er plötzlich frei, und sie war offen und bereit. Ihre Hüften schmiegten sich ganz intim an seine Lenden.

Ein Schauer durchfuhr ihn, ein Stöhnen entriss sich seiner Brust, während er alles um sich herum vergaß – Vorsicht, Verantwortung und Logik – und mit einem einzigen harten, perfekten Stoß in sie eindrang.

Sie war so eng. Sein Körper spannte sich an, während er versuchte, sein elementarstes Verlangen zu beherrschen.

„Entspann dich, mein Engel, dann geht es einfacher.“

Schweiß lag auf seiner Stirn, doch ehe er begriff, dass in ihren Bewegungen etwas Unbeholfenes lag, zog Ruby auch schon die Beine an. Seine Gedanken explodierten.

„Langsam“, raunte er und packte ihre Hüften. „Ja, genau so, lass mich ganz rein.“ Als sich ihre seidige Enge ganz um ihn schloss, stöhnte er lustvoll auf. Behutsam, weil er ihr nicht wehtun wollte, stemmte er eine Hand gegen die Wand, um ihrer beider Gewicht zu stützen. Seine Beine zitterten, so sehr bemühte er sich, seinen Höhepunkt zurückzuhalten, bis er zuerst den ihren spürte.

„O Gott.“ Sie klammerte sich an ihn, vergrub ihre Nägel in seinen Schultern. „Ich … ich …“ Ihr Körper spannte sich an, ihre Muskeln zuckten konvulsiv und zogen ihn dabei immer tiefer in ihren Körper hinein, bis sie explosionsartig Erfüllung fand.

Sobald er ihren Höhepunkt spürte, ließ Sam los. Er bewegte sich wie rasend in ihr, bis ihn der eigene Orgasmus durchschüttelte wie noch nie zuvor im Leben.

Er wusste nicht, wie lang sie so verharrten, ihre Körper auf die fundamentalste Weise vereint, die es im Leben gab. Ganz langsam wurde er sich der Welt um ihn herum bewusst: die Art, wie das Hemd an seinem feuchten Rücken klebte, die Zikade, die in einem nahen Busch zirpte, der leise Klang von Musik aus dem Ballsaal.

Als er den Kopf hob, waren seine Beine so schwach, dass er darum kämpfen musste, sie beide aufrecht zu halten. Er spürte, wie sie sich rührte, und in diesem Moment wurde ihm die ungeheuerliche Tragweite ihres Tuns bewusst – dass er derartig die Kontrolle verloren hatte, traf ihn wie ein Faustschlag.

Sam fluchte leise, während er sie auf dem Boden absetzte. Er bereute nicht viele Dinge in seinem Leben, aber Ruby wie ein grüner Schuljunge gegen eine Wand genommen zu haben könnte eins davon sein. Mehr als alles andere auf der Welt wollte er sie in seine Arme schließen und sie nach Hause bringen, damit er dort alles noch einmal mit ihr tun konnte. Aber diesmal in einem Bett. „Alles in Ordnung?“, fragte er sanft. Er fühlte sich genauso benommen, wie sie aussah.

„Wasser.“ Blinzelnd schaute sie zu ihm auf, die Maske ein ganz klein wenig verrutscht. Er wollte sie ihr runterreißen, genauso wie die Perücke, damit ihr die langen blonden Locken über die Schultern fielen. „Ich bin so durstig“, krächzte sie. „Macht es dir etwas aus?“

Mit ungeschickten Fingern brachte Sam seine Kleidung in Ordnung. Nein, natürlich machte es ihm nichts aus, ihr ein Glas Wasser zu holen, aber zuerst wollte er sich entschuldigen, wollte ihr versichern, dass er nicht die Absicht gehabt hatte, die Dinge so weit zu treiben. Zumindest nicht draußen, bei einer Party, um Himmels willen! Innerlich fluchte er noch einmal.

„Sicher, Wasser.“ Die Entschuldigung konnte warten. „Bleib … bleib einfach hier, bis ich zurück bin.“ Als er ihre zitternden Lippen sah, zögerte er, schaute sie besorgt an. „Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?“

Sie nickte und richtete ihre bauschigen Röcke, ohne ihn anzusehen.

Sam ließ sein Jackett auf dem Boden liegen und ging denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Als er die Ecke umrundete und das Licht heller wurde, blinzelte er.

Drinnen besorgte er rasch ein Glas Wasser und probte auf dem Rückweg eine kurze Rede. Verzweifelt versuchte er eine Erklärung für das zu finden, was gerade zwischen ihnen geschehen war, doch als er an die Stelle kam, an der er sie zurückgelassen hatte, war sie verwaist.

Besorgt wirbelte er herum, suchte die Schatten im Garten nach einem Hauch von Lavendelblau ab. Er brauchte eine volle Minute, um festzustellen, dass sie nicht da war. Und dann eine weitere Minute, um zu begreifen, dass sie abgehauen war. Die Sorge wich den Schuldgefühlen, weil er es so weit getrieben hatte, und dann schließlich dem Zorn darüber, dass sie nicht auf ihn gewartet hatte.

Machte sie so etwas öfter? Einen Mann aufreißen, unvergesslichen Sex mit ihm haben und ihn dann fallen lassen, sobald er ihr den Rücken zudrehte? Hatte sie deshalb darauf bestanden, dass sie anonym blieben?

Sam biss die Zähne zusammen, riss sich die Maske vom Gesicht und warf sie auf den Boden. Er konnte zwar nicht ganz glauben, dass sie ihn derart benutzen würde, aber wenn sie meinte, er würde es auf sich beruhen lassen, dann hatte sie sich getäuscht!

3. KAPITEL

„Rubes, wenn du dich nicht beeilst, verpasst du den Yogakurs“, rief Molly durch die Schlafzimmertür hindurch.

Ruby, die immer noch im Bett lag, drehte sich auf die Seite und überlegte, ob sie einfach so tun könnte, als würde sie noch schlafen. In Anbetracht der Tatsache, dass sie die ganze Nacht kein Auge zugemacht hatte, fand sie das eigentlich angemessen.

„Ruby?“ Molly öffnete die Tür einen Spaltbreit und streckte den Kopf durch. „Bist du krank?“

Ja, das war sie. In der vergangenen Nacht hatte sie einem Mann, den sie nicht mal mochte, gesagt, dass sie ihn brauchte. Während sie Sex hatten. Draußen. Bei einer Party.

Sex?

War es wirklich nicht mehr gewesen? Denn es fühlte sich wie ein Ereignis an, das ihre Welt völlig auf den Kopf stellte. Ganz sicher war es die erotischste Erfahrung ihres Lebens. Es lag an der Art und Weise, wie er sie angeschaut und berührt hatte. Er hatte ihr das Gefühl gegeben, etwas ganz Besonderes und so sexy zu sein, dass sie in seiner Nähe regelrecht den Verstand verloren hatte. Nicht, dass sie tatsächlich etwas Besonderes wäre. Wie besonders konnte sie schon sein, wenn Sam nicht mal ahnte, wer sie war?

„Ruby?“

Er hatte nicht einmal bemerkt, dass sie noch Jungfrau gewesen war! Obwohl es einen kurzen Moment des Zögerns gegeben hatte, in dem sie sich gefragt hatte, ob er ihre Unerfahrenheit ahnte. Es war feige gewesen, aber die Angst, dass er sie tatsächlich fragen würde, vor allem aber sein Fluch danach hatten dazu geführt, dass sie geflüchtet war, während er ihr das Wasser besorgte. Nicht ihr bester Moment, so viel war sicher. Aber um einiges besser als die Alternative, die darin bestanden hätte, zu sagen: „Hi, ich bin’s, Ruby. Großartiger Sex, und übrigens vielen Dank für die Einführung!“

Dass Sam Ventura niemals erfahren würde, mit wem er da unglaublich heißen Sex gehabt hatte, war der einzige Trost, der ihr den nötigen Mut verlieh, den heutigen Tag anzugehen.

„Ruby, du machst mir Angst.“

Als sie aufblickte, begegnete sie Mollys besorgtem Blick. „Was? Tut mir leid.“ Sie zwang sich ins Hier und Jetzt zurück.

„Du siehst nicht gut aus. Was ist gestern Abend passiert?“

„Nichts. Mir geht es gut.“ Ruby setzte ein betont breites Lächeln auf. „Gib mir fünf Minuten, dann komme ich mit dir zum Yogakurs.“

„Bist du sicher, dass du dich danach fühlst?“

„Ja.“

Ihre Schwester wirkte nicht überzeugt. „Ich habe Kaffee gemacht, also beeil dich.“

Sobald Molly die Tür geschlossen hatte, krabbelte Ruby aus dem Bett. Durch die SMS, die sie in der vergangenen Nacht mit ihrer Schwester getauscht hatte, wusste sie, dass es Molly tatsächlich gelungen war, mit dem Regisseur zu sprechen und ihn nach einigem Hin und Her davon zu überzeugen, sie zu einem Casting einzuladen. Gott sei Dank war Molly nicht sauer gewesen, weil Ruby die Party einfach ohne sie verlassen hatte.

Das Beste, was sie jetzt tun konnte, war, zum Yoga zu gehen. Es würde ihr helfen, ihr Gleichgewicht wiederzufinden und die furchtbar schlechte Entscheidung, die sie am Freitag getroffen hatte, zu verdrängen.

Am Montagmorgen hastete Ruby durch den warmen Sommerregen, besorgte sich schnell einen Kaffee und überquerte damit die Straße zu ihrem Büro. Je eher sie anfing zu arbeiten, desto schneller würde sie sich wieder normal fühlen.

„Hey, Ruby.“ Veronica, ihre stets fröhliche Sekretärin, rief nach ihr, als sich gerade die Fahrstuhltür öffnete. „Wie war die Herzog-Party am Freitag? Hast du jemand Nettes kennengelernt?“

Warum interessierte sich plötzlich alle Welt für ihr Liebesleben? „Die Party war fantastisch.“ Wenn sie nicht das richtige Maß an Begeisterung zeigte, würde Veronica sie nur weiter löchern. „Wie war dein Wochenende?“

„Wir haben mit den Kids einen Ausflug in den Zoo gemacht und uns das Pandajunge angeschaut. So niedlich! Also, war jemand Interessantes auf der Party? Ein paar Berühmtheiten?“

„Nicht, dass ich wüsste. Immerhin haben wir Masken getragen, schon vergessen? Da war es schwierig, jemanden zu erkennen.“ Gott sei Dank! „Warum steigst du im dritten Stock aus?“, fragte Ruby verwundert, Veronicas Büro befand sich schließlich im vierten.

„Es gibt ein Meeting im großen Konferenzraum. Hast du das Memo Freitagnachmittag nicht bekommen? Mr. Kent Senior hat wohl etwas zu verkünden.“

Ruby war Freitagnachmittag direkt vom Gericht gekommen und hatte nicht die Zeit gehabt, sämtliche Mails zu lesen, weil sie sich für die Party fertig machen musste. „Wann ist das Meeting?“

„Jetzt“, erwiderte Veronica. „Kommst du nicht?“

„Doch, natürlich.“ Ruby trat aus dem Lift und stellte innerlich die Pläne für den Morgen um. „Weißt du, worum es geht?“

„Die Gerüchteküche besagt, dass wir mit einer großen Firma aus den USA fusionieren werden.“

Ruby, die gerade den Kaffeebecher an die Lippen führte, hielt mitten in der Bewegung inne. „Wie bitte?“

„Aber Bridget von der IT meint, Mr. Kent Senior wird in den Ruhestand treten und die Geschäftsführung Drew übertragen.“

Ruby atmete erleichtert aus. Das klang schon besser. Aufgeregtes Gemurmel lag in der Luft, als sie den überfüllten Konferenzsaal betrat und im hinteren Teil Platz nahm. Sie verrenkte sich den Hals, um zu sehen, wer da am Kopfende des Raums saß, doch sie konnte nur einen Blick auf ihren Boss Drew Kent erhaschen. Drew war ein großartiger Vorgesetzter: gerecht und besonnen, selbst wenn er nicht immer mit allen Fällen einverstanden war, die sie annahm. Aus diesem Grund bemühte sich Ruby umso mehr, ihren Wert unter Beweis zu stellen, weshalb sie es in den zwanzig Monaten, die sie nun hier arbeitete, auch schon so weit gebracht hatte.

„Wenn ich um euer aller Aufmerksamkeit bitten dürfte“, ergriff Drew das Wort. „Mit großer Freude – und einiger Erleichterung – darf ich verkünden, dass mein Vater, von dem wir alle annahmen, er würde hier mit den Füßen zuerst hinausgetragen werden, sich zur Ruhe setzt. Glücklicherweise hat meine Mutter ihn davon überzeugt, dass es im Leben noch mehr als das Gesetz gibt, auch wenn wir alle wissen, dass das nicht stimmt.“ Seufzer, vermischt mit Lachen, erfüllten den Raum und brachten Ruby zum Lächeln.

Drew verlor noch ein paar Worte darüber, dass sein Vater für sie alle eine Inspiration gewesen sei. Danach erhob sich Mr. Kent Senior, nahm den Applaus entgegen und rächte sich mit einem Augenzwinkern an seinem Sohn, indem er erklärte, er habe sich nur deshalb entschlossen, die Firma endlich in Drews fähige Hände zu übergeben, weil jemand äußerst Kompetentes sich bereit erklärt hatte, seine Firma mit der ihrigen zu fusionieren und Drew unter die Arme zu greifen.

Ruby spitzte die Ohren. Atemlos wartete sie darauf zu erfahren, wer der Neue war. Doch als sie den Namen Ventura International hörte, sackte ihr Herz ins Bodenlose.

„Ich denke, ihr alle werdet diese Veränderung genauso begrüßen wie ich. Durch die Fusion mit einer der erfolgreichsten Anwaltskanzleien der Vereinigten Staaten weiten wir unsere Geschäftsfelder substanziell aus.“

Während die Menge begeistert applaudierte, stand Ruby da wie erstarrt. Das konnte nicht wahr sein. Ihr Magen zog sich zusammen. Wie war das möglich? Ein Albtraum! Ein absolutes Desaster. Es war … es gab keine Worte, um zu beschreiben, wie sie sich fühlte. Sie war benommen. Absolut benommen.

Nur vage hörte sie, wie Sam Ventura ein paar Worte sprach – wie sehr er sich freue, mit ihnen allen zusammenzuarbeiten, und was es für ihn bedeute, hier zu sein. Alles, was Ruby hörte, war: „Ich will dich schmecken.“

O Gott, gleich würde sie sich übergeben.

Plötzlich bildeten die Angestellten eine Schlange, um sich dem neuen Geschäftspartner der Reihe nach vorzustellen.

„Ist es zu fassen, dass wir ab morgen im Wellington Tower arbeiten werden?“, wisperte Veronica aufgeregt. „Allein das Foyer ist so groß wie ein Flugzeughangar, und es soll einen Hundertachtzig-Grad-Blick auf den Hafen geben. Keine Schuhkartonbüros mehr. Ich kann die Fähre zur Arbeit nehmen und muss nicht mehr mit dem stinkenden alten Bus fahren!“

„Wellington Tower?“, murmelte Ruby verwirrt. Offensichtlich hatte sie diesen Teil von Sams Rede verpasst.

„Offenbar gehört er Sam Ventura. Fünf Stockwerke mit Büroflächen wurden übers Wochenende freigemacht. Eine Menge der Hardware befindet sich schon dort, wir müssen also nur noch unsere persönlichen … Ruby, ist alles in Ordnung? Du bist weiß wie eine Wand!“

Sie griff nach Veronicas Arm. „Um ehrlich zu sein, fühle ich mich schrecklich. Ich …“ Panikartig blickte sie sich um und sah, dass sie immer weiter nach vorne gedrängt wurde, um ihrem neuen Boss zu gratulieren. „Wir sehen uns im Büro.“

Veronica runzelte die Stirn. „Okay. Soll ich dich bei Mr. Ventura entschuldigen?“

„Nein.“ Ruby quetschte ihren Arm. Um Gottes willen, nein. „Erwähne mich einfach gar nicht.“ Denn sie würde kündigen müssen, warum sollte Veronica da noch ihren Namen fallen lassen?

Fünf Minuten und mehrere Yoga-Atemübungen später fühlte Ruby sich nicht besser, aber zumindest dachte sie nicht mehr daran, zu kündigen. Sie liebte ihren Job. Auf keinen Fall würde sie ihn sich von irgendeinem Mann wegnehmen lassen. Diesen Schwur hatte sie schon vor langer Zeit abgelegt.

Und warum sollte sie überhaupt kündigen? Sam Ventura wusste ja nicht, mit welcher Frau er am Freitagabend Sex gehabt hatte. Was ihn anging, war sie einfach nur Millers beste Freundin, die er vor zwei Jahren ein einziges Mal geküsst hatte.

Als sie die Damentoilette verließ, hätte sie beinahe einen der Rechtsanwaltsgehilfen über den Haufen gerannt. Sie entschuldigte sich ausgiebig und trat mitten in den Weg von Drew Kent – und Sam Ventura.

Mit klopfendem Herzen begegnete sie ihren Blicken. Sofort registrierte ihr Gehirn, wie unverschämt gut Sam Ventura ohne Maske aussah. Sie sah von seinem glatt rasierten Kinn zu den sinnlichen Lippen. Als ihr schlagartig heiß wurde, richtete sie ihre Aufmerksamkeit rasch ganz auf Drew.

„Ruby! Wie gut, dass wir dich hier treffen. Ich habe dich vorhin gar nicht im Konferenzraum gesehen“, sagte Drew.

„Ich war da“, versicherte sie. „Ich musste nur schnell … wohin.“

„Okay, dann weißt du, dass Sam und ich uns die Geschäftsführung teilen werden?“

Ruby zwang sich zu einem Lächeln. Diesen Teil der Rede hatte sie auch verpasst. „Großartig. Herzlichen Glückwunsch.“ Sie warf einen raschen Blick auf Sam, um ihn in die Gratulation einzubeziehen, und stellte dabei fest, dass er sie aufmerksam musterte.

Innerlich gemahnte sie sich, sich normal zu verhalten, weshalb sie ihr Lächeln verbreiterte – vielleicht wirkte es dadurch echter.

„Willkommen im Team!“

Ein Team, das sie schon bald verlassen würde, denn ihr erster Instinkt war richtig gewesen: Sie musste kündigen. Auf keinen Fall konnte sie ihm tagtäglich im Büro begegnen, sich dabei in allen Details an das erinnern, was sie getan hatten, und gleichzeitig professionell mit ihm arbeiten.

„Danke.“ Sams tiefe Stimme ging ihr durch und durch. „Es freut mich, hier zu sein.“

„Ich wollte Sam gerade in dein Büro bringen“, sagte Drew.

Ruby bemühte sich, ihren Schock zu verbergen. „Tatsächlich?“

„Ja. Jetzt, wo bei Mandy jeden Tag die Wehen einsetzen können, hat Sam eingewilligt, den Star-Burger-Fall zu beaufsichtigen. Ich möchte, dass du ihn schnell auf den aktuellen Stand bringst. Sobald die Medien Wind von der Geschichte bekommen, wird es richtig groß. Da wäre es mir lieber, wenn ein Seniorpartner dabei ist.“

Auch wenn sie Drew vor der Geburt seines ersten Kindes nicht belasten wollte, so konnte Ruby das keinesfalls akzeptieren. „Glaub mir, ich habe alles unter Kontrolle“, sagte sie und hoffte dabei, selbstbewusst und nicht defensiv zu klingen.

„Beim letzten Mal sagtest du, dass du vorhast, ein politisches Schwergewicht in den Zeugenstand zu berufen. Dieses Ding wird riesig, Ruby.“

„Ich habe es nicht nur vor“, versetzte sie knapp. „Ich werde es tun.“ Star Burger war eine überaus beliebte Restaurantkette in ganz Australien. Ihr Besitzer, Carter Jones, hatte daraus ein Franchiseunternehmen gemacht, aber vergessen, seinen Franchisepartnern moralisch-ethische Standards aufzuerlegen, um seine Angestellten zu schützen. Als Folge gab es etliche Missstände zu beklagen – von Diskriminierung über Rassismus bis hin zu Lohndumping. Ruby wollte beweisen, dass der Fisch vom Kopf her stank.

Wenn sie gewann, würden nicht nur ihre ausgebeuteten Mandanten den Lohn bekommen, sondern eine Gruppe junger Menschen, die in ihrer Gesellschaft besonders verletzlich war, würde endlich eine Stimme erhalten. „Und es ist bereits groß.“

„Weshalb dir Sam helfen soll“, betonte Drew. „Er verfügt über die Erfahrung, die ein solcher Fall braucht.“ Er blickte von ihr zu Sam. „Außerdem sagte er, dass ihr euch bereits kennt.“

Ruby schluckte. „Nur weil meine beste Freundin seinen Bruder geheiratet hat. Wir kennen uns nicht wirklich.“ Okay, jetzt klang sie eindeutig defensiv. Weil ihr das bewusst war, wich sie Sams Blick aus.

„Schon gut, Drew, lass mich mal machen“, schaltete sich Sam ein und wandte sich dann an Ruby. „Bitte geh vor – ich weiß ja nicht, wo dein Büro ist.“

Da ihr so schnell kein plausibler Grund einfiel, mit dem sie die Besprechung verhindern konnte, lächelte sie angespannt. Zumindest wusste Drew nicht, was am Freitagabend zwischen ihnen vorgefallen war. Ein kleiner Trost angesichts der Tatsache, dass sie dagegen ständig daran denken musste. Dennoch klammerte sie sich an diesen Trost.

Kühl wie eine Eisprinzessin, dachte Sam, während Ruby in ihrem Bleistiftrock und den sündhaft hohen High Heels vor ihm den Gang hinunterging. Oder zumindest wollte sie diesen Eindruck erwecken. Die Tatsache, dass sie ihm nicht in die Augen blicken konnte, ließ jedoch das Gegenteil vermuten. Natürlich konnte das an dem Schock darüber liegen, ihn hier an ihrem Arbeitsplatz zu treffen. Er hatte selbst erst an diesem Morgen erfahren, dass Ruby für die Kents arbeitete.

Ursprünglich hatte er vorgehabt, sich ihre Nummer von Miller geben zu lassen und sie diese Woche anzurufen. Um nach einer Erklärung für ihr Verhalten am Freitagabend zu fragen und ihr dann zu sagen, was er davon hielt. Er hatte ihr sagen wollen, dass sie das nächste Mal, wenn sie auf einer Party unfassbar heißen Sex mit einem Mann hatte, danach nicht einfach heimlich verschwinden sollte.

Angesichts der Tatsache, dass sie ihn jetzt wie einen Fremden behandelte, konnte er davon ausgehen, dass sie auf diesen Anruf nicht sonderlich gut reagiert hätte. Aber sie waren alles andere als Fremde. Sie waren Liebende. Nun ja, vielleicht auch nicht. Schließlich rannte eine Geliebte nach dem Liebesspiel nicht einfach davon!

Plötzlich kehrte seine Wut mit aller Macht zurück. Wusste Ruby überhaupt, wer noch vor achtundfünfzig Stunden in ihrem herrlichen Körper gewesen war? Dass er sie zu einem solch heftigen Orgasmus gebracht hatte, dass sie sich an ihn klammern musste wie ein Koalajunges an seine Mutter? Der Gedanke, dass sie es vielleicht nicht wusste, war ihm am Wochenende ein paar Mal gekommen. Was, wenn er für sie nur irgendein One-Night-Stand gewesen war?

Mittlerweile hatten sie Rubys Büro erreicht. Dort nahm sie hoheitlich wie eine Königin, die ihren widerspenstigen Untertan zähmen will, hinter ihrem Schreibtisch Platz und sagte: „Eines möchte ich gleich zu Beginn klarstellen: Ich weiß, wie sehr du mit der Fusion und dem Umzug in die neuen Büroräume beschäftigt sein musst, deshalb möchte ich nicht, dass du das Gefühl hast, du müsstest dich um den Star-Burger-Fall kümmern. Mir steht ein tolles Team zur Verfügung, und wir haben wirklich alles unter Kontrolle.“

Die Frau hatte Mumm, das musste er ihr lassen. „Ich grüße dich auch, Ruby. Schön, dich zu sehen“, versetzte Sam, dem es nur mit Mühe gelang, seinen wachsenden Zorn zu zügeln.

Mit einiger Befriedigung sah er, wie sie errötete. „Es ist äh … auch schön, dich zu sehen.“

Wer’s glaubt, dachte er und blieb stoisch stehen. Er dachte ja gar nicht daran, wie ein braver Schuljunge ihr gegenüber Platz zu nehmen. Stattdessen ließ er sich Zeit dabei, ihr Büro in Augenschein zu nehmen.

„Ich will nur nicht, dass du glaubst, ich bräuchte deine Hilfe“, griff sie das Thema wieder auf, als sich das Schweigen ausdehnte. „Mir ist klar, dass du wahnsinnig beschäftigt sein musst.“

„Das sagtest du bereits.“ Er griff nach einem bunten Briefbeschwerer in ihrem Bücherregal und warf ihn in die Luft. „Schönes Stück. Woher hast du es?“

„Von meiner Mutter.“ Sie befeuchtete ihre kirschroten Lippen, an die er sich nur allzu gut erinnerte. „Nachdem ich zur Senior Associate befördert worden war.“

„Ah ja.“ Er blickte zur ihr rüber. „Drew erwähnte, dass du sehr gut bist in deinem Job.“

„Extrem gut“, korrigierte sie. „Ich habe hart dafür gearbeitet, an den Punkt zu kommen, an dem ich nun bin.“

„Entspann dich, Ruby“, erwiderte er und ließ sich endlich auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch nieder, jetzt, wo er ein gewisses Gefühl von Kontrolle hatte. „Das hier ist kein Bewerbungsgespräch. Ich bin sicher, dass du dir die Position in der Firma verdient hast.“

Ihre Augen verengten sich. „Ja, das habe ich. Also, was genau kann ich für dich tun?“ Ehe ich dich aus meinem Büro werfe.

„Das kommt darauf an.“ Sam hob eine Augenbraue. Die Star-Burger-Kette gehörte Carter Jones, einem der reichsten Männer Australiens, einem wahren Mistkerl, der andere Menschen wie Abschaum behandelte. Vor vier Monaten hatte eine Gruppe junger ausländischer Arbeiter eine Allianz gebildet, um sich juristische Hilfe zu suchen und etwas gegen ihre skandalösen Arbeitsbedingungen zu unternehmen. Ihr Weg hatte sie zu Ruby geführt. Im Laufe der Zeit waren immer mehr Arbeiter dazugestoßen, sodass sie nun eine Sammelklage einreichen konnten. Wenn sie gewannen, würde das einen wichtigen Präzedenzfall in Australien schaffen.

Doch zu dem Fall würde er später kommen. Zunächst wollte er herausfinden, wo er bei Ruby stand. „Dein Widerwille, mit mir zusammenzuarbeiten, hat also nichts damit zu tun, dass Drew denkt, du würdest es allein nicht schaffen, sondern liegt ganz allein an mir – ja?“

„Ich schaffe diesen Fall ohne Weiteres allein“, erklärte sie fest. „Es ist völlig unnötig, dass du an diesem Punkt einsteigst, vor allem falls du glaubst, ich würde dich brauchen. Ich meine, deine Hilfe brauchen … oder dergleichen.“

„Wie dumm, dass das nicht deine Entscheidung ist, nicht wahr?“

Sein Ton war kühl und herausfordernd. Darauf konnte Ruby nichts erwidern, weil sie beide wussten, dass er recht hatte.

„Das hier ist ein David-gegen-Goliath-Fall, Ruby“, fuhr er sanfter fort. „Ich kenne Carter Jones, und ich weiß ganz genau, wie skrupellos er ist. Wenn dieser Fall vor Gericht landet, könnte es seinen Ruf ruinieren, mal ganz abgesehen von seinem Profit. Das wird er um keinen Preis zulassen.“

„Dann hätte er sich besser um seine Mitarbeiter kümmern sollen“, versetzte sie mit einer Vehemenz, die Sam unweigerlich bewunderte. „Denn dieser Fall wird von mir bis zur letzten Instanz ausgefochten werden, Sam. Diese Jungs brauchen Gerechtigkeit, und ich habe vor, sie ihnen zu verschaffen.“

„Da widerspreche ich nicht, aber auch dir ist doch wohl klar, dass es dem Fall ein ganz anderes Gewicht verleiht, wenn ein Seniorpartner mit an Bord ist.“

„Du meinst, es wird die Gegenseite einschüchtern, wenn Sam Ventura den Fall betreut?“

Sam legte den Kopf leicht schräg. „Ich habe den Ruf, zu gewinnen, aber den hast du auch. Ich denke, Drews Idee ist, dass wir ein ziemlich beeindruckendes Team wären.“

„Und wenn ich das anders sehe?“, fragte sie spitz.

Er sah ihr vorgerecktes Kinn, den steif durchgedrückten Rücken, und entschied, sie noch ein wenig zu ärgern. „Auch das ist nicht deine Entscheidung.“

Ihre Augen schossen Blitze in seine Richtung. „Schön. Tu, was auch immer du meinst, tun zu müssen. Ich kann dich ja sowieso nicht daran hindern, alles an dich zu reißen, nicht wahr?“

Sam fuhr sich frustriert durchs Haar. „Ruby, es geht hier nicht darum, ob du in der Lage bist, diesen Fall zu gewinnen oder nicht, und es geht auch nicht darum, dass ich daherkomme und alles an mich reiße. Aber dieser Fall ist eine Sammelklage. Du brauchst einen Seniorpartner als Ratgeber, ob du es nun willst oder nicht.“

Ruby seufzte schwer. Plötzlich sackten ihre Schultern herab. „Es ist keine Sammelklage mehr. Ein weiterer Mandant ist abgesprungen, sodass jetzt nur noch sechs übrig sind.“

„Sechs?“ Das schockierte ihn. „Du hast mit neunzehn angefangen!“

„Ich weiß. Carter Jones und seine Schergen haben bereits begonnen, sie einzuschüchtern. Die Jungs verstehen das Rechtssystem nicht, weshalb sie ihm auch nicht vertrauen. Aber die verbliebenen sechs wollen es durchziehen, und ich habe vor, ihnen zur Seite zu stehen.“

Sam trommelte mit den Fingern auf die Stuhllehne. Sechs waren nicht genug, um Jones zu schlagen. „Organisiere ein Treffen mit allen neunzehn“, sagte er bestimmt. „Ich rede mit ihnen.“

„Alle neunzehn?“ Ruby blickte ihn zweifelnd an. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Ich will nicht, dass die verbliebenen sechs auch noch abspringen.“

Sam hob eine Braue. „Du vertraust mir wirklich nicht, Ruby, was?“

„Das ist keine Frage des Vertrauens“, entgegnete sie, wobei sie seinem Blick auswich. „Ich will nur nicht, dass du unnötig deine Zeit verschwendest.“

„Jetzt ist es an mir, etwas klarzustellen“, erwiderte er ruhig. „Ich bin ein großer Junge, Ruby. Ob du mir glaubst oder nicht, ich bin sehr gut allein in der Lage, zu entscheiden, was Zeitverschwendung ist und was nicht. Verstanden?“

„Natürlich.“

Er sah, wie sie ihre Zähne in der Unterlippe vergrub, worauf sein Körper sofort überaus unangemessen reagierte. Offensichtlich war Ruby immer noch nicht glücklich darüber, dass er mit in den Fall einstieg, und er war sich nun ziemlich sicher, dass es nicht nur an ihrem Ego lag. Dafür konnte es nur einen Grund geben.

„War’s das dann? Oder gibt es noch einen Grund, warum du nicht mit mir arbeiten willst?“

Gehetzt blickte sie ihn an. „Ich habe nicht gesagt, dass ich nicht mit dir arbeiten will.“ Langsam stieß sie den Atem aus, bemühte sich um ein Lächeln. „Du bist Millers Schwager. Warum sollte ich nicht mit dir arbeiten wollen?“

„Vielleicht weil unsere Geschichte weiter geht als bis zu meinem Bruder und seiner Frau“, entgegnete er genauso kühl wie sie. „Vielleicht … weil ich dich geküsst habe.“

Und nicht nur deinen Mund, sondern auch deinen Nacken, dein Haar, deine Brüste.

Kurz flackerte Panik in ihren grünen Augen auf, dann schlug sie den Blick nieder, griff nach einem Glas Wasser und führte es zitternd an die Lippen. „Das war vor zwei Jahren und hat nichts mit diesem Fall zu tun.“

„Wirklich nicht?“

„Natürlich nicht. Es war eine impulsive Sache, die nichts bedeutet hat.“

Sam gefiel diese Aussage ganz und gar nicht, obwohl er sich damals dasselbe eingeredet hatte. Doch das, was vor zwei Jahren passiert war, war nichts gegen das, was am Freitagabend zwischen ihnen geschehen war.

„Da wir uns seitdem nicht gesehen haben“, fuhr sie verbissen fort, „sollten wir … wir sollten …“ Sie zuckte kurz die Achseln. „Einfach vergessen, dass es passiert ist.“

Einen Moment lang starrte er sie schweigend an. „Aber wir haben uns seitdem wiedergesehen, Ruby.“ Sein Ego verlangte, dass er sie noch ein wenig vor sich hertrieb. „An Millers und Tinos Hochzeit vor einem Jahr. Schon vergessen?“

„Natürlich.“ Unendliche Erleichterung lag in diesem einen gehauchten Wort. „Wie konnte ich das vergessen? Es war ein wunderschöner Abend.“

„Wie geht es übrigens dem Banker?“

„Banker?“ Sie runzelte kurz die Stirn. „Oh, du meinst Chester. Er ist Börsenhändler.“

„Ich habe nicht gefragt, was er ist, sondern wie es ihm geht.“

„Gut. Glaube ich. Wie dem auch sei, lass uns …“

Unglaublich, dachte er mit wachsender Fassungslosigkeit. Sie hatte nicht vor, Freitagabend auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Was ihn in ein gewisses Dilemma stürzte, denn er wollte nicht nur über Freitagabend reden, sondern ihn auch wiederholen.

Keine gute Idee, Samuel. Du bist jetzt ihr Boss.

Auch wenn es irrational sein mochte, eines sollte sie unbedingt zugeben: Dass sie genau wusste, wer Freitag in ihren herrlichen Körper eingedrungen war. Und er wollte sie wieder haben – nackt, heiß und nass. Nur für ihn.

Doch das ging nicht. Sie arbeitete für ihn. Umso mehr Grund, seinen Kopf zu benutzen und diese Sache zwischen ihnen ihren natürlichen Tod sterben zu lassen.

Was bedeutete, dass er ihr keine weiteren Fragen darüber stellen durfte, was ihr der Kuss vor zwei Jahren bedeutet hatte. Und er durfte ihr auch nicht sagen, dass sie die Frau war, die er am Freitagabend gegen eine Mauer gedrängt genommen hatte, bis ihnen beiden Hören und Sehen vergangen war.

Seine Gefühle für Ruby Clarkson – was auch immer sie waren – gehörten nicht ins Büro.

„Sam?“

Ihre verwirrte Stimme durchbrach seine Gedanken. „Was?“

Stirnrunzelnd schaute sie ihn an. „Ich habe dich gefragt, ob du mir zustimmst?“

Nein, verdammt noch mal, er stimmte ihr nicht zu. Vor allem deshalb, weil er gar nicht mitbekommen hatte, was sie gefragt hatte. „Was zustimmen?“, bellte er.

„Dass wir unsere vergangenen …“, sie räusperte sich, „Begegnungen vergessen, weil wir nun zusammen arbeiten.“

Als er nicht sofort reagierte, hob sie den Blick und schaute ihn forschend an. Ihr kühles Gehabe irritierte ihn ungemein, weshalb Sam all seine früheren Warnungen in den Wind schlug. „Freitagabend“, sagte er mit teuflischem Lächeln. „Hattest du einen schönen Freitagabend?“

Ein Wechselbad an Gefühlen flackerte in ihren Augen auf, dann blinzelte sie und es war verschwunden. Als sie sprach, klang ihre Stimme fest und souverän. „Warum fragst du mich nach Freitagabend?“

„Aus keinem besonderen Grund.“ Er zwang sich zu einem trägen Lächeln. „Miller erwähnte, dass du immer sehr lang arbeitest. Selbst an den Wochenenden. Ich will nicht, dass du vor lauter Erschöpfung zusammenklappst.“

„Oh.“ Sie blickte über seine Schulter zur Tür, so als könnte sie sich nichts Schöneres vorstellen, als ihn aus ihrem Büro hinauszukomplimentieren. „Ich bin weit davon entfernt, zusammenzuklappen, vielen Dank der Nachfrage.“

Sie rieb sich über die linke Schläfe, vermutlich um das nervöse Zucken an ihrem Auge zu verbergen. Sams Lächeln wurde breiter. Oh, sie wusste Bescheid. Ruby wusste ganz genau, welcher Mann während des Kostümballs in ihr gewesen war.

Dessen war er sich nun absolut sicher. Und verdammt sollte er sein, wenn das sein angekratztes Ego nicht streichelte.

„Gern geschehen“, erwiderte er, knöpfte sein Jackett zu und stand auf. „Organisier das Treffen mit all deinen Star-Burger-Mandanten. Und Ruby?“ Kurz vor der Tür stoppte er noch einmal und lächelte sie an. „Vielen Dank für deine Zeit. Das war sehr erhellend.“

4. KAPITEL

Ruby sackte erschöpft in ihrem Stuhl zusammen, sobald sich die Tür hinter Sam geschlossen hatte.

Großer Gott, sie würde niemals in der Lage sein, mit ihm zu arbeiten. Allein die Art, wie er sie anschaute, so heiß und intensiv … Nur mit Mühe gelang es ihr, die Fassung zu wahren. Und als er sie nach Freitagabend gefragt hatte! Wenn er nicht ein solcher Meister darin wäre, sich nicht in die Karten schauen zu lassen, hätte sie vermutet, dass er mit ihr spielte.

Dennoch konnte er nicht wissen, dass er bei der Herzog-Party mit ihr zusammen gewesen war. Soweit sie wusste, hatte sie dort niemand gekannt. Die einzige Möglichkeit, wie er von ihrer Anwesenheit auf der Party erfahren könnte, bestand darin, dass sie selbst es ihm sagte. Was sie nicht tun würde. Niemals.

Ein Klopfen riss Ruby aus ihren Gedanken.

„Das Werner-Meeting beginnt in fünf Minuten, Rubes.“ Grant Campbell, ein aufstrebender Stern unter den Anwaltskollegen der Firma, steckte den Kopf zur Tür herein. „Wir sind in Konferenzraum vier.“

„Bin schon auf dem Weg“, erwiderte sie, griff nach ihrem Laptop und fegte dabei fünf Aktenordner von ihrem Schreibtisch.

Seufzend blickte sie zu Grant hinüber. „Hast du schon mal das Gefühl gehabt, dass du besser im Bett liegen geblieben wärst?“

„Das habe ich ständig“, entgegnete er augenzwinkernd.

Und so verlief auch der Rest von Rubys Tag. Die ganze Zeit rackerte sie sich ab und versuchte, mit der Arbeit hinterherzukommen, bis sie am Abend so müde ins Bett fiel, dass sie in dieser Nacht gar nicht mehr an Sam Ventura dachte. Oder zumindest den Großteil der Nacht.

Am Mittwochmorgen hatte sie das Gefühl, sich wieder etwas besser im Griff zu haben. Von ihrem neuen Büro aus starrte sie durch das Fenster auf das berühmte Opernhaus von Sydney. Veronica hatte ihnen zwei äußerst großzügige Räumlichkeiten in dem beeindruckenden Büroturm gesichert.

Ruby fragte sich, wie lang sie wohl brauchen würde, herauszufinden, wie die hypermoderne Kaffeemaschine funktionierte, als ihr Handy summte. Grant hatte ihr eine Nachricht zum Star-Burger-Fall geschickt. Anscheinend waren bereits die ersten der neunzehn Angestellten eingetroffen, die Ruby eingeladen hatte, und aßen jetzt Kuchen in einem der Konferenzräume.

Rasch schrieb sie eine Antwort, schob den Stuhl zurück und griff nach den Akten und ihrem Laptop.

Obwohl sie Sam am Vortag per E-Mail über das Meeting informiert hatte, hatte er sie gebeten, eine Stunde vor dem Termin in sein Büro zu kommen, damit sie ihre gemeinsame Strategie durchsprechen konnten. Angesichts der Tatsache, dass sie in den vergangenen zwei Tagen einen großen Bogen um ihn gemacht hatte, war es das Letzte, was sie tun wollte, aber es ließ sich nicht vermeiden.

Als sie in sein Büro trat, erhob sich Sam von seinem eleganten Glasschreibtisch. Sein Gesichtsausdruck war unergründlich wie immer. In seinem hellblauen Hemd, der dunkelblauen Krawatte und der anthrazitfarbenen Anzughose sah er wie der übererfolgreiche Anwalt aus, der er war. Sofort wusste sie, dass sich ihre Mandanten in seiner Gegenwart schrecklich unsicher fühlen würden. Konnte der Mann seine Aura nicht ein wenig runterfahren?

„Warum runzelst du die Stirn?“, fragte er mit leicht rauer Stimme, so als hätte er eine Weile nicht geredet.

Tief einatmen, sagte sie sich. Dieser Fall war unheimlich wichtig für sie. Zumal ihr das Schicksal ihrer Mandanten, die sie innerlich als ihre Jungs bezeichnete, wirklich am Herzen lag.

Jungs, die noch Teenager waren und neu im Land. Die meisten sprachen nur rudimentäres Englisch, aber alle brannten sie darauf, zu lernen und einen sicheren Platz für sich zu finden.

Ob Sam diesen Fall genauso ernst nehmen würde wie sie? Oder würde er ihn lediglich als Möglichkeit betrachten, sein Geschick im Gerichtssaal unter Beweis zu stellen? Und warum sollte das eine Rolle spielen, solange es ihnen dabei half, zu gewinnen?

„Hör auf, deine Unterlippe zu malträtieren“, schalt er, „und sag mir, warum du die Stirn runzelst.“

Ruby ließ ihre Unterlippe los. „Ich runzle die Stirn“, erwiderte sie, „weil ich mir Sorgen um unser heutiges Meeting mache. Einige dieser Kids haben traumatische Erfahrungen bei Star Burger gemacht und es war verdammt schwer, ihr Vertrauen zu gewinnen. Ich denke nicht, dass es hilfreich ist, jetzt noch mal alles durchzukauen.“

Sam ließ sich auf einem der weißen Ledersofas nieder, die einen fantastischen Blick über den Hafen boten. „Sie müssen ihre Geschichte auch wiederholen, wenn es vor Gericht geht.“

„Weshalb die meisten von ihnen einen Rückzieher gemacht haben.“

„Nein. Die meisten haben einen Rückzieher gemacht, weil Carter Jones eine Schmutzkampagne gegen sie gestartet hat. Wir müssen diese Mandanten zurückbekommen, wenn wir eine Chance haben wollen zu gewinnen, und das weißt du auch. Komm, setz dich.“

„Sie vertrauen dem System nicht“, entgegnete sie, während sie seiner Aufforderung widerwillig folgte und auf dem Sofa neben seinem Platz nahm. „Und warum sollten sie auch? Bislang hat es ihnen nichts genützt.“

„Das wird es aber, sobald wir diesen Fall gewonnen haben.“

Ruby senkte den Blick. „Dräng sie nur nicht zu sehr, okay? Sie kennen dich nicht.“

Sam musterte sie so intensiv, dass ihr unbehaglich wurde. „Das Schicksal dieser Jungs ist dir beinahe wichtiger, als den Fall zu gewinnen, nicht wahr?“

„Es ist mir wichtig, dass ich das tue, was meine Mandanten von mir erwarten“, versetzte sie und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie wollte nicht, dass Sam glaubte, sie gehe zu emotional an die Fälle heran. Es war nämlich eine Sache, die eigene Arbeit mit Leidenschaft zu betreiben, aber etwas ganz anderes, sich so hineinzusteigern, dass man die Objektivität verlor und ineffektiv wurde.

„Ich bin schon eine ganze Weile Anwalt, Ruby – ich weiß, was ich tue.“ Er schaute sie aufmerksam an. „Ist das der einzige Grund, weshalb du so nervös bist?“

Rubys Kopf zuckte zurück. „Ich bin nicht nervös!“, stritt sie vehement ab. Allein das strafte ihre Worte Lügen. Gott, wenn er sie so leicht durchschaute, war sie wirklich geliefert.

„Gut. Dann hilf mir, die beste Strategie zu entwickeln, um alle neunzehn wieder an Bord zu holen. Wenn wir Jones schlagen wollen, müssen wir diese Jungs zumindest dazu bringen, vor Gericht zu erscheinen, auch wenn sie nicht die Absicht haben, in den Zeugenstand zu treten. Es wird unseren aktuellen Mandanten Selbstvertrauen geben und Jones hoffentlich gehörig Angst machen.“

Ruby biss sich erneut auf die Lippe und wünschte, sie besäße Sams Fähigkeit, so kühl und gelassen zu bleiben. Andererseits wurde er ja auch nicht ständig von Flashbacks heimgesucht, wie herrlich es sich angefühlt hatte, seine Hände überall auf ihrem Körper zu spüren. Warum wollte es ihr einfach nicht gelingen, das Ganze hinter sich zu lassen? Es war nun schon fünf Tage her!

„Ich weiß, dass dir diese Jungs am Herzen liegen, Ruby“, sagte er sanft. „Du bist nicht so knallhart, wie du mir weismachen willst.“

Demonstrativ öffnete sie die oberste Akte und reckte das Kinn vor. „Ich bin genauso knallhart, wie ich dir weismache.“

Sam schüttelte den Kopf, dann erhob er sich und setzte sich viel zu dicht neben sie. Sofort wurde ihr heiß, weshalb sie ein Stückchen von ihm abrückte. Den langen Seitenblick, den er ihr zuwarf, ignorierte sie.

„Bist du bereit?“, fragte sie mit hoch erhobener Braue.

„Immer“, erwiderte er und griff nach der ersten Akte. Ruby atmete langsam aus. Während er seine Aufmerksamkeit von ihr auf die Arbeit richtete, zwang sie sich, es ihm gleichzutun.

Drei Stunden später war Ruby insgeheim extrem beeindruckt davon, wie Sam an den Fall heranging. Er gab sich unheimliche Mühe, dass die Jungs sich wohlfühlten. Immer wieder stellte er kluge Fragen und achtete strengstens darauf, weder drängend noch manipulativ oder einschüchternd zu wirken.

Doch jetzt, da sich das Meeting dem Ende näherte, konnte sie es nicht abwarten, aus dem Konferenzraum zu kommen. Ihrem neuen Boss einen ganzen Morgen so nah zu sein – und sich seiner Nähe so bewusst – spannte ihre Nerven aufs Äußerste an. Zumal irgendein sechster Sinn ihr sagte, dass Sam genau wusste, wie sie sich fühlte.

„Vielen Dank, dass Sie heute alle gekommen sind. Ich weiß, dass das nicht ganz einfach war, aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir diesen Fall gewinnen können, wenn wir alle zusammenhalten“, sagte Sam gerade. „Ihr Anliegen ist uns verdammt wichtig, aber Ihnen muss klar sein, dass Sie selbst den Mut haben müssen, sich zu erheben und gegen das Unrecht, das Ihnen widerfahren ist, zu kämpfen. Nur so können wir Gerechtigkeit erlangen.“

Sams Worte hatten sichtlich Eindruck hinterlassen: Viele der eingeschüchterten Angestellten sahen plötzlich sehr nachdenklich aus.

Erleichtert darüber, dass das Meeting vorbei war, stand Ruby hastig auf und schüttelte jedem einzelnen Jungen die Hand, ehe sie gingen. Ein paar von ihnen umarmten Ruby, was sie herzlich erwiderte. Als Grant sich zu ihr gesellte, warf er ihr einen Das-lief-doch-gut-Blick zu, doch ehe sie mit ihm zusammen den Konferenzraum verlassen konnte, bat Sam sie noch dazubleiben.

Als sie sich umwandte, sah sie, dass er sich noch ein paar Notizen machte und sie nicht einmal anschaute. Sams Bitte hatte mehr nach einem Befehl geklungen, aber sie wollte das Meeting wirklich um keinen Preis verlängern. Ihre Nerven waren bereits jetzt bis zum Zerreißen gespannt.

„Wenn ich ehrlich bin, muss ich noch ein anderes Meeting vorbereiten“, erwiderte sie höflich. „Kann es vielleicht warten?“

Stirnrunzelnd blickte Sam auf. „Nein, kann es nicht.“

Grant räusperte sich leise und schnappte sich rasch Laptop und Akten, als er Sams finsteren Blick sah. „Ich lasse euch dann mal allein.“

Angespannt stand Ruby da und wartete, dass Sam seine Aufzeichnungen beendete.

Und wartete.

Und wartete.

Als er sich endlich zurücklehnte und sie anblickte, gab sein Gesichtsausdruck mal wieder nichts preis. „Möchtest du mir verraten, was das soll?“

„Was?“, wich sie aus, auf Zeit spielend.

„Dein Bedürfnis, hier so schnell wie möglich wegzukommen.“

„Das stimmt doch gar nicht.“

„Du hast heute jedenfalls kein weiteres Meeting. Ich habe mich vorher bei deiner Sekretärin erkundigt, weil ich mit dir noch ein paar Schlüsselpunkte durchgehen wollte.“

Seine Eigenmächtigkeit ärgerte sie. „Wie kannst du es wagen, einfach über meinen Kopf hinweg Veronica über meine Termine auszufragen? Wenn du dich für meinen Kalender interessierst, kannst du mich selbst fragen.“

„Ich bin nicht über deinen Kopf hinweggegangen. Du warst in einem Telefongespräch, und ich sah keine Veranlassung, dich wegen einer solchen Kleinigkeit zu unterbrechen.“

Sein Gesichtsausdruck machte deutlich, dass sie überreagierte. Darüber hinaus erinnerte es sie daran, dass er ihr Boss war und tun und lassen konnte, was er wollte – weshalb sie einmal tief Luft holte und sich zu einem Lächeln zwang. „Also schön. Welche Schlüsselpunkte?“

„Thabo und Jeremiah erschienen mir besonders nervös. Ihre Geschichte stimmte auch nicht ganz mit ihren ursprünglichen Ausführungen überein. Hast du eine Ahnung, warum?“

Ruby nickte. „Jeremiah hat eine Lernschwäche. Und er hat große Probleme damit, sich präzise auszudrücken. Und Thabo … Nun ja, ich habe den Verdacht, dass er für jemanden spricht, der nicht selbst aus der Deckung kommen möchte.“ Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr und bemerkte, dass Sams Blick ihrer Bewegung folgte. „Ich denke, es könnte eine Frau sein. Falls dir aufgefallen ist, dass wir keine weiblichen Mandanten haben – das liegt daran, dass sie zu verängstigt sind. Ich denke, deshalb ist Thabo so unsicher.“

„Was ihn zu einem schwachen Glied in der Kette unserer Mandanten macht, genau wie Jeremiah.“ Sam runzelte die Stirn. „Die Frauen müssen aber genauso entschädigt werden wie die Männer. Kannst du herausfinden, ob wir nicht doch ein paar von ihnen mit an Bord holen können?“

„Natürlich.“ Sie räusperte sich, denn ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie während ihres Gesprächs näher an ihn herangetreten war. „War das alles?“

„Sag du es mir!“ Sein rauer Ton war nicht gerade dazu angetan, ihre Nerven zu beruhigen.

„Ich habe dir sonst nichts mehr zu sagen“, erwiderte sie vorsichtig. Die sexuelle Spannung, die plötzlich in der Luft lag, machte sie zusätzlich nervös.

„Ich denke schon.“

Sein Blick bereitete ihr ein flaues Gefühl im Magen.

„Und ich denke auch, dass es an der Zeit ist, endlich Klartext zu reden, meinst du nicht auch?“

„Klartext?“ Sie hatte das ungute Gefühl, dass sie genau wusste, wohin dieses Gespräch führte.

„Warum versuchst du, mich zu meiden, wo es nur geht?“

Ruby suchte nach einer Ausrede und griff schließlich nach dem nächstbesten Strohhalm, der ihr einfiel. „Wenn du es unbedingt wissen willst, ich glaube nicht, dass wir sonderlich gut zusammenarbeiten können.“

„Warum nicht?“

Nun, diese Frage wollte sie auf keinen Fall beantworten. „Das Warum spielt keine Rolle.“ Sie hasste es, wenn sie so defensiv klang. „Ich respektiere dich als Kollegen und als meinen Boss, ich respektiere dich nur nicht als …“ Erst als sie ihm in die Augen blickte, wurde ihr klar, was sie da gerade sagte.

Seine Stimme klang gefährlich sanft. „Du respektierst mich nicht … als Mann. Ist es das, was du eigentlich sagen wolltest?“

Ja, genau das hatte sie sagen wollen, denn wie sollte sie einen Mann respektieren, der wahllos Sex mit irgendwelchen Frauen hatte, deren Namen er nicht mal kannte? „Das habe ich nicht gesagt – sondern du. Aber es ist gar nicht nötig, so persönlich zu werden. Das erschwert nur alles.“

Sam lachte harsch. „Dafür ist es ein bisschen spät, meinst du nicht auch, mein Engel?“ Bei seinem Tonfall stellten sich ihre Nackenhaare auf. „Die Dinge zwischen uns sind so persönlich, wie sie nur sein können, würde ich sagen.“

Ruby kämpfte krampfhaft darum, ruhig zu bleiben. „Wenn du davon redest, dass ich das Meeting verlassen wollte, dann …“

„Davon rede ich nicht“, fegte er ihren Einwand beiseite. „Ich rede von Freitagabend.“

Er wartete einen Moment, doch Rubys Zunge war wie festgefroren.

„Dem vergangenen Freitagabend, um genau zu sein.“ Als sie immer noch nichts sagte, lächelte er sie teuflisch an, was ihn nur noch attraktiver machte. „Du weißt schon … Du und ich. Atemberaubend heißer Sex draußen bei der Herzog-Party. Oder willst du ernsthaft behaupten, das wärst nicht du gewesen in dem lavendelfarbenen Seidenkleid und der schwarzen Spitzenmaske?“

O Gott, sie hatte sich getäuscht.

Er wusste es. Er wusste es! Die Worte hallten in ihrem Innern wider. Ihr wurde gleichzeitig heiß und kalt. Als sich ihre Blicke begegneten, sich förmlich duellierten, konnte Ruby einfach nicht wegschauen.

„Ich sehe, dass du es am liebsten immer noch abstreiten würdest“, bemerkte er. Sein Ton machte deutlich, dass er alles andere als beeindruckt war. „Was schon ein wenig enttäuschend ist, um ehrlich zu sein.“

„Ich werde es nicht abstreiten“, erklärte sie schroff. Innerlich starb sie tausend Tode, denn sie erinnerte sich in diesem Moment daran, wie sie ihn angefleht hatte, bloß nicht aufzuhören.

„Nun, das ist doch mal ein Anfang“, versetzte er. Mit seinem durchdringenden Blick machte er ihre Schutzmechanismen zunichte. Was hatte Sam Ventura nur an sich, dass er so verteufelt attraktiv auf sie wirkte? Es war einfach nicht fair!

„Ein Anfang für was?“, fragte sie, wobei sie zum ersten Mal feststellte, dass er wirklich sauer war – warum, war ihr allerdings schleierhaft. Schließlich hatte sie nichts von ihm verlangt. Sie hatte ihn auch nicht wie ein liebeskranker Teenager mit Telefonanrufen bombardiert. Sollte er nicht erleichtert sein?

„Ich freue mich, dass du ehrlich bist. Ich habe mich schon gefragt, ob du es auf den Alkohol schieben würdest. Behaupten würdest, du hättest nicht gewusst, was du tust. Mit wem du es tust.“

Ruby runzelte die Stirn. Was wollte er denn von ihr hören? Dass sie ihn so verdammt unwiderstehlich gefunden hatte, dass sie nicht aufhören konnte? „Ich wusste, was ich tat.“ Trotzig hob sie das Kinn. „Und ich schäme mich dessen nicht.“

Sam machte ein finsteres Gesicht. „Hattest du je vor, es zu erwähnen?“

„Nein“, antwortete sie nach kurzem Zögern. Ihr Herz hämmerte wie verrückt.

„Es hat dich gejuckt, und ich durfte dich kratzen“, bemerkte er verächtlich. „Ist es das?“

Seine Worte überraschten sie. „Kein Grund, so vulgär zu werden.“ War es das für ihn gewesen? Allein der Gedanke bereitete ihr Übelkeit. Vor allem, weil sie sich an seinen leisen Fluch unmittelbar nach dem Akt erinnerte. „Aber ich schätze … ja, so könnte man sagen. Und was ist deine Entschuldigung? Oder brauchst du gar keine? Du bist ein Mann, ich war als Frau verfügbar. Ist das die Geschichte?“

Auf ihren Vorwurf folgte eisiges Schweigen. Als Sam schließlich das Wort ergriff, klang er grimmig. „Das würde implizieren, dass ich mehr aus unserem Liebesspiel herausgeholt habe als du. Was nicht meiner Erinnerung entspricht.“

Tödliche Verlegenheit erfüllte sie, wenn sie daran dachte, wie sie ihn angefleht hatte, ihr mehr zu geben. „Oh, komm schon, Sam. Liebesspiel? Lass es uns als das benennen, was es war.“

„Bitte.“ Ein Muskel an seiner Wange tickte. „Tu dir keinen Zwang an.“

Ruby umklammerte ihren Laptop fester. „Es war Sex. Großartiger Sex, übrigens. Zehn von zehn Punkten, aber immer noch nur Sex.“

„Es waren nicht annähernd zehn von zehn Punkten“, korrigierte er sie.

Es war, als hätte er sie geschlagen.

Seine dunklen Augen hielten ihren Blick gefangen, so als wüsste er genau, was sie dachte. „Zehn von zehn Punkten hätte bedeutet, dass wir nackt in einem Bett gewesen wären und die ganze Nacht gehabt hätten.“

„Oh.“

„Es gibt da etwas, was ich wissen möchte.“

Ruby hielt den Atem an, weil er so ernst klang. „Was?“

„War es dein erstes Mal?“

Die Frage überrumpelte sie so sehr, dass sie nur blinzeln konnte. War es so offensichtlich gewesen?

Autor

Dani Collins

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