Julia Extra Band 495

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DIE NANNY UND DER ITALIENISCHE TYCOON von JANE PORTER
Tycoon Marcu Uberto lädt die unkonventionelle Monet nur auf sein Anwesen in Italien ein, weil er eine Nanny für seine Kinder braucht - während er seine standesgemäße Hochzeit mit einer anderen plant! Doch als ein Schneesturm aufzieht, prickelt es erregend zwischen Monet und ihm …

HEISSE NACHT, SÜSSE FOLGEN von HEIDI RICE
Als Milliardär Alexi Galanti die schöne Belle in Monaco wiedertrifft, macht sie ihm ein schockierendes Geständnis: Ihre einzige Liebesnacht vor fünf Jahren hatte süße Folgen! Aber so sehr er Belle insgeheim noch begehrt, befürchtet Alexi, dass sie es auf sein Geld abgesehen hat!

VERBOTENE AFFÄRE MIT DEM BOSS von ELLIE DARKINS
Kaum ist Madeleine als Haushälterin zu Unternehmer Finn Holton in seine Luxusvilla gezogen, verspürt sie ungeahnt sinnliche Sehnsucht. Doch auch wenn sie sich nach Finns Küssen verzehrt, ist er tabu! Durch eine Affäre mit dem Boss würde sie ihren Job und ihr Herz riskieren …

NUR EIN TRAUM VON LIEBE? von PIPPA ROSCOE
Ella fühlt sich wie verzaubert, als sie in Frankreich den geheimnisvollen Roman kennenlernt. Hals über Kopf heiratet sie ihren Märchenprinzen, der sie galant in die Welt der Reichen und Schönen entführt. Doch ihr Glück endet jäh: Sie entdeckt, dass Roman sie nicht aus Liebe umworben hat!


  • Erscheinungstag 05.01.2021
  • Bandnummer 495
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500555
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jane Porter, Heidi Rice, Ellie Darkins, Pippa Roscoe

JULIA EXTRA BAND 495

JANE PORTER

Die Nanny und der italienische Tycoon

Wenn Monet sich nicht ins Unglück stürzen will, muss sie Marcus Küssen widerstehen. Denn der Tycoon hat bereits klargemacht: Als Mitglied einer Adelsfamilie braucht er eine standesgemäße Frau!

HEIDI RICE

Heiße Nacht, süße Folgen

Nach nur einer einzigen Liebesnacht wird Belle von Alexi Galanti eiskalt fallengelassen! Trotzdem spürt sie ungewollt heißes Verlangen, als sie den sexy Milliardär zufällig in Monaco wiedertrifft …

ELLIE DARKINS

Verbotene Affäre mit dem Boss

Mit jedem Tag fühlt Unternehmer Finn Holton sich stärker zu Madeleine hingezogen. Aber nicht nur ist sie als seine Haushälterin tabu – nach seiner Scheidung hat er auch der Liebe abgeschworen!

PIPPA ROSCOE

Nur ein Traum von Liebe?

Immobilien-Mogul Roman verführt die unschuldige junge Ella nur aus einem Grund: weil sie das Mündel seines bösartigen Großvaters ist, an dem er sich rächen will! Bis er ungewollt sein Herz an Ella verliert …

1. KAPITEL

Monet Wilde suchte gerade im Hinterzimmer der Brautmodenabteilung von Bernard’s nach dem Kleid einer Kundin, das einfach nicht auffindbar war, als eine der Verkäuferinnen ihr Bescheid gab, dass ein Gentleman nach ihr fragte.

Seufzend schob Monet eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus ihrem ordentlichen Chignon gelöst hatte. Ein kurzer Blick in den Spiegel machte ihr bewusst, dass ihr Outfit heute leider besonders bieder wirkte. Ach herrje! Aber als Managerin der Brautmodenabteilung war ein seriöses Erscheinungsbild nun einmal unverzichtbar.

„Hat er gesagt, was er möchte?“ Sie schaute rasch auf die Uhr. Noch eine Viertelstunde bis Geschäftsschluss. Eine Viertelstunde Zeit, um das höchst exquisite Hochzeitskleid einer höchst aufgebrachten Brautmutter zu finden.

„Er hat lediglich nach Ihnen verlangt, namentlich. Mehr hat er nicht gesagt“, erwiderte die Verkäuferin unsicher.

Monet verdrehte die Augen. Heute war schon den ganzen Tag der Teufel los gewesen – offenbar waren alle plötzlich dem Hochzeittrubel verfallen, aber was könnte auch romantischer sein, als sich zu Weihnachten das Jawort zu geben?

„Hat der Gentleman auch einen Namen?“, fragte Monet.

„Marcus Oberto oder so ähnlich. Scheint wohl Italiener zu sein.“

Sie erstarrte. Im Stillen korrigierte sie ihre Kollegin. Marcu Uberto hieß der Mann, und er stammte aus Sizilien.

„Ich habe ihm gesagt, dass Sie sehr beschäftigt sind, aber davon ließ er sich nicht abschrecken. Er meinte nur, es hätte keine Eile und er würde warten.“

Das glaubte Monet keine Sekunde. Marcu war nicht der Typ, den man warten ließ.

Was wollte er bloß von ihr? Und warum tauchte er ausgerechnet jetzt hier auf?

Sie hatte Marcu seit acht Jahren nicht mehr gesehen und fast auf den Tag genau vor drei Jahren das letzte Mal von ihm gehört. Leichtes Unbehagen kroch in ihr hoch.

„Soll ich ihm sagen, dass es gerade nicht passt?“, bot die junge Verkäuferin eifrig an. „Allerdings sieht er wirklich umwerfend aus. Italiener eben.“

Sizilianer, korrigierte Monet erneut stumm. Und zwar durch und durch.

„Danke, das ist nicht nötig. Ich kümmere mich gleich um Signor Uberto. Aber Sie könnten mir helfen, indem Sie Mrs. Wilkerson anrufen. Sagen Sie ihr bitte, dass wir sie nicht vergessen und die Sache mit dem verschwundenen Kleid ganz bestimmt bis morgen früh geklärt haben.“

„Schaffen wir das denn?“ Die Verkäuferin sah sie zweifelnd an.

„Wir müssen das schaffen“, bekräftigte Monet. Unvorstellbar, was das sonst nach sich ziehen würde. Sie straffte die Schultern und wappnete sich für die Begegnung mit Marcu.

Kaum hatte sie den Verkaufsraum betreten, entdeckte sie ihn sofort. Seine Präsenz war einfach allumfassend.

Hochgewachsen und von tadelloser Haltung, war er durch und durch mächtiger und wohlhabender Aristokrat. Seine Kleidung war makellos: der anthrazitfarbene teure Anzug, das blütenweiße Hemd, die Seidenkrawatte, blau wie seine faszinierenden Augen. Das volle, dunkle Haar war modisch kurz geschnitten und nach hinten zurückgekämmt. Vor acht Jahren hatte er es noch lang getragen. Zudem verlieh ihm ein leichter Bartschatten um sein markantes Kinn ein verwegenes Aussehen.

Monets Herz schlug schneller. Entschlossen drängte sie die Erinnerungen zurück, die mit einem Mal an die Oberfläche fluteten. An einem stressigen Tag wie diesem konnte sie diese Gefühlswellen nicht auch noch gebrauchen. Zum Glück hatte Marcu sie noch nicht entdeckt. Das verschaffte ihr ein wenig Zeit, sich etwas zu fangen. Monet hatte sich all die Jahre so intensiv bemüht, die Vergangenheit zu vergessen, dass sie sich kaum in der Lage fühlte, Marcu Uberto gelassen gegenüberzutreten.

Nur die Ruhe, machte sie sich Mut. Du schaffst das!

„Marcu“, begrüßte sie ihn freundlich und ging auf ihn zu. „Was führt dich denn hierher? Kann ich dir vielleicht behilflich sein, ein Geschenk auszusuchen?“

Monet. Beim Klang ihrer Stimme durchfuhr es ihn heiß. Ihre Stimme hätte er immer und überall erkannt. Eine warme Stimme, die zu ihrer liebenswerten, warmherzigen Persönlichkeit passte.

Als er sich zu ihr umwandte, erwartete er halb, sich dem Mädchen von damals gegenüberzusehen: schmächtig, bescheiden, immer zu einem Lachen bereit, mit funkelnden goldbraunen Augen. Die Monet, die jetzt auf ihn zukam, war eine schlanke, elegante Dame. Ihr Blick war wachsam, und um die vollen, wohlgeformten Lippen spielte ein Lächeln. Die strenge Frisur und die matronenhafte Kleidung – sie trug ein Tweedkleid in Lavendel und Grau mit einer dazu passenden Strickjacke – ließen sie älter aussehen als sechsundzwanzig.

„Hallo Monet.“ Er machte einen Schritt auf sie zu und küsste sie auf beide Wangen.

Sie trat rasch zurück. „Marcu“, erwiderte sie leise.

Anscheinend war sie gar nicht glücklich über sein unangekündigtes Erscheinen. Allerdings hatte er auch nicht wirklich erwartet, dass sie ihn mit offenen Armen willkommen heißen würde.

„Ich bin gekommen, weil ich dich sprechen möchte“, eröffnete er ihr in nüchternem Ton. „Ich dachte, vielleicht passt es am besten kurz vor Feierabend. Lässt du dich von mir zu einem gemeinsamen Abendessen überreden, damit wir uns in Ruhe unterhalten können?“

Nun verschloss sich ihre Miene völlig. Früher hatte er ihr jede Gefühlsregung vom Gesicht ablesen können. Jetzt las er gar nichts darin.

Sie bedachte ihn mit einem schmallippigen Lächeln. „Der Laden schließt zwar gleich, aber ich habe hier noch mindestens eine Stunde zu tun. Vielleicht könnten wir das Abendessen nachholen, wenn du das nächste Mal in London bist. Dann könntest du auch rechtzeitig vorher Bescheid geben.“

„Bei meinem letzten Besuch in London hast du dich geweigert, mich zu sehen.“

„Es hat mir terminlich nicht gepasst.“

„Nein, Monet, es hat dir grundsätzlich nicht gepasst.“ Er hielt ihren Blick fest. „Diesmal lass ich mich jedoch nicht versetzen und warte auch sehr gern im Auto auf dich, bis du fertig bist.“

In ihrem Blick blitzte plötzlich etwas auf. Sorge?

„Ist alles in Ordnung?“, wollte sie mitfühlend wissen.

„Es gab keine Tragödie oder Unfall, falls du das meinst.“

„Was willst du dann von mir?“

„Ich brauche deine Hilfe.“

„Meine Hilfe?“

„Ja. Du schuldest mir noch einen Gefallen, den ich jetzt von dir einfordere.“

Ihr stockte der Atem, und ihr Blick wurde kalt wie Eis. „Schlechtes Timing, Marcu. Ich habe heute Abend noch jede Menge Arbeit.“

Er deutete auf die elegante Sitzecke in der Nähe der hohen, goldgerahmten Spiegel. „Würde es dir sonst besser passen, wenn wir gleich jetzt reden?“

Sie zögerte, dann nickte sie knapp. „Ja, okay. Reden wir jetzt.“

Monets Herz hämmerte wie wild, als sie sich auf die Kante des dunkelgrauen Samtsessels setzte, während Marcu ihr gegenüber Platz nahm.

Das hier war ihr Arbeitsplatz, ihr Revier. Trotzdem schaffte er es, ihr das Gefühl zu geben, als sei sie diejenige, die etwas von ihm wollte, als sei sie die Bittstellerin. So wie damals, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war und im Palazzo Uberto gelebt hatte, auf Kosten seines Vaters. Sie hasste die Erinnerung daran, hasste es, von jemandem abhängig zu sein. Und sie hasste es, dass Marcus Anwesenheit sie daran erinnerte, wie sehr sie in seiner Schuld stand.

Vor Jahren hatte Marcu ihr in einer schwierigen Situation geholfen, hatte ihr ein Flugticket besorgt und Geld geliehen, ohne an die Konsequenzen für sich selbst zu denken. Er hatte ihr die Flucht aus Palermo ermöglicht, fort von dem Wohnsitz der Ubertos und fort von ihrer Mutter, der Geliebten von Marcus Vater.

Als er sie damals am Flughafen verabschiedet hatte, hatte er jedoch deutlich gemacht, dass sie ihm einen Gefallen schuldete, den er eines Tages einfordern würde. Das war jetzt acht Jahre her. Anscheinend war dieser Tag nun gekommen.

Lässig streckte er die langen Beine aus. „Ich bräuchte deine Hilfe für die nächsten vier bis fünf Wochen. Schließlich hast du bereits früher als Kindermädchen gearbeitet und konntest immer gut mit meinem Bruder und meinen Schwestern umgehen. Deswegen bitte ich dich nun, dich um meine drei Kinder zu kümmern.“

Monet lächelte bedauernd. „Sosehr ich dir auch helfen möchte, es geht leider nicht. In der Vorweihnachtszeit kann ich unmöglich Urlaub nehmen. Ich kann meine Kundinnen nicht einfach im Stich lassen.“

„Und ich meine Kinder nicht.“

„Das ist nachvollziehbar. Aber du verlangst leider etwas Unmögliches von mir. Ich würde auch gar keinen Urlaub bekommen.“

„Dann kündige.“

„Das werde ich nicht“, empörte sie sich. „Ich liebe meine Arbeit und habe mir meine Position hart erkämpft.“

„Ich brauche dich.“

„Du brauchst nicht mich. Du brauchst eine professionelle Nanny. Es gibt Dutzende Agenturen, die kompetente Kindermädchen an exklusive Kunden wie dich vermitteln.“

„Ich vertraue meine Kinder aber nicht irgendjemandem an. Dir schon.“

Vielleicht hätte sie sich davon geschmeichelt fühlen sollen, doch das Gegenteil war der Fall. Das Letzte, was sie wollte, war, Marcus Kinder zu hüten. Sie und Marcu waren nicht gerade harmonisch auseinandergegangen. Ja, er hatte sie finanziell bei ihrem Weggang aus Palermo unterstützt. Aber seinetwegen hatte sie Sizilien ja überhaupt erst verlassen. Er hatte ihr junges Herz gebrochen und ihr Selbstvertrauen in den Boden gestampft. Sie hatte Jahre gebraucht, um sich davon zu erholen.

„Danke für dein Vertrauen“, erwiderte sie ruhig, „aber wie ich schon sagte, ich kann Bernard’s nicht ausgerechnet jetzt im Stich lassen.“

„Ich fordere meinen Gefallen ein. Du bist mir etwas schuldig.“

„Marcu!“

Er sah sie einfach nur an. Weitere Worte waren auch gar nicht nötig. Sie wussten beide, dass sie damals versprochen hatte, sich eines Tages für seinen Gefallen zu revanchieren. Das war seine einzige Bedingung gewesen. Nach all den Jahren, die inzwischen vergangen waren, hatte sie jedoch gehofft, dass er es nicht mehr nötig hätte, auf sie zurückzukommen. Dass er das Versprechen, das er ihr damals abgenommen hatte, einfach vergessen würde.

Doch das hatte er offenbar nicht.

Monet wandte den Blick ab und schaute durch die hohen Fenster nach draußen. Es sah aus, als ob es schneite.

„Ich verspreche dir, ein gutes Wort bei Charles Bernard für dich einzulegen“, unterbrach Marcu ihre Gedanken. „Ich kenne ihn ganz gut und bin mir sicher, dass er deine Stelle für dich freihält. Falls nicht, werde ich dir helfen, nach der Hochzeit im Januar einen neuen Job zu finden.“

Hochzeit?

Sofort besaß er Monets ungeteilte Aufmerksamkeit. „Ich fürchte, ich kann dir nicht ganz folgen. Welche Hochzeit?“

„Meine.“ Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: „Du weißt es vielleicht nicht, aber meine Frau ist nach der Geburt unseres Jüngsten gestorben.“

Doch, das wusste Monet, hatte es aber ausgeblendet wie so vieles, was mit ihm zusammenhing.

„Das tut mir leid.“ Sie fixierte den Blick auf den akkuraten Knoten seiner blauen Krawatte. Vermied es aber, in das Gesicht des Mannes zu schauen, in den sie einmal so glühend verliebt gewesen war. Es hatte sie zu viel gekostet, darüber hinwegzukommen. Sie würde sich keinerlei Gefühle für ihn erlauben. Kein Mitgefühl, kein Interesse und schon gar nicht Zuneigung.

„Ich brauche deine Hilfe nur bis nach der Hochzeit, also nicht länger als vier Wochen. Fünf, wenn es Schwierigkeiten geben sollte.“

Vier oder fünf Wochen in seiner Nähe? Seine Kinder betreuen, während er seine zweite Hochzeit vorbereitete? „Schließt das die Flitterwochen mit ein?“, fragte sie mit einer Spur Sarkasmus.

„Mitte Januar muss ich zu einer Konferenz nach Singapur. Es hängt von Vittoria ab, ob wir daraus unsere Flitterwochen machen.“

Das klang ja nicht gerade romantisch … Monet war bestürzt, aber die Sache ging sie nichts an. „Tut mir leid, aber ich kann nicht. Das Geld für das Ticket und alles, was du mir geliehen hast, habe ich dir ja bereits zurückgezahlt. Damit sollten meine Schulden beglichen sein.“

„Deine Schulden ja, aber nicht der Gefallen.“

„Das ist doch Haarspalterei.“

„Nein, ist es nicht. Hast du vergessen, in welche Erklärungsnot mich dein abruptes Abtauchen gebracht hat? Welche Spekulationen du dadurch in Gang gesetzt hast, als du einfach verschwunden bist, ohne dich von deiner Mutter, meinem Vater und meinen Geschwistern zu verabschieden? Das war eine verdammt schwierige Situation für mich. Und jetzt bin ich wieder in einer schwierigen Situation. Aber diesmal kannst du mir helfen.“

Da war er wieder, der absolut rational denkende Marcu mit dem analytischen Verstand. So war er schon damals als junger Mann von sechsundzwanzig Jahren gewesen. Er hatte sie nur ein einziges Mal wirklich überrascht: Als er beinahe mit ihr geschlafen hätte. Sie hatten gerade noch rechtzeitig aufgehört. Doch die Art und Weise, wie seine Stimmung blitzschnell von Leidenschaft und Zärtlichkeit in Gefühlskälte und Zurückweisung umgeschlagen war, hatte Monet fürchterlich erschreckt. Er hatte zunächst etwas in ihr geweckt, etwas Wundervolles, eine heiße Flamme – und dann alles kaputt gemacht.

Keine vierzehn Stunden später hatte sie ihre paar Habseligkeiten gepackt und Palermo und den traumhaften historischen Palazzo hinter sich gelassen. Und sie hatte keines der kostbaren Geschenke mitgenommen, die Marcus Familie ihr damals gemacht hatte.

In London angekommen, hatte sie lange gebraucht, um sich wieder zu fangen. Sie vermisste so vieles. Nicht unbedingt ihre leichtlebige Mutter, aber das quirlige Leben im Palazzo, Marcus jüngere Geschwister und natürlich ihn selbst …

Anfangs hatte sie sich als Nanny durchgeschlagen, dann hatte sie im Nobelkaufhaus Bernard’s angefangen und sich bis zur Managerin der Brautmodenabteilung hochgearbeitet – eine anspruchsvolle Position mit ihren sechsundzwanzig Jahren. Doch sie besaß Stil und Flair und einen Blick für Qualität, da war sie ganz die Tochter ihrer Mutter.

Früher hätte sie Marcu nichts abschlagen können, das wusste er natürlich. Inzwischen hatte sich jedoch einiges geändert. Sie hatte sich geändert. Und um nun zu signalisieren, dass sie die Unterhaltung als beendet betrachtete, stand sie auf.

„Marcu, wir verschwenden mit dieser sinnlosen Diskussion nur unsere Zeit. Ich bleibe dabei. Ich kann dir leider nicht helfen.“ Tief holte sie Luft. „Ich wünschte, ich könnte sagen, dass es mich gefreut hat, dich wiederzusehen, doch das wäre gelogen. Nach all den Jahren hat es wohl keiner von uns beiden mehr nötig, den anderen anzulügen.“

„Ich hätte nie gedacht, dass du so nachtragend bist.“

„Nachtragend? Keine Spur. Nur weil ich nicht gleich springe, wenn du pfeifst, bedeutet das nicht, dass ich dir etwas Böses will.“

Jetzt erhob er sich ebenfalls. „Du hast es mir versprochen, Monet. Ich fürchte, du kannst nicht einfach Nein sagen … zumindest nicht, bis du mich richtig angehört hast. Du kennst die Details noch gar nicht. Auch nicht das Gehalt und die anderen Annehmlichkeiten.“

Aufgebracht warf sie die Hände in die Luft. „Annehmlichkeiten? So beeindruckende Annehmlichkeiten kann es gar nicht geben, dass ich mich entschließe, für dich zu arbeiten.“

„Du hast uns alle einmal sehr geliebt. Du hast immer gesagt, dass wir die Familie sind, die du nie hattest.“

„Ich war jung und naiv. Heute weiß ich es besser.“

„Warum hasst du meine Familie so sehr, Monet?“, fragte er sanft. „Was ist bloß passiert?“

Sie konnte nicht gleich darauf antworten, denn etwas schnürte ihr die Kehle zu. Ja, er hatte recht. Wie sehr sie Marcus ganze Familie einmal geliebt hatte! Ihr größter Wunsch war es immer gewesen, zu ihnen zu gehören, ein Teil der Familie zu sein. Doch das war nur eine große Illusion gewesen. Marcu spielte gesellschaftlich ganz einfach in einer völlig anderen Liga als sie, und sie würde nie dazugehören.

Mühsam brachte sie hervor: „Es war sehr großzügig von deiner Familie, mich so viele Jahre zu tolerieren – in Anbetracht der Tatsache, wer ich bin. Und ich denke auch heute noch mit großer Zuneigung an deinen Bruder und deine Schwestern.“

„Dann bist also nur wütend auf mich und meinen Vater?“

Das war genau die Diskussion, die Monet um jeden Preis hatte vermeiden wollen. Sie hatte keine Lust, die Wunden der Vergangenheit aufzureißen. Angespannt presste sie die Fingernägel in ihre Handflächen. „Das ist nicht wichtig, und ich möchte nicht darüber reden. Ich lebe nicht in der Vergangenheit, und das solltest du auch nicht tun.“

„Dummerweise ist es aber wichtig für mich. Und dummerweise stehst du in meiner Schuld. Wir reden später weiter, ich hole dich zum Dinner ab. Mein Wagen wartet unten auf dich. Ich freue mich schon darauf, unsere Unterhaltung fortzusetzen.“ Marcu nickte ihr knapp zu und ging.

Reglos stand Monet da und sah ihm hinterher, bis er die Fahrstuhlkabine betrat. Erst dort drehte er sich noch einmal zu ihr um. Ihre Blicke trafen sich, eine stumme Kampfansage, bevor sich die Fahrstuhltüren schlossen.

Monet konnte sich nicht von der Stelle rühren. Sie war völlig aus der Fassung gebracht und wünschte sich, der Erdboden möge sich auftun und sie einfach verschlucken.

Alles, wonach sie sich den ganzen Tag gesehnt hatte, war, nach der Arbeit gleich nach Hause zu gehen, ein langes, heißes Bad zu nehmen und sich dann in ihrem Lieblingspyjama auf der Couch einzukuscheln, um einen schönen Film anzuschauen.

Daraus würde nun nichts werden. Aus der Traum.

Gedankenverloren ließ sie den Blick durch die luxuriöse Brautmodenabteilung schweifen. Inzwischen fühlte sie sich hier fast mehr zu Hause als in ihrer Wohnung. Sie war gut in dem, was sie tat, konnte perfekt mit nervösen Bräuten und aufgeregten Brautmüttern umgehen. Wer hätte gedacht, dass ein solches Talent in ihr schlummerte?

Als uneheliche Tochter einer wenig erfolgreichen französischen Schauspielerin und eines englischen Bankers unterschied sich ihr bisheriges Leben deutlich von dem der meisten ihrer Altersgenossen. Bis zu ihrem zwölften Lebensjahr hatte sie schon überall auf der Welt gelebt: in Irland, Frankreich, Amerika, Marokko und anschließend in Sizilien. Nachdem sie Palermo verlassen hatte, war ihre Mutter noch weitere drei Jahre mit dem sizilianischen Aristokraten Matteo Uberto zusammengeblieben. Monet war nie wieder nach Palermo zurückgekehrt, hatte keinen der Ubertos je wiedersehen wollen. Und als Marcu vor drei Jahren versuchte, in London Kontakt zu ihr aufzunehmen, hatte sie ihn abblitzen lassen.

Genauso wie seinen Vater Matteo, der vor vier Jahren plötzlich vor ihrer Tür stand: ausgestattet mit einer Flasche Wein, Blumen und einem sexy Negligé. Als Geschenk war das natürlich vollkommen unangebracht für die Tochter seiner Ex-Geliebten. Dieser Besuch war es dann auch gewesen, der sie in ihrem Entschluss bestätigte, die Tür zur Vergangenheit sorgfältig geschlossen zu halten und endgültig nichts mehr mit den Ubertos zu tun haben zu wollen.

Letztendlich hatte sie ja ohnehin nie wirklich zu ihnen gehört, die Tochter der französischen Schauspielerin, die mehr für Affären mit reichen Männern bekannt war als für ihr künstlerisches Talent.

Luxus und Reichtum bedeuteten Monet nichts, danach sehnte sie sich nicht zurück. Das Einzige, wonach sie sich je gesehnt hatte, waren Marcus Liebe und Respekt.

Doch diese Sehnsucht hatte sich nicht erfüllt, ganz im Gegenteil.

Monet hatte daraus gelernt und mit ihrem extravaganten Leben der Vergangenheit abgeschlossen. Sie hatte sich hier in London eine Existenz aufgebaut, brauchte keinen Mann und war stolz auf ihre Unabhängigkeit.

Natürlich gab es immer wieder mal einen Mann, der sie um ein Date bat. Sie war eine aparte Schönheit mit hohen Wangenknochen, vollen, schön geschwungenen Lippen, goldbraunen Augen und langem, dunklen Haar. Ganz im Gegensatz zu ihrem verführerischen Äußeren fühlte sie sich tief in ihrem Innern jedoch kalt und unnahbar. Sex interessierte sie nicht, weshalb sie mit ihren sechsundzwanzig Jahren noch immer Jungfrau war.

Manchmal fragte sie sich, ob etwas mit ihr nicht stimmte, ob sie womöglich keine Leidenschaft empfinden konnte. Doch selbst wenn, kümmerte es Monet nicht sonderlich. Ihr war es egal, was die Männer über sie dachten. Die meisten betrachteten Frauen doch ohnehin nur als nettes Spielzeug, und darauf hatte sie absolut keine Lust. Dafür hatten ihre Mutter, Matteo und Marcu Uberto gründlich gesorgt.

2. KAPITEL

Als sie eine Stunde später das Nobelkaufhaus verließ, wartete Marcus Wagen wie versprochen am Straßenrand auf sie. Der Fahrer sprang diensteifrig heraus und beschirmte sie vor dem weißen Flockenwirbel.

Im Innern der luxuriösen schwarzen Limousine begrüßte sie Marcu. Widerstrebend setzte sich Monet neben ihn auf die mit weichem Leder überzogene Rückbank, wobei sie sorgfältig auf Abstand achtete.

„Ein interessanter Job, den du dir da ausgesucht hast“, bemerkte Marcu mit einem leisen Lächeln.

„Warum? Wegen des Lebensstils meiner Mutter?“, gab sie spitz zurück.

„Hast du schon bei Bernard’s gearbeitet, als ich vor ein paar Jahren versucht habe, dich zu treffen?“

„Ja, ich bin dort jetzt seit vier Jahren.“

„Warum wolltest du mich damals nicht sehen?“, fragte er geradeheraus.

„Ich sah keinen Sinn darin.“ Monet wandte den Kopf und betrachtete sein markantes Profil. Die Komposition seiner Gesichtszüge war einfach perfekt: breite dunkle Brauen, eine gerade Nase, volle Lippen, ein energisches Kinn. Um seine Mundwinkel spielte ein Schmunzeln, und seine blauen Augen blitzten.

„Ich verstehe nicht ganz.“

„Du warst ein verheirateter Mann, ich Single. Bei so einer Konstellation kommt selten etwas Gutes heraus.“

„Ich war nicht auf Sex aus“, erwiderte er verärgert.

„Woher sollte ich das wissen? Dein Vater wollte schließlich genau das.“

„Wie bitte?“ Seine Erschütterung war ihm deutlich anzumerken.

Eigentlich hatte sie nicht darüber reden wollen, aber nun war es auch egal. „Dein Vater hat mich ein Jahr vor dir besucht – mit allerlei Geschenken im Gepäck.“

„Deine Mutter war kurz zuvor gestorben. Wahrscheinlich wollte er nur nett sein.“

„Dann wäre ein Topf Essen angemessen gewesen. Aber Rosen? Wein? Ein pinkfarbenes Seiden-Negligé?“

„Meinen Schwestern hat er genau das Gleiche zu Weihnachten geschenkt. Warum machst du eine große Sache daraus?“

„Weil er mich nie leiden konnte.“ Monet wandte den Blick ab. Schon bedauerte sie ihre Offenheit. Warum erzählte sie Marcu so etwas? Es war doch klar, dass er ihr nicht glauben würde. Er hatte seinen Vater schon immer vergöttert. Matteo Uberto konnte gar nichts falsch machen.

Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich aus, während das Schneetreiben draußen sich verdichtete und dicke weiße Flocken gegen die Autoscheiben klatschten.

„Ich wollte dich nicht zu meiner Geliebten machen“, sagte Marcu in die Stille hinein. Seine Stimme klang rau. „Ich war gekommen, weil ich einen Rat brauchte, Trost. Meine Frau war gerade gestorben. Ich dachte, du könntest mir helfen. Aber ich hatte mich offensichtlich geirrt.“

Seine Worte trafen sie, und ihr Magen verwandelte sich in einen eiskalten Klumpen. „Es tut mir aufrichtig leid. Das wusste ich nicht.“

„Aber du wusstest immerhin, dass ich verheiratet war.“

Sie nickte stumm. Marcu hatte ein halbes Jahr, nachdem sie Palermo verlassen hatte, geheiratet. Es hatte in sämtlichen Zeitungen gestanden, denn die Ubertos gehörten zu den Reichen und Schönen dieser Welt. Seine Auserwählte entstammte genau wie er altem sizilianischem Adel. Es war eine Märchenhochzeit in der traumhaften Kathedrale von Palermo gewesen. Die Braut hatte ein mehrere Tausend Euro teures elfenbeinfarbenes Seidenkleid getragen mit einer ellenlange Schleppe und einem handgefertigten, ebenfalls ellenlangen Spitzenschleier. Auf ihrem Kopf hatte eine zweihundert Jahre alte goldene Tiara gethront, die mit unzähligen funkelnden Diamanten und rosafarbenen Perlen besetzt war.

Das erste Kind des von den Medien gefeierten Traumpaars kam knapp neun Monate später zur Welt. Man munkelte, dass Galeta schon bei ihrer Hochzeit schwanger gewesen sei. Von dem Moment an mied Monet jedoch jede neue Schlagzeile über Marcu und seine schöne junge Frau. Monet hatte genug und wollte nichts mehr von diesen Leuten hören oder sehen.

Sie hatte schlichtweg keine Lust, als unsichtbarer Zaungast am Rand zu stehen, um ein paar Brocken über Marcus Leben und seine Familie aufzuschnappen. Sie wollte nicht länger zurückschauen, wollte keine Erinnerungen zulassen, wollte den Schmerz nicht fühlen, der sie durchfuhr, wann immer sie über seinen Namen stolperte.

Aber warum tat es eigentlich so weh? Mehr als eine jugendliche Schwärmerei war das Ganze doch nicht gewesen …

Erst als Marcu Galeta heiratete und sie ihr erstes Kind erwarteten, wurde Monet bewusst, dass ihre Gefühle für ihn viel tiefer gingen. Die bittere Wahrheit war, sie hatte ihn aufrichtig geliebt.

Monet schüttelte die wehmütigen Gedanken ab und richtete den Blick wieder auf Marcu. Sie konnte es immer noch kaum fassen, dass er wirklich hier neben ihr saß. Schon als junger Mann war er unerhört attraktiv gewesen. Doch jetzt mit vierunddreißig war er einfach unwiderstehlich. Er war reifer geworden, seine Züge kantiger, ausdrucksvoller. Und er strotzte geradezu vor Gesundheit und Vitalität.

„Woran ist deine Frau gestorben?“, fragte sie mitfühlend.

„Kurz nach der Geburt erlitt sie einen Schlaganfall.“ Er stieß hart die Luft aus. „Ich hatte im Zusammenhang mit einer Geburt nie zuvor von so etwas gehört, aber der Arzt sagte, das könne passieren, wenn auch sehr selten.“ Nach kurzem Schweigen fügte Marcu hinzu: „Ich war nicht einmal da, als es geschah. Ich war gerade nach New York geflogen, wähnte sie in guten Händen im Palazzo.“

„Machst du dir Vorwürfe deswegen?“

„Nicht wegen des Schlaganfalls, aber ich kann es mir nicht verzeihen, dass sie starb, während ich gemütlich im Flieger saß. Das war nicht richtig, ich hätte bei ihr bleiben müssen. Wäre ich dabei gewesen, hätte ich vielleicht noch rechtzeitig Hilfe holen können, und man hätte ihr Leben gerettet.“

Monet wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Natürlich fühlte sich Marcu verantwortlich. Das alles tat ihr schrecklich leid. Aber es war nicht ihr Problem, so hart das auch klang. Er brauchte Hilfe, doch warum ausgerechnet von ihr?

„Hat denn deine neue Frau niemanden in ihrer Familie, der mit den Kindern aushelfen könnte?“, erkundigte sie sich behutsam. „Oder vielleicht Galetas Eltern oder Großeltern?“

„Galeta war ein Einzelkind, und ihre Eltern leben nicht mehr, ebenso wenig wie mein Vater. Ich habe zwar noch meine Geschwister, aber die sind mit ihrem eigenen Leben beschäftigt.“

„So wie ich mit meinem“, erwiderte Monet kühl.

„Es handelt sich doch nur um ein paar Wochen, nicht um Jahre.“

„Es passt gerade einfach nicht.“

„So etwas passt nie wirklich.“

„Das stimmt.“ Monet seufzte. Sie war müde und wollte raus aus ihrem engen Kleid und den unbequemen hochhackigen Schuhen. Sie sehnte sich nach ihrem kuscheligen Pyjama, einer warmen Mahlzeit und einem Glas Rotwein. „Ich habe aber einfach nicht das geringste Bedürfnis, für dich zu arbeiten.“

In diesem Moment hielt der Fahrer vor einem der dunklen Häuserblocks, sprang aus dem Wagen und entfaltete den Regenschirm. Nachdem er die Hintertür der Limousine geöffnet hatte, stieg Marcu aus, gefolgt von Monet, die geflissentlich seine ausgestreckte Hand ignorierte. Marcu bedachte sie mit einem spöttischen Lächeln, sagte aber nichts. Der Fahrer eskortierte sie zu einer schlichten Holztür. Marcu hob die Hand und berührte einen grauen Stein. Kurz darauf öffnete sich die Tür lautlos.

Sie betraten eine gedämpft beleuchtete, schlichte Eingangshalle. Hinter ihnen fiel die Tür wieder lautlos ins Schloss. Interessiert sah Monet sich um. Es gab einen Lift und am Ende der Halle auch eine Treppe.

„Normalerweise ziehe ich die Treppe vor“, erklärte Marcu. „Aber da du schon den ganzen Tag auf den Beinen bist, schlage ich vor, wir nehmen den Fahrstuhl.“

Der Lift beförderte sie ein paar Stockwerke nach unten, wo sie eine weitere Halle betraten. Der Fußboden bestand aus Marmorfliesen im Schachbrettmuster, massive Säulen trugen die hohe Decke. Direkt gegenüber öffnete sich eine riesige Tresortür. Die Wände des Raums dahinter schimmerten silbern und golden.

Monet sah Marcu fragend an.

Der ließ ihr mit einer einladenden Geste den Vortritt. An der Tür wurden sie von einem Angestellten in dunklem Anzug und schwarzem Hemd begrüßt. „Mr. Uberto, wie schön, dass Sie uns die Ehre geben.“

Der Mann führte sie an einer eleganten Bar ganz aus Stahl und Messing vorbei durch einen Rundbogen in einen Speiseraum, der dadurch beeindruckte, dass Kronleuchter verschiedenster Epochen und Stilrichtungen von einer mattsilbernen Decke hingen und ein warmes Licht verbreiteten. Es gab vielleicht ein Dutzend Tische in dem Raum. Diese waren elegant eingedeckt, und lavendelfarbene Sessel gruppierten sich darum.

Es ging weiter in einen angrenzenden Raum, offenbar ein Separee. Die Esstischsessel waren mit grauem Samt bezogen, von der Decke hing ein Lüster mit altrosafarbenen Kristallen.

Müde ließ sich Monet in einen der bequem gepolsterten Sessel sinken. „Hier ist es herrlich ruhig“, stellte sie mit einem behaglichen Seufzer fest.

Einige Kellner erschienen und servierten ihnen eisgekühltes Mineralwasser, Oliven und Pastete mit gebutterten Toastscheiben.

„Das Gebäude gehörte früher zur Bank von Sizilien. Jetzt ist hier unten ein privater Klub untergebracht“, erklärte Marcu.

Monet steckte sich eine Olive in den Mund. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie hungrig sie war. „Und was ist mit dem Rest des Gebäudes?“

„Der wurde in ein Luxushotel mit Spa-Bereich umgebaut. Im obersten Stock habe ich ein Apartment, wo ich wohne, wenn ich in London bin.“

In diesem Moment brachte ihnen ein Kellner die Speisekarten. Monet überflog die erlesene Auswahl an Gerichten. Im Grunde wäre sie schon mit Pastete und Toast zufrieden gewesen, aber als sie das Flat Iron Steak entdeckte, konnte sie nicht widerstehen.

Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, kam Marcu gleich wieder auf den Punkt.

„Ich brauche dich dringend. Eigentlich wollte ich gern schon heute Abend aufbrechen, aber dazu ist es jetzt zu spät. Ich werde also unsere Abreise gleich für morgen früh organisieren …“

„Marcu, ich habe gar nicht Ja gesagt.“

„Aber das wirst du.“

Ja, das werde ich wohl, gestand sie sich frustriert ein. Das war sie ihm schuldig. „Können wir es nicht wenigstens ein bisschen nach hinten verschieben?“

„Keine Chance. Ich muss im Januar unbedingt zu dieser Konferenz in Asien. Bis dahin hätte ich gern alles in trockenen Tüchern. Vittoria wäre dann bei den Kindern zu Hause, ebenso wie die Nanny Miss Sheldon, die zurzeit leider nicht zur Verfügung steht.“

„Haben die Kinder denn eine enge Beziehung zu ihrer neuen Mutter?“

„Sie haben sich bereits kennengelernt.“

Ungläubiges Lachen stieg in ihr auf. „Ich weiß nicht, wer mir mehr leidtut: deine neue Frau oder die Kinder. Wo bleibt dein Einfühlungsvermögen?“

„Das hat sich längst verabschiedet. So ist das Leben.“

„Oh je. Arme Vittoria.“

„Für Romantik habe ich nichts übrig. Nie gehabt.“

„Das behauptet ein Mann, der Opern liebt? Wer hat denn stundenlang Puccini gehört?“

„Du hast Opern geliebt. Ich habe dir nur Gesellschaft geleistet.“

Sie sah ihn an. Er hatte sich ziemlich verändert, war härter geworden. Das musste sie erst einmal verdauen.

„Zurück zum Thema. Ich biete dir hunderttausend Euro für die nächsten fünf Wochen. Das wird den finanziellen Verlust durch deine Kündigung bei Bernard’s hoffentlich ausgleichen.“

„Und wenn sie mich später nicht zurücknehmen?“

„Dann zahle ich dir zwanzigtausend Euro pro Woche. So lange, bis ich eine neue Anstellung für dich gefunden habe.“

Monet war baff. „Das ist eine Menge Geld.“

„Meine Kinder sind mir das wert. Mit Vittoria kriegen sie eine neue Mutter, das ist das Beste für sie. Ich bin zuversichtlich, dass sie eine liebevolle Beziehung zueinander aufbauen werden. Und wenn dann noch ein neues Baby kommt, sind die Kinder bestimmt ganz aus dem Häuschen vor Freude über das neue Geschwisterchen.“

Daran zweifelte sie. Glaubte er wirklich, dass seine Kinder, nachdem sie nun schon ihre Mutter verloren hatten, begeistert über einen Neuankömmling wären, eine Konkurrenz um die Aufmerksamkeit ihres Vaters? „Eine neue Familie zu gründen ist keine leichte Sache, Marcu. Kinder, die bereits einen schweren Verlust haben erleiden müssen, sind nicht immer offen für Veränderungen in ihrem Umfeld.“

„Ich erwarte ja gar nicht, dass sie es sofort verstehen. Sie sind noch ziemlich klein, was ich als Vorteil betrachte. Letztlich werden sie sich über eine neue Mutter in ihrem Leben freuen. Zurzeit hängen sie sehr an ihrer Nanny. Mir graut schon vor dem Tag, wenn die gute Miss Sheldon uns verlässt.“

„Ich dachte, sie ist nur für ein paar Wochen weg?“

„Das stimmt, aber ich befürchte, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie geht.“ Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: „Miss Sheldon hat sich in meinen Piloten verliebt. Sie sind schon seit einem Jahr zusammen, alles ganz geheim natürlich. Beide haben keine Ahnung, dass ich es längst weiß.“ Er schmunzelte.

„Aber sie könnte doch heiraten und trotzdem weiter für dich arbeiten.“

„Sie werden bestimmt eine eigene Familie gründen wollen. Sie ist jetzt Mitte dreißig, da wird sie sich nicht mehr viel Zeit lassen wollen. Aber nun genug über Miss Sheldon, das ist nicht das Thema. Ich wollte dir nur aufzeigen, dass dir keine finanziellen Einbußen drohen, wenn du mir aus der Klemme hilfst.“

Sein barscher Ton ließ sie zusammenzucken. Dieser arrogante Kerl! Allein bei der Vorstellung, für ihn zu arbeiten, wurde ihr ganz übel. Sie hatte nicht die geringste Lust, nach seiner Pfeife zu tanzen, ihm Rede und Antwort stehen zu müssen. Dazu waren ihre Gefühle für ihn viel zu kompliziert. Sie hatte einmal geglaubt, ihn zu lieben – verzweifelt und voller Leidenschaft –, aber er hatte sie zurückgewiesen. Sie war ihm nicht gut genug gewesen, nicht standesgemäß.

Eiseskälte durchströmte sie, als sie an das Gespräch zwischen Marcu und seinem Vater dachte, das sie unbeabsichtigt mit angehört hatte. Sein Vater hatte ihm klargemacht, dass eine Verbindung mit Monet nicht passend war für einen Mann von seiner Herkunft. Jemand wie Monet taugte allenfalls als Geliebte, aber nicht als Ehefrau.

„Ich kann nicht für dich arbeiten“, wiederholte sie leise. „Ich könnte es einfach nicht ertragen, von dir herumkommandiert zu werden.“

„Ich werde ja kaum da sein, nur die ersten Tage, bis du dich eingewöhnt hast. Über Weihnachten fahre ich mit Vittoria nach Altapura zum Skilaufen. Wir kommen erst nach Neujahr zurück.“

„Du willst die Feiertage nicht mit deinen Kindern verbringen?“, fragte sie ungläubig.

„Nein. Genau aus diesem Grund brauche ich ja dich. Dieses Jahr werde ich nicht bei ihnen sein können, aber du.“

Die armen Kinder. Kaum zu fassen, wie sehr Marcu sich verändert hatte. Aus dem warmherzigen, freundlichen jungen Mann war ein kaltherziger Pragmatiker geworden. „Wissen sie es schon?“

„Sie wissen, dass die Feiertage dieses Jahr etwas anders verlaufen werden als sonst, mehr habe ich ihn noch nicht erzählt. Damit warte ich, bis Vittoria meinen Antrag angenommen hat.“

„Du machst mir Angst, Marcu. Angst um dich und die Kinder. Sie werden dich sicher schrecklich vermissen.“

„Das glaube ich nicht. Wahrscheinlich sind sie sogar erleichtert, wenn ich wegfahre. Ich weiß, dass sie viel mehr Spaß mit Miss Sheldon haben.“

„Und das macht dir nichts aus?“

„Ich bin nicht scharf darauf, beides zu sein: Vater und Mutter.“ Der Blick aus seinen blauen Augen war missbilligend.

„Trotzdem, ich finde es ziemlich unfair, sie über die Feiertage allein zu lassen …“

„Wie es scheinst, möchtest du mit mir streiten. Aber ich habe dir doch gerade erklärt, dass es mir nicht besonders liegt, mit Kindern umzugehen. Nicht einmal mit meinen eigenen.“

Der Schmerz in seiner Stimme ließ sie verstummen. Sie überlegte kurz, dann erwiderte sie: „Ich möchte nicht mit dir streiten, aber ich habe kann nicht vergessen, wie es mit uns geendet hat. Deine Situation tut mir sehr leid, doch ich fürchte, ich bin nicht die Richtige, um deine Nanny zu vertreten.“

„Warum nicht? Du kannst doch fantastisch mit Kindern umgehen.“

„Zum einen habe ich nur kurz als Nanny gearbeitet, bis ich eine feste Anstellung gefunden hatte. Zum anderen kann ich Bernard’s unmöglich von einem Tag auf den anderen verlassen. Ich muss erst mit meinem Chef reden, einige Dinge klären …“

„Schon erledigt“, unterbrach er sie knapp. „Ich habe bereits mit Charles gesprochen. Er hatte großes Verständnis für meine Notlage und hat mir bestätigt, dass du die perfekte Unterstützung für mich wärst.“

„Notlage? Was für eine Notlage?“ Sie atmete scharf ein und hatte Mühe, ihre Wut zu zügeln. „Du hast beschlossen, mit deiner neuen Freundin zu verreisen, während deine Nanny nicht da ist. Das ist doch keine Notlage.“

„Nun ja, Charles sieht das ein bisschen anders“, konterte Marcu lässig. „Außerdem – nachdem ich ihm erklärt habe, dass wir uns von früher kennen – ist er ganz meiner Meinung, dass du die Beste für diesen Job bist.“

Was für ein manipulativer Mistkerl! „Ich fasse es nicht, dass du gleich zu meinem Chef gerannt bist, um ihm diese rührselige Story aufzutischen! Und was fällt dir ein, meine Angelegenheiten hinter meinem Rücken zu besprechen?“

„Ich dachte, es könnte nicht schaden, wenn Charles weiß, dass unsere beiden Familien schon lange freundschaftlich verbunden sind. Das erhöht garantiert deine Chancen auf einen Wiedereinstieg, und wer weiß, vielleicht ist auch eine Gehaltserhöhung drin.“

Sie riss entsetzt die Augen auf. „Du hast ihm doch nicht etwa erzählt, dass meine Mutter die Geliebte deines Vaters war! Charles ist ziemlich konservativ …“

„Er weiß Bescheid. Genauso wie er weiß, dass du Edward Wildes Tochter bist und dein Vater im Aufsichtsrat von Bernard’s sitzt. Deine steile Karriere hat bestimmt auch damit etwas zu tun.“

Monet schnappte ungläubig nach Luft. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass ihr Vater im Aufsichtsrat saß. Sie hatte ihn seit Jahren nicht gesehen, seit er ihr den Job als Nanny besorgt hatte. Für ihn war sie nur ein lästiger Ausrutscher, mit dem er nichts zu tun haben wollte. „Meine Beförderung habe ich ganz allein harter Arbeit zu verdanken“, fauchte sie. „Mein Vater hat sich nur mit mir abgefunden, weil er keine andere Wahl hatte. Genauso wie dein Vater sich notgedrungen mit meiner Existenz arrangieren musste.“ Sie holte tief Luft. „Das ist der Grund, weshalb ich dir den Gefallen nicht tun kann. Ich will nicht noch einmal wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt werden. Das akzeptiere ich nicht.“

„Das habe ich nie getan.“

„Doch, am Ende schon. Das weißt du genau.“

„Was meinst du denn damit? Hat es etwa etwas mit dem Kuss zu tun?“

Ihre Wangen brannten heiß, und sie erbebte. „Es war mehr als ein Kuss.“

„Du warst äußerst einverstanden. Tu jetzt bitte nicht so, als sei es anders gewesen.“

„Stimmt, du hast dich mir nicht aufgezwungen. Aber es war alles gänzlich anders, als ich dachte.“

„Ich verstehe nicht ganz.“

Wieder atmete sie tief ein, um sich zu beruhigen. Jetzt bloß nicht in Tränen ausbrechen! Diese Demütigung würde sie sich nicht auch noch antun. „Es war keine Beziehung auf Augenhöhe. Du hast mich zwar etwas anderes glauben lassen, aber das entsprach nicht der Realität.“

„Tut mir leid, ich weiß nicht, was du meinst.“

„Vergiss es, es ist nicht länger wichtig. Wichtig ist nur meine Antwort, und die lautet nein. Hätte ich ein Teil deines Lebens sein wollen, wäre ich in Palermo geblieben. Ich bin aus gutem Grund gegangen, und ich möchte nichts mehr mit dir zu tun haben. Niemals. Deshalb bitte ich dich inständig, mir meine Schuld zu erlassen. Lass mich jetzt gehen und die Tür zur Vergangenheit endgültig schließen.“

Ihre Worte erwischten Marcu kalt. Monet hatte recht, sie sollten die Vergangenheit begraben. Doch gleichzeitig war das das Letzte, was er wollte.

Es war Monet, die er für seine Kinder wollte, nicht irgendeine Nanny. Sie würde sich gut um die Kinder kümmern, daran bestand kein Zweifel. Er kannte sie, und das war genau das, was er jetzt brauchte. Auch für sich selbst. Um sein Gewissen zu beruhigen, um auszugleichen, was er seinen Kindern nicht bieten konnte. Denn er war viel zu oft unterwegs, häufig mit den Gedanken ganz woanders, selbst wenn er sich zu Hause aufhielt, war zu ungeduldig und zu ernst.

Im Grunde hatte er nach Galeta auch nicht wieder heiraten wollen und tat es in erster Linie seinen Kindern zuliebe. Sie brauchten eine Mutter, wenn sie schon mit einem unzulänglichen Vater gestraft waren.

Kurz gesagt: Er steckte in einem richtigen Dilemma.

„Ich kann dir deine Schuld nicht erlassen“, erwiderte er rau. „Vor acht Jahren habe ich dir geholfen, als du meine Hilfe brauchtest, und jetzt brauche ich deine. Du hast lange genug in unserer Familie gelebt, um zu verstehen, wie wir Sizilianer diese Dinge sehen.“

Sie schüttelte unwillig den Kopf. „Ja, das weiß ich. Und ich weiß auch, dass du sehr wohl die Wahl hast, dich großmütig zu zeigen und mir die Schuld zu erlassen.“

„Wenn es nicht um das Wohl meiner Kinder ginge, könnte ich das vielleicht. Aber sie brauchen dich, also muss ich leider darauf bestehen.“

Monet ließ sich niedergeschlagen in den Stuhl zurücksinken, sie bebte vor unterdrückter Wut. Sie war wunderschön und leidenschaftlich. Diese Seite an ihr kannte er gar nicht. Früher war sie eigentlich eher ruhig und ausgeglichen gewesen, mit einem ausgeprägten Sinn für Humor. Sie hatte ihn und seine Geschwister ständig zum Lachen gebracht.

„Um ehrlich zu sein, ich mag dich gerade nicht besonders“, erklärte sie jetzt in die lastende Stille hinein.

Das musste Marcu erst einmal verdauen. Einem ersten Impuls folgend, wollte er sie daran erinnern, wie hingebungsvoll zugetan sie ihm früher gewesen war. Ihre Loyalität hatte ihn tief berührt, und er hatte sich immer als ihr Beschützer betrachtet, auch als er studierte und nicht mehr zu Hause wohnte. Das war so weit gegangen, dass er einen Palazzo-Angestellten dafür bezahlt hatte, ein Auge auf sie zu haben und ihm Bericht zu erstatten, denn er machte sich Sorgen um sie während seiner Abwesenheit. Ihre Mutter hatte sich nie wirklich um sie gekümmert, und von seinem Vater war sie nur geduldet worden.

Natürlich war Monet ihr Platz bei den Ubertos immer bewusst gewesen, das wurde ihm jetzt klar.

„Früher war das mal anders, das wissen wir beide“, erwiderte Marcu ernst.

„Das war einmal. Jetzt kann ich dich nicht mehr sonderlich leiden. Das sollte eigentlich Grund genug für dich sein, mir deine Kinder nicht anvertrauen zu wollen.“

„Wenigstens bist du ehrlich. Ich respektiere das. Aber ich weiß auch, dass du viel zu anständig bist, um meine Kinder dafür büßen zu lassen, dass du mich nicht mehr leiden kannst.“

„Woher willst du das wissen? Du kennst mich doch gar nicht. Ich bin schon lange nicht mehr das Mädchen, das Palermo mit ein paar Halbseligkeiten verlassen hat.“

„Und mit fünftausend Euro von mir in der Tasche.“

„Verstehst du es denn nicht?“ Sie sprang erregt auf. „Ich wollte dein Geld damals nicht, und ich will es auch heute nicht.“

Sie wollte gehen, doch das würde er nicht zulassen. Seine Hand schoss vor und schloss sich mit festem Griff um ihr Handgelenk.

„Setz dich bitte wieder, und rede mit mir“, bat er leise.

„Was soll das bringen?“, konterte sie hitzig. „Du hörst ja gar nicht zu.“ Sie versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, aber er gab nicht nach. „Wenn du wenigstens nicht so stur wärst und dich auf einen Kompromiss einlassen würdest. Jetzt kann ich meinen Job auf keinen Fall im Stich lassen, aber ich wäre bereit, im Januar zu dir zu kommen …“

„Im Januar brauche ich dich nicht“, unterbrach er sie und ließ sie los. Monet blieb stehen, wütend und empört. „Bis dahin ist Miss Sheldon zurück, und deine Anwesenheit wäre nicht mehr nötig.“

„Es ist unmöglich, meine Arbeit für fünf Wochen zu unterbrechen, das kann ich der Firma nicht antun. Jetzt haben wir Mitte Dezember. Ich würde dann bis weit in den Januar hinein ausfallen.“

„Okay, dann also vier Wochen.“ Er unterdrückte einen Seufzer.

„Das heißt immer noch bis Mitte Januar.“

„Drei Wochen, beginnend ab morgen. Aber nur, wenn du dich endlich wieder hinsetzt.“

Widerstrebend ließ sie sich auf ihren Stuhl sinken. „Zwei Wochen.“

„Drei.“

Monet griff nach ihrem Weinglas und trank einen großen Schluck. Hoffentlich merkte Marcu nicht, wie sehr ihre Hand zitterte. „Ich möchte aber nicht so lange bleiben, bis du mit Vittoria aus dem Urlaub zurückkommst.“

„Das brauchst du auch nicht. Ich sorge dafür, dass du rechtzeitig mit meinem Privatjet nach London zurückfliegen kannst. Das verspreche ich dir.“

„Eine Bedingung habe ich noch. Morgen früh muss ich zur Arbeit, weil ich ganz dringend ein Brautkleid finden muss, das irgendwie abhandengekommen ist.“

„Wir müssen nach Italien.“

„Du musst nach Italien.“ Sie funkelte ihn aufgebracht an. „Ich muss das Kleid von Mrs. Wilkerson finden. Anschließend komme ich mit dir. Gib mir Zeit bis Mittag. Ich habe es Mrs. Wilkerson versprochen. Und ein Versprechen ist ein Versprechen.“

Ihm blieb wohl nichts anderes übrig, als ihre Bedingungen zu akzeptieren. Marcu nickte grimmig. „Okay. Mein Fahrer holt dich mittags bei Bernard’s ab. Von dort fahren wir gleich zum Flughafen.“

Ein spöttisches Lächeln umspielte ihre Lippen. „Hast du keine Angst, dass ich inzwischen davonlaufe?“

Ihr herausforderndes Lächeln erregte ihn. Gott sei Dank würde er während ihres Aufenthalts die meiste Zeit weg sein. Monet hatte seine Selbstbeherrschung schon immer auf eine harte Probe gestellt. So auch jetzt.

„Nein“, brachte er rau hervor. „Denn ein Versprechen ist ein Versprechen.“

3. KAPITEL

Während des Flugs über die schneebedeckten Gipfel der französischen Alpen hielt Monet die Augen geschlossen. Sie litt nicht unter Flugangst, aber heute fühlte sich ihr Bauch wie ein eisiger Klumpen an. Vor lauter Aufregung war ihr ganz schlecht.

Sie konnte kaum glauben, dass das wirklich passierte.

Weihnachten in Italien mit Marcu – nein, Weihnachten mit Marcus Kindern. Er war ja gar nicht da, sondern verbrachte die Zeit mit seiner zukünftigen Frau.

Weil sie darüber jetzt lieber nicht weiter nachdenken wollte, öffnete Monet abrupt die Augen.

Und erschrak, als sie bemerkte, dass Marcu nicht länger vor seinem Laptop am Tisch gegenüber saß, sondern direkt neben ihr. Sie musste wohl eingedöst sein und hatte nicht bemerkt, dass er sich hierhergesetzt hatte. Sofort überlief sie ein heißes Prickeln.

Durchdringend musterte er sie aus seinen tiefblauen Augen. „Hast du nun eigentlich das Kleid deiner Kundin gefunden?“

„Ja, zum Glück. Wir hatten es zur Änderungsschneiderei gegeben, und es wurde einfach nur falsch weggehängt. Krise erfolgreich abgewendet.“

„Deiner Kundin ist bestimmt ein Stein vom Herzen gefallen.“

„Und mir erst. Es handelte sich um ein besonders kostspieliges Modell.“

„Mir fällt es immer noch schwer, mir vorzustellen, dass du dich ausgerechnet auf Brautmoden spezialisiert hast“, gab Marcu zu und zog den Rollladen vor seinem Fenster halb herunter, um das gleißende Sonnenlicht auszusperren.

„Findest du das wirklich so erstaunlich?“ Okay, sie selbst hätte sich eine solche Berufswahl ja auch nie träumen lassen. Doch es hatte sich einfach so ergeben, und wie sich herausstellte, besaß sie das Talent, das passende Kleid für jede Frau zu finden.

„Eine Hochzeit hat eine Menge mit dem Theater gemeinsam“, überlegte sie laut. „Das Schauspielergen meiner Mutter hat sich wohl auch in meinen Genen niedergeschlagen. Ich habe offensichtlich ein Händchen dafür, eine Hochzeit wie ein großartiges Theaterstück in Szene zu setzen. Eine märchenhafte Show, der man nicht anmerkt, wie viel Arbeit dahintersteckt.“

„Du verstehst dich also als Regisseurin.“

„Nein, so weit würde ich nicht gehen. Ich möchte einfach nur Menschen glücklich machen.“

„Ah, genau wie deine Mutter.“

„Nun, nicht ganz so. Ich schlafe nicht mit Männern, nur um sie glücklich zu machen“, erwiderte sie brüsk.

„Das meinte ich nicht.“

„Was meintest du dann?“

Er sah sie unter gesenkten Lidern an. „Ich denke, du versuchst irgendetwas zu kompensieren. Diesen Groll hegst du schon seit Jahren.“

Damit hatte er sie kalt erwischt. Säßen sie nicht in dreißigtausend Fuß Höhe in einer schmalen Röhre, wäre sie einfach aufgestanden und gegangen. Doch sie konnte nicht weg. Es gab keinen Fluchtweg. „Groll gegen was oder wen? Ich betrachte mich nicht als Opfer, Marcu. Ich bin zufrieden mit meinem Leben, mit dem, was ich erreicht habe. Und ich bin stolz darauf, dass ich das alles mit harter Arbeit und ohne einen männlichen Gönner geschafft habe.“

„Hör mal, ich wollte nicht andeuten, dass du dich nach oben geschlafen hast …“

„Fein, denn das habe ich auch nicht.“

„Ich wollte eigentlich sagen, dass der … Erfolg deiner Mutter darauf beruhte, dass sie den Leuten das gab, was sie sich wünschten.“

Monet seufzte ungeduldig. „Könnten wir bitte aufhören, über meine Mutter zu reden? Ich reite schließlich auch nicht ständig darauf herum, wie sehr deine Mutter dich verletzt hat.“

Er zuckte die Schultern. „Wenigstens habe ich noch eine Erinnerung an sie im Gegensatz zu meinen jüngeren Geschwistern.“

„Wie alt warst du, als sie euch verlassen hat?“

„Zwölf.“ Nervös trommelte er mit den Fingern auf die lederne Armlehne. „Mütter sind wichtig. Deshalb muss ich unbedingt wieder heiraten.“

„Mögen deine Kinder Vittoria?“

„Sie haben sich erst ein paar Mal gesehen, aber es lief ganz gut. Vittoria scheint besonders Antonio ins Herz geschlossen zu haben.“

„Wie alt sind deine Kinder eigentlich?“

„Drei, fünf und knapp sieben. Antonio ist der Jüngste, dann kommt Rocca, meine Tochter. Matteo wird Anfang Januar sieben.“

„Du hast ihn nach deinem Vater benannt.“

„Ja.“ Er überlegte kurz, dann sagte er: „Mein Vater mochte dich, weißt du. Er hat dich immer beschützen wollen.“

Das hatte Monet auch geglaubt – bis zu dem Abend, als er diese schrecklichen Dinge über sie zu Marcu gesagt hatte: „Sie ist nicht die Richtige für dich, nicht standesgemäß. Denk daran, wo sie herkommt. Eine Affäre mit ihr, okay. Aber mehr auch nicht.“

Auch Marcus brutale Antwort hatte sie nicht vergessen: „Natürlich, Vater. Das weiß ich doch, du brauchst mich nicht daran zu erinnern. Wenn ich heirate, dann eine standesgemäße Frau, die in die Familie passt.“

Marcu wusste nicht, dass sie unbeabsichtigt Zeugin dieser Unterhaltung geworden war. Er ahnte nicht einmal, dass er sie verletzt hatte. Trotzdem war er mehr als erleichtert gewesen, als sie auf Nimmerwiedersehen aus Palermo verschwunden war.

Die Erinnerungen daran schmerzten noch immer. Monet dachte an den Besuch von Marcus Vater bei ihr in London, der sie noch mehr verstört hatte. „Hat er deinen Schwestern wirklich ebenfalls Negligés zu Weihnachten geschenkt?“

„Ja.“

„Findest du es nicht unangemessen von ihm, mir so einen Fummel mitzubringen?“

„Ich bin mir sicher, dass er dich nicht in Verlegenheit bringen wollte. Er hat es nur gut gemeint, ganz bestimmt.“

Beherrscht schluckte Monet ihren Protest hinunter. Wenn Matteo es gut mit ihr gemeint hätte, hätte er Marcu nicht gegen sie aufgehetzt. Er hätte nicht über sie gesprochen, als sei sie nichts wert.

Marcu warf ihr einen durchdringenden Blick zu. „Du glaubst mir nicht.“

„Ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben soll“, erwiderte sie kurz angebunden, und das war die Wahrheit.

Der Privatjet landete fünfundzwanzig Minuten später in Mailand, wo Marcus schwarz blitzender Maserati schon bereitstand. Ein Steward verstaute ihr Gepäck im Kofferraum, und Marcu hielt Monet die Beifahrertür auf. Die Fahrt zum Castello würde weniger als zwei Stunden dauern, wenn sich das Wetter hielt.

Während Marcu den schnittigen Wagen in die Berge hochsteuerte, wechselten sie kaum ein Wort. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Die Landschaft war schneebedeckt, aber die Straße war frei.

Endlich erreichten sie das Aostatal. Das Castello befand sich etwas außerhalb der Stadt Aosta. Monet war noch nie in den italienischen Alpen gewesen und freute sich schon auf ausgiebige Erkundungstouren. Hoffentlich hatten die Kinder auch Spaß daran.

„Da wären wir.“ Marcu bog von der Hauptstraße ab und passierte ein hohes Eisentor, das in eine Mauer aus Granitsteinen eingelassen war. Dahinter erwartete sie eine zauberhafte Winterlandschaft. Sie durchquerten einen weißen Winterwald, der sich endlos zu erstrecken schien. Gerade als Monet schon glaubte, sie würden nie ankommen, lichtete sich der Wald, und vor ihnen erhob sich ein Schloss in seiner ganzen Pracht mit Türmen und Erkern.

„Das ist ja umwerfend!“, rief Monet überwältigt aus.

„Es wurde Ende des zwölften Jahrhunderts erbaut“, bemerkte Marcu mit einem Anflug von Besitzerstolz. „Natürlich ist es von Grund auf modernisiert worden. Galetas Familie hat eine gut funktionierende Heizung installieren lassen, wir sind also nicht auf zugige Kamine angewiesen.“

Marcu drosselte die Geschwindigkeit und fuhr eine schmale Kopfsteinpflasterstraße hinauf. Vor dem Eingang zum Castello parkte er den Wagen. Sofort erschien eine kleine Schar von Angestellten an der Tür. Männer in dunkelgrauen Anzügen kümmerten sich um ihr Gepäck, während eine Frau in einem strengen schwarzen Kleid sie in Empfang nahm. „Willkommen zurück, Signor Uberto.“

„Dankeschön.“ Marcu nickte ihr zur Begrüßung freundlich zu. „Sind die Kinder noch wach?“

„Nein, Signor, sie sind schon im Bett und schlafen.“

„Waren sie schwierig zu händeln ohne Miss Sheldon?“

„Überhaupt nicht, Sir. Unser Hausmädchen Elise ist prima mit ihnen zurechtgekommen.“

„Sagen Sie ihr bitte, wie dankbar ich für ihre Hilfe bin.“

Der Butler nahm Marcu seinen Mantel ab und wandte sich dann an Monet, um ihr ebenfalls zu helfen. Diese schüttelte mit einem verlegenen Lächeln den Kopf. „Ich möchte meinen Mantel gerne anbehalten.“

„Natürlich.“ Marcu warf einen Blick die breite Treppe hinauf. „Am besten führe ich dich jetzt erstmal kurz herum. Morgen zeige ich dir dann alles ganz ausführlich.“

„Das ist nicht nötig“, versicherte Monet rasch. „Es war ein langer Tag, und ich würde mich jetzt gern ausruhen. Aber ich freue mich schon darauf, morgen früh die Kinder kennenzulernen.“

„Deine Suite liegt gleich neben dem Kinderflügel im dritten Stock. Ich bringe dich hin.“

Oben angekommen, öffnete er die Tür zu einem ausladenden Wohnzimmer mit einer dunkel getäfelten Decke. Die Wände waren cremefarben verputzt, edle Orientteppiche auf dem hellen Steinfußboden verbreiteten ein behagliches Flair. Eine Sitzgruppe aus einem burgunderroten Sofa und zwei apricotfarbenen Sesseln stand vor einem großen Kamin. Überall verstreut gab es zierliche Beistelltische mit gehämmerten Silbertabletts darauf, die Monet an ihre Zeit in Marokko erinnerten. Der runde Couchtisch besaß eine Platte aus handbemalten gold- und burgunderfarbenen Kacheln. Ein großer venezianischer Kristallglasspiegel hing an einer Wand, an einer anderen ein antiker Gobelin in Apricot, Grün und Gold.

„Die Kinderzimmer sind gleich nebenan“, erklärte Marcu. „Es gibt ein Spielzimmer und zwei Schlafzimmer. Matteo und Antonio teilen sich ein Zimmer, Rocca hat ihr eigenes.“

„Was soll ich tun, wenn einer einen Albtraum hat?“

„Sie wissen, dass du gleich hier neben ihnen wohnst.“

„Sie kommen nicht zu dir?“

„Du bist näher. Meine Räume liegen einen Stock tiefer, und die Treppe ist steil.“

„Ich verstehe.“ Monet gab sich Mühe, nicht vorwurfsvoll zu klingen. Sie durchquerte den Raum und spähte durch die angelehnte Tür ins angrenzende Schlafzimmer. Auch da war alles in Apricot und Burgunderrot gehalten. Das Zimmer wurde dominiert von einem Himmelbett mit pfirsichfarbenen Vorhängen. Massive Holzfensterläden und schwere Vorhänge sperrten die kalte Nachtluft aus.

Marcu deutete auf einen großen Schrank in der Ecke. „Da drin findest du eine Miniküche mit Kaffeemaschine, Teekessel und einem kleinen Kühlschrank. Unsere tüchtige Haushälterin hat sicher dafür gesorgt, dass dieser gut gefüllt ist mit Milch, Obst und leckeren Snacks. Falls du jetzt noch eine warme Mahlzeit möchtest, sage ich unten in der Küche Bescheid.“

„Danke, nicht nötig. Ich trinke eine Tasse Tee und lege mich dann schlafen. Die Kinder werden wahrscheinlich früh wach und meine Aufmerksamkeit beanspruchen.“

„Elise wird sich um sie kümmern, bis du dich eingerichtet hast.“

„Alles in Ordnung, ich brauche keine Zeit zum Einrichten“, bekräftigte Monet.

„Ich lasse dich rufen, sobald sie angezogen sind und gefrühstückt haben. Im Schrank findest du auch eine Sprechanlage, eine weitere ist neben der Nachttischlampe installiert. Du kannst jederzeit den Butler rufen, falls du Hunger oder Durst hast oder sonst etwas brauchst. Es steht Tag und Nacht jemand zur Verfügung.“

Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach ihr Gespräch. Marcu öffnete, und ein Angestellter brachte ihr Gepäck.

Marcu sah sie an. „Sonst noch Fragen?“

„Nein.“ Monet fühlte sich plötzlich schrecklich erschöpft und verloren. Was um Himmels willen tat sie hier bloß? „Wir sehen uns dann morgen.“

Marcu brauchte Stunden, bis er endlich einschlafen konnte. Er fühlte sich rastlos, und tausend Gedanken gingen ihm durch den Kopf.

Jetzt war Monet endlich hier, und er konnte sich auf seine Reise mit Vittoria konzentrieren. In Mailand hatte er sich schon Ringe angeschaut, und seine persönliche Assistentin hatte die Penthouse-Suite in einem Nobelhotel in Altapura für sie gebucht und Tische in den besten Restaurants reserviert. Vittoria war sehr viel extrovertierter, als Galeta es gewesen war, und genoss das Gesellschaftsleben. Deshalb hatte er beschlossen, mit ihr in die Berge zu fahren. Tagsüber konnte sie sich auf der Piste präsentieren und sich abends chic machen und auf Partys glänzen. Weihnachten war für sie eine einzige große Party. Marcu tat sein Bestes, um den nötigen Enthusiasmus für einen Urlaub aufzubringen, vor dem es ihm im tiefsten Innern graute.

Er wollte Weihnachten nicht getrennt von den Kindern verbringen, wollte nicht in irgendeinem verdammten Luxushotel absteigen. Und schon gar nicht wollte er Vittoria ausgerechnet Weihnachten einen Antrag machen, doch sie hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass sie genau das von ihm erwartete.

Leider musste er sich eingestehen, dass Vittoria nicht die perfekte Lösung für sein Problem darstellte. Okay, sie entstammte einer angesehenen alten sizilianischen Familie, die ebenso wohlhabend war wie seine. Sie war schön und aufgeschlossen, kontaktfreudig – das würde den Kindern guttun. Bei den Treffen mit ihnen hatte sie sich immer sehr freundlich und interessiert gezeigt. Natürlich reagierten die Kinder noch ein bisschen zurückhaltend, weil sie sie nicht gut genug kannten. Aber mit der Zeit würde sich das geben. Alles würde gut werden.

Das Schlimmste lag ja bereits hinter ihm. Es war schließlich nicht leicht gewesen, Monet zum Mitkommen zu überreden, aber nun war sie da und würde sich während der kommenden Wochen um die Kinder kümmern. Ihnen würde es also gut gehen. Vittoria würde seinen Antrag annehmen. Es gab also keinen Grund, sich Sorgen zu machen.

Trotzdem fand er einfach keine Ruhe.

Und das nicht zuletzt, weil Monet tatsächlich hier war. Nur ein Stockwerk über ihm.

4. KAPITEL

Monet war schon lange wach, bevor ihr das Frühstück aufs Zimmer serviert wurde. Neben dem Teller lag eine Nachricht von Marcu auf dem Tablett.

Die Kinder und ich erwarten dich um neun Uhr im Musikzimmer: ein Stockwerk tiefer und dann die zweite Tür links. Marcu

Auf dem Tablett standen eine Kanne Tee, Joghurt, Saft und frische warme Brötchen. Als Monet die Nachricht las, war ihr Magen plötzlich wie zugeschnürt, und sie verspürte gar keinen Hunger mehr.

Sie fühlte sich nicht bereit, Marcu gegenüberzutreten. Ehrlich gesagt fand sie ihn sogar Furcht einflößend. Er hatte kaum noch etwas mit dem liebenswerten jungen Mann von damals gemeinsam. Der Tod seiner Frau hatte ihn hart gemacht, rücksichtslos und einschüchternd. Hoffentlich verhielt er sich seinen Kindern gegenüber nicht genauso kalt.

Eine Minute vor neun verließ sie schweren Herzens ihre Suite und machte sich auf den Weg zum Musikzimmer.

Mit seinen stilvollen Möbeln und den Ölgemälden an der Wand wirkte der Raum eher wie ein offizieller Salon. Der Stutzflügel vor den deckenhohen Fenstern war das einzige Musikinstrument im Raum.

Von Marcu und den Kindern sah sie keine Spur. Monet blickte auf die Uhr. Es war bereits kurz nach neun. Vielleicht saßen sie ja noch beim Frühstück.

Sie ging zum Flügel und ließ die Finger leicht über die Tasten gleiten. Am liebsten hätte sie etwas gespielt, wagte es aber nicht. Sie spielte auch nicht besonders gut, ganz im Gegensatz zu Marcu. Früher hatte er jeden Tag mehr als eine Stunde geübt, und sie hatte fasziniert gelauscht. In seinem Spiel hatte so viel Gefühl gelegen. Vielleicht hatte sie sich nicht zuletzt deshalb in ihn verliebt.

„Tut mir leid, wir sind zu spät.“ Marcu betrat das Zimmer. In seinem schwarzen Kaschmirpullover und der dunklen Hose sah er unglaublich maskulin und kultiviert aus. Monet registrierte unvermittelt seine breiten Schultern und die schmalen Hüften, und ihr Herz pochte schneller.

Die Kinder hatten alle drei schwarz glänzendes Haar, aber es war der Jüngste, der Marcu wie aus dem Gesicht geschnitten war, Antonio. Die Ähnlichkeit war so frappierend, dass Monet lächeln musste. „Buongiorno“, sagte Monet auf Italienisch. Guten Morgen.

„Darf ich vorstellen: Matteo, Rocca und Antonio“, erklärte Marcu. „Und das ist Signorina Wilde.“ Er legte Matteo die Hand auf die Schulter. „Sie haben mir versprochen, brav zu sein und zu tun, was die Signorina ihnen sagt, während ich weg bin.“

Marcu konnte nicht sehen, wie sich das Gesicht des kleinen Mädchens verzog und wie Antonio blinzeln musste, um die Tränen zurückzuhalten, aber Monet bemerkte es. Plötzlich taten ihr die Kinder schrecklich leid. Sie litten viel mehr unter der Situation als sie selbst. „Keine Sorge, wir werden uns schon vertragen. Es ist ja nur für eine kurze Zeit, dann ist eure liebe Nanny Signorina Sheldon wieder zurück.“

„Ich habe jetzt etwas Wichtiges zu erledigen“, erklärte Marcu geschäftsmäßig. „Kann ich die Kinder in deiner Obhut lassen? Sie werden dich sicher mit dem größten Vergnügen herumführen.“

„Kein Problem, wir kommen schon klar“, versicherte Monet ihm mit einem strahlenden Lächeln. „Bis später dann.“

Nachdem er gegangen war, wandte sich Monet den Kindern zu, die sie erwartungsvoll anschauten. Angestrengt kramte sie ihr Italienisch aus dem hintersten Winkel ihres Gedächtnisses hervor. Sie hatte lange nicht gesprochen, aber es würde schon gehen.

„Spielt euch euer Vater manchmal auf dem Flügel vor? Er ist wirklich gut, findet ihr nicht auch?“

Dreimal erstauntes Kopfschütteln. „Mama hat für uns gespielt“, erwiderte das kleine Mädchen ernst. „Das war ihr Musikzimmer.“ Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: „Stimmt es, dass Sie früher in unserem Haus gewohnt haben?“

„Hier?“, fragte Monet. „Nein.“

„Nicht hier“, sagte Rocca schnell. „Das ist nicht unser Zuhause, sondern das von nonna und nonno. Aber die sind jetzt tot, und wir haben das Haus geerbt. Unser richtiges Zuhause ist in Palermo.“

„Im Palazzo?“

Die Kinder nickten.

Monet setzte sich auf die Kante eines zierlichen Sessels. „Ja, früher habe ich da einige Zeit gewohnt. Sechs Jahre lang, als ich noch ziemlich jung war. Das Haus ist wunderschön, nicht wahr?“

„Ja, aber das Internet ist total langsam“, beklagte sich Matteo. „Und hier haben wir gar keins. Ich kann mit meinen Freunden überhaupt keine Spiele spielen.“

„Bestimmt gibt es hier auch jede Menge, was Spaß macht“, erwiderte Monet aufmunternd. „Erzählt mal, was ihr am liebsten tut.“

Die Kinder blickten einander stumm an, bevor Matteo achselzuckend erwiderte: „Die meiste Zeit machen wir gar nichts. Alle sind immer so beschäftigt.“

„Und was ist mit deinem Vater?“

„Er muss immerzu arbeiten“, meinte der Junge seufzend.

„Papa ist ganz wichtig“, warf Antonio mutlos ein. „Ganz viele Leute brauchen ihn.“

Das klang ganz so, als würden sie ihren Vater nicht allzu oft zu Gesicht bekommen.

„Tja, ich hasse es, untätig herumzusitzen, also werden wir vier jede Menge unternehmen. Am besten, wir machen eine Liste.“ Besonders begeistert wirkten die Geschwister nicht. „Auf jeden Fall ist das hier ein wundervoller Ort, um Weihnachten zu feiern.“

„Ich weiß nicht.“ Matteo blickte skeptisch. „Normalerweise sind wir nur im Sommer hier. Aber Papa sagte, dieses Jahr wird Weihnachten anders. Keine Ahnung, was er meint.“

Monet wurde es ganz schwer ums Herz. Hatte Marcu seinen Kindern tatsächlich noch nicht erzählt, dass er über Weihnachten und Neujahr verreisen würde?

„Möchten Sie ein Bild von unserer Mama sehen?“, fragte Rocca ernst.

„Das würde ich sehr gerne. Überhaupt würde ich mich freuen, wenn ihr mir das Castello zeigt. Es ist schrecklich weitläufig, und ich fürchte, ohne eure Hilfe werde ich mich verlaufen.“

Die Kinder führten sie den langen Korridor mit den Ahnengemälden entlang. Vor einem goldgerahmten Bild am Ende des Gangs blieben sie stehen. Es zeigte eine ernste junge Frau mit dunkelblondem Haar und großen braunen Augen. Sie hatte einen cremefarbenen Teint, hohe Wangenknochen und eine gerade, schmale Nase und strahlte eine kühle Eleganz aus. Unwillkürlich fragte sich Monet, ob das Bild der Persönlichkeit der jungen Frau entsprach oder der Fantasie des Malers.

„Mama“, verkündete Antonio.

„Sie ist wunderschön“, stellte Monet fest. „Schade, dass sie nicht lächelt. Hatte sie auch solche entzückenden Grübchen wie Rocca?“

„Nein, hatte sie nicht“, erklang Marcus tiefe Stimme hinter ihnen.

Monet versteifte sich. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass er sich zu ihnen gesellt hatte. Wie lange stand er schon dort?

Sie wandte sich zu ihm um, und bei seinem Anblick beschleunigte sich ihr Herzschlag sofort. Wieso reagierte sie eigentlich jedes Mal so intensiv auf ihn?

Das wollte Monet insgeheim lieber gar nicht wissen.

Auf keinen Fall wollte sie sich noch einmal in seinen Bann ziehen lassen, dazu hatte er sie viel zu sehr verletzt.

Sie konzentrierte ihre Aufmerksamkeit jetzt auf die Kinder. Ihr fiel auf, dass sie ihrem Vater nicht freudig entgegenstürmten, aber das war in dieser Familie wohl nicht üblich. So war es auch mit Marcu und seinem Vater gewesen. Immer respektvoll und freundlich, gleichzeitig aber auch diszipliniert und zurückhaltend.

„Weiter seid ihr mit eurer Erkundungstour durch das Castello noch nicht gekommen?“, meinte Marcu erstaunt.

„Uns bleibt ja noch viel Zeit dafür“, erwiderte Monet leichthin. „Aber was ist mit dir? Ich hatte nicht erwartet, dich vor dem Dinner wiederzusehen. Möchtest du dich uns anschließen?“

„Mein Büro liegt auf der anderen Seite der Wand. Bei dem lauten Geschnatter konnte ich mich nicht konzentrieren.“

Als Monet Roccas enttäuschte Miene bemerkte, wurde sie ärgerlich. Merkte Marcu denn gar nicht, was er seinen Kindern antat? „Na gut, wohin gehen wir als Nächstes?“ Sie sah Rocca an.

„Zum Ballsaal!“, rief diese aus.

„Möchtest du uns vielleicht begleiten, Marcu?“ Monet sah ihn erwartungsvoll an.

Doch er schüttelte nur energisch den Kopf. „Das geht nicht, ich habe zu viel zu tun.“

Wieder stieg Verärgerung in ihr auf. Arbeitete er wirklich so hart, oder war das nur eine Ausrede, um sich die Kinder vom Leib zu halten? Irgendwie ergab das alles keinen Sinn. Sie hatte Marcu als gefühlvoll und aufgeschlossen in Erinnerung. Er war immer so liebevoll mit seinen jüngeren Geschwistern umgegangen, hatte viel Zeit mit ihnen verbracht.

„Na gut, es ist deine Entscheidung, wenn du nicht mitkommst“, konterte sie mit einem strahlenden Lächeln. „Wir gehen uns jetzt amüsieren und Walzer tanzen.“

„Ich würde es vorziehen, wenn die Kinder ihren Morgenspaziergang draußen durch den Park machen.“

„Tun sie das für gewöhnlich, Signor?“

„Ja. Jeden Morgen machen sie ein wenig Sport nach dem Frühstück.“

„Oh. Müssen sie auch eine bestimmte Anzahl an Liegestützen absolvieren?“ Monet funkelte ihn an.

Marcu unterdrückte einen Fluch. „Provozier mich nicht“, presste er auf Englisch hervor. „Schon gar nicht in ihrer Gegenwart.“

Monet knickste gehorsam. „Sehr wohl, Sir. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Sir.“

„Monet“, entgegnete er drohend.

Sie trat dicht an ihn heran und zischte ihm leise auf Englisch zu: „Ich bin ja erst kurze Zeit hier, aber mir scheint, die Kinder brauchen nicht nur eine neue Mutter, sondern auch einen neuen Vater.“

Seine Hand schoss vor, und er umklammerte ihren Arm. „Pass bloß auf.“

Eigenwillig hob sie das Kinn an und sah ihm direkt in die Augen. „Passt es dir nicht, was ich sage? Dann schmeiß mich doch raus.“

„Darauf legst du es an, oder?“

„Nein. Ich möchte nur den freundlichen Marcu zurück. Den Marcu, der seine Familie liebt und sie nicht dafür bestraft, dass sie ihn liebt.“ Ihre Blicke trafen sich, und in seinen blauen Augen flammte Wut auf.

Plötzlich lockerte er seinen Griff und ließ ihren Arm los. Ein Schatten umwölkte seinen Blick. „Ich bin doch kein Monster.“

„Nicht? Dann benimm dich gefälligst auch nicht wie eins.“ Ihre Haut kribbelte, wo er sie berührt hatte, doch Monet ignorierte das irritierende Gefühl. Entschlossen nahm sie Rocca und Antonio an der Hand. „Dann wollen wir mal. Ich bin schon ganz gespannt auf den Ballsaal.“

Der prachtvolle Raum übertraf all ihre Erwartungen.

Die hohe Decke war goldverziert, die Wände mit wunderschönen Fresken bedeckt. Der Marmorfußboden schimmerte im Licht der Sonne, das durch die deckenhohen Fenster hereinfiel, und drei riesige Kronleuchter funkelten an der Decke.

„Oh, wie schön!“, staunte Monet. „Ich sehe es richtig vor mir, hier ein glanzvolles Fest zu feiern.“

„Papa sagt, die meisten Bälle finden im Sommer statt, weil das Wetter dann so schön ist.“

„Ach, ich finde es jetzt auch wunderschön“, antwortete Monet. „Was haltet ihr davon, wenn wir uns warm anziehen und ein bisschen frische Luft schnappen? Draußen scheint gerade so schön die Sonne.“

„Aber es ist kalt“, protestierte Rocca. „Ich vermisse Sizilien.“

„Ehe du Piep sagst, bist du wieder zurück in Sizilien“, tröstete Monet das kleine Mädchen. „Deshalb sollten wir das Beste aus unserer Zeit hier machen. Was könnten wir denn später unternehmen, wenn wir von unserem Spaziergang zurück sind? Gibt es irgendetwas, worauf ihr Lust habt?“

Die Kinder sahen einander an und schüttelten ratlos die Köpfe.

Na gut, ihr würde schon noch etwas einfallen, um sie zu beschäftigen. Monet begleitete sie zu ihren Zimmern zurück, damit sie ihre Mäntel holen konnten. „Wollen wir auf den Weihnachtsmarkt? Der Marché Vert Noël soll doch der schönste von ganz Italien sein.“

„Ich glaube nicht, dass wir das dürfen“, entgegnete Matteo schroff. „Papa wird das sicher nicht erlauben. Er möchte am liebsten, dass wir den ganzen Tag irgendeinen blöden Sport machen. Und lesen. Diese beiden Sachen findet er super.“

„Ich hasse das“, stieß Rocca hervor.

„Lesen und Sport?“, hakte Monet nach.

„Ja, weil ich noch nicht gut lesen kann und Antonio gar nicht. Er kennt nicht mal die Buchstaben.“

„Aber er wird es lernen, genau wie du. Ihr werdet feststellen, dass Lesen jede Menge Spaß macht.“

„Papa sagt, der Sinn des Lebens sei es nicht, Spaß zu haben“, erklärte Matteo. „Das Leben ist ernst, deshalb müssen wir uns auch ernst benehmen.“

Monet hatte Mühe, sich ihren Schock nicht anmerken zu lassen. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie hier wirklich gebraucht wurde. Und zwar nicht, um Marcu zu entlasten, damit er sich um seine zukünftige Frau kümmern konnte, sondern damit er sich endlich liebevoll seiner Kinder annahm.

An diesem Abend schaffte Marcu es nicht rechtzeitig zum Dinner. Er gesellte sich erst zu Monet und den Kindern, als diese schon beim Dessert waren und begeistert ihren Pudding mit Salzkaramell löffelten.

Kaum hatte er sich an die mit weißem Damast eingedeckte Tafel gesetzt, erschien auch schon ein Haussteward, um ihm Kaffee und ein Dessert zu servieren.

Marcu blickte erwartungsvoll in die Runde. „Also, was habt ihr heute Schönes gemacht?“

Da keines der Kinder begeistert schien, ihm zu antworten, ergriff Monet das Wort. „Wir sind tüchtig gelaufen und haben uns in der Stadt das römische Theater angeschaut. Nach dem Lunch haben wir gelesen und ein paar Spiele gespielt.“ Über den Rand ihrer Kaffeetasse sah sie Marcu an. Trotz alledem hatte er nichts von seiner Anziehungskraft auf sie eingebüßt, im Gegenteil. Jetzt als erwachsenen Mann fand sie ihn attraktiver denn je.

Zum Glück jedoch war auch sie inzwischen erwachsen geworden. Ihre verwirrenden Gefühle für ihn konnten sie nicht mehr aus dem Gleichgewicht bringen, sie hatte alles fest im Griff.

„Und du?“ Sie lächelte verhalten. „Hattest du auch einen schönen Tag?“

„Einen anstrengenden Tag. Jede Menge Telefonkonferenzen.“

„Die Börse schläft nie, nicht wahr?“

„Nein. Besonders die New Yorker Börse hält mich im Moment ziemlich auf Trab.“ Er blickte zu den Kindern. „Sie sehen müde aus.“

„Kein Wunder bei diesem Gesprächsthema. Börsen und Finanzmärkte sind nicht gerade besonders spannend.“

„Für Banker oder Wirtschaftswissenschaftler schon.“

„Ich mag die Kinder noch nicht zu Bett bringen. Du bist doch gerade erst zu uns gekommen.“

„Sie sind daran gewöhnt.“

„Aber das ist nicht in Ordnung, Marcu …“ Sie biss sich auf die Lippe. „Entschuldige, so sollte ich dich vor den Kindern nicht nennen.“

„Kein Problem, sie wissen doch, dass wir uns von früher kennen. Und schließlich bist du nicht meine Angestellte. Du bist …“ Er runzelte die Brauen und schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, was du bist.“

Monet wurde rot, plötzlich durchströmte sie eine wohlige Hitze. „Eine Freundin der Familie?“, schlug sie vor.

„Es ist schon spät.“ Marcu stand abrupt auf. „Du solltest die Kinder zu Bett bringen, bevor sie hier am Tisch einschlafen.“

„Natürlich.“ Sie klatschte leise in die Hände. „Kommt, meine Süßen. Schlafenszeit.“

Die Kinder standen gehorsam auf und gaben ihrem Vater einen Gutenachtkuss. Als Monet sich von ihm verabschieden wollte, sagte er leise: „Sobald die Kinder im Bett sind, komm bitte zu mir runter in den kleinen Salon. Ich möchte meine Reisepläne mit dir durchgehen.“

5. KAPITEL

Monet hasste es, wie ihr Herz schneller schlug, als sie die Treppe hinunterschritt, um Marcu zu treffen. Sie hasste die Schmetterlinge in ihrem Bauch, das erwartungsvolle Gefühl, das sie durchströmte, wenn sie an Marcu dachte. Was erwartete sie denn, was passieren würde? Besser gesagt, was erhoffte sie sich? Das war doch lächerlich. Sie war lächerlich.

Eins der Hausmädchen zeigte ihr den Weg zum kleinen Salon, wo der Hausherr vorzugsweise seine Abende verbrachte. Als sie hereinkam, blickte er aus seinem Sessel vor dem Kamin von seinem Buch auf.

„Sind die Kinder im Bett?“

„Alle drei sind sofort eingeschlafen.“

„Haben sie denn gar kein Theater gemacht?“

„Nein, gar nicht. Erst habe ich ihnen noch eine Geschichte vorgelesen, und dann haben wir zusammen unser Nachtgebet aufgesagt. Danach sind sie gehorsam in ihre Bettchen gekrabbelt. Sind sie für gewöhnlich nicht so brav?“

Marcu zögerte. „Nicht, wenn ich sie zu Bett bringe.“

Ein Gefühl von Befangenheit stieg in Monet auf. Sie kam sich plötzlich vor wie eine Gouvernante aus einem historischen Roman. Dass sie für ihn arbeitete, machte ihre Beziehung zu Marcu noch komplizierter. „Darf ich mich setzen?“

Er blickte sie irritiert an. „Natürlich, warum fragst du? Setz dich, wohin du willst.“

Monet entschied sich für einen bequem aussehenden Polstersessel schräg vor dem Kamin. „Warum die Kinder nicht schlafen wollen, wenn du sie zu Bett bringst, könnte ich dir sagen. Aber ich fürchte, du willst es nicht hören.“

„Du bist doch erst einen Tag hier“, erinnerte er sie sanft, aber nachdrücklich.

„Das stimmt, doch ich hatte heute viel Zeit, über das nachzudenken, was ich beobachtet habe. Die Kinder wollen ganz einfach mehr Zeit mit dir verbringen und wollen dich nicht loslassen. Deshalb veranstalten sie dieses Theater beim Zubettgehen.“

Er schwieg einen Moment, bevor er mit den breiten Schultern zuckte. „Ich liebe sie. Trotzdem kann ich ihnen nicht alles geben, was sie brauchen. Es kommt mir vor wie ein ständiger Kampf gegen Windmühlen.“

„So kompliziert ist es gar nicht. Sie wünschen sich nur ein bisschen mehr von deiner Zeit und deiner Liebe.“

„Das sagt sich so leicht, wenn man keine Kinder hat.“

„Stimmt. Dennoch weiß ich sehr gut, was Kinder brauchen.“

„Möchtest du etwas zu trinken? Vielleicht ein Glas Sherry oder Portwein?“

Sie wollte schon ablehnen, doch dann überlegte sie es sich anders. Heute Abend konnte sie tatsächlich einen Drink gebrauchen. „Sehr gerne, danke.“

Monet beobachtete ihn, wie er mit geschmeidigen Schritten den Raum durchquerte, um am Bartisch mit den schweren Kristallkaraffen zu hantieren. Er wirkte mit einem Mal frisch und ausgeruht, als läge kein anstrengender Arbeitstag hinter ihm.

„Ich glaube, das wirst du mögen.“ Er schenkte zwei Gläser ein und brachte ihr einen Portwein.

Genüsslich atmete Monet das süße Aroma ein, bevor sie einen Schluck trank. Eine angenehme Wärme durchflutete sie, und plötzlich stiegen Erinnerungen an unbeschwerte Ferientage mit Marcu und seiner Familie in ihr auf. Wehmütig schüttelte sie den Kopf. Es war nicht gut, ständig zurückzublicken auf das, was war … und was hätte sein können. Das durfte sie sich und ihm nicht antun.

„Vittoria …“, setzte sie an. „Wie hast du sie kennengelernt? Ich möchte sämtliche pikanten Details hören“, fügte sie mit aufgesetzter Fröhlichkeit hinzu.

Marcu hob die dunklen Brauen. „Es gibt keine pikanten Details. Das Ganze ist eine … Vernunftehe zum Wohl der Kinder. Mit Romantik hat das nichts zu tun.“

„Du … liebst sie also gar nicht?“, fragte Monet zögernd.

„Wir respektieren einander sehr.“

„Was soll das denn heißen?“

„Dass es Zuneigung gibt, ja, auch eine gewisse Anziehung. Und natürlich gegenseitigen Respekt für unsere Familien.“

„Das klingt ja fürchterlich. Sie tut mir jetzt schon leid und du auch. Wie kannst du ein solches geschäftliches Arrangement auch nur in Erwägung ziehen! Im Grunde betrügst du euch beide damit.“

„Mit Galeta war es nicht viel anders“, bekannte er gleichmütig. „Erste Priorität für sie war es immer, Kinder zu kriegen, so unromantisch das auch klingen mag.“

„Aha. Also ist es nun erste Priorität für Vittoria, sich um die Kinder zu kümmern, die Galeta zur Welt gebracht hat.“ Monet seufzte resigniert. „Na gut, die beiden sind sicherlich nicht die ersten Frauen, die sich auf so ein Arrangement eingelassen haben, und ganz sicher nicht die letzten. Meine Mutter wäre überglücklich gewesen, einen reichen Mann zu heiraten, ganz egal, ob sie ihn geliebt hätte.“

„Mein Vater hat sich bis zu dem Tag, als sie gestorben ist, um sie gekümmert“, rief Marcu ihr in Erinnerung.

„Sie hat aber auch nur noch ein Jahr gelebt, nachdem die beiden sich getrennt hatten.“ Monet holte tief Luft und schloss die Augen, um das plötzliche Stakkato ihres Herzschlags zu beruhigen. „Tut mir leid, das hätte ich alles nicht sagen sollen. Du hast mich sicher nicht hergebeten, um mit mir deine Beziehung zu Vittoria oder die Beziehung unserer Eltern zu diskutieren. Lass uns also über deine Reisepläne reden.“

Marcu schmunzelte. „Auf einmal klingst du ja noch viel förmlicher als meine höchst förmliche Miss Sheldon.“

„So sollte es auch sein. Schließlich bin ich nicht hier, um die Dinge noch komplizierter zu machen. Also, wann planst du abzureisen? Was muss ich wissen?“

„Übermorgen gehe ich auf Geschäftsreise nach Palermo und Rom und komme Donnerstag wieder.“

„Das wird mit dem Auto aber schwer zu schaffen sein.“

„Ich nehme natürlich den Helikopter, das geht viel schneller. Ich sollte Donnerstagnachmittag wieder zurück sein. Am Freitag würde ich gern einige Stunden mit den Kindern verbringen und am Spätnachmittag nach Rom fliegen, um Vittoria abzuholen. Von dort aus geht es dann gleich in den Ski-Urlaub.“

Großartig, er hatte also nicht mal den ganzen Tag für seine Kinder eingeplant. Aber das ging sie nichts an.

Marcu musste ihr wohl etwas angemerkt haben, denn jetzt beugte er sich vor und fixierte sie eindringlich. „Was habe ich nun schon wieder Falsches gesagt?“

„Das ist doch egal.“

„Das ist es nicht. Ich möchte gern verstehen, was du denkst. Früher habe ich dich immer verstanden.“

Sofort versteifte sie sich. „Nein, das stimmt nicht. Du hast nur geglaubt, du würdest mich verstehen.“

Jetzt wirkte auch er angespannt. „Ich kenne dich besser als irgendjemand sonst.“

„Wenn du mich wirklich kennen würdest, dann hättest du nicht …“ Monet biss sich auf die Zunge.

„Ich hätte was nicht?“

Sie schüttelte den Kopf, fest entschlossen, nichts weiter zu sagen. Schluss mit der Vergangenheit, sie wollte nach vorn schauen. Und sie musste dafür sorgen, dass sie die nächsten Wochen unbeschadet überstand. „Es war ein langer Tag. Ich würde jetzt gerne schlafen gehen, damit ich morgen fit für die Kinder bin.“

„Natürlich.“ Er stand auf.

Monet erhob sich ebenfalls. „Sehen wir dich morgen früh?“

„Wahrscheinlich nicht, aber zum Dinner bestimmt.“

„Vorsichtshalber sage ich den Kindern noch nichts von einem gemeinsamen Abendessen. Dann sind sie wenigstens nicht enttäuscht, falls du es doch nicht schaffst.“

Er funkelte sie an. „Soll das ein Vorwurf sein?“

„Nein, nur eine Tatsache. Wozu etwas versprechen, was man nicht halten kann?“

„Ich habe mein Bestes gegeben.“

„Im Moment ist das leider nicht gut genug. Ich verstehe ja, wie schwer es für dich gewesen sein muss, Galeta zu verlieren und plötzlich mit drei kleinen Kindern allein dazustehen. Aber es reicht einfach nicht, ihnen jetzt eine Ersatzmutter vorzusetzen. Marcu, sie brauchen dich, du musst dich kümmern.“

„Ich kümmere mich ja!“

„Dann bleib über Weihnachten hier, fahr nicht weg.“

„Vittoria erwartet von mir, dass ich ihr Weihnachten einen Antrag mache, daran hat sie keinen Zweifel gelassen.“

„Bring sich doch einfach her. Feiert zusammen ein Familienweihnachten.“

„Wir sind doch gleich nach den Feiertagen wieder zurück. Es ist nur dieses eine Mal.“

„Was, wenn sie jedes Jahr Weihnachten mit dir zum Skilaufen möchte? Ein romantischer Urlaub, nur sie und du.“

„Das wird sie nicht.“

„Bist du sicher? Was weißt du denn überhaupt über sie? Weißt du, ob sie die Kinder wirklich lieben wird? Es besteht doch gar keine engere Beziehung zwischen ihr und den Kindern, sodass du dir nicht sicher sein kannst, dass sie ihnen die Zuneigung schenkt, die sie brauchen.“

„Was macht dich plötzlich zur Expertin in Sachen Kindererziehung?“

„Meine eigenen Erfahrungen. Ich weiß genau, wie es sich anfühlt, das fünfte Rad am Wagen zu sein, der lästige Störenfried in einer romantischen Zweierbeziehung. Das tut verdammt weh, Marcu.“

Er bemerkte, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen, und am liebsten hätte er die Ungerechtigkeit der Welt verflucht. Doch das Leben konnte nun einmal verdammt hart und brutal sein, und der einzige Weg, zu überleben, war Härte. „Siehst du denn nicht, dass ich es wirklich versuche?“ Tröstend legte er ihr den Arm um die Schultern.

Sie blinzelte die Tränen weg und schaute zu ihm auf. „Wirklich? Oder versteckst du dich nur vor ihnen?“

„Was soll das heißen?“

„Die Kinder wissen ja nicht einmal, dass du Klavier spielen kannst. Sie wissen nicht, dass du Musik liebst und Schönheit und Kunst.“

Autor

Jane Porter
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