Julia Extra Band 518

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DAS PARADIES IN DEN ARMEN DES BOSSES von CATHY WILLIAMS
Mit ihrem Boss im Bett zu landen, war nicht Ellies Plan! Aber James Stowe ist einfach zu sexy. Und die Karibikinsel Barbados, wo sie ein wichtiges Geschäft abschließen wollen, ist traumhaft! Doch leider weiß Ellie, dass ihr Playboy-Boss nicht an ein Für immer glaubt …

DIE KÖNIGIN UND IHR BODYGUARD von MILLIE ADAMS
Voller Angst wendet sich Prinzessin Annick an den geheimnisvollen Maximus King. Im Palast lauern Feinde, die die Krone an sich reißen wollen! Kann Maximus sie beschützen? Fassungslos hört sie seinen Vorschlag: Nur wenn Annick ihn heiratet, kann er ihre Sicherheit garantieren …

SINNLICHE AFFÄRE IN MANHATTAN von DANI COLLINS
„Draußen lauern die Paparazzi auf dich. Bleib über Nacht bei mir.“ Es klingt wie ein logischer Vorschlag, den Reve seiner Ex-Geliebten Nina macht. Aber das sinnliche Feuer zwischen ihren brennt so heiß wie damals. Dürfen sie den verführerischen Fehler zum zweiten Mal machen?

EINE TRAUMINSEL FÜR ZWEI von SUSAN MEIER
Heiße Sonne, türkisblaues Wasser, weißer Strand – kann diese Inselidylle alte Wunden heilen? Nein, glaubt die hübsche Reese. Ihre große Liebe Cade auf Key West wiederzusehen, macht ihr nur noch deutlicher, was sie damals verloren hat. Doch Cade sieht das ganz anders …


  • Erscheinungstag 24.05.2022
  • Bandnummer 518
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512107
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cathy Williams, Millie Adams, Dani Collins, Susan Meier

JULIA EXTRA BAND 518

CATHY WILLIAMS

Das Paradies in den Armen des Bosses

Für einen wichtigen Deal braucht James unbedingt eine Frau an seiner Seite! Kurzentschlossen bittet er seine schüchterne Sekretärin Ellie, ihn nach Barbados zu begleiten. Mit ungeahnten Folgen …

MILLIE ADAMS

Die Königin und ihr Bodyguard

Wenn Feinde eine Frau bedrohen – dann ist Maximus King zur Stelle! Für die gefährdete Prinzessin Annick denkt er sich einen Masterplan aus: Sie werden ihre Verlobung bekannt geben …

DANI COLLINS

Sinnliche Affäre in Manhattan

Vor den Paparazzi flieht die schöne Designerin Nina in das Penthouse ihres Ex-Geliebten Reve Weston. Zu spät erkennt sie ihren Fehler. Denn Reve ist noch ein genauso zärtlicher Verführer wie damals …

SUSAN MEIER

Eine Trauminsel für zwei

Damals hat sie ihm das Herz gebrochen – warum räkelt sie sich jetzt im sexy Bikini an seinem Pool, auf seiner Privatinsel? Milliardär Cade Smith verlangt Antworten von seiner Jugendliebe Reese!

1. KAPITEL

Wo bleibt sie nur?

James rollte schlecht gelaunt mit seinem Stuhl zurück, legte die Füße auf den Schreibtisch und faltete die Hände hinter dem Kopf. Finster blickte er auf seine Bürotür, die vor wenigen Minuten krachend ins Schloss gefallen war.

Naomi, nunmehr seine Ex-Freundin, war gerade fuchsteufelswild hinausgestürmt. Vermutlich hatte er Glück gehabt, dass sie ihren Ärger an der Tür ausgelassen hatte und ihm zum Abschied nicht auch noch einen ihrer Jimmy Choos an den Kopf geworfen hatte!

Sie hatte ihn so laut angeschrien, dass es die gesamte Belegschaft mitbekommen haben musste. Statt weiterzuarbeiten saßen seine Angestellten jetzt wahrscheinlich zusammen, um Naomis Auftritt zu analysieren. Sicher würden sie James mit tausend Fragen bestürmen, sobald er den Raum verließ.

James seufzte. Es brachte entscheidende Nachteile mit sich, ein Chef zu sein, den man jederzeit aufsuchen konnte, um ihm offen seine Meinung zu sagen. Die jungen weiblichen und männlichen Computergenies arbeiteten auch deshalb so erfolgreich, weil James Wert auf eine ungezwungene Atmosphäre legte und so ihre Kreativität förderte. Und nun würden sie ihn über Naomis lautstarken Abgang ausquetschen, zumal diese ihm noch zugerufen hatte, dass sie noch nicht fertig miteinander seien.

Jetzt brauchte er dringend seine ruhige, besonnene Sekretärin, damit der restliche Tag wenigstens halbwegs normal verlief. Wo, zum Teufel, steckte sie nur?

Sein Handy auf dem Schreibtisch klingelte. Als er einen Blick aufs Display warf und sah, dass es Naomi war, kam er zu dem Ergebnis, dass jegliches weitere Gespräch sinnlos wäre – obwohl er wusste, dass sie nicht der Typ war, der Dinge auf sich beruhen ließ. Aber James war nicht an einer Versöhnung interessiert, ihre Beziehung hatte keine Chance mehr. Wie hatte er nur in solch einen Schlamassel geraten können?

Er hatte geglaubt, sie würden auf der gleichen Wellenlänge liegen. Naomi hatte von ihrer Karriere als Model gesprochen und gesagt, es sei für sie das perfekte Sprungbrett, um sich in der Modebranche selbstständig zu machen. Sie hatte ihm Entwürfe für eine Freizeitkollektion gezeigt und nicht mit der Wimper gezuckt, als er die erste Zeichnung zufällig falsch herum gehalten hatte. Da sie der Inbegriff der Lässigkeit gewesen war, hatte er sie nebenbei gefragt, ob sie ihn zur Hochzeit seines Bruders nach Hawaii begleiten würde.

Vorher hatte er einige Tage mit ihr in der Karibik geplant, wo er auf Barbados einen Vertrag mit einem vielversprechenden Start-up-Unternehmen aushandeln wollte. Er hatte ihr freigestellt, ein Luxushotel auszusuchen, und sie hätte tagsüber machen können, was sie wollte, während er arbeitete. Die Formalitäten hätte natürlich seine vertrauenswürdige Assistentin erledigt, sodass der Vertrag erst hier in London unterzeichnet worden wäre. Anschließend hätten Naomi und er vor der Hochzeit noch eine Tour über die verschiedenen Hawaii-Inseln gemacht.

So hätte er wenigstens nicht allein zu Max’ vermaledeiter Hochzeit gehen müssen. Natürlich hatte er nichts dagegen, wenn andere Menschen sich für die Ehe entschieden. Aber es war doch ein ziemlicher Schock gewesen, dass ein eingefleischter Junggeselle wie sein Bruder plötzlich über nichts anderes mehr reden wollte als über seine anbetungswürdige künftige Ehefrau!

James hatte jedenfalls nicht vor, sich in naher Zukunft in eine Ehe zu stürzen. Und die Aussicht darauf, ohne weibliche Begleitung als Trauzeuge anzureisen, hatte ihn nicht sonderlich begeistert. In den vergangenen sechs Jahren war er auf fünf Hochzeiten gewesen. Und er wusste nicht, ob er es sich nur eingebildet hatte oder ob tatsächlich alle weiblichen Singles auf Hochzeitsfeiern plötzlich romantische Ambitionen bekamen. Mit Naomi am Arm hätte er sich alle vom Leib gehalten. Denn genau wie er wollte auch sie nur Spaß ohne Verpflichtungen.

Zumindest hatte er das angenommen …

James konnte nicht fassen, dass er so dämlich gewesen war, zu glauben, Naomi würde ihre Beziehung genauso locker sehen wie er. Laut stöhnend blickte er zur Decke empor.

Im nächsten Moment klopfte es energisch, und die Tür zu seinem Büro wurde geöffnet.

„Höchste Zeit!“ Er schwang die Beine vom Schreibtisch und nahm dankbar den Becher Kaffee entgegen, den Ellie ihm reichte – schwarz und stark. Genau das, was er brauchte.

Die Frau konnte Gedanken lesen …

„Höchste Zeit?“

Ellie sah ihren sexy Boss fragend an – und unterdrückte eisern den Schauer der Erregung, den sein Anblick bei ihr auslöste.

Obwohl sie inzwischen seit drei Jahren für James Stowe arbeitete, übte er immer noch eine unerwünschte Wirkung auf sie aus. Allerdings hatte sie dies immer routiniert hinter ihrer professionellen Fassade verborgen. Ellie war nicht naiv. Sie wusste, dass es sich um ein Phänomen handelte, das sie ausblenden konnte. Schließlich war sie so vernünftig, einzusehen, dass dies ein typischer Fall von Gegensätzen war, die sich anzogen. Ihr verführerischer Chef war brillant und ebenso risikofreudig wie genusssüchtig. Außerdem hatte sie einige der Frauen gesehen, mit denen er zusammen war, und wusste deshalb, dass sie überhaupt nicht sein Typ war.

Dies war eine Umgebung, in der es keinen Dresscode gab und die jungen, talentierten Mitarbeiter ihre überschüssige Energie beim Tischtennis, Darts oder in einem der sogenannten Debattierräume abbauen konnten. Sie hingegen trug ausnahmslos gediegene Kostüme und Schuhe mit flachen Absätzen, und falls sie überschüssige Energie abbauen wollte, tat sie das einmal in der Woche in der Schwimmhalle.

Während ihr Chef so direkt war, dass Ellie manchmal in Ohnmacht zu fallen drohte, war sie genau das Gegenteil, und vermutlich arbeiteten sie genau deshalb so harmonisch zusammen.

„Wo waren Sie denn?“

Ellie setzte sich auf den Lederstuhl vor seinem Schreibtisch und blickte auf ihr Tablet, das sie wie immer mit hineingenommen hatte, um sich Notizen über die dringenden E-Mails zu machen, die sie für ihn verschicken musste. Als sie ihn ansah, stellte sie fest, dass er sie gereizt anfunkelte.

„Beim Zahnarzt“, erwiderte sie forsch.

In seinen blauen Augen lag ein verärgerter Ausdruck. James war beinah sündhaft schön. Sein Haar war kastanienbraun, glatt und dicht, seine Züge mit der geraden Nase und den sinnlichen Lippen einfach perfekt. Mit knapp einsneunzig und dem lässigen Gang war er ein Alphatier, das alle Blicke auf sich zog. In den frühen Morgenstunden, wenn sie noch nicht ganz wach war und ihre Gedanken abschweiften, gestattete sie sich manchmal, an ihn zu denken.

Tagsüber waren solche Gedanken natürlich tabu, und falls sie doch kamen, verdrängte Ellie sie konsequent. In seiner Gegenwart wurde nun mal jede Frau leicht nervös.

„Hatten Sie mir gesagt, dass Sie erst …“ Demonstrativ blickte er auf seine Rolex. „… um vierzehn Uhr dreißig kommen?“

„Natürlich hatte ich das. Außerdem habe ich Sie vor ein paar Tagen per Mail daran erinnert. Ich kann sie Ihnen ausdrucken …“

„Nicht nötig“, stieß James hervor, wobei er eine wegwerfende Geste machte. „Ich schätze, man hat Sie bereits bis ins kleinste Detail über das Drama informiert, das sich während Ihrer Abwesenheit hier abgespielt hat? Und das sich zufällig nicht ereignet hätte, wenn Sie an Ihrem Schreibtisch gesessen hätten. Was macht eigentlich Ihr Zahn?“

„Mit dem Zahn ist alles in Ordnung. Danke der Nachfrage.“

„Und?“

„Ja, Trish hat erwähnt, dass es … einen Vorfall mit … Ihrer Freundin gab“, räumte Ellie ein.

„Einen Vorfall?“

„Das geht mich nichts an“, erwiderte sie diplomatisch.

Da er der Liebling der Klatschpresse war und praktisch jede Woche ein Foto von ihm in Begleitung einer Frau erschien, legte James hier am Arbeitsplatz großen Wert auf seine Privatsphäre. Seine Freundinnen hatten keinen Zutritt zu den heiligen Hallen der ehemaligen Fabrik in Shoreditch, in der einige der besten Computerfachleute und Wirtschaftswissenschaftler im Land arbeiteten.

Mit Schaudern dachte Ellie daran, wie er Naomi empfangen haben musste. Seine Mitarbeiter wussten alle, dass er nicht an einer langfristigen Beziehung interessiert war. Und obwohl sich fast alle die Freiheit herausnahmen, ihn regelmäßig zu fragen, mit welchem Model er zuletzt im Bett gewesen war, erzählte er erstaunlich wenig über sein Privatleben.

Ellie, die niemals Fragen stellte, fragte sich, ob ihr als Einziger auffiel, dass er eigentlich nie etwas Bedeutsames über sich verriet.

Machte er das bei allen so?

Energisch verdrängte sie ihre Neugier, denn es hätte sich negativ auf ihr Arbeitsverhältnis ausgewirkt und ihren Seelenfrieden bedroht.

„Naomi hätte wissen müssen, dass ich niemals Arbeit mit Vergnügen vermische, und deshalb auch nicht hier auftauchen dürfen. Wären Sie hier gewesen, hätten Sie sie rausbegleiten können.“

„Es ist nicht mein Job, mich um Ihre Freundinnen zu kümmern. Und warum hätte ich sie nach draußen begleiten sollen?“

„Weil Sie wissen, dass ich hier nur Frauen dulde, die für mich arbeiten.“

Es erschien ihr falsch, ja, geradezu bedrohlich, mit ihrem Chef über persönliche Dinge zu sprechen. Was Ellie allerdings wirklich Angst machte, war das Prickeln, das sie dabei verspürte. Insgeheim überlegte sie, was passieren würde, wenn sie sich von seiner überwältigenden Persönlichkeit mitreißen ließ. In ihrem tiefsten Inneren hatte sie allerdings immer gewusst, dass das nicht gut enden würde.

Sie wollte nicht über seine Freundinnen reden. Sie wollte nicht, dass ihr ruhiges Leben aus den Fugen geriet, denn ihr Privatleben war zu lange chaotisch gewesen. Sie liebte ihren Job und brauchte ihn. Vor allem brauchte sie das Geld, und deshalb würde sie dies alles nicht aufs Spiel setzen, indem sie ihre selbst auferlegten Grenzen überschritt.

„Vielleicht haben Sie das nicht klar genug zum Ausdruck gebracht“, erwiderte Ellie ausweichend.

Naomi war fast fünf Monate auf der Bildfläche gewesen – ein Rekord für James. Vielleicht glaubte die arme Frau, das käme einer Beziehung gleich und sie könnte ihn deshalb im Büro besuchen.

„Natürlich habe ich das klargestellt.“ Ungläubig betrachtete James sie, und wie immer erwiderte sie kühl seinen Blick. „Ich sehe doch, wie es in Ihnen arbeitet. Spucken Sie einfach aus, was Sie denken, Ellie.“

Ellie gab auf. Ihr Boss war eine unglaublich energiegeladene Persönlichkeit. Doch sie hatte unter seinen Stimmungswechseln nie zu leiden gehabt. Er fasste sie mit Samthandschuhen an und respektierte die Grenzen zwischen ihnen. Vermutlich wollte er sie unbedingt halten, weil er mit seinen vorherigen Sekretärinnen nicht zufrieden gewesen war. Und da sie nicht über ihr Privatleben sprach, hatte er irgendwann auch keine Fragen mehr gestellt.

Sie war von Natur aus reserviert. Deshalb war es in gewisser Weise ironisch, dass sie in einer Firma wie dieser arbeitete. James hatte seine Mitarbeiter sorgfältig ausgesucht und ein Team von dreißig Frauen und Männern zusammengestellt, die alle perfekt zusammenpassten – technikbegeistert, selbstbewusst, hochintelligent, ehrgeizig und durchsetzungsfähig. Und so diskussionsfreudig sie auch sein mochten, ihrem Chef gegenüber waren sie alle loyal. Seit Ellie hier arbeitete, hatte niemand von ihnen auch nur mit dem Gedanken an eine Kündigung gespielt.

In dieser handverlesenen Belegschaft war sie die Einzige, die sich zurückzog. Allerdings war sie auch noch nie extrovertiert gewesen. Nach langem unerfülltem Kinderwunsch hatten ihre Eltern sie ziemlich spät bekommen und deshalb vermutlich auch überbehütet. Sie drei waren bis zum Tod ihres Vaters eine Einheit gewesen. Mit sechzehn hatte ihr schönes, beschauliches Leben jedoch abrupt geendet.

Da ihre Mutter den Tod ihres Vaters nicht verkraftete, hatte Ellie schnell erwachsen werden müssen. Bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr hatte ihr Leben stagniert, weil sie sich um ihre Mutter gekümmert hatte.

Als Paar waren ihre Eltern stark gewesen, doch als ihr Vater Robbie Thompson nur vier Monate nach der Krebsdiagnose gestorben war, hatte ihre Mutter den Boden unter den Füßen verloren und nach kurzer Zeit zu trinken angefangen.

Im Nachhinein wunderte Ellie sich darüber, dass sie es überhaupt geschafft hatte, die Schule zu beenden. Sie hatte sich von ihrem Traum, Architektur zu studieren, verabschieden müssen, und sich stattdessen umfassende Kenntnisse über Computersysteme angeeignet. Nebenbei hatte sie es geschafft, ihrer Mutter zu einer Therapie zu verhelfen, und nun war diese recht stabil, wenn auch nach zwei Herzinfarkten nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Sie hatten ihr Elternhaus verkauft und ein kleineres Haus in Küstennähe gefunden, doch ihre Mutter war mittlerweile schwer depressiv, und allein bei dem Gedanken daran kämpfte Ellie mit den Tränen. Nach all diesen Erfahrungen sprach sie nicht über ihr Privatleben und nahm nichts mehr als selbstverständlich hin. Sicherheit und Geborgenheit waren die beiden Dinge, die sie sich am meisten ersehnte.

Nun sah James sie herausfordernd an. Und tatsächlich war sie versucht, ihm zu erzählen, was sie dachte.

„Wie ich schon sagte“, erwiderte Ellie leise. „Ich habe keine Meinung zu dem, was Sie außerhalb des Jobs machen.“

Nun lächelte er jungenhaft. „Doch, das haben Sie.“

„Ist Ihre Freundin aus einem bestimmten Grund hergekommen?“, fragte sie schließlich.

James zuckte die Schultern und deutete auf die gemütliche Sitzecke, in der er Kunden empfing oder zwanglose Besprechungen abhielt. Sie bestand aus einigen Ledersesseln, einem Metalltisch und einem Bettsofa, denn wenn viel zu tun war, übernachtete er manchmal hier.

„Machen wir es uns bequem. Es war ein furchtbarer Tag, und er ist noch nicht zu Ende.“

„Sie sind der Chef“, sagte Ellie, woraufhin er die Stirn runzelte.

„Ja, das bin ich. Sie arbeiten für mich, aber ab und zu können Sie auch aufhören, sich hinter dieser Glaswand zu verstecken.“

Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg, und senkte den Blick. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er aufstand und zur Sitzgruppe ging.

„Und legen Sie das Tablet weg“, wies er sie an, bevor er sich auf das Schlafsofa legte. „Sagen Sie mir, was Sie denken“, forderte er sie dann auf. „Danach geht es Ihnen bestimmt besser.“

Ellie war clever genug, um zu merken, was hier vor sich ging. Zum einen hatte er sich in einer Situation wiedergefunden, die er nicht kontrollieren konnte. Naomi war aus heiterem Himmel aufgetaucht, hatte ihm eine Szene gemacht und sich dann einen dramatischen Abgang verschafft. Ausnahmsweise stand nun Ellie in der Schusslinie, und deshalb war es wohl das Beste, wenn sie mit dem Strom schwamm.

„Vielleicht dachte Naomi, Sie würden nicht durch die Decke gehen, wenn sie hier auftaucht.“ Sie hatte sich auf einen Sessel gesetzt und betrachtete ihn nun. „Schließlich sind Sie beide schon eine ganze Weile zusammen …“

James hatte die Füße übereinandergeschlagen und die Hände hinter dem Kopf verschränkt und betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen. „Ein paar Monate.“

„Das ist ein Rekord für Sie“, stellte sie höflich fest, weil er einfach nicht lockerließ. Und dass sie mitmachte, ärgerte sie. Aber wenn er hören wollte, was sie dachte, konnte sie ihm ja geben, was er wollte.

Nun lächelte er jungenhaft und entspannte sich sichtlich. „Stimmt. Sie sind wirklich erfrischend, Eleanor Thompson – knapp einssiebzig groß, vierundzwanzig Jahre alt und selbst nach drei Jahren immer noch ein Mysterium für mich. Wie kommt es, dass Sie wissen, wie lange ich mit Naomi zusammen bin, und ich nicht mal weiß, ob Sie einen Freund haben? Haben Sie einen?“ Dann lachte er. „Nein, Ellie, ich weiß, Sie würden sagen, es geht mich nichts an, und natürlich haben Sie recht.“

Ellie verspannte sich und senkte den Blick. Stumm betrachtete sie ihre Schuhe mit den flachen Absätzen, ihren knielangen marineblauen Rock und ihre weiße Bluse. Sein amüsierter Unterton verstärkte die rebellische Anwandlung, die sie eben befallen hatte. Glaubte er etwa, sie hätte keine Gefühle? Sie wäre langweilig? Als er gesagt hatte, sie sei ein Mysterium für ihn, hatte er jedenfalls nicht fasziniert geklungen.

„Die meisten Frauen rechnen nicht damit, vor ein Erschießungskommando gezerrt zu werden, wenn sie ihren Partner am Arbeitsplatz besuchen. Ich weiß, Sie haben ihr bestimmt gesagt, was in einer Beziehung mit Ihnen erlaubt ist und was nicht, aber …“

Unvermittelt verstummte sie. Eigentlich wusste sie fast nichts über Beziehungen! Aufgrund ihrer besonderen Lebenssituation hatte sie im Gegensatz zu den meisten ihrer Altersgenossinnen kaum Erfahrungen mit irgendwelchen Typen gemacht.

Ihr Herz pochte schneller, als ihre Blicke sich begegneten, und Ellie verspürte eine gewisse Genugtuung, weil sie James zumindest in abgeschwächter Form die Meinung gesagt hatte.

Tatsächlich dachte sie, dass James Stowe intelligenter, attraktiver und charismatischer war, als es ihm guttat. In der harten IT-Branche gab er den Ton an und befand sich nun, da er auch auf dem lukrativen Gebiet der Tech-Start-ups expandierte, auf dem Weg nach ganz oben.

Die Frauen lagen ihm zu Füßen. Dass er zu Beginn einer Beziehung alle Karten auf den Tisch legte, machte ihn allerdings noch nicht zum Inbegriff des Gentlemans, der er anscheinend zu sein glaubte.

„Aber?“ Seine Augen funkelten interessiert. „Ich bin ganz Ohr.“

„Aber Frauen sind keine Roboter“, erwiderte Ellie scharf. „Sie sind nicht Ihre Angestellten. Und wenn Naomi Ihnen hier einen Überraschungsbesuch abstattet, ist es nicht fair, sie abzukanzeln, nur weil sie Ihre Anweisungen nicht befolgt hat.“

Nun stand James auf und ging zum Fenster. „Das klingt, als wäre ich ein Tyrann“, meinte er nachdenklich, bevor er sich umwandte und auf sie zukam. „Sehen Sie mich schon die ganze Zeit so?“

„Sie haben mich gefragt, was ich denke.“ Ellie zuckte innerlich über ihren defensiven Tonfall zusammen. Wie hatte dieses Gespräch nur so entgleisen können?

Er setzte sich auf den Tisch vor ihr und beugte sich vor, die Ellbogen auf die Schenkel gestützt, die Finger leicht verschränkt. „Und darüber bin ich sehr froh“, meinte er leise. „Wie hätte ich sonst erfahren sollen, dass Sie so einen Groll gegen mich hegen?“

„Das tue ich nicht, James!“, rief sie bestürzt, während ihr die Wangen brannten.

Er zuckte die Schultern. „Sie hat es falsch verstanden.“

„Wovon reden Sie?“ Unter seinem intensiven Blick saß Ellie regungslos da und atmete flach. Ihr schwirrte der Kopf, weil dieses Gespräch so intim anmutete.

„Ich habe Naomi nicht rausgeschmissen. Ich bin nicht der Unmensch, für den Sie mich anscheinend halten.“

„Das tue ich nicht!“

„Sicher, sie hat mich mit ihrem Besuch überrascht. Ich habe ihr einen Kaffee gemacht, mir eine Viertelstunde Zeit für sie genommen und wollte sie dann nach draußen begleiten, aber …“ James zuckte die Schultern. „Das Gespräch ist anders verlaufen als erwartet. Anscheinend kam eine Einladung zu Max’ Hochzeit für sie einer Absichtserklärung gleich. Sie hat einige Andeutungen gemacht, dass sie mehr will als nur Spaß und ich allmählich ihre Eltern kennenlernen soll. Ich dachte, sie würde Witze machen, und als ich sagte, wir wären uns doch einig gewesen, ist sie völlig ausgeflippt. Frauen mögen keine Roboter sein, Ellie, aber sie sollten clever genug sein, um zu wissen, was ich von einer dauerhaften Beziehung halte, wenn ich von Anfang an offen zu ihnen gewesen bin.“

„Arme Naomi …“ Sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als sich in einen Mann wie James Stowe zu verlieben.

„Arme Naomi?!“

„Sie hat sich Hoffnungen gemacht, und Sie haben diese Hoffnungen zerstört und waren dabei bestimmt nicht sonderlich taktvoll.“ Als er schallend lachte, rang Ellie sich ein Lächeln ab. „Und nur zu Ihrer Information, James, ich hege keinen Groll gegen Sie. Ich liebe meinen Job. Und wenn ich Ihre Einstellung zu Beziehungen nicht gutheiße, ist das etwas Persönliches, und ich möchte nicht, dass es …“

„Das tut es nicht.“ James machte eine wegwerfende Geste und betrachtete sie dabei forschend. „Wären Sie ausgeflippt, wenn Ihr Freund Ihnen gesagt hätte, dass Liebe und Ehe nicht sein Ding sind?“

„Ich würde mich gar nicht mit einem Typen einlassen, der es nicht ernst meint“, erwiderte sie unverblümt. Wieder einmal erschien ihr dieses Gespräch zu intim, auch wenn es einseitig war. Schließlich redete James mit seinen Angestellten über alles, und auch das machte seinen Charme aus.

Vor einem halben Jahr hatte er ihre Kollegin und Freundin Trish getröstet, nachdem diese sich von ihrem Freund getrennt hatte und sich bei der Arbeit nicht mehr konzentrieren konnte. Als sie sich bei ihm ausweinte, hatte er ihr und einer Freundin kostenlos eins seiner Domizile im Ausland zum Ausspannen zur Verfügung gestellt.

„Das ist eine schwierige Aufgabe für einen Typen.“

„Es ist eine schwierige Aufgabe für Sie.“ Wieder stieg ihr das Blut ins Gesicht. Ellie stand auf und strich ihren Rock glatt.

Als ihre Blicke sich begegneten, funkelten seine Augen amüsiert, und er unterdrückte ein Lächeln. „Ah, wieder ganz die Sekretärin.“

„Es gibt heute noch viel zu tun.“

„Ich glaube, wir haben schon ziemlich viel geschafft“, meinte er leise. „Mehr als erwartet.“

Sie zuckte zusammen. Er hatte es geschafft, einen Fuß in die Tür zu bekommen, und ihr machte die Vorstellung Angst, dass er glaubte, er könnte ihr gutes Arbeitsverhältnis dadurch auf eine andere Ebene bringen.

Doch ihr war bewusst, dass sie überreagierte. Wenn man eng mit jemandem zusammenarbeitete, war es unmöglich, diesem Menschen keinen Einblick in sein Leben zu gewähren. James war nur neugierig, weil sie ihn so lange auf Abstand gehalten hatte.

In ihrem tiefsten Inneren wünschte sie, sie könnte anders sein, offener. Nach dem Tod ihres Vaters hatte sie sich allerdings noch mehr in sich zurückgezogen.

Die Verantwortung für ihre Mutter hatte sie früh selbstständig gemacht, aber auch einsam. Niemand hatte ihr dabei geholfen, mit dem Verlust ihres geliebten Vaters fertigzuwerden. Da ihre Eltern auch beide Einzelkinder gewesen waren, hatte sie keine Familie gehabt, die ihr hätte beistehen können. Ihre Freundinnen und Freunde hatten zuerst Mitgefühl gezeigt, aber allmählich das Interesse an ihr verloren.

Irgendwann hatte Ellie gelernt, mit allen Problemen allein fertigzuwerden. Deshalb hatte sie nie im Traum daran gedacht, mit ihrem Chef über ihr Privatleben zu sprechen, über ihre Gedanken und Gefühle. Und nun schien es Ellie, als müsste sie verlorenes Terrain zurückgewinnen.

„Soll ich alle Buchungen für Naomi stornieren?“ Am liebsten hätte sie ihr Tablet wieder vom Tisch genommen, um sich daran festzuhalten. „Fliegen Sie wie geplant nach Barbados, oder soll ich die Reise verschieben?“

„Langsam!“, bat James mit einem amüsierten Unterton, während er zur Tür ging. Als er ihr einen Blick über die Schulter zuwarf, zuckten seine Mundwinkel. „Erst muss ich Spießruten laufen und mich den Schnüfflern da draußen stellen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass einige dieser Computerfuzzis richtige Drama Queens sein können …“ Eine Hand auf der Klinke, blieb er stehen. „Geben Sie mir eine halbe Stunde, Ellie, dann läuft hier alles wie gewohnt. Chef, Sekretärin, keinerlei Grenzüberschreitungen …“

2. KAPITEL

Als Ellie am nächsten Morgen ihre Wohnung verließ, regnete es. Sie hatte eine unruhige Nacht verbracht. Anders als James prophezeit hatte, war nichts so gelaufen wie gewohnt.

Zumindest nicht für sie.

Die Tür, die sich zwischen ihnen geöffnet hatte, war offen geblieben, obwohl Ellie sich in ihre Arbeit gestürzt und kaum den Blick vom Monitor abgewendet hatte. Die ganze Zeit hatte sie überdeutlich die Aufmerksamkeit ihres Chefs wahrgenommen. Er hatte auf ihrem Schreibtisch gehockt, wie immer in halsbrecherischer Geschwindigkeit Anweisungen erteilt, und sie hatte seinen Blick auf sich gespürt – und seine Neugier.

Als sie nun durch den leichten Sommerregen ging, hätte sie am allerwenigsten damit gerechnet, dass eine Frau hinter ihr ihren Namen rief. Ellie ignorierte es und blieb erst stehen, als jemand ihr die Hand auf die Schulter legte. Sie wirbelte herum und blinzelte, während der Wind die Kapuze ihres Regenmantels hinunterwehte.

Unterschwellig nahm sie die hochhackigen schwarzen Pumps, die geradezu lächerlich langen, schlanken Beine, den roten Minirock und das schwarze Top unter einem Designertrenchcoat wahr. Die Blondine war beneidenswert trocken geblieben, weil sie einen Regenschirm in der Hand hielt, während Ellie sich das nasse Haar aus dem Gesicht strich und sich mit der störrischen Kapuze abmühte.

„Sie erinnern sich wahrscheinlich nicht mehr an mich.“

Tatsächlich erinnerte Ellie sich sehr gut an Naomi. Sie waren sich zufällig vor vier Wochen begegnet, als sie über die Straße zu ihrem Bus eilte. Naomi hatte auf dem Beifahrersitz von James’ Ferrari gesessen, und er hatte mit quietschenden Reifen gehalten, um Ellie zu fragen, ob er sie mitnehmen sollte. Während er sie mit Naomi bekannt machte, hatte sie die gelangweilten blauen Augen, das lange blonde Haar und den makellosen gebräunten Teint seiner Begleiterin abgespeichert.

Und nun stand Naomi vor ihr, allerdings nicht mit einem gelangweilten, sondern mit einem recht verzweifelten Ausdruck in den Augen.

„Können Sie das bitte James geben? Er ignoriert meine Anrufe und meine Nachrichten … Ich habe gestern die Beherrschung verloren, aber ich liebe ihn und möchte einfach nur mit ihm reden!“

„Naomi?“

„Ich habe eine Ewigkeit in dem Coffeeshop dahinten gewartet, um Sie zu erwischen.“ Ihre Stimme bebte, und Naomi atmete tief durch. „Ich weiß, er flippt aus, wenn ich in seinem Büro auftauche, und es ist einfach nicht meine Art, vor seinem Haus auf ihn zu warten. Außerdem weiß ich nicht, wie er reagieren würde.“

Ellie blickte auf Naomis ausgestreckte Hand mit dem Umschlag und seufzte. „Ich würde mich da lieber raushalten …“

„Bitte! Sie müssen ihm nur den Umschlag geben!“, beharrte Naomi in einem Befehlston, der viel besser zu ihr passte als vorhin der Anflug von Verzweiflung.

Widerstrebend nahm Ellie den Umschlag entgegen, weil sie keine Lust hatte, hier noch länger im Regen zu stehen.

„Super“, verkündete Naomi strahlend, bevor sie zurücktrat. „Danke.“

„Ich muss jetzt weiter“, erwiderte Ellie höflich, bevor sie sich abwandte und zunehmend verärgert weitereilte.

Der Umschlag in ihrer Hand zwang sie nun, eine unerwünschte Situation auszudehnen, und als sie die ehemalige Lagerhalle betrat, die nun James’ hochmodernes Büro beherbergte, schäumte sie innerlich vor Wut.

Hätte sie Zeit gehabt, hätte sie sich in den großen Hof hinter dem roten Backsteingebäude gesetzt, um ihre Gedanken zu ordnen. Der idyllische Garten mit Bäumen, Sträuchern und zahlreichen Rosen sowie einem Brunnen und mehreren Bänken war eine richtige Oase inmitten des belebten East London und diente allen Angestellten zum Abschalten.

Jetzt war allerdings keine Zeit dafür, und zum ersten Mal überhaupt marschierte sie direkt in James’ Büro, ohne zu klopfen und vorher ihre Sachen wegzuhängen und den Computer einzuschalten.

„Das ist für Sie.“ Nachdem sie den Umschlag auf seinen Schreibtisch geworfen hatte, verschränkte sie die Arme.

James, der gerade telefonierte, blickte ungläubig auf.

Was war mit seiner pflichtbewussten Assistentin los? Derjenigen, die zwar mysteriös, aber schrecklich langweilig war? Sie verspürte offenbar eine gewisse Genugtuung, während sie ihn aus zusammengekniffenen Augen betrachtete.

„Erklären Sie mir, was los ist? Oder soll ich ein Ratespiel spielen?“, fragte er, nachdem er den Anruf beendet hatte.

James stieß sich vom Schreibtisch ab und lehnte sich zurück, um sie zu betrachten. Ellie musste tief durchatmen, denn in dem Moment hätte sie ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst.

Da er heute einige Besprechungen hatte, war er ausnahmsweise dem Anlass entsprechend gekleidet. Er trug ein weißes Hemd, dessen Ärmel er jedoch hochgekrempelt hatte, und eine graue Anzughose. Das dazu passende Jackett hing an dem Garderobenständer vor der Ziegelwand. Er sah unglaublich elegant und wahnsinnig sexy aus, aber ausnahmsweise pochte ihr Herz bei seinem Anblick nicht schneller.

„Erraten Sie, wen ich draußen getroffen habe?“

„Ah, also das Ratespiel. Wie viele Versuche habe ich?“

Genervt winkte Ellie ab. „Naomi.“

Prompt erstarrte er. „Ah. Ich schätze, der ist von ihr?“ Er nahm den Umschlag vom Tisch und drehte ihn abwesend zwischen den Fingern.

„Sie sagte, sie habe im Coffeeshop gegenüber auf mich gewartet, weil sie ihn Ihnen nicht selbst geben wollte. Hören Sie, ich bin hier, um zu arbeiten, und nicht, um mich in Ihre Kabbeleien mit Ihren Freundinnen einzumischen.“

„Setzen Sie sich.“

Ellie zögerte. Sie wollte noch mehr dazu sagen, doch er war immer noch ihr Chef, und er setzte seine Angestellten nicht unter Druck. Ein glücklicher Mitarbeiter, hatte er ihr einmal gesagt, war ein produktiver Mitarbeiter. Also sorgte er dafür, dass seine Mitarbeiter glücklich waren.

Allerdings hatte sie auch erlebt, wie knallhart er mit schwierigen Kunden und unzuverlässigen Lieferanten umgehen konnte. Im Samthandschuh steckte eine eiserne Hand, und sie wollte James auf keinen Fall gegen sich aufbringen. Also verzichtete sie darauf, ihm mitzuteilen, dass er anders mit seinen Freundinnen umgehen sollte, wenn er keine Theatralik wollte, und nahm Platz.

„Ich entschuldige mich.“ Als er sie ansah, wirkte er ungewohnt ernst. „Sie haben recht. Sie sind hier, um zu arbeiten, und alles andere ist unwichtig. Ich hatte drei Jahre, um die Botschaft zu verstehen, Ellie. Gestern mussten Sie sich gezwungenermaßen etwas öffnen, und jetzt wollen Sie sicher wieder zur Normalität zurückkehren. Habe ich recht?“

Errötend wandte Ellie den Blick ab. „Ich möchte jedenfalls nicht zwischen Ihnen und Ihrer Freundin vermitteln“, wich sie aus.

„Ex-Freundin – auch wenn sie das noch nicht wahrhaben will und mich mit Textnachrichten bombardiert. Ob Sie es glauben oder nicht, ich möchte auf keinen Fall, dass Sie oder sonst jemand unaufgefordert an meinem Privatleben teilnimmt.“ Nachdenklich betrachtete er sie mit seinen blauen Augen. „Die Außenwelt sieht schöne Frauen an meinem Arm …“ Ironisch lächelnd zuckte er die Schultern. „Die Welt sieht nicht, was zwischen diesen schönen Frauen und mir abläuft. Deshalb hat Naomis gestriger Auftritt hier einen bitteren Nachgeschmack bei mir hinterlassen. Und deshalb interessiert mich null, was in diesem Umschlag ist.“

Sie war fasziniert von seinem ernsthaften Unterton und dem Gefühl, dass sie beide etwas miteinander teilten. Das war natürlich eine Illusion, und dennoch …

„Wenn Sie den Brief nicht lesen und beantworten, wird sie vielleicht nicht lockerlassen, bis Sie es tun.“

„Und natürlich wollen Sie kein zweites Mal von einer hartnäckigen Ex behelligt werden.“

„Darum geht es nicht. Es ist nur … Probleme erledigen sich nicht von selbst.“ Wieder errötete Ellie. Wenn doch nur das Gegenteil der Fall wäre! Dann hätte sie ihre Jugend genießen können, statt mit einer Situation fertigwerden zu müssen, die sie überforderte. Plötzlich verspürte sie den schockierenden Drang zu weinen und blinzelte schnell, in der Hoffnung, James hätte es nicht bemerkt. „Vielleicht komme ich lieber später wieder“, fügte sie energisch hinzu.

„Bleiben Sie hier. Ich muss etwas mit Ihnen besprechen.“ Nachdem er den Umschlag geöffnet und den Brief gelesen hatte, legte er diesen beiseite. „Darum kümmere ich mich später. So, was haben Sie für die nächste Woche geplant?“

„Was ich geplant habe?“ Entgeistert sah sie ihn an.

„Ich wollte nach Barbados fliegen, um erste Gespräche mit diesem Start-up-Unternehmen zu führen, und anschließend für eine gewisse Hochzeitsfeier nach Hawaii …“

„Ja?“ Sie hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte, aber wenigstens sprachen sie nun nicht mehr über persönliche Dinge. Dennoch überlegte Ellie, was in dem Brief stehen mochte.

Sie hatte gesehen, wie ernst es Naomi war. Offenbar ahnte die blonde Schönheit langsam, dass sie ihre Beziehung mit Londons begehrtestem Junggesellen in den Sand gesetzt hatte. Und wenn man einen Mann wie James Stowe mit Textnachrichten bombardierte, erreichte man gar nichts. Natürlich hätte sie Naomi warnen können, dass sie sich keine falschen Hoffnungen machen sollte. Allerdings ging das Ganze sie nichts an.

Ihr gesunder Menschenverstand und ihre gewohnte Zurückhaltung fochten einen vergeblichen Kampf mit ihrer unangemessenen Neugier aus. Hatte James eine verletzliche Seite? Könnte irgendeine Frau es schaffen, tiefere Gefühle in ihm zu wecken?

Ellie legte den Kopf zur Seite und gab sich interessiert, doch ihre Gedanken wirbelten durcheinander. James sagte etwas von dem Start-up-Unternehmen auf Barbados, und sie überlegte, ob sie jetzt ihr Tablet einschalten sollte, um sich Notizen zu machen.

„Entschuldigung“, unterbrach sie ihn schließlich. „Könnten Sie das bitte wiederholen?“

„Hören Sie mir überhaupt zu, Ellie? Oder haben Sie vorübergehend den Kontakt zur Bodenkontrolle verloren?“

„Natürlich höre ich Ihnen zu!“

„Welchen Teil soll ich denn wiederholen?“ James fuhr sich durchs Haar und warf ihr einen ungeduldigen Blick zu. „Ach, vergessen Sies, ich fange noch mal von vorn an. Eigentlich wollte ich nach Barbados fliegen, bis zum Ende dieses Monats dortbleiben und anschließend zur Hochzeitsfeier nach Hawaii fliegen. Naomi sollte mitkommen, aber mit einer Freundin im Schlepptau hätte ich natürlich nicht vernünftig arbeiten können. Deshalb wollte ich später noch mal hinfliegen, um mit der eigentlichen Arbeit anzufangen. Können Sie mir so weit folgen?“

„Bitte nicht so herablassend“, ermahnte sie ihn höflich, womit sie ihm ein Lächeln entlockte.

„Diese neue Version von Eleanor Thompson gefällt mir sehr“, murmelte er. „Können wir mehr davon haben?“ Als er sie ebenso lässig wie anerkennend musterte, errötete sie wieder.

Was war mit der vernünftigen jungen Frau mit den braven Klamotten? Wann, zum Teufel, hatte sie sich in diese forsche, impulsive Doppelgängerin mit rebellischen Gedanken und scharfer Zunge verwandelt?

„Aber um zur Sache zu kommen“, fuhr James energisch fort. „Ich hatte eine lange Videokonferenz mit den Jungs von Sailstart, und wir haben alles angeleiert. Ich werde den Vertrag machen, wenn ich da bin, und wie Sie wissen, wird das eine kritische Zeitspanne sein. Ich werde also eher ein paar Wochen als ein paar Tage auf Barbados bleiben.“

Dann runzelte er die Stirn. „Nein, ich brauche auch etwas Zeit, um mich auf Max’ großen Tag vorzubereiten. Also höchstens zehn Tage auf Barbados. Ich streiche den touristischen Teil auf Hawaii.“

„Prima.“ Ellie setzte ein Lächeln auf. „Soll ich Ihnen auch ein anderes Hotel auf Barbados buchen? Oder auf einen anderen Namen umbuchen, nun, da Naomi Sie nicht begleitet?“ Sie machte eine Pause und fragte sich, ob sie sich zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Schließlich hatte sie genug über Männer gehört und gelesen, um zu wissen, dass diese sich oft wie Idioten verhielten, wenn sie mit dem falschen Körperteil dachten.

Für einen Moment sah sie ihren Chef nackt und erregt vor sich. Plötzlich fühlte sie sich ganz schwach. Ein Prickeln überlief sie, ihre Knospen richteten sich auf, und Hitzewellen durchfluteten ihren Schoß.

„Es sei denn“, fuhr sie heiser fort, „Sie haben es sich anders überlegt. Sie können mir dann ja Bescheid sagen …“

„Sie sind knallrot“, bemerkte er.

Sie wünschte, der Boden würde sich auftun und sie verschlucken. „Wirklich?“

„Naomi kommt nicht mit“, informierte James sie. „Ich behalte das Zimmer, aber Sie müssen ein zweites buchen.“

„Ein zweites Zimmer?“

„Und noch einen Flug.“

„Natürlich. Dafür brauche ich die Daten Ihrer Begleiterin.“ Sofort ging ihre Fantasie mit ihr durch. Eine weitere langbeinige Blondine? überlegte Ellie. Wie schnell konnte ein Mann sein? Hatte Naomis Nachfolgerin schon in den Kulissen gewartet?

„Und“, meinte James nachdenklich, „Sie müssen nachsehen, ob Ihr Pass gültig ist.“

„Mein Pass?“

„Sie kommen mit.“

„Nach Barbados?“

„Sie müssen einen Teil Ihrer Arbeit an Trish oder Caroline übergeben, obwohl Sie das meiste sicher vor Ort erledigen können. Und mich wird Higgins während meiner Abwesenheit vertreten.“

„Warum sollte ich Sie nach Barbados begleiten? Ich fürchte, das ist nicht möglich.“

Nun runzelte James die Stirn. „Die Wörter ‚nicht möglich‘ existieren in meinem Unternehmen nicht“, erklärte er kühl. „Und Sie kommen aus einem ganz einfachen Grund mit. Ich brauche meine Assistentin, weil ich, wie gesagt, schon alles angeleiert habe. Und Sie wissen, wie ich arbeite.“

„Aber …“ Ellie atmete tief durch. Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, mit ihrem Boss auf einer tropischen Insel zu sein, auch wenn Arbeit auf der Tagesordnung stand. Nein. Auf keinen Fall. Gleichzeitig musste sie an ihre Mutter denken, die sie am Wochenende besuchen wollte, weil diese sich schon wieder in einer depressiven Phase zu befinden schien. Nach deren Herzinfarkten wollte sie alles in ihrer Macht Stehende tun, damit es ihrer Mutter gut ging, und das war ihre Mission fürs Wochenende – schöne Spaziergänge, aufmunternde Gespräche und selbst gekochtes Essen.

Nachdem sie noch einmal tief durchgeatmet hatte, fuhr Ellie fort: „Ich verstehe ja, dass Sie Unterstützung haben möchten, aber es tut mir wirklich leid, so lange kann ich nicht weg.“

„Warum nicht?“ James beugte sich vor. „Haben Sie einen Freund? Tut mir leid, aber dann muss er für ein paar Tage auf Sie verzichten.“

„Kann Caroline Sie nicht begleiten?“

„Keine Diskussion, Ellie. Falls Sie keinen schwerwiegenden Grund haben, erwarte ich, dass Sie tun, wofür Sie bezahlt werden.“

Und das war die harte Seite an ihm, die ihn dorthin gebracht hatte, wo er jetzt war. Wehe ihr, wenn sie weiter dagegen anging! Davon abgesehen, welcher halbwegs vernünftige Mensch hätte auf einen Luxustrip auf eine tropische Insel verzichtet, zumal sie ihren Job liebte?

Allerdings würde sie ihre Mum besuchen müssen. „Natürlich. Aber dann … brauche ich vorher ein paar Tage frei. Ich schätze, es bleibt bei dem Abreisedatum?“

„Warum brauchen Sie ein paar Tage frei?“ Den Kopf zur Seite geneigt, betrachtete James sie stirnrunzelnd.

Es ärgerte sie, doch dieses Spielchen würde ihn ohnehin bald langweilen. Und war es wichtig? Auch wenn James mehr über sie erfuhr, würde es sich anders als befürchtet wohl nicht auf ihr Arbeitsverhältnis auswirken. Und ihre unerwünschten Reaktionen auf ihn würde sie in den Griff bekommen.

„Ich schätze, Sie müssen noch shoppen gehen.“ Auf ihren fragenden Blick hin fuhr er fort: „Klamotten. Sie brauchen ein paar schicke Sachen, die Sie bei Hitze tragen können. Ich werde meine zukünftigen Kunden stilvoll umwerben, also müssen Sie sich entsprechend kleiden. Shoppen Sie nach Herzenslust, und setzen Sie es auf die Spesenrechnung.“

„Ich wollte nicht freinehmen, um shoppen zu gehen“, entgegnete sie heftig, woraufhin er schallend lachte.

„Nun seien Sie doch nicht gleich beleidigt. Bestimmt hat Romeo nichts dagegen, Sie für ein paar Tage gehen zu lassen. Und erzählen Sie mir bitte nicht, dass Sie freinehmen müssen, um für ihn vorzukochen.“

Ellie sah ihn so entsetzt an, dass er wieder lachte. „Ich werde nie zu den Frauen gehören, die meinen, sie müssen für irgendeinen Typen vorkochen, nur weil er nicht ein paar Tage für sich selbst sorgen kann.“

„Das habe ich auch nicht angenommen. Ein Mann sollte selbstständig sein. Und warum müssen Sie nun freinehmen? Falls Sie sich Gedanken um Ihre Wohnung machen, ich kann jemanden beauftragen, jeden Tag nach dem Rechten zu sehen …“

Nun seufzte sie. „Das ist es nicht.“ Offenbar ließ er nicht locker. „Ich wollte meine Mutter am Wochenende besuchen.“ Auf seinen fragenden Gesichtsausdruck hin fuhr sie fort: „Sie wohnt in Dorset. Ich … Sie ist allein, seit mein Vater … seit Dad gestorben ist.“

„Das tut mir leid, Ellie. Sie hätten etwas sagen sollen.“ Wieder runzelte James die Stirn. „Ich erinnere mich gar nicht, dass Sie wegen einer Beisetzung freigenommen haben.“

„Mein Dad ist gestorben, bevor ich hier angefangen habe. Es ist eine lange Geschichte. Jedenfalls ist meine Mutter mit seinem Tod nicht gut zurechtgekommen. Tatsächlich ist sie daran fast zerbrochen. Ich musste mich um sie kümmern, weil sie … Probleme hatte.“

„Was für Probleme?“

„Damit will ich Sie nicht langweilen.“ Ellie lächelte selbstironisch.

Er schüttelte den Kopf. „Sagen Sie so etwas nie wieder. Reden Sie mit mir. Was für Probleme?“

Genau das machte sein Charisma aus. Sein Charme war nicht nur oberflächlich, denn James interessierte sich wirklich für andere.

Ellie holte tief Luft. „Sie hat angefangen zu trinken, und das ist dann … etwas entgleist.“ Zu ihrem Leidwesen bebte ihre Stimme. „Es hat eine Weile gedauert, bis sie trocken war, aber sie neigt immer noch zu Depressionen. Nach dem Tod meines Vaters hat sie im Leben keinen Sinn mehr gesehen. Seitdem hatte sie einige leichte Schlaganfälle. Und momentan scheint sie wieder eine depressive Phase zu haben. Ich wollte sie am Wochenende besuchen, um sie aufzumuntern.“ Ellie lachte, doch es klang heiser.

„Haben Sie noch andere Angehörige, die Ihnen helfen könnten, Ellie?“

„Ich bin Einzelkind. Und da meine Eltern auch Einzelkinder waren, bin ich ganz allein.“ Schnell senkte sie den Blick, damit er die Tränen in ihren Augen nicht sah.

„Sie müssen noch ein Kind gewesen sein, als Ihr Vater starb.“

„Ich war sechzehn. Alt genug, um mich um Mum zu kümmern.“

„Also noch ein Kind.“

James betrachtete Ellie, registrierte den beinah trotzigen Zug um ihre Lippen. Sie versuchte angestrengt, tapfer zu sein, und das offenbar schon seit damals. Er wusste, wie es war, als Teenager ein Elternteil zu verlieren. Er hatte beide Eltern verloren. Manchmal erinnerte er sich mitten in der Nacht daran, wie es gewesen war – dunkle Gedanken über den Verlust und die Verwirrung, die er vor all den Jahren empfunden hatte.

Während Max die Verantwortung für sie beide übernommen und man seine Schwester Izzy mit Aufmerksamkeit überschüttet hatte, hatte James den Boden unter den Füßen verloren. Niemand war für ihn da gewesen. Also hatte er die Leere mit Aktivitäten und Freundschaften ausgefüllt und sich abgelenkt.

Er befasste sich nur selten mit der Vergangenheit, weil er sie ohnehin nicht ändern konnte, doch oft kamen die Gedanken aus dem Nichts. Er erinnerte sich an das Gefühl, ausgeschlossen zu sein und wie ein Zuschauer am Rand zu stehen. Er hatte wie geplant studiert, doch er war verletzlich gewesen, weil man ihn nicht wie seine jüngere Schwester Izzy in Watte gepackt hatte und er auch nicht wie Max von dem Bedürfnis angetrieben gewesen war, alles zusammenzuhalten.

Plötzlich erinnerte James sich daran, wie er sich in eine viel ältere, glamouröse Frau verliebt hatte, die in Cambridge in einer Galerie arbeitete. Sie war von seinem Akzent, seinen Designersachen und seinem Sportwagen fasziniert gewesen – Dingen, die er immer als selbstverständlich betrachtet hatte. Als er ihr irgendwann sagte, er wisse nicht, wie es nach dem Tod seiner Eltern finanziell für ihn weitergehen sollte, hatte sie sich immer mehr von ihm zurückgezogen.

Er hatte nur Spaß gemacht, obwohl Max ihm anvertraut hatte, dass es um die Finanzen der Familie nicht so gut bestellt war wie angenommen. Sie hatte es allerdings extrem ernst genommen, und dann … Selbst jetzt wusste James nicht genau, wie schockiert er gewesen war, als er sie mit einem viel reicheren Freund in flagranti ertappte. Der kleine, untersetzte Rupert war mit seiner Eroberung selig gewesen …

Damals hatte James Lektionen fürs Leben gelernt. Er verwöhnte die Frauen, mit denen er zusammen war, nach Strich und Faden, aber er würde niemals einer sein Herz schenken. Das hatte er einmal überstürzt getan, und den Fehler würde er kein zweites Mal machen. Niemals würde er so viele Gefühle in eine Beziehung investieren, dass er verletzt werden konnte. Er hatte eine Mauer um sich errichtet, und dabei sollte es auch bleiben.

Um die unliebsamen Erinnerungen zu vertreiben, schüttelte er den Kopf und konzentrierte sich auf die Gegenwart.

„Ziemlich viel Verantwortung in dem Alter“, meinte er leise. „Vor allem, weil Sie niemanden hatten, mit dem Sie die Last teilen konnten.“

„Ich bin klargekommen.“

„Klarkommen ist keine besonders tolle Art, seine Teenagerzeit zu verbringen.“

„Manche Menschen haben eben keine Wahl.“

„Das stimmt allerdings. Ja, natürlich gebe ich Ihnen ein paar Tage frei, damit Sie Ihre Mutter besuchen können.“ James machte eine Pause, und ihre Blicke begegneten sich. „Versprechen Sie mir, Bescheid zu sagen, wenn ich irgendetwas für Sie tun kann.“

„Klar.“ Ellie stand auf. „Ich kümmere mich jetzt um alles Organisatorische und um meine Vertretung.“

„Prima.“

Innerlich schüttelte James den Kopf über sich selbst. Hier in seinem Büro in Shoreditch für einen kurzen Moment seine Schutzmauern zu vernachlässigen, war nicht weiter schlimm. Aber auf keinen Fall durfte ihm das in der Karibik passieren.

3. KAPITEL

Da James geschäftlich viel reiste, wusste Ellie genau, welche Domizile er bevorzugte. Wenn sie ihn in einem großzügigen Penthouse unterbringen konnte, war ihr Chef eigentlich immer zufrieden, Hauptsache, er hatte reichlich Platz und konnte nachts entspannt den Blick auf die Umgebung genießen. Außerdem musste er sich auch im Ausland jederzeit einen doppelten Espresso machen können, das war geradezu lebensnotwendig.

Bei dem Trip nach Barbados war es komplizierter. Schließlich war er nicht als reine Geschäftsreise geplant gewesen, sondern auch als Kurzurlaub. Zum Glück hatte Naomi bereits ein sündhaft teures Boutiquehotel ausgesucht! Nun musste Ellie nur noch die alte Buchung bestätigen – und ein Extrazimmer für sich dazubuchen.

Es war unglaublich aufregend! Schon seit Jahren war sie nicht mehr im Ausland gewesen, und jetzt sollte sie plötzlich in ein tropisches Paradies fliegen.

Dass ausgerechnet James’ Ex-Freundin das Hotel ausgesucht hatte, fühlte sich allerdings ein wenig schräg an …

Nachdem sie die Buchungsbestätigung erhalten hatte, schloss Ellie kurz die Augen und atmete tief durch. Bei der Vorstellung, bald in einem Luxushotel auf Barbados zu wohnen, wurde ihr fast ein wenig schwindelig.

Sie hatte geglaubt, einige Tage bei ihrer Mutter würden sie auf den Boden der Tatsachen zurückbringen. Doch wider Erwarten war diese nicht entsetzt gewesen, weil Ellie sie eine Weile allein ließ, sondern hatte sich für sie gefreut.

„Es wird dir guttun, mal für eine Weile wegzukommen“, hatte Angie Thompson gesagt und geseufzt. „Du hast dich jahrelang nur um mich gekümmert. Du bist ein gutes Mädchen, Ellie, aber du musst deine Flügel ausbreiten und das Leben genießen. Ich weiß, wie viel du für mich geopfert hast, und freue mich so, dass du eine Auszeit haben kannst. Mach dir um mich keine Sorgen.“

Fassungslos hatte Ellie sich gefragt, ob sie ihr überhaupt zugehört hatte. „Ich werde dort arbeiten, Mum“, hatte sie energisch erwidert.

„Aber an einem wunderschönen Ort. Dein Dad und ich wollten auch immer in die Karibik reisen. Er würde sich so freuen, wenn er sehen könnte, dass du jetzt hinfliegst …“

„Ja, um zu arbeiten. Du hast keine Ahnung, wie streng James als Vorgesetzter ist.“

Brauchte ihre Mutter sie womöglich nicht mehr so wie früher? Für einen Moment war Ellie leicht durcheinander gewesen und hatte sich gefragt, ob es Teil ihrer Komfortzone war, sich um ihre Mum zu kümmern. Und wie sie damit klarkommen sollte, wenn das nicht mehr der Fall wäre. Zum ersten Mal seit dem Tod ihres Vaters würde sie sich gefühlsmäßig auf andere Menschen einlassen müssen. Weil ihr diese Vorstellung ein wenig Angst machte, hatte sie den unangenehmen Gedanken aber schnell wieder verdrängt.

„Wie willst du denn arbeiten können, wenn draußen die Sonne scheint und der Strand direkt vor der Tür ist?“

Das war eine gute Frage gewesen, die Ellie allerdings ebenfalls geflissentlich verdrängt hatte. Warum sollte sich etwas ändern, nur weil der Schauplatz wechselte? Schließlich würde sie nicht allein mit James auf einer einsamen Insel sein. Und in ihrer Freizeit würde sie an den Strand gehen, lesen oder die zahlreichen Sportmöglichkeiten im Hotel nutzen.

Vermutlich würde sie ihre Freizeit ohnehin allein gestalten müssen, während ihr charmanter Boss mit seinen potenziellen Geschäftspartnern fürstlich essen ging. Wenn er etwas haben wollte, bekam er es auch. Und sobald alles Wichtige erledigt wäre, würde er sie sich selbst überlassen. Schließlich war Ellie nur seine Assistentin!

Dennoch krampfte sich ihr Magen zusammen, als sie nun vor dem Terminal stehen blieb, um sich zu sammeln. Nach der Rückkehr von ihrer Mutter hatte sie James kaum gesehen. Einerseits war das gut, weil sie auf Abstand hatte gehen können. Andererseits war es nicht gut, weil ihre Nerven zum Zerreißen gespannt waren, als sie nun zu dem Schalter für die erste Klasse ging.

Natürlich war ihr klar, dass es eine gefährliche Schwäche war, sich heimlich zu James hingezogen zu fühlen. Ellie brauchte die Sicherheit ihrer gewohnten Umgebung, um sich vor sich selbst und ihrer überbordenden Fantasie zu schützen. Es war eine Sache, ihre Mutter loszulassen, weil diese vielleicht nicht mehr so von ihr abhängig war. Aber es war eine völlig andere Sache, Gefühle für einen Typen zu entwickeln, der vollkommen außer Reichweite war.

Selbst jetzt hob James Stowe sich von der Masse ab und beherrschte sein Publikum. Dieses bestand aus mehreren jungen, attraktiven Frauen am Schalter und einem Piloten, die ihm fasziniert zu lauschen schienen. Lässig lehnte er am Tresen, die Hände in den Taschen seiner hellen Leinenhose, und plauderte lächelnd.

Dennoch schien er sie zu bemerken, denn er richtete sich unmerklich auf und musterte sie dann aus zusammengekniffenen Augen.

„Was haben Sie denn angezogen?“, fragte er als Erstes, als sie eingecheckt hatten und zusammen zur Business Lounge gingen.

„Meine übliche Uniform“, konterte Ellie. Sie war schon seit einer Ewigkeit nicht mehr in einem Flughafen gewesen, und es war das erste Mal, dass sie eine Business Lounge betrat.

Sie versuchte, sich ihre Faszination nicht anmerken zu lassen. Eine Mitarbeiterin in Uniform erkundigte sich, ob sie ein verspätetes Frühstück im Restaurant einnehmen wollten und Champagner oder einen Cocktail wünschten. Dann führte sie sie zu einem reichhaltigen Buffet. Geschäftsmänner saßen stirnrunzelnd über ihre Laptops gebeugt, und auch einige Familien mit Kindern waren anwesend.

James schien ihre Umgebung kaum wahrzunehmen. „Ellie, wir reisen auf eine Insel in den Tropen. Vielleicht ist Ihre übliche Uniform dort ein bisschen zu warm.“

„Kein Problem.“

„Frühstück?“

„Ich habe zu Hause noch schnell einen Kaffee getrunken …“ Als sie ihn ansah, stellte sie fest, dass er sie amüsiert betrachtete. „Aber ein Croissant wäre nicht schlecht. Was möchten Sie?“ Sie blickte sich um, während sie überlegte, ob hier Selbstbedienung war oder das Essen serviert wurde.

„Ich würde gern erst mal einen Platz suchen.“ James blickte sich um und deutete mit einem Nicken zum Fenster. Dann ging er vor. „Und Sie müssen mich nicht bedienen, Ellie, auch wenn Sie als meine Assistentin mitreisen.“

„Natürlich.“

James runzelte die Stirn, widerstand jedoch dem Drang, das Gespräch weiterzuführen.

Warum, in aller Welt, trug Ellie ihre Bürouniform, einen marineblauen Rock und eine weiße Bluse – und war das etwa eine Strumpfhose?

Natürlich wusste er genau, was los war. Einen störrischen Rollkoffer in einer Hand, ihre Handtasche in der anderen, sah sie in der Uniform fast genauso aus wie die drei Frauen am Tresen, die mit ihm geflirtet hatten.

Dabei war Ellie nicht nur seine geschätzte Assistentin, die ihm manchmal sogar einen Schritt voraus war. Nein, sie war viel mehr als das, wie er vor einigen Tagen festgestellt hatte.

Und genau das versuchte sie verzweifelt auszulöschen, indem sie in ihrer völlig unangemessenen Bürouniform im Flughafen erschienen war. Sie wollte ihm vor Augen führen, dass er dieses kleine Intermezzo vergessen sollte, als sie zum ersten Mal richtig mit ihm kommuniziert hatte.

Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass eine gesunde Portion Neugier ihn dorthin gebracht hatte, wo er jetzt war. Hätte er damals nicht über den Tellerrand geblickt, hätte er nie herausgefunden, welche Möglichkeiten sich ihm in der faszinierenden Welt der Informationstechnologie und der künstlichen Intelligenz boten. Während des Studiums hatte er sich selbst das Programmieren beigebracht. Nach seinem Abschluss in Cambridge hatte er als Diplom-Ingenieur nicht nur seinem Bruder mit dem Unternehmen helfen können, das dieser vor dem Konkurs bewahrt hatte, sondern auch sein eigenes Imperium aufbauen können. Max hingegen hatte dann im Hotelgewerbe expandiert und besaß mittlerweile eine Kette von Boutiquehotels.

Nun war er jedenfalls neugierig. Und als Ellie auf ihn zukam und ihm mit ihrer Körpersprache deutlich signalisierte, dass sie nicht freiwillig hier war, war ihm klar geworden, dass er schon seit einer Weile neugierig war.

Neugierig auf eine Art und Weise, wie er es bisher bei keiner seiner zahlreichen Ex-Freundinnen gewesen war. Was hatte das zu bedeuten? Als Ellie vorhin auf ihn zugegangen war, hatte ihn ihre natürliche Anmut, die trotz ihres biederen Outfits nicht zu übersehen war, für einen Moment aus der Fassung gebracht. War dies das erste Mal gewesen, oder hatte er unbewusst schon die ganze Zeit registriert, dass seine Assistentin extrem anziehend auf ihn wirkte?

Schnell verdrängte James diese Gedanken, aber leider stieg sofort ein neuer unangenehmer Gedanke in ihm auf. Hatte jene katastrophale Beziehung, in die er sich nach dem Tod seiner Eltern gestürzt hatte, irgendetwas bei ihm ausgelöscht?

Ja, und das war gut so. Genau wie Max hatte er schon in jungen Jahren die Erfahrung gemacht, dass Gefühle zerstörerisch waren und keinen Raum für andere Dinge ließen. Er hatte zwei schmerzliche Erfahrungen gemacht. Der Tod seiner Eltern war natürlich viel schlimmer gewesen als die Wahl der falschen Frau, doch beides hatte ihn gelehrt, dass man nur Herr seines eigenen Universums war, wenn man keine Gefühle investierte.

James kam zu dem Ergebnis, dass er sehr wohl auf Ellie neugierig sein durfte, weil er eine rein berufliche Beziehung zu ihr pflegte. Wenn er seine Mitarbeiter kannte, waren diese ihm gegenüber loyal. Und Ellie musste ihm gegenüber loyal sein, weil er sich eine so hervorragende Zusammenarbeit mit keiner anderen Assistentin vorstellen konnte.

„Wie geht es Ihrer Mutter?“ Er nickte einer Angestellten zu, und fünf Minuten später servierte diese ihnen Kaffee und eine Auswahl an Frühstücksgebäck. Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, blickte er Ellie über den Rand seiner Tasse hinweg an.

„Es schien ihr gut zu gehen. Besser, als ich erwartet hatte.“

„Was hatten Sie denn erwartet?“ James senkte den Blick, bevor er sie nachdenklich ansah. „Ich mache nur Konversation, Ellie. Bleiben Sie locker.“

Stocksteif saß sie da. Er beobachtete, wie sie zart errötete. Ja, sie war alarmierend hübsch. Wie konnte eine prüde Frau wie sie so viel Sexappeal haben? Aber sie war ja gar nicht prüde, sobald man an der Oberfläche kratzte.

James ließ den Blick über ihre vollen Lippen mit den perfekten Konturen schweifen, ihre kurze, gerade Nase und die wenigen Sommersprossen. Ihr glattes dunkles Haar glänzte, und er hätte darauf gewettet, dass es nach Blumen duftete. Von etwas Lipgloss abgesehen, hatte sie auf Kriegsbemalung verzichtet. Ihre Augen verrieten gleichermaßen Kühle und Intelligenz, was vermutlich verdammt sexy sein konnte …

Als er sich durch den Kopf gehen ließ, was sie ihm über sich erzählt hatte, wuchs seine Neugier.

Plötzlich verspürte er ein intensives Gefühl der Freiheit. Eigentlich hätte er hier jetzt mit Naomi sitzen sollen, und er war erleichtert, dass es nicht der Fall war. Er war froh, dass er ins Ausland reiste, denn sie hatte ihn weiterhin mit Nachrichten bombardiert, und er hatte das ungute Gefühl, dass sie plötzlich auftauchen könnte.

„Hatten Sie Angst davor, dass Ihre Mutter womöglich nicht mehr leben will?“

„Nein!“, entgegnete Ellie schockiert, obwohl seine Worte ihre damalige Angst widerspiegelten, als ihre Mutter Trost im Alkohol gesucht hatte. Allerdings hatte sie es nie ausgesprochen, und die Angst hatte an Ellie genagt, bis ihr irgendwann klar geworden war, dass ihre Mutter nicht suizidgefährdet war.

„Tut mir leid“, meinte James sanft. „Ich wollte Sie nicht aus der Fassung bringen. Als meine Eltern ums Leben gekommen sind, hat man uns psychologischen Beistand angeboten, allerdings hauptsächlich meiner Schwester, die viel jünger war als ich. Ich musste einige Sitzungen über mich ergehen lassen, und das war die meistgestellte Frage.“

„Ich kann Sie mir nicht auf einer Couch bei einem Psychologen vorstellen“, sagte Ellie lächelnd.

„Da gab es keine Couch.“ Ihr schüchternes und gleichzeitig herausforderndes Lächeln gefiel ihm. Wie immer wollte sie sich an ihrem Tablet festhalten, das sie inzwischen aus dem Koffer genommen und auf den Tisch gelegt hatte. „Ich bin zu einer Sitzung gegangen, damit Izzy meinem Beispiel folgt“, fuhr er lässig fort. „Aber dann habe ich angefangen zu studieren, wo ich viel schönere Möglichkeiten gefunden habe, mit der Situation klarzukommen. Wein, Weib und Gesang können sehr gute Hausmittel sein.“

Mit seiner Plattitüde brachte er sie offenbar auf den Boden der Tatsachen zurück, denn Ellie ließ den Blick wieder zu ihrem Tablet schweifen, strich sich das Haar zurück und räusperte sich – ein deutliches Signal, dass es Zeit war, über unverfängliche Themen zu sprechen.

Unwillkürlich betrachtete er ihre adrette, unpraktische Bluse, die sie in den adretten, unpraktischen Rock gesteckt hatte. Obwohl beides so züchtig war, ließ es ihre wohlgeformten Brüste und ihre schmale Taille erahnen.

Plötzlich nervös, veränderte James seine Position. „Zurück zur Arbeit.“ Dann stand er auf. „Kümmern wir uns um das Geschäft mit Ronson.“

James hatte mit seiner Empfehlung, dass Ellie sich passende Sachen kaufen sollte, richtiggelegen.

Nachdem sie acht Stunden später auf dem Grantley Adams Airport gelandet waren, begann Ellie sofort zu schwitzen, als die Stewardess die Tür öffnete.

„Lassen Sie mich das machen“, murmelte James, bevor er ihren kleinen Koffer aus dem Gepäckfach nahm. „Wie fanden Sie den Flug?“

„Sehr angenehm“, erwiderte sie wahrheitsgemäß. Nach einer halbstündigen Besprechung hatte er sich seinen aufgelaufenen Mails und fälligen Berichten gewidmet. Und da sich zwischen ihren ohnehin großen Sitzen eine Trennscheibe befand, hatte sie den Flug in dieser für sie ungewohnten Welt der Reichen und Berühmten richtig genießen können. Zuerst hatte sie gelesen, dann hatte sie den Sitz in Liegeposition gestellt.

In diesem Luxus lebte nur ein Bruchteil der Menschheit, und so hatte James Stowe immer gelebt. Er war in den Geldadel hineingeboren worden, und auch wenn er kurzzeitig weniger schöne Zeiten durchlebt hatte, war er nie mit dem harten Alltag konfrontiert worden. In dieser Hinsicht hätte der Unterschied zwischen ihnen nicht krasser sein können, und vielleicht fand sie ihn auch deshalb so faszinierend.

„Und, haben Sie lange geschlafen?“

Unter gesenkten Lidern sah Ellie ihn an. Er wirkte energiegeladen wie immer.

„Überhaupt nicht. Meine Güte, ist das heiß!“

Das hier war eine ganz andere Welt. Die Sonne brannte von einem strahlend blauen Himmel. Selbst die Flughafenangestellten, die draußen herumgingen, schienen sich langsamer zu bewegen.

James schenkte ihr ein schiefes Lächeln. „Das mit der Strumpfhose war vielleicht keine so gute Idee.“

Ellie errötete. Natürlich hatte er recht, doch sie hatte sich wieder in die Sicherheit ihrer Rolle geflüchtet, um auf Abstand zu gehen. Außerdem hatte sie nicht damit gerechnet, dass es so heiß und schwül sein würde.

„Ich war hier noch nie“, sagte sie.

„Ich war auch erst ein paar Mal hier. Es ist sehr schön, also glauben Sie nicht, Sie könnten sich hinter Ihrem Computer verstecken und rund um die Uhr arbeiten. Ein Chauffeur wird die ganze Zeit zur Verfügung stehen.“

Da sie seine Worte so deutete, dass sie die Insel allein erkunden konnte, war sie nun weniger besorgt.

Nachdem sie die Zollkontrolle passiert hatten, wurden sie wie Mitglieder eines Königshauses empfangen. Draußen führte man sie zu einer langen Limousine. Und da sie sich in einer ganz anderen Welt befand, vergaß Ellie ihre Nervosität. Sie vergaß, dass James neben ihr saß. Sie vergaß sogar, dass die Sachen ihr am Körper klebten. Hier in den Tropen war es so wunderschön, dass sie auf der knapp halbstündigen Fahrt vom Flughafen zum Hotel alles in sich aufnehmen wollte. Alles war ganz anders – die Vegetation, die Stände mit Obst und Gemüse, an denen sie vorbeikamen, der strahlend blaue Himmel und die flimmernde Hitze. Selbst hier in der klimatisierten Limousine war ihr heiß.

Deshalb fand Ellie es beinah schade, als der Chauffeur schließlich auf den Hof des Hotels bog. Abgesehen von den zahlreichen bunt gekleideten Gästen, die in wartende Taxis stiegen, Händchen hielten und ihren Urlaub genossen, sah es genauso aus wie auf der Webseite.

Ihr Aufzug, mit dem sie sich selbst und auch James vor Augen hatte führen wollen, dass dies für sie kein Urlaub, sondern eine Geschäftsreise war, erschien ihr plötzlich lächerlich. Einige Sekunden lang war sie so überfordert, dass sie ein Seufzen unterdrücken musste. Sie konnte das Meer riechen, als sie durch den Bogen in das pinkfarbene Hotel trat, dessen Anlage von hohen Kokospalmen gesäumt wurde.

„Wie soll ich den restlichen Tag gestalten?“, fragte sie James auf dem Weg zum Empfang.

„Entspannen Sie sich am Pool. Wenn Sie müde sind, können Sie sich Essen aufs Zimmer bestellen oder im Restaurant zu mir gesellen. Jedenfalls treffen wir die Leute erst morgen früh.“

„Hier?“ Sie war tatsächlich müde und hätte gern den restlichen Tag in ihrem Zimmer verbracht, um sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Außerdem hätte sie dann Zeit, ihre Garderobe noch einmal einer kritischen Begutachtung zu unterziehen.

„In Bridgetown.“ Nachdem er für sie beide eingecheckt hatte, wandte er sich zu ihr um. „Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich brauche jetzt eine Dusche.“

„Es ist so heiß“, bestätigte sie.

Die Brauen hochgezogen, deutete er mit einem Nicken auf ihr Outfit. „Ihre Kostüme werden Sie hier nicht tragen können.“

„Ich … hatte nicht damit gerechnet, dass es hier so schwül ist. Natürlich werde ich mich passend anziehen.“

„Gut, denn morgen machen wir einen Törn auf einem Katamaran.“

„Auf einem Katamaran?“

„Ja. Wir haben es mit drei jungen Typen zu tun, die auf einer Insel leben. Deshalb dachte ich, es wäre eine gute Idee, das erste Treffen auf einem Boot abzuhalten. Außerdem möchte ich mir ein genaues Bild machen.“

„Ein genaues Bild?“ Sie war davon ausgegangen, dass sie sich im Hotel oder in einem Restaurant treffen würden, natürlich wie immer in Begleitung der Notare. Und für diese Gelegenheit hatte sie sich ein schickes Outfit gekauft und außerdem einige Freizeitsachen.

„Erinnern Sie sich an die Superjacht? Die liegt jetzt in Monaco vor Anker.“ Ohne sie anzusehen, drückte James auf den Knopf für den Aufzug. „Sie ist wahnsinnig luxuriös, aber letztendlich ist es eine Superjacht, und man ist zur Passivität verdammt. Ich möchte mir ein Bild davon machen, wie es ist, auf einem Katamaran zu segeln und selbst mit anzupacken. Eine ganze Flotte davon könnte eine gute Investition sein.“

Als die Stahltüren auseinanderglitten, betraten sie den Aufzug. Ellie sah James an und lachte schallend, woraufhin er jungenhaft lächelte und es sie heiß durchzuckte.

„Höre ich gleich die sanfte Stimme der Vernunft?“ Lässig an die Spiegelwand gelehnt, betrachtete er sie aufmerksam.

„Jemand muss ja für Sie vernünftig sein“, konterte sie steif, doch ihre Mundwinkel zuckten.

„Warum?“

„Weil …“ Er konnte so charmant sein, dass es einem den Atem raubte. Nachdem die Türen auseinandergeglitten waren, folgte sie ihm benommen in einen großzügigen Korridor mit Holzfußboden und breiten Fenstern mit einem fantastischen Blick aufs Meer. „Weil es verrückt ist, hierherzukommen, um einen Vertrag mit einem Start-up-Unternehmen abzuschließen, und sich dann von einer Flotte Katamarane ablenken zu lassen.“

„Haben Sie gehört, dass je einer meiner Deals gescheitert ist?“

„Nein, aber …“ Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie im Vorraum zu ihren Zimmern standen.

Lässig lehnte James sich an die Tür. „Max war immer der Vernünftige“, murmelte er. „Er hat die Verantwortung übernommen und dafür gesorgt, dass das Schiff in ruhigere Gewässer fährt. Ich werde ihm ewig dafür dankbar sein, dass er mir die Gelegenheit gegeben hat, das Leben ein bisschen zu genießen, auch wenn ich letztendlich Teil der Dynastie geblieben bin.“

Dann nahm er die Codekarte aus der Tasche, um die Tür zu öffnen, während Ellie ihn stumm anblickte und nach einer geeigneten Antwort suchte.

Hatte er sich ihr anvertraut? Oder war es nur eine flüchtige Bemerkung über etwas gewesen, das er für unwichtig erachtete? Wie zerbrechlich war ihr Arbeitsverhältnis, wenn es durch wenige private Bemerkungen aus dem Gleichgewicht geraten konnte?

Aber schließlich war sie ja diejenige, die unbedingt auf Abstand bleiben wollte. Sie war diejenige, deren Körper ein Eigenleben entwickelte. Ellie war clever genug, um zu wissen, dass nichts in ihrem Leben sie auf einen Mann wie James Stowe vorbereitet hatte. Und sie war auf jeden Fall klug genug, um zu wissen, dass es ein großer Unterschied war, ob man beruflich oder in anderer Hinsicht kompatibel war.

„Ich schätze, Sie wollen nachher nicht mit mir zu Abend essen?“

„Ich glaube, das gehört hier nicht zu meinem Job, oder?“ Eigentlich hatte sie lässig klingen wollen, doch Ellie war gleichermaßen betreten und bestürzt über ihren unnötig sarkastischen Tonfall.

James presste die Lippen zusammen, plötzlich einen kühlen Ausdruck in den Augen. „Stimmt, das ist nicht der Fall.“

„So habe ich es nicht gemeint! Ich …“

„Ich habe schon verstanden“, fiel er ihr ins Wort. „Ich werde Sie nicht zwingen, außerhalb der Arbeitszeit unter Menschen zu gehen, es sei denn, wir treffen uns mit meinen Geschäftspartnern.“

„Ja, mir würde nicht im Traum einfallen …“

„Natürlich bezahle ich Ihnen die Überstunden. Denken Sie nicht, ich nutze Sie aus, nur weil wir nicht in der Firma sind.“

Ellie senkte den Blick, während ihr das Blut ins Gesicht stieg. Wo war ihre gewohnte Professionalität? Sie hasste das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Schließlich atmete sie tief durch, und als sie ihm wieder in die Augen sah, war der Ausdruck darin wie immer. „Klar. Und Sie haben mich nicht ausreden lassen. Ich habe kein Problem damit, mich mit Ihren Geschäftsfreunden zu treffen. Ich meinte nur, dass ich zum ersten Mal in einer Umgebung wie dieser bin und in meiner Freizeit sehr gern die Insel erkunden würde. Falls ich mich falsch ausgedrückt habe, entschuldige ich mich dafür.“

„Jetzt klingen Sie, als würden Sie einen Text ablesen. Mir ist es fast lieber, wenn Sie schnippisch sind. Also, Sie möchten hier Zeit für sich? Kein Problem.“ James zuckte die Schultern, und sie kam sich albern vor, weil sie überreagiert hatte.

„Wann geht es morgen los?“, fragte sie rasch.

„Um Punkt elf im Konferenzraum im ersten Stock. Wir müssen ein Brainstorming machen, bevor wir uns um eins mit den Jungs treffen. Bringen Sie Ihr Tablet mit.“

„Klar“, erwiderte sie lächelnd.

Er hatte sich bereits abgewandt, drehte sich jetzt allerdings noch einmal um. „Und vergessen Sie nicht, Ellie … Wir werden ein paar Stunden auf dem offenen Meer segeln. Bluse und Rock könnten sich da als etwas unpraktisch erweisen.“

4. KAPITEL

Ellie ging auf die hoteleigene Boutique zu und blickte sich um. Warum, in aller Welt, fühlte sie sich, als würde sie herumschleichen? Schließlich war sie ein Hotelgast, der sich einige neue Sachen kaufen wollte. Dennoch konnte sie das Gefühl nicht abschütteln, denn James hätte gelacht und sie mit einem wissenden Blick bedacht, wenn er sie gesehen hätte.

Und natürlich hatte er recht gehabt, denn sie hatte ausschließlich unpassende Sachen eingepackt – sommerliche Kostüme und Pumps. Da sie davon ausgegangen war, dass sie kaum Freizeit haben würde, hatte sie nur einige T-Shirts und Shorts in den Koffer gestopft.

Und am gestrigen Abend war sie in ihrem luxuriösen Zimmer mit Blick auf den dunklen Ozean, während sie tief die salzige Luft einatmete und dem Summen tropischer Insekten lauschte, im Geiste ihre dürftige Garderobe durchgegangen. Deshalb stand sie nun, um zehn Uhr morgens, vor einer Boutique mit überteuerten Artikeln, um sich von ihrem hart erarbeiteten Geld geeignete Sachen für einen Segeltörn auf einem Luxuskatamaran und ein stilgerechtes Abendessen zu kaufen.

Bei dem Gedanken an ihre abgeschnittenen Jeansshorts und die zwei Jahre alte Culotte zuckte sie innerlich zusammen. Beides wäre passend gewesen, wenn sie es nicht in Gegenwart eines Mannes hätte tragen müssen, dessen Freundinnen immer wirkten, als kämen sie gerade vom Laufsteg.

Eigentlich hätte ihr egal sein müssen, was er von ihrer Garderobe hielt. Schließlich hatte er sie nicht eingestellt, weil sie den Unterschied zwischen einer Chaneljacke und einem Moschinomantel kannte. Sie war hier, weil sie hervorragend in ihrem Job war und ihm beim Abschluss seines Geschäfts helfen sollte.

Sie war hier, weil sie ebenso professionell wie tüchtig war und wusste, wie er arbeitete. Und falls sie ihn zu einigen Abendessen begleiten sollte, würde sie sich natürlich im Hintergrund halten müssen. Also hätte sie dort genauso gut in ihrem gewohnten marineblauen Kostüm hingehen können.

Seine Meinung war ihr allerdings nicht egal, und das ärgerte Ellie maßlos. Eine Dreiviertelstunde später verließ sie die Boutique mit zwei eleganten Tragetaschen voller Sachen, die sie sich eigentlich nicht leisten konnte.

Als sie sich zwanzig Minuten später mit James traf, trug sie ihr gewohntes Bürooutfit. Allerdings war er zu sehr auf die vor ihnen liegende Arbeit konzentriert, um ihre Kleidung sonderlich zu beachten. Eine halbe Stunde später fragte er sie allerdings, ob sie etwas essen wollte.

„Ich habe gut gefrühstückt“, lehnte Ellie höflich ab.

„Und Sie haben gut geschlafen?“

„Sehr gut sogar“, erwiderte sie wahrheitsgemäß. „Ich dachte, ich hätte Probleme mit dem Jetlag, aber ich bin sofort eingenickt. Das Zimmer ist fantastisch und das Bett unglaublich bequem.“

Zu ihrem Leidwesen stellte sie sich nun vor, wie er in einem großen Bett lag, und prompt ging ihre Fantasie mit ihr durch. Mühsam riss sie sich zusammen und fluchte im Stillen. Nachdem sie sich drei Jahre in seiner Gegenwart erfolgreich beherrscht hatte, hatte er mit wenigen persönlichen Gesprächen alles zunichtegemacht.

Sie spürte, wie ihre Knospen hart wurden und Hitzewellen ihren Schoß durchfluteten. Und plötzlich war es unerträglich heiß im Raum. Obwohl sie sich am liebsten Luft zugefächelt hätte, schenkte sie sich schnell ein Glas Wasser ein und trank.

Unwillkürlich ließ sie den Blick über seine kakifarbenen Shorts und die muskulösen Beine schweifen. Obwohl sein blaues Poloshirt verwaschen war und seine Designerbootsschuhe schon bessere Tage gesehen hatten, sah er umwerfend aus. Mit Geld kann man Freiheit kaufen, dachte Ellie. Und dazu gehörte auch die Freiheit, sich nicht darum scheren müssen, welchen Eindruck man auf andere machte. Und genau diese Gleichgültigkeit hob James von der Masse ab. Er musste nichts tun, was er nicht wollte, wie seine Körpersprache nur allzu deutlich verriet. Die Leute verbogen sich, um ihm zu gefallen, gerade weil er sie nicht dazu ermutigte.

Nach der stürmischen Trennung hatte Naomi sich verbogen, um ihn zurückzugewinnen. Ellie wusste das, weil sie an ihrem letzten Tag im Büro noch drei Anrufe von Naomi entgegengenommen hatte und ihr zu ihrer Erleichterung jedes Mal hatte sagen können, dass James nicht im Büro wäre.

„Ansonsten würde ich Sie durchstellen“, hatte sie wahrheitsgemäß gesagt und mit einem Anflug von Genugtuung hinzugefügt: „Versuchen Sie doch, ihn über Handy zu erreichen. Bestimmt nimmt er Ihren Anruf sehr gern entgegen.“

Energisch konzentrierte sich Ellie wieder auf das Jetzt und Hier. Ein wichtiges Geschäftstreffen stand kurz bevor, und sie durfte sich von ihrem charmanten Chef auf keinen Fall aus der Fassung bringen lassen!

„Ich muss noch einige ungeplante, aber wichtige Anrufe tätigen, bevor ich unsere Kunden treffe“, erklärte James, nachdem sie alle Details durchgesprochen hatten. „Ist es für Sie in Ordnung, wenn Sie allein zum Hafen fahren und die Jungs ein paar Minuten unterhalten, falls ich mich verspäte?“

Ellie beobachtete, wie James geistesabwesend etwas auf seinem Telefon betrachtete. Dann trank er einen Schluck Wasser und blickte sie über den Rand seines Glases hinweg an.

„Natürlich.“ Es wäre eine willkommene Chance, die wunderschöne Umgebung zu genießen, ohne dass er sie ablenkte. Ellie lächelte. „Muss ich irgendetwas über unsere Kontakte wissen? Abgesehen davon, dass sie jung sind?“

„Nein.“ Lächelnd ging er zur Tür. „Junge Computergenies. Und keine Sorge, ich lasse Sie nicht lange im Regen stehen.“

„Ich mache mir keine Sorgen.“ Ellie ging vor, und dabei stieg ihr der hölzerne Duft seines Aftershaves in die Nase.

„Das ist mein Mädchen“, murmelte er. „Ich kann mich immer auf Sie verlassen.“

Sie fragte sich, warum das vielmehr herablassend als wertschätzend klang. Aber seit wann reagierte sie so sensibel auf eine beiläufige Bemerkung?

„Danke“, erwiderte sie. „Schicken Sie mir eine SMS, falls und wenn ja, wie viel Sie sich verspäten?“

„Auf jeden Fall“, meinte er leise.

Ellie ignorierte seinen amüsierten Unterton. „Gibt es jetzt für mich noch irgendetwas Spezielles zu organisieren?“

„Was denn? Essen, Getränke, Tänzerinnen und Zirkusclowns?“

„Sehr witzig.“ Verzweifelt schnalzte sie mit der Zunge, woraufhin er noch breiter grinste. „Manchmal sind Sie wirklich unmöglich.“

„Sie sind die Einzige, die das schafft.“ Er sah sie mit einem unergründlichen Ausdruck in den Augen an, und sie musste einen Schauer unterdrücken.

„Was schaffen?“

„Mich in meine Schranken zu weisen.“

Plötzlich war Ellie völlig durcheinander und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. „Erzählen Sie mir nicht, dass Sie das gut finden“, bemerkte sie mit bebender Stimme.

„Vielleicht brauchen wir alle jemanden, der keine Angst davor hat, uns in die Schranken zu weisen. Vor allem einflussreiche Männer wie ich.“

Mit einem jungenhaften Lächeln brach er den Bann, und sie atmete erleichtert auf.

Dann dachte sie an seine Worte über die Zeit nach dem Tod seiner Eltern. Dass Max die Zügel übernommen und man seine Schwester aufgefangen hatte. Hatte er den Verlust verarbeitet, indem er sich hinter der charmanten Fassade verbarg?

„Ich werde rechtzeitig da sein“, wechselte Ellie schnell das Thema. „Sie müssen sich nicht beeilen, wenn Sie viel zu tun haben. Ich komme allein klar.“ Vermutlich war es sogar besser, seine potenziellen Geschäftspartner in lockerer Atmosphäre kennenzulernen, wenn James nicht dabei war und sie nervös machte.

Falls sie sich einig wurden – und das würden sie bestimmt, denn James verwandelte alles in Gold, was er anfasste –, dann würde hauptsächlich sie den Kontakt zu ihnen pflegen. So lief es immer ab. James zog die Geschäfte an Land und überwachte alles, bis er sich zurückziehen konnte und ihr und den verschiedenen Abteilungsleitern die Feinheiten überließ. Dann traten die Computergenies auf den Plan und machten aus den Programmen, die sie bekamen, Apps, mit denen sie Marktlücken schlossen.

Ellie beschloss, sich Informationen über die jungen Männer zu beschaffen. Zum Glück hatte sie sich heute einige Kleidungsstücke gekauft, mit denen sie einen besseren Eindruck machen würde.

Drei Jahre lang hatte sie sich konsequent im Hintergrund gehalten. Jahre der Angst, Jahre, in denen sie sich um ihre Mutter gekümmert und ihren eigenen Kummer unterdrückt hatte, hatten sie viel zu schnell erwachsen werden lassen.

Doch hier wollte sie nicht mehr die vorsichtige junge Frau sein, die kein Risiko einging. Ihr Chef hielt sie also für tüchtig und langweilig? Es würde ihr einen richtigen Kick verschaffen, ihm zu beweisen, dass es nicht nur ihre knielangen Röcke und braven Schuhe waren, die sie ausmachten …

Die kurze Taxifahrt vom Hotel zum Jachthafen war unangenehm, weil die Klimaanlage nicht funktionierte. Als er sich endlich einen Weg durch die Menge zum Katamaran gebannt hatte, schwitzte James – und kam eine halbe Stunde zu spät.

Zum Glück konnte er sich darauf verlassen, dass Ellie die Stellung hielt. Sie bewahrte in jeder Situation einen kühlen Kopf, hier würde es nicht anders sein.

Während er Ausschau nach der Luxusjacht hielt, die er für diesen Tag gechartert hatte, nahm James das Treiben um sich herum wahr, das Glitzern des Meeres und den strahlend blauen Himmel. Für einige Sekunden blieb er stehen und genoss den Moment. Das tat er nicht oft, denn wenn man ein Unternehmen leitete, konnte man nur selten innehalten. Er führte ein Leben auf der Überholspur, aber jetzt … Für einige Minuten ließ James einfach nur die Umgebung auf sich wirken.

Hinter ihm lag die Hauptstadt Bridgetown in der Sonne: ältere sowie moderne Gebäude, Geschäfte in fröhlichen Farben und Büros. Der Meeresgeruch mischte sich mit den Düften verschiedener Gerichte, die aus den Cafés und kleinen Restaurants an der Promenade drangen. Dort gab es außerdem viele kleine Läden, in denen man Kleidung in fröhlichen Farben, Hüte und Taschen erstehen konnte.

Als James sich Naomi in dieser Umgebung vorzustellen versuchte, war er unendlich erleichtert, dass es vorbei war. Vermutlich hätte sie seine volle Aufmerksamkeit beansprucht und erwartet, dass er sie an den Strand und in Restaurants begleitete.

Ellie hingegen …

James ging auf die Promenade zu und an kleinen Gruppen vorbei, die an Holztischen saßen und in der Sonne zu Abend aßen.

Dass er sich so verspätete, ärgerte ihn. Allerdings konnte er sich darauf verlassen, dass Ellie alles managte und die jungen Männer schon auf ihre späteren Rollen vorbereitete, sobald er die Firma gekauft hätte. Mit seinem Segen würden sie weiterhin Anteile daran besitzen.

Er fragte sich, welches Kostüm sie wohl trug, und überlegte, ob sie vielleicht ihre Komfortzone verlassen hatte und sich für etwas Farbenfrohes entschieden hatte. Aber das war schwer vorstellbar, denn im Gegensatz zu Naomi hatte Ellie keinerlei Bedürfnis, aufzufallen.

Schließlich entdeckte er den Katamaran. Dieser war eine Klasse für sich – glänzend schwarz und geräumig, mit Kajüten und einem kombinierten Ess- und Sitzbereich, der Schutz vor der brennenden Sonne gewährte.

Vielleicht sollte er sich zur Abwechslung mal kein Luxusweibchen suchen, sondern eine Frau, die ihn beruhigte. Ein rasantes Tempo, extremer Stress und hohe Risikobereitschaft – das machte sein Leben aus. Kritisch durchforstete er sein Gedächtnis. Gab es in seinem Leben Frauen, die eine beruhigende Wirkung auf ihn ausübten? Nicht dass er wüsste.

Je weiter James sich dem Katamaran näherte, desto mehr besserte sich seine Stimmung. Niemand befand sich an Deck, was bedeutete, dass wohl unter Deck bereits gearbeitet wurde.

James hörte Stimmen, als er an Bord ging.

Stimmen und Lachen.

Er hatte keine Ahnung, was er erwartet hatte, aber als er den Wohnbereich mit den Einbaumöbeln aus Kirschholz betrat, in dem die Cateringmitarbeiter des Hotels ein üppiges Buffet aufgebaut hatten, erlebte er eine heftige Überraschung.

Seine Geschäftspartner waren da, aber hier wurde nicht gearbeitet. Offenbar hatten sie bereits gegessen, denn auf den Tischen standen benutzte Teller, und sie hielten Bierflaschen in der Hand. Und offenbar erzählten sie sich gerade Witze, weil alle schallend lachten.

Und Ellie …

James wusste nicht, was ihn mehr schockierte – die Tatsache, dass sie ein enges Top und einen farbenfrohen Sarong trug, oder die, dass sie ebenfalls Bier aus der Flasche trank.

Was, zum Teufel, war hier los?

Natürlich hatte er Ellie vorher schon Alkohol trinken sehen, aber immer nur ein Glas Wein. Und wo waren ihr braver Rock, die brave Bluse, die vernünftigen Schuhe?

Und sie lachte!

Dass er so schockiert war, brachte ihn aus der Fassung, denn nichts an ihr war schockierend. Und hatte er sie nicht selbst ermutigt, sich entsprechend zu kleiden? Hatte er sie nicht mit ihren braven Outfits aufgezogen und sie ermuntert, neue Wege zu gehen?

Genau das tat sie nämlich. Dies war eine ganz andere Ellie. Diese Ellie war selbstsicher und sinnlich. Diese Ellie war eine ganz andere Frau. Anders als bei seinen Ex-Freundinnen war ihr Outfit vergleichsweise sittsam, und trotzdem wirkte sie verführerisch wie eine Sirene. Er musste sich gewaltsam von ihrem Anblick losreißen und einen Anflug von Eifersucht unterdrücken, weil er offenbar nicht der Einzige war, der sie bewundernd musterte. Dabei war Eifersucht überhaupt nicht sein Ding und würde es auch niemals sein!

Ellie bemerkte die Ankunft ihres Chefs, noch bevor er an der Tür erschien. Vielleicht hatte sie insgeheim auf ihn gewartet, denn obwohl sie locker mit den drei jungen Männern plauderte und lachte, war sie doch ein wenig angespannt.

Sicher, sie arbeitete. Anders als sonst trug sie allerdings nicht ihre Uniform. Tatsächlich hatte sie sich im Hotel vor dem Spiegel kaum wiedererkannt. Hatte sie durch die jahrelange Verantwortung wirklich vergessen, wie jung sie noch war? Nach dem vorzeitigen Tod ihres Vaters hatte sie schnell erwachsen werden müssen. Hatte sie sich vom Teenager zur Frau entwickelt, ohne je Spaß zu haben?

Obwohl ihr Outfit, das türkisfarbene Top und der farbenfrohe Sarong, alles andere als gewagt war, hatte sie es vor dem Spiegel so empfunden. Und sie hatte sich als das gefühlt, was sie war – eine junge Frau, die ein Recht auf Spaß hatte.

Nun, da James sie intensiv musterte, wollte sie sich nicht einschüchtern lassen und denken, sie hätte sich so kleiden sollen, wie er es zweifellos erwartet hatte.

Während Antony, Victor und Sol ihm mit ihren Bierflaschen zuprosteten, stand Ellie auf, ebenfalls die Flasche in der Hand, um die vier miteinander bekannt zu machen.

James kam auf sie zu, und sie ging ihm entgegen. Die Jacht schaukelte leicht auf dem Wasser.

„Nicht ganz das, womit ich gerechnet hatte“, murmelte er, sodass nur sie es hörte.

Seine Worte ärgerten sie. Hatte er erwartet, dass sie mit ihrem Tablet dasaß? Ja, bestimmt! Denn sie war die tüchtige Assistentin, die sich immer auf Abruf bereithielt.

Sie war empört und fühlte sich gleichzeitig ungewohnt wagemutig, angeregt durch ihr Outfit und die bewundernden Blicke der jungen Männer. Schon lange hatte sie keine derartigen Blicke mehr geerntet, und im Gegensatz zu sonst wollte sie sich in diesem Augenblick nicht im Hintergrund halten.

Deshalb plauderte und lachte sie weiter und nahm sogar noch ein Bier, als man es ihr anbot. Sie wusste genau, wann das Gespräch aufs Geschäftliche schwenkte. Sie musste alle erforderlichen Informationen nur abrufen und konnte auch nach zwei Bier noch mit Fakten und Zahlen aufwarten.

Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit erlaubte sie sich, Spaß zu haben. Sie hatten für diesen Tag einen Skipper engagiert, und als sie in See stachen, überkam Ellie ein überwältigendes Gefühl der Freiheit.

Etwas später saß sie mit angezogenen Beinen an Deck und blickte zum endlosen Horizont, während ihr Haar im Wind wehte. Der Himmel war strahlend blau, das Wasser dunkel und von Schaumkronen durchbrochen.

Victor hockte mit freiem Oberkörper neben ihr und erzählte ihr von Meeresschildkröten, mit denen man schwimmen konnte, und Rochen, die man beim Schnorcheln auf dem Meeresboden entdecken konnte. Außerdem lieferte er ihr unzählige Informationen über Kricket und empfahl ihr, unbedingt den Mount Gay Rum zu probieren.

Irgendwann warf der Skipper den Anker aus, und alle außer ihr sprangen ins Meer.

Durch die Sonnenbrille betrachtete sie ihren Chef, der um einiges größer und dank unzähliger Stunden im Fitnessraum auch viel muskulöser war als die anderen drei Männer. Obwohl er eine weite schwarze Badeshorts trug, ging ihre Fantasie mit ihr durch.

Als der Skipper schließlich den Anker lichtete und zurück zum Jachthafen fuhr, ging bereits die Sonne unter, und der Himmel färbte sich erst dunkelblau, dann schwarz.

Nach dem Bad im Meer waren die Männer zum Geschäftlichen übergegangen, und Ellie hatte sich zahlreiche Notizen auf ihrem Tablet gemacht. Für diesen Tag war das Treffen beendet!

„Jetzt übernehme ich“, informierte James den Skipper. Und als Ellie den jungen Männern an Land folgen wollte, streckte er den Arm aus und bedeutete ihr, stehen zu bleiben.

„Was … was ist los?“, fragte sie, als er zu ihrer Bestürzung wieder den Motor startete und die Jacht dann aufs offene Meer lenkte.

Natürlich kann er eine Jacht steuern, dachte sie, während sie widerstrebend seine gebräunten Unterarme betrachtete. Wahrscheinlich konnte er auch ein Flugzeug durch das Auge eines Hurrikans steuern.

„Wir müssen reden.“

„Vielleicht kann das bis morgen früh warten?“ Über die Schulter blickte sie zum erleuchteten Hafen.

Die Wirkung des Alkohols ließ allmählich nach, und während er in höherem Tempo dieselbe Strecke wie vorher an der Westküste entlangfuhr, verspürte sie ein Prickeln.

Sie wollte das hier nicht! Und dennoch …

Es lag etwas Aufregendes, Gefährliches in der Luft. Dies hier stand in krassem Gegensatz zum normalen Büroalltag. Das Panorama war jetzt ganz anders, weil die Küste im Dunkeln dalag und lediglich hier und dort Lichter funkelten. Und trotzdem war es nur unmerklich kühler, als James das Boot schließlich stoppte.

Als er sich zu ihr umwandte, konnte Ellie nur seine Silhouette ausmachen und den Ausdruck in seinen Augen nicht erkennen.

„Ist das hier nicht ein bisschen dramatisch?“ Sie lachte ein wenig nervös, weil sie seine Stimmung nicht erfassen konnte. „Ich meine, wenn Sie über den voraussichtlichen Abschluss sprechen wollen, hätten wir das auch morgen früh machen können. Ich habe zwar etwas Bier getrunken, erinnere mich aber noch an jedes Wort.“

„Ich hätte auch nichts anderes erwartet.“

„Was ist dann das Problem? Warum sind wir hier draußen?“

Das ist eine sehr gute Frage, dachte James. Nur leider wusste er keine ebenso gute Antwort darauf. Er wusste nur, dass die letzten Stunden auf diesem Katamaran eine harte Geduldsprobe gewesen waren, weil er ständig versucht hatte, Ellie wieder in die Schublade zu stecken, aus der sie unerwartet gesprungen war. Seine Verblüffung über ihr Outfit, darüber, dass sie Bier getrunken hatte und so locker und selbstbewusst mit den Typen umgegangen war, hatte ebenso schockierende wie unerwünschte Sehnsüchte in ihm geweckt. Die musste er vertreiben, und das frustrierte ihn, weil er nicht genau wusste, was genau er eigentlich vertreiben musste.

„Sie … Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie in einem knappen Top und einem Sarong anzutreffen“, erwiderte er und war schockiert über seinen strengen Tonfall.

„Wie bitte?“

James fuhr sich durchs Haar, während er Ellie unbehaglich betrachtete.

Das knappe Top betonte ihre perfekten kleinen Brüste, der Sarong ihren flachen Bauch und ihre langen Beine, besonders, wenn er beim Gehen verführerisch auseinanderklaffte.

Seit wann war Ellie die verführerischste Frau auf dem Planeten? Hatte er das schon vorher registriert und irgendwie verdrängt? Seit er an Bord war, war er das Opfer seiner Libido. Es hatte ihn unglaubliche Anstrengung gekostet, Ellie nicht anzustarren, und selbst das ausgedehnte Schwimmen hatte das Feuer, das plötzlich in ihm aufgeflammt war, nicht löschen können.

„Das soll nicht heißen, dass Sie nicht anziehen können, was Sie wollen“, sagte er rau. „Aber Sie haben mich überrascht …“

Verblüfft öffnete Ellie den Mund. „Sie sind mit mir hier rausgefahren, nur um mir das zu sagen?“ Wütend funkelte sie ihn an. „Und ich soll Ihnen auch noch dankbar sein, weil Sie nichts gegen meinen Kleidungsstil einzuwenden haben? Sie haben mir gesagt, ich soll mich dem Anlass entsprechend anziehen. Und das habe ich getan! Und über die Arbeit können wir auch morgen sprechen! Ihnen passt also nicht, was ich trage?“

Autor

Cathy Williams

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