Julia Gold Band 88

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NÄCHTE UNTER TAUSEND STERNEN von KAY THORPE
Mit klopfendem Herzen macht sich Chelsea auf den Weg nach Griechenland, um den medienscheuen Tycoon Nikos Pandrossos zu treffen. Dass sie Reporterin ist, verrät sie ihm nicht. Ein Fehler, den sie bitter bereut, als sie in Nikos‘ Armen liegt - sie weiß, wenn er die Wahrheit erfährt, wird er sie für immer hassen …

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  • Erscheinungstag 06.09.2019
  • Bandnummer 88
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713164
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kay Thorpe, Susan Mallery, Madeline Ker

JULIA GOLD BAND 88

1. KAPITEL

Die schäumende Bugwelle einer vorbeifahrenden Fähre ließ das Boot tanzen, und Chelsea bemühte sich, das Gleichgewicht zu halten. Mit einer Mischung aus Erwartung und einer gewissen Unruhe schaute sie auf die Insel vor ihnen. Wieder einmal lag berufliche Ethik mit ihren Ambitionen im Widerstreit. Aber wer in ihrer Lage hätte gezögert, eine solche Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen?

„Das ist Skalos“, erklärte der Mann am Steuerrad des luxuriösen Kabinenkreuzers und reduzierte die Geschwindigkeit. „Willkommen in meiner Heimat.“

Chelsea wandte sich mit einem Lächeln zu dem gut aussehenden jungen Griechen um. Sie bewunderte im Stillen seinen schlanken, braun gebrannten Körper in der kurzen Jeans.

„Ich hoffe, deine Familie denkt das Gleiche.“

Seine weißen Zähne funkelten im Sonnenlicht. „Meine Freunde sind immer willkommen.“

„Selbst fremde?“

Er lachte. „Wir haben keine Streitigkeiten mit den Engländern.“

„Na ja, aber so richtig alte Freunde sind wir nicht gerade“, murmelte sie.

„Wir sind auch nicht alt genug, um alte Freunde sein zu können“, meinte er locker. „Und was macht es schon aus, wie lange wir uns kennen? Zwei Tage oder zwei Jahre – es wäre das Gleiche. Wir sind, wie sagt man – komparabel?“

„Kompatibel. Wir passen zusammen.“ Was wirklich der Fall zu sein scheint, überlegte Chelsea. Vom ersten Moment an, auf Skiathos, hatten sie sich prächtig verstanden. Ansonsten würde sie kaum das tun, was sie gerade tat.

„Wie viele Mitglieder der Familie Pandrossos gibt es denn hier auf der Insel?“, fragte sie in leichtem Ton, als die bewaldete, hügelige Landschaft in der heißen Nachmittagssonne klarere Konturen annahm.

„Nikos ist der Einzige, außer uns natürlich. Aber einigen anderen Familien ist es gestattet worden, hier ebenfalls zu wohnen.“

„Ist es eine Privatinsel?“

„Sie gehört der Firma.“ Einen Moment lang verdüsterte sich sein Gesicht. „Der Firma, deren Präsident mein Vater hätte werden müssen, als vor vier Jahren sein Bruder starb.“

Soweit Chelsea wusste, hatte Nikos Pandrossos, der Sohn des verstorbenen Firmenchefs, zu viele Anteile geerbt, als dass sich sein Onkel hatte durchsetzen können. Aber anscheinend machte er seine Sache gut. Pandrossos Shipping hatte sich hervorragend entwickelt.

Er musste jetzt sechsunddreißig sein, noch ziemlich jung für eine solche Position. Und Multimillionär, wurde gesagt. Vor drei Jahren waren seine Frau und seine Mutter bei einem Bootsunglück ertrunken, ihm war nur sein kleiner Sohn geblieben. Das war alles, was sie an persönlichen Informationen in Erfahrung hatte bringen können. Nikos Pandrossos’ Privatleben war ein Geheimnis. Und für jeden engagierten Journalisten eine Herausforderung wie das rote Tuch für einen Bullen.

Mit achtzehn hatte Chelsea von ihrem Großvater mütterlicherseits ein Vermögen geerbt, das ihr ein einigermaßen bequemes Leben ermöglichte. Dennoch brachte sie ihr Journalistikstudium drei Jahre später mit einem Superexamen und dem tiefen Wunsch zu Ende, sich in ihrem zukünftigen Beruf einen Namen zu machen.

Sie hatte Glück gehabt und bei einer der führenden Zeitungen einen Job bekommen. Für ein Jahr wechselte sie dann zum World Magazine über, bereits mit beachtlichem Erfolg. Da sie finanziell abgesichert war, arbeitete sie anschließend als freiberufliche Journalistin und genoss die Freiheit, sich ihre Storys selbst aussuchen zu können. Und sie verkauften sich auch noch gut. Mit fünfundzwanzig führte sie ein Leben, das die meisten Menschen wohl als ausgesprochen beneidenswert bezeichnen würden, auch wenn es ganz und gar von Arbeit ausgefüllt war.

So hatte sie sich entschlossen, einmal ein Vierteljahr frei von allem zu nehmen, und in diesen drei Monaten griechische Inseln zu bereisen. Skiathos war ihre dritte Station gewesen, nach Limnos und Alonnisos. Sie hoffte, in diesen Monaten genügend Material für eine touristische Artikelserie zusammenzubekommen.

Sie hatte morgens beim Kaffee in einer der Tavernen herumgesessen, beobachtet, wie die Boote hereinkamen oder ausliefen. Dabei war ihr nicht entgangen, wie Dion alle weiblichen Blicke auf sich zog, wenn er geschmeidig an Land sprang, nachdem er sein Boot vertäut hatte.

Er wirkte wie jemand, der es bei Frauen leicht hatte, so wie er dastand, die Hände in die Taschen der maßgeschneiderten Designerjeans geschoben, und sich interessiert umschaute. Sie schaute fort, noch ehe seine beunruhigend dunklen Augen die ihren gefunden hatten, aber sie spürte, sein Blick lag auf ihr.

Er war nicht der erste Grieche, der die Mischung aus langem, weizenblondem Haar und strahlend blauen Augen mehr als reizvoll fand. Chelsea hatte alle anderen bisher kühl und effektiv abblitzen lassen, und sie war bis jetzt sehr gut damit gefahren. Dion dagegen war aus härterem Holz geschnitzt. Anstatt das Weite zu suchen, hatte er gelacht und sich mit einem Charme vorgestellt, der den Widerstand der meisten Herzen gebrochen hätte.

Sein Name allein hatte jeden möglichen Protest ihrerseits erstickt. Er war tatsächlich ein Verwandter des Mannes, den schon so viele ergebnislos hatten interviewen wollen.

Zudem hatte sie jede Minute mit Dion genossen – besonders, nachdem sich unerwartet herausgestellt hatte, dass er eine Beziehung nach ihren Regeln akzeptierte. Die Eröffnung, dass er zum fünften Geburtstag seines kleinen Cousins fuhr und sie einlud, mitzukommen, hatte gemischte Gefühle bei ihr ausgelöst. Aber dann hatte doch die Verlockung gesiegt. Noch nie war jemand aus ihrer Branche so dicht an Nikos Pandrossos herangekommen. Wenn sie ihn zu einem Interview überreden konnte, würde das einen Höhepunkt ihrer bisherigen journalistischen Laufbahn bedeuten.

Sie liefen in eine kleinere Bucht ein, in der schon eine schlanke Segeljacht vor Anker lag. Bäume säumten den Strand, und sie konnte eine schmale Straße erkennen. Ein Wagen stand dort. Ein Mann stieg aus, als Dion die Jacht geschickt an den felsigen Anleger manövrierte. Er hob eine Hand zum Gruß.

„Cousin Nikos“, sagte Dion.

Chelsea antwortete nicht, denn ihr Puls war schlagartig in die Höhe geschossen beim Anblick der wartenden Gestalt. Hochgewachsen, mit beeindruckenden breiten Schultern unter dem weißen T-Shirt, wirkte er ausgesprochen einschüchternd. Er trug eine enge Jeans, die seine schmalen Hüften und die muskulösen Schenkel hervorhob. Die personifizierte Männlichkeit! schoss es ihr durch den Kopf.

Dion sprang an Land, vertäute das Boot und reichte ihr dann die Hand beim Aussteigen.

„Ich nehme deine Tasche“, sagte er und griff nach dem einzigen Gepäckstück, das sie sich für diese Reise gestattet hatte. Seine dunklen Augen blitzten sie humorvoll an, als sie automatisch protestieren wollte. „Muss ich mich mit dir deswegen prügeln?“

Chelsea lachte und ließ die Tasche los. „Es liegt wohl daran, dass ich es gewohnt bin, alles allein zu machen.“

Ihr Lächeln verblasste, als sie den Anleger verließen und über den Strand auf Nikos Pandrossos zugingen. Er musterte sie von oben bis unten mit einer Gründlichkeit, dass ihr das Blut in die Wangen stieg. Ihre langen, schlanken Beine, die kurzen weißen Shorts, die schmalen Hüften, die festen Brüste unter dem Sonnentop und die blauen Augen. Er verzog schwach den Mund.

„Dies ist Chelsea Lovatt, Nikos“, meinte Dion, und es lag eine leichte Herausforderung darin. „Eine englische Freundin, die für ein paar Tage bleibt.“

„Chelsea?“, fragte Nikos lakonisch nach. „Sie sind nach einem Stadtteil von London benannt worden?“

„Ich wurde nach einer Figur in einem Buch benannt, das meine Mutter während ihrer Schwangerschaft las“, gab Chelsea leichthin zurück. „Sie hat wohl gehofft, ich würde ebenso werden.“

Nikos Pandrossos verzog leicht den Mund. „Und? Sind Sie es?“

„Keine Ahnung“, parierte sie. „Ich habe das Buch nie gelesen.“ Sie streckte eine Hand aus. „Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen, Kyrie Pandrossos“, sagte sie betont höflich.

Er neigte kaum merklich den Kopf. Die Andeutung von Grau zeigte sich an seinen Schläfen, als die Sonne darauf schien. Seine Hand war kühl, aber als seine Finger ihre Hand mit festem Griff umfassten, durchfuhr es sie wie ein elektrischer Schlag.

„Die Ehre liegt ganz auf meiner Seite, Despinis – Miss“, spottete er.

Chelsea widerstand dem dringenden Wunsch, ihre Hand zurückzureißen und sie in eine Tasche ihrer Shorts zu stecken. Nun, wo sie den Mann kennengelernt hatte, wurde ihr bewusst, welche schwierige Aufgabe sie sich vorgenommen hatte. Zuerst einmal war sie unter falschem Vorwand hier, was ihr kaum in diesem Fall helfen würde. Sehr wahrscheinlich würde sie hochkant von der Insel fliegen, sobald er den wahren Grund erfuhr.

Aber liebte sie nicht die Herausforderungen?

„Nimmst du uns zum Haus mit?“, fragte Dion.

„Ich werde euch kaum auf ein anderes Transportmittel warten lassen, oder?“ Nikos öffnete die Beifahrertür des Range Rover und bemerkte mit einem ironischen Lächeln zu Chelsea: „Ich beiße nicht. Nur wenn ich provoziert werde. Aber falls Sie lieber hinten sitzen möchten …“

„Mir ist es völlig egal, wo ich sitze“, erwiderte sie gespielt locker. „Danke, Kyrie

„Sie können mich Nikos nennen“, meinte er, als sie auf den Sitz schlüpfte.

„Gut, dann … danke, Nikos.“ Sie gab sich alle Mühe, nicht ebenfalls ironisch zu klingen. „Ich habe für Formalitäten nicht viel übrig.“

Sein Blick blieb einen Moment lang auf ihren langen braunen Beinen in den kurzen Shorts liegen. „Das hatte ich mir fast gedacht.“

Dion stieg hinten ein, während sein Cousin um den Wagen herumging und hinter das Steuer schlüpfte. Er setzte den Wagen ein Stück zurück, wendete und fuhr los. Wenig später hatten sie die Bäume hinter sich.

Von hier aus hatten sie einen offenen Blick aufs Festland, das nur ungefähr zehn bis zwölf Kilometer entfernt lag. Der Horizont waberte in der Hitze. In einiger Entfernung war eine weitere kleine Insel zu sehen. Auf ihrer höchsten Erhebung entdeckte Chelsea so etwas wie eine Ruine.

„Ist diese Ruine von historischer Bedeutung?“, fragte sie interessiert.

„Es ist einfach nur eine Ruine“, sagte Dion.

„Das sind die Überreste einer kleinen Kapelle. Dort hat vor langer Zeit einmal ein Einsiedler gelebt“, erklärte Nikos. „Wir haben uns nie die Mühe gemacht, diese Insel näher zu erforschen, aber Sie dürfen es gern, wenn Sie möchten.“

Chelsea warf ihm einen schnellen Blick zu. Sie sah ein markantes Profil mit schmaler, gerader Nase und einem energischen Kinn. Sein Mund war gut geformt, feste Lippen. Wundervoll zu küssen, dachte sie unwillkürlich, verdrängte aber diesen unerwünschten Gedanken schleunigst.

„Vielen Dank, aber ich werde kaum lange genug hier sein, um mir historische Denkmäler genauer ansehen zu können.“

„Sie haben andere Verpflichtungen?“

„Nein, das nicht. Zumindest nichts Konkretes. Ich reise die nächsten Wochen einfach nur so herum, wohin mich die Laune treibt. Ich will so viel wie möglich von den Inseln sehen.“

„Allein?“ Seine Meinung war deutlich herauszuhören. „Ist das wirklich klug?“

„Ich kann sehr gut auf mich aufpassen“, erwiderte sie ruhig. „Und allein zu reisen bedeutet, dass ich mich nur um mich kümmern muss.“

„Haben Sie Familie in England?“

„Eltern, ja.“

„Es macht ihnen nichts aus, dass Sie allein in der Weltgeschichte herumreisen?“

Sie lachte kurz auf. Ein wenig zu kurz. „Sie haben volles Vertrauen in mich.“

„Aber offensichtlich wenig Autorität über Sie.“

„In meinem Land hält man Frauen meines Alters für alt genug, ihr Leben selbst zu gestalten.“

„In meinem Land sind Frauen in Ihrem Alter ihrem Ehemann gegenüber verantwortlich“, kam die ungerührte Antwort. „Gibt es keinen Mann in Ihrem Leben?“

„Keinen, den ich heiraten möchte, falls Sie das meinen.“ Sie verlor allmählich die Geduld bei dieser Inquisition. „Ich habe keinerlei Interesse an einer Heirat.“

Nikos musterte sie nochmals. „Sie sollten es sich ernstlich überlegen, solange Sie noch die Zeit haben.“

Chelsea konnte sich gerade noch eine gesalzene Antwort verkneifen. Schließlich wollte sie ja etwas von diesem Mann, und dazu durfte sie ihn nicht verärgern.

„Ich bin Ihnen für Ihre Fürsorglichkeit wirklich dankbar, Kyrie“, sagte sie leichthin. „Nur wenige würden diese Mühe auf sich nehmen.“

Er schien unbeeindruckt. „Sie wollten mich doch Nikos nennen.“ Mehr sagte er nicht.

Dion, der die ganze Zeit geschwiegen hatte, meinte wohl, sich bemerkbar machen zu müssen. „Meine Schwester wird sich freuen, dass du hier bist“, meinte er. „Sie beschwert sich immer über den Mangel an weiblicher Gesellschaft. Florina ist auch unverheiratet, aber sie hofft, in absehbarer Zeit verheiratet zu sein“, betonte er. „Ich bin sicher, ihr werdet euch mögen.“

„Wenn sie so fließend Englisch spricht wie ihr zwei, wird es keine Kommunikationsprobleme geben“, antwortete Chelsea. „Mein Griechisch ist noch sehr dürftig.“

„Weiß Dimitris eigentlich schon, dass es eine Geburtstagsparty geben wird?“, wechselte Dion nun das Thema. „Oder soll es eine Überraschung sein?“

„Es ist besser, es ist eine Überraschung, als dass er enttäuscht ist, wenn doch noch etwas schiefgeht“, erwiderte Nikos.

„Mögen Sie Kinder?“, wandte er sich an Chelsea.

„Ich könnte kein ganzes essen“, machte Chelsea einen Witz, und Dion hinter ihr prustete los. „Verzeihung, das war ein wenig grob“, entschuldigte sie sich und fügte vorsichtig hinzu: „Manche Kinder mag ich.“

„Dimitris wird dir gefallen“, versicherte ihr Dion. „Er ist wirklich ein liebenswerter Kerl.“

„Sie sind eingeladen, mit uns zu feiern, wenn Sie möchten“, lud Nikos sie ein.

Chelsea hatte das Gefühl, Dion hatte ihm durch seine Worte keine andere Wahl gelassen.

„Das ist sehr nett von Ihnen“, sagte sie förmlich, um nicht aufdringlich zu wirken. „Aber ich möchte nicht bei einer Familienfeier stören.“

Nikos fuhr den Wagen durch das schmiedeeiserne Doppeltor. Sein Gesicht war ausdruckslos. „Wir haben auch Gäste vom Festland, so kann also von Stören nicht die Rede sein.“

„In diesem Fall komme ich sehr gern. Vielen Dank, Ky… ich meine, Nikos.“

Er nickte flüchtig. „Keine Ursache.“

Das Haus, das nun in Sicht kam, war moderner, als Chelsea es erwartet hatte. Ein einstöckiges Gebäude, das sich zu mehreren Seiten hin erstreckte, als wären nachträglich Teile hinzugefügt worden.

Nikos hielt vor dem Eingang an, stieg aber nicht mit aus.

„Ich bin heute Abend zum Essen eingeladen – bis später also. Kali andámossi“, fügte er die griechische Formel für ein gutes Wiedersehen hinzu und fuhr gleich darauf davon.

„Komm, ich möchte dir meine Mutter vorstellen“, sagte Dion. „Mein Vater ist im Augenblick geschäftlich unterwegs, aber er wird wohl morgen zur Party zurück sein.“

Chelsea war vom Äußeren des Hauses ein wenig enttäuscht gewesen, und die Inneneinrichtung gefiel ihr kaum besser. Üppig mit Marmor und Gold ausgestattet, wirkte es eher wie aus einer Wohnzeitschrift als ein Heim. Sie folgte Dion durchs Haus hinauf auf eine große Terrasse, hinter der sich ein ebenso großer Swimmingpool mit Blick aufs Meer befand.

Die Frau, die auf einer Liege unter einem breiten Sonnenschirm lag, richtete sich auf, als sie herankamen. Ihr Lächeln wirkte ein wenig resigniert, als sie Chelsea erblickte. Sie sagte etwas auf Griechisch, und Chelsea hatte das unbestimmte Gefühl, vielleicht doch nicht so ganz willkommen zu sein.

„Dies ist Chelsea Lovatt aus England“, stellte Dion sie seiner Mutter nun vor. „Ich habe sie eingeladen, ein paar Tage unser Gast zu sein.“

„Chéro poli – sehr erfreut –, Kyria Pandrossos“, sagte Chelsea höflich. „Ich hoffe, ich störe nicht.“

„Die Freunde meines Sohnes sind immer willkommen“, erwiderte die Dame des Hauses in hervorragendem Englisch. „Bitte, setzen Sie sich doch. Sie machen Urlaub in Griechenland?“

„Das stimmt.“ Chelsea setzte sich auf den Stuhl neben sie. „Bevor ich nach Haus zurückfliege, möchte ich so viele Inseln wie möglich sehen.“ Sie lächelte. „Diese hier stand sozusagen nicht auf meiner Liste, aber ich bin dankbar, dass ich sie hinzufügen kann.“

„Nur wenige Fremde besuchen Skalos“, erwiderte ihre Gastgeberin. „Dion, könntest du dich bitte um Getränke kümmern?“

„Natürlich. Was möchtest du, Chelsea?“

„Ein großes Glas kalte Limonade wäre wundervoll“, sagte Chelsea.

Dions Mutter, in einem schicken goldfarbenen Kaftan, lehnte sich wieder bequem zurück. Sie musste über vierzig sein, sah aber wie Mitte dreißig aus.

„Nun sehe ich, woher Dion sein Aussehen hat“, sagte Chelsea fast mehr zu sich. Dions Mutter lächelte geschmeichelt.

„Mein Sohn und ich haben vieles gemeinsam.“ Sie schaute Chelsea an, musterte ihr Äußeres. „Sie sind auch sehr attraktiv. Dion hat eine Schwäche für blondes Haar, da musste er ja auf Sie aufmerksam werden.“

Es war eine Warnung, das spürte Chelsea. Unnötig, da sie keinerlei Absichten hatte, was Dion betraf. Aber das konnte seine Mutter natürlich nicht wissen.

„Ich hatte schon überlegt, sie völlig abzuschneiden, einfach nur um zu sehen, ob ich immer noch denselben Eindruck mache“, sagte sie ironisch.

Erstaunt sah Dions Mutter sie einen Moment lang an, lächelte aber, als sie begriff, dass Chelsea nur Spaß gemacht hatte. „Das wäre wirklich ein sehr drastisches Experiment. Nur wenige Männer fühlen sich zu glatzköpfigen Frauen hingezogen, egal wie sie aussehen. Dion gehört ganz sicher nicht zu ihnen.“

„Das hatte ich auch schon angenommen“, versicherte ihr Chelsea und fügte impulsiv hinzu: „Er und ich sind nur gute Freunde, und dabei wollen wir es auch belassen. Wenn ich gehe, sollen keine gebrochenen Herzen zurückbleiben.“

„Das kannst du für dich sagen, aber mein Herz ist bereits gebrochen!“ Dion kam heran, er hatte die letzten Worte mitbekommen.

Chelsea lachte. „Es wird schnell wieder heilen.“

„Englische Frauen sind absolut unromantisch!“, beschwerte er sich theatralisch und warf sich auf eine der Liegen. „Ich werde hier liegen und mich grämen um das, was zwischen uns hätte sein können!“

Seine Mutter wirkte ein wenig durcheinander. Ihr schien eine solche Beziehung, wie Chelsea und ihr Sohn sie pflegten, etwas ungewohnt zu sein.

Die Drinks wurden von einem jungen Mann in dunkler Hose und weißem Hemd gebracht. Dion hätte sie auch gut selbst mitbringen können, dachte Chelsea. Aber so wie er aufgewachsen war, war es wohl selbstverständlich, sich bedienen zu lassen.

„Ich wusste gar nicht, dass du gebeten hattest, dass euch ein Wagen vom Strand abholt, Dion“, sagte Kyria Pandrossos, als sie die Gläser hoben. „Sonst hätte ich euch erwartet.“

„Ich habe auch nicht angerufen. Nikos hat uns hergebracht. Er sagte, er würde zum Abendessen hier sein.“

„Wie schön! Er wusste vorhin noch nicht, ob er es schaffen würde. Wir müssen Hestia sagen, dass der Tisch für zwei weitere Personen gedeckt werden muss.“

„Schon geschehen.“ Dion trank einen Schluck. „Florina wird sich freuen, unseren Cousin zu sehen.“

„Wie wir alle.“ Es klang ein wenig tadelnd. „Du darfst deine Schwester nicht verspotten, Dion. Sie ist ein sehr empfindsamer Mensch.“

„Nikos verspottet sie, nicht ich. Er weiß, was sie für ihn fühlt, hält sich aber völlig zurück!“

„Ich bin sicher, er wird bald mit ihr sprechen. Dimitris braucht eine Mutter, die sich um ihn kümmert, wenn sein Vater geschäftlich unterwegs ist. Er muss es wissen.“

Nikos Pandrossos heiratet also seine Cousine, dachte Chelsea. Zumindest sah es so aus. Eine gute Angelegenheit zumindest für die Familie, da gab es keinen Zweifel. Nur Florina tat ihr leid – einen Mann wie Nikos Pandrossos zu heiraten. Wenn sie jemals einen Macho gesehen hatte, dann ihn!

2. KAPITEL

Chelseas Zimmer war im gleichen üppigen Stil eingerichtet wie das restliche Haus. Auf dem breiten Bett lag eine blassgelbe Decke, die farblich zu den Vorhängen passte, und der Boden war mit weichem Teppichboden in Preußischblau ausgelegt. Ein eigenes Bad gehörte dazu, in dem die Badewanne per Knopfdruck in einen Whirlpool umgewandelt werden konnte.

„Ich hoffe, du fühlst dich wohl“, bemerkte Dion.

„Es ist wirklich der reinste Luxus!“

„Meine Mutter liebt den italienischen Lebensstil“, erklärte er ihr. „Du wirst sehen, dass Nikos’ Haus völlig anders ist.“

„Eher traditionell?“

„Wenn du damit meinst, ob er das Alte dem Neuen vorzieht, dann hast du recht.“

„Wobei Frauen Menschen zweiter Klasse sind, stimmt’s?“

„Natürlich. Sie werden geboren, dem Mann zu Diensten zu sein.“ Grinsend wich Dion dem Kissen aus, das sie auf ihn schleuderte. „Zumindest einige Frauen.“

„Sieht Florina ihren Lebenssinn darin?“

„Meine Schwester wird das tun, was notwendig ist, um das zu bekommen, was sie sich im Leben am sehnlichsten wünscht.“

„Nikos zu heiraten?“

„Ja.“

Chelsea setzte sich aufs Bett und begann ihre Sachen auszupacken.

„Wie geschah das Unglück mit seiner Frau?“, fragte sie wie nebenbei.

„Die Jacht, mit der sie von einem Besuch des Festlands zurückkamen, hatte einen Maschinenschaden, trieb bei Sturm gegen einen Felsen und sank. Die Mannschaft konnte sich retten, aber meine Tante und ihre Schwiegertochter wurden unten eingeschlossen und ertranken.“

„Es muss schrecklich für ihn gewesen sein, beide gleichzeitig zu verlieren“, sagte Chelsea voller Mitgefühl. „Wie, um alles in der Welt, ist er damit fertig geworden?“

„So, wie er mit allem fertig wird. Nikos ist ein wahrer Meister darin, seine Gefühle zu verbergen.“ Dion, der am Fenster gestanden hatte, kam herüber. „So, ich überlasse dich dem Auspacken.“

„Da gibt es nicht viel zu tun. Ich hoffe, es wird keine Abendkleidung beim Essen verlangt. Da müsste ich nämlich passen, denn darauf bin ich nicht eingestellt.“

Dion lachte. „Keine Bange, wir legen keinen Wert auf Förmlichkeiten. Und du wirst in allem wunderschön aussehen. Bei solchen Augen braucht man keine Juwelen.“

„Du schamloser Schmeichler!“

„Bei anderen funktioniert es“, gab er unverfroren zurück.

Chelsea bezweifelte es nicht und wunderte sich ein wenig, dass ihre Sinne nicht im Mindesten auf ihn reagierten.

Bei seinem Cousin war es anders, musste sie sich eingestehen. Von ihm ging eine erotische Ausstrahlung aus, der sie sich nicht entziehen konnte. Allerdings konnte das nichts an der Abneigung ändern, die sie ihm gegenüber empfand.

Noch hatte sie sich keinen Plan zurechtgelegt, wie sie am besten an ein Interview herankam. Am besten wäre es, wenn er irgendwie in ihrer Schuld wäre, aber dazu fiel ihr nichts ein. Aber vielleicht ergab sich irgendwann eine Gelegenheit. Und auf jeden Fall musste sie es vermeiden, ihn gegen sich aufzubringen.

Dion sah sie neugierig an. „Du siehst aus, als hättest du ein Problem … Kann ich dir vielleicht helfen?“

„Ach, ich habe nur überlegt, ob ich nicht erst ein wenig schwimme und danach zu Ende auspacke“, improvisierte sie. „Ich kann doch den Swimmingpool benutzen, oder?“

„Aber sicher. Wozu ist er wohl sonst da? Ich ziehe mir nur schnell eine Badehose an, dann können wir zusammen schwimmen. Du findest doch allein den Weg zum Swimmingpool, oder?“

„Bestimmt.“ Es war wirklich keine schlechte Idee, ins kühle Wasser zu springen. Vor neun Uhr würde es kein Abendessen geben, und es war erst halb sieben. Genügend Zeit also, sich hinterher noch zurechtzumachen. „Also, dann bis gleich.“

Ihr blauer Bikini erschien ihr für diese Gelegenheit ein wenig zu winzig. So zog sie sich ihren einteiligen schwarzen Badeanzug an, vergaß dabei allerdings, dass er so eng anlag, dass er weitaus provokanter wirkte. Um nicht halb nackt durchs Haus zu wandern, schlüpfte sie noch in ein übergroßes weißes T-Shirt. Die Haare band sie sich mit einem Haargummi im Nacken zusammen.

Kyria Pandrossos lag nicht mehr auf der Terrasse, ihren Platz hatte eine jüngere Ausgabe von ihr eingenommen. Sie blickte Chelsea wenig gastfreundlich an.

„Sie müssen Florina sein.“ Chelsea streckte ihr lächelnd die Hand entgegen. „Ich bin Chelsea Lovatt, eine Freundin von Dion.“

„Weswegen sind Sie hier?“, kam die barsche Frage.

Chelsea lächelte weiterhin. „Ihr Bruder hat mich eingeladen. Wir wollen schwimmen.“

Das bezaubernde Gesicht blieb weiterhin abweisend. „Dion benutzt unser Heim, als wäre es ein Hotel! Er hat kein Recht, Leute ohne Erlaubnis mit herzubringen!“

„Ihre Mutter schien nichts dagegen zu haben“, erwiderte Chelsea ruhig.

Ihr Gegenüber schaute noch böser. „In ihren Augen kann mein Bruder gar nichts Schlechtes tun, aber das heißt noch lange nicht, dass er immer recht hat.“

Geschwisterliche Eifersucht, konstatierte Chelsea mit einigem Mitgefühl. In diesem Land galten die Söhne alles.

Sie war froh, als nun Dion herauskam.

„Los, wir schwimmen über sechs Längen!“, forderte er Chelsea heraus. „Und diesmal gewinne ich!“

Lachend zog sie sich ihr T-Shirt aus, streifte die Sandalen ab und sprang ins Wasser. Dann schwammen sie beide auf gemeinsames Kommando los.

Nach der Schule hatte sie den Schwimmsport aufgegeben, aber sie war weiterhin im Training geblieben, um fit zu bleiben. So hatte sie bei den ersten Längen wenig Schwierigkeiten, mit Dion mitzuhalten und hätte ihn auch auf der letzten sicher geschlagen. Aber um seinen männlichen Stolz nicht zu verletzen, durfte er als Erster ankommen.

„Du hast gewonnen“, sagte sie mit gespielter Resignation und trat Wasser.

Da sein Ego Streicheleinheiten bekommen hatte, konnte er es sich leisten, großzügig zu sein. „Aber nur fast. Du schwimmst schneller als jede andere Frau, die ich kenne. Ich habe mich schon beim ersten Mal darüber gewundert.“

„Ich weiß.“ Sie schnitt ein Gesicht. „Ich muss mich wohl damit abfinden, nur Zweitbeste zu sein, wenn es darauf ankommt.“

Sie schwamm hinüber zu der metallenen Leiter auf der anderen Seite. Als sie die Hälfte der Stufen hinauf war, hielt sie abrupt beim Anblick des Mannes neben Florina inne. Aber es war zu spät, wieder ins Wasser zu gleiten, denn er sah sie direkt an.

Er stand auf, nahm ein Badelaken und brachte es ihr. Anstatt es ihr einfach hinzulegen, öffnete er es einladend, einen spöttischen Ausdruck in den dunklen Augen.

„Na, kommen Sie heraus?“, fragte er. „Oder haben Sie inzwischen Ihre Meinung wieder geändert?“

„Ich komme heraus.“ Sie zog sich hoch und nahm das Badelaken an, ohne ihn dabei anzusehen. In seiner maßgeschneiderten cremefarbenen Hose und dem dunkelbraunen Hemd sah er beunruhigend gut aus.

„Passen Sie auf, dass ich Sie nicht nass spritze“, heuchelte sie und hoffte, er würde zurücktreten.

„Ach, Wasser schadet nicht“, sagte er. „Warum haben Sie Dion gerade gewinnen lassen?“

Mit dem Laken um sich fühlte sie sich weitaus sicherer. Sie schaute ihn mit unschuldigen blauen Augen an. „Warum sollte ich das getan haben?“

„Weil Sie damit etwas gewinnen wollten, vielleicht?“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Gewinnen?“

„Mir brauchen Sie nichts vorzuspielen“, sagte er schroff. „Dion mag nicht über Ihren Körper und Ihr Gesicht hinausschauen, aber ich bin nicht so leicht zu blenden. Es steckt ein Grund dahinter, warum Sie so mit ihm umgehen – warum Sie hier sind.“

Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Aber dann beruhigte es sich wieder. Sie hatte nichts zu befürchten. Sein Verdacht ging in eine ganz andere Richtung.

„Wenn Sie glauben, ich hätte Ambitionen, in Ihre Familie hineinzukommen, irren Sie sich“, erwiderte sie ungeschminkt. „Dion hat ganz allein gewonnen. Sie sollten ihm den Sieg nicht verderben, indem Sie ihm etwas anderes unterstellen.“

„Das Einzige, was ich vielleicht unterstelle …“

Er brach ab, als sein Cousin hinter Chelsea aus dem Wasser kam. Offensichtlich wollte er die Unterhaltung vor ihm nicht weiterführen.

„Wir haben dich erst später erwartet“, meinte Dion, und es klang nicht sehr erfreut.

„Ich habe ein paar Sachen mit deiner Mutter zu besprechen“, erwiderte Nikos und fügte dann ironisch hinzu: „Falls ein Grund genannt werden muss.“

Er warf Chelsea einen schnellen Blick zu. Dann ging er davon.

„Was hat er zu dir gesagt?“, erkundigte sich Dion und riss sie damit aus ihren Gedanken.

„Ach, nichts Wichtiges“, sagte sie leichthin. „Aber jetzt werde ich wohl zu Ende auspacken. Und ich will mir auch noch die Haare waschen, wenn noch genügend Zeit ist.“

„Wir essen um neun – du hast also noch zwei Stunden Zeit.“

Florina, die jetzt allein dasaß, sah sie böse an. Chelsea lächelte ihr zu, als sie an ihr vorbeiging. Sie war sich keiner Schuld bewusst, dass Nikos gegangen war. Wenn er gewollt hätte, wäre er sicherlich geblieben.

Als sie endlich ihre Tür sicher hinter sich geschlossen hatte, besah sie sich für einen Moment in dem großen Ankleidespiegel. Sie versuchte sich zu sehen, wie Nikos sie offensichtlich sah – er musste in seinem Leben bereits so viele raffgierige Frauen erlebt haben, dass er annahm, alle wären gleich.

Dabei hatte sie es in dieser Hinsicht gar nicht auf ihn abgesehen!

Sie duschte, wusch sich und föhnte die Haare und besah sich dann ihre Kleidersammlung. Abgesehen von den Badesachen hatte sie nur zwei knitterfreie Kleider, drei Röcke, eine Seidenhose und verschiedene Tops mitgenommen. Schließlich entschied sie sich für das blaue Hemdblusenkleid, legte ein wenig hellrosa Lippenstift auf und einen Hauch braune Wimperntusche, dazu eine schlichte Goldkette und ein passendes Armband. Mehr hatte sie auch gar nicht dabei.

Kurz vor halb neun verließ sie das Zimmer. Abgesehen von einigen Hausangestellten traf sie niemanden auf dem Weg zur Terrasse. Ein gedeckter Tisch stand dort, mit aromatisch duftenden Kerzen, um die Mücken fernzuhalten. Die Sonne ging gerade in einem orangegoldenen Farbenrausch hinter den Bergen auf dem Festland unter.

Sie stellte sich ans Geländer, atmete tief die würzige Luft ein und fühlte sich wundervoll. Die Geschäftigkeit und Hektik der Großstadt schien Millionen Meilen weit fort zu sein.

Aber plötzlich hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Ihre Nackenhaare richteten sich auf und es kribbelte in ihrem Rücken. Als sie den Kopf wandte und Nikos am anderen Ende der Terrasse erblickte, wunderte sie sich nicht.

„Ich habe Sie gar nicht gesehen!“, rief sie mit bemühter Fröhlichkeit.

„Offensichtlich nicht“, erwiderte er trocken und kam auf sie zu. Ihr Herz begann sogleich schneller zu pochen. „Möchten Sie etwas trinken?“

Chelsea schüttelte den Kopf. „Im Moment nicht, danke.“

„Dann vielleicht ein kleiner Spaziergang vor dem Essen?“

Sie blickte ihn unsicher an. Unglaublich, wie anders er sich jetzt ihr gegenüber verhielt. Seine dunklen Augen waren ausdruckslos.

„Wieso diese plötzliche Freundlichkeit?“ Sie beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen. „Noch vor wenigen Stunden waren Sie überzeugt, ich hätte es auf Ihren Cousin abgesehen.“

„Ich war vielleicht ein wenig voreilig in meiner Einschätzung“, kam die Antwort. „Wollen wir noch einmal von vorn beginnen?“

„Das wäre … nett.“ Etwas Intelligenteres fiel ihr nicht ein, und sie ärgerte sich darüber.

„Ja, nicht wahr? Wollen wir spazieren gehen, wie ich vorschlug? Um diese Jahreszeit sind die Gärten wunderschön. Eine passende Umgebung“, fuhr er geschickt fort, „für eine schöne Frau. Ich muss sagen, ich habe an Dions Geschmack nichts auszusetzen.“

Von einem anderen Mann hätte sie dies Kompliment ein wenig zu blumig gefunden. Aber bei ihm schlug auf einmal ihr Herz schneller. Vorsicht! warnte sie sich. In diesen Mann durfte sie sich ganz bestimmt nicht verlieben.

„Sie sind zu freundlich“, murmelte sie und sah, dass er schwach lächelte.

„Oft sagt man so etwas nicht zu mir.“

Chelsea konnte es sich vorstellen. Eher rücksichtslos. Sie würde es zu spüren bekommen, wenn er zu früh erfuhr, weswegen sie wirklich hier war.

„Sie können sich so etwas wohl nicht häufig leisten“, sagte sie. „Es gibt zu viele Leute, die ihren Vorteil suchen.“

Er kniff ein wenig die Augen zusammen. „Was für Leute?“

„Geschäftlich, meine ich.“ Nun konnte sie nicht mehr zurück, auch wenn es ihr eigentlich zu früh war. „Ich weiß natürlich, wer Sie sind. Der Name Pandrossos ist weltweit ein Begriff. Deswegen nehme ich es Ihnen auch nicht übel, dass Sie glaubten, ich hätte es auf Dion abgesehen. Bei uns würde man ihn als den Fang des Jahrhunderts bezeichnen!“

Er lächelte amüsiert. „Sie benutzen manchmal Ausdrücke, die der englischen Sprache nicht gerade Ehre machen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie solche Bemerkungen morgen nicht in Gegenwart meines Sohnes machten.“

„Er spricht mit fünf Jahren schon Englisch?“

„In jungen Jahren lernt man am einfachsten. Wenn ich zu Haus bin, sprechen wir normalerweise Englisch miteinander. Der Tutor, der Endes des Sommers kommt, spricht ebenfalls beide Sprachen fließend.“ Doch dann schüttelte er den Kopf, als hätte er gar nicht darüber sprechen wollen. „Gehen wir spazieren?“

Chelsea machte sich in Gedanken Notizen. Aber sie hatte noch viel Arbeit vor sich.

„Warum nicht?“, sagte sie.

Zu beiden Seiten des Hauses erstreckte sich ein Garten, auch in italienischem Stil gehalten.

„Ein wirklich hübscher Garten“, sagte sie, um irgendeine Bemerkung zu machen, nachdem sie einige Minuten schweigend gegangen waren. „So kunstvoll angelegt.“

„Selene liebt Ordnung in allen Angelegenheiten ihres Lebens.“

„Die Göttin des Mondes“, murmelte Chelsea vor sich hin und erntete einen fragenden Blick von dem faszinierenden Mann an ihrer Seite.

„Sie kennen sich mit unserer Mythologie aus?“

„Ja, sie interessiert mich“, sagte sie wahrheitsgemäß. „Wenn ich mich recht erinnere, wurde Selene von Artemis verdrängt. Artemis tötete ihren Geliebten Orion, weil er sich mit Eos eingelassen hatte.“

„Das ist eine oberflächliche Interpretation des Mythos, aber auch nicht völlig falsch. Die Götter waren ebenso wenig von dem Verlangen nach Rache ausgenommen wie wir gewöhnlichen Sterblichen.“

Chelsea riss im Vorübergehen ein Blatt von einem Busch, rieb es zwischen den Fingern und roch daran. „Sie wollen sagen, Sie hätten unter gleichen Umständen vielleicht ähnlich gehandelt?“

„Jemanden umgebracht, nein. Es gibt auch andere Möglichkeiten, sich zu rächen.“ Er sagte es so kühl, dass ihr ein Schauer über den Rücken rann.

Die Dunkelheit brach rasch herein, und in den Bäumen glimmten Leuchtkäfer auf. Das Zirpen der Zikaden erfüllte die Luft.

„Sollten wir nicht zurückgehen?“, fragte sie. „Es muss fast neun sein.“

„Wir haben noch ein paar Minuten Zeit.“ Nikos blieb an einer steinernen Bank stehen. „Setzen wir uns einen Augenblick und sehen zu, wie die Sterne herauskommen.“

Wollte sie nicht allein weitergehen, musste sie sich zu ihm setzen. Sein Arm streifte sie, und plötzlich spürte sie einen Druck im Magen. Dieser Mann war ihr viel zu dicht, viel zu männlich für ihren Geschmack.

„Ihr Haar schimmert im Mondlicht“, sagte er sanft. „Ein silberner Bach …“

„Wie poetisch“, bemerkte sie und hoffte, ihre Stimme bebte nicht dabei.

Nikos lachte leise. „Mir scheint, ich mache Sie nervös.“

„Sie bringen mich durcheinander“, gab sie zu. „Als ich hier ankam, sahen Sie mich an, als wäre ich ein billiges Püppchen. Dann beschuldigten Sie mich, es aus niederen Beweggründen auf Dion abgesehen zu haben. Und nun …“

„Nun?“

„Sagen Sie es mir“, sagte sie herausfordernd.

Er lächelte schräg. „Angriff ist oft die beste Verteidigung.“

„Gegen was?“

Seine Antwort war, dass er einen Arm um ihre Hüften legte und sie zu sich herumdrehte. Mit der anderen Hand umfasste er ihren Nacken, senkte den Kopf und küsste sie.

Ihr verschlug es den Atem. Ein einziger Kuss von ihm, und sie hatte das Gefühl, ihr ganzer Körper würde in Flammen stehen.

„Warum?“, brachte sie schließlich hervor.

Er verzog ironisch die Lippen. „Weil ich es wollte.“

„Und du tust immer genau das, was du willst?“

„Nicht immer, aber manche Dinge sind eben schier unausweichlich.“ Er streichelte sanft ihren Nacken, und wieder überlief sie ein Kribbeln. „Du hast einen Mund, der zum Küssen geschaffen wurde – einen Körper zum Lieben. Dion könnte dich niemals befriedigen.“

Chelsea kämpfte darum, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Wenn er sie nochmals küsste, war sie verloren.

„Hör auf damit, verstanden! Ich bin für dich nicht zu haben!“

„Vielleicht doch, falls ich weitermachen würde“, kam die arrogante Antwort. Aber er ließ sie los. „Das Fleisch ist mehr als willig.“

Er hatte nicht unrecht. Solche Lustschauer hatte sie noch nie empfunden. Mit brennendem Gesicht stand sie auf und wünschte, der verdammte Mond würde sich hinter eine Wolke verziehen.

„Du liest viel zu viel hinein“, erklärte sie von oben herab. „Wir kommen zu spät zum Essen.“

„Man wird auf uns warten.“

„Florina ist es ja gewohnt, was dich betrifft“, erwiderte sie unüberlegt, bedauerte aber sogleich ihre Worte, denn sein Gesicht wurde ausdruckslos. „Es tut mir leid“, murmelte sie.

„Nein, das tut es nicht“, knurrte er. Er stand auch auf, überragte sie um einiges. „Was hat Dion dir erzählt?“

„Nichts“, log sie Dions wegen. „Es ist nur etwas, das ich spüre, mehr nicht. Nenn es weibliche Intuition.“

„Wirklich ein außerordentlich feines Instrument“, sagte er sarkastisch. „Und was genau hat dir deine weibliche Intuition verraten?“

„Können wir es nicht dabei belassen?“, bat sie. „Sehr wahrscheinlich irre ich mich sowieso.“

Er zögerte einen Moment, doch dann nickte er. „Zweifelsohne. Es wäre besser, du würdest deine Fantasie ein wenig besser im Zaum halten.“

Er ging los, und sie musste ihm wie ein getadeltes Schulmädchen folgen. Nicht mit mir! dachte sie trotzig und holte ihn ein.

„Mein Magen beginnt zu glauben, es hätte mir jemand die Kehle durchgeschnitten“, sagte sie betont fröhlich.

Nikos sah sie mehr verzweifelt als ärgerlich an. „Verletzt wurde bisher nur die Sprache.“

„Tut mir leid.“ Sie setzte ein zerknirschtes Gesicht auf. „Alte Gewohnheiten sind schwer abzulegen. Von nun an werde ich versuchen, wie die Königin zu reden.“ Sie imitierte ihr Staatsoberhaupt.

Er lachte zögernd, aber es war immerhin ein Lachen. „Was du nötig hast, ist, Respekt zu lernen!“

Was ich nötig habe, kam ihr der Gedanke, ist, so geküsst zu werden wie eben. Noch immer konnte sie seine Lippen auf ihren spüren. Ein gefährliches Verlangen angesichts des Effekts, den dieser eine Kuss auf sie gehabt hatte. Nikos Pandrossos war kein Mann, mit dem man seine Spielchen treiben konnte.

„Du hast keine Antwort parat?“, spottete er.

„Ich bin eben einsichtig“, konterte sie und schob das Problem erst einmal beiseite. „Wolltest du das nicht?“

Diesmal lachte er offen.

„Es braucht mehr als Worte, dich einzuschüchtern.“

Sie hatten nun die Stufen zur Veranda erreicht, und Chelsea war nur froh, dass sie einen kussechten Lippenstift hatte, als ihnen die anderen entgegenblickten.

„Sag Hestia, sie kann jetzt mit dem Servieren beginnen“, meinte Selene Pandrossos zu ihrer Tochter. „Wir dachten schon, du hättest unseren Gast verschwinden lassen, Nikos.“

„Ich wollte so gern einmal den Garten sehen, bevor es dunkel wird“, erklärte Chelsea rasch, bevor er antworten konnte. „Kyrios Pandrossos war so freundlich, mich herumzuführen. Es ist allein meine Schuld, dass wir alles aufgehalten haben.“

„Es ist schon seit einer halben Stunde dunkel“, warf Dion mit unverhüllter Skepsis ein.

„Der Garten ist sehr groß“, gab sein Cousin unbeeindruckt zurück.

„Und sehr schön“, bestätigte Chelsea.

Florina, in ihrem jungfräulich weißen Kleid ebenfalls sehr schön, sah sie feindselig an. Chelsea konnte es ihr nicht übel nehmen. Sie hätte ebenso empfunden an ihrer Stelle. Allerdings wäre es reine Zeitverschwendung, ihr zu versichern, dass sie kein Interesse an ihrem Cousin hätte.

Außerdem stimmte es mittlerweile nicht mehr ganz.

3. KAPITEL

Das Essen zog sich fast bis Mitternacht hin, und aus Rücksicht auf den Gast unterhielten sich alle auf Englisch. Chelsea bekam dadurch jedoch noch mehr das Gefühl, Außenseiterin zu sein. Sie saß zwischen Kyria Pandrossos und Dion, Nikos direkt gegenüber. Er sah sie ständig an. Und Florina musste es einfach sehen.

Fragen nach ihrem Leben auszuweichen, war nicht so einfach. Mehr als ein Mal war sie so weit, die Wahrheit einzugestehen und die Folgen zu tragen. Sie tat es nur hauptsächlich Dions wegen nicht, denn es würde ihn treffen, wie sehr sie ihn benutzt hatte.

Es war ungefähr halb zwölf, als Nikos sich verabschiedete. Auch Kyria Pandrossos ging bald danach zu Bett, gefolgt von Florina. Sie erwiderte kaum Chelseas Gutenachtgruß.

„Sie hat Stress wegen Nikos“, erklärte Dion unnötigerweise. „Weil er so lange mit dir allein im Garten war.“ Er musterte sie prüfend. „Du hast so beunruhigt ausgesehen, als ihr zurückkamt.“

Eher erregt, dachte sie selbstironisch.

„Dein Cousin ist ein einschüchternder Mann“, sagte sie. „Schwer, in seiner Gegenwart entspannt zu sein.“

„Und doch hast du ihn gebeten, dir den Garten zu zeigen?“

„Ach, eine spontane Idee, weil mir nichts Besseres zu sagen einfiel“, improvisierte sie, obwohl Nikos den Vorschlag gemacht hatte. „Ich hatte nicht damit gerechnet, ihn hier draußen allein vorzufinden.“

„Das wäre er nicht gewesen, wenn Florina es gewusst hätte.“

„Da bin ich mir sicher.“ Sie drehte das Weinglas zwischen den Fingern und stellte es dann zögernd zurück auf den Tisch. „Meinst du, er wird es irgendwann tun?“

„Du meinst, sie heiraten?“ Dion zuckte mit den Schultern. „Wer kann das bei Nikos schon sagen?“

„Wenn er wirklich über ihre Gefühle Bescheid wüsste, wäre es eigentlich nicht richtig von ihm, ihr unbegründet Hoffnung zu machen, oder?“

Wieder ein Schulterzucken. „Du hast mitbekommen, dass ich es ihm vorhin im Wagen gesagt habe.“

„Ich habe dich sagen hören, dass sie hofft, bald zu heiraten. Aber mir war nicht klar, dass es ihn betraf.“

„Nikos sollte es verstanden haben.“

„Aber vielleicht reichen Andeutungen nicht. Jemand sollte es ihm offen sagen.“

Dion lächelte schwach. „Wenn du so um das Wohlergehen meiner Schwester besorgt bist, dann könntest du es ja übernehmen.“

Das habe ich bereits versucht, dachte sie, sprach es aber nicht aus. Sie lachte und schüttelte den Kopf. „Diese Aufgabe gebe ich gern an jemand anders weiter.“

„Ich dachte, du würdest es vielleicht tun.“ Er trank sein Glas leer und deutete auf die halb volle Flasche Wein. „Möchtest du noch etwas?“

Chelsea schüttelte den Kopf. „Nein danke. Ich werde wohl jetzt auch ins Bett gehen, wenn du nichts dagegen hast.“

„Ich bin am Boden zerstört“, beschwerte er sich, und es klang ein wenig verletzt. „Noch nie hat eine Frau mich so behandelt wie du. Schlägt dein Herz denn nicht wenigstens ein wenig schneller?“

„Natürlich.“ Chelsea erkannte verletzte männliche Eitelkeit auf den ersten Blick. „Ich müsste ja blind sein, um dich nicht außerordentlich attraktiv zu finden.“

„Aber du hast kein Bedürfnis, mit mir dein Bett zu teilen?“

„Ich teile mein Bett mit keinem Mann“, erklärte sie fest. „Ich dachte, das hätten wir bereits geklärt.“

Er grinste sie beruhigend an. „Das haben wir auch, aber ich bin auch nur aus Fleisch und Blut. Und Nikos ging es ebenso, ich habe es ihm angesehen. Florina hat er noch nie so angesehen wie dich heute Abend. Vorhin wollte er wissen, ob wir zwei schon miteinander geschlafen haben.“

Chelsea bemühte sich, normal zu sprechen. „Und was hast du ihm gesagt?“

„Dass wir nur Freunde sind. Aber er hat es mir nicht abgenommen. Zwischen Mann und Frau kann es keine reine Freundschaft geben, hat er gesagt.“ Er sah sie forschend an. „Findest du ihn attraktiv?“

Was sie in Nikos’ Armen empfunden hatte, war weit darüber hinausgegangen. Sie erinnerte sich nur zu gut an die wilden Gefühle dabei.

„Wie ich schon sagte, ich finde ihn ziemlich einschüchternd“, bekannte sie durchaus aufrichtig. „Er ist nicht annähend so gut aussehend wie du.“

„Er ist älter, und manche Frauen bevorzugen ältere Männer. Besonders wenn sie reich sind.“

„Geld ist mir unwichtig“, erwiderte Chelsea. „Ich habe selbst genug davon.“

Sie machte eine Pause, wieder einmal versucht, Dion die Wahrheit zu erzählen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er es an Nikos weitergab, schätzte sie als ziemlich gering ein. Die beiden Cousins mochten sich nicht besonders.

„Ich möchte dir etwas sagen“, begann sie, bevor sie ihre Meinung wieder ändern konnte. „Ein Bekenntnis, muss man wohl sagen.“

Er runzelte die Stirn. „Was denn?“

„Ich bin Journalistin. Ich weiß, ich hätte von Anfang an aufrichtig sein sollen. Aber als du mich eingeladen hast, mit dir herzukommen, war die Versuchung einfach zu groß, als dass ich ein Risiko wagen durfte. Niemand hat bislang ein Interview von deinem Cousin bekommen. Ich hoffe, die Erste zu sein.“

Er sah sie ausdruckslos an.

Niedergeschlagenheit überfiel sie für einen Moment. „Ich würde es dir nicht verübeln, wenn du mich in hohem Bogen hinauswirfst. Niemand fühlt sich gern benutzt.“

„Das ist richtig.“ Er starrte sie düster an. „Du solltest dich schämen!“

„Das tue ich auch“, sagte sie zerknirscht. „Ich habe dich mit Absicht benutzt.“

Dion musterte sie einen Moment lang. Er hatte seinen Ärger nur gespielt. „Wie ich dich auch benutzen wollte“, sagte er schließlich. „Und ich habe es immer noch vor, wenn du bereit bist, mitzumachen.“ Er schüttelte den Kopf, als er ihr Gesicht sah. „Nein, das nicht. Ich habe dich vor allem aus einem ganz anderen Grund eingeladen, mit herzukommen.“

Neugierig sah Chelsea ihn an. „Aus welchem Grund?“

„Da gibt es dieses Mädchen“, sagte er. „Die Tochter einer Familie, der wir gestattet haben, hier auf Skalos zu wohnen. Ich will, dass sie glaubt, wir beide hätten etwas miteinander …“

„Und worauf bist du genau aus?“

„Ich will ihr zeigen, dass ich mich nicht nur für sie interessiere!“

Erhebt wieder einmal der Stolz sein Haupt? dachte Chelsea schmunzelnd.

„Aber warum brauchst du ausgerechnet mich dazu?“, fragte sie. „Du hast doch sicher eine ganze Liste von Frauen, auf die du zurückgreifen könntest.“

„Ja, aber sie alle würden mehr von mir wollen.“

Keine würde sich damit begnügen, nur Mittel zum Zweck zu sein, überlegte Chelsea. Deswegen wohl hatte Dion sich so schnell mit einer solchen Beschränkung ihrer eigenen Beziehung einverstanden erklärt.

„Nikos haben wir bereits gesagt, dass wir nichts miteinander haben. Würdest du nicht wie ein Lügner dastehen, wenn wir diesem Mädchen etwas vorspielten?“

„Das brauchen wir gar nicht“, versicherte er ihr. „Es reicht, dass sie uns zusammen sieht.“

Wofür reicht es? fragte sie sich. „Ich bin dir für meine Unaufrichtigkeit wohl etwas schuldig“, sagte sie zögernd.

„Wenn du mir dabei hilfst, helfe ich dir so gut ich kann bei dem, was du willst“, versprach ihr Dion. „Aber ehrlich gesagt, ist die Aussicht auf Erfolg sehr gering. Nikos verabscheut Leute, die in den Medien ihr Privatleben ausbreiten. Und ich würde empfehlen, niemals etwas ohne seine Einwilligung zu veröffentlichen.“

„Das würde ich sowieso niemals tun. Ich wusste von Anfang an, es würde eine sehr schwierige Aufgabe werden. Aber es ist einen Versuch wert.“

Sie stand auf, und Dion erhob sich ebenfalls. „Musst du heute Nacht wirklich allein schlafen?“

„Wirklich.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Kalinichta, mein Freund.“

Er unternahm keinen Versuch, sie zurückzuhalten, als sie sich zum Gehen wandte, aber sie konnte seinen Frust deutlich spüren. Nikos hat wohl recht, dachte Chelsea, eine platonische Freundschaft zwischen Mann und Frau gibt es nicht – zumindest nicht vom Mann her gesehen.

Als sie im Bett lag, musste sie immer wieder an Nikos denken, sah sein männliches Gesicht vor sich, fühlte seine Lippen auf ihren, die Kraft seiner Hände. Bis jetzt hatte sie nicht gewusst, was es hieß, einen Mann zu begehren, denn bislang hatte sie auch noch nie einer so erregt wie er.

Der nächste Morgen brachte keine Änderung in Florinas Verhalten. Nachdem Chelsea nur einsilbige Antworten erhalten hatte, gab sie ihre Bemühungen auf. Obwohl sie einen faulen Vormittag an Dions Seite auf der Terrasse genoss, wusste sie, schon bald würde sie sich bei einem solchen Leben langweilen. Sie musste etwas zu tun haben – geistig und körperlich.

Die Party sollte um vier Uhr nachmittags beginnen. Als sie losfuhren, war Dions Vater noch nicht angekommen. Dion fuhr den Wagen, seine Mutter saß neben ihm, und so musste Chelsea hinten neben seiner Schwester sitzen. Während der ganzen Fahrt sprach Florina kein einziges Wort mit ihr, sondern starrte nur stumm aus dem Fenster.

Verglichen mit dem Haute-Couture-Outfit der beiden Pandrossos-Frauen waren Chelseas schwarze Seidenhose und das ärmellose Top eindeutig zweitklassig, aber etwas Besseres hatte sie nicht. Aber wen würde es schon interessieren, sagte sie sich. Dies war schließlich Dimitris’ Tag.

Ihr Ziel lag nur ein paar Kilometer entfernt auf der anderen Seite der Landzunge. Sie durchfuhren mehrere Olivenhaine, und dann lag das Haus vor ihnen. Seine weiß gekalkten Wände waren mit Efeu bewachsen, es hatte ein rotes Ziegeldach, und die großen, hohen Fenster waren mit dunkelblauen Fensterläden zu verschließen. Es war groß genug, um mehreren Familien ein Heim zu bieten, aber dennoch wirkte es nicht protzig.

Sie waren nicht die ersten Gäste. Vor dem Haus parkten bereits einige Wagen. Als sie die geräumige Eingangshalle betraten, legte ihr Dion den Arm um die Hüften.

„Ich dachte, wir bräuchten nichts vorzuspielen“, sagte sie halblaut zu ihm.

„Das tun wir auch nicht.“ Aber er nahm seinen Arm nicht fort, sondern steuerte mit ihr auf den hinteren Ausgang zu, seine Mutter und Schwester im Schlepptau. Sie betraten eine Veranda, von der aus eine Treppe in einen großen Garten führte. Überall standen Tische mit Sonnenschirmen, aber die meisten der Gäste standen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich. Der Garten war in Terrassenform angelegt und führte hinunter bis an den Strand.

Dion schaute hinunter auf die nächste Terrasse, und sein Griff wurde fester.

„Dort ist Eleni – die mit dem roten Kleid.“

Chelsea folgte seinem Blick mit den Augen und sah eine feminine junge Frau in einem roten Kleid, das wunderbar zu ihren schwarzen Haaren passte. Sie war schätzungsweise nicht älter als achtzehn, hatte ein bezauberndes Gesicht – und schien gerade mit dem jungen Mann neben ihr zu flirten.

Kyria Pandrossos und Florina waren schon dabei, Freunde und Nachbarn zu begrüßen. Chelsea setzte ein Lächeln auf, als sie mit Dion die Treppe hinabschritt.

Als sie dem jungen Mädchen vorgestellt wurde, bemerkte sie Überraschung, aber keine Eifersucht.

Sie erstarrte unwillkürlich, als jemand hinter sie trat. Und wusste instinktiv, wer es war.

„Komm, ich möchte dir meinen Sohn vorstellen“, sagte er, und es klang eher nach einem Befehl als nach einer Einladung. „Er wird sich freuen, sein Englisch üben zu können.“ Er lächelte die anderen an, Dion eingeschlossen. „Signómi, parakaló“, entschuldigte er sich, dass er Chelsea entführte.

Als sie den halben Garten durchquert hatten, musste sie etwas sagen. Auch wenn Nikos sie nicht berührte, jagte seine Nähe ihren Puls gefährlich hoch.

„Es ist wirklich ein schöner Tag dafür.“ Mehr fiel ihr nicht ein.

„Wofür?“

„Einen Kindergeburtstag. Es ist so viel schöner, wenn er im Freien stattfinden kann, wo die Kinder nach Herzenslust toben können. Ohne dass sie irgendwelchen Schaden anrichten können. Ich erinnere mich, wie meine Mutter sich immer darüber aufgeregt hat, wie es hinterher bei uns aussah!“ Sie wusste, sie plapperte, aber sie konnte nicht aufhören. „Aber hier hat man natürlich auch keinerlei Probleme mit dem Wetter. Bei uns schließen manche sogar Versicherungen dagegen ab, dass der Regen ein Fest verdirbt.“

„Ich könnte mir vorstellen, dass man sich in euren Breitengraden tatsächlich dagegen versichern muss“, bemerkte Nikos trocken. Er sah sie an, hob eine Augenbraue. „Hast du noch mehr zu diesem Thema zu sagen?“

Chelsea sah ihn reumütig an. „Ich bin normalerweise nicht so redselig.“

„Aber bei mir versuchst du damit zu verdecken, welche Gefühle ich in dir auslöse.“

Sie hatten den Torbogen erreicht, von dem aus es über eine Steintreppe weiter hinunter zu einem Rasen ging. Etwa ein Dutzend Kinder alberten übermütig mit mehreren Clowns herum. Nikos blieb stehen und musterte Chelseas Gesicht.

„Nach außen hin so selbstsicher, und doch darunter so ängstlich und scheu“, neckte er sie. „Du wirst doch meine Wirkung auf dich nicht leugnen, oder?“

Ihr fielen eine ganze Menge passender Antworten ein, aber sie entschied sich für Ironie.

„Keine Sekunde. Ich bin sicher, es gibt keine Frau auf der Welt, deren Herz nicht erzittert, wenn du in ihrer Nähe bist.“

„Mag sein, aber nicht alle Frauen haben deine Wirkung auf mich“, erwiderte er mit gesenkter, verführerischer Stimme.

„Pech für dich!“, gab sie zurück, entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen. „Ich habe dir schon gestern Abend gesagt, ich bin nicht zu haben.“

„Gestern Abend war gestern Abend.“ Er deutete auf die Treppe. „Wollen wir hinuntergehen?“

Da mehrere Augenpaare auf sie gerichtet waren, entschied sie sich für den Weg des geringsten Widerstandes. Wenn die Kinder dabei waren, würde es zumindest keine solch verfängliche Unterhaltung mehr geben. Und sie würde sich wieder fangen können.

Eine kleine, drahtige Gestalt löste sich aus der Kindermenge, kam herangelaufen und begrüßte seinen Vater atemlos. Der Junge trug Shorts und ein T-Shirt, hatte kurze schwarze Haare und ein ausgesprochen hübsches Gesicht.

Chelsea wartete nicht ab, dass Nikos ihn ihr offiziell vorstellte. Sie lächelte ihn an und hielt ihm ein kleines Päckchen hin. „Hallo, Dimitris, ich bin Chelsea. Herzlichen Glückwunsch!“

Der Junge sah sie ein wenig überrascht an, dann schaute er auf seinen Vater. Als dieser nickte, nahm er das Geschenk und sagte Efcharistó. Mit kindlicher Ungeduld riss er das Geschenkpapier ab und besah sich verwundert das bunte, handgroße Flipperspiel.

Chelsea vergaß Nikos einen Moment, hockte sich neben Dimitris hin und erklärte ihm das Spiel. Gleich darauf rannte er fort zu seinen Freunden, um es ihnen zu zeigen.

„Du scheinst zu wissen, was kleinen Jungen Freude macht“, meinte Nikos, als sie sich wieder aufrichtete.

Großen Jungen ebenfalls, dachte sie ironisch. Aber dieser große Junge würde nichts bekommen.

„Ach, es war nur ein kleines Mitbringsel“, sagte sie. „So komme ich mir nicht ganz so wie ein Störenfried vor.“

Nikos sah sie verwundert an. „Du warst doch eingeladen.“

„Aber nur, weil die Höflichkeit es von dir erforderte.“

„Stimmt“, gab er offen zu. „Aber es fiel mir nicht schwer. Deine Anwesenheit verschönt jedes gesellschaftliche Ereignis.“

„Ein echter Gentleman …“, murmelte sie und sah, wie er leicht den Mund verzog.

„Nicht immer, glikia.“

Was glikia hieß, wusste sie nicht, aber sie wollte lieber auch nicht nachfragen. Rasch deutete sie auf eine Gruppe junger Frauen, die an einem Tisch zusammensaßen. „Sind das die Kindermädchen?“

„Ja. Eines davon ist Dimitris’ Kindermädchen.“

„Musst du ihn oft allein lassen? Ich meine, aus geschäftlichen Gründen.“

„Nicht mehr, als unbedingt nötig. Ein Junge braucht seinen Vater.“

„Mehr als seine Mutter?“

Sein Gesicht war auf einmal abweisend. „Ist das ein weiterer Versuch, mir zu sagen, was ich tun soll?“

„Nein, natürlich nicht“, erwiderte sie. „Ich nehme an, er erinnert sich gar nicht mehr an seine Mutter?“

„Als sie starb, war er kaum zwei. Wie sollte er sich da erinnern?“

„Vielleicht ist es nur gut, dass er noch so jung war“, meinte sie. „Für dich muss es schrecklich gewesen sein.“

„Es ist schon lange her“, sagte er kurz angebunden.

Chelsea bedauerte, das Thema angesprochen zu haben. Gerade an diesem Tag war es taktlos gewesen.

„Irgendwann werde ich lernen, meinen Mund zu halten“, meinte sie mit einem reumütigen Lächeln. „Sehr wahrscheinlich, wenn die Hölle gefriert …“

Er verzog den Mund. „Es ist nicht schwer, eine Frau davon abzuhalten, zu viel zu reden. Ein Knebel ist sehr wirkungsvoll. Aber glaub nicht, dass ich an eine solche Methode denke. Es gibt noch andere Möglichkeiten.“

Chelsea konnte sich denken, was. Gestern Abend hatte sie eine kennengelernt. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, strich ihr Nikos mit dem Zeigefinger die Nase entlang, ließ ihn kurz auf ihren Lippen liegen. Spott schimmerte in seinen Augen.

„Siehst du, wie du zitterst, wenn ich dich anfasse?“

„Unter Mangel an Selbstbewusstsein leidest du wirklich nicht!“, murmelte sie.

Er lachte. Ein sehr attraktives Lachen.

„Welch armer Tropf, wer das Verlangen in den Augen einer Frau nicht erkennt. Gestern, als wir uns kennenlernten, geschah es uns beiden.“

„Ich würde eher sagen, spontane Abneigung“, parierte Chelsea geschickt und wusste, sie begab sich auf gefährliches Terrain.

Er lachte wieder, amüsierte sich offensichtlich. „Ein wenig Abneigung würzt eine Affäre nur noch.“

„Das könnte sein, gäbe es eine“, entgegnete sie kühl. „Aber können wir jetzt aufhören, Spielchen zu spielen?“

In seinen dunklen Augen blitzte es auf. „Ich spiele nur mit Kindern. Du bist kein Kind.“

Sie gab es auf, sich mit ihm messen zu wollen. Sie blickte ihn an, und wieder überkam sie das Bedürfnis, der Natur ihren freien Lauf zu lassen. Es würde bedeuten, ihr ursprüngliches Ziel aufzugeben, aber wie Dion gesagt hatte, würde sie es sowieso nicht erreichen.

Die Frage aber war, würde sie es wagen?

Wenn sie auch nur ein wenig Verstand besaß, nicht.

„Ich bin fast am Verdursten“, hörte sie sich sagen. „Könnten wir uns nicht einen Drink holen?“

„Aber natürlich.“ Nikos lächelte, sie hatte ihn nicht täuschen können. „Was immer du wünschst.“

4. KAPITEL

Als sie den Patio erreichten, kam eine der Hausangestellten auf sie zu. Chelsea verstand das Wort tiléfono. So war sie nicht überrascht, als Nikos ihr erklärte, er müsse sie für einen Moment allein lassen.

„Ich kann mir selbst ein Getränk besorgen“, versicherte sie ihm. „Oder Dion holt mir eins“, fügte sie absichtlich hinzu, als sie Dion auf sie zukommen sah.

Nikos nickte nur kurz und wandte sich zum Gehen. Sie war sich nicht sicher, ob sie erleichtert sein sollte oder es bedauerte.

„Es ist wohl nicht alles wie erwartet gelaufen, oder?“, meinte sie mit einem Blick auf sein eher mürrisches Gesicht.

„Ist das ein Wunder, wenn du mit Nikos mehr Zeit verbringst als mit mir?“, beschwerte er sich.

„Ich kann ihm doch nicht sagen, ich will Dimitris nicht kennenlernen“, wehrte sich Chelsea.

„Das hätte nur ein paar Minuten gedauert. Du warst fast eine halbe Stunde fort!“

„Man kann den Gastgeber doch nicht einfach stehen lassen.“

„Es wird dir nicht bekommen“, warnte er. „Nikos mag dich im Moment durchaus attraktiv finden, aber das wird keine Rolle mehr spielen, wenn er herausfindet, weswegen du wirklich hier bist.“

Schweigend sah Chelsea ihn einen Moment lang an, kämpfte mit ihrem inneren Konflikt. „Er muss es gar nicht erfahren“, sagte sie dann. „Ich lasse meinen Plan fallen.“

Er starrte sie überrascht an. „So schnell?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Es war von Anfang an eine schlechte Idee. Er hat ein Anrecht auf ein ungestörtes Privatleben. Ich kehre zu meinem ursprünglichen Plan zurück und schreibe stattdessen die Serie über die Inseln. Es gibt immer einen Markt für solche Reiseberichte.“

„Aber du bleibst doch noch ein paar Tage hier auf Skalos?“

Chelsea zögerte wieder. „Eigentlich wäre es unsinnig. Eleni scheint es nicht viel auszumachen, dich mit einer anderen Frau zu sehen.“ Doch dann sah sie Dions Gesicht. „Es ist mehr als nur Stolz, nicht wahr?“, fuhr sie sanft fort. „Du bist in sie verliebt, stimmt’s?“

„Sie macht mich ganz verrückt“, gab er zu. „Andere Frauen reißen sich darum, mit mir zusammen sein zu können.“

„Hat sie denn bislang überhaupt kein Interesse gezeigt?“, fragte sie voller Mitgefühl.

„Nicht an mir allein!“, gab er hitzig zurück. „Ich teile sie mit keinem anderen Mann.“

„Vielleicht verhält sie sich anders, wenn du ihr deutlich machst, was du für sie empfindest?“

„Damit sie überall herumerzählen kann, Dion Pandrossos bettelt um ihre Gunst!“

„Ich bin sicher, so etwas wird sie nicht tun. Vielleicht wartet sie sogar darauf, als Beweis, dass du wirklich ernste Absichten hast.“ Absichtlich fügte sie dann hinzu: „Gestern Abend hast du aber kaum diesen Eindruck gemacht, als du mich in dein Bett locken wolltest.“

„Da ging es einfach nur um Sex.“ Er tat es mit einer Handbewegung ab. „Es hat keine Bedeutung.“

Chelsea war sich dessen wohl bewusst, aber dass er es so offen aussprach, verschlug ihr doch für einen Moment den Atem. „Wenn du tatsächlich so für sie empfindest, wie du sagst, dann solltest du nicht einmal daran denken, mit einer anderen Frau zu schlafen!“ Am liebsten hätte sie ihn geohrfeigt.

Aber er schien völlig unbeeindruckt. Sie sah es seinen Augen an.

„Lass uns etwas trinken gehen“, sagte sie resigniert. „Mein Mund ist so trocken, dass ich Kakteen auf meiner Zunge züchten könnte.“

Dion grinste, die Probleme waren momentan vergessen. „Was du für Sprüche draufhast! Komm und such dir etwas aus.“

Nikos kehrte zurück, als die Kinder nach oben gebracht wurden, um zu essen. Er sieht aus, als wäre er mit seinen Gedanken woanders, dachte Chelsea. Sehr wahrscheinlich geschäftliche Probleme, vermutete sie.

„Interessieren Sie sich für Dion oder Nikos?“, erklang da eine Stimme neben ihr. Chelsea fuhr zusammen und drehte sich um. Eleni sah sie mit undurchdringlicher Miene an.

Dion war gerade dabei, ihre Gläser nachzufüllen, so saßen sie beide allein am Tisch. Chelsea zögerte einen Moment mit der Antwort.

„Was würden Sie denn bevorzugen?“, fragte sie schließlich.

„Dass Sie überhaupt nicht hier wären“, kam die offene Antwort.

Chelsea musste unwillkürlich lächeln. Hatte sie nicht die Wahrheit hören wollen? „Warum?“

„Sie gehören nicht nach Skalos.“ Das junge hübsche Gesicht war immer noch ruhig, doch die Augen blitzten. „Sie sollten mit Ihresgleichen zusammen sein.“

„Meinen Sie die Nationalität oder das Geschlecht?“, fragte sie mild, und die Augen flammten jetzt auf.

„Englische Frauen sind schamlos! Sie erlauben einem griechischen Mann Freiheiten, die eine Griechin ihm niemals gestatten würde!“

Eigene Erfahrungen oder nur Hörensagen? fragte sich Chelsea. „Bei einigen mag das durchaus der Fall sein“, gab sie zu. „Aber wir sind nicht alle gleich.“

Eleni sah sie skeptisch an. „Sie wollen sagen, Sie haben nicht mit Dion geschlafen?“

„Das ist richtig. Ich bin hier, weil er eine bestimmte Person eifersüchtig machen will, das ist alles. Er war ziemlich sauer, als er sah, dass es nicht funktioniert.“

Elenis Augen bekamen einen anderen Ausdruck. „Welche bestimmte Person?“

„Sie müssen doch wissen, was er für Sie empfindet.“

„Dion mag viele Mädchen“, sagte sie ruhig.

„Aber nicht alle in derselben Weise.“

„Das hat er Ihnen gesagt?“

Der unbeschwertere Ton Elenis machte ihr Mut. „Um es mit seinen eigenen Worten auszudrücken – Sie machen ihn ganz verrückt.“

Da lachte Eleni, und ihre ganze Haltung veränderte sich. „Dann haben die Zeitschriften recht!“

„Wenn dort steht, dass man sich uninteressiert zeigen muss, um sein Ziel zu erreichen, dann hat es funktioniert“, stimmte Chelsea ihr zu. Aber für wie lange, war eine andere Frage …

„Lieben Sie ihn?“, fragte sie.

Eleni lachte sie an. „Wer täte das nicht?“

„Möchten Sie ihn heiraten?“

„Natürlich.“ Was denn sonst? sagte ihr Ton aus. „Aber jetzt gehe ich besser, damit er uns nicht zusammen sieht. Ich bin Ihnen wirklich dankbar, Chelsea.“

Dion machte keine Bemerkung, dass er sie und Eleni zusammen gesehen hatte, und sie war nur froh darüber. Eigentlich wäre es ihr lieber gewesen, sie hätte sich nicht eingemischt. Von nun an, nahm sie sich vor, würde sie ihre Nase aus anderer Leute Angelegenheiten heraushalten.

Die Gäste, die mit ihren Kindern gekommen waren, verabschiedeten sich gegen sieben Uhr, da sie noch zum Festland zurückmussten.

„Warum müssen überhaupt noch welche hierbleiben“, knurrte Dion missgelaunt. Er schaute hinüber zu Eleni, die gerade über etwas lachte, was der junge Mann gesagt hatte, mit dem sie schon vorher zusammen gelacht hatte.

„Warum gehst du nicht hin und wirfst ihn hinaus?“, schlug ihm Chelsea vor. „Es hilft dir nicht, hier mürrisch herumzustehen und die beiden böse anzustarren.“

„Ich konkurriere mit keinem Mann!“, erklärte er düster. „Das habe ich dir bereits gesagt.“

Ich wollte doch aufhören, mich in solche Sachen einzumischen, schimpfte Chelsea mit sich. „Tut mir leid“, sagte sie. „Vergiss, dass ich etwas gesagt habe.“ Sie schlug einen leichteren Ton an. „Außerdem muss ich jetzt einmal verschwinden.“

Nikos unternahm keinen weiteren Versuch mehr, ihre Nähe zu suchen, seit er fortgerufen worden war. Und sie sah auch nichts von ihm, als sie ins Haus hineinging. Es war offensichtlich, er hatte das Interesse an ihr verloren, und sie konnte es ihm nicht verübeln. Was hatte sie schon, was er bei anderen Frauen nicht auch bekommen konnte – und mit viel weniger Aufwand?

Sie entschloss sich, morgen abzureisen. Die Sache war von Anfang an ein nutzloses Unterfangen gewesen.

Während sie sich im Bad die Hände wusch, versuchte sie sich Florina in diesem Haus als Hausherrin vorzustellen, aber es gelang ihr nicht. Ihre Chancen, es zu werden, waren sowieso gering. Nikos hatte sich am Nachmittag kaum um sie gekümmert. Es war gut möglich, dass Florina und ihre Mutter sich die ganze Zeit etwas vorgemacht hatten.

Als sie ins Bad gegangen war, war die Tür gegenüber geschlossen gewesen. Nun stand sie einen Spalt offen. Ein Bett an der gegenüberliegenden Wand war zu sehen. Dimitris saß darauf, und er hielt etwas in den Händen.

Es war ihr eigenes Geschenk, wie sie erfreut bemerkte. Spontan klopfte sie an die Tür. Der dunkle Kopf fuhr hoch, und sie lächelte den Jungen an.

„Hallo, Dimitris“, sagte sie. „Schläfst du noch nicht?“

Er erkannte sie sofort und erwiderte ihr Lächeln. „Ich habe immer noch Geburtstag“, sagte er in fließendem Englisch. „Wenn ich schlafen gehe, ist er vorbei. Aber er soll noch nicht vorbei sein.“

Zweisprachig mit fünf Jahren, dachte Chelsea beeindruckt.

„Bleibt das Kindermädchen nicht bei dir, bis du eingeschlafen bist?“, erkundigte sie sich, blieb aber an Tür stehen.

„Ledra ist bei Stavros“, sagte er in sachlichem Ton.

„Wer ist Stavros?“

„Er arbeitet im Garten. Er hat dort ein kleines Haus.“ Er wechselte das Thema. „Möchtest du auch einmal spielen?“

Sie kam herein und setzte sich zu ihm aufs Bett. „Ich kenne mich mit solchen Spielen nicht besonders gut aus“, bekannte sie. „Als ich es kaufte, habe ich ein wenig damit gespielt, habe aber kaum Punkte machen können.“

„Ich aber“, verkündete Dimitris stolz. Er kniete sich hin, damit er ihr über die Schulter sehen konnte. „Du bist aber langsam“, meinte er, als sie die Tasten drückte.

Chelsea stöhnte auf, als sie das Ergebnis sah. „Es wird ja immer schlimmer!“

Dimitris klopfte ihr tröstend auf die Schulter. „Versuch es doch noch mal.“

Chelsea schüttelte den Kopf. „Komm, zeig mir, was du kannst.“

Er tat es. Seine Finger tanzten nur so über die Tasten, und das Gerät piepste ununterbrochen. Sie waren beide so ins Spiel vertieft, dass sie den Mann nicht bemerkten, der an der Tür stand.

„Du bist einfach zu gut für das Ding!“, rief Chelsea, als er innerhalb kurzer Zeit die Höchstpunktzahl erreichte. „Hast du jemals einen Computer benutzt?“

„Fünf ist noch zu jung für einen Computer“, sagte Nikos. Die Köpfe der beiden fuhren herum.

Dimitris sagte etwas auf Griechisch, das Chelsea nicht verstand. Nikos lächelte kurz amüsiert. „Es sieht so aus, als würde meine Meinung nicht geteilt“, meinte er.

„Manche Kinder haben eine besondere Begabung“, erwiderte Chelsea. „Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich hier bin. Das Bad unten war besetzt, so ging ich hier nach oben. Dimitris war noch wach.“

„Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass du ihn absichtlich aufgeweckt hättest“, kam die trockene Antwort. „Wo ist Ledra?“

Dimitris spielte schon wieder, so hörte er anscheinend die Frage nicht. „Ich habe sie nicht gesehen“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Aber ich bin erst ein paar Minuten hier.“

Dimitris sagte nun etwas auf Griechisch, aber diesmal schüttelte sein Vater den Kopf.

„Morgen“, sagte er. „Jetzt ist es Zeit zu schlafen.“

Der Junge wusste wohl, es hatte keinen Sinn, weiter zu betteln, und kroch wieder unter die Decke. Impulsiv deckte sie ihn zu. Beinahe hätte sie ihm auch noch einen Gutenachtkuss gegeben.

„Du scheinst nicht zum ersten Mal Kinder ins Bett gebracht zu haben“, bemerkte Nikos.

„Manchmal kümmere ich mich um die beiden meiner Schwester. Es war ganz instinktiv.“

„Wie es bei einer Frau sein sollte“, sagte er mit sanfter Stimme. „Ich glaube, du spielst die Emanzipierte eher des Effekts wegen als aus Überzeugung.“

„Du meinst, im Grunde genommen bin ich ein süßes, altmodisches Mädchen unter meiner emanzipierten Oberfläche?“, fragte sie sarkastisch.

Er verzog den Mund. „So weit würde ich nun auch wieder nicht gehen.“

Dimitris sah mit wachem Blick von einem Erwachsenen zum anderen. Er schien zu spüren, dass hinter dem Wortgeplänkel mehr steckte. Zeit zu gehen, dachte Chelsea.

„Gute Nacht, Dimitris“, sagte sie und lächelte ihn an. „Schlaf gut.“

„Ich wünschte, du wärst mein Kindermädchen, und nicht Ledra.“

Chelsea wusste nichts darauf zu antworten, so lachte sie kurz auf und fuhr ihm liebevoll durch die dunklen Haare. Sie bedauerte es, ihn das letzte Mal zu sehen.

Nikos nahm seinem Sohn das Spiel ab und legte es außer Reichweite, bevor er Chelsea folgte und die Tür hinter ihnen schloss.

„Mein Sohn hat sehr schnell Vertrauen zu dir gefasst“, meinte er.

„Du meinst, für eine Fremde?“, fragte sie leichthin.

„Für Kinder spielt so etwas kaum eine Rolle. Sie sehen den Menschen dahinter.“

Gott sei Dank nicht den ganzen, dachte sie trocken. Sie hoffte nur, ihre wirkliche Absicht würde geheim bleiben, bis sie die Insel wieder verlassen hatte.

„Ich gehe jetzt besser wieder hinunter, falls Kyria Pandrossos gehen möchte“, sagte sie. „Wir sind alle im selben Wagen gekommen.“

„Nur weil ihr in einem Wagen gekommen seid, müsst ihr nicht unbedingt wieder im selben Wagen zurückfahren“, sagte Nikos ruhig. „Ich möchte, dass du bleibst.“

Chelsea blickte ihm in die dunklen Augen, und ihr Herz schlug auf einmal schneller. „Du hast noch andere Gäste.“

„Sie sind nicht so interessant für mich wie du.“ Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und strich sanft mit den Daumen über ihre Lippen. „Ich begehre dich, glikia. So, wie du mich. Sollten wir uns dieses Vergnügens berauben?“

„Was schlägst du vor?“, fragte sie heiser und kämpfte gegen das Verlangen an, alle Bedenken in den Wind zu schlagen. „Dass wir uns gleich ein Bett suchen?“

Autor

Susan Mallery

Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren Frauenromanen voll großer Gefühle und tiefgründigem Humor. Mallery lebt mit ihrem Ehemann und ihrem kleinen, aber unerschrockenen Zwergpudel in Seattle.

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