Julia Gold Band 96

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DER PRINZ UND DAS MÄDCHEN VON NEBENAN von JESSICA HART
Durch eine verrückte Schicksalswendung muss Caro die Verlobte des Thronfolgers von Montvivennes spielen. Fast augenblicklich bezaubert sie den umschwärmten Traumprinzen mit ihrer Natürlichkeit. Aber sie weiß: Philippes Königin kann sie niemals werden – oder doch?


DAS HERZ DER WÜSTE von MEREDITH WEBBER
Tag für Tag bewältigt Jenny die Herausforderungen als Ärztin im Wüstenreich Zaheer. Dabei gerät ihr eigenes Herz in Gefahr! Denn ihr Kollege, Dr. Kamid Rahman, weckt in ihr eine verloren geglaubte Sehnsucht. Sie ahnt nicht, dass er nicht nur ein Arzt ist, sondern Scheich Kamid Rahman al'Kawali – der Herrscher von Zaheer …


HEISSER FLIRT MIT EINEM FÜRSTEN von ROBYN DONALD
Alexa erwidert Prinz Lukas Küsse stürmisch, doch bevor sie ihm ganz erliegt, flieht sie aus seinen Armen. Als am nächsten Tag Paparazzifotos von ihnen erscheinen, glaubt Luka, dass sie der Presse einen Tipp gegeben hat! Ist das das Ende ihrer kurzen Romanze, bevor sie überhaupt richtig begann?


  • Erscheinungstag 08.01.2021
  • Bandnummer 96
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718404
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jessica Hart, Meredith Webber, Robyn Donald

JULIA GOLD BAND 96

1. KAPITEL

An: caro.cartwright@u2.com

Von: charlotte@palaisdemontvivennes.net

Betreff: Internet-Dating

Liebe Caro,

es tut mir leid, dass der Feinkostladen, in dem du so gern gearbeitet hast, pleite gegangen ist! Kein Wunder, wenn du deprimiert bist, insbesondere, da die Trennung von George auch noch nicht lange zurückliegt. Dennoch scheinst du deinen Humor nicht ganz verloren zu haben: Ich musste herzlich darüber lachen, wie du den Persönlichkeitstest auf der Internet-Dating-Seite beschrieben hast. Trotzdem würde ich eine solche Partnerbörse den Versuchen meiner Grandmère, mich unter die Haube zu bringen, bei Weitem vorziehen. Möchtest du nicht mit mir tauschen?

Lotty

An: charlotte@palaisdemontvivennes.net

Von: caro.cartwright@u2.com

Betreff: Tauschen

Nur zu gern, wenn dich mein aufregendes Leben reizt: Ich jobbe vorübergehend bei einer Versicherung und erstelle gerade mein Profil für eine andere Singlebörse. Nach dem katastrophalen Ergebnis des Tests, von dem ich dir geschrieben habe, musste ich mir ein neues Dating-Portal suchen.

Für mich wäre es natürlich ein großes Opfer, deinen Platz einzunehmen: mit einer – wenn auch furchteinflößenden – Großmutter in einem Palast zu leben, die mich mit attraktiven Prinzen verkuppeln will … Aber für dich tue ich alles! Nenne mir Zeit und Ort, und ich lebe zur Abwechslung einmal wie eine Prinzessin … Das bringt mich übrigens auf eine Idee für mein neues Profil.

Caro

„Prinzessin sucht Frosch: lebenslustige, üppige Brünette, 28, hält Ausschau nach dem Einen für gute und schlechte Zeiten.“

„Was hältst du davon?“ Caro las ihrer Freundin, die auf dem Sofa lag und interessiert im Glitz-Magazin blätterte, die Überschrift über ihrem neuen Profil vor.

„Gar nichts! Ich verstehe nicht, was du damit ausdrücken willst“, kritisierte Stella den Slogan.

„Dass ich einen ganz normalen Mann suche, keinen Märchenprinzen. Ist das nicht offensichtlich?“

„Überhaupt nicht! Du darfst nicht zu geheimnisvoll oder geistreich schreiben – das mögen Männer nicht.“

„Ist das kompliziert!“ Aufstöhnend wandte Caro sich wieder ihrem Computer zu und löschte den Text. „Und was meinst du zu ‚üppig‘? Klingt das nicht, als wäre ich dick? Dass ich superschlank bin, kann ich leider nicht behaupten, spätestens bei der ersten Verabredung kommt die Wahrheit ans Licht. Es ist sicher besser, im Profil nicht zu lügen.“

„Dann streich das ‚lebenslustig‘ – das hört sich an, als wärst du zu allem bereit.“

„Genau so ist es! Ich will mich verändern. Mit Vernunft bin ich bei George nicht weit gekommen.“

Stattdessen wollte Caro werden wie die immer gut aufgelegte Melanie mit den sexy Augenaufschlägen und den tief ausgeschnittenen Tops, die ihr ihren ruhigen, besonnenen Freund ausgespannt hatte.

„Wenn ich verrate, wonach ich wirklich suche, bittet mich ohnehin keiner um ein Date“, fügte sie düster hinzu.

„Blödsinn! Schreib, dass du nett und großzügig bist, eine tolle Köchin – das wäre ehrlich.“

„Männer stehen nicht auf nett! Sie suchen temperamentvolle, sexy Frauen.“

„Dann zieh dir erst einmal etwas anderes an!“ Stella musterte ihre Freundin kritisch. „Ich weiß, dass du auf den Vintage-Look stehst, aber ein Häkeltop …?“

„Es ist ein Original aus den Siebzigern.“

„Und war schon damals scheußlich!“

Caro schwieg leicht gekränkt. Zu dem beanstandeten Top trug sie einen Minirock im Schottenkaro aus den Sechzigern und knallrote Pumps. Zugegeben, gelegentlich vergriff sie sich bei ihren Kombinationen, doch speziell mit ihrem heutigen Outfit war sie ausgesprochen zufrieden.

Seufzend wandte sie sich wieder ihrem Laptop zu. „Und wie wäre es mit: ‚Experiementierfreudige Köchin sucht Feinschmecker‘?“

„Dann melden sich nur Männer, die erwarten, dass das Abendessen auf dem Tisch steht, sobald sie nach Hause kommen – Typen wie George.“ Als Stella sah, wie ihre Freundin betroffen zusammenzuckte, fuhr sie in sanfterem Ton fort: „Ich weiß, die Trennung hat dich verletzt. Aber sei ehrlich, er war nicht der Richtige für dich.“

„Du hast recht“, stimmte Caro ihr seufzend zu. „Ich gebe mir ja alle Mühe weiterzumachen, oder etwa nicht?“ Sie löschte den letzten Satz. „Partnersuche über das Internet ist schrecklich deprimierend. Früher ging das viel einfacher! Was ist in den fünf Jahren, in denen ich mit George zusammen war, mit all den männlichen Singles passiert? Sind sie in einer Art Bermudadreieck verschollen?“

„Genau. Man nennt es auch Ehe.“ Stella griff wieder nach der Zeitschrift. „Wieso suchst du überhaupt in Ellerby nach einem Partner? Lass dich doch von deiner Freundin Lotty mit einem reichen Mann zusammenbringen, der es sich leisten kann, dich in Nobelrestaurants auszuführen.“

Caro dachte an die E-Mail ihrer Freundin und lachte. „Schön wär’s. Als Prinzessin sollte sie eigentlich ein fantastisches, glamouröses Leben führen, aber ihre Großmutter bevormundet sie total. Anscheinend sucht sie ihr gerade einen passenden Ehemann aus. Wie würde dir das gefallen? Da bleibe ich lieber beim Internet-Dating!“

„Wenn er so aussieht wie der, mit dem Lotty derzeit ausgeht, hätte ich nichts dagegen. Vor einem Moment noch habe ich das Foto gesehen. Ihre Großmutter hat jedenfalls Geschmack, ich hätte nichts dagegen, von ihr verkuppelt zu werden.“

Überrascht sah Caro auf. „Lotty hat einen Freund? Davon hat sie nichts geschrieben! Wer ist es?“

„Augenblick, ich suche noch.“ Konzentriert blätterte Stella Seite für Seite um. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du mit einer echten Prinzessin befreundet bist. Wieso durfte ich nicht auch eine Eliteschule besuchen?“

„Es hätte dir nicht gefallen. Wenn du einen Titel, eine blonde Lockenmähne oder ein eigenes Pony hast, ist es ganz nett dort, aber die Tochter einer Lehrerin und des Hausmeisters nimmt niemand wahr.“

„Nur Lotty.“

„Sie war ebenfalls eine Außenseiterin. Übergewichtig, mit Sommersprossen und Zahnspange – Lotty hat obendrein gestottert –, hielten wir vom ersten Tag an zusammen.“

„Inzwischen sieht sie hinreißend aus … hier ist das Bild. Ihr Kleid ist ein Traum!“ Laut las sie die Bildunterschrift auf der Party-Seite: „Prinzessin Charlotte von Montluce in Begleitung von Prinz Philippe auf dem Nightingale Ball. Erst kürzlich in seine Heimat zurückgekehrt, trat der lange Zeit verschollene Thronfolger von Montluce bei dem Ball zum ersten Mal öffentlich an der Seite der Prinzessin auf. Aus gut unterrichteten Kreisen wird berichtet, die beiden wären unzertrennlich. Eine Verlobung noch in diesen Sommer gilt als wahrscheinlich.“

„Lass sehen!“ Caro riss Stella das Magazin aus den Händen und betrachtete skeptisch die Seite. „Lotty und Philippe? Das glaub ich nicht!“

Doch er war es unverkennbar. Als sie ihn kennengelernt hatte, war er siebzehn Jahre alt gewesen, ein Junge erst, doch sein umwerfendes Äußeres und sein Hang zum Leichtsinn hatten sie zutiefst verstört. Dreizehn Jahre später wirkte er größer und muskulöser, doch ebenso schlank und gefährlich wie früher. Er blickte mit derselben kühlen Arroganz und demselben sardonischen Lächeln in die Kamera, die ihr bereits mit fünfzehn den Atem geraubt hatten.

„Du kennst ihn?“, fragte Stella begeistert.

„Nicht wirklich. Ich durfte Lotty einmal in den Sommerferien in die Villa ihrer Familie in Frankreich begleiten. Er hielt sich mit seiner Clique ebenfalls dort auf. Es war kurz vor Dads Tod, daher ist mir nicht viel aus der Zeit im Gedächtnis haften geblieben. Ich weiß nur noch, dass ich mir völlig fehl am Platz vorkam und Philippe mich eingeschüchtert hat.“

Im Geist sah sie ihn wieder vor sich, lang ausgestreckt auf einer Liege neben dem riesigen Pool, umgeben von schlanken, hübschen Mädchen in winzigen Bikinis. Sie hatte sich mit Lotty in den Schatten zurückgezogen und sich nicht getraut, in ihrem langweiligen Badeanzug ins Wasser zu gehen, solange er in der Nähe war.

„Abends ist er immer mit seinen Freunden ausgegangen. Sie haben jeden erdenklichen Unfug angestellten, es gab Ärger, und der eine oder andere wurde für eine Weile nach Hause geschickt.“

„Wie aufregend! Hast du mitgemacht?“, fragte Stella neidisch.

Caro schüttelte lachend den Kopf. „Das hätten Lotty und ich nie gewagt. Philippe hat uns ohnehin nicht wahrgenommen. Obwohl – gerade fällt es mir wieder ein –, als mein Dad ins Krankenhaus gekommen ist, war er sehr freundlich zu mir. Er sagte, es tue ihm leid, und lud mich ein, ihn und seine Freunde am Abend zu begleiten. Das hatte ich ganz vergessen.“

Erneut betrachtete sie das Foto und versuchte, den Jungen von damals in dem Mann von heute zu erkennen. Seltsam, dass sie sich an seine Freundlichkeit erinnerte. Fast alle anderen Eindrücke aus jener Zeit hatte die Sorge um ihren Vater ausgelöscht.

„Bist du mitgegangen?“

„Nein, ich konnte nur an Dad denken. Außerdem hätte ich mich sowieso nicht getraut. Sie waren eine wilde Bande, und Philippe war der Schlimmste von allen, ein richtiger Teufelsbraten. Sein älterer Bruder Etienne soll allerdings sehr nett gewesen sein. Er kam bei einem Wasserskiunfall ums Leben. Philippe verschwand kurz darauf. Lotty erwähnte einmal, er hätte jeden Kontakt zu seinem Vater abgebrochen und lebte in Südamerika. Niemand ahnte damals, dass sein Vater eines Tages König von Montluce sein würde. Wie seltsam, dass er nicht früher zurückgekehrt ist! Vielleicht war er zu beschäftigt damit, Unsinn anzustellen und sein Erbe durchzubringen.“

„Lotty könnte dich mit einem seiner reichen Freunde bekannt machen.“

„Ich fürchte, ich passe nicht zum Jetset.“

Stella musterte die Freundin kritisch. „In diesem Häkeltop bestimmt nicht!“

„Ganz zu schweigen von den sechs überflüssigen Pfunden auf meinen Rippen.“ Caro gab Stella die Zeitschrift zurück. „Außerdem kann ich mir nichts Schlimmeres vorstellen, als in solchen Kreisen zu verkehren. Ständig muss man perfekt gestylt sein und gelangweilt dreinschauen, weil es uncool ist, Freude zu zeigen. Und um gertenschlank zu bleiben, darf man von den Köstlichkeiten in den Nobellokalen nichts essen.“

„Lotty scheint das nicht zu stören“, wandte Stella nach einem weiteren Blick auf das Foto ein.

„Sie zeigt nicht, was sie wirklich denkt. Als Prinzessin muss sie ständig lächeln, ob sie sich langweilt, elend fühlt oder am Ende ihrer Kräfte angelangt ist. Sie ist eine wunderbare Frau, hat aber keine Gelegenheit, zu sich selbst zu finden oder Leute zu treffen, die sich für sie als Menschen und nicht als Prinzessin interessieren.“

Jetzt wandte sie sich wieder dem Computer zu und öffnete Lottys letzte Mail. Wieso nur hatte sie nichts von Philippe erwähnt?

An: charlotte@palaisdemontvivennes.net

Von: caro.cartwright@u2.com

Betreff: ???

Was ist mit dir und Philippe???

Die Antwort traf am nächsten Morgen ein.

An: caro.cartwright@u2.com

Von: charlotte@palaisdemontvivennes.net

Betreff: Re: ???

Grandmère versucht wieder ihre alten Tricks, doch diesmal ist es ihr todernst. Die Situation wird allmählich unerträglich, ich bin der Verzweiflung nahe!

Als wir über einen Rollentausch gescherzt haben, hast du geschrieben, du würdest alles für mich tun. Ich hoffe, du hast es ernst gemeint, denn mir ist eine Idee gekommen, wie du mir helfen kannst. Gern würde ich sie dir selbst erklären, doch das geht nicht am Telefon, und ich kann Montluce im Moment nicht verlassen. Da Philippe sich gerade in London aufhält, habe ich ihm deine Telefonnummer gegeben. Er wird sich mit dir in Verbindung setzen und dir meinen Plan darlegen, von dem wir alle drei profitieren können!

Lxxx

Verwirrt las Caro die Nachricht immer wieder durch. Was meinte Lotty nur, und inwiefern hatte Philippe damit zu tun? Wie sollte ausgerechnet er ihr helfen können? Sollte er George dazu bringen, Melanie den Laufpass zu geben und zu ihr zurückzukehren? Oder würde er die Bank veranlassen, dem Feinkostladen, in dem sie gearbeitet hatte, einen neuen Kredit zu gewähren?

Und worin bestanden seine Probleme? Litt er unter zu viel Geld oder zu vielen schönen Frauen?

Der bloße Gedanke, ein leibhaftiger Prinz würde sie anrufen, versetzte sie in helle Aufregung. Wie sollte sie reagieren? Sollte sie ganz lässig sagen: „Hallo! Lotty hat erwähnt, dass Sie sich melden wollen.“

Was hat sie ihm über mich erzählt? überlegte sie. Hoffentlich nicht die Wahrheit, denn dann wüsste er, wie durchschnittlich und langweilig sie war.

Gleich darauf beruhigte sie sich selbst. Es war gleichgültig, was er von ihr hielt. Sie lebte gern in Ellerby und hegte keinen übertriebenen Ehrgeiz. Alles, was sie sich wünschte, waren ein Zuhause, ein Ehemann, ein angenehmer Job, eine eigene Küche und eine Familie, für die sie kochen konnte – das war doch nicht zu viel verlangt?

Philippe entstammte einer anderen Welt, in der es von Luxusjachten, Designerkleidung und dergleichen nur so wimmelte – alles Dinge, aus denen sie sich nichts machte, abgesehen von den Sternerestaurants. Sie hatte eine Schwäche für gutes Essen. Ansonsten war sie zufrieden mit ihrem Leben – oder wäre es gewesen, wenn nicht George sie wegen Melanie verlassen hätte und ihr Arbeitgeber pleite gegangen wäre.

Ich könnte mich ihm auch als Karrierefrau präsentieren, die millionenschwere Verträge abschließt, von hartnäckigen Verehrern belagert wird und daher nur wenig Zeit für einen Playboyprinzen aufbringen kann? grübelte sie weiter.

Sicher wäre er überrascht, wie gut sich die linkische Fünfzehnjährige gemacht hat! Gleich darauf verwarf sie die Idee. Wahrscheinlich erinnerte er sich ohnehin nicht mehr an sie. Und wieso sollte sie mehr scheinen wollen, als sie war?

Dennoch sah sie dem bevorstehenden Gespräch hochgradig nervös entgegen. Sie sehnte seinen Anruf herbei, damit sie ihn endlich hinter sich bringen konnte. Das Telefon schwieg jedoch hartnäckig. Als es schließlich irgendwann klingelte, erschrak sie zutiefst. In ihrer Hektik fiel ihr sogar der Hörer aus der Hand. Leider war nur Stella am Apparat, die sich danach erkundigte, ob Philippe sich bereits gemeldet habe. Ihre Antwort fiel entsprechend aus, worüber sie sich im Nachhinein ärgerte.

Schließlich ging es nur um Philippe, einen Prinzen zwar, doch was hatte er jemals getan, als auf Partys zu gehen und cool auszusehen? Das beeindruckt mich nicht, dachte sie, ertappte sich jedoch kurz darauf dabei, wie sie ihr Aussehen im Spiegel überprüfte und Lippenstift auflegte, als könne er sie durchs Telefon hindurch sehen.

Oder als wäre sie ihm nicht absolut gleichgültig.

Doch er rief nicht an. Am Samstagabend überlegte Caro, ob Lotty ihn missverstanden hatte, oder, was sie für wahrscheinlicher hielt, ob er keine Zeit auf das verschwenden wollte, worum er gebeten worden war.

Auch gut, dachte sie. Dann würde sie eben abwarten, bis Lotty sich das nächste Mal meldete.

Es war ein herrlicher Sommerabend, viel zu schade, um zu Hause zu bleiben. Leider hatte sie keine Verabredung getroffen, außerdem fehlte ihr das nötige Geld zum Ausgehen. Nicht einmal ein Glas Wein konnte sie sich gönnen, Stella und sie hatten mit einer Diät begonnen und jeglichen Alkohol aus der gemeinsamen Wohnung verbannt.

Da ihr keine bessere Beschäftigung einfiel, klappte sie ihren Laptop auf und loggte sich bei right4u.com ein. Erst gestern war ihr sorgfältig erstelltes Profil, zusammen mit dem schmeichelhaftesten Foto, das sie hatte auftreiben können, bei der Internetpartnerbörse freigeschaltet worden, und tatsächlich hatten bereits zwei Männer darauf reagiert. Die erste der beiden Nachrichten stammte von einem Sechsundfünfzigjährigen, der behauptete, „im Herzen jung geblieben“ zu sein, und damit prahlte, noch über alle Zähne und volles Haar zu verfügen – beides wenig sehenswert, wie sie bei einem Blick auf sein Foto feststellte.

Die zweite kam von einem Mann, der kein Bild beigefügt hatte. Dass er sich den Spitznamen Mr. Sexy zugelegt hatte, erfüllte Caro mit großer Skepsis. Außerdem stimmten sie in ihren Interessen lediglich zu sieben Prozent überein. „Ich suche eine Seelenverwandte. Ruf mich an und lass uns ein gemeinsames Leben beginnen“, hatte er geschrieben.

Bestimmt nicht! dachte sie.

Deprimiert und gelangweilt stand sie auf und ging in die Küche. Sie hatte an diesem Tag bisher ausschließlich von Salat gelebt und war entsprechend hungrig und schlecht gelaunt.

Zum Glück fand sie in Rekordzeit Stellas Geheimvorrat an Keksen. Gerade biss sie in das dritte Plätzchen, als es an der Tür klingelte. Es war bereits zwanzig Uhr, eine ungewöhnliche Zeit für Besuch – zumindest in Ellerby.

Egal, dachte sie. Langweiliger als ihre möglichen Partner auf right4u.com konnte niemand sein. Rasch schob sie sich den restlichen Keks in den Mund, eilte zur Tür und öffnete.

Vor ihr stand Prinz Philippe Xavier Charles de Montvivennes.

Vor Schreck verschluckte Caro sich, hustete und sprühte dabei Kekskrümel auf sein Jackett.

Ohne mit den Wimpern zu zucken, wischte er die Krümel beiseite. Lediglich das Lächeln auf seinen Lippen geriet für einen winzigen Augenblick ins Wanken.

„Caro Cartwright?“ Der olivfarbenen Teint und das glänzend schwarze Haar wiesen ihn als Südeuropäer aus, doch er sprach perfekt und akzentfrei Englisch – auch er hatte in England die Schule besucht. Aus überraschend hellen Augen betrachtete er Caro kühl und durchdringend.

Immer noch hustend, die Augen voller Tränen, klopfte Caro sich auf die Brust. „Ja, die bin ich“, stieß sie nach einer ganzen Weile mühsam hervor.

Um Himmels willen, dachte Philippe, dem es nur mit Mühe gelang, seine Enttäuschung zu verbergen. Lotty hatte behauptet, Caro wäre wunderbar und perfekt geeignet für ihren Plan. Von wegen! Er hatte eine zarte, distinguierte, elegante junge Dame erwartet, stattdessen bespuckte ihn eine seltsam gekleidete Gestalt mit aufreizenden Kurven zur Begrüßung mit Krümeln. Leuchtend blaue Augen unter dunklen Brauen und volles braunes Haar, das anscheinend auch durch Haarklammern nicht zu bändigen war, ließen sie gleichzeitig chaotisch und warmherzig wirken. Gekrönt wurde ihr Auftritt durch eine lilafarbene Leinenbluse, die möglicherweise vor vierzig Jahren aktuell gewesen war und vermutlich schon damals als hässlich gegolten hatte.

Drauf und dran, auf dem Absatz kehrtzumachen und nach London zurückzufliegen, fiel Philippe im letzten Moment seine Cousine wieder ein. Bei ihrem letzten Zusammentreffen war sie völlig verzweifelt gewesen. Sie hatte nicht geweint, doch ihr trauriger Blick und die Art, wie sie die Lippen zusammengepresst hatte, waren ihm ans Herz gegangen.

„Caro wird uns helfen“, hatte sie ihm im Brustton der Überzeugung versichert. „Das ist meine einzige Chance, Philippe. Bitte sag, dass du es tust!“

Also hatte er es ihr versprochen. Jetzt musste er zu seinem Wort stehen.

Verdammt!

Er setzte sein – wie ihm mehr als eine Frau versichert hatte – unwiderstehlichstes Lächeln auf. „Ich bin Lottys Cousin, Ph…“, begann er, doch Caro unterbrach ihn.

„Ich weiß, wer Sie sind“, sagte sie, offensichtlich unbeeindruckt von seinem Lächeln. „Was machen Sie hier?“

Einen Moment schwieg er verwirrt. „Hat Lotty mich nicht angekündigt?“

„Sie hat gesagt, Sie würden anrufen“, kam die Antwort in vorwurfsvollem Ton.

„Ich hielt es für einfacher, Ihnen Lottys Plan persönlich zu erklären“, konterte er hoheitsvoll.

Einfacher für dich vielleicht, dachte sie. Schließlich war nicht er ohne eine Spur von Make-up im Gesicht, dafür mit einem Keks im Mund, von einem attraktiven Mann überrascht worden.

Sie hatte geglaubt zu träumen, als der überaus elegant gekleidete Prinz auf ihrer Türschwelle stand. Er schien direkt den Seiten des Glitz-Magazin entsprungen, war groß und sonnengebräunt und von einer undefinierbaren Aura von Reichtum, Glamour und rotem Teppich umgeben.

Er ist nichts weiter als ein verwöhnter Playboy, versuchte sie sich einzureden. Zeichen von Verweichlichung entdeckte sie an ihm jedoch nicht. Weder die Linien um seinen Mund noch die ausgeprägten Wangenknochen oder das markante Kinn ließen darauf schließen. Der schlanke muskulöse Körper zeugte nicht von Maßlosigkeit, in den kalten hellen Augen fand sich keine Spur von Nachgiebigkeit.

Sie ertappte sich dabei, wie sie ihn stumm und staunend anstarrte, und sah rasch beiseite. „Sie hätten anrufen sollen. Es ist Samstag, es hätte sein können, dass ich ausgehe.“

„Haben Sie das vor?“ Skeptisch ließ er den Blick über sie gleiten, worauf sie trotzig das Kinn hob.

„Zufällig nicht.“

„Vielleicht darf ich hereinkommen und Ihnen erklären, worum Lotty Sie bittet. Oder möchten Sie die Unterhaltung auf der Türschwelle führen?“

Ihre Freundin hatte sie für einen Moment ganz vergessen. Unwillkürlich presste Caro kurz die Lippen aufeinander. „Nein, natürlich nicht.“

Auf der Straße parkte eine schwarze Limousine mit verdunkelten Fenstern, die sicher bald die Aufmerksamkeit der Nachbarn auf sich ziehen würde. Rasch trat sie einen Schritt zurück und hielt ihm die Tür auf. „Treten Sie bitte ein.“

Der Flur war schmal, und sie hielt den Atem an, als Philippe an ihr vorüberging. Vermutlich war das der Auslöser für den leichten Schwindelanfall und die Luftnot, unter denen sie plötzlich litt. Er bewegte sich mit der Anmut eines schwarzen Panthers. Geschmeidig glitt er an ihr vorüber und wirkte dabei überraschend groß, kräftig und überwältigend männlich.

Sie führte ihn ins Wohnzimmer. Dort herrschte zwar ein schreckliches Chaos, doch da er nicht den Anstand besessen hatte, seinen Besuch anzukündigen, konnte er sich darüber kaum beschweren.

Philippe blickte sich voll Abscheu in dem kleinen Raum um. Nie zuvor hatte er eine solche Unordnung gesehen. Über den Heizkörpern hingen Strumpfhosen zum Trocknen. Kleider, Schuhe, Bücher und dergleichen lagen auf dem Teppich verstreut, auf einem Couchtisch, zwischen Kosmetika, Ladegeräten, Zeitschriften und nur teilweise geleerten Tassen, stand ein geöffneter Laptop.

Diese Frau unterschied sich drastisch von Lottys anderen Freundinnen, die durchweg kultiviert, elegant und stets makellos gekleidet waren und auf den Gütern ihrer Familien oder in geräumigen Apartments in New York, London oder Paris lebten. Das hätte er bereits ahnen müssen, als der Wagen in ihre Straße einbog, in der sich ein bescheidenes Häuschen an das andere reihte. Was hat Lotty sich nur dabei gedacht?

„Möchten Sie eine Tasse Tee?“, bot Caro ihm höflich an.

Um acht Uhr abends? Wer, um Himmels willen, trank um diese Zeit Tee? Er unterdrückte nur mit Mühe ein Stöhnen.

„Haben Sie nichts Stärkeres?“

„Hätten Sie Ihr Kommen angekündigt, hätte ich meine Champagnervorräte aufgestockt. So kann ich Ihnen leider nur Kräutertee anbieten.“

Für einen Moment entglitten dem ansonsten kaum zu erschütternden Philippe die Gesichtszüge, und Caro fuhr voller Schadenfreude fort: „Sie haben die Wahl zwischen Ginkgo-, Brennessel- oder Disteltee …“

Nun erst erkannte er, dass sie sich über ihn lustig machte. „Was immer Sie nehmen“, erwiderte er und ärgerte sich sofort darüber, wie steif und förmlich seine Worte klangen. Normalerweise war er lässig und entspannt, doch etwas an dieser sonderbar gekleideten Frau raubte ihm die Fassung. Hinzu kam, dass er sich in ihrer Welt, in der die ihm geläufigen Gewohnheiten nicht galten, unsicher fühlte.

Er könnte in diesem Moment in einer eleganten Bar sitzen und Cocktails mit einer Schönheit genießen, die die Spielregeln kannte. Stattdessen befand er sich in dieser winzigen Wohnung, wo ihm nur Tee angeboten wurde – noch dazu Kräutertee! –, von einem Mädchen, das sich über ihn lustig machte.

„Dann mache ich Johanniskrauttee“, kündigte sie fröhlich an. „Nehmen Sie Platz, ich bin gleich zurück.“

Ich kann es kaum erwarten, dachte er zynisch.

Seufzend räumte er einen Platz auf dem Sofa frei und ließ sich darauf nieder. Lotty hatte ihn überredet, hierher zu kommen und eine Aufgabe zu erledigen. Es ist auch in meinem Sinn, redete er sich selbst gut zu. Wenn Caro tatsächlich hielt, was Lotty versprach, war sie seine Rettung.

„Sie ist nicht schön im herkömmlichen Sinn, dafür aber interessant“, hatte Lotty sie beschrieben.

Nein, eine Schönheit war sie gewiss nicht, doch ihr Gesicht mit den ausdrucksvollen blauen Augen und den vollen Lippen wirkte lebhaft und intelligent. In eleganter Garderobe, mit einem guten Haarschnitt und dem richtigen Make-up könnte sie umwerfend aussehen, gestand Philippe ihr zu. Gleichwohl war sie nicht sein Typ. Er zog gertenschlanke, raffinierte Frauen vor. Beides war sie nicht – umso besser! Es gehörte zu dem Plan, dass er nicht den Wunsch verspürte, sich mit ihr einzulassen. Umgekehrt galt dasselbe.

Als Caro mit zwei Tassen in der Hand zu ihm zurückkehrte, war er deutlich optimistischer gestimmt. Das änderte sich schlagartig, als er die wie Spülwasser aussehende Brühe, die sie als Tee bezeichnete, kostete. Nur mit Mühe gelang es ihm, nicht auszuspucken.

Sie bemerkte seinen angewiderten Gesichtsausdruck und lachte fröhlich. „Ekelhaft, nicht wahr?“

„Wie kann man so etwas nur trinken?“ Er verzog das Gesicht und stellte die Tasse auf dem Tisch ab. Üblicherweise hätte er kein Aufheben darum gemacht, doch er benötigte eine Entschuldigung, um seine Reaktion auf ihr Lachen zu überspielen. Es hatte ihn überrascht und aus dem Gleichgewicht gebracht. Sein Herz hatte einen Schlag lang ausgesetzt, als hätte er im Dunkeln eine Treppenstufe verfehlt. Tief, leicht heiser und völlig unerwartet, klang es so verführerisch, dass es ihm den Atem geraubt hatte.

„Er soll sehr gesund sein.“ Sie betrachtete ihren eigenen Tee ohne Begeisterung. „Ich mache gerade eine Diät: kein Alkohol, kein Koffein, keine Kohlenhydrate, keine Milchprodukte … eigentlich gar nichts, was schmeckt“, fügte sie traurig hinzu.

„Wie grässlich!“

„Das ist es wirklich.“ Sie blies über das heiße Getränk.

Die Flucht in die Küche hatte ihr gutgetan. Nie zuvor war ihr aufgefallen, wie erstickend eng ihre Wohnung war. Philippe schien den ganzen Sauerstoff daraus zu verdrängen. Neben ihm fühlte sie sich erdrückt und irgendwie seltsam. Nervös spielte sie mit der Tasse in ihrer Hand, unbeholfen und verlegen wie eine Fünfzehnjährige.

Dass er sich hochnäsig und sichtlich angewidert in ihrem gemütlichen Wohnzimmer umgesehen hatte, hatte sie tief getroffen. Aus Rache hatte sie ihm Kräutertee angeboten. Seine entsetzte Miene hatte ihr große Genugtuung verschafft.

Jetzt beobachtete sie ihn erneut. Reich, schön und glamourös, wie er war, spielte er in einer anderen Liga als sie und wirkte hier vollkommen deplatziert.

Egal was ich auch mache, ich kann ihn nicht beeindrucken, dachte sie, während sie mit ihrem Löffel den Teebeutel ausdrückte. Also brauchte sie sich gar nicht erst zu verstellen und konnte einfach sie selbst sein.

„Ich erfinde mich gerade neu“, erklärte sie ihm daher ohne Scheu. „Mein Verlobter hat mich kürzlich wegen einer jüngeren, schöneren, amüsanteren Frau verlassen, obendrein habe ich meinen Job verloren. Einige Monate lang habe ich Trübsal geblasen, jetzt finde ich es an der Zeit, mich zusammenzureißen. Ich versuche fitter zu werden, abzunehmen und mein Leben zu verändern, einen netten Mann kennenzulernen, mit dem ich glücklich werden kann … Sie wissen schon, lauter realistische Ziele …“

Philippe warf ihr einen skeptischen Blick zu. „Ist das nicht ein bisschen viel erwartet von diesem Kräutertee?“

„Er ist doch nur ein Anfang! Aber wenn ich diesen ersten Schritt nicht schaffe, wie soll ich dann all die anderen Maßnahmen bewältigen?“ Zum Beweis trank sie einen Schluck Tee, rümpfte dabei jedoch unwillkürlich die Nase. „Sie wollten allerdings nicht über meine Diät reden, sondern über Lotty“, rief sie ihm ins Gedächtnis.

2. KAPITEL

„Lotty“, sagte Philippe nachdenklich und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

Caro stellte ihre Tasse beiseite und fragte besorgt: „Geht es ihr gut? Sie hat mir per E-Mail von einem mysteriösen Plan berichtet und behauptet, Sie würden ihn mir erklären.“

„Doch, ihr geht es gut, und ich soll Ihnen ihren Vorschlag unterbreiten. Ich überlege nur, womit ich beginne. Ist Ihnen die aktuelle Lage in Montluce bekannt?“

Das winzige Land, eine der letzten absoluten Monarchien in Europa, wurde seit Karl dem Großen von den Montvivennes regiert. Die Familie, allen voran Lottys Großmutter, die Königinwitwe Blanche, hielt eisern an alten Traditionen fest.

„Lottys Vater ist letztes Jahr überraschend gestorben.“ Der König, ein freundlicher, politisch uninteressierter Mann, hatte die Regierungsgeschäfte seiner Mutter überlassen. Lotty, sein einziges Kind, war eine perfekte Prinzessin: Wunderschön, ständig lächelnd und händeschüttelnd, wirkte sie nie gelangweilt oder schlecht gelaunt. Nie äußerte sie öffentlich einen unbedachten Kommentar, im Internet kursierten keine Fotos, die sie auf wilden Partys oder in unpassender Begleitung zeigten. Nicht der Hauch eines Skandals umgab sie.

„Das war leider nicht das einzige Unglück.“

Nach dem Tod von Lottys Vater hatte ein dramatisches Ereignis das andere gejagt. Ein Autounfall und ein Herzinfarkt hatten die letzten direkten Thronfolger dahingerafft, und einer von Lottys Cousins war enterbt worden und saß wegen Kokainhandels im Gefängnis.

So war, was die Medien gern als „die verwünschte Krone“ bezeichneten, völlig unerwartet an Philippes Vater Honoré gefallen. Die Krönung hatte angesichts der tragischen Umstände im kleinen Rahmen stattgefunden, dennoch war Philippes Abwesenheit in der Presse ausführlich diskutiert worden. Dass der derzeitige Kronprinz in diesem Augenblick in Ellerby weilte und neben einer völlig unbekannten jungen Engländerin auf der Couch saß, ahnte niemand.

„König Amaury hat sich mehr für griechische Geschichte interessiert und das Land nur zu gern seiner Mutter überlassen – zu deren großer Freude. Jetzt sind ihre Pläne allerdings hinfällig, und das behagt ihr gar nicht.“

„Kommt sie nicht mit Ihrem Vater zurecht?“

„Im Gegenteil, er verfügt über ebenso viel Pflichtgefühl wie sie.“

„Wo liegt dann das Problem?“ Es fiel Caro schwer, sich zu konzentrieren. Die ganze Zeit über ging ihr durch den Kopf, dass ein Prinz auf ihrem Sofa saß, noch dazu ein ausgesprochenes Prachtexemplar mit einem attraktiven Gesicht und durchtrainiertem Körper. Gleichzeitig war sie so hungrig, dass sie keinen klaren Gedanken zu fassen vermochte. Aus Sorge, ihr Magen könnte knurren, schlang sie die Arme fest um den Bauch.

„Können Sie sich das nicht denken?“ Er lächelte, doch sein Blick war kalt.

Angestrengt dachte sie nach. „Oh, Sie sind das Problem!“

„Sie haben es erfasst! Die Königinwitwe hält mich für einen schwachen, nutzlosen Tunichtgut, wie sie mir deutlich zu verstehen gegeben hat.“ Wieder lächelte er sarkastisch. „Natürlich hat sie recht. Engagement und Hingabe haben mich noch nie gereizt. Der Gedanke, dass die Zukunft der Montvivennes-Dynastie in meinen Händen liegt, bereitet ihr schlaflose Nächte. Sie sieht nur einen Weg, mich bei der Stange zu halten und dafür zu sorgen, dass ich das Land nicht ins Unglück stürze: eine Heirat mit Lotty.“

„Sie hat mir geschrieben, dass ihre Großmutter sie verheiraten will. Mich überrascht allerdings, dass die Königinwitwe Sie als geeigneten Kandidaten betrachtet“, fügte sie taktlos hinzu, was Philippe mit einem grimmigen Lächeln quittierte.

„Das tut sie nicht, doch aus ihrer Sicht ist es die einzige Lösung. Sie baut auf Lottys guten Einfluss und hofft, ich würde zur Ruhe kommen, sobald ich gebunden bin. Lotty ist sehr beliebt, das ganze Land würde unsere Heirat begrüßen. Und wenn alle anderen glücklich sind, ist es egal, wie Lotty und ich uns fühlen, oder? Schließlich entstammen wir dem Hochadel. Wir haben unsere Pflicht zu erfüllen, ohne zu klagen.“

„Die arme Lotty! Es ist so unfair. Nie kann sie tun, was sie will.“

„Genau.“ Philippe griff geistesabwesend nach seiner Tasse und drehte sie in den Händen. „Sie hatte gehofft, nach der Krönung des neuen Königs frei zu sein. Leider fehlt meinem Vater jedoch die Königin, da meine Mutter ihn vor Jahren verlassen hat. Nun muss Lotty erneut die Rolle der Landesherrin übernehmen und schlimmer … Ich habe sie zwar sehr gern, aber heiraten will ich sie ebenso wenig wie sie mich.“

„Wieso unternehmen Sie nichts dagegen? Lotty fällt es schwer, ihrer Großmutter etwas abzuschlagen, Sie jedoch können einfach Nein sagen.“

„Das habe ich bereits getan, doch so leicht gibt die Königinwitwe nicht auf. Ständig schickt sie uns zu gemeinsamen Auftritten und lässt ‚Informationen‘ über uns an die Presse durchsickern.“

„Das Glitz-Magazin erwähnte eine baldige Verlobung“, fiel Caro ein, und er nickte grimmig.

„Das ist Blanches Werk. Sie liebt diese Zeitschrift, weil sie gern und positiv über die europäischen Königshäuser berichtet. Ihre Strategie ist zugegebenermaßen nicht schlecht: Sie setzt ein Gerücht in die Welt, alle erliegen dem Hochzeitsfieber, und sie braucht nur noch abzuwarten, bis Lotty dem Druck nicht länger standhält. Montluce liebt seine Prinzessin, und Lotty fände es grässlich, ihr Volk zu enttäuschen, indem sie selbstsüchtig handelt – wie die Königinwitwe ihr einredet.“

„Sie könnten einfach nach Südamerika zurückkehren.“

„Das geht nicht.“ Philippe stand auf, trat ans Fenster und sah hinaus. „Es wurde noch nicht öffentlich bekanntgegeben, aber mein Vater ist an Krebs erkrankt.“

„Oh, nein.“ Nur zu gut erinnerte Caro sich ihrer Verzweiflung, als ihr Vater gestorben war. „Das tut mir leid.“

Er wandte sich zu ihr um. „Seine Aussichten sind nicht schlecht. Da es in Montluce keine entsprechenden Spezialisten gibt, wird er sich in Paris behandeln lassen. Er benötigt sechs Monate lang absolute Ruhe. Ich soll für ihn einspringen – nur der Form halber, er und die Königinwitwe haben weiterhin das Sagen. Doch sie bestehen darauf, den Schein zu wahren. Ab Anfang des Monats übernehme ich seine Verpflichtungen.

Zunächst wollte ich mich weigern. Mein Vater und ich stehen uns nicht sonderlich nahe, und mir erscheint es sinnlos, Hände zu schütteln und Orden zu verleihen. Anders sähe es natürlich aus, übertrüge man mir ein Mitspracherecht bei Entscheidungen. Als ich meinem Vater das vorschlug, erlitt er einen Wutanfall und brach zusammen. Er hat mir nie verziehen, dass ich nicht ebenso perfekt bin wie mein älterer Bruder.

Aus Sorge um seine Gesundheit gab ich nach und willigte ein, für die Dauer seiner Abwesenheit in Montluce zu bleiben, vorausgesetzt, ich darf danach nach Südamerika zurückkehren.“

Also schrecken auch Könige nicht vor emotionaler Erpressung zurück, dachte Caro. Laut sagte sie: „Und in der Zwischenzeit versucht man bei jeder Gelegenheit, Sie mit Lotty zu verkuppeln.“

„Genau. Bei einem jener so sorgfältig inszenierten Treffen haben wir unseren Plan entwickelt.“

„Ich habe mich schon gefragt, wann Sie endlich darauf zu sprechen kommen. Wie sieht er aus?“

„Ganz einfach: Da Lotty und ich Singles sind, ist es kein Wunder, dass Blanche auf dumme Ideen kommt. Bringe ich jedoch eine Frau nach Montluce mit, in die ich leidenschaftlich verliebt bin, muss sie ihre Versuche, mich mit Lotty zusammenzubringen, für eine Weile einstellen.“

„Und Lotty kann behaupten, es würde ihr wehtun, Sie mit einer anderen Frau zu sehen, und verreist für einige Zeit.“

„So lautet der Plan.“

„Nicht schlecht. Aber was soll ich dabei tun? Will Lotty bei mir wohnen?“

„Nein. Sie spielen meine Freundin.“

Für einen Moment setzte ihr Herzschlag aus. Dann wurde ihr klar, dass Philippe scherzte. „Ja, sicher!“ Sie lachte, doch als er keine Miene verzog, fragte sie zaghaft: „Das ist doch nicht Ihr Ernst?“

„Wieso nicht?“

„Weil … sicher haben Sie eine Freundin.“

„Dann würde ich nicht in diesem Schlamassel stecken. Ich reagiere allergisch auf feste Beziehungen, das erkläre ich jeder Frau, die ich näher kennenlernen möchte. Keine Gefühle, keine Erwartungen – kein Ärger.“

„Bindungsangst – das hätte ich mir denken können! Wieso fürchten sich so viele Männer vor Beziehungen?“

„Das Problem liegt eher bei den Frauen“, konterte Philippe. „Sie wollen ständig diskutieren, ob sie jetzt eine Beziehung führen oder nicht, und wenn ja, wie es weitergeht. Wieso kann man nicht einfach Spaß miteinander haben?“

Rastlos trat er an den Kamin und stütze sich mit den Händen auf dem Sims ab. „Länger als sechs Monate halte ich es in Montluce nicht aus, sonst ersticke ich! Dort ist alles so förmlich, spießig und klein.“

Er wandte sich zu Caro um, und sie staunte erneut über seine Augen. Eigentlich müssten sie dunkelbraun sein statt hellgrau, dachte sie.

„Sobald meine Vater wieder auf den Beinen ist, reise ich ab. Hole ich eine Frau nach Montluce, der an einer ernsthaften Bindung gelegen ist, würde das zu Komplikationen führen. Schöpft andererseits die Königinwitwe auch nur den geringsten Verdacht, dass ich nicht verliebt bin, beordert sie Lotty sofort nach Hause zurück.

Dann müsste ich mich wieder gegen ihre lästigen Kuppelversuche zur Wehr setzen. Für Lotty wäre es allerdings wesentlich schlimmer – ihr entginge die Chance, zum ersten Mal im Leben etwas für sich selbst zu tun. Daher dachten wir an Sie, Caro.

Sie sind ihre Freundin, und Sie wollen ebenso wenig von mir wie ich von Ihnen. Wir könnten problemlos für einen bestimmten Zeitraum vorgeben, ineinander verliebt zu sein.“

„Da haben Sie recht“, stimmte sie ihm zögernd zu.

„Wären Sie dazu fähig?“

„Das weiß ich nicht. Ich bin keine gute Schauspielerin.“

„Denken Sie an Lotty!“

Nervös nagte sie an ihrer Unterlippe. Lotty war so gutherzig, freundlich und stets bemüht, es allen recht zu machen – nur sich selbst nicht. Sie war in einem goldenen Käfig aus Verpflichtungen und Verantwortung gefangen. Caro wusste nur zu gut, wie verzweifelt ihre Freundin sich danach sehnte, dem Luxusleben zu entfliehen und zu leben wie ein normaler Mensch, ungestylt und unerkannt im Supermarkt einzukaufen, mit Freunden essen zu gehen, ohne hinterher ihr Foto in der Zeitung wiederzufinden …

„Dass Sie sich ausgerechnet für mich interessieren, wird uns niemand glauben“, wandte sie schließlich ein.

Philippe unterzog sie einer gründlichen Betrachtung. „Im Augenblick sicher nicht, doch mit einem guten Haarschnitt, schicker Kleidung …“

„Okay. Dann stellt sich nur noch die Frage, wieso ich mich in Sie verliebt habe. Damit will ich nichts gegen Sie sagen, Sie wissen selbst, wie attraktiv Sie sind“, schloss sie mit einem frechen Lächeln.

„Ich sehe, Sie sind die Idealbesetzung für diese Rolle: Sie scheuen sich nicht, offen zu mir zu sprechen – weil wir kein Paar sind.“

„So nett, wie Sie das ausdrücken, könnte ich mich glatt in Sie verlieben!“

Er lachte, kehrte zum Sofa zurück und setzte sich wieder. „Denken Sie bitte einen Moment ernsthaft nach: Sie brauchen nicht die vollen sechs Monate mit mir zu kommen, zwei bis drei würden genügen. Wir wissen beide, woran wir sind, und erwarten nichts voneinander. Niemand wird verletzt, wenn wir uns am Ende der Zeit trennen. Meine Großmutter bedrängt mich nicht mehr wegen einer Heirat, Sie residieren zwei Monate lang in einem Palast …“ Der abfällige Blick, mit dem er ihr Wohnzimmer betrachtete, ließ keinen Zweifel daran, dass er das für eine einmalige Gelegenheit hielt. „… und Sie helfen Lotty. Sie hat es bitter nötig! Ich weiß, wie verzweifelt sie ist. Stets hat sie getan, was von ihr verlangt wurde, und als der Moment gekommen schien, dass sich ihr endlich eine Tür in die Freiheit öffnete, schlugen die Königinwitwe und mein Vater ihr diese vor der Nase zu.“

„Das ist unfair, ich weiß …“

„Sie wollten sich doch ohnehin neu erfinden“, griff Philippe ihre eigenen Worte auf.

Nervös zupfte Caro an ihrem Haar, das teilweise der Spange, die es halten sollte, entkommen war. Stimmt, das hatte sie gesagt. „Ich weiß nicht … ich muss nachdenken, und wenn ich so hungrig bin wie jetzt, kann ich das nicht!“ Sie stand auf. „Ich hole mir einen Keks.“

„Da habe ich eine bessere Idee.“ Philippe warf einen Blick auf die Rolex an seinem Handgelenk. „Ich führe Sie zum Essen aus, und wir besprechen die Details bei einem anständigen Getränk.“ Er warf einen angewiderten Blick auf seine noch fast vollständig gefüllte Tasse. „Wie heißt das beste Restaurant in der Gegend?“

„Star and Garter, es liegt in Littendon“, antwortete sie automatisch. Der Gedanke an eine Mahlzeit munterte sie sofort auf. Die Diät konnte sie auf morgen verschieben, denn schließlich galt es wichtige Entscheidungen zu treffen. Außerdem war Samstag. Vor die Alternativen gestellt, mit einem Prinzen ein schickes Restaurant zu besuchen oder bei einer Tasse Kräutertee mit Mr. Sexy online zu Hause zu bleiben, fiel ihr die Wahl leicht.

„Es ist leider immer auf Monate im Voraus ausgebucht“, warnte sie, als Philippe sein Handy aus der Tasche zog.

„Möchten Sie sich nicht umziehen“, schlug er vor und ignorierte ihren Einwand. „In diesem lila Fetzen nehme ich Sie nicht mit.“

Beleidigt zog Caro sich ins Schlafzimmer zurück, um sich umzukleiden. Das geschmähte Kleidungsstück gehörte zu ihren Favoriten, daher hoffte sie, das Star and Garter würde Philippe einen Tisch verweigern und ihn darauf hinweisen, dass auch Prinzen drei Monate Wartezeit akzeptieren mussten.

Andererseits reizte sie die als exzellent bekannte Küche, und selbst leisten konnte sie sich das teure Restaurant nicht.

Was aber sollte sie anziehen? Für das Star and Garter eignete sich nur eins ihrer besten Kleider, und sie bezweifelte nicht wirklich, dass sie dort dinieren würden – Philippe erweckte den Eindruck eines Mannes, der bekam, was er wollte.

Sie ließ den Blick über die Vintagekleider in ihrem Schrank schweifen und zog dann ein hellblaues Cocktailkleid aus hauchzarter Seide hervor. Es hatte zwar einen sehr tiefen Ausschnitt, umso mehr liebte sie das Gefühl, wenn ihr der Plisseerock beim Gehen um die Beine strich.

Rasch schlüpfte sie hinein und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Dort hatte Philippe in der Zwischenzeit den Laptop auf dem Tisch entdeckt und las ungeniert die geöffnete Seite.

Entsetzt fiel Caro ein, worum es sich dabei handelte. Sie lief zu ihm und klappte den Computer zu, wobei sie nur knapp seine Finger verfehlte. „Was machen Sie da!“, fuhr sie ihn an.

Ungerührt ließ er sich aufs Sofa zurücksinken und warf ihr einen kritischen Blick zu. „Ich glaube nicht, dass Mr. Sexy der Richtige für Sie ist.“

„Man liest nicht im Computer anderer Leute!“ Es war ihr schrecklich peinlich, dass er entdeckt hatte, womit sie ihren Samstagabend verbrachte.

„Er stand eingeschaltet auf dem Tisch, ich konnte nicht übersehen, womit Sie sich beschäftigt haben. Und es war wirklich aufschlussreich! Internet-Datingseiten habe ich bisher nicht besucht. Ich fürchte allerdings, Sie verschwenden Ihre Zeit. Diesen Männern fehlt es allesamt an Ausstrahlung.“

„Nicht jeder kann ein Prinz sein. Außerdem will ich gar keinen. Ich suche einen normalen Mann, mit dem ich ein ganz normales Leben führen kann. Das verstehen Sie vermutlich nicht.“ Sie schob ihn beiseite und fuhr den Computer herunter.

Er schüttelte den Kopf missbilligend. „In Ihrem Profil haben Sie geschummelt: Sie haben verschwiegen, was für eine Kratzbürste Sie sind.“

„Sie haben mein Profil gelesen?“

„Selbstverständlich, das nennt man Feldforschung. Wir werden bald viel Zeit miteinander verbringen, daher ist es gut zu wissen, worauf ich mich einlasse. Das Foto wird Ihnen auch nicht gerecht.“

Er warf einen abfälligen Blick auf ihr Kleid. „Außerdem sollten Sie Ihre potenziellen Partner vor dem ersten Rendezvous vor Ihrem seltsamen Modegeschmack warnen“, fügte er unnötig provokant hinzu. „Was haben Sie da eigentlich an?“

„Eines meiner schönsten Stücke, ein Cocktailkleid aus den fünfziger Jahren. Ich musste lange sparen, bis ich es mir leisten konnte.“

„Sie haben sogar Geld dafür gezahlt? Wie außergewöhnlich!“ Er stand auf.

„Ich liebe Vintagekleidung!“ Caro wirbelte einmal um die eigene Achse, und der Rock flog ihr nur so um die Beine. „Es ist so spannend sich vorzustellen, wer das Kleid ursprünglich gekauft hat und zu welchem Anlass. Ein Kleid wie dieses hat eine eigene Geschichte.“

Beim Anblick des wirbelnden Stoffs und der wohlgeformten Beine musste Philippe schlucken. Verglichen mit dem lila Leinensack war dieses Modell ein Fortschritt, dennoch wünschte er, sie hätte sich etwas … weniger exzentrisch angezogen, etwas weniger provokativ. Immerhin war das Kleid sechzig Jahre alt!

Obwohl es ihrer Figur schmeichelte, fand er es merkwürdig, und er blickte immer noch finster drein, als er wenig später neben ihr in der Limousine saß. Er war fest entschlossen, ihren Modefauxpas zu ignorieren, doch das gelang ihm nicht. Immer wieder zog das Kleid seine Aufmerksamkeit auf sich, was daran liegen mochte, dass Caro ständig am Ausschnitt zerrte. Unwillkürlich blickte er dorthin. Oder sie kreuzte die Beine, und der Stoff glitt raschelnd über ihre bloßen Schenkel. Unruhig rutschte er auf seinem Sitz hin und her. Außerdem hatte Caro das Haar zu einem lockeren Knoten hochgesteckt, der sich jeden Moment zu lösen drohte, auch das machte ihn nervös. Diese Frau verwirrte ihn – und das durfte nicht sein. Sie sollte seinen Zwecken dienen, mehr nicht.

„Sie haben tatsächlich einen Tisch bekommen!“, rief Caro entzückt aus, als die Limousine vor dem Star and Garter vorfuhr.

„Nicht ich, sondern Jan.“ Philippe wies auf den großen, breitschultrigen Mann, der teilnahmslos neben dem Chauffeur saß.

„Ist das Ihr Bodyguard?“, fragte sie leise.

„Er bezeichnet sich als mein persönlicher Schutzbeamter. Darüber hinaus ist er überaus nützlich, wenn es darum geht, einen Tisch in einem beliebten Restaurant zu reservieren.“

„Bestimmt hat er dabei Ihren Titel erwähnt.“

„Wahrscheinlich. Falls Sie sich daran stören, können wir gern anderswo speisen.“

Hastig schüttelte sie den Kopf, und einige Strähnen lösten sich aus ihrer Frisur. Sie strich sie hinters Ohr.

„Ich wollte meine Verlobung mit George hier feiern, doch er meinte, es wäre zu teuer. Stattdessen gingen wir Pizza essen.“

In Philippes Augen war das Star and Garter nichts Besonderes, doch es gefiel ihm recht gut. Es war schlicht, aber geschmackvoll möbliert und dezent beleuchtet, der Abstand zwischen den einzelnen Tischen gestattete eine ungestörte Unterhaltung.

Nachdem sie das Restaurant betreten hatten, verstummten die Gespräche ringsum für einen Moment, was er als ebenso normal empfand wie die persönliche Begrüßung durch den Manager. Während er Höflichkeiten mit ihm austauschte, war er sich Caros Gegenwart an seiner Seite sehr bewusst. Auch ohne sie anzusehen war ihm klar, dass sie neugierig und aufgeregt alles ringsumher begeistert in sich aufsog, während sich weitere Haarsträhnen aus ihrer Frisur lösten.

Plötzlich schnappte sie hörbar nach Luft, und er spürte, wie sie förmlich erstarrte. Er unterbrach sich mitten im Satz und sah sie überrascht an. Sie stand stocksteif neben ihm, das Gesicht aschfahl. Als er ihrem Blick folgte, entdeckte er an einem der Tische ein Paar, das sie ungläubig anstarrte.

Das haben wir gleich, dachte er, schlang ihr den Arm um die Taille und zog sie in einer besitzergreifenden Geste an sich. „Du hast hoffentlich Hunger, Liebling.“

Caro sah ihn verständnislos an.

„Möchtest du direkt zu Tisch gehen oder lieber vorher einen Drink an der Bar nehmen?“

Allmählich begriff sie. Sie befeuchtete die Lippen mit der Zunge. „Lass uns gleich essen.“

„Ausgezeichnet.“ Philippe wandte sich wieder an den Manager. „Bitte lassen Sie uns eine Flasche Ihres besten Champagners servieren.“

„Gern, Hoheit.“

Während sie einem Ober zu ihrem Tisch folgten, blickte Caro zwar nicht wieder zu dem Paar hinüber, doch sie ging stocksteif und hielt die Lippen fest aufeinandergepresst – ob aus Ärger oder Verzweiflung, wusste Philippe nicht.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er, nachdem sie Platz genommen hatten und der Kellner gegangen war.

„J…ja.“ Sie schüttelte ihre Serviette aus und strich sie mit zitternden Händen auf ihrem Schoß glatt. „Es war nur ein Schock, die beiden zu sehen.“

„Der Mann ist dein Exfreund, nehme ich an?“

„Genau. George und seine neue Verlobte.“ Ihre Stimme schwankte vor unterdrückter Wut. „Ich kann es nicht fasssen, dass er sie ausgerechnet hierher eingeladen hat! Sie isst so gut wie nichts, deshalb ist sie so spindeldürr.“

Mit einem Blick zum anderen Tisch hinüber überzeugte Philippe sich davon, dass die andere Frau hübsch, blond und tatsächlich ein wenig schlanker als Caro war.

„Ob sie gerade Verlobung feiern? Offensichtlich ist Melanie sich zu schade für Pizza!“ Das letzte Wort hatte sie förmlich gezischt. Allmählich kehrte wieder Farbe in ihre Wangen zurück, und ihr Schock wich gerechtem Zorn.

„In diesem Augenblick wünscht sie sich wahrscheinlich in eine Pizzeria“, meinte Philippe gelassen und schlug die Speisekarte auf. „Sie findet es bestimmt nicht gut, dass ihr Zukünftiger auf ihrer eigenen Verlobung seine Ex, die sich im selben Lokal aufhält, nicht aus den Augen lässt.“

„Mich starrt er bestimmt nicht an! Er fragt sich lediglich, was ein Mann wie du mit einer Langweilerin wie mir anfängt.“ Unwillkürlich griff sie das Du auf, das er seit seiner Hilfsaktion benutzte.

„Langweilig? Du?“ Seine offensichtliche Überraschung verschaffte Caro eine gewisse Genugtuung.

Sie schlug ebenfalls die Speisekarte auf und bemühte sich, sie zu lesen. Die Worte verschwammen ihr jedoch vor den Augen. Stattdessen erinnerte sie sich an den Moment, als George sich von ihr getrennt hatte. Sie war gerade vom Supermarkt nach Hause gekommen und hatte die Einkäufe weggeräumt. Seither konnte sie keine Packung Orangensaft mehr ansehen, ohne dass ihr übel wurde.

„George hält mich dafür. Er sagte zwar immer, er wolle eine vernünftige Frau wie mich heiraten, dann hat er sich jedoch Hals über Kopf in Melanie verliebt, die sexy, fröhlich und ganz anders ist als ich.“

Sie blätterte die Karte um, ohne ein einziges Wort gelesen zu haben. „Die Ironie dabei ist, dass ich mich fünf Jahre lang ihm zum Gefallen bemüht habe, mich konventionell zu kleiden, besonnen und nicht zu witzig zu sein. Ich hätte alles für ihn getan!“ Ihre Stimme brach, wie immer, wenn sie an ihre verlorene große Liebe dachte. Dabei hatte sie geglaubt, sie wäre bereits über ihn hinweg!

„Lotty hat mir von der gelösten Verlobung erzählt. Sie dachte, du würdest die Gelegenheit begrüßen, für einige Zeit von hier fort zu kommen.“

Diesen Aspekt hatte Caro noch gar nicht bedacht. Sie hatte ihr Augenmerk ausschließlich darauf gerichtet, wie es wäre, zwei Monate in Philippes Gesellschaft zu verbringen.

„Ellerby ist eine winzige Stadt, und die Wahrscheinlichkeit, zufällig auf George zu stoßen, so wie eben, ist groß.“

Heute hatte sie das Zusammentreffen jedoch nicht als so schlimm empfunden wie bisher. Zwar war auch diesmal eine Mischung aus Trauer, Wut und einem Gefühl der Demütigung in ihr aufgestiegen, als sie das glückliche Pärchen sah, doch dann hatte Philippe sie an sich gezogen, und sie war nicht mehr allein gewesen. George hatte völlig perplex dreingesehen. Bestimmt glaubte er, sie hätte einen neuen Freund.

Während Philippe die Speisekarte studierte, nutzte Caro die Gelegenheit, ihn ihrerseits ausgiebig zu betrachten. Sie ließ den Blick von der edel geschwungenen Nase zu seinen Lippen schweifen. Er sah umwerfend aus, und ihr wurde ganz seltsam zumute. Zudem hatte er nicht einen Moment gezögert, ihr zu Hilfe zu kommen.

„Danke für eben.“

„Eben?“

„Du weißt schon, als du so getan hast, als wären wir ein Paar.“ Im Bruchteil einer Sekunde hatte er erkannt, was los war, und sofort gehandelt. „Die beiden haben mich bemitleidet, weil ich einsam und traurig war. Dafür halten sie mich jetzt bestimmt nicht mehr!“

3. KAPITEL

„Liebst du ihn noch immer?“ Da er kein Recht hatte, diese Frage zu stellen, fügte Philippe rasch hinzu: „Vermutlich würde es dir schwerfallen, meine Freundin zu spielen, wenn es so wäre.“

„N…ein“, antwortete Caro zögernd, dann wiederholte sie mit Nachdruck: „Nein. Aber es hat mir fast das Herz gebrochen, als George sich von mir getrennt hat. Anfangs habe ich mir nichts mehr gewünscht, als wieder mit ihm zusammenzukommen. Inzwischen glaube ich, dass mir das Bild, das ich mir von ihm gemacht habe, besser gefiel als die Wirklichkeit.

Ich weiß, er sieht nicht besonders gut aus. Dennoch hat er mir unendlich viel bedeutet, denn er hat zu mir gehört“, erklärte sie, als Philippe skeptisch zu George hinüberblickte. „Weißt du, ich habe noch nie irgendwo wirklich dazugehört. Mein Vater musste als Ingenieur von Projekt zu Projekt ziehen, meist in Übersee, meine Mutter und ich folgten ihm. Als er erkrankte, zogen wir nach St. Wulfrida.“

„Lottys Schule?“

„Ja, dort haben wir uns kennengelernt. Meine Mutter unterrichtete, mein Vater übernahm den Hausmeisterposten, und ich durfte kostenlos am Unterricht teilnehmen. Natürlich haben mich die anderen Mädchen nie als ihresgleichen akzeptiert, ich war ihnen nicht vornehm genug. Lotty war meine einzige Freundin. Ohne sie hätte ich die Schulzeit nie überstanden.“

„Dasselbe hat sie über dich gesagt.“

Caro lächelte. „Wir haben uns gegenseitig geholfen. Als wir die Schule endlich verlassen durften, waren wir überglücklich. Lotty hat sich anschließend auf einem Pensionat den letzten Schliff verpassen lassen, ich habe auf dem örtlichen College meinen Abschluss gemacht, wo ich als Absolventin von St. Wulfrida wieder eine Außenseiterin war!“

„Was ist so wichtig daran, irgendwo dazuzugehören? Du bist frei und kannst gehen, wohin du willst. Das ist etwas, worum dich viele beneiden.“

„Ich sehe das anders. Mein Dad starb, als ich fünfzehn war, meine Mutter fünf Jahre später. Ich habe keine Familie mehr und suche nach einem Zuhause. Als ich nach Ellerby kam und George traf, glaubte ich, meinen Platz gefunden zu haben. Er entstammt einer alteingesessenen Familie, ist Anwalt in der dritten Generation und tief in der Stadt verwurzelt. Tatsächlich sitzt er sogar im Vorstand des Golfclubs.“

Als Philippe die Stirn runzelte, fuhr sie rasch fort: „Ich weiß, das klingt nicht aufregend, doch an seiner Seite fühlte ich mich geborgen und als Teil der Gemeinde. Das ist es, was ich am meisten vermisse.“

In diesem Moment brachte der Weinkellner den Champagner, präsentierte Philippe das Etikett, öffnete die Flasche, ließ ihn kosten und füllte endlich die Gläser.

Währenddessen konzentrierte Caro sich auf die Speisekarte. Inzwischen war es ihr peinlich, so viel von sich preisgegeben zu haben. Gleichzeitig staunte sie, was für einen guten Gesprächspartner Philippe abgab. Sich ihm zu öffnen fiel ihr leicht, weil er ihr ganz offensichtlich kein persönliches Interesse entgegenbrachte, zudem war ihr bewusst, wie hoch er über ihr stand. Er befand sich außerhalb ihrer Reichweite, es wäre völlig sinnlos, ihn beeindrucken zu wollen. Sie musste nicht clever, witzig oder interessant wirken. Was er von George – oder von ihr – hielt, war unerheblich, und dieser Gedanke versetzte sie in eine gehobene Stimmung.

Ein weiterer Ober kam und nahm ihre Bestellungen entgegen. Als er gegangen war, hob Philippe sein Champagnerglas. „Lass uns auf unseren Plan anstoßen.“

Immer noch in Hochstimmung, prostete Caro ihm zu. „Auf den Plan und Lottys Entkommen!“

„Ihr seid eng miteinander befreundet, oder?“

„Sie hat viel für mich getan. Als sich die Krankheit meines Vaters verschlimmerte und wir nicht in Urlaub fahren konnten, lud sie mich ein, den Sommer mit ihr zu verbringen, in der Villa in Südfrankreich. Du warst übrigens auch da.“

„Sie erwähnte, dass wir uns bereits getroffen haben. Ich kann mich erinnern, dass sie einmal eine Freundin mitbrachte, die plötzlich verschwand. Warst du das?“

„Ja. Meine Mutter rief an um mir mitzuteilen, dass mein Vater ins Krankenhaus gekommen war. Sie riet mir, in Frankreich zu bleiben, da es für mich nichts zu tun gab. Das wollte ich jedoch nicht. Ich sehnte mich nach ihm. Lotty verstand das und leitete sofort alles für meine vorzeitige Rückkehr in die Wege. Sie arrangierte sogar, dass ich vom Flughafen abgeholt und ins Krankenhaus gefahren wurde, dabei war sie damals erst fünfzehn! Am nächsten Tag starb Dad.“ Caro schluckte. „Ohne Lottys Hilfe hätte ich ihn nie wiedergesehen. Dafür bin ich ihr unendlich dankbar. Ich habe mich oft nach einer Gelegenheit gesehnt, mich bei ihr zu revanchieren. Wenn ich ihr ein wenig Freiheit verschaffen kann, indem ich zwei Monate in Montluce lebe und vorgebe, in dich verliebt zu sein, dann mache ich es!“

„Das war sicher eine schlimme Zeit für dich“, meinte Philippe. „Ich weiß, wie ich mich fühlte, als mein Bruder starb, dabei war ich damals bereits erwachsen.“ Er stellte sein Glas auf dem Tisch ab. „Lotty hat auch mir geholfen. Alle bedauerten meinen Vater, der seinen Lieblingssohn verloren hatte. Sie allein begriff, dass auch ich um meinen Bruder trauerte. Sie ist schon etwas Besonderes und verdient eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Unser Plan mag verrückt sein, ist aber einen Versuch wert, meinst du nicht auch?“

„Auf jeden Fall! Nicht zuletzt, weil George und Melanie jetzt überzeugt sind, dass ich mittlerweile in einer anderen Liga spiele!“

Sie warf dem Pärchen am anderen Tisch einen triumphierenden Blick zu, doch Philippe schüttelte den Kopf. „Nicht.“

„Was?“

„Sieh ihn nicht an. Eine Frau, die ich ausführe, denkt nicht an einen anderen Mann! Konzentriere dich ganz auf mich. Er soll glauben, dass wir eine heiße, leidenschaftliche Affäre haben.“

„Keine Chance, er hält mich für viel zu langweilig!“

„Warum beweist du ihm nicht, wie sehr er sich täuscht?“ Er neigte sich vor und fixierte Caro.

Die hellen Augen in dem sonnengebräunten Gesicht, umgeben von einem dichten Kranz dunkler Wimpern, überraschten sie jedes Mal aufs Neue. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.

„Wie soll ich das machen? Wir können uns ja nicht gerade auf dem Tisch lieben.“

„Ein interessanter Vorschlag! Allerdings gibt es subtilere Methoden, die ihm zeigen, dass wir die Hände nicht voneinander lassen können. Dazu musst du mir zunächst deine ganze Aufmerksamkeit schenken und ihn vollkommen ignorieren.“

Sie richtete den Blick auf Philippe. „Zufrieden?“

„Sieh mich an, als würdest du mich anbeten und könntest es nicht erwarten, mich zurück ins Bett zu zerren.“

„Kein Problem.“ Sie setzte eine ihrer Meinung nach passende Miene auf und klimperte mit den Wimpern.

„Was soll das?“

„Ich bewundere dich.“

„Es sieht eher aus, als hättest du Verstopfung. Streng dich an, du kannst es sicher besser!“

„Wenn du so ein Experte bist, dann zeig mir, wie es geht!“

„Gern.“ Philippe langte über den Tisch, ergriff ihre Hand, drehte die Handfläche nach oben und küsste sie.

Die Berührung traf sie wie ein Stromschlag und verschlug ihr den Atem. Eine Hitzewelle schoss durch ihren Arm. Mühsam rang sie um Fassung.

„Das ist doch Schnee von gestern und reichlich abgedroschen!“, brachte sie mühsam hervor.

„Küsse sind nie langweilig.“ Während er sprach, liebkoste Philippe ihre Finger mit den Lippen, bis Caro unruhig auf dem Stuhl hin und her rutschte. „Zumindest nicht solche. Wir versuchen den Eindruck zu erwecken, als kämen wir gerade aus dem Bett und könnten es nicht erwarten, dorthin zurückzukehren. Dann entkleide ich dich ganz langsam, bis du mich anflehst, dich erneut zu lieben.“

Die verführerische Stimme, die zärtlichen Berührungen versetzten sie in einen alarmierenden Zustand. Sie musste sich schnellstens wieder unter Kontrolle bringen.

„Ich bettle nie!“

„Wenn du mit mir zusammen bist schon.“ Er lächelte vielsagend.

„Das glaube ich nicht“, widersprach sie, doch er ließ sich nicht beirren.

„Oh doch. Ich allein weiß, was für eine wilde, leidenschaftliche Frau du sein kannst.“ Seine Stimme streichelte sie ebenso samtweich wie die Berührung seiner Hände.

„Fallen moderne Frauen noch auf solche Sprüche herein?“

„Ich habe den Eindruck, sie wirken auch bei dir.“

Konnte er etwa den Trommelwirbel hören, den ihr Herzschlag verursachte? „Was meinst du damit?“

„Du hast jetzt schon eine ganze Weile nicht mehr nach George gesehen.“

Das war richtig, sie hatte in den letzten Minuten nicht einmal an ihn gedacht.

„Aber er hat dich nicht aus den Augen gelassen. Jetzt befürchtet er sicher, dass du einen wesentlich besseren Liebhaber gefunden hast.“

Tatsächlich saß George da wie erstarrt. Vielleicht war Philippes Taktik ja gar nicht so schlecht?

„Jetzt bist du dran“, meinte er im selben Moment und lehnte sich selbstgefällig im Stuhl zurück.

Verlegen schob Caro sich eine Strähne hinters Ohr. Ihre Hand kribbelte noch immer da, wo er sie mit den Lippen berührt hatte.

„Besser nicht. Das Essen kommt jeden Augenblick, und ich will dir nicht den Appetit verderben.“

„Feigling! Komm schon, die Übung wird dir guttun. Wenn du die Königinwitwe von deiner Liebe zu mir überzeugen willst, musst du mehr bieten als einen merkwürdigen Augenaufschlag.“

„Na gut.“ Um sich Mut zu machen, trank sie einen Schluck Champagner und leckte sich nervös über die Lippen. Zu ihrer großen Überraschung bemerkte sie, dass Philippe fasziniert auf ihren Mund sah. Ich habe doch noch nicht einmal angefangen, dachte sie verwundert. Konnte es wirklich so einfach sein?

Versuchsweise neigte sie sich nach vorn und verschränkte die Arme vor sich auf der Tischplatte. Dabei kam sie sich zwar albern vor, doch tatsächlich senkte er den Blick auf ihren Ausschnitt, und seine Augen wirkten mit einem Mal einen Ton dunkler.

Mutig geworden, tastete sie unter dem Tisch nach seinem Bein, schlang ihren Fuß darum und bewegte ihn aufreizend an seinem Schenkel hinauf und hinab. Auch das schien zu funktionieren, denn Philippe brach nicht in Gelächter aus, wie sie erwartet hatte, lediglich um seine Mundwinkel zuckte es leicht.

„Wie mache ich mich?“

„Du bist ein Naturtalent!“

Machte er sich lustig über sie? Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu, doch seine Miene war undurchdringlich.

Zu ihrer Erleichterung wurden in diesem Moment die Vorspeisen serviert. Aufatmend ließ sie sich im Stuhl zurücksinken. Seltsamerweise hatte sie mittlerweile jedoch gar keinen Hunger mehr. Dennoch ergriff sie ihre Gabel und sprach dem Waldpilzrisotto zu. Sie durfte die einmalige Gelegenheit, im Star and Garter zu speisen, nicht ungenutzt vorübergehen lassen.

„Das war köstlich!“, stöhnte sie nach dem letzten Bissen zufrieden.

„Ja, nicht schlecht“, stimmte Philippe ihr gleichgültig zu und reichte ihr die Hand. „Lass uns weiter trainieren.“

„Muss das sein?“ Dennoch ergriff sie seine Hand, und der Druck seiner starken Finger jagte ihr einen angenehmen Schauer über den Rücken. Sie räusperte sich. „Wir müssen noch die Details besprechen.“

„Was meinst du damit?“

Zu ihrem Entsetzen drehte er ihre Hand um und streichelte zärtlich mit dem Daumen über die empfindliche Innenseite ihres Handgelenks.

„Wie geht es jetzt weiter?“

Philippe erklärte ihr, dass er in den nächsten Tagen nach Montluce zurückkehren musste. Er wollte der Königinwitwe von seiner neuen Liebe erzählen und Lotty die Gelegenheit geben, ihre Abreise zu organisieren. Anschließend würde er seinen Vater nach Paris begleiten.

„Er wird sich dagegen sträuben, doch ich werde bis nach der Operation an seiner Seite bleiben. Dann hole ich dich ab, und wir kehren gemeinsam nach Montluce zurück. Reichen zehn Tage für deine Vorbereitungen?“

Sie nickte und versuchte, nicht daran zu denken, was seine Liebkosungen in ihr auslösten. „Ich habe nur eine Woche Kündigungsfrist.“

„In Montluce gibt es für dich nicht viel zu tun“, erklärte Philippe weiter. „Du musst meine Großtante davon überzeugen, dass du mich anbetest, indem du viel Zeit mit mir verbringst, meine Hand hältst und so weiter. Das Übliche.“

„Das klingt nicht gerade spannend.“

„Aber auch nicht allzu schwierig.“

„Wo …“ Sie hielt inne, denn ihre Stimme klang unvermittelt sehr hoch. „Wo wohne ich?“ Das hörte sich schon besser an, etwas heiser zwar, doch fast wieder normal.

„Bei mir. Wir müssen zusammenleben, sonst glaubt uns niemanden, dass wir ein Paar sind. Ich verfüge über ein eigenes Apartment im Schloss.“

„Es ist gewiss groß genug für zwei Personen.“

„Sicher.“ Er sah ihr tief in die Augen, und seine nächsten Worte bewiesen, dass er ihren Gedankengang erraten hatte. „Natürlich werden wir auch ein Bett teilen.“

„Ist das wirklich nötig?“ Nervös versuchte sie, ihm ihre Hand zu entziehen, doch er hielt sie fest. „Niemand braucht zu wissen, in welchem Bett ich schlafe, solange ich bei dir wohne.“

„Du täuschst dich! In meinem Apartment gehen jede Menge Dienstboten ein und aus. Es spräche sich sofort herum, wenn wir nicht zusammen schliefen. Meine Großtante weiß über alles Bescheid, was im Palast vor sich geht. Verglichen mit ihrem Spionagenetzwerk ist die CIA nichts!“

„Und wenn wir behaupten, du respektierst mich zu sehr, um vor der Ehe mit mir zu schlafen?“

„Das glaubt sie uns bestimmt!“ Sein sarkastisches Lächeln sprach Bände.

Endlich gelang es ihr, ihre Hand zu befreien. Für dich mag das ja in Ordnung sein, dachte sie empört. Philippe hatte vermutlich mit unzähligen Schönheiten geschlafen. Ihr dagegen jagte der Gedanke Angst ein. Allein sich vorzustellen, wie er sich das Hemd über den Kopf zog, das Spiel seiner Muskeln unter der gebräunten Haut, die breite Brust, der feste Bauch …

Sie errötete. Daran durfte sie noch nicht einmal denken! Noch schlimmer fand sie allerdings, dass er unweigerlich die Rettungsringe entdecken würde, die sich nach der Trennung von George um ihre Taille gelegt hatten. Sie konnte sich unmöglich in seiner Gegenwart entkleiden!

„Wir könnten ein Kissen zwischen uns legen“, versuchte Philippe ihr die Situation zu erleichtern.

„Dir scheint das nichts auszumachen“, warf sie ihm schnippisch vor, doch er zuckte nur die Schultern.

„Es liegt ganz bei dir, Caro. Ich bin durchaus in der Lage, meine Hände bei mir zu behalten. Kein Grund zur Panik!“

„Ich überlege, wie unser Zusammenleben funktionieren kann.“ Sie rieb mit einer Hand über die Stelle, wo er sie berührt hatte. „Wenn es so wichtig ist, in einem Bett zu schlafen, machen wir das. Ich werde mich nicht querstellen. Aber Sex würde alles komplizieren. Deshalb schlage ich vor, dass wir einfach Freunde sind“, schlug sie vor, stolz über ihre vernünftige Idee.

„Freunde?“, wiederholte er ausdruckslos.

„Du weißt schon: Leute, mit denen man Spaß hat, ohne miteinander ins Bett zu gehen.“

„Davon habe ich einige, aber das sind keine Frauen.“

„Unsere Beziehung ist ohnehin nicht ‚normal‘. Du bist ein Prinz, ich bin ein einfaches Mädchen. Du bist reich, ich jobbe für meinen Lebensunterhalt. Du verabredest dich mit schönen, glamourösen Frauen, ich bin weder das eine noch das andere. Ich habe kein Interesse an dir, du hast keins an mir. Wir haben absolut nichts gemein – bis auf Lotty. Dennoch werden wir zwei Monate miteinander leben. Damit wir diese Zeit gut überstehen, sollten wir wenigstens Freunde sein, oder?“

Warum nicht? dachte Philippe. Auf diese Weise würde die Zeit erträglich und ohne Komplikationen verrinnen. Es käme nicht zu Szenen und Tränen, da sie sich nicht in ihn verlieben würde.

Ihr Desinteresse an ihm kam seinen Wünschen entgegen. Dennoch fühlte er sich leicht gekränkt. Dabei entsprach sie nicht einmal seinem Typ: Sie war weder schön noch elegant, dafür unordentlich und verwirrend.

Doch irgendwie ging sie ihm unter die Haut. Als er sie durch das Restaurant geführt hatte, die Hand auf ihrer Taille, hatte sich etwas in ihm geregt, und als er ihr Handgelenk gehalten und gespürt hatte, wie das Blut durch ihre Adern pulsierte, war ihm ein Schauer über den Rücken gejagt. Rasch riss er den Blick von ihren Lippen los.

„In Ordnung“, sagte er so lässig wie möglich. „Dann sind wir also Freunde und platzieren ein Kissen zwischen uns.“

Die Frauen, die Philippe sonst zum Essen ausführte, wählten automatisch das kalorienärmste Gerichte und pickten nur darin herum. Caro dagegen genoss jeden einzelnen Bissen und kommentierte ihn, bis auch er von ihrer Begeisterung angesteckt wurde und sich seiner Mahlzeit mit wesentlich mehr Freude widmete als gewöhnlich. Sie schloss die Augen und erfreute sich an jedem neuen Aroma, jeder außergewöhnlichen Komposition. Schließlich fütterte sie ihn sogar mit Kostproben ihrer Gerichte und angelte über den Tisch hinweg mit der Gabel nach Häppchen von seinem Teller, bis er ihr im Spaß vorschlug, zu tauschen.

Erfreut akzeptierte sie sein Angebot. „George hielt es für peinlich, in aller Öffentlichkeit die Teller zu tauschen.“

„Und dieser Kerl hat dich als langweilig bezeichnet?“

„Wahrscheinlich lässt er heute Melanie von seinen Speisen kosten.“

„Hättest du dich über den Tisch gebeugt und ihm Einblick in dein Dekolleté gewährt, hätte er alles für dich getan!“

„Glaubst du?“ Sie warf George einen sehnsüchtigen Blick zu, und Philippe durchzuckte ein Anfall von heftiger Eifersucht. Die, wie Caro richtig vermutete, schönen Frauen, mit denen er ausging, konzentrierten sich ganz auf ihn, flirteten mit ihm, lachten über seine Witze und reservierten ihren ganze Charme für ihn. Dass sie sich wesentlich mehr für ihren Exverlobten interessierte als für ihn, war eine heilsame Erfahrung.

Sie schenkt sogar dem Essen mehr Aufmerksamkeit als mir, dachte er gekränkt. Es erschien ihm als Ironie des Schicksals, dass er, der für seinen Charme, Witz und seine sexuelle Leistungsfähigkeit berühmt war, sich um das Interesse einer mäßig attraktiven Frau bemühen musste, die es noch nicht einmal für nötig hielt, ihn zu unterhalten. Nicht, dass er aus diesem Grund mit ihr ausgegangen wäre, aber dennoch …

Auch, wie sein Körper auf die Berührung ihres Fußes reagierte, missfiel ihm, oder dass sein Blick immer wieder zu ihren vollen Lippen oder ihrem verführerischen Dekolleté wanderte. Vermutlich war sie sich ihrer starken Wirkung noch nicht einmal bewusst.

Glücklicherweise war sie nach eigenem Bekunden nicht an ihm interessiert.

Zum ersten Mal in ihrem Leben musste Caro ein Dessert ablehnen. Ausgerechnet beim Dinner im Star und Garter ließ ihr üblicher guter Appetit sie im Stich. Das Leben war wirklich ungerecht!

„Bist du fertig? Dann lass uns einen großen Abgang hinlegen“, schlug Philippe vor. Sie erhoben sich, und als sie an Georges Tisch vorübergingen, legte er ihr wie beiläufig eine Hand in den Nacken, in einer intimen, besitzergreifenden Geste. Sofort lief ihr ein heißer Schauer über den Rücken.

„Ich habe den Eindruck, sie brechen ebenfalls auf“, raunte Philippe ihr zu, als er ihr die Tür nach draußen aufhielt. „Möchtest du mich küssen?“

„Wie bitte?“ Verdutzt hielt sie inne. „Natürlich nicht!“

„Damit könnten wir George endgültig überzeugen, dass wir eine leidenschaftliche Affäre haben. Das Händchenhalten bei Tisch war vergleichsweise harmlos. Wenn er uns jedoch bei einem feurigen Kuss ertappt, erkennt er endlich, was für eine heißblütige, aufregende Frau du bist, und dass es dir ohne ihn viel besser geht.“

Sie zögerte. Zugegeben, es reizte sie schon, George zu täuschen. Zu lange war sie sich neben der quirligen Melanie fade und verklemmt vorgekommen, und sie hatte es gehasst, Zielscheibe ihrer mitleidigen Blicke zu sein.

Konnte sie es tatsächlich wagen, einen leibhaftigen Prinzen zu küssen? Allerdings hatten sie beschlossen, nur Freunde zu sein. „Macht es dir nichts aus?“, fragte sie zweifelnd.

„Wozu sind Freunde da? Außerdem ist es ein gutes Training. In Montluce werden wir uns gelegentlich küssen müssen, da können wir uns gleich daran gewöhnen.“

Wie wahr! Entschlossen schöpfte Caro Atem. „Ja, dann …“

„Komm mit.“ Er nahm sie bei der Hand und führte sie zu der Limousine, die im Schein einer Laterne gegenüber der Eingangstür zum Star and Garter wartete. „George soll uns gut sehen können.“ Den Rücken an das Auto gelehnt, breitete er die Arme aus. „Los geht’s!“

„Wo ist Jan?“

„Mach dir um ihn keine Gedanken. Er ist daran gewöhnt wegzusehen.“

Die Nacht war klar und mild, am tiefblauen Himmel funkelten unzählige Sterne, eine leichte Brise jagte Caro Schauer über den Rücken – oder war es die Aufregung? Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge, dann trat sie zögernd einen Schritt auf Philippe zu.

„Ich fühle mich irgendwie seltsam.“

„Komm näher zu mir, dann wird alles einfacher.“

Sie befolgte seinen Rat und stand schließlich so nah bei ihm, dass sie den dezenten Duft seines Aftershaves wahrnahm. Mutig legte sie ihm die Hände auf die Brust. Durch das weiche Hemd hindurch spürte sie seinen festen, durchtrainierten Oberkörper.

Im unwirklich anmutenden orangefarbenen Schein der Straßenlampe kam sie sich vor wie eine Schauspielerin auf der Bühne. Erneut sank ihr der Mut, und sie erstarrte, den Blick auf seinen Hemdkragen gerichtet, während ihre Hände weiter auf seiner Brust lagen.

„Ich will dich ja nicht drängen, aber sie können jeden Moment herauskommen.“

Sie schluckte. Lust und Leidenschaft darzustellen, sollte nicht allzu schwer sein!

Mühsam riss sie den Blick von seinem Kragen los. Jetzt ruhte er auf seinem Hals. Ohne weiter nachzudenken, berührte sie mit den Lippen die Ader, die dort pochte.

Philippe holte tief Atem, und sie spürte, wie er sich anspannte, wenngleich er die Hände locker neben dem Körper hängen ließ. Anscheinend war er doch nicht ganz so gelassen, wie er vorgab.

Das Herz schlug ihr schmerzhaft gegen die Rippen, als sie seinen Puls erneut küsste. Dann zog sie eine Linie zarter Küsse nach oben bis zu seiner Wange. Unwillkürlich legte sie ihm die Hände auf die Schultern.

„Am besten machst du weiter so“, murmelte er, und es klang nur eine Spur belustigt.

„Hör auf zu reden, das zerstört die Stimmung.“

Autor

Meredith Webber
Bevor Meredith Webber sich entschloss, Arztromane zu schreiben, war sie als Lehrerin tätig, besaß ein eigenes Geschäft, jobbte im Reisebüro und in einem Schweinezuchtbetrieb, arbeitete auf Baustellen, war Sozialarbeiterin für Behinderte und half beim medizinischen Notdienst.
Aber all das genügte ihr nicht, und sie suchte nach einer neuen Herausforderung, die sie...
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