Julia Platin Band 7

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STERNE DER LIEBE ÜBER SAN COTONE von THORPE, KAY
Als Gina den charismatischen Lucius trifft, ist es um sie geschehen: In seinen starken Armen versinkt sie in einen Rausch der Gefühle. Bis sie feststellt, dass Lucius den gleichen Familiennamen trägt wie sie. Ist er etwa Ginas verlorener Halbbruder?

TRAUMHAFTER SOMMER IN PORTOFINO von WEALE, ANNE
Sonne, italienischer Wein und die Liebe eines wunderbaren Mannes. Liz blüht auf, als sie den Sommer in Sir David Castles prachtvoller Ferienvilla verbringt. Und mit jedem Tag wächst ihre Hoffnung, dass seine Gefühle von Dauer sind. Da trifft ein Brief aus Davids Heimat ein …

TRAUMTAGE AUF CAPRI von PORTER, JANE
Auf Capri verlebt Payton wahre Traumtage: Goldene Sonne, blauer Himmel und eine Villa am Meer, mit einem Mann, der ihr jeden Wunsch erfüllt: ausgerechnet ihr Ex Marco d'Angelo, der sie während ihrer Ehe kaum beachtet hat! Warum kümmert er sich jetzt so liebevoll um sie?


  • Erscheinungstag 09.08.2019
  • Bandnummer 0007
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713058
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kay Thorpe, Anne Weale, Jane Porter

JULIA PLATIN BAND 7

1. KAPITEL

Seltsam, dass dies meine Heimat hätte sein können, dachte Gina, als sie die toskanische Landschaft betrachtete. Sie hatte gerade mit ihrem Wagen einen Höhenkamm überquert, und vor ihr breitete sich die Weite der sanft geschwungenen grünen Hügel aus. So schön die Gegend auch war, Gina empfand keine besondere Verbindung mit ihr.

Mit einem Blick auf die Karte vergewisserte sie sich, dass die rot geziegelten Dächer und der Kirchturm in etwa zwei Kilometern Entfernung zu dem Dorf Vernici gehören mussten. Hier wollte sie sich eine Unterkunft suchen. So kurz vor dem Ziel bekam Gina plötzlich Bedenken: Fünfundzwanzig Jahre waren eine lange Zeit. Womöglich lebten die Carandentes gar nicht mehr hier.

Das kleine Städtchen lag, umgeben von zahlreichen Olivenhainen, an einem Hang. Mit seinen engen, verwinkelten Gassen wirkte es beinahe mittelalterlich. Das Fahrzeug, das mit halsbrecherischer Geschwindigkeit aus einer dieser unübersichtlichen Straßen hervorgeschossen kam, wäre frontal mit ihrem Wagen zusammengestoßen, wenn Gina nicht instinktiv ausgewichen wäre. Allerdings blieb ihr nur die Möglichkeit, eine notdürftige Straßensperre zu durchbrechen und mit dem linken Vorderrad direkt in ein tiefes Schlagloch zu prallen.

Da sie angeschnallt war, passierte ihr nichts weiter. Durch den Schock jedoch fühlte sie sich sekundenlang wie gelähmt. Sofort wurde sie von Menschen umringt, von deren aufgeregtem Redeschwall sie aber absolut nichts verstand. Sie machte ziemlich hilflose Gesten, bis schließlich ein Mann die Beifahrertür öffnete und ihr half auszusteigen, während er gleichzeitig ebenfalls unaufhörlich auf sie einredete.

Das einzige Wort, das Gina verstand, war „Garage“.

„Sí, grazie, Signor!“, antwortete sie dankbar.

Der Mann verschwand in einer Seitenstraße, und Gina lehnte sich an die nächste Häuserwand und wartete auf Hilfe. Es war bereits zwei Uhr vorbei, und die Mittagshitze hatte ihren Höchststand erreicht. Die ärmellose Baumwollbluse klebte ihr am Körper.

Als eine ältere Frau sie in mitleidigem Ton ansprach, bemühte Gina sich um ein Lächeln und sagte: „Sí, grazie. Inglese.“

Dann ging sie um ihren Wagen herum, um nochmals den Schaden zu begutachten. Es sah nicht gut aus. Das Rad war nach innen gedrückt, der gesamte Kotflügel und ein Teil der Kühlerhaube waren zerquetscht. Wenigstens war es ein italienischer Wagen, was bei der Beschaffung von Ersatzteilen sicherlich von Vorteil sein würde.

Die beiden Männer, die nach einer ganzen Weile endlich mit einem schäbigen Abschleppwagen herbeikamen, brauchten beinahe eine halbe Stunde, um Ginas Wagen aus dem Loch zu ziehen.

Die fröhlich unbeschwerte Art der beiden Automechaniker flößte ihr wenig Vertrauen ein. Einer der beiden, der ein wenig Englisch sprach, meinte, es sei notwendig, das Rad und den Kotflügel entweder in Siena oder sogar in Florenz zu bestellen. Auf die Frage, wie lange dies dauern könnte, breitete er nur vielsagend die Hände aus. Vielleicht eine Woche, vielleicht länger? Und dann die Arbeit. Vielleicht noch eine Woche. Die Kosten? Wieder hob er die Hände, und Gina verfolgte das Thema nicht weiter.

Zu Fuß folgte sie dem Abschleppwagen zur Werkstatt. Dort versicherte ihr der jüngere der beiden Männer, dass die Ersatzteile sofort bestellt würden. In der Zwischenzeit könne er ihr eine gute Unterkunft empfehlen. Da er dabei offenkundig ihre Figur musterte, ging Gina nicht weiter darauf ein, sondern dachte nun zum ersten Mal wieder an das Auto, das den Unfall verursacht hatte. Am Steuer hatte eine junge Frau gesessen, und der Wagen war groß und blau gewesen.

Mit wenig Hoffnung beschrieb sie dem Mechaniker sowohl das Auto als auch die Fahrerin, und er nickte grinsend.

„Cotone“, meinte er. „Sie nach San Cotone fahren. Drei Kilometer“, fügte er hilfsbereit hinzu und zeichnete den Weg dorthin in den Staub. „Sehr reich. Sie lassen bezahlen!“

Das hatte Gina auch vor. Je mehr sie darüber nachdachte, desto zorniger wurde sie, dass sie hier irgendwo in der hintersten Provinz festsaß, nur weil ein verwöhnter Teenager nichts Besseres zu tun hatte, als ohne Rücksicht auf Leib und Leben anderer um die Kurven zu jagen.

Die Frage war nur, wie sie dorthin kommen sollte.

„Taxi?“, erkundigte sie sich. „Bus?“

Der Mann schüttelte den Kopf. „Sie nehmen Auto.“ Er deutete auf einen kleinen, uralten Fiat, der schon entschieden bessere Tage gesehen hatte.

Aber Gina konnte nicht wählerisch sein. „Wie viel?“, fragte sie.

Er lächelte achselzuckend. „Sie später bezahlen.“

Aber nicht so, wie du denkst, dachte sie. Ihr Gepäck befand sich noch im Kofferraum ihres eigenen Wagens, und sie beschloss, es zunächst auch dort zu lassen. Erst einmal musste sie diese andere Sache regeln, solange ihr Zorn noch lebendig war. Die Frage nach einer Unterkunft hatte Zeit.

Trotz seines heruntergekommenen Äußeren sprang der Fiat ohne größere Probleme an. Gina fuhr die Strecke zurück, die sie gekommen war, und nahm dann die Abzweigung, die der Mechaniker ihr in den Sand gezeichnet hatte.

Ein breites, schmiedeeisernes Tor gewährte den Zugang zu einer geschwungenen, von Bäumen gesäumten Auffahrt, die zu einer einsam gelegenen Villa von erstaunlicher Größe und Architektur führte. Gina hielt auf der runden Kiesfläche vor dem Gebäude an, ohne sich von dessen Großartigkeit einschüchtern zu lassen.

Neben der imposanten Doppeltür war ein alter Klingelzug in die Steinmauer eingelassen. Die Glocke gab einen tiefen, zweifachen Ton von sich, der klar zu hören war.

Ein älterer Mann in dunkler Hose, dunklem Frack und gestärktem weißem Hemd öffnete. Mit einem Blick hatte er Ginas einfachen Baumwollrock und eine ebensolche Bluse erfasst. Die Verachtung in seiner Miene verstärkte sich noch beim Anblick des schäbigen Fahrzeugs, das auf dem Vorplatz parkte.

„Ich bin hier, um den Besitzer zu sprechen“, erklärte sie und wünschte, sie hätte sich von dem Mechaniker den Namen geben lassen. „Padrone“, fügte sie hinzu.

Der Mann schüttelte energisch den Kopf, gab einen einzigen knappen Satz von sich und wollte die Tür wieder schließen. Doch Gina hielt ihn davon ab, indem sie sich kräftig dagegenstemmte.

„Padrone!“, beharrte sie.

Da der Mann offenbar nicht vorhatte, sie einzulassen, blieb ihr nur eine Wahl. Sie schlüpfte an ihm vorbei, ehe er sie noch zurückhalten konnte, und lief auf eine der Türen zu, die von der großen Eingangshalle mit ihrem marmornen Fußboden abgingen.

Auf der Innenseite der Tür steckte ein Schlüssel im Schloss. Gina schlug die schwere, dunkle Holztür zu, drehte den Schlüssel um und lehnte sich mit der Stirn an das Holz, um Atem zu schöpfen. Das war wirklich eine reichlich verrückte Aktion, sagte sie zu sich. Die wird den Besitzer hier wohl kaum für mich einnehmen.

An der Tür wurde geklopft, gefolgt von einer Frage auf Italienisch. Gina erstarrte, als eine zweite Männerstimme antwortete, diesmal hinter ihr. Sie fuhr herum, blickte in einen großen Raum voller Bücherregale und sah sich einem Mann gegenüber, der auf der anderen Seite an einem Schreibtisch saß.

Er besaß dichtes schwarzes Haar und schaute sie mit fragend erhobenen Augenbrauen aus dunklen Augen an.

„Buon pomeriggio“, sagte er.

„Paria inglese?“, fragte Gina hoffnungsvoll.

„Selbstverständlich“, antwortete er in einwandfreiem Englisch. „Verzeihen Sie meine mangelnde Wahrnehmung. Durch ihr schwarzes Haar wurde ich zu der Annahme verleitet, Sie seien vom selben Blut wie ich. Aber ich habe noch nie eine Italienerin mit so blauen Augen oder einer so wunderbar hellen Haut kennengelernt!“

„Eigentlich müsste ich mich dafür entschuldigen, dass ich auf diese Weise bei Ihnen eingedrungen bin“, meinte sie, „aber es war die einzige Möglichkeit, an der Wache vorbeizukommen.“

Ein Lächeln umspielte den schön geschnittenen Mund des Mannes. „Da Guido nur wenig Englisch spricht und Sie offenbar noch weniger Italienisch, mussten wohl zwangsläufig Missverständnisse entstehen. Vielleicht könnten Sie mir erklären, weshalb Sie hier sind?“

Vorsichtig kam Gina ein wenig näher, und ein Schauer lief ihr unwillkürlich über den Rücken, als der Mann sich erhob. Er war wohl nicht älter als Anfang dreißig und hatte einen schlanken, athletischen Körperbau. Sein cremefarbenes Seidenhemd und die dazu passende, etwas dunklere Hose wirkten sehr edel. Die aufgerollten Ärmel enthüllten muskulöse Unterarme, und der leger offen stehende Hemdkragen zeigte einen starken braunen Hals.

„Ich muss mit dem Oberhaupt des Hauses sprechen“, sagte Gina.

Er neigte leicht den Kopf. „Ich bin Lucius Carandente.“

Der Schock raubte ihr die Sprache. Mit großen Augen starrte sie ihn an. Es gibt bestimmt mehrere Familien mit dem Namen Carandente, dachte sie verwirrt. Oder sollte sie der Zufall direkt hierhergeführt haben?

„Warum nicht?“, wandte da eine andere Stimme in ihrem Innern ein. Gina kannte von der Familie nichts außer ihrem Namen. Weshalb sollten sie eher ärmlicher als wohlhabender Herkunft sein?

Belustigt hob er erneut die dunklen Brauen. „Sie scheinen überrascht zu sein.“

Gina riss sich zusammen. „Ich hatte jemand Älteres erwartet“, wich sie aus. „Vielleicht den Vater eines Mädchens, das einen blauen Tourenwagen fährt?“

Plötzlich war jede Belustigung aus seiner Miene verschwunden. „Donata“, sagte er ausdruckslos. „Meine jüngere Schwester. Was hat sie getan?“

„Sie hat einen Unfall verursacht, den ich vor etwa einer Stunde mit meinem Auto hatte. In Vernici. Der Wagen benötigt Ersatzteile, und in der Werkstatt wurde mir gesagt, dass sie möglicherweise aus Florenz bestellt werden müssen, und das wird lange dauern – ganz zu schweigen von den Kosten!“

„Sie sind nicht versichert?“

„Natürlich bin ich versichert!“, erwiderte Gina scharf. „Aber auf die Genehmigung meiner Versicherung zu warten würde noch länger dauern. Außerdem müsste ohnehin die Versicherung Ihrer Schwester für den Schaden aufkommen, vorausgesetzt, dass sie versichert ist!“ Sie hielt inne, da sie sah, wie er den Mund zusammenpresste, und setzte hinzu: „Tut mir leid, das war ziemlich unhöflich.“

„Das stimmt“, bestätigte er. „Allerdings vielleicht nicht ganz grundlos. Wenn Sie jetzt so freundlich wären, die Tür hinter Ihnen wieder aufzuschließen, sodass Guido eintreten kann, werde ich die notwendigen Schritte einleiten.“

Gina gehorchte, und der Bedienstete trat ohne Eile ein.

Lucius Carandente sagte etwas in schnellem Italienisch und entließ den älteren Mann mit einem energischen „Subito!“.

„Bitte, nehmen Sie Platz“, forderte er Gina dann auf und wies auf einen der tiefen Clubsessel.

Während sie seiner Aufforderung folgte, blieb er an den Schreibtisch gelehnt stehen. „Sie müssen mir noch Ihren Namen verraten“, meinte er dann.

„Entschuldigen Sie. Ich heiße Gina Redman.“

„Sie machen hier Urlaub?“

Sie nickte. „Ich bin die ganze Strecke durch Frankreich und die Schweiz gefahren, ohne eine einzige Panne. Wenn Ihre Schwester nicht so schnell gefahren wäre …“

Lucius hob die Hand. „Ich denke, wir sollten damit warten, bis sie hier ist. Ich weiß, dass sie nach Hause gekommen ist, es wird also nicht mehr lange dauern. Bis dahin können wir uns über andere Dinge unterhalten. Ihre Haarfarbe deutet nicht auf eine Engländerin hin. Könnte es sein, dass Sie möglicherweise von gemischter Herkunft sind?“

Gina zögerte. „Mein Vater war Italiener.“

„War?“

„Er starb noch vor meiner Geburt.“ Sie kam seiner nächsten Frage zuvor, in der Hoffnung, dass er es damit bewenden lassen würde, bis sie die Zeit hatte zu überlegen, wie sie herausfinden sollte, ob er tatsächlich einer der Carandentes war, die sie hatte finden wollen. „Ich wurde von meinem englischen Stiefvater adoptiert.“

„Ich verstehe.“

In diesem Moment ging die Tür auf, und eine junge Frau trat ein, deren äußere Erscheinung in vollkommenem Gegensatz zu ihrer Umgebung stand. Stark durchgestuft, wirkte ihr nach allen Seiten hin abstehendes Haar eher wie ein Vogelnest denn wie eine Frisur. Sie war in schwarzes Leder gekleidet, ihre Hose umschmiegte die wohlgerundeten Hüften.

Es war offensichtlich, dass sie Gina sofort erkannte, obwohl sie nicht das geringste Schuldbewusstsein zeigte. Sie sprach ihren Bruder auf Italienisch an, wechselte jedoch problemlos ins Englische, als er sie hierzu aufforderte.

„Es war nicht meine Schuld“, erklärte sie entschieden und ohne einen Blick in Ginas Richtung. „An meinem Auto ist kein Schaden entstanden.“

„Aber nur deshalb, weil ich im letzten Moment einen direkten Zusammenstoß noch verhindern konnte!“, erklärte Gina. „Sie sind viel zu schnell gefahren, um noch bremsen zu können. Sie haben ja nicht einmal angehalten, um sich zu überzeugen, ob mit mir alles in Ordnung ist.“ Sie saß kerzengerade in ihrem Sessel, entschlossen, das Mädchen nicht so einfach davonkommen zu lassen. „Fahrerflucht verstößt in meinem Heimatland gegen das Gesetz, vor allem, wenn jemand bei dem Unfall hätte verletzt werden können.“

„Wenn Sie verletzt wären, würden Sie nicht hier sitzen“, entgegnete Donata ungerührt.

Nur mühsam zügelte Gina ihren Zorn. „Das ist nicht der Punkt. Ich sitze in Vernici fest, bis mein Wagen repariert ist. Das Mindeste, was ich verlange, sind Ihre Versicherungsdaten, damit ich diese weiterleiten kann.“

„Aber das, was Sie wirklich wollen, ist doch, dass Lucius Ihnen jetzt Geld gibt!“, brauste das Mädchen auf.

Ihr Bruder erwiderte etwas Italienisch, woraufhin sich ihre rebellische Miene noch mehr verfinsterte.

„Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich hörbar widerstrebend. Lucius versuchte nicht, sie aufzuhalten, sondern presste lediglich die Lippen aufeinander, als sie die Tür hinter sich zuknallte.

„Auch ich möchte mich für die Art und Weise entschuldigen, wie Donata mit Ihnen gesprochen hat“, sagte er. „Und ich entschuldige mich ebenfalls für ihr Aussehen. Sie ist letzte Woche aus ihrer Schule in der Schweiz zurückgekehrt …“ Kopfschüttelnd brach er ab und fuhr stattdessen fort: „Ich denke, es ist das Beste, wenn ich die Verantwortung für die finanzielle Seite übernehme. Sie haben bereits eine Unterkunft reserviert?“

Gina schüttelte den Kopf.

„Und wo ist Ihr Gepäck?“

„Ich habe es im Kofferraum meines eigenen Wagens gelassen. Das Auto, mit dem ich hierhergekommen bin, habe ich von der Werkstatt gemietet.“

„Wir werden es zurückbringen und Ihr Gepäck hierherholen lassen. Wenn Sie mir Ihre Wagenschlüssel geben, werde ich alles Nötige veranlassen.“

Verwirrt sah Gina ihn an. „Ich verstehe nicht …“

„Sie werden selbstverständlich in Cotone wohnen, so lange, bis Ihr Wagen repariert ist“, erklärte er. „Und das wird in Siena geschehen.“

„Ich kann Sie doch nicht …“, fing sie an, doch Lucius Carandente hob erneut die Hand.

„Sie müssen mir gestatten, den Schaden, den meine Schwester angerichtet hat, wiedergutzumachen. Es wäre im höchsten Maße unhöflich, wenn Sie meine Gastfreundschaft ausschlügen.“

„Dann muss ich sie natürlich annehmen“, meinte Gina nach einem Moment des Zögerns. „Vielen Dank, Signor.“

Sein Lächeln ließ ihr einen weiteren Schauer über den Rücken rieseln. „Bitte nennen Sie mich doch Lucius. Darf ich Sie auch mit Ihrem Vornamen ansprechen?“

„Natürlich“, erwiderte sie, noch immer benommen von dieser unerwarteten Wendung der Dinge. „Sie sind wirklich sehr freundlich.“

Mit seinen dunklen Augen betrachtete er ihr zu ihm empor gewandtes Gesicht, bis sein Blick an ihrem Mund hängen blieb. „Es ist schwierig für mich, mich einer schönen Frau gegenüber anders zu verhalten. Eine Schwäche, ich weiß“, erklärte er lächelnd.

Die Tür öffnete sich, und eine junge Bedienstete trat ein. Gina vermutete, dass Lucius offenbar einen versteckten Klingelknopf gedrückt hatte.

„Crispina wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen“, sagte er, nachdem er mit dem Mädchen gesprochen hatte. „Ihr Gepäck wird Ihnen gebracht werden. Bis dahin wäre es sicherlich angebracht, dass Sie sich ein wenig ausruhen. Ein solches Erlebnis, wie Sie es gerade hatten, könnte einen verspäteten Schock zur Folge haben.“

Gina hatte das Gefühl, dass dieser bereits einsetzte. Sie erhob sich, wobei sie sich des Blickes mehr als bewusst war, mit dem Lucius ihr zur Tür folgte. Crispina erwiderte Ginas Lächeln vorsichtig, da sie jedoch kein Englisch sprach, stiegen sie mehr oder weniger schweigend die weite geschwungene Treppe hinauf.

Von Ginas Zimmer aus, das so prächtig war wie der Rest des Hauses, gingen Glastüren auf einen Balkon, der eine fantastische Aussicht bot. Die Armaturen in dem angrenzenden, großzügigen Badezimmer schienen vergoldet zu sein, die Wände mit Spiegelglas verkleidet. Gina betrachtete leicht selbstironisch ihre wenig ansprechende Erscheinung darin. Der Unfall hatte durchaus seine Spuren hinterlassen.

Wieder im Schlafzimmer, nahm sie einen langen Umschlag aus ihrer Handtasche und setzte sich aufs Bett, um das Foto aufs Neue anzuschauen. Das junge Paar darauf wirkte überglücklich. Der helle Teint und das blonde Haar des Mädchens bildeten einen absoluten Gegensatz zu dem mediterranen Aussehen ihres Partners, und beide schienen kaum dem Teenager-Alter entwachsen zu sein.

Mit fünfzehn, als sie an einem regnerischen Nachmittag auf dem Dachboden herumgestöbert hatte, war Gina auf das Foto gestoßen. Die beiliegende Hochzeitsurkunde hatte ihre gesamte Welt auf den Kopf gestellt, und die widerstrebenden Erklärungen ihrer Mutter noch viel mehr.

Ginas Mutter Beth und Giovanni Carandente waren einander während des Studiums in Oxford begegnet und hatten sich heftig ineinander verliebt. Da sie wussten, dass keine ihrer beiden Familien die Verbindung gutheißen würde, hatten sie heimlich geheiratet, in der Absicht, erst das Abschlussexamen zu machen, ehe sie es ihnen erzählten. Doch durch Beths Schwangerschaft hatte sich alles geändert. Giovanni wollte seiner Familie die Neuigkeit persönlich mitteilen, war jedoch auf dem Weg zum Flughafen tödlich verunglückt. Zwei Monate später hatte Beth ihren früheren Freund John Redman geheiratet, und beide hatten alle anderen in dem Glauben gelassen, dass das Baby von ihm sei.

Obwohl Gina nicht die geringste Ähnlichkeit mit John besaß, hatte wegen seiner dunklen Haarfarbe ihre eigene immer glaubwürdig gewirkt. Nicht einmal im Traum hätte sie die Wahrheit geahnt.

Auf die Frage, weshalb sie keinen Kontakt mit den Carandentes aufgenommen hatte, hatte ihre Mutter lediglich eine schmerzliche Geste gemacht. Sie gestand, dass sie nichts von Giovannis Familie wusste, außer dass sie in der Toskana in dem Städtchen Vernici lebten. Die Carandentes waren von seinem Tod informiert worden, Beth hingegen nicht. Sie hatte erst am nächsten Tag in der Zeitung von dem Unfall erfahren.

„Es war eine schreckliche Zeit“, erinnerte sie sich. „Ich wusste nicht, an wen ich mich wenden sollte. Wenn dein Vater nicht gewesen wäre …“

„Aber er ist nicht mein Vater, nicht wahr?“, sagte Gina tonlos.

„In jeder anderen Hinsicht ist er es. Er hat dir seinen Namen gegeben, uns beiden ein Zuhause und ein gutes Leben ermöglicht. Er ist ein guter Mann. Der beste.“ Beths Stimme war voller Zärtlichkeit. „Ich liebe ihn sehr.“

„Aber nicht so, wie du Giovanni geliebt hast?“

Beth schüttelte den Kopf. „Jede Liebe ist anders, Schatz. Was Giovanni und ich miteinander hatten, war wundervoll, aber ob es von Dauer gewesen wäre … wer weiß?“ Sie zögerte, ehe sie fortfuhr: „Ich weiß, das ist viel verlangt, aber können wir die Sache für uns behalten? John sieht dich als sein Kind an. Es würde ihn sehr aufregen, wenn er wüsste, dass du die Wahrheit kennst.“

Aber das Wissen darum ließ sich nicht verdrängen. Jahrelang hatte Gina mit dem Gedanken gespielt, nach Italien zu reisen und nach ihren Vorfahren zu forschen. Jetzt hatte sie noch drei Wochen Zeit, bevor sie ihre neue Stelle antrat.

Gegen sechs Uhr signalisierte ein Klopfen an ihrer Tür, dass ihr Gepäck eingetroffen war. In gebrochenem Englisch unterrichtete Guido sie davon, dass das Dinner um halb zehn im Salon stattfinden würde. Der Hausherr ließ jedoch Gina um neun Uhr zu einer Erfrischung gemeinsam mit der Familie auf die Terrasse bitten.

Sie dankte dem Bediensteten, was lediglich mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken quittiert wurde.

Plötzlich wurde Gina von großer Müdigkeit überwältigt. Sie streckte sich auf der seidenen Tagesdecke aus und genoss die kühle Luft, die der Ventilator ihr zufächelte. Viel schöner als eine Klimaanlage, dachte sie, während sie zu den sich drehenden Flügeln hinaufschaute, deren sanftes Summen eine einschläfernde Wirkung ausübte.

Ob Lucius außer Donata noch andere Geschwister hatte? Da er der Padrone war, musste sein Vater tot sein, aber vielleicht lebte die Mutter ja noch. Wenn diese Familie sich tatsächlich als Verwandte meines Vaters herausstellen sollten, dachte Gina, dann ist Lucius möglicherweise mein Cousin. Diese Vorstellung gefiel ihr nicht sonderlich.

Das Tageslicht war der Dämmerung gewichen, als Gina erwachte. Erleichtert sah sie, dass sie noch eine halbe Stunde Zeit hatte, ehe sie auf der Terrasse erwartet wurde.

Der Schlaf hatte sie erfrischt, und die Dusche tat ein Übriges, aber all dies machte das, was ihr noch bevorstand, nicht leichter. Irgendwann heute Abend musste Gina den Namen ihres Vaters erwähnen und die Wahrheit herausfinden, allein um ihres Seelenfriedens willen.

Sie wählte ein dunkelblaues Kleid aus Seidenjersey, das figurbetont war und ihr bis zum Knie reichte – und dazu Sandalen mit hohen Absätzen. Ein wenig Mascara auf die Wimpern, etwas Lippenstift, und sie war fertig. Das dichte, glänzende Haar fiel ihr in weichen Wellen um die Schultern.

Die Nacht brach schon herein, als sie auf die breite Terrasse mit der Stein-Balustrade kam, die bereits von Lampen erleuchtet war. Gina sah fünf Personen, davon drei Frauen, deren Ähnlichkeit nicht zu verleugnen war.

Lucius kam auf Gina zu, als diese an der Schwelle zögernd stehen blieb. Anerkennend ließ er den Blick über ihre attraktive Erscheinung gleiten und machte keinen Hehl daraus, dass er sie anziehend fand. Der Mann könnte dein Cousin sein, ermahnte sie sich, als auch ihr Blick etwas zu lange an ihm hängen blieb.

Außer Donata, die ihre Feindseligkeit offen zur Schau trug, waren da noch ihre Schwester Ottavia, die sieben- oder achtundzwanzig Jahre alt sein mochte, und deren Ehemann Marcello Brizzi. Trotz oberflächlicher Höflichkeit war es offensichtlich, dass auch sie Ginas Anwesenheit als unerwünscht empfanden.

Die Einzige, die ein wenig Herzlichkeit zeigte, war die Matriarchin der Familie. Ihre Haut war noch fast so glatt wie die von Gina, und das üppige Haar war noch ohne jedes Grau. Sie sah kaum alt genug aus, um einen Sohn in Lucius’ Alter haben zu können.

„Mein Sohn hat erzählt, dass Sie selbst Halbitalienerin sind“, sagte sie. „Sie kannten Ihren Vater nicht?“

Gina, die mittlerweile auf einem der bequemen Terrassenstühle saß, mit einem Gin Tonic vor sich, schüttelte den Kopf. „Er starb vor meiner Geburt.“

Signora Carandente seufzte lang und tief. „Wie schrecklich!“ Nachdenklich betrachtete sie Gina. „Haben Sie noch ältere Geschwister?“

Wieder verneinte Gina, was Anlass zu einem weiteren Seufzer gab.

„Dass ein Mann stirbt, ohne einen Sohn zu hinterlassen, ist sehr traurig! Sollte Lucius irgendetwas zustoßen, ehe er einen Sohn zeugt, wird auch unser Stammbaum zu Ende sein. Man sollte doch annehmen, dass er sich einer solchen Verantwortung bewusst ist, nicht wahr?“

„Ich bin nicht kurz vorm Sterben“, erklärte er ruhig.

„Woher willst du das wissen?“, gab seine Mutter zurück. „Du musst bald heiraten. Das ist deine Pflicht. Und wer wäre besser geeignet als Livia Marucchi?“

Er zuckte die Achseln, aber Gina spürte, dass es ihm nicht recht war, derlei Angelegenheiten in Gegenwart von Fremden zu diskutieren. Sie schätzte ihn als einen Mann ein, der selbst entscheiden wollte, wen und wann er heiraten würde.

„Wie hieß Ihr Vater denn?“, wollte Ottavia wissen, und Gina wurde von plötzlicher Panik ergriffen.

Nein, noch nicht! Sie war noch nicht dazu bereit!

„Barsini“, sagte sie daher. Der Name fiel ihr gerade ein. „Alexander Barsini.“ Kaum hatte sie es ausgesprochen, bereute sie es auch schon wieder, doch nun war es zu spät.

„Barsini“, wiederholte Ottavia. „Aus welchem Teil Italiens stammte er?“

Gina überlegte blitzschnell. „Neapel“, sagte sie dann.

„Hat er noch lebende Verwandte?“

„Ich weiß es nicht. Ich bin nach Italien gekommen, um nachzuforschen.“ Wenigstens dies war die Wahrheit.

Ottavia hob die Brauen in ganz ähnlicher Weise wie ihr Bruder, nur dass ihr jeglicher Humor dabei fehlte. „Ihre Mutter hat den Kontakt nicht aufrechterhalten?“

Ruhig erwiderte Gina ihren Blick, auch wenn ihr ganz und gar nicht ruhig zumute war. „Meine Mutter hat seine Familie nie kennengelernt. Sie wussten nichts von der Heirat.“

„Ich glaube, das genügt“, schaltete Lucius sich ein, bevor seine Schwester ihr Kreuzverhör fortsetzen konnte.

Ottavia blickte zwar säuerlich drein, widersprach aber nicht. Als Gina einen Blick von Donata auffing, versuchte sie ihr zuzulächeln, bekam aber nur einen bösen Blick zurück. Aus dieser Richtung hatte sie wohl keinerlei Entgegenkommen zu erwarten.

Das Dinner bestand aus vier Gängen, und obwohl Gina den angebotenen Rotwein mochte, hielt sie sich beim Trinken sehr zurück.

Ihretwegen bestand Lucius darauf, dass die gesamte Tischunterhaltung auf Englisch geführt wurde. Gina erfuhr, dass Marcello der Rechnungsprüfer des Besitzes war und Ottavia eine Dame der Gesellschaft. Als Ottavia hörte, dass Gina Steuerberaterin war, reagierte sie erstaunt.

„Was für ein ungewöhnlicher Beruf für eine Frau!“, rief sie aus. „Findest du nicht, Lucius?“

„In jedem Fall eine bewundernswerte Leistung“, erwiderte dieser und schenkte Gina ein Lächeln, das jede ihrer Nervenfasern zum Vibrieren brachte. „Vor allem, wenn man so jung ist.“

„Ich bin fünfundzwanzig“, entgegnete sie. „Also vermutlich nicht sehr viel jünger als Sie, nehme ich an.“

Wieder lächelte er. „Acht Jahre sind kein Hindernis, da stimme ich Ihnen zu.“

Was er damit meinte, war nicht nur Gina klar, sondern sicherlich auch allen anderen. Ihr kühler Blick schien das übermütige Glitzern in Lucius’ dunklen Augen nur noch zu verstärken. Offenbar war Widerstand an sich schon eine Verlockung.

„Und womit verdient Ihr Stiefvater seinen Lebensunterhalt?“, erkundigte sich Ottavia.

„Er ist im Textilgeschäft tätig“, antwortete Gina.

„Selbstständig?“

„Er hat eine eigene Firma, ja.“

Damit schien Ottavia sich zunächst zufriedenzugeben, doch Gina spürte, dass sie es nicht dabei bewenden lassen würde.

Um Mitternacht konnte Gina kaum mehr die Augen offen halten.

„Ich hoffe, Sie werden es mir nicht verübeln, wenn ich mich zurückziehe“, entschuldigte sie sich. „Ich war heute Morgen schon um sieben unterwegs und habe letzte Nacht nicht sehr gut geschlafen.“

„Aber natürlich!“, erwiderte Signora Carandente. „Fühlen Sie sich frei, zu tun, was immer Ihnen beliebt, solange Sie unser Gast sind. Vielleicht würden Sie es vorziehen, das Frühstück auf Ihrem Zimmer serviert zu bekommen?“

„Oh nein“, versicherte Gina. „Das ist nicht nötig.“ Impulsiv fügte sie hinzu: „Ihre Gastfreundschaft ist unvergleichlich, Signora.“

„Contessa“, verbesserte Ottavia scharf.

„Nennen Sie mich einfach Cornelia“, ermutigte diese jedoch Gina.

„Danke.“ Sie nickte und verabschiedete sich mit einem allgemeinen „Gute Nacht“, wobei sie Lucius’ Blick geflissentlich vermied.

Wenn seine Mutter Contessa war, dann musste sein Vater ein Graf gewesen sein, was wiederum bedeutete, dass der Adelstitel jetzt an Lucius übergegangen war. Das machte es noch unwahrscheinlicher, dass Ginas Vater in irgendeiner Verbindung zu dieser Familie stand. Andererseits war es genauso unwahrscheinlich, dass noch eine zweite Carandente-Familie ohne jegliche verwandtschaftliche Verbindungen in Vernici existierte.

Ich drehe mich im Kreis, gestand Gina sich ein. Die einzige Möglichkeit, wirklich sicherzugehen, war, das zu tun, was sie schon längst hätte tun sollen, nämlich die ganze Geschichte zu erzählen. Den Namen ihres Vaters zu verschweigen war eine idiotische Idee gewesen. Morgen werde ich ihnen die Wahrheit sagen, beschloss sie. Ich will mich ja schließlich nicht bereichern, sondern möchte nur wissen, wer mein Vater war.

2. KAPITEL

Trotz ihrer Erschöpfung war Gina bereits um sechs Uhr morgens hellwach. Vom hellen Sonnenschein auf den Balkon gelockt, genoss sie den Ausblick auf die wunderschön angelegten Gärten, die sich rings um die Villa erstreckten. Die Landschaft dahinter war noch von morgendlichem Dunst verhüllt.

Anscheinend war außer ihr noch niemand auf. Deshalb zog sie rasch eine leichte Baumwollhose und ein Hemd über, um sich draußen ein wenig umzuschauen.

Als sie nach unten kam, hörte sie gedämpfte Stimmen aus dem rückwärtigen Teil des Hauses. Um niemandem zu begegnen, benutzte sie die Vordertür. Der alte Fiat war verschwunden, und auch sonst waren keine Fahrzeuge auf dem Vorplatz zu sehen. Sicherlich gab es hinter dem Haus Garagen.

Gina wandte sich nach links, wo steinerne Stufen zwischen weißen Marmorsäulen zu einem terrassenförmig angelegten Garten mit einer üppigen Blumenpracht hinunterführten. Die prächtigen Farben hoben sich besonders schön von dem klaren blauen Himmel ab.

Auf einer der Ebenen war ein Teich, übersät von Seerosen in jeder nur erdenklichen Farbschattierung. Die aus Stein gehauene Bank an seinem Ufer bot eine großartige Aussicht über das gesamte Tal. Beim Anblick des Mannes, der bereits dort saß, verlangsamte Gina ihre Schritte.

„Ich hätte nicht gedacht, dass schon jemand wach ist“, meinte sie ein wenig verlegen. „Ich wollte vor dem Frühstück nur einen kleinen Erkundungsgang machen.“

„Ich habe Sie von meinem Fenster aus gesehen“, bekannte Lucius. „Es schien mir wahrscheinlich, dass Sie irgendwann an dieser Stelle hier vorbeikommen würden. Und wie gefällt Ihnen unser Zuhause?“

„Es ist wunderschön. Ein wahrer Traum! – Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie ein Graf sind?“, setzte sie hinzu.

Er zuckte die Achseln. „Für Statussymbole habe ich nichts übrig.“

„Ottavia scheint diese Abneigung nicht zu teilen.“

„Meine Schwester hängt einer Gesellschaftsordnung nach, die längst vergangen ist.“ Er klopfte neben sich auf die Bank. „Setzen Sie sich doch ein wenig zu mir.“

„Ich muss zurück“, sagte Gina schnell. „Sonst komme ich noch zu spät zum Frühstück.“

„Das Essen wird serviert, wann und wo auch immer Sie es wünschen“, gab er zurück, und mit leicht belustigtem Blick ergänzte Lucius: „Haben Sie vielleicht Angst vor mir?“

„Nein, natürlich nicht!“

„Welche Gefühle löse ich dann in Ihnen aus?“, fragte er gelassen.

„Sie halten zu vieles für selbstverständlich“, entgegnete Gina.

Seine Belustigung verstärkte sich nur noch. „Da spricht Ihre englische Hälfte aus Ihnen. Ihr Barsini-Blut reagiert auf meines.“

Jetzt wäre der richtige Moment, ihm die Wahrheit zu sagen, aber Gina brachte es nicht über sich.

„Auch wenn ich Ihnen dankbar bin, was meinen Wagen betrifft, habe ich nicht die Absicht, für den Rest der Woche Ihre Spielgefährtin zu werden“, erklärte sie stattdessen kühl.

„Spielgefährten sind für Kinder, doch das sind wir nicht.“

„Aber wir kennen uns nicht. Sie wissen eigentlich gar nichts von mir.“

„Dann erzählen Sie mir etwas über sich“, meinte er.

„Ich sollte lieber zurückgehen“, erwiderte Gina.

„Gut, dann komme ich mit Ihnen.“ Lucius stand auf, schlank und geschmeidig wie ein Panther in seiner schwarzen Hose und dem schwarzen Hemd.

Gina wappnete sich innerlich, als er auf sie zukam, doch er machte keinerlei Anstalten, sie zu berühren, sondern ging neben ihr zur Villa zurück.

„Sind Sie immer so früh auf?“, erkundigte sie sich.

„Ich stehe auf, sobald ich aufwache“, antwortete er leichthin. „Nicht später als sechs, manchmal sogar eine Stunde früher.“

„Auch wenn Sie erst in den frühen Morgenstunden zu Bett gehen?“

„Das ist Gewohnheitssache. Wenn ich tagsüber müde werde, mache ich Siesta. Das hängt von meinen Verpflichtungen ab.“

„Ich nehme an, diese sind sehr zahlreich.“

„Nicht zu sehr.“ Lucius warf ihr einen Seitenblick zu. „Nur wenige Touristen verirren sich nach Vernici. Es liegt abseits der üblichen Routen.“

„Ich weiß. Ich hatte einige Schwierigkeiten, es zu finden.“

Ein leicht neugieriger Ausdruck trat in seine Miene. „Weshalb haben Sie Vernici gesucht, wenn Ihr Vater aus Neapel stammte?“

„Anscheinend wurde er in Vernici geboren“, redete Gina sich heraus. „Und deshalb wollte ich mich auch dort einmal umschauen.“

„Ah so.“ Seinem Tonfall war unschwer zu entnehmen, dass er sich wunderte, weshalb sie dies nicht schon gestern Abend erwähnt hatte. „Der Name klingt mir unbekannt“, fuhr er dann fort. „Aber die älteren Einwohner werden sich sicherlich noch an die Familie erinnern. Ich werde Erkundigungen einziehen lassen.“

Ich gerate immer tiefer und tiefer in den Schlamassel, dachte Gina bedrückt. Was zum Teufel ist mit mir los, dass ich mir ständig neue Dinge ausdenke?

Am Haus angekommen, ging Lucius ihr auf den Stufen voran, um ihr die Tür aufzuhalten. Da Ginas Sandalen vom Gras nass waren, hatten sie keinen Halt auf den Fliesen. Sie rutschte aus, doch Lucius fing sie noch rechtzeitig auf und zog sie an sich, seine Hand beschützend an ihrer Taille.

„Sie müssen besser aufpassen“, meinte er, ohne sie loszulassen.

„Das werde ich“, versicherte Gina. „Danke.“

Mit einem leisen Lachen presste er die Lippen auf ihren Nacken, an die Stelle, wo ihr Haar zur Seite gefallen war. Heiße Schauer durchliefen Gina.

„Es wäre mir lieber, wenn Sie dies unterlassen würden“, brachte sie mit Mühe hervor.

Lucius lachte wieder, ließ sie jedoch los. Gina hielt dem Blick aus seinen dunklen Augen stand.

„Sie sind es vermutlich nicht gewohnt, aber ich sage Ihnen noch einmal, dass ich nicht … zu haben bin.“

„Meinen Sie nicht, dass jetzt vielleicht Sie diejenige sind, die zu vieles für selbstverständlich hält?“, gab er in gespieltem Ernst zurück.

„Tue ich das?“, fragte sie herausfordernd.

Erneut erschien das Glitzern in seinen Augen. „Nein. Ich wäre kein Mann, wenn ich Sie ansehen könnte und Sie nicht sofort begehren würde, cara.“ Ohne ihr Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, fuhr er fort: „Ich werde gleich heute Morgen damit beginnen, mich über die Familie der Barsinis zu erkundigen. Ich hoffe, etwas über sie in Erfahrung zu bringen, noch ehe der heutige Tag vorbei ist.“

Eine vergebliche Hoffnung, dachte Gina bedauernd. Je länger ihr Schwindel noch andauerte, desto schwerer wurde es, ihn rückgängig zu machen.

„Es gibt etwas, das ich Ihnen …“, fing sie an, brach jedoch ab, als Guido auf der Bildfläche erschien.

„Ja?“, fragte Lucius.

Schon hatte sie den Mut verloren und schüttelte den Kopf. „Ach, nichts.“

Leichtfüßig lief sie die Treppe empor zu ihrem Zimmer. Die Situation wurde zunehmend schwieriger. Gina fühlte sich heftig zu einem Mann hingezogen, der durchaus ein enger Blutsverwandter sein konnte und der sich seinerseits nicht die geringste Mühe machte, sein Interesse an ihr zu verbergen.

Und selbst wenn sich herausstellen sollte, dass zwischen ihnen keine engen verwandtschaftlichen Beziehungen bestanden, war Gina nicht im Geringsten an einer beiläufigen Affäre interessiert, wie Lucius sie sicherlich im Sinn hatte.

Das Frühstück wurde um acht in Ginas Zimmer serviert. Sie nahm es auf dem Balkon zu sich, wo sie die Wärme und die Aussicht genoss. Möglicherweise hatte ihr Vater dieselbe Szene vor sich gesehen, vielleicht sogar von genau diesem Zimmer aus.

Danach ging Gina wieder hinunter, ohne recht zu wissen, wie sie den Tag verbringen sollte. Auf der Terrasse fand sie Ottavia unter einem Sonnenschirm auf einer Liege ausgestreckt. Sie trug einen Bikini aus Goldlam, der ihre üppigen Kurven kaum bedeckte, sowie eine Designer-Sonnenbrille. Ihre Zehennägel waren wie ihre Fingernägel dunkelrot lackiert und der Mund in derselben Farbe geschminkt.

„Buon giorno“, grüßte Gina.

Ottavia zog die Sonnenbrille ein wenig herab und musterte verächtlich Ginas Baumwollkleid. „Sie haben sich von Ihrer Müdigkeit erholt, nehme ich an?“, erkundigte sie sich.

„Oh ja, danke“, bestätigte Gina und setzte hinzu: „Das Frühstück war sehr gut, aber ich erwarte wirklich nicht, bedient zu werden, solange ich hier bin.“

„Da Sie auf Einladung meines Bruders hier sind, haben Sie das Recht, ebenso behandelt zu werden wie jeder andere Gast“, erwiderte Ottavia. „Ihnen ist natürlich bewusst, wie glücklich Sie sich schätzen können, in dieser Angelegenheit seine Unterstützung erlangt zu haben. Dennoch möchte ich Sie warnen. Lucius mag Ihnen einige Aufmerksamkeiten erweisen, weil er ein Mann ist und Sie hübsch anzusehen sind, aber das hat nichts zu bedeuten.“

„Mit anderen Worten: ‚Kommen Sie nicht auf die Idee, er möchte Sie womöglich heiraten‘“, entgegnete Gina trocken. „Ich werde das sicherlich beherzigen.“

„Gut“, war Ottavias einziger Kommentar dazu, ehe sie die Sonnenbrille wieder aufsetzte und ihren Kopf aufs Kissen legte.

Da ihre Anwesenheit offenbar nicht sonderlich erwünscht war, entschied Gina sich, das Gelände auf der anderen Seite des Hauses zu erkunden.

Sie überquerte gerade die Auffahrt zur Villa, als ein niedriger Sportwagen um die Kurve schoss. Instinktiv sprang Gina zur Seite, stolperte und fiel mit einem Knie auf das Kiesbett. Kreischend kam der Wagen nur wenige Zentimeter von ihr entfernt zum Stehen. Sofort stürzte der Fahrer mit besorgter Miene herbei und redete auf Italienisch auf sie ein.

„Inglese“, erwiderte Gina. „Non capisco.“

„Engländerin!“, rief er überrascht aus.

„Ja, genau.“ Mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht bewegte sie vorsichtig ihr Knie. „Fährt hier eigentlich jeder wie der Teufel?“

Verständnislos zog er die Brauen zusammen. Als sein Blick auf ihr Bein fiel, rief er erschrocken: „Sie sind verletzt! Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie verletzt sind?“

„Ich habe nicht gemerkt, dass ich mir das Knie aufgeschürft habe“, erwiderte sie, während sie den Saum ihres Kleides anhob, um sich die Wunde anzusehen. „Ich dachte, ich hätte mich nur gestoßen.“

„Es muss gesäubert und verbunden werden, damit es sich nicht entzündet.“

„Keine Sorge“, versicherte sie. „Sobald ich zum Haus zurückkehre, kümmere ich mich darum. Ich bin Gast hier“, ergänzte sie. „Gina Redman.“

„Eine Freundin der Familie?“, fragte er interessiert.

„Nicht ganz. Es gab einen Unfall, bei dem mein Auto schwer beschädigt wurde. Signor Carandente hat mir großzügigerweise angeboten, hier zu wohnen, bis es repariert ist.“

Er lächelte. „Aber selbstverständlich. Lucius ist der großzügigste Mann, den ich kenne. Ich bin Cesare Traetta. Sie müssen mir erlauben, Sie zur Villa zurückzufahren.“

„Das ist doch keine Entfernung“, protestierte Gina. „Es könnte sein, dass Blut auf Ihren Sitz kommt.“

„Und wenn, dann wird er eben gereinigt.“ Er öffnete ihr die Beifahrertür. „Bitte, steigen Sie ein.“

Ehe sie dies tat, wischte sie das Blut mit einem Taschentuch fort. Der weiche Ledersitz war so geformt, dass der Körper in Position gehalten wurde. Was auch nötig war, dachte sie, als Cesare den Wagen wieder in Bewegung setzte, und zwar mit einer Heftigkeit, dass die Hinterräder durchdrehten. Er schien etwa in Lucius’ Alter zu sein, besaß aber ein Verkehrsverhalten wie Donata.

Nach der letzten Kurve hielt er den Wagen erneut mit quietschenden Bremsen vor der Villa an. Cesare schaltete den Motor ab und kam schnell zu Gina, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein.

Als er ihr auch noch die Stufen hinaufhelfen wollte, meinte sie: „Danke, ich glaube, das schaffe ich schon alleine. Ein feuchter Lappen, und ich bin so gut wie neu.“

„Sie bluten ja!“, rief Lucius, der an der Tür erschien. „Was ist passiert?“

„Ich bin auf der Auffahrt hingefallen. Signor Traetta war so freundlich, mich wieder mit zurückzunehmen.“

„Cesare“, sagte dieser hinter ihr. „Sagen Sie Cesare zu mir.“

Sie lächelte ihm rasch zu. „Gut, dann Cesare.“ Zu Lucius sagte sie: „Ich gehe hoch und versuche, mich etwas zu säubern.“

„Das notwendige Verbandszeug wird Ihnen gebracht“, antwortete er. „Wir müssen dafür sorgen, dass keinerlei Fremdkörper in der Wunde zurückbleiben.“

„Natürlich.“ Gina wurde der Wirbel, der um sie gemacht wurde, entschieden zu viel. „Ich komme schon zurecht.“

„Dessen bin ich sicher“, gab Lucius trocken zurück. „Ihre Unabhängigkeit macht Ihnen alle Ehre. Aber in diesem Falle werden Sie auf Hilfe warten.“

Er nahm ihre Zustimmung als selbstverständlich an, sodass Gina im Vorbeigehen lediglich murmelte: „Sie wissen es sicher am Besten.“

In ihrem Zimmer stellte sie fest, dass nicht nur ihr Kleid schmutzig, sondern auch der Saum gerissen war.

Sie ließ heißes Wasser ins Waschbecken laufen und begann, erst einmal behutsam den gröbsten Schmutz zu entfernen. Die Schürfwunde war ziemlich groß, und winzige Steinchen steckten darin fest. Da sie darauf konzentriert war, diese zu entfernen, merkte sie nicht, dass Lucius mit einem Verbandskasten hereinkam.

„Sie sollten doch warten!“, rief er aus.

Gina, die auf einem Hocker saß, den Fuß auf die Kante der Badewanne gestützt, unterdrückte das Bedürfnis, ihren Rock hinunterzuziehen, den sie bis zum Oberschenkel heraufgezogen hatte.

„Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie selbst kommen würden.“

Er hob die Augenbrauen. „Glauben Sie, eine solche Aufgabe sei unter meiner Würde?“

„Nun, das nicht. Ich dachte nur …“ Sie streckte die Hand nach dem Verbandszeug aus. „Aber es ist sehr nett von Ihnen.“

Anstatt es ihr zu geben, stellte Lucius den Kasten auf die Marmorablage und wusch sich erst einmal sorgfältig die Hände. Schweigend schaute Gina ihm zu. Das hätte sie eigentlich auch erst tun sollen, bevor sie die Wunde berührte.

Lucius’ Anwesenheit machte sie nervös. Es fiel ihr schwer, das leichte Zittern ihrer Gliedmaßen zu beherrschen, als er eine Pinzette zur Hand nahm und sich auf die Badewannenkante setzte, um so den Kiessteinchen zu Leibe zu rücken.

Seine Hand, mit der er ihren Unterschenkel festhielt, fühlte sich angenehm warm an. Sie konnte sich vorstellen, wie sie sich auf ihrem Körper anfühlen würden, und ihre Brustspitzen richteten sich unwillkürlich auf.

Hör auf damit, schalt sie sich, beschämt über die Richtung, die ihre Gedanken genommen hatten. Seit ihrer Teenager-Zeit war Gina immer entschlossen gewesen, sich mit nichts Geringerem zufriedenzugeben als dem einzig Wahren – der Art von Liebe, die ihre Mutter für Giovanni Carandente empfunden hatte.

„Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen wehgetan habe“, sagte Lucius, als sie mit dem Bein ein wenig zuckte. „Es sind nur noch ein paar kleine Stückchen, dann kommt die antiseptische Salbe, und wir sind fertig.“

„Kein Problem“, versicherte sie. „Sie sind sehr vorsichtig. Es ist ziemlich übel, oder? Ich hatte nicht bemerkt, wie tief einige der Steinchen eingedrungen sind.“

„Glücklicherweise dürften keinerlei Narben zurückbleiben“, erwiderte er, ohne aufzublicken. „Es wäre zu schade, wenn ein so schönes Bein entstellt würde.“

„Hören Sie eigentlich nie auf?“ Ihr Ton war schärfer als beabsichtigt.

Jetzt schaute er auf. „Sie finden meine Bewunderung ärgerlich?“

Gina holte tief Luft. „Ich finde sie etwas zu … geübt, mehr nicht.“

„Ah, ich verstehe. Sie glauben, ich würde meine Empfindungen allen Frauen gegenüber auf dieselbe Weise ausdrücken?“ Wieder blitzten Funken in seinen Augen. „Dies ist nicht der Fall.“

Die antiseptische Salbe tat höllisch weh, doch Lucius kannte kein Erbarmen, und zum Schluss legte er Gina über dem Verband noch fachmännisch eine Bandage an.

Gina stand auf, machte versuchsweise einen etwas steifen Schritt und schnitt eine Grimasse. „Ich hatte kein verbundenes Knie mehr, seit ich acht war!“

„Lange Röcke oder die Hosen, die Frauen mittlerweile anscheinend überall tragen, werden es verdecken.“

„Sie missbilligen diesen Trend?“

„Ich bevorzuge es, wenn eine Frau sich wie eine Frau kleidet“, bestätigte er.

„Donata trägt auch Hosen“, entgegnete Gina spitz. „Bei Ihrer Einstellung wundert es mich, dass Sie ihr dies gestatten, mal ganz abgesehen von dem Rest!“

„Ich sprach von einer Präferenz, nicht von einer absoluten Regel. Mit dem ‚Rest‘ meinen Sie vermutlich die Frisur meiner Schwester, doch keine noch so scharfe Kritik würde das Nachwachsen der Haare beschleunigen.“

„Tut mir leid, das war eine unpassende Bemerkung“, entschuldigte sie sich. „Sie sagten gestern, dass sie kürzlich von ihrer Schule zurückgekehrt ist?“

Sein schnelles Lächeln war ohne jeden Humor. „Sie wurde der Schule verwiesen aufgrund eines Verhaltens, das keine Institution durchgehen lassen würde, die auf ihren Ruf achtet.“

„Aber doch sicherlich nicht nur wegen einer Frisur!“

„Das war lediglich ein kleiner Fehltritt im Vergleich mit einem Ausbruch aus der Schule, um einen Nachtclub in der nächsten Stadt zu besuchen. Und wie es scheint, nicht zum ersten Mal. Nur dieses Mal wurde sie von der Polizei erwischt, als dort eine Drogenrazzia stattfand.“

Bestürzt sah Gina ihn an. „Sie wollen damit doch nicht etwa sagen, dass Donata Drogen nimmt?“

„Sie behauptet, nein.“

„Glauben Sie ihr?“

Lucius hob die Achseln. „Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich bereue es zutiefst, dass ich mich von ihr dazu habe überreden lassen, sie in die Schweiz zu schicken.“

„Sie war aber doch sicherlich nicht die Einzige, die über die Stränge geschlagen hat“, wandte Gina ein.

„Außer ihr wurden noch zwei weitere Mädchen gefasst – eine Amerikanerin und eine Engländerin. Auch diese beiden wurden nach Hause geschickt.“

„Verstehe. Aber das hilft wohl nicht viel.“

„Nein“, antwortete Lucius. „Ich habe immer noch das Problem, dass meine jüngste Schwester zur Rebellin geworden ist. Solange sie hier in Cotone wohnt, kann ich von ihr verlangen, dass sie gewisse Verhaltensregeln befolgt. Aber mir sind Grenzen gesetzt, was eine Bestrafung betrifft, falls sie beschließen sollte, sich darüber hinwegzusetzen.“

„Das könnte ich nachvollziehen“, meinte Gina vorsichtig. „Sie ist schließlich kein Kind mehr.“

„Sie ist achtzehn“, entgegnete er schroff. „Inzwischen sollte sie sich mit dem Gedanken an eine Ehe und Kinder beschäftigen!“

„Nicht jede Frau findet ihre Erfüllung in einer Ehe“, widersprach Gina.

Ein skeptischer Blick traf sie aus seinen dunklen Augen. „Sie beabsichtigen. Ihr Leben lang ledig zu bleiben?“

„Das habe ich nicht gesagt. Es kommt darauf an, ob ich einem Mann begegne, den ich heiraten möchte.“

„Und der natürlich auch Sie heiraten möchte“, meinte Lucius mit leichtem Spott.

„Nun, selbstverständlich. Zwei Herzen vereint in alle Ewigkeit! Darauf zu warten lohnt sich doch, meinen Sie nicht auch?“, erwiderte sie ähnlich spöttisch.

„Das Herz spielt nur eine geringe Rolle dabei. Körper und Geist müssen ebenfalls zufrieden gestellt werden. Die Frau, die ich einmal heirate, muss in der Lage sein, mich auf jedem Gebiet zu befriedigen.“

„Typisch männliche Arroganz!“, explodierte Gina. „Es geschähe Ihnen recht, wenn …“ Sie brach ab, als sie seine Belustigung sah und merkte, dass er sie absichtlich geärgert hatte. „… wenn Sie auf dem Trockenen blieben!“, meinte sie. „Auch wenn das nicht sehr wahrscheinlich ist, das gebe ich zu.“

Seine Belustigung verstärkte sich. „Sie sehen mich als einen Mann, dem Frauen nur schwer widerstehen können?“

„Ich sehe Sie als einen Mann, der einiges mehr als nur sein Aussehen zu bieten hat, Conte Carandente.“

Achselzuckend sagte er: „Trotz Ottavias Behauptung wird meine zukünftige Ehefrau nicht den Titel einer Contessa tragen, weil sie genauso wenig einen Anspruch darauf hat wie jeder andere in den letzten paar hundert Jahren. Was bedeutet“, fuhr er mit einem anzüglichen Glitzern in den Augen fort, „dass mir nur das Aussehen bleibt, von dem Sie sprachen. Ein Aussehen, das sowohl Ihr englisches als auch Ihr italienisches Blut bis zu einem Punkt erhitzt, wo die Unterschiede nicht mehr relevant sind. Oder wollen Sie noch immer leugnen, was zwischen uns ist, cara!“

„Was immer Sie im Sinn haben, vergessen Sie es!“, erklärte Gina mit aller Willensanstrengung, die sie aufbringen konnte. „Ich sagte Ihnen bereits, ich spiele nicht mit!“

„Worte! Nichts als Worte!“ Mit dem Zeigefinger hob er ihr Kinn, neigte den Kopf und berührte ihre Lippen mit einer Zartheit, die sie jeglicher Widerstandskraft beraubte.

Als er sie küsste, spürte Gina nichts mehr außer der Wärme, die vom Zentrum ihres Körpers ausströmte, und der zunehmenden Schwäche in ihren Beinen, die sie dazu drängte, dem Verlangen nachzugeben, das so plötzlich und leidenschaftlich in ihr aufstieg. Lucius zog sie noch enger an sich, sodass sie seine Erregung fühlen konnte, was ihr Begehren nur noch steigerte. Und die Worte, die er an ihren Lippen murmelte, waren jenseits aller Sprachbarrieren.

Dieser Mann könnte ein enger Verwandter von dir sein, warnte sie da eine beharrliche innere Stimme.

„Das reicht“, stieß sie hervor und riss sich los. „Endgültig!“

Zu ihrer Verblüffung lachte Lucius nur und schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht, weder für Sie noch für mich. Aber es besteht keine Eile. Sie finden Cesare und mich auf der Terrasse, falls Sie uns bei einer kleinen Erfrischung Gesellschaft leisten möchten. Er ist sicherlich begierig darauf, zu erfahren, dass Sie keine langwierige Verletzung davongetragen haben.“

Nachdem er den Verbandskasten wieder eingeräumt hatte, ging er, und Gina fühlte sich wie ein Dummkopf. Lucius mochte zwar erregt gewesen sein, aber er war durchaus imstande gewesen, sich zu beherrschen.

Am liebsten wäre sie für den Rest des Vormittags in ihrem Zimmer geblieben, doch als Gast konnte sie dies unmöglich tun. Also zog sie einen langen Rock an, dazu eine Seidenweste und schlüpfte in ein Paar Sandalen. Außer ein wenig Lippenstift verzichtete sie auf Make-up, ihr Haar umspielte sanft ihre Schultern. Auf der Terrasse waren nicht nur Lucius, Cesare und Ottavia, sondern auch Donata, die Gina mit wenig Begeisterung begrüßte.

Cesare hingegen sprang sofort auf und rückte ihr einen Stuhl zurecht. „Ihr Bein muss hoch liegen“, meinte er und zog die Fußstütze des Liegestuhls hervor. „Haben Sie starke Schmerzen?“

„Nein, gar nicht“, beruhigte Gina ihn.

„Ich habe frischen Orangensaft für Sie bestellt“, sagte Lucius, als ein junger Bediensteter ein Tablett voller Getränke servierte. „Sie können natürlich auch etwas Stärkeres haben, wenn Sie möchten.“

„Nein, danke, es ist genau das, was ich brauche“, erwiderte sie, griff dankbar nach dem hohen, eisgekühlten Glas und nahm einen großen Schluck.

„Eisgekühlte Getränke sollte man langsam nippen, damit der Magen keinen Schock erleidet“, bemerkte Donata leicht boshaft. „Nicht wahr, Lucius?“

„Es wäre ratsam“, stimmte er zu und wandte sich an Gina. „Falls Ihnen die Hitze zu viel wird, können wir auch in den Schatten gehen.“

„Nein, das ist für mich überhaupt kein Problem. Ich habe die Sonne schon immer genossen.“

„Das Wenige, was Sie davon in England zu sehen bekommen.“

„Oh, wir haben durchaus schöne Tage“, entgegnete sie leichthin. „Manchmal sogar mehrere hintereinander. Waren Sie schon einmal dort?“

„Immer nur sehr kurz.“

„Morgen ist Palio“, schaltete Cesare sich da ein, der sich offenbar ausgeschlossen fühlte. „Und ich habe schon vor langer Zeit Tribünensitze reserviert. Hat irgendjemand Lust, mitzukommen?“

„Sí!“, erklärte Donata sofort, bevor irgendjemand etwas sagen konnte. „Vorrei andare!“

Lucius sagte etwas auf Italienisch, woraufhin die plötzliche Lebhaftigkeit schlagartig aus ihrem Gesicht verschwand. Heftig stieß sie ihren Stuhl zurück, stand auf und stolzierte davon, ihr gesamter Körper eine einzige Rebellion.

„Was genau ist denn der Palio?“, fragte Gina in das allgemeine Schweigen hinein, um die angespannte Atmosphäre zu lockern.

Cesare antwortete: „Ein Pferderennen in Siena, das zwei Mal im Jahr zwischen den contrade der Stadt ausgetragen wird. Die Reiter müssen die Piazza del Campo drei Mal ohne Sattel umrunden.“

„Ein Rennen auf bloßem Pferderücken!“

„Etwas mehr als nur das“, meinte Lucius. „Die siebzehn Stadtbezirke kämpfen um ein Seidenbanner zu Ehren der Heiligen Jungfrau. Eine jahrhundertealte Tradition. Das Rennen selbst dauert nicht mehr als ein paar Minuten, aber die Umzüge finden den ganzen Tag über statt. Es könnte Ihnen gefallen.“

„Soviel ich weiß, bist du selbst nur ein einziges Mal da gewesen“, sagte Cesare. „Warum gehen wir nicht alle gemeinsam hin?“

„Es ist zu einem Touristen-Spektakel geworden“, erklärte Ottavia verächtlich. „Ich habe keine Lust, daran teilzunehmen. Und Marcello sicher auch nicht.“

„Dann vielleicht wir drei“, schlug er vor. „Gina darf ein solches Ereignis nicht verpassen.“

Wenn Lucius ebenfalls ablehnt, bleiben dann nur noch wir zwei übrig, dachte Gina, die kein großes Verlangen danach hatte, einen ganzen Tag in Cesares Gesellschaft zu verbringen.

„Gut, dann wir drei“, stimmte Lucius zu ihrer Erleichterung zu. „Vorausgesetzt, dass ich fahre. Ich möchte nämlich, dass wir ohne Zwischenfall ankommen.“

Cesare lachte, nicht im Geringsten gekränkt. „Du hast ja wenig Vertrauen zu mir, amico, aber ich nehme dein Angebot gerne an.“

Kurz danach verabschiedete er sich, und Lucius begleitete ihn, um etwas unter vier Augen mit seinem Freund zu besprechen.

Da Ottavia sichtlich kein Interesse an einem Gespräch hatte, ging auch Gina ins Haus, wo es zumindest ein wenig kühler war.

Durch die Glastüren betrat sie den salotto, und sofort empfing sie dort eine willkommene Kühle. In der Eingangshalle blieb Gina einen Augenblick lang unschlüssig stehen. Bisher kannte sie nur das Wohnzimmer und die Bibliothek, wo sie Lucius zuerst begegnet war.

Vorsichtig öffnete sie eine Tür unter der rechten Treppe und schaute in einen kleinen Raum, der auf den ersten Blick wie eine Abstellkammer für Möbel wirkte. Sie wollte gerade die Tür wieder schließen, da sah sie etwas in dem Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Donata saß mit geschlossenen Augen in einem hochlehnigen Stuhl. Sie sah aus, als hätte sie geweint.

Auch wenn ihre Anwesenheit vermutlich nicht erwünscht war, trat Gina dennoch leise ins Zimmer und zog behutsam die Tür hinter sich zu.

Als sie Schritte vernahm, öffnete Donata die Augen und sprang unvermittelt auf.

„Lassen Sie mich in Ruhe!“, stieß sie hervor. „Sie haben kein Recht, hier zu sein!“

Gina blieb stehen. „Das weiß ich“, sagte sie. „Aber da ich es nun einmal bin, dachte ich, wir könnten vielleicht das Kriegsbeil begraben?“

Donata zog die Augenbrauen zusammen. „Das Kriegsbeil?“

„Das heißt, dass wir den Unfall vergessen und noch einmal von vorne anfangen. Ich wäre lieber Ihre Freundin als Ihre Gegnerin.“

Unterschiedliche Gefühle huschten über die Miene des Mädchens, während sie einige Sekunden lang schwieg.

„Wieso möchten ausgerechnet Sie meine Freundin sein?“

„Tja, wahrscheinlich finde ich es einfach unangenehm, nicht gemocht zu werden“, gab Gina halb scherzhaft zurück. „Bei Ihrer Schwester scheine ich allerdings auch wenig Erfolg zu haben.“

„Ottavia hat für niemanden viel übrig, außer für sich selbst“, erklärte Donata mit unverhohlener Feindseligkeit. „Sie wäre am liebsten an Lucius’ Stelle.“

Das konnte Gina sich gut vorstellen. Als padrone besaß Lucius sicherlich die totale Kontrolle über alle Angelegenheiten der Carandentes. Nur die zweite Geige zu spielen, fiel einer Frau wie Ottavia garantiert nicht leicht.

„Sie vermissen bestimmt Ihren Vater“, sagte Gina sanft. „Wie lange ist es her, seit Sie ihn verloren haben?“

Von der Frage überrascht, antwortete Donata automatisch: „Padre starb vor sechs Jahren.“

„Er kann noch nicht sehr alt gewesen sein.“

„Er war achtundvierzig.“

Das hieß, dass zwischen ihm und Giovanni Carandente nur sieben Jahre Unterschied gewesen waren, rechnete Gina rasch nach, was sie jedoch auch nicht weiterbrachte.

„Eine große Verantwortung, die Ihr Bruder in so jungen Jahren schon auf sich nehmen musste“, meinte sie. „Vor allem als Letzter seiner Familie. Das ist sicher ein großer Druck, der auf ihm lastet.“

Misstrauisch sah Donata sie an. „Warum sollte Ihnen das etwas ausmachen?“

„Es macht mir nichts aus“, versicherte Gina schnell. „Das waren bloß ein paar Gedanken.“ Sie machte eine bedauernde Handbewegung. „Ich werde jetzt lieber gehen. Ich hätte Sie nicht stören sollen.“

„Warum haben Sie es dann überhaupt getan?“

„Ich habe gesehen, dass Sie traurig waren. Ich konnte Sie nicht einfach so sich selbst überlassen.“

„Und Sie dachten, Ihr Freundschaftsangebot sei alles, was an Trost notwendig wäre?“

„Nicht alles, aber vielleicht ein Teil.“ Gina zögerte. „Lucius hat mir erzählt, was Ihnen zugestoßen ist. Das muss eine furchtbare Erfahrung gewesen sein.“

Ginas Anteilnahme hatte eine unerwartete Wirkung. Auf einmal schien Donata in sich zusammenzufallen. „Er glaubt, ich hätte Drogen genommen!“

„Das glaubt er bestimmt nicht“, meinte Gina besänftigend. „Sie waren nur zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort. Es ist ja erst ein paar Tage her. Er wird sich schon wieder beruhigen.“

„Nein, wird er nicht.“ Wieder fing sie an zu weinen. „Er kann es nicht einmal ertragen, mich anzusehen! Niemand kann das!“

Das also war der wahre Grund für Donatas Niedergeschlagenheit.

„Sie meinen, wegen Ihrer Haare?“

„Ja. Sie waren wie Ihre, ehe ich Meryl erlaubt habe, Hand daran zu legen. Sie hat zu mir gesagt, dass es kurz geschnitten viel schicker aussehen würde.“

„Ist Meryl eine Friseurin?“

„Nein, sie war meine Freundin.“

Schöne Freundin, dachte Gina. „Bestimmt war sie neidisch auf Sie“, bemerkte sie. „Das Haar wird seine Zeit brauchen, um wieder lang zu wachsen“, fuhr sie fort. „Aber es könnte trotzdem wesentlich hübscher aussehen als so.“

Ein schwacher Hoffnungsschimmer glimmte in den Augen des Mädchens auf. „Das könnten Sie schaffen?“

Schlimmer als jetzt konnte es nicht mehr werden, dachte Gina. „Ich kann es zumindest probieren. Aber eigentlich müssten Sie sich bei einem guten Stylisten beraten lassen.“

„Bitte versuchen Sie es“, bat Donata mit wachsendem Eifer. „Wenn ich nicht mehr aussehe wie eine Vogelscheuche, wie Lucius mich genannt hat, lässt er mich vielleicht doch morgen mit zum Palio gehen. Er mag Sie sehr, das sehe ich. Wenn Sie ihn fragen, wird er es erlauben.“

Gina bezweifelte dies zwar, mochte ihr die Bitte jedoch nicht abschlagen. „Ich kann es nur versuchen“, wiederholte sie.

„Vielen Dank.“ Donata schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Und das mit Ihrem Wagen tut mir wirklich aufrichtig leid. Ich war schuld. Ich bin sehr rücksichtslos gefahren.“

„Machen Sie sich deshalb keine Sorgen.“ Gina konnte die Veränderung kaum fassen, die in dem Mädchen vorgegangen war. „Ich bin sicher, nach der Reparatur ist es so gut wie neu. Aber jetzt sollten wir uns lieber an die Arbeit machen, wenn wir bis zum Mittagessen fertig sein wollen.“

„Lunch ist um zwei Uhr“, sagte Donata. „Wir haben also noch fast zwei Stunden Zeit.“

Zwei Stunden, um eine Veränderung herbeizuführen, die Lucius zum Nachgeben bewegen sollte. Gina hoffte nur, dass ihr dies gelingen würde.

Es brauchte die gesamte Zeit und einiges an umsichtigem Schnippeln, um auch nur einen nennenswerten Erfolg zu erzielen. Als Gina schließlich die dichte dunkle Mähne trocken föhnte, bereute sie beinahe, sich überhaupt auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben.

Beim Anblick des Endprodukts war sie jedoch erleichtert. Die verschiedenen Stufen hatten jetzt etwas mehr Fasson und Volumen, während die kurzen Strähnen Donatas Gesicht umrahmten. Es war sicherlich keine Salon-Creation, aber auf jeden Fall eine immense Verbesserung gegenüber vorher. Und Donata schien zufrieden zu sein.

Das Mittagessen wurde auf einer Seitenterrasse unter einem Vordach serviert. Ottavia brachte der Veränderung ihrer Schwester nur sehr begrenztes Interesse entgegen.

„Besser als gar nichts“, meinte sie, „aber sicher kein Grund zum Feiern.“

Daher war es Lucius überlassen, sich ein wenig freundlicher darüber zu äußern.

Da Donata ihr ständig eindringliche Blicke zuwarf, packte Gina die Gelegenheit beim Schopf, ihn direkt nach dem Essen anzusprechen, als alle anderen schon aufgestanden waren.

„Es geht um morgen“, begann sie.

„Sie möchten jetzt doch nicht zum Palio?“

„Doch, natürlich.“ Sie zögerte. „Ich bin Ihnen sehr dankbar für das, was Sie bereits für mich getan haben. Aber ich möchte Sie auf keinen Fall von Ihren Aufgaben abhalten und erwarte ganz sicher nicht, dass Sie mir auch noch Unterhaltung bieten.“

„Ich habe morgen keine Verpflichtungen“, erwiderte er. „Es sei denn, Sie würden es vorziehen, den Tag mit Cesare allein zu verbringen.“

„Oh nein!“

Das kam so schnell, dass es ihm ein Lächeln entlockte. „Wo liegt dann das Problem?“

„Donata würde sehr gerne mit uns kommen.“

„So ehrenwert Ihre Bemühungen um ihr Aussehen auch sind“, meinte er neugierig, „frage ich mich doch, weshalb Sie sich so sehr für jemanden einsetzen, der Ihnen nichts als Schwierigkeiten bereitet hat.“

„Ich empfinde nun einmal Mitgefühl für sie“, gestand Gina wahrheitsgemäß. „Sie ist noch jung und leicht zu beeinflussen. Ich vermute, ihre Freundin Meryl ist diejenige, die hauptsächlich für die ganze Sache verantwortlich ist. Sie war es offensichtlich, die Donata dazu überredet hat, ihre Haare abzuschneiden. Und sie hat sie wahrscheinlich auch zu dem Ausbruch aus dem Internat angestiftet. Manchen Menschen bereitet es ein diebisches Vergnügen, andere zu verführen.“

„Sie scheinen darüber ja gut Bescheid zu wissen“, bemerkte Lucius.

„Ich habe selbst eine schlimme Phase als Teenager durchgemacht, in der ich an die falschen Leute geraten bin. Deshalb kann ich mir ungefähr vorstellen, was in Donata vorgeht, seit sie nach Hause gekommen ist. Sie versucht einfach, dem Bild zu entsprechen, das ihrer Meinung nach hier jeder von ihr hat. Was sie braucht, ist ein bisschen Mitgefühl. Haben Sie sich als Junge nie in irgendeine unangenehme Situation gebracht?“

„Jedenfalls nichts von Bedeutung. Sie glauben also, mir würde es an Menschlichkeit mangeln?“

Unsicher sah Gina ihn an. „Ich glaube, dass es für Sie eine sehr schwierige Situation ist. Ihre Mutter oder Ottavia könnten damit sicherlich leichter umgehen.“

„Nicht alle Frauen sind in der Lage, sich in andere hineinzuversetzen“, gab er trocken zurück. „Aber Sie sind mit Sicherheit eine der offensten, die mir je untergekommen ist.“

„Ich konnte noch nie meinen Mund halten“, gab sie zu. „Vergessen Sie’s einfach, ja?“

Lucius verzog die Mundwinkel. „Das würde mir in der Tat schwerfallen. Sie können Donata mitteilen, dass es Ihnen gelungen ist, mich zu überzeugen. Sie darf uns zum Palio begleiten.“

„Danke sehr.“ Gina war überrascht über diese plötzliche Nachgiebigkeit. „Sie wird sich bestimmt sehr darüber freuen.“

„Ich bezweifle allerdings, dass Cesare dieses Gefühl teilen wird.“

„Ach?“ Fragend blickte sie ihn an. „Wieso nicht?“

Er hob die Schultern. „Donata schwärmt für ihn, seit sie sechzehn war. Sie hat wohl gehofft, dass dieses eine Jahr in der Schweiz sie zu der Frau machen würde, die er sich als Ehefrau wünscht.“

Autor

Anne Weale
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