Julia Saison Band 66

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  • Erscheinungstag 18.02.2022
  • Bandnummer 66
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508070
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sharon Kendrick, Lisa Jackson, Marie Ferrarella

JULIA SAISON BAND 66

1. KAPITEL

„Mutter! Mutter!“ Noch außer Atem von ihrem Sprint auf dem Kiesweg zum Haus ließ Kimberley ihre Tasche auf den gekachelten Boden des Korridors fallen und lauschte.

Stille.

„Mutter?“ rief sie besorgt.

Aus dem kleinen Wohnzimmer war ein scharrendes Geräusch zu hören. Kimberley eilte sofort in den Raum, wo ihre Mutter gerade im Begriff war, den kleinen Hocker zu verrücken, auf den sie ihren Fuß hochgelegt hatte.

„Hier bist du also.“ Kimberleys Sorge verebbte.

Ihre Mutter schob die Brille auf ihrer Nase zurecht und betrachtete ihr einziges Kind gedankenvoll. Ein leichtes Lächeln spielte um ihre Lippen, wobei die starke Ähnlichkeit mit ihrer Tochter deutlich wurde. „Wo sollte ich wohl sonst sein? Gefesselt und geknebelt auf dem Dachboden?“

Kimberley lachte leise. „Du bist unmöglich. Vielleicht solltest du deine Krimilektüre ein wenig einschränken.“

„Und vielleicht würde dir ein bisschen mehr Ablenkung guttun. Du bist viel zu sehr mit deiner Arbeit beschäftigt“, entgegnete Mrs. Ryan energisch.

Kimberley beschloss, diese Bemerkung zu übergehen. Welche Frau würde sich nicht in die Arbeit stürzen, wenn ihr Liebesleben praktisch nicht existent war? Und an wem liegt das wohl? fragte sie sich voller Selbstironie.

Sie küsste ihre Mutter und ließ sich ebenfalls auf dem Sofa nieder. „Was gibt es denn so Dringendes? Weihnachten wäre ich doch sowieso zu Besuch gekommen.“ Dann erst fiel ihr Blick auf den bandagierten Fuß ihrer Mutter. „Oh nein, was hast du denn da gemacht?“ rief Kimberley erschreckt aus.

„Ich habe mir nur den Knöchel verstaucht, kein Grund zur Sorge.“

„Aber … warst du schon beim Arzt? Was sagt er?“

„Ich muss den Fuß einfach nur schonen, es kommt alles wieder in Ordnung.“ Mrs. Ryan zögerte. „Das einzige Problem ist …“

„Was? Was ist das Problem?“

„Ich kann nicht arbeiten.“ Mrs. Ryan lehnte sich zurück und blickte ihre elegant gekleidete Tochter an, die missbilligend ihr hübsches Gesicht verzog.

„Dann gib diesen Job auf, Mum!“ sagte Kimberley. „Ich verdiene genug, um dir so viel Geld zu schicken, wie du von Mrs. Nash bekommst.“ Das leichte Zögern bei diesem Namen war unverkennbar.

„Darüber haben wir doch schon gesprochen. Ich möchte nicht auf die Unabhängigkeit verzichten, die ich dadurch habe.“

„Aber, Mum, musst du denn ausgerechnet einen Putzjob machen?“

„Mein liebes Kind, du kannst manchmal ein richtiger Snob sein“, sagte Mrs. Ryan vorwurfsvoll. „Oder geht es nur darum, dass du es nicht gern siehst, dass ich für die Familie putze, in die du beinahe eingeheiratet hättest?“

Kleine Schweißperlen traten auf Kimberleys Stirn, ihre Schultern verkrampften sich. „Das ist doch eine alte Geschichte“, entgegnete sie mit leicht zittriger Stimme.

„Das stimmt allerdings. Ich habe nämlich eine Neuigkeit für dich.“

„Was für eine Neuigkeit?“

„Er hat sich verlobt und wird bald heiraten.“

Kimberley zuckte zusammen und spürte förmlich, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich. „Tatsächlich?“ Ihr Mund fühlte sich trocken an. „Wie schön!“

„Nicht wahr? Ich habe Duncan immer gemocht“, sagte Mrs. Ryan.

„Duncan?“ Kimberleys Stimme überschlug sich, und ihre Mutter warf ihr einen erstaunten Blick zu.

„Ja, Schatz, natürlich Duncan. Dein Ex-Verlobter, der Mann, den du einmal heiraten wolltest. Von wem sprechen wir denn sonst?“

Verstohlen wischte sich Kimberley über die Stirn. Damit ihre Mutter ihre Verstörung nicht bemerkte, suchte sie eilig nach einer Ablenkung. „Wie wäre es denn mit einer Tasse Tee? Ich bin am Verdursten.“

„Da sage ich nicht Nein!“

Schnell verließ Kimberley das Zimmer und füllte in der kleinen Küche den altmodischen Teekessel. Mit zitternden Händen legte sie ein paar Kekse auf einen Teller, während sie sich bemühte, sich wieder zu fangen. Was ihre Mutter wohl sagen würde, wenn sie wüsste, an wen Kimberley bei ihrem Gespräch gedacht hatte.

Harrison Nash – den Bruder ihres ehemaligen Verlobten. Den Mann mit den kühlen grauen Augen, den kantigen Gesichtszügen und dem aufregenden Körper. Harrison Nash, der ihr ganzes Leben durcheinander gebracht hatte, ohne sich dessen bewusst zu sein …

Es war ein herrlicher Sommerabend gewesen, die Strahlen der untergehenden Sonne tauchten den Salon von Brockbank House in ein rotgoldenes Licht. Kimberley war hergekommen, um ein zweifellos schwieriges und schmerzhaftes Gespräch mit ihrem Verlobten Duncan zu führen. Nach mehreren schlaflosen Nächten und vielem Kopfzerbrechen hatte sie beschlossen, die Verlobung zu lösen.

Ihre überstürzte Romanze hatte begonnen, als Duncan mit seiner Mutter in das eindrucksvollste Haus des kleinen Ortes Woolton gezogen war, in dem auch Mrs. Ryan lebte. Die Familie Nash war durch einen entfernten Verwandten in den Besitz von Brockbank House gekommen, und Kimberley hatte Duncan bei einem ihrer kurzen, aber regelmäßigen Abstecher aus London kennen gelernt.

Bereits bei ihrer ersten Begegnung hatte er sich sehr um sie bemüht, und dieser Eifer hatte wohl in Kombination mit seinem Charme dazu geführt, dass Kimberley sich eingeredet hatte, endlich auch verliebt zu sein. In ihrem Job war sie inzwischen so erfolgreich, dass die männlichen Kollegen ihr zumeist mit ehrfürchtiger Zurückhaltung begegneten. Duncans Unbekümmertheit war eine angenehme Abwechslung gewesen.

Hinzu kam, dass er sie nicht bedrängte, sondern ihre etwas altmodische Einstellung akzeptierte, bis zur Heirat zu warten, bevor sie sich ihm ganz hingab. Mit vierundzwanzig Jahren glaubte Kimberley, den perfekten Gentleman getroffen zu haben – und damit hatte sie vollkommen Recht.

Bei der Erinnerung daran seufzte sie auf.

Denn es war nicht genug gewesen. Abgesehen davon, dass sie drei Jahre älter war als Duncan und dieser noch studierte, während sie bereits erfolgreich Karriere in London machte, gab es ein weiteres Problem.

Sie liebte ihn einfach nicht. Er war zwar ein reizender Mensch, und sie hatte ihn von Herzen gern, aber sie liebte ihn nicht so, wie er sie liebte. Und eine Heirat unter diesen Umständen wäre einfach nicht fair.

Sie wollte ihm ihren Entschluss so schonend wie möglich beibringen. Duncan war jung, gut aussehend und charmant. Er würde sicher bald darüber hinwegkommen, davon war sie fest überzeugt.

Während sie dort auf dem prächtigen Stuhl in dem eleganten, rot möblierten Salon saß und wartete, fuhr sich Kimberley immer wieder nervös durch das lange tiefschwarze Haar.

Wie ging man eigentlich bei der Auflösung einer Verlobung vor? Natürlich mussten Duncans Mutter und ihre eigene informiert werden, die beide verwitwet waren. Sie selbst hatte keine weiteren Verwandten und Duncan nur sehr wenige. Hatte sein älterer Bruder in Amerika überhaupt von ihrer Verbindung erfahren? Sowohl Duncan als auch seine Mutter schienen zu diesem erfolgreichen Familienmitglied ehrfürchtig aufzublicken.

Während sie durch das Fenster über das weitläufige Anwesen von Brockbank House starrte, vernahm Kimberley hinter sich ein leises Geräusch. Mit dem unangenehmen Gefühl, beobachtet zu werden, drehte sie sich langsam um. Als ihr Blick auf die dunkle und schweigsame Gestalt fiel, überlief sie ein eisiger Schauer.

Natürlich hatte sie ihn schon gesehen – auf Familienfotos oder in Zeitungsartikeln aus den Klatschspalten – aber Kimberley hätte auch so gewusst, dass niemand anders vor ihr stand als Harrison. Der reiche, der erfolgreiche, der mächtige ältere Sohn. Obwohl die Familienmerkmale unverkennbar waren, sah er Duncan kein bisschen ähnlich.

Harrison war das absolute Gegenteil seines jüngeren Bruders. Während Duncans Blick sanft und freundlich war, strahlten die Augen dieses Mannes klar und kalt. Duncans voller Mund lud zum Küssen ein, während Harrisons Lippen eine dünne, harte Linie bildeten. Ein zynischer Mund, dachte Kimberley und versuchte sich vergeblich vorzustellen, dass diese Lippen sich zu einem Kuss öffneten. Röte stieg ihr ins Gesicht, was er mit einem spöttischen Zucken der Mundwinkel registrierte.

Kimberley saß wie erstarrt da, unfähig, an etwas anderes zu denken als an das plötzlich und heftig aufflammende Begehren, das sie durchfuhr. Sie blickte in diese Augen, die nun nicht mehr grau waren, sondern sich verdunkelt hatten. Ihr war beinah schwindlig vor Verlangen.

Schließlich ertrug sie diesen stummen, forschenden Blick nicht länger und sprang auf.

„Sie müssen Harrison sein“, platzte sie im Gegensatz zu ihrem sonst so ruhigen und selbstsicheren Auftreten heraus.

„Und Sie sind dann wohl die Glücksritterin“, stellte er in beißendem Tonfall fest, wobei ihm die Verachtung ins Gesicht geschrieben schien.

Für einen Augenblick glaubte Kimberley, sich verhört zu haben. Eine solche Äußerung schien völlig undenkbar, zumindest in einer zivilisierten Umgebung. Andererseits wirkte dieser Mann mit der kalten Wut, die in seinen Augen funkelte, alles andere als zivilisiert. Er wirkte …

Kimberley erschauderte unwillkürlich.

Beinahe barbarisch.

Sie zwang sich zu einer gelassenen Entgegnung. Auf keinen Fall durfte sie sich von ihm noch mehr aus der Ruhe bringen lassen. „Was haben Sie bitte gesagt?“ fragte sie daher.

„Oje!“ antwortete er spöttisch, „habe ich Sie verwirrt? Schönheit und Verstand wäre vielleicht auch zu viel verlangt. Ich habe Sie eine Glücksritterin genannt. Ein etwas altertümlicher Begriff, er bedeutet …“

„Mir ist durchaus klar, was er bedeutet.“ Ihre Stimme zitterte vor unterdrücktem Zorn und Abneigung. „Was erlauben Sie sich da?“

Er antwortete mit einem nachlässigen Zucken seiner breiten Schultern. „Sie mögen das vielleicht eigenartig finden, aber ich fühle mich für meinen kleinen Bruder verantwortlich. Welche Schlussfolgerung soll ich denn sonst ziehen, wenn ich höre, dass er eine Frau heiraten will, die er kaum kennt und die um einiges älter ist als er …?“

„Nur drei Jahre“, unterbrach sie ihn. „Was spielt denn das für eine Rolle? Viele Männer heiraten ältere Frauen.“

„Tatsächlich?“ Sein kühler Blick streifte sie. „Und warum heiraten Frauen unreife Collegejungs, die ein großes Erbe zu erwarten haben? Macht Sie das an, Kimberley?“

Als er ihren Namen sagte, spürte sie eine seltsame, dunkle Vorahnung. Die Art, wie sein Mund dieses eine Wort formte, war beinahe verführerisch.

„Ich werde nicht hier stehen und mir so etwas anhören“, sagte sie, ohne jedoch ihre Füße auch nur einen Zentimeter auf dem kostbaren Perserteppich zu bewegen. Der Blick seiner grauen Augen hielt sie in seinem Bann.

„Doch, genau das werden Sie tun“, entgegnete Harrison mit gefährlich sanfter Stimme.

Sein Blick glitt über ihren Körper, verharrte auf der Rundung ihrer Brüste unter dem dünnen T-Shirt. Kimberley war dieser Musterung – und der Wirkung, die dieser Mann auf sie ausübte – hilflos ausgeliefert.

Eine Mischung aus Schmerz und Lust durchfuhr sie. Harrison verzog höhnisch den Mund, als er sah, wie ihre Brustspitzen sich aufrichteten, und sie kam sich unglaublich billig vor.

Als hätte sie eine unausgesprochene Vermutung bestätigt, nickte er. „Wie ich es mir gedacht habe“, sagte er voller Sarkasmus. „Das Gesicht einer Heiligen und der Körper einer Hure. Ganz reizende, aber leider sehr vergängliche Attribute. Kein Wunder, dass Sie daraus schnell Kapitel schlagen wollen. Aber ich würde es begrüßen, wenn Sie sich ein anderes Opfer suchten als meinen Bruder. Ist das klar?“

Kimberley starrte ihn immer noch wortlos an. Ihr ansonsten so klarer Verstand hatte sie vollkommen im Stich gelassen. Während er immer noch ihre Brüste betrachtete, vermochte sie an nichts anderes zu denken als daran, wie Harrison sie mit seinem Mund liebkoste, an den Spitzen saugte und …

Erschüttert durch die instinktive Reaktion ihres Körpers, verteidigte sie sich schließlich. „Ich habe es überhaupt nicht nötig, daraus Kapital zu schlagen. Zufällig habe ich eine sehr gute Stellung in einer Handelsbank.“

„Wahrscheinlich haben Sie sich da hochgeschlafen, stimmts?“

Sein beleidigender Tonfall vertrieb jeden anderen Gedanken aus ihrem Kopf. „Warum tun Sie das?“ fragte sie ungläubig.

„Das habe ich Ihnen doch gesagt. Ich will meinen Bruder schützen – vor Frauen wie Ihnen.“

Frauen wie Ihnen.

Das Gesicht vor Zorn gerötet, schlug Kimberley ihm hart mit der Hand ins Gesicht. Sie hätte eigentlich über sich selbst erschrecken müssen, stattdessen erfüllte diese gewalttätige Reaktion sie jedoch mit tiefer Befriedigung. Harrison blieb völlig reglos, nur ein kurzes Aufflackern in den Augen verriet seinen Zorn.

„Darauf werde ich gleich zurückkommen. Vorher möchte ich, dass Sie mir ganz genau zuhören.“

„Ich werde nichts dergleichen tun, Sie unverschämter …“

„Ersparen Sie mir das Theater, und halten Sie doch endlich den Mund!“ Die Drohung in seiner leisen Stimme war nicht zu überhören, und erneut überlief sie ein eisiger Schauer. „Mein Bruder steht noch ganz am Anfang seines Lebens. Er ist ein unreifer Bengel. Wenn er jetzt heiratet, wird er es schon bald bereuen. Er ist einfach noch nicht dafür bereit.“

Ebenso wenig wie sie selbst. Aber das konnte Harrison Nash natürlich nicht wissen. Die grimmige Entschlossenheit in seinem Gesicht und sein arrogantes Benehmen zeigten nur zu deutlich, dass er daran gewohnt war, seinen Willen durchzusetzen. Wie weit würde er wohl gehen, um ihre Heirat mit Duncan zu verhindern?

Plötzlich spürte Kimberley ein unbändiges Verlangen, sich für seine Beleidigungen zu rächen, ihn für seine schamlose sexuelle Musterung zu bestrafen – und für die Gefühle, die er so bei ihr ausgelöst hatte.

„Sie können uns nicht davon abhalten zu heiraten“, sagte sie kühl.

Seine grauen Augen verengten sich, als er ihren Stimmungswandel bemerkte. „Da haben Sie allerdings Recht. Aber ich kann etwas anderes tun, nämlich die großzügige finanzielle Unterstützung beenden, an die Duncan sich so gewöhnt hat. Dieses Haus gehört mir, obwohl ich immer vorhatte, den Besitz an ihn und meine Mutter zu überschreiben. Aber das werde ich mir vielleicht noch einmal überlegen.“ Er warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. „Ich nehme an, dass Duncans Attraktivität für Sie damit erheblich nachlassen würde.“

Bei ihrer Arbeit in der Londoner City hatte Kimberley schon einige zynische und rücksichtslose Männer kennen gelernt, aber im Vergleich mit Harrison wirkten sie geradezu harmlos.

Stolz hob sie den Kopf. „Wenn ich Duncan heiraten will, dann wird nichts, was Sie tun oder sagen, mich davon abbringen“, erklärte sie. „Damit hätten Sie wohl verloren, meinen Sie nicht?“

„Oh nein!“ widersprach er vehement. „Ich verliere nie.“

Gegen ihren eigenen Willen betrachtete sie ihn fasziniert. „Wirklich nicht?“

Mit leichtem Zögern sagte er: „Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen. Wenn Sie die Verlobung lösen, bin ich bereit, Ihnen einen gewissen finanziellen Ausgleich zu bieten. Sollten Sie jedoch nicht damit einverstanden sein und meinen Bruder wirklich heiraten, werde ich dafür sorgen, dass Sie keinen Penny von seiner Erbschaft in die Finger bekommen, bevor ich nicht überzeugt bin, dass Ihre Ehe eine solide Grundlage hat. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

Die grauen Augen wirkten kalt und hart wie Stein in seinem attraktiven Gesicht. „Es liegt nicht nur daran, dass ich älter bin als er, richtig?“ fragte Kimberley leise. Die Wucht seines Zorns hatte sie erschüttert. „Oder daran, dass Sie denken, ich würde Duncan nur wegen seines Geldes heiraten? Sie mögen mich einfach nicht.“

Harrison sah sie reglos an. „Nein“, antwortete er schließlich. „Ich mag Sie nicht, wenn man das nach einer so kurzen Bekanntschaft überhaupt beurteilen kann. Und Sie haben Recht – Ihr Alter und Ihre Habgier sind nicht die eigentlichen Gründe, warum ich so gegen diese Heirat bin.“

„Warum dann?“

„Ganz einfach. Sie sind nicht die richtige Frau für ihn.“

Die unerschütterliche Gewissheit, die aus seinen Worten klang, verschlug ihr für einen Moment die Sprache. „Wie können Sie sich da so sicher sein?“

„Deswegen.“ Seine Stimme war rau und beinah bedrohlich vor unterdrückter Erregung. Er legte die Arme um ihre Taille und küsste sie.

In diesem Moment geschah etwas mit ihr, was ihr Leben unwiderruflich verändern würde. Was um alles in der Welt hatte er nur durch diesen Kuss in ihr angerichtet? Sexuelles Begehren, das stärker und überwältigender war als alles, was sie bisher jemals gefühlt hatte, durchfuhr ihren Körper.

Aber mein Gott, es war einfach wunderbar!

Kimberley öffnete den Mund, als hätte sie ein Leben lang auf diesen süßen und zugleich gefährlichen Kuss gewartet. Sie zitterte vor Verlangen nach mehr als nur diesem Kuss. Sie wollte, dass dieser attraktive Mann ihr das T-Shirt vom Körper riss, ihre Jeans abstreifte. Sie wollte, dass er sie direkt hier liebte …

Plötzlich jedoch brach die Realität in diese Fantasie ein, als irgendwo im Haus ein Rufen zu hören war. Harrison löste sich von ihr, und sie konnte einen unwillkürlichen Protest nicht unterdrücken, als er einen Schritt zurücktrat. Als sie schließlich verwirrt in sein Gesicht blickte, stand erneut Verachtung in seinen Augen.

„Genau deswegen.“

Kimberley straffte die Schultern und versuchte, ihr Schamgefühl zu verbergen, so gut es ging. Ihre blauen Augen blitzten.

Nur um ihr seinen Standpunkt noch deutlicher zu machen, hatte er sie wie ein Flittchen behandelt. Und sie musste sich eingestehen, dass sie seine Erwartungen mehr als erfüllt hatte. Die Intensität ihrer Empfindungen erschreckte sie, und ihre so mühsam erarbeitete Selbstbeherrschung war wie weggeblasen. Sie war die Unterlegene, er hatte gewonnen. Er hatte die gesamte Macht in seinen Händen, ihr blieb nichts. Solange sie lebte, wollte Kimberley ihn niemals wieder sehen.

Niemals.

Aber dann wurde ihr noch etwas klar. Hinter der Verachtung, die seine Züge ausdrückten, lag noch etwas anderes – ein wilder, unersättlicher Hunger, der seine Augen verdunkelt und seinen Puls zum Rasen gebracht hatte. Er will mich, dachte sie, obwohl er mich verachtet. Und er ist ein Mann, der immer bekommt, was er will.

Wenn er mich will, dann wird er mich finden. Und was ist, wenn ich ihm nicht widerstehen kann? Was habe ich von einem Mann, der mich verachtet, anderes zu erwarten als ein gebrochenes Herz?

Es sei denn, es gelang ihr, sich so zu verhalten, dass er sie für immer zufrieden lassen würde.

Sie setzte ein leichtes, selbstzufriedenes Lächeln auf und warf ihm einen Blick zu, von dem sie hoffte, dass er berechnend wirkte.

„Dieser finanzielle Anreiz, den Sie erwähnten“, sagte sie mit rauer Stimme. „Um welche Summe könnte es dabei gehen?“

Wenn sie geglaubt hatte, dass er sie vorher schon geringschätzig betrachtet hatte, wurde Kimberley nun eines Besseren belehrt. Harrison sah sie an, als wäre ihre bloße Anwesenheit eine unerträgliche Belastung.

Er nannte eine Summe, und sie erlaubte sich ein habgieriges Lächeln, bevor sie zustimmend nickte. „Einverstanden. Aber unter einer Bedingung. Ich mache nur mit, wenn Sie Duncan nichts von dem mitteilen, was heute Nachmittag vorgefallen ist. Ich werde ihm selbst sagen, dass aus unserer Hochzeit nichts wird. Auf meine Art.“

Er starrte sie ungläubig an. „Glauben Sie denn wirklich, ich würde meinen Bruder so verletzen? Und so gern ich ihm auch dazu gratulieren würde, dass er Ihren Fängen noch einmal entkommen ist, will ich ihm doch nicht die Augen dafür öffnen, dass er auf ein billiges Flittchen hereingefallen ist.“

„Ausgezeichnet.“ Sie streckte ihm ihre schmale Hand entgegen und hielt seinem Blick stand. „Dann können wir jetzt ja zum Geschäftlichen kommen.“

Mit einem Gesichtsausdruck, der seinen Abscheu kaum verbarg, holte er ein Scheckbuch aus seinem Anzug.

Sie hatte nicht erwartet, dass es so sehr wehtun würde.

Kimberley fuhr sich nervös mit der Hand durch die Haare, als könne sie auf diese Weise Harrisons Bild aus ihrem Kopf vertreiben. Nach mehr als zwei Jahren sollte die Erinnerung an diesen Mann doch zumindest ein wenig verblasst sein, stattdessen ließ schon der bloße Gedanke an ihn ihr Herz schneller schlagen.

Mit dem Teetablett in der Hand machte sie sich auf den Weg ins Wohnzimmer.

Jeder Aufenthalt in Woolton erweckte die Erinnerung an Harrison Nash und ihren einen schicksalhaften Kuss wieder zum Leben. Dies war einer der Gründe, warum ihre Besuche seltener geworden waren.

Nach diesem Zwischenfall hatte Kimberley mehrere Dinge getan. Als Allererstes hatte sie Duncan seinen Ring zurückgegeben. Er hatte nicht versucht, sie umzustimmen oder mit ihr zu diskutieren, sondern ihre stotternd vorgebrachte Erklärung einfach akzeptiert und lediglich gesagt, dass er im Grunde seines Herzens nicht überrascht wäre.

Am folgenden Tag war sie für vierzehn Tage zu einer Tante nach Schottland gereist, um dort die Erlebnisse zu verarbeiten. Den Scheck, den Harrison ihr gegeben hatte, hatte sie eingelöst und das Geld einer Wohltätigkeitsorganisation gespendet. Dabei hatte sie sich feierlich geschworen, Harrison Nash ein für alle Mal aus ihrem Herzen zu verbannen.

Das hatte aber bisher nicht funktioniert.

„Kimberley“, rief ihre Mutter besorgt. „Was ist denn aus dem Tee geworden?“

„Kommt sofort!“ Sie bemühte sich um einen gelassenen Gesichtsausdruck, ging ins Wohnzimmer und goss den Tee ein.

Der Earl Grey war erfrischend, aber trotz ihres Hungers knabberte Kimberley nur halbherzig an den Keksen. Die Erinnerung an diesen unheilvollen Tag ließ sie nicht los.

Sie reichte ihrer Mutter den Teller mit den Plätzchen. „Meinst du denn, dass du mit deinem verletzten Fuß allein zurechtkommst?“

„Oh, das wird schon irgendwie gehen!“ entgegnete Mrs. Ryan wenig überzeugend.

Kimberley unterdrückte ein Lächeln. Ihre Mutter war so leicht zu durchschauen! „Wie wäre es denn, wenn ich für ein paar Tage bliebe und dir zur Hand ginge?“

„Würdest du das tun?“ Mrs. Ryans strahlendes Gesicht sprach Bände. „Das wäre natürlich wunderbar.“

Kimberley dachte kurz nach. Sie hatte sich in den vergangenen fünf Jahren als gewissenhafte Mitarbeiterin in der Londoner Handelsbank einen Namen gemacht, und es wäre sicherlich kein Problem, auch kurzfristig ein paar Tage frei zu nehmen. „Aber sicher. Ich werde nur noch einmal kurz nach London fahren müssen, um ein paar Sachen zu holen.“

„Natürlich, Schatz.“ Mrs. Ryan lehnte sich zufrieden zurück. „Gibt es vielleicht noch ein bisschen Tee?“

Kimberley goss ihrer Mutter eine weitere Tasse ein. „Also, wen heiratet Duncan denn nun?“ fragte sie.

„Ein Mädchen, das er in Amerika kennen gelernt hat. Offenbar eine reiche Erbin.“

„Na, das wird Harrison aber freuen“, sagte Kimberley.

Mrs. Ryan warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. „Ich weiß gar nicht, was du gegen den Mann hast. Ich fand ihn ausgesprochen charmant.“

Charmant? So charmant wie eine Klapperschlange! Mit einem etwas gezwungenen Lachen sagte Kimberley: „Das ist nicht unbedingt das Wort, das mir zu ihm einfällt.“

„Aber warum ist er dir nur so unsympathisch?“ hakte ihre Mutter nach.

„Wenn du es unbedingt wissen willst – weil er alles verkörpert, was ich zutiefst verabscheue! Diese Arroganz! Der Mann glaubt doch, jede Frau müsste sich nach ihm verzehren!“

„Nach allem, was ich höre, hat er damit gar nicht so Unrecht“, warf Mrs. Ryan trocken ein.

Nur mit Mühe unterdrückte Kimberley einen heftigen Aufschrei. „Ich mache mich besser auf den Weg“, sagte sie eilig, bevor ihre Mutter ihr womöglich Geschichten aus Harrisons Liebesleben berichtete.

„Fahr bitte vorsichtig, hörst du?“

„Das tue ich doch immer.“

Kimberley war in der Tat eine umsichtige Fahrerin, wenngleich sie vielleicht manchmal etwas zu sehr aufs Gas drückte. Bereits eine Stunde später kam ihr roter Sportwagen vor dem kleinen, von Geißblatt umwachsenen Cottage in Hampstead zum Halten.

Sie rief in der Bank an. James, ihr Chef, war mit ihren Urlaubsplänen sofort einverstanden. „Nimm dir frei, solange du willst!“

„Meinst du das ernst?“ fragte sie lachend. „Ich rufe dich an, wenn ich zurück bin. Es dauert sicher nur ein paar Tage.“

„Melde dich, wenn du eine Schulter zum Anlehnen brauchst!“

„Das werde ich tun. Vielen Dank, James!“ Kimberley legte auf.

James Britton hatte aus seiner Bewunderung für sie nie einen Hehl gemacht, und ihre freundliche Ablehnung privater Verabredungen hatte daran nichts geändert. Sie hatte ihm gesagt, dass sie Berufliches und Persönliches nicht miteinander vermischen wolle. Das war jedoch nur ein Vorwand gewesen.

Kimberley hatte versucht, sich mit anderen Männern zu verabreden, aber die unglückselige Folge ihrer kurzen Begegnung mit Harrison war nun einmal, dass kein anderer Mann in ihr auch nur annähernd die Empfindungen auslöste, wie er es getan hatte.

Was aber auch sein Gutes hatte, wie sie sich selbst ermahnte. Schließlich hatte die instinktive Reaktion ihres Körpers sie damals erschreckt und abgestoßen. Wenn das der Preis für Leidenschaft war, dann sollte sie in Zukunft besser jeder Liebesbeziehung aus dem Weg gehen.

Kimberley leerte den Kühlschrank, schaltete den Anrufbeantworter ein, lud den Koffer in ihren Sportwagen und war in kurzer Zeit schon wieder auf der Autobahn.

Die Rückfahrt verlief ereignislos, abgesehen davon, dass ein großer, schwarzer Wagen mit deutlich mehr PS als ihr eigener sie zum Wechsel in die mittlere Spur nötigte, um dann zügig an ihr vorbeizuziehen. Für Kimberley, die eine ehrgeizige Fahrerin war, ein unerfreuliches Ereignis.

Typisch Mann, schimpfte sie in Gedanken. Wer sonst hatte solche phallischen Symbole nötig, um sein Ego zu befriedigen.

Sie sah das schwarze Auto später noch ein zweites Mal, und zwar vor dem einzigen erstklassigen Restaurant ihres Heimatortes, das als Geheimtipp galt und nur selten von Touristen besucht wurde. Aber wer hier in der Umgebung fuhr wohl ein solches Auto?

Als sie im Haus ihrer Mutter angekommen war und ausgepackt hatte, bereitete Kimberley ein kleines Abendessen zu. Danach saßen Mutter und Tochter bei einem Glas Wein zusammen, als Mrs. Ryan mit ihrem Anliegen herausrückte.

„Kimberley, ich würde dich gerne um einen kleinen Gefallen bitten“, sagte sie etwas zögerlich.

„Aber sicher, worum geht es denn?“

„Ich weiß nicht genau, wie ich es ausdrücken soll …“

Offenbar doch nicht so ein kleiner Gefallen, dachte Kimberley. „Ja?“

„Ich habe dir doch erzählt, dass Duncan sich verlobt hat?“

Also daher wehte der Wind. Ihre Mutter war in Sorge, dass die Neuigkeit sie doch tiefer getroffen hatte, als sie zugegeben hatte.

„Ja, und ich freue mich für ihn. Es macht mir wirklich nichts aus.“

Mrs. Ryan schüttelte den Kopf. „Das ist mir völlig klar. Schließlich hast du eure Verlobung gelöst. Und lieber früher als später, kann ich da nur sagen.“

Kimberley stöhnte leicht auf. „Worum geht es denn nun?“

„Ach so, ja!“ Duncan kommt in ein paar Tagen nach Hause, und mit meinem Fuß kann ich natürlich nicht das Haus für seine Ankunft vorbereiten, und da dachte ich, du könntest das vielleicht übernehmen.

Kimberley stellte ihr Weinglas ab und starrte ihre Mutter ungläubig an. „Du meinst, ich soll in Brockbank House putzen?“

„Wenn’s dir keine großen Umstände macht, Schatz.“

Energisch schüttelte Kimberley den Kopf. „Ich werde jemanden aus dem Ort bezahlen, um die Arbeit zu machen.“

„Aber es dürfte sehr schwierig werden, so kurzfristig jemanden zu finden. Gerade jetzt, so kurz vor Weihnachten. Außerdem weißt du doch, wie genau Margaret Nash ist. Sie würde nicht jeden x-beliebigen Menschen an ihre Antiquitäten lassen.“ Eilig fügte sie hinzu: „So viel ist wirklich nicht zu tun. Ein bisschen Staub saugen, einige Möbel polieren und vielleicht den Küchenboden wischen. Betrachte es als kleine Wiedergutmachung!“

„Wiedergutmachung?“

„Nun ja, es wäre doch eine nette Geste. Schließlich hast du ihn damals sitzen lassen. Oder macht es dir doch etwas aus, dass er sich mit einer anderen Frau verlobt hat?“

Kimberley konnte nicht anders. Sie lachte laut auf. „Was für ein unfairer Trick, Mum!“ Dann fiel ihr noch etwas anderes ein. „Aber Mrs. Nash wäre sicher auch nicht davon begeistert, wenn ich ihre Antiquitäten abstaube, oder?“

„Oh, sie würde sich freuen, dich zu sehen! Sie hat dich immer sehr gemocht. Außerdem war sie ohnehin der Ansicht, dass du nicht die richtige Frau für Duncan seiest.“

So, so! Das hatte sie damals nie erwähnt.

„Dann hilfst du mir also?“

Kimberley seufzte auf. „Das werde ich wohl. Sonst gibst du keine Ruhe. Aber eins muss ich vorher wissen – wo ist Harrison?“

„Er ist gerade in Frankreich, oder war es Deutschland? Auf jeden Fall ist er dabei, eine ausländische Firma zu übernehmen. Arbeitet sich zu Tode, meint Mrs. Nash. Sie findet …“

„Ja, schon gut“, unterbrach Kimberley ihre Mutter in scharfem Ton. „Ich bin mir sicher, ihr sprecht gerne über dieses faszinierende Thema, ich habe jedoch keinerlei Interesse am ruhmreichen Leben des Harrison Nash.“

Mrs. Ryan sah ihre Tochter etwas irritiert an, äußerte sich jedoch nicht zu diesem Thema.

Unglücklicherweise war es nicht ganz so einfach, die Gedanken an Harrison aus ihrem eigenen Kopf zu vertreiben. In dem Moment, als Kimberley Brockbank House betrat, überfielen sie weitere Erinnerungen an den Tag ihrer Begegnung.

Wie hatte sie sich nur darauf einlassen können, ihrer Mutter diesen ‚Gefallen‘ zu tun! Zwei Jahre lang war es ihr gelungen, sich diesem Haus nicht einmal zu nähern.

Trotz der Versicherungen ihrer Mutter fürchtete Kimberley das Treffen mit Duncans Mutter, aber Mrs. Nash hielt ihr mit einem freundlichen Lächeln die Hand entgegen. Sie war eine große, elegante Frau mit den sanften Augen ihres jüngeren Sohnes. Harrison dagegen, so hatte Kimberley gehört, war das Ebenbild seines Vaters, der bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen war, als die Jungen noch klein waren.

„Hallo, Kimberley!“ sagte Mrs. Nash. „Das ist wirklich nett, dass du mir aushilfst.“

„Kein Problem. Es war meiner Mutter sehr wichtig.“

Mrs. Nash lächelte. „Eleanor ist immer so gewissenhaft. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie anfangen würde.“ Sie zögerte kurz. „Sie hat dir sicher erzählt, dass Duncan heiraten wird?“

„Ja, das hat sie. Und ich freue mich für ihn. Wirklich.“

Mrs. Nash legte eine Hand auf ihren Arm. „Das habe ich mir auch gedacht. Möchtest du mit mir Tee trinken?“

Mit einem Kopfschütteln lehnte Kimberley ab. „Vielleicht ein anderes Mal, danke! Ich würde lieber gleich anfangen.“

„Das verstehe ich.“

Kimberley bezweifelte stark, dass Mrs. Nash den wahren Grund verstand, warum sie Brockbank House so schnell wie möglich wieder verlassen wollte. Zweifellos wäre die verständnisvolle Dame erschüttert, wenn sie erführe, dass allein das Foto ihres älteren Sohnes auf dem Tisch in der Eingangshalle einen wahren Gefühlssturm in Kimberley entfesselte.

Sie versuchte das Bild objektiv zu betrachten, schließlich war es nur ein Gesicht. Und die Züge waren nicht einmal besonders ebenmäßig, die Augen zu kalt und das Kinn zu markant, um wirklich attraktiv im landläufigen Sinne zu sein. Der Fotograf hatte versucht, ein Lächeln einzufangen, aber das war kein offenes, sonniges Lächeln, sondern eher ein zynisches Hochziehen der Mundwinkel.

Kimberley wandte sich von dem Bild ab und machte sich an die Arbeit. Sie hatte ihr Haar zurückgebunden und trug zerschlissene Jeans und ihr ältestes T-Shirt, das vom häufigen Waschen schon etwas eingelaufen war.

Da sie keinen Wischmopp finden konnte, füllte sie einen Eimer mit Wasser und wischte den Küchenboden auf altmodische Weise – auf Händen und Knien!

Es war eine seltsam befriedigende Arbeit. In London war sie einfach zu beschäftigt, um ihr Haus selbst zu putzen, aber hier war dies eine beinah erholsame Aufgabe.

Sie wollte den Lappen gerade auswringen, als sich die Küchentür öffnete. Kimberley erwartete, Mrs. Nash zu sehen, stattdessen fiel ihr Blick auf ein langes Paar Beine und wanderte weiter in ein hartes, kantiges Gesicht.

Und die kalten grauen Augen von Harrison Nash.

2. KAPITEL

„Sieh an, sieh an, so weit sind Sie also inzwischen gesunken! Wer hätte das gedacht?“ Harrisons Stimme hatte nichts an Sarkasmus eingebüßt. Und war auch noch ebenso tief und klangvoll wie vor zwei Jahren.

Kimberley ließ den Wischlappen fallen, und Wasser spritzte auf die Vorderseite ihres T-Shirts.

„Wissen Sie was!“ fuhr er fort. „Es macht mir richtig Freude, Sie in dieser ergebenen Haltung zu sehen.“ Schamlos fuhr sein Blick über ihr durchnässtes T-Shirt und die Rundung ihrer Brüste. Sie spürte, wie ihre Brustspitzen sich aufrichteten, und ihr Magen zog sich zusammen. In Harrisons Augen erkannte sie den Widerschein ihrer eigenen Gefühle.

„Was zum Teufel tun Sie hier?“ Sie warf den Lappen zurück in den Eimer und stand auf.

„Sollte ich das nicht besser Sie fragen? Sind die Zeiten für Banker so schlecht, dass Sie Ihr Einkommen als Putzfrau aufbessern müssen?“

„Meine Mutter arbeitet hier als Haushaltshilfe, der Himmel weiß, warum. Und ich werde nicht dulden, dass Sie sie beleidigen“, entgegnete sie mit eisiger Stimme.

„Das habe ich auch nicht vor. Ich schätze Ihre Mutter sehr. Sie dagegen …“ Seine Augen verengten sich. „Was haben Sie vor? Wollen Sie einen zweiten Versuch unternehmen, Duncan zu ruinieren?“

Sie starrte ihn fassungslos an. „Wovon reden Sie überhaupt?“

„Das ist doch offensichtlich. Mein Bruder kommt aus Amerika zurück und bringt seine neue Verlobte mit. Und auf einmal tauchen Sie wieder auf. Ich möchte zu gern wissen, wie Ihre Pläne aussehen. Wollen Sie ihn zurückhaben? Oder sind Sie nur hier, um ihm zu zeigen, was er alles nicht haben kann?“

„Sie werden sich ja wohl erinnern, dass Sie derjenige waren, der meine Heirat mit Duncan unbedingt verhindern wollte.“

Er schenkte ihr ein kühles Lächeln. „Wenn Sie ihn wirklich geliebt hätten, wäre mir das kaum gelungen. Dann hätten Sie mir einfach gesagt, dass ich verschwinden solle. Stattdessen sind Sie mit meinem dicken Scheck in der Hand hier herausspaziert.“ Provozierend fügte er hinzu: „Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was ich von Ihnen hätte haben können, nicht wahr?“

Kimberley errötete. Nur ein so rücksichtsloser Mann wie Harrison Nash würde es derart genießen, sie an diesen fatalen Kuss zu erinnern.

Er kam noch ein wenig näher, und sie zuckte unwillkürlich zusammen. Trotzig hob sie das Kinn und hielt seinem Blick stand.

„Was haben Sie denn mit dem Geld angefangen? Das war doch eine ganz hübsche Summe. Und so leicht verdient.“ Er lachte kurz auf. „Jetzt stehen Sie hier so kühl und gelassen, als ob Eis in ihren Adern sei. Aber ich müsste Sie nur berühren, und Sie stünden in Flammen, ist es nicht so? Sagen Sie, Kimberley, haben alle Männer diese Wirkung auf Sie, oder liegt es an mir?“

Ihr Herz schlug wie wild, aber irgendwie gelang es ihr, die Kontrolle über sich zu bewahren. „Ich denke, Sie überschätzen Ihre Anziehungskraft ein wenig.“

Er kam noch einen Schritt näher und musterte sie mit diesem hungrigen Blick. „Meinen Sie wirklich? Ich glaube, wir wissen beide, dass Sie mich wollen. Sie hassen mich, aber Sie wollen mich …“ Abrupt zog er sie in seine Arme.

„Lassen Sie mich sofort los, oder ich schreie laut …!“

Aber es kam kein Schrei. Und nicht einmal der leiseste Versuch von Widerstand, der ihr noch einen Rest von Stolz gelassen hätte. Kein Schrei, kein Widerstand – nur die überwältigende Reaktion auf seine Berührung, die ihren Willen lähmte und eine Mischung aus Begehren und Frustration übrig ließ.

Und wie schon einmal vor zwei Jahren gab sie sich diesem Kuss hin, schlang die Arme um seinen Rücken und stöhnte leise auf.

„Zeig mir, wie sehr du mich willst!“ flüsterte er rau. Sie reagierte instinktiv und küsste ihn mit wildem Verlangen, als hätte sie niemals zuvor einen Mann geküsst. Und das hatte sie auch nicht.

Nicht auf diese Weise.

„Und fühlst du, wie sehr auch ich dich will?“ Mit diesen Worten zog er sie enger an sich, damit sie seine Erregung spüren konnte. Sie presste sich unwillkürlich an ihn, und er lachte rau auf.

„Gefällt dir das?“ Er schob eine Hand unter ihr T-Shirt und streichelte ihre bloße Haut mit kleinen, kreisenden Bewegungen.

„Oh, Baby!“ murmelte er in ihr Haar, und Kimberley spürte, wie sein ganzer Körper bebte. Auch er war nah daran, die Kontrolle über sich zu verlieren. Aber plötzlich löste sie sich von ihm. Als sie ihn dann ansah, war sein Gesicht verzerrt vor Verlangen. Er wirkte fast wie ein Fremder.

Aber war er das nicht auch?

„Gut, dass du mich gebremst hast“, sagte er mit seltsam unbeteiligter Stimme. „Noch einen Augenblick, und ich wäre nicht mehr für meine Handlungen verantwortlich gewesen. Am liebsten hätte ich dir die Kleider vom Leib gerissen und …“

Er hielt inne und schüttelte ungläubig den Kopf. „Was rede ich da? Wie konnte ich das tun? Meine Mutter hätte jederzeit hereinkommen können …“

Kimberley hatte genug gehört. Seine Selbstvorwürfe verstärkten ihr Gefühl der Verzweiflung nur noch. Mit Tränen in den Augen schaute sie ihn an. „Lass mich gehen …!“

„Kimberley, was da zwischen uns ist …“

Sie schüttelte energisch den Kopf. „Das ist Sex!“ erklärte sie. „Nichts anderes. Eine unglückliche chemische Reaktion zwischen zwei Menschen, die einander nicht leiden können. Und ich finde es grauenvoll.“

„Du wirst es kaum grauenvoller finden als ich“, sagte er voller Bitterkeit.

„Lässt du mich jetzt bitte los?“ Immer noch hielt er sie fest. In ihr kämpfte der Wunsch nach Flucht mit dem Verlangen, sich ihrer tiefen Leidenschaft hinzugeben.

„Nur wenn du versprichst, Duncan in Ruhe zu lassen.“

Sie kämpfte mit den Tränen. Wie konnte er sie so leidenschaftlich küssen und gleichzeitig glauben, dass sie nichts anderes vorhatte, als Duncan wieder für sich zu gewinnen? „Um Himmels willen! Das ist doch längst vorbei.“

„Du meinst, dir liegt nichts mehr an ihm?“

„Genau.“

„Vielleicht lag dir ja auch nie etwas an ihm“, sagte er herausfordernd.

Ihre einzige Chance war es, ihn so abzustoßen, dass er sie nie wieder berühren würde. Nur dann wäre sie sicher vor der unheimlichen Macht, die dieser Mann über sie zu haben schien. „Aber sicher“, sagte sie leichthin. „Nur lag mir an dem Geld doch noch etwas mehr. Im Grunde hast du mir einen großen Gefallen getan.“

Sein Mund verzog sich, und er schob sie von sich. „Du bist wirklich ein mieses Flittchen. Sollte ich jemals Zweifel gehabt haben, ob meine Entscheidung richtig war, sind die jetzt endgültig beseitigt.“

Obwohl sie genau diese Reaktion bezweckt hatte, fiel es ihr dennoch schwer, die Verachtung in seinen Augen zu ertragen. Sie nahm ihre Handtasche vom Tisch und wandte sich um. „Ich denke, damit ist dieses Thema wohl erledigt. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass es nett war, dich wiederzusehen. Ich bin sicher, du wirst dir eine gute Erklärung für deine Mutter ausdenken, warum ich nicht zu Ende geputzt habe.“

Als sie den Raum verließ, verfolgte sie seine Stimme, die nun ganz weich klang. „Das Einzige, woran ich im Moment denke, ist, wie sehr ich dich will. Genauso sehr wie du mich willst. Was auch immer du denkst – diese Sache ist noch nicht vorbei.“

„Träum weiter, Harrison!“ erwiderte sie kühl und ging.

3. KAPITEL

Aufgewühlt verließ Kimberley Brockbank House. Sie war wütend auf sich selbst und über die Art, wie sie mit Harrison umgegangen war. Ganz zu schweigen von der Art, wie er mit ihr umgegangen war. In jeglicher Hinsicht.

Sie ließ sich Zeit für den Heimweg, und als sie schließlich das Cottage ihrer Mutter erreichte, hatte sie sich schon wieder etwas beruhigt. Schließlich war lediglich ihr Stolz verletzt worden, und der einzige Mensch, der davon wusste, würde ihr hoffentlich nie wieder begegnen.

Es war ihr zwei Jahre lang gelungen, ihm aus dem Weg zu gehen. Seine Besuche in Woolton waren selten, das wusste sie. Wahrscheinlich war er jetzt nur hergekommen, um Duncans neue Verlobte zu treffen. Dann würde er nach Frankreich oder Deutschland oder wohin auch immer zurückkehren, um weiter den erfolgreichen Geschäftsmann zu spielen.

Es wäre in Zukunft kein größeres Problem, ihm nicht zu begegnen. Zur Not konnte sie sich schließlich bei ihrer Mutter informieren, ob ein Besuch von Harrison Nash zu erwarten sei. Im Moment wünschte sie sich jedoch vor allem, dass ihre Mutter möglichst bald wieder gesund wurde, damit sie selbst nach London zurückkehren konnte. Und dass Harrison etwas Schlimmes zustieß. Vielleicht könnte er sein gesamtes Vermögen auf einen Schlag verlieren?

Kimberley teilte ihrer Mutter umstandslos mit, dass sie nicht vorhabe, im Haus der Nashs zu putzen, solange Harrison dort sei. „Soll er das doch machen“, erklärte sie energisch.

Mrs. Ryan, die zu einer Generation gehörte, die noch mit anderen Wertvorstellungen groß geworden war, sagte: „Aber Schatz, er hat schließlich einen wichtigen Beruf.“

„Das habe ich auch“, war Kimberleys Antwort. „Das habe ich auch.“

Die folgenden Tage verliefen ereignislos. Sie unternahm längere Autofahrten mit ihrer Mutter, kochte für sie beide und plauderte abends mit ihr bei einem Glas Wein.

Sie sah Harrison nur ein einziges Mal, als sie einkaufen war und er aus eben jenem schwarzen Auto stieg, das sie auf der Autobahn so rücksichtslos überholt hatte. Dieses Verhalten passt ebenso gut zu ihm wie der protzige Wagen, dachte sie gehässig.

Harrison trug schwarze Jeans, einen schwarzen Rollkragen und eine schwarze Lederjacke. Sein unrasiertes Gesicht und das dichte dunkle Haar verliehen ihm ein verwegenes Aussehen. Sein bloßer Anblick war wie ein Schlag in die Magengrube. Und dann lächelte er.

An diesem Tag war sein Lächeln frei von jeder Bosheit und auch frei von Verlangen. Es war ein Lächeln, dem man nur schwer widerstehen konnte, und Kimberley musste sich bemühen, ihren kühlen, gelassenen Gesichtsausdruck beizubehalten. Sie war nicht in der Lage, den Blick von diesem Mann abzuwenden.

Ein leichter Windstoß fuhr durch ihre langen seidigen Haare, hob ihren karierten Minirock, so dass ihre langen Beine in den dicken, wollenen Tights enthüllt wurden. Harrison hob fast unmerklich eine Augenbraue, und Kimberley drehte sich abrupt um und stürmte in das Lebensmittelgeschäft.

Im Laden verstummte das Gespräch. Der Ort war so klein, dass jedes Ereignis begierig aufgenommen wurde, und Kimberleys unerklärliche Auflösung ihrer Verlobung mit dem reichen Erben hatte die Klatschmäuler monatelang in Atem gehalten.

Sie antwortete freundlich, aber zurückhaltend auf die eifrigen Nachfragen der Ladenbesitzerin Mrs. Spencer und kaufte Brot, Eier und frisches Obst für ihre Mutter. Als das Bimmeln der Glocke über der Tür hinter ihr einen weiteren Kunden ankündigte, verriet ihr schon ein kurzer Blick in das erstaunte Gesicht von Mrs. Spencer, wer gerade hereingekommen war.

„Kann ich Ihnen helfen, Mr. Nash?“ erkundigte sich die Ladenbesitzerin eilfertig.

„Nein, danke!“ ertönte seine tiefe Stimme. „Ich bin nur gekommen, um Miss Ryan beim Tragen zu helfen.“ Seine grauen Augen gaben wie üblich nichts preis. „Ich fahre dich nach Hause, Kimberley.“

Glaubte er etwa, sie auf diese Weise überrumpeln zu können? Wenn er dachte, dass sie demütig auf sein Angebot eingehen würde, nur um eine öffentliche Auseinandersetzung zu vermeiden, hatte er sich verrechnet.

„Ich bin mit meinem eigenen Wagen da, vielen Dank“, entgegnete sie kühl. „Außerdem bin ich nicht auf männliche Hilfe angewiesen.“

Sein Mund zuckte. „Nein, ich bin mir sicher, du verstehst es ausgezeichnet, Männern das Gefühl zu geben, sie seien überflüssig. Und ich weiß, dass du ein eigenes Auto hast, aber das steht vor der Haustür deiner Mutter. So ein lächerlicher roter Flitzer, nicht wahr?“

Kimberleys geliebten MG einen lächerlichen roten Flitzer zu nennen, war in ihren Augen eine unverzeihliche Dreistigkeit. Empört schnappte sie nach Luft.

„Immer noch besser als dieses alberne schwarze Monstrum, in dem du durch die Gegend fährst!“ entgegnete sie. „Aber Frauen haben es auch nicht nötig, mit ihren Autos das auszugleichen, was ihnen in anderer Hinsicht fehlt.“

Sie hatte sich zu dieser Äußerung hinreißen lassen und bereute sie im gleichen Moment auch schon. Mrs. Spencer murmelte entrüstet etwas vor sich hin, aber Kimberley bezweifelte, dass die ältere Dame die genauen Implikationen ihrer Worte verstanden hatte. Viel schwerer wog das ironische Lächeln in Harrisons Gesicht. Sie wusste schließlich ebenso gut wie er, dass er auf derartige Kompensationen nicht angewiesen war.

„Willst du es dir nicht noch einmal überlegen?“ fragte er, und der Tonfall machte deutlich, dass er von mehr sprach als der kleinen Autofahrt.

Prompt errötete sie. „Danke nein! Ich laufe.“

Mrs. Spencer schnappte hörbar nach Luft, als könne sie nicht glauben, dass eine so unbedeutende Person wie Kimberley es wagen konnte, ein Angebot des großen Mr. Nash auszuschlagen.

„Aber es hat angefangen zu regnen.“

Eines musste sie ihm lassen – er gab nicht auf. Sie wusste genau, was er vorhatte: Wenn sie erst in seinem Auto saß, würde er erneut versuchen, sie zu verführen. Wenigstens war sie in Gegenwart von Mrs. Spencer davor sicher. Und er würde es kaum wagen, ihr bis zum Haus ihrer Mutter zu folgen. Sie warf ihm einen weiteren kühlen Blick zu. „Das macht nichts. Ich liebe Regen.“

Sein Blick wanderte über den karierten Rock, der über ihren Knien endete, und die kurze, dazu passende Jacke. „Da bin ich mir ganz sicher. Aber du bist kaum passend gekleidet, um den Elementen zu trotzen.“

„Das kann ich ja wohl selbst am besten beurteilen.“ Mit diesen Worten verließ Kimberley das Geschäft.

Er blieb dicht hinter ihr und legte eine Hand auf ihren Arm, um sie aufzuhalten. Unwillkürlich zuckte sie unter seiner Berührung zusammen und blickte in seine glitzernden grauen Augen. „Ich sagte dir doch, dass das zwischen uns noch nicht vorbei ist.“

„Geh zum Teufel!“ Aufgebracht entwand sie sich seinem Griff und lief weiter, sein Lachen hallte ihr noch in den Ohren.

Zu ihrer Überraschung folgte er ihr nicht. Als sie das Haus ihrer Mutter erreichte, hatte der Regen die Wolle ihres Rocks und ihrer Jacke völlig durchnässt, und auch die Einkäufe waren reichlich mitgenommen. Mrs. Ryan schien dies jedoch kaum zu bemerken, aufgeregt empfing sie Kimberley an der Tür.

„Solltest du mit deinem Fuß nicht besser still auf dem Sofa sitzen?“

„Oh, es geht schon viel besser! Dr. Getty meint, ich sei bald wieder ganz in Ordnung. Gerade ist eine Einladung aus Brockbank gekommen. Margaret Nash gibt morgen Abend eine große Party, um Duncans Verlobung zu feiern. Und wir sind beide eingeladen!“

Kimberley stellte die Einkäufe auf dem Küchentisch ab und betrachtete die geschmackvolle Karte. „Ich werde nicht hingehen“, verkündete sie mit fester Stimme.

Enttäuscht rief ihre Mutter aus: „Aber warum denn nicht, Schatz?“

Kimberley seufzte auf. „Es würde einfach keinen guten Eindruck machen, wenn ich mitkomme. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Duncans Verlobte von meiner Anwesenheit besonders begeistert wäre. Alle würden sich den Mund darüber zerreißen. Und Duncan ist sicher auch nicht daran interessiert, mich zu treffen. Es wundert mich, dass sie mich überhaupt eingeladen haben.“

Den wahren Grund, warum sie Brockbank House unter keinen Umständen nochmals betreten wollte, konnte Kimberley ihrer Mutter natürlich nicht mitteilen. Sie konnte es ja nicht einmal sich selbst eingestehen.

„Aber du musst natürlich hingehen.“ Kimberley griff nach einem Handtuch und begann, ihr Haar zu trocknen. „Wärst du so lieb, Mrs. Nash anzurufen und mich zu entschuldigen? Bitte!“

Mrs. Ryan bedachte ihre Tochter mit einem prüfenden Blick. „Ich habe den Eindruck, dass du nicht ganz aufrichtig bist, aber wenn es dir so wichtig ist, dann werde ich natürlich für dich absagen.“

„Das ist lieb von dir.“ Kimberley blickte auf den bandagierten Fuß ihrer Mutter. „Und wenn es dir so viel besser geht, werde ich wohl auch bald nach London zurückfahren.“

Nun seufzte Mrs. Ryan auf. „Das habe ich fast befürchtet. Wie schade, ich hatte mich schon so daran gewöhnt, dich wieder bei mir zu haben!“

Kimberley hatte geplant, am kommenden Nachmittag abzureisen. Als sie nach dem Mittagessen gerade gepackt hatte, klopfte es an der Haustür. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, kurz zu ihrer Nachbarin hinüberzuhumpeln, wahrscheinlich war sie es. Als Kimberley jedoch die Tür öffnete, stand dort eine junge Frau von Anfang zwanzig, die sie noch nie zuvor gesehen hatte.

Sie hatte blondes schulterlanges Haar und trug ausgezeichnet geschnittene cremefarbene Hosen und eine dazu passende Kaschmirjacke. Ihr Goldschmuck glänzte diskret, und sie strahlte eine Selbstsicherheit aus, die nur wirklich Wohlhabenden eigen ist.

„Kann ich Ihnen helfen?“ fragte Kimberley zögernd.

Die junge Frau runzelte die Stirn. „Sind Sie Kimberley Ryan?“ Die etwas zu kultivierte Stimme hatte einen deutlichen amerikanischen Akzent.

„Ja, die bin ich, aber ich fürchte, ich weiß nicht …“

„Ich bin Caroline Hudson, Duncans Verlobte. Ob ich wohl hereinkommen dürfte?“

Kimberley riss sich zusammen und hielt die Tür auf. „Natürlich. Kommen Sie bitte herein!“

Die Amerikanerin trat über die Schwelle.

„Nehmen Sie doch Platz! Darf ich Ihnen vielleicht einen Tee anbieten?“ fragte Kimberley höflich. Wie sah wohl die gesellschaftliche Etikette für den Umgang mit der Verlobten des Ex-Verlobten aus?

„Danke nein, so lange will ich gar nicht bleiben!“ Caroline ließ sich in einem Sessel nieder und begann, etwas nervös am Verschluss ihres Armbandes herumzuspielen.

Anscheinend ist sie doch nicht ganz so selbstsicher, wie es zunächst den Anschein gehabt hat, dachte Kimberley. Sie fragte sich, was die junge Frau von ihr wollte, und suchte nach einer unverfänglichen Bemerkung.

„Was für einen wunderschönen Ring Sie da tragen!“ sagte sie schließlich.

Caroline lächelte erfreut und hielt ihre linke Hand ins Licht, so dass der große Diamant strahlend funkelte. „Danke! Wir haben ihn bei Tiffany’s gekauft. Duncan wollte, dass ich den Familienring trage, aber ich wollte gerne etwas Neues.“ Sie sah Kimberley nachdenklich an. „Ich wollte nicht den Ring tragen, den Sie schon getragen hatten.“

Kimberley nickte. „Das kann ich gut verstehen.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Möchten Sie mir sagen, warum Sie zu mir gekommen sind?“

Caroline nickte und schaute zu Boden. Dann sah sie Kimberley mit großen grünen Augen besorgt an. „Sie sind doch nicht mehr in Duncan verliebt, oder?“

Kimberley war so überrascht, dass sie beinah laut aufgelacht hätte. Aber da das kaum eine angemessene Reaktion gewesen wäre, schüttelte sie nur den Kopf. „Nein! Ganz bestimmt nicht. Das ist schon lange vorbei, und, um ehrlich zu sein, glaube ich, es war für uns beide so am besten.“

„Das glaube ich auch“, sagte Caroline. „Duncan hat mir von Ihnen erzählt. Ich weiß, dass Sie klüger sind als er und sehr ehrgeizig. Damit hätte er auf lange Sicht nicht gut umgehen können. Er braucht jemanden wie mich. Ich will keine eigene Karriere und habe mehr als genug Geld. Ich weiß, das klingt so herablassend, aber ich kann nichts dafür, dass ich reich bin. Ich möchte nur für Duncan da sein, das ist mein größter Wunsch.“

„Schön für ihn“, bemerkte Kimberley. „Aber ich verstehe nicht …“

„Duncan liebt mich. Das weiß ich. Aber …“ Etwas hilflos hob Caroline die Hände. „Wie soll ich das ausdrücken? Ich glaube, er ist über die Geschichte mit Ihnen nie ganz hinweggekommen. Und alle hier wissen, dass Sie ihm den Laufpass gegeben haben.“ Als sie Kimberleys Gesichtsausdruck sah, fügte sie hinzu: „Es tut mir Leid, ich wollte Sie nicht beleidigen.“

Kimberley winkte ab. „Schon gut, das haben Sie nicht. Reden Sie weiter!“

„Es ist einfach so: Wenn Sie heute Abend nicht zu unserer Party kommen, wird diese Sache immer weiter aufgebauscht. Sie wissen doch, wie die Leute sind. Sie werden sagen, dass er es nicht ertragen könne, Sie wiederzusehen.“ Mit zögerlicher Stimme fuhr sie fort: „Vielleicht werden sie sogar denken, dass er Sie immer noch liebt.“

Kimberley betrachtete nachdenklich die Frau, die ihr gegenübersaß. Jung, reich, schön – und dennoch den Unsicherheiten der Liebe völlig ausgeliefert. Zum Teufel mit der Liebe! dachte sie. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Kommen Sie heute Abend!“ sagte Caroline eindringlich. „Kommen Sie zu der Party! Und zeigen Sie allen, dass es keine Verbitterung zwischen Ihnen gibt!“ Nervös blickte sie zur Zimmerdecke. „Ich muss Duncan in Ihrer Gegenwart sehen. Verstehen Sie das?“

Kimberley nickte. Offensichtlich ging es Caroline um mehr als das bloße Gerede der Leute. „Das verstehe ich.“

„Dann werden Sie kommen?“

Sie dachte an Harrison und daran, wie er sich im Smoking durch die luxuriöse Umgebung von Brockbank House bewegen würde. Dann schob sie diesen Gedanken schnell beiseite. „Ich werde nicht lange bleiben können. Aber ich werde kommen“, versprach sie. Das bin ich Duncan schuldig, fügte sie in Gedanken hinzu.

Die schweren Samtvorhänge waren offen, und das schimmernde Licht der kostbaren Kronleuchter fiel durch die Fenster von Brockbank House auf die breite Auffahrt.

Sie waren mit dem Auto gekommen, obwohl es nur ein kurzer Fußweg war, aber Kimberley hatte nicht vor, heute Abend auch nur einen Tropfen Alkohol zu trinken. Ihre Koffer waren bereits gepackt und im Wagen verstaut, und sie würde von der Party direkt zurück nach London fahren. „Falls ich vor dir gehen möchte“, sagte sie zu ihrer Mutter, „rufst du einfach ein Taxi oder lässt dich von jemand anders mitnehmen.“

Sie hatte Ewigkeiten gebraucht, um sich für ein passendes Kleid zu entscheiden. Auf keinen Fall wollte sie wie eine femme fatale wirken oder eine rachsüchtige Ex-Geliebte, die noch einmal alle Register zieht. Andererseits war dies ein großer gesellschaftlicher Anlass, bei dem sie kaum in Jeans und T-Shirt auftreten konnte.

Schließlich wählte sie ein schwarzes Kleid, das ihr schon bei verschiedenen Anlässen treue Dienste geleistet hatte. Es endete kurz über den Knien, war ansonsten jedoch sehr züchtig geschnitten, mit langen Ärmeln und hohem Kragen. Der weiche Seidenstoff schmiegte sich an ihren Körper und raschelte leise beim Gehen.

Kimberley trug ihr Haar hochgesteckt, einige lange Locken umrahmten ihr Gesicht. Schwarze Schuhe und Perlen in den Ohren und am Handgelenk ergänzten das Outfit. Eine Stunde lang würde sie diese Party ohne Probleme ertragen, und es konnte in dieser Menschenmenge nicht so schwierig sein, Harrison aus dem Weg zu gehen.

Zunächst konnte sie jedoch keinen der Brüder entdecken. An der Tür wurde sie von Margaret Nash begrüßt – und von Caroline.

Die junge Amerikanerin sah wunderschön aus, wirkte aber sehr nervös. Sie trug ein Kleid aus schimmerndem rotem Satin und nahm Kimberley sofort zur Seite. „Duncan holt gerade Champagner“, flüsterte sie. „Ich möchte in der Nähe sein, wenn er Sie begrüßt.“

Plötzlich kam Kimberley ein äußerst unangenehmer Gedanke. „Er weiß doch, dass ich komme, oder etwa nicht?“

Caroline schaute sie unverwandt an, Entschlossenheit in den Augen. „Nein, das weiß er nicht.“

Worauf habe ich mich da nur eingelassen, fuhr es Kimberley durch den Kopf.

„Ich fand, es wäre besser, ihm nichts davon zu sagen“, fuhr Caroline fort. „Das meinte seine Mutter auch.“

„Seine Mutter?“

Caroline nickte. „Das Ganze war eigentlich Margarets Idee. Sie ist ebenso wie ich der Meinung, dass er mit der Vergangenheit ins Reine kommen muss. Er war noch so jung, als er mit Ihnen verlobt war. Und eine Zurückweisung ist in diesem Alter schwerer zu ertragen als später, wenn man etwas mehr Lebenserfahrung gesammelt hat. Er muss Sie wiedersehen, um zu begreifen, dass Sie eine ganz normale Frau sind – und nicht seine große verlorene Liebe!“

Kimberley konnte nicht umhin, Carolines Direktheit zu bewundern. Und ihren Mut. „Aber gehen Sie damit nicht auch ein großes Risiko ein? Was ist, wenn es nicht funktioniert?“

Caroline lächelte. „Ich bin eine Spielernatur. Und ich gehe niemals ein unnötiges Risiko ein. Oh, sehen Sie, da kommt er!“

Kimberley reckte sich etwas und sah, wie Duncan sich einen Weg zu ihnen bahnte. Ein Butler mit einem Tablett voller Champagnergläser folgte ihm.

Noch hatte er sie nicht gesehen, so ergab sich die Gelegenheit, ihn unauffällig zu beobachten. Es war erstaunlich, welche Veränderung in nur zwei Jahren mit ihm vorgegangen war. Aus dem Jungen war ein Mann geworden, und ihr wurde klar, wie jung und unreif er damals noch gewesen war. Er trug einen maßgeschneiderten Anzug, sein Haar war ordentlich gekämmt und sehr kurz geschnitten. Die Art, wie er Caroline betrachtete, sprach Bände.

Erleichtert ging Kimberley einen Schritt auf ihn zu. „Hallo, Duncan!“ sagte sie lächelnd.

Auf seinem Gesicht spiegelten sich nacheinander Wiedererkennen, Überraschung, Verwirrung und dann eine aufrichtige Freude wider, bei der Kimberley beinahe den Anflug eines schlechten Gewissens verspürte. Mit einem breiten Lächeln legte er die Hände auf ihre Schultern, küsste sie auf beide Wangen und sagte aufrichtig: „Du siehst gut aus, Kimberley.“

„Du auch“, erwiderte sie. Es gab so vieles, was sie ihm sagen wollte, aber nicht sagen konnte. Denn war es nicht besser, die Vergangenheit ruhen zu lassen?

Er schien ihre gemischten Gefühle nachempfinden zu können, denn mit einem leichten Lächeln in den Augen, die denen seines Bruders so unähnlich waren, sagte er: „Wäre es sehr unpassend, wenn ich mich bei dir bedankte, weil du mir den größten Gefallen meines Lebens getan hast?“

Kimberley musste schlucken. „Überhaupt nicht. Und ich danke dir für deine Großherzigkeit.“

Er blickte kurz zur Seite. „Hast du Caroline schon kennen gelernt?“ Voller Stolz legte er den Arm um seine bezaubernde Verlobte und küsste sie.

„Oh ja! Sie hat mich sogar eingeladen. Ich hoffe, das macht dir nichts aus.“

Mit dem siegessicheren Lächeln einer Frau, die viel riskiert und alles gewonnen hat, sagte Caroline: „Natürlich macht ihm das nichts aus! Kommt, wir wollen hinüber in den Ballsaal gehen! Duncan, du musst unbedingt mit Kimberley tanzen, ihr habt euch sicherlich eine Menge zu erzählen.“

Wie sich herausstellte, hatten sie einander nicht allzu viel zu erzählen, aber Kimberley war klar, dass der Zweck ihres gemeinsamen Tanzes nicht in der Unterhaltung lag. Unter den zustimmenden Blicken von Caroline galt es, den Anwesenden zu beweisen, dass alles in bester Ordnung war.

Allerdings nicht für lange.

Kimberley spürte, dass ein Augenpaar sie besonders intensiv beobachtete, und es war nicht schwer zu erraten, zu wem es gehörte. Sie hatte seine Anwesenheit bemerkt, sobald er den Saal betreten hatte.

Ein aufgeregtes Flüstern begleitete den Auftritt des begehrtesten Junggesellen des Abends. Hier und dort warfen sich Frauen in Positur, zupften an ihrem Dekolletee oder richteten ihre Frisuren.

Gerade als sie Duncan sagen wollte, dass es für sie Zeit sei zu gehen, ertönte hinter ihr eine tiefe Stimme.

„Kleiner Bruder, ich würde lieber aufpassen, dass deine reizende Verlobte sich nicht allein gelassen fühlt.“

Sofort ließ Duncan seine Tanzpartnerin los und sah sich um. „Du hast Recht. Ich schaue gleich mal nach ihr. Schön, dich wiederzusehen, Kimberley!“ Damit verschwand er.

Sie unternahm den Versuch, sich durch die Menge zu drängen, aber Harrison hielt sie auf. „Lass mich bitte durch!“

„Du gehst nirgendwohin.“

In der tiefen Stimme schwang ein leicht bedrohlicher Unterton mit. „Willst du nicht auch mit mir tanzen? Aber vielleicht kommt ja auch nur Duncan in diesen Genuss. Was machst du überhaupt hier?“

„Wenn du es genau wissen willst, Caroline hat mich gebeten, unbedingt herzukommen. Sie wollte sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass zwischen Duncan und mir alles vorbei ist. Was für jeden außer dir offensichtlich ist.“

„Tatsächlich?“ fragte er spöttisch.

„Ja, tatsächlich“, gab sie ungeduldig zurück. „Würdest du nun bitte jemand anderen mit deinen albernen Verdächtigungen nerven? Und lass mich sofort los!“

Doch trotz ihrer Proteste zog er sie an sich. Er legte die Arme um ihre Taille, ebenso wie Duncan wenige Minuten zuvor, doch der Unterschied raubte ihr fast den Atem. Sie fühlte den Druck jedes einzelnen Fingers, und der weiche Seidenstoff schien sich unter seinen Händen in Luft aufzulösen.

Sie atmete heftiger, als sie die Bewegung seiner langen muskulösen Beine aufreizend an ihrem Schenkel spürte.

„Harrison …“ Ihre Stimme klang bittend.

Er lachte leise auf. „Ja, ich weiß. Sollen die anderen Gäste ruhig sehen, welcher der Brüder Nash dir den Kopf verdreht.“

Wenn ihr Verstand durch seine bloße Nähe nicht schon so umnebelt gewesen wäre, hätte der kalte Ton, in dem er diese Worte aussprach, sie warnen müssen. So aber konnte sie sich nur wehrlos in seine Arme schmiegen.

Sie hatte dem Zauber dieses Tanzes nichts entgegenzusetzen und folgte Harrison im Rhythmus der Musik. Auch wenn sie sich an die Anstandsregeln hielten, war dieser Tanz alles andere als unschuldig. Die langsamen Bewegungen entfalteten ihre eigene, beinah erschreckende Erotik. Er war ein geübter Tänzer, und unter der aufreizenden Sinnlichkeit seiner Berührung konnte Kimberley auch eine gewisse Zärtlichkeit spüren.

Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, dachte sie. Schließlich befanden sie sich in der Mitte des Ballsaals und zogen die Blicke der meisten Gäste auf sich. In dieser Situation konnte er sie wohl kaum mit der beinah brutalen Leidenschaft behandeln, die sie schon bei ihm erlebt hatte.

Sie ermahnte sich selbst, den Tanz abzubrechen und sofort zu gehen, aber es gelang ihr kaum, sich aus Harrisons Nähe zu befreien. Und als sie endlich aufblickte, sah Kimberley direkt in seine unergründlichen grauen Augen.

„Lässt du mich jetzt gehen?“ flüsterte sie.

„Nein.“

„Ich werde mich wehren.“

„Nur zu!“

„Ich schreie.“

„Dann werde ich dich küssen.“

„Oh, Harrison, warum tust du das?“

„Was meinst du wohl?“ fragte er mit leiser Stimme.

Kimberley wich seinem eindringlichen Blick aus. Wie würde ich mich verhalten, wenn er ein schwieriger Bankkunde wäre, fragte sie sich. Sie beschloss, es mit Vernunft zu versuchen.

Als sie wieder zu ihm aufblickte, konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht deuten – machte er sich über sie lustig, wollte er sie herausfordern? Mit betont ruhiger Stimme sagte sie: „Du bist ein äußerst attraktiver Mann und …“

„Schön, dass dir das aufgefallen ist.“

Natürlich hatte er sie absichtlich missverstanden. „Ich meine damit, dass es allein in diesem Raum genügend Frauen gibt, die für einen Tanz mit dir ihren rechten Arm hergeben würden. Du hast es doch nicht nötig, zu diesen Steinzeitmethoden Zuflucht zu nehmen.“

„Bei dir anscheinend schon.“ Seine Augen glitzerten. „Außerdem will ich mit keiner anderen Frau tanzen. Nur mit dir.“

Nur mit Mühe rief sich Kimberley ins Gedächtnis, dass seine Worte nicht die geringste Bedeutung hatten. Er unternahm lediglich einen weiteren Versuch, sie zu verführen. Und ganz offensichtlich konnten Argumente bei einem so entschlossenen Mann wie Harrison nicht viel ausrichten.

„Aber ich möchte nicht mit dir tanzen“, sagte sie und wunderte sich, wie leicht ihr diese Lüge über die Lippen kam. „Also könnten wir jetzt bitte mit diesem Unsinn aufhören?“

Aufgebracht schüttelte sie den Kopf, wobei sich eine Locke ihres Haares löste und ihr ins Gesicht fiel. Harrison hob die Hand und schob die Strähne zur Seite. Dabei blickte er sie unverwandt an. Er straffte die Schultern, und erneut trat ein harter Ausdruck in seine Augen.

„Du hast vollkommen Recht“, sagte er mit rauer Stimme. „Dieser Unsinn, wie du es reizenderweise genannt hast, läuft schon viel zu lange.“ Mit diesen Worten ergriff er ihre Hand und zog Kimberley von der Tanzfläche, vorbei an den neugierigen Blicken der anderen Gäste, in die Eingangshalle.

Kimberley blickte sich beunruhigt um, als erwartete sie, dass jemand versuchen würde, ihn aufzuhalten. Aber abgesehen von einigen amüsierten Blicken schienen alle es normal zu finden, dass Harrison sie mit festem Griff durch mehrere Räume zog, bis sie schließlich allein in der Bibliothek waren.

Natürlich hätte sie selbst ihn aufhalten können. Erst hinterher stellte sie sich die Frage, warum sie es nicht getan hatte. Aber sie sagte auch dann nichts, als sie die Schwelle ins Reich der Fantasie überschritten. Denn in der Bibliothek zog Harrison einen blutroten Samtvorhang zur Seite, hinter dem sich ein Holzpaneel verbarg. Durch einen Druck auf das Paneel schwang es lautlos zur Seite, und eine Wendeltreppe kam zum Vorschein. Bevor die Öffnung sich wieder schloss, schob Harrison sie hindurch.

Es war unglaublich, einfach verrückt – wie eine Episode aus einem Abenteuerroman. Aber immer noch leistete Kimberley keinen Widerstand und folgte ihm die Stufen hinauf, die schließlich in einem Raum endeten, der offenbar im obersten Stockwerk des Hauses lag.

Sie war nicht überrascht, als sie sah, dass es sich um ein Schlafzimmer handelte.

4. KAPITEL

Kimberley befreite ihre Hand aus seinem Griff, und dieses Mal ließ Harrison sie gewähren.

Sie betrachtete seine hoch gewachsene, dunkle Gestalt in dem schwarzen Smoking. Sein Haar war leicht zerzaust – war sie ihm während des Tanzes womöglich unbewusst mit der Hand durch die Haare gefahren? Seine Augen schimmerten hell, während er abwartete, was sie als Nächstes tun würde.

Eigentlich hatte sie erwartet, dass er sie sofort an sich reißen würde. Sie wusste genau, dass sie auch dann nicht protestiert hätte. Und es konnten wohl kaum Zweifel über seine Absichten bestehen. Schließlich hatte er sie nicht in dieses Zimmer gebracht, in dem sich außer dem riesigen Bett praktisch keine Möbel befanden, um über das Wetter zu plaudern!

„Warum lächelst du?“ fragte er. „Findest du die Situation so amüsant?“

„Die Situation nicht, aber dich“, entgegnete sie. „Ich hätte, ehrlich gesagt, etwas mehr Raffinesse von dir erwartet. Funktioniert diese Masche denn sonst?“

„Von welcher Masche redest du?“

„Frauen einfach in das nächstgelegene Schlafzimmer zu zerren …“

„Das hier ist wohl kaum das nächstgelegene Schlafzimmer“, stellte er zu ihrer Verärgerung fest, eine Augenbraue spöttisch angehoben. „Aber dafür sind wir hier garantiert ungestört.“

Bei seiner tiefen Stimme lief ihr ein heißer Schauer über den Rücken. „Du bist dir deiner Sache aber sehr sicher.“ Zu ihrer eigenen Überraschung klang ihre Stimme so kühl und gelassen, als wäre diese Situation vollkommen normal.

„Bin ich das? Gefällt dir das Zimmer?“

Das dunkle Holz, die roten Vorhänge und der Bettüberwurf mit den eingewebten Goldfäden machte einen fast mittelalterlichen Eindruck. Harrison passte perfekt in diese Umgebung. Er hatte die Fliege abgenommen und legte jetzt seinen Smoking über einen Stuhl. Seine provozierende Aura von Männlichkeit und Arroganz schien aus einem anderen Jahrhundert zu stammen. Ihr Mund war trocken, als sie ihn ansah. Er wollte sie … und sie …

„Wäre es dir lieber, wenn ich mich an die Verführungstipps aus den Frauenzeitschriften hielte?“ erkundigte er sich. „Romantisches Dinner bei Kerzenschein und danach vielleicht noch eine Tasse Tee? Sanfte Musik und ein bisschen Kuscheln auf dem Sofa?“ Er lächelte. Ein kaltes Lächeln. „Schrecklich langweilig, findest du nicht?“

„Du bist so zynisch.“

„Aber immerhin kein Heuchler“, gab er zurück.

Im Grunde war es unglaublich, dass sie das Gespräch nicht sofort beendete, sondern diese verbale Auseinandersetzung auch noch genoss. „Machst du so etwas oft?“

Er wirkte überrascht. „Nein.“

„Warum dann mit mir?“

Nur im verborgensten Winkel ihres Herzens gestand sie sich ein, welche Antwort sie sich von ihm erhoffte – dass er sie liebe. Aber das sagte er natürlich nicht. Schließlich war er kein Heuchler.

„Das weißt du doch“, sagte er leise. „Du bist wie ein Feuer in meinen Adern, das ich nicht löschen kann. So können wir nicht weitermachen. Ich kann so nicht weitermachen. Wir müssen diese eine Nacht miteinander verbringen.“

Eine Nacht. Das also war es, was er ihr anbot. Nein, er war wirklich kein Heuchler. Kopfschüttelnd wandte sie sich um, aber in diesem Moment legte er leicht die Hände auf ihre Schultern und drehte sie zu sich um. Sie genoss seine Berührung und das Gefühl seiner Nähe.

Er starrte sie an, die Intensität seines Blickes erweckte die harten Gesichtszüge zum Leben. „Sag mir nicht, dass du in den letzten zwei Jahren nicht an mich gedacht hast, Kimberley!“ flüsterte er heiser. „Sag mir nicht, dass du dich nicht schlaflos im Bett gewälzt und dich an unseren ersten Kuss erinnert hast! Sag mir nicht, dass du dir nicht vorgestellt hast, wie es wäre, wenn ich dich wieder küsste! Ich will dich. Ich will dich so sehr, wie ich noch keine Frau gewollt habe.“

Widerstreitende Gefühle kämpften in ihr. Seine unverblümten Worte schreckten sie ab und zogen sie gleichzeitig magisch an. Er war ihr zuwider, aber gleichzeitig begehrte sie ihn mit jeder Faser ihres Körpers. „Aber ich mag dich nicht einmal …“, brachte sie heraus.

Seine Augen verengten sich. „Das weiß ich, du hast an deiner Abneigung keinerlei Zweifel gelassen. Aber das zwischen uns hat mit Sympathie oder Antipathie nichts zu tun. Nicht das Geringste …“ Ein Zittern durchlief seinen Körper, als er sie küsste.

Es war das Ende – oder der Anfang, je nachdem wie man es betrachtete. Sie konnte nicht behaupten, dass er sie zu diesem Kuss gezwungen hätte. Ohne zu zögern, hatte sie ihm das Gesicht zugewandt. Sie stand ganz unter dem Bann seines unverhüllten und drängenden Verlangens.

Sein Kuss war hart und voller Leidenschaft. Harrison unternahm keinen Versuch, seine Erregung zu verbergen. Und Kimberley reagierte nicht weniger leidenschaftlich, sie öffnete begierig die Lippen, als hätte sie seit Jahren auf diesen Augenblick gewartet. Für einen kurzen Augenblick blitzte der Gedanke in ihr auf, dass es noch nicht zu spät sei. Sie konnte sich jetzt aus seinen Armen lösen und das Zimmer verlassen. Er würde sie nicht aufhalten, dessen war sie sich sicher. Aber sie wusste auch, dass sie dazu nicht in der Lage war. Denn Harrison hatte Recht gehabt. Sie hatte in den vergangenen zwei Jahren an ihn gedacht, hatte sich schlaflos im Bett gewälzt und immer wieder diesen einen Kuss durchlebt. Sie wollte ihn.

Aber was war es, das er ihr anbot? Sehr, sehr wenig. Eine Nacht, nicht mehr. Um das Feuer, das in ihm loderte, zu löschen. Um den Fluch des Begehrens aufzuheben. Vielleicht wäre auch sie dann erlöst. Sie könnte ein normales Leben führen und aus der selbst auferlegten Einsamkeit ausbrechen, in die die Erinnerung an Harrisons sinnliche Berührungen sie getrieben hatte.

Unvermittelt ließ er sie los – und lächelte! Ein weiches, zärtliches Lächeln, das ihre Sinne noch mehr verwirrte als die Nähe seines Körpers. Unwillkürlich lächelte sie zurück, erfüllt von dem Gedanken an die bevorstehende Nacht.

„Du bist so schön, Kimberley“, flüsterte er. „So unglaublich schön. Dein Haar ist schwarz wie die Nacht, und dein Gesicht schimmert wie das Mondlicht.“

Das durfte nicht geschehen. Sie konnte nicht zulassen, dass er diese Dinge zu ihr sagte, obwohl sie sie doch so gerne hören wollte. Aber es bestand die Gefahr, dass sie viel zu viel in seine Worte hineinlegte. Kimberley schlang die Arme um seinen Nacken und schmiegte sich eng an ihn. Sie erinnerte ihn mit heiserer Stimme an das, was er selbst gesagt hatte. „Klingt das nicht sehr nach den Verführungstipps aus den Frauenzeitschriften, die du so schrecklich langweilig findest?“

Für einen kurzen Moment spürte sie, wie sein Körper sich anspannte und starr wurde. Dann schob er sie ein Stück von sich und blickte sie an. Der Ausdruck seines Gesichts war unergründlich, die grauen Augen hatten ihren Glanz kurzzeitig verloren.

„Langweilig?“ rief Harrison ungläubig. Er schob seine Hand auf die Rückseite ihres Kleides und öffnete mit einer schnellen und geschickten Bewegung den Reißverschluss. „Mein Schatz, das Letzte, was du heute Nacht zu erwarten hast, ist Langeweile.“

Mit einem leisen Rascheln glitt das Kleid an ihrem Körper hinunter. Kimberley spürte, wie ihr Herz schneller schlug, nicht nur wegen des verlangenden Ausdrucks, der in seinen Augen lag, als sie nur mit ihrer Unterwäsche bekleidet vor ihm stand. Auch seine Worte und das darin enthaltene Versprechen versetzten sie in Erregung.

Er musterte ihren Körper mit begierigen Blicken, und ein leises Stöhnen kam aus ihrer Kehle. Seltsamerweise verspürte sie keinerlei Verlegenheit. Sie genoss es. Sie genoss den hungrigen, fast hilflosen Ausdruck in seinen Augen. In einer plötzlich aufblitzenden Erkenntnis wurde ihr klar, dass er ihr ebenso ausgeliefert war wie sie ihm. Ohne sich ihrer nackten Haut zu schämen, stand Kimberley in ihrer Unterwäsche aus roter Seide vor ihm, bis er sie endlich in seine Arme nahm.

Seine Erregung war unverkennbar, und er küsste sie mit einem tiefen Seufzer, während er mit einer Hand ihr Haar löste, so dass es ihr in weichen, schwarzen Wellen über die weißen Schultern fiel. Mit langsamen, aber festen Bewegungen streichelte er ihren Rücken. Er vollführte mit seiner Hand sanfte Kreise auf ihrem Körper, bis er schließlich ihre Brust erreichte.

Jetzt war es an ihr, leicht aufzustöhnen. Ihr Körper erschauerte unter der sinnlichen Berührung seiner Finger, als er begann, ihre Brustspitzen zu liebkosen. Nur ihr spitzenbesetzter BH bildete ein lästiges Hindernis, das er jedoch mit einer schnellen Bewegung entfernte. Nun gab es keinen Zurück mehr.

Harrison löste sich kurz von Kimberley und betrachtete die perfekten weißen Rundungen, die sich unter seinen lustvollen Blicken fast schmerzhaft anspannten. Er senkte den Kopf und begann, an einer aufgerichteten Knospe langsam zu saugen. Ein glühender Pfeil der Erregung schoss durch ihren Unterleib.

„Harrison!“ flüsterte sie hilflos. Hör auf, wollte sie ihn anflehen, aber die Worte kamen ihr nicht über die Lippen. Sie sehnte sich zutiefst danach, von diesem Mann geliebt zu werden.

Sie hatte ja nicht gewusst … Niemand hatte ihr gesagt, dass es so schön sein könne, so intensiv … so außergewöhnlich.

Während er sich langsam, Kleidungsstück für Kleidungsstück, selbst auszog, küsste Harrison sie immer weiter. Er knöpfte sein Hemd auf, und sie schob es von seinen Schultern, genoss das Gefühl seiner nackten Haut unter ihren zitternden Fingerspitzen. Als sie mit den Handflächen über seine Brust fuhr, stöhnte er leise auf und küsste sie noch leidenschaftlicher.

Autor

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