Julia Sommer Spezial Band 6

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3 Romane von Katherine Garbera

ZURÜCK IN UNSER PARADIES AUF MYKONOS
Ich liebe ihn immer noch! Avas Herz klopft wie verrückt, als sie Christos wiedersieht. Jahre zuvor hatten beide eine heiße Affäre, bis der stolze Grieche Ava in den Armen seines Bruders erwischte. Soll sie Christos beichten, was sie ihm damals verschwiegen hat?

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WENN DIE SEHNSUCHT IM HERZEN BRENNT
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  • Erscheinungstag 15.05.2020
  • Bandnummer 6
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715274
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Katherine Garbera

JULIA SOMMER SPEZIAL BAND 6

1. KAPITEL

„Im Büro der Schulleiterin wartet ein Mann auf dich“, sagte Laurette Jones, als sie in Ava Monroes Klassenzimmer kam. „Ich kümmere mich um deine Klasse, bis du zurückkommst.“

„Ist mit Theo alles okay?“, fragte Ava besorgt. Ihr Sohn besuchte den Kindergarten des exklusiven Internats in Florida, in der sie die Unterstufe unterrichtete. Es kam äußerst selten vor, dass sie mitten am Tag aus dem Unterricht gerufen wurde. Die relative Ruhe, die an diesem warmen Februar-Nachmittag herrschte, kam ihr auf einmal unheilvoll vor.

„Ich weiß es nicht. Karin hat mich nur gebeten, herzukommen und dich zu holen.“ Laurette arbeitete im Büro der Schulleiterin Karin Andrews.

„Danke, Laurette“, erwiderte Ava und eilte den Gang entlang. Ihr Sohn Theo litt unter Asthma, und bisher hatten sie noch kein Medikament gefunden, mit dem sie die Krankheit wirklich unterdrücken konnten. Allein bei dem Gedanken, dass er einen Anfall haben könnte, wurden Ava die Hände feucht.

Auf dem Weg schaute sie kurz im Büro der Krankenschwester vorbei, aber Theo war nicht dort. Erleichtert ging Ava weiter und hoffte, dass Theo keine Schwierigkeiten in seiner Gruppe gemacht hatte. Er war zwar nicht gerade ein Störenfried, aber ein ausgesprochen lebendiges Kind.

Mit einem Mal hörte sie eine tiefe Stimme, die ihr wohlbekannt war. Abrupt blieb Ava stehen. Diese Stimme hatte sie niemals vergessen können, und noch immer tauchte sie in ihren Träumen auf. Christos Theakis.

Aufgewühlt klopfte sie an die Tür zu Karin Andrews’ Büro.

„Kommen Sie herein, Ava, wir haben auf Sie gewartet.“

Sie trat ein. Und da stand er, lässig gegen Karins Schreibtisch gelehnt. Während Ava in den Raum ging, richtete Christos sich zu voller Größe auf. Er war gut einen Meter achtzig groß und wie immer lässig, aber weltmännisch gekleidet.

Unauffällig wischte Ava sich die Handflächen an ihrem Rock ab und sammelte sich. Nur die Ruhe bewahren, dachte sie. Schließlich war sie nicht mehr dieselbe wie damals. Auch wenn sie sich in diesem Moment wieder fühlte, als wäre sie noch das Kleinstadtmädchen, das er damals verführt hatte.

„Hallo, Christos. Mein herzliches Beileid zu deinem schweren Verlust.“

Er neigte schweigend den Kopf, und Ava konnte für einen Augenblick den Schmerz und die Trauer in seinen Augen lesen. Schon im nächsten Moment hatte er seine Gefühle wieder im Griff.

Seit einem Monat wurde in den Nachrichten über den Unfall berichtet. Ava hatte viel an Christos und den gesamten Theakis-Clan gedacht. Christos’ älterer Bruder Stavros, seine Schwägerin Nikki und seine beiden Nichten waren ums Leben gekommen, als ihr Privatjet kurz nach dem Start vom Athener Flughafen abgestürzt war.

Ava war in Tränen ausgebrochen, als der Reporter die Namen nannte, denn sie hatte einmal als Kindermädchen für die Familie gearbeitet. Auch wenn sie damals im Streit gegangen war, hatte sie die beiden kleinen Mädchen sehr gemocht.

Ihr Sohn war angesichts ihrer Tränenflut ganz verwirrt gewesen und hatte sie getröstet, wie es nur Vierjährige konnten: mit seinem Lieblingskuscheltier, einem Affen, und einer festen Umarmung.

Aber der Schmerz über den Verlust der beiden Mädchen, um die Ava sich gekümmert und mit denen sie gespielt hatte, war längst nicht versiegt.

„Wir müssen reden.“

Mit den Worten riss Christos sie wieder zurück in die Gegenwart. Ava hatte seine Entschiedenheit einmal sehr anziehend gefunden. Ach, wem wollte sie denn etwas vormachen – sie fand es immer noch hinreißend. Ein Mann, der wusste, was er wollte, und das auch unumwunden aussprach, das war eine erfrischende Abwechslung zu den Männern ihrer Bekanntschaft, die schon überfordert waren, wenn sie sich für ein Restaurant entscheiden sollten.

„Ja“, erwiderte sie.

Christos zog eine Augenbraue hoch und wandte sich ab. „Dürfen wir Ihr Büro benutzen, Miss Andrews?“

Karin errötete, was Ava von der sonst so professionellen Schulleiterin gar nicht kannte. Während sie von ihrem Stuhl aufstand und zur Tür ging, schenkte sie Christos ein Lächeln. „Natürlich, und bitte nennen Sie mich doch Karin.“

Die getäfelte Holztür fiel hinter der Schulleiterin ins Schloss. Christos sagte nichts, und je länger sie schwiegen, desto unangenehmer wurde die Situation. Ava suchte krampfhaft nach Worten, doch alles, was ihr durch den Kopf ging, kam ihr unendlich banal vor.

Schließlich hob sie den Blick und sah Christos an. „Also … warum bist du hier?“

„Um den Theakis-Erben nach Hause zu holen.“

Ava sah genauso aus, wie Christos sie in Erinnerung hatte: rotblondes Haar, feine Gesichtszüge und diese großen blauen Augen, die mehr Rätsel bargen als die Tiefen des Ozeans. Ihm war sie immer einzigartig vorgekommen. Im Gegensatz zu den Menschen, die wegen seines Geldes, seiner Kontakte oder seiner Herkunft seine Nähe suchten, hatte sie vielmehr trotz all dieser Dinge bei ihm sein wollen. Zumindest hatte er das damals gedacht. Sie war ihm so frisch und unschuldig vorgekommen, und aus diesem Grund hatte er sich so stark zu ihr hingezogen gefühlt.

Damals hätte er sein Vermögen darauf verwettet, dass Ava nicht fähig war zu lügen. Jetzt wusste er, er hätte diese Wette verloren. Er schwieg und beobachtete sie, wohl wissend, wie unangenehm es ihr war. Noch immer begehrte er sie – und das, obwohl sie das Kind seines Bruders zur Welt gebracht hatte …

Ava verdient diese drückende Atmosphäre, dachte er. Sie hatte mit ihm und mit seinem Bruder geschlafen und ein Kind zur Welt gebracht. Den Sohn seines Bruders, und genau den brauchte Christos jetzt. Himmel, was für ein Durcheinander.

Christos galt als der Playboy der Familie. Bisher war er mehr an seinem Vergnügen als an etwas anderem interessiert gewesen. Aber während der wenigen Monate, die er mit Ava in Griechenland verbracht hatte … Vergiss es, ermahnte er sich. Er wollte nicht mehr daran denken.

Er hatte sie aus seinem Leben verbannt, doch nach Stavros’ Tod hatte sich die Lage vollständig geändert. Christos vermisste seinen älteren Bruder und seine Nichten. Ihr Verlust war mehr als schmerzhaft. Seine Schwägerin vermisste er nicht genauso schmerzlich, aber Nikki hatte auch nie zu den Frauen gehört, die mit ihm befreundet sein wollten. Für sie war er immer nur der unbedeutende zweite Sohn gewesen. Nicht der Erbe.

Sein Temperament war berüchtigt, genau wie Stavros’, und der Streit, den sie wegen Ava ausgefochten hatten … Es war ziemlich heftig gewesen. Was Christos jedoch am meisten wehtat, war die Tatsache, dass er immer gedacht hatte, er hätte Jahre Zeit, um alles ins Reine zu bringen. Doch jetzt würde er nie mehr mit seinem Bruder sprechen können.

Er wusste, was sein Vater von ihm erwartete: Christos sollte die Firmenleitung übernehmen, heiraten und Kinder in die Welt setzen, um den Fortbestand der Familie Theakis zu sichern. Sein Vater hatte ihn zu Ava geschickt, damit er den Jungen anerkannte, für den Stavros ihr Geld gegeben hatte, damit sie Stillschweigen bewahrte.

Christos wusste, was Stavros ihm jetzt geraten hätte: dass er Ava heiraten und den Jungen als seinen Sohn anerkennen sollte. Er sollte die beiden mit nach Griechenland nehmen, wo der Junge so erzogen werden konnte, dass er seiner Aufgabe als Erbe gewachsen sein würde. Eben diesen Rat – oder eher Befehl – hatte ihm sein Vater erteilt, aber Stavros und Ari waren ja auch aus dem gleichen Holz geschnitzt.

„Ich bin überrascht, dass du hergekommen bist. Ich hätte nicht damit gerechnet, dich je wiederzusehen“, meinte Ava irgendwann.

Er konnte jetzt nicht über die traurigen Umstände sprechen, die ihn hierhergeführt hatten. Jetzt nicht. Und nicht mit ihr. Tristan, einer seiner besten Freunde, hatte ihm versichert, dass die Zeit die Wunden heilte, aber das konnte Christos sich im Moment nicht vorstellen. „Was weiß der Junge über seinen Vater?“

„Der Junge? Er heißt Theo. Und ich … ich habe ihm gesagt, dass du ein wichtiger griechischer Geschäftsmann bist und dass deine Unternehmungen deine gesamte Zeit in Anspruch nehmen.“

Dass ich ein wichtiger griechischer Geschäftsmann bin. Himmel, Christos konnte nicht fassen, dass Ava noch immer an der Lüge festhielt, er wäre der Vater. Er hatte jedes Mal aufgepasst, wenn sie miteinander geschlafen hatten. Nur einmal war er unvorsichtig gewesen, aber auch nur das und nur einen Augenblick lang. Und Stavros … na ja, sein Bruder war ziemlich sorglos gewesen. Kondome hatte er nie benutzt, jedenfalls hatte er das Christos gegenüber behauptet. „Das heißt, du hast deinem Sohn eine Lüge erzählt.“

„Nein. Du bist Geschäftsmann. Und du bist immer sehr beschäftigt, zumindest wenn man der Klatschpresse glauben darf. Ich denke, daran wird auch Stavros’ Tod nichts ändern. Du hast schon vor langer Zeit deine Entscheidung getroffen.“

Er tat die Bemerkung mit einem Schulterzucken ab. Mit der Vaterschaftsfrage würde er sich jetzt nicht wieder beschäftigen. Der Junge war ein Theakis, und er würde zu seiner Familie zurückkehren. Ava hatte ihre Unterschrift geleistet und Stavros’ Geld angenommen.

Christos bemühte sich, nicht an jene Tage in Griechenland zu denken. Nachdem er Ava damals mit seinem Bruder zusammen gesehen hatte, war er geflüchtet und hatte sein unstetes Leben wieder aufgenommen. Auf diese Weise hatte er die Erinnerungen an Ava auszulöschen versucht. Als Zweitgeborener konnte er ein Leben führen, das aus Oberflächlichkeiten und gesellschaftlichen Ereignissen bestand. Niemand erwartete etwas von ihm. Tagsüber hatte er sich auf Geschäftliches konzentriert, aber die Nächte durchgefeiert.

„Wo ist der Junge?“, fragte er.

Ava strich sich eine Locke hinters Ohr und betrachtete ihn grimmig. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah aus dem Fenster. „Was hast du eben gemeint, als du sagtest, den Erben? Du hast mir damals gesagt …“ Ihr zitterte die Stimme.

„Ich weiß, was ich zu dir gesagt habe, aber die Zeiten haben sich geändert. Du musst jetzt wieder die Frau sein, für die ich dich einst gehalten habe.“ Das war die Wahrheit. Er brauchte etwas von Ava, was selbst sie nicht hatte voraussehen können. Er brauchte sie, als Mutter des Erben. Sie musste den Jungen großziehen, damit er in eine Welt hineinwachsen konnte, die voller Privilegien, aber auch voller Erwartungen und Fallstricke war – denn er selbst würde nicht genügend Zeit haben, um den Jungen entsprechend zu erziehen.

„Was für eine Frau war das?“

„Eine, der ich trauen konnte. Die Gesundheit meines Vaters ist nicht mehr die beste, und er vermisst seine Enkelkinder.“

„Theo ist nicht wie die Mädchen. Er kann sie nicht ersetzen“, wandte Ava ein.

„Was meinst du damit?“

„Er ist Amerikaner, Christos. Er weiß ein bisschen über deinen Hintergrund und über dein Erbe, aber er ist kein Grieche.“

„Ich werde ihm beibringen, was er wissen muss.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ari hasst mich.“

„Mein Vater wird deinen Sohn lieben.“

„Mag sein, aber ich bin nicht mehr das naive Mädchen von damals.“

„Du bist immer noch jung“, erwiderte er. Sie war zwölf Jahre jünger als er, womit er ihr Verhalten damals entschuldigt hatte. Aber dieses Mal würde er nicht so nachsichtig sein.

„Mutter zu werden hat mich reifer gemacht.“

„Dann ist dir sicherlich klar, dass ich nicht länger zulassen kann, dass dein Sohn von der Theakis-Familie ferngehalten wird.“

Sie nickte. „Als ich die Nachrichten über Stavros und seine Familie sah, habe ich überlegt, ob ich Kontakt zu dir aufnehmen soll.“

„Warum hast du es nicht getan?“

„Ich hatte Angst davor.“

„Das verstehe ich.“ Seine Worte waren fast grausam gewesen, als sie ihm von der Schwangerschaft erzählt hatte. Aber damals war er nicht im Geringsten daran interessiert gewesen, auszubügeln, was sein Bruder angerichtet hatte. Also hatte Christos sie abgewiesen.

Nach dem Herzinfarkt seines Vaters hatte er jedoch einen Privatdetektiv engagiert, der Ava ausfindig machen sollte. Als sein Vater so krank gewesen war, hatte Christos ihm ein Versprechen gegeben: den Erben des Theakis-Clans zu finden und ihn nach Hause zu bringen.

Er hatte Ava niemals vergessen können, trotz der Tatsache, dass sie sich nicht gerade friedlich getrennt hatten. Theo zu holen war der Grund für sein Kommen. Aber Christos musste Ava nur ansehen und verspürte wieder das alte Verlangen in sich aufsteigen. Er wollte sie immer noch. „Ich möchte den Jungen kennenlernen.“

„Oh. Okay. Wann?“, fragte sie. Sie war nervös; das erkannte er an ihrer Haltung und ihrer stockenden Redeweise.

Christos ermahnte sich, die Sache ein wenig lockerer anzugehen – vergeblich. Was er für Ava und den Jungen empfand, war zu intensiv und zu widersprüchlich. „Heute, Ava. Ich denke, wir beide können das Problem allein lösen, ohne dass ich meine Anwälte einschalten muss.“

„Natürlich“, entgegnete sie. „Ich habe ja auch nicht gesagt, dass du ihn nicht sehen darfst. Ich wollte nur wissen, wann.“

„So schnell wie möglich. Trägt er unseren Familiennamen?“

„Nein.“

„Hattest du das mit Stavros vereinbart?“

Kritisch musterte sie ihn und zog eine Augenbraue hoch. Dieses Aufflackern ihres Temperaments erregte ihn mehr, als er für möglich gehalten hätte. „Was interessiert es dich? Du hast gesagt, du willst nichts mit meinem Kind zu tun haben.“

„Die Umstände haben sich geändert“, erwiderte er. „Theo ist schließlich ein Theakis.“

„Tja, er trägt meinen Nachnamen.“

„Das wird das Erste sein, was ich ändere. Ich werde veranlassen, dass meine Anwälte die entsprechenden Papiere aufsetzen.“

„Äh, ist das nicht ein wenig überstürzt? Warum …?“

„Nein, das ist wohlüberlegt und überfällig. Schließlich habe ich schon viel zu viel Zeit versäumt.“

Ava errötete – vor Wut, wie Christos vermutete – und schüttelte den Kopf. „Das war deine Entscheidung. Über alles andere müssen wir noch einmal in Ruhe sprechen. Aber ich bin sicher, dass Theo sich freuen wird, dich endlich zu treffen. Deinen Namen kennt er immerhin schon.“

„Sehr gut.“

Sie erwiderte nichts, doch er sah, wie ihre Augen erneut vor Zorn aufblitzten, bevor sie sich umdrehte. „Ich werde Karin bitten, ihn aus seiner Gruppe holen zu lassen. Er hat allerdings ziemlichen Respekt vor dem Büro der Schulleiterin. Vielleicht solltest du lieber draußen im Garten warten. Ich werde ihn zu dir bringen.“

Aufgeregt ging Theo neben ihr den Gang entlang. Auf dem Weg in den Garten stellte er unzählige Fragen über Christos. Doch Ava wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Schließlich traten sie hinaus in die Sonne, und ihr Sohn schob seine Hand in ihre und verstummte, als er den großen Mann sah, der ihnen den Rücken zuwandte.

Ava kniete sich vor ihren Sohn und umarmte ihn. „Er freut sich sehr, dich kennenzulernen.“

„Ehrlich?“

„Ehrlich“, erwiderte Christos und kam zu ihnen. „Hallo, Theo. Ich bin Christos Theakis.“

Theo ergriff Christos’ ausgestreckte Hand und schüttelte sie unbeholfen. „Hallo, Dad.“

Ruckartig hob Christos den Kopf und warf Ava einen Blick zu, den sie nicht zu deuten vermochte. Ein wenig zögernd schloss er dann Theo in die Arme, und Ava wandte sich ab. Es war leicht gewesen zu glauben, dass sie das Richtige für ihren Sohn tat, als sie ihn von Christos ferngehalten hatte. Bei ihrer letzten Begegnung war Christos unglaublich wütend gewesen. Er hatte sie beschuldigt, auch mit seinem Bruder zu schlafen. Und sie war nicht in der Lage gewesen, sich gegen Christos zu behaupten.

Er hatte von ihr gefordert, einen Test durchführen zu lassen, der zweifelsfrei klären sollte, wer der Vater von Theo war. Aber Ava hatte sich geweigert, weil sie wollte, dass Christos ihr vertraute. Sie hatte ihn in einigen Dingen belogen und das auch zugegeben, aber in diesem Fall war es ihr wichtig gewesen, dass er ihr glaubte. Denn eine Beziehung basierte nun einmal auf Vertrauen.

Die Gesellschaftsseiten der Boulevardpresse dokumentierten, dass er sein Leben munter fortgesetzt hatte. Aber hier, in diesem ruhigen Garten, als er Theo umarmte, fragte Ava sich, ob sie vielleicht doch einen Fehler begangen hatte.

Sie trat einen Schritt zurück und versuchte, sich all die Gründe zu vergegenwärtigen, warum sie nicht mehr in Christos verliebt war. Warum sie eigentlich von Anfang an nicht richtig in ihn verliebt gewesen war. Aber während sie beobachtete, wie er zaghaft Kontakt mit seinem Sohn aufnahm, kamen ihr diese Gründe auf einmal nichtig vor. Und ihr Herz, das in den vergangenen fünf Jahren eine Art Winterschlaf gehalten hatte, begann wieder schneller zu klopfen.

Aber das tat nichts zur Sache. Christos war der Mann, der ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt hatte, und jetzt hatte sie es endlich wieder im Griff. Also würde sie sich nicht wieder mit ihm einlassen. Das Problem war nur, dass sie das musste, wenn er seine Rolle als Theos Vater annahm. Und Theo den Vater vorzuenthalten, wenn dieser jetzt die Hand nach ihm ausstreckte, war schlichtweg undenkbar. Die Theakis waren eine Familie, die zusammenhielt, ganz im Gegensatz zu ihrer eigenen Familie. Und für Theo wünschte Ava sich die Geborgenheit, die solch eine Familie bieten konnte.

Sie verbrachten einige Minuten zusammen, bevor Theo von Karin zurück in seine Gruppe gebracht wurde und Ava mit Christos allein blieb. Er blickte seinem Sohn nach, und es schnürte Ava die Kehle zu, weil sie ihm ansah, welche Gefühle in ihm tobten. Schon immer hatte sie vermutet, dass hinter der Fassade des oberflächlichen Playboys, die er der Welt präsentierte, weit mehr steckte. Hin und wieder hatte sie einen Blick auf sein wahres Ich erhascht, damals, als sie zusammen gewesen waren. Und das hatte genügt, um sich Hals über Kopf in ihn zu verlieben.

„Du hast ihn gut erzogen.“

„Danke. Ich … ich bin mir nicht immer sicher, ob ich das Richtige tue. Aber er ist ein lieber Junge.“

„Ja, das ist er.“ Christos steckte die Hände in die Hosentaschen und kam zu ihr. „Warum hast du ihm gesagt, ich wäre sein Vater?“, fragte er.

„Glaubst du mir etwa immer noch nicht?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe dir die Chance gegeben, es mir zu beweisen, Ava, aber du hast dich geweigert.“

„Weil ich wollte, dass du mir vertraust.“

„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“

„Das ist nicht fair. Ich habe mich für meine Lügen entschuldigt. Ich war jung und dachte, du würdest mit einem Mädchen, das aus armen Verhältnissen kommt, nichts zu tun haben wollen.“

„Und die einfachste Möglichkeit sicherzustellen, dass du niemals dorthin zurückkehren musstest, bestand darin, dir einen Theakis zu angeln.“

Empört schüttelte sie den Kopf, da seine Worte sie bis ins Mark trafen. „So war es nicht.“

„Das kannst du mir ein anderes Mal erklären. Im Moment hast du zwei Möglichkeiten, Ava.“

Noch immer gefiel es ihr, wie er ihren Namen aussprach. Und das ärgerte sie, denn eigentlich hätte sie ihn am liebsten geschlagen, weil er sich so maßlos arrogant aufführte. Sie hatte Fehler gemacht, okay, aber warum kam dieser sture Grieche nicht darüber hinweg und hielt es ihr immer wieder vor? „Und die wären?“

„Du kannst das Sorgerecht für Theo an mich abgeben, damit er als Theakis aufwächst.“

„Warum sollte ich das tun?“ Christos musste verrückt sein, wenn er glaubte, dass sie ihren Sohn aufgeben würde.

„Es ist sein Recht, in unserer Familie aufzuwachen. Und du hattest ihn ja während der letzten vier Jahre für dich.“

„Du hast von ihm gewusst und hast ganz bewusst auf den Kontakt verzichtet“, erwiderte sie erbost, während die Vergangenheit wie ein Film vor ihrem inneren Auge ablief. Ava erinnerte sich noch genau an den Tag, als sie schwanger geworden war. Sie wusste auch noch, wie sich eine Mischung aus Lust und Verärgerung auf Christos’ Miene gespiegelt hatte, als sie sich geweigert hatte, als seine Geliebte in Griechenland zu bleiben.

Er hatte sie wie ein Besessener geküsst, und schon bald war aus dem Ärger Lust geworden, und sie hatten sich in seinem Arbeitszimmer geliebt. Es war keine zärtliche Verführung gewesen – dafür waren sie beide viel zu erregt gewesen, schon wegen des Wissens, dass es das letzte Mal sein würde.

Sie hatte sich an seine Schultern geklammert, und Christos hatte sie fest an sich gepresst und auf seinen Schoß gezogen. Als ihnen bewusst geworden war, dass sie kein Kondom benutzten, hatte er sich im letzten Moment zurückgezogen.

Keiner von ihnen hatte etwas gesagt. Aber ein paar Tage später war das Chaos über sie hereingebrochen, als Nikki behauptet hatte, Ava mit Stavros gesehen zu haben. Christos hatte seiner Schwägerin geglaubt, nicht ihr.

„Mag sein. Aber das wird sich jetzt ändern. Ich möchte, dass Theo ein Teil meines Lebens wird. Ich habe ‚Theakis Shipping‘ übernommen“, sagte er und drehte sich von ihr fort, um in den Schulgarten zu blicken. „Das heißt, dass ich jetzt gezwungen bin, das Leben des Erben zu führen, das ich nie gewollt habe. Und es heißt auch, dass ich mich um die Zukunft der Familie kümmern muss.“

„Also brauchst du jetzt lediglich einen Erben“, erwiderte sie. Es stimmte sie traurig, dass Christos nur aus diesem Grund hier war. Aber, verflixt, sie würde nicht zulassen, dass er Theo wehtat. Theo sollte keinen Mann bewundern, der derart kaltherzig war. Einen Mann, der eine Frau lieben und sie so fest an sich drücken konnte, als wollte er sie niemals wieder gehen lassen, und sie dann der Untreue bezichtigte!

„Unsere Familie braucht Theo“, fuhr er fort.

Ihm geht es nur um Theo, nicht um dich, dachte Ava. Aber in gewisser Weise ging es doch um sie. „Du hattest zwei Möglichkeiten erwähnt?“

„Ja. Wenn du weiterhin am Leben deines Sohnes teilhaben möchtest, dann bin ich bereit, dich zu heiraten.“

2. KAPITEL

Das Haus, das Christos gemietet hatte, bot zwar einen herrlichen Blick über den Atlantik und war groß und komfortabel, doch es wirkte irgendwie leer. Obwohl er Personal eingestellt hatte, fühlte er sich einsam. Christos lehnte sich in seinem Lederchefsessel zurück und griff nach dem Telefon, als es klingelte.

„Wie ist es heute gelaufen?“, fragte Tristan Sabina.

Tristan war einer von Christos’ zwei besten Freunden. Der andere war Guillermo de la Cruz. Mehr als die Hälfte ihres Lebens hatten sie jetzt ein munteres Trio von Unruhestiftern und Playboys gegeben. Sie hatten sich als Jugendliche in einem exklusiven Internat in der Schweiz kennengelernt und sich schon dort zusammengetan und keinen Unfug ausgelassen.

Als Söhne reicher Eltern hatten sie stets im Blickpunkt der Klatschpresse gestanden – spätestens seit sie schon mit Anfang zwanzig gemeinsam eine Kette von Nachtklubs in den größten Metropolen der Welt eröffnet hatten. Die exklusiven Klubs, genannt „Seconds“, waren weltweit im Handumdrehen zu begehrten Locations geworden, wo man sehen und gesehen werden konnte. Abend für Abend wiesen die Türsteher mehr Berühmtheiten und Möchtegernprominente ab, als sie einließen.

Tristan, Gui und Christos waren die Herrscher dieses Königreiches, das sie selbst geschaffen hatten.

Christos klemmte das Telefon zwischen Ohr und Schulter und trank einen Schluck Tequila. „Schwer zu sagen. Ich dachte schon, sie würde auf mich losgehen, als ich die Sache mit dem Heiraten ansprach.“

„Ihr Griechen wisst einfach nicht, wie man mit Frauen umgeht“, erklärte Tristan. „Du hättest sie in die Arme ziehen und sie bis zur Besinnungslosigkeit küssen sollen, um ihr dann zu sagen, dass du sie heiraten willst.“

„Es geht doch gar nicht um sie“, widersprach Christos.

„Das hört sich aber so an“, warf Gui wie immer ruhig ein, als er sich in die Telefonkonferenz einschaltete. „Du hast nie erzählt, was damals geschehen ist.“

„Ich habe auch jetzt nicht die Absicht, es zu tun.“

„Wie war der Junge?“, fragte Tristan.

„Der Junge war … Er schien …“

„Was, Christos?“, hakte Gui nach. Diese Telefonkonferenz war ein wenig umständlich, aber die beste Art zu kommunizieren, jetzt, da sie alle noch anderen seriösen Geschäften nachgingen.

„Er hat Stavros’ Nase.“

„Oder deine. Ihr habt doch alle diese Theakis-Nase“, meinte Tristan.

„Hast du sie noch einmal gefragt, ob Stavros wirklich der Vater war?“, wollte Guillermo wissen.

„Nein. Soll ich mich noch ein zweites Mal anlügen lassen?“

Tristan fluchte leise. „Brauchst du Unterstützung in Florida?“

„Nein. Ich werde hier die rechtlichen Angelegenheiten wegen des Jungen regeln und dann nächste Woche nach Griechenland zurückfliegen.“

„Was ist mit der Frau?“, fragte Guillermo.

„Sie denkt noch darüber nach.“

„Worüber genau denkt sie nach?“

„Ob sie mich heiraten soll.“ Christos wollte lieber nicht zu viel über Ava oder über seinen Heiratsantrag nachdenken. Er konnte sich noch lebhaft an das letzte Mal erinnern, als sie über das Thema gesprochen hatten. Es war ein heftiger Streit gefolgt, denn damals hatte Ava sich nicht damit zufriedengeben wollen, seine Geliebte zu sein. Aber, wie er ihr gesagt hatte, die Zeiten hatten sich geändert.

„Heirat? Ist das die einzige Lösung?“, fragte Tristan.

„Für mich ja. Ich …“

„Du willst sie immer noch, und du glaubst, dass du das auf diese Weise unter Kontrolle halten kannst?“, meinte Gui.

„Ich denke eigentlich überhaupt nicht richtig.“

„Stimmt“, warf Tristan ein. „Ich habe übrigens demnächst einen Termin in Paris. Ich könnte vorher bei dir auf Mykonos vorbeischauen.“

Ein elektronisches Piepen drang durch die Telefonleitung. „Ich auch.“

„Ihr braucht nicht …“

„Das wissen wir“, sagte Gui. „Ich möchte sie aber persönlich kennenlernen.“

„Gui, sie ist nicht wie …“

„Ich sage ja auch gar nicht, dass sie das ist. Ich möchte einfach wissen, was für eine Frau die Mutter des Theakis-Erben ist.“

„Ich auch“, sagte Tristan. „Du und Stavros seid so verschieden.“

„Wir waren verschieden … verflixt, wir sind es wohl noch immer“, erwiderte Christos.

Einen Moment lang herrschte Schweigen. „Bist du sicher, dass du uns nicht brauchst?“

„Ja“, erklärte Christos und trank noch einen Schluck Tequila.

Es klopfte an seiner Tür. „Ich muss Schluss machen. Bis dann.“ Er legte das Telefon zur Seite. „Herein.“

„Sir, hier ist Miss Ava Monroe, die Sie sprechen möchte.“ Antonio Montoyo war sein Butler und reiste mit Christos überall hin. Obwohl Antonio nur fünfzehn Jahre älter war als Christos, ähnelte ihre Beziehung eher der von Vater und Sohn – mehr als das Verhältnis zwischen Christos und Ari, seinem wirklichen Vater.

„Ist sie allein, Antonio?“

„Nein. Sie hat auch den Jungen mitgebracht.“

„Schicken Sie sie herein.“

„Äh, Sir?“

„Ja, Antonio?“

„Sie sind nicht für Besucher gekleidet.“

Christos hob eine Augenbraue. Er war gerade von einem Bad im Ozean hereingekommen und trug nichts weiter als eine Badehose. Auch wenn es Winter in Florida war, konnte man nicht behaupten, dass es tagsüber kalt war. Und er wollte verdammt sein, wenn er sich für Ava umzog. Er konnte seine Gefühle für sie nicht erklären, Himmel, er würde es nicht einmal versuchen. Und auch wenn sie mit ihrem kleinen Jungen einige Trümpfe in der Hand hielt, würde er ihr in Bezug auf andere Dinge keinen Schritt entgegenkommen.

„Das wird schon gehen. Da kann sie mich gleich so sehen, wie ich wirklich bin.“

„Und wie wäre das, Sir?“

„Ein Playboy, der sich als Chef einer griechischen Reederei verkleidet, einen Mann der See wie mein Vater und Bruder.“

„Ich kenne Sie schon sehr lange, Christos, und Sie sind in keiner Weise wie einer dieser beiden Männer.“

„Bringen Sie sie rein“, antwortete Christos nur.

Antonio verließ das Zimmer mit einem kleinen Neigen des Kopfes. Mit der unverkennbaren Missbilligung des Butlers würde Christos sich später beschäftigen. Er respektierte Antonio. Und trotz der stets untadeligen Umgangsformen wusste Christos, dass sein Butler es sich wie immer nicht nehmen lassen würde, ihm die Meinung zu sagen.

Kurz darauf trat Ava ins Zimmer. Sie hatte sich umgezogen. Die ausgeblichene Jeans, die ihre schlanken Beine wie eine zweite Haut umhüllte, der Cashmerepullover, der zum Blau ihrer Augen passte, und das offene Haar, das ihr bis auf die Schultern fiel, ließen sie weniger streng, dafür umso sinnlicher erscheinen. Verflixt, dachte Christos.

Theo stand neben ihr in einer dunkelblauen Hose und einem Fleecepullover. Beide bedankten sich bei Antonio, der sich diskret zurückzog.

„Hallo, setzt euch“, sagte Christos.

„Danke, dass du dir Zeit für uns nimmst“, sagte Ava.

„Ich habe euch erwartet“, erwiderte er. Das stimmte zwar, doch er hatte nicht so schnell mit ihr gerechnet. Aber vermutlich wollte sie ihm ihre Antwort mitteilen.

„Ich weiß“, sagte sie leise.

Sie schaute kurz ihren Sohn an, und Christos entging nicht, dass ihr Beschützerinstinkt kurz aufblitzte.

Sie räusperte sich. „Ich habe deinen Vorschlag mit Theo besprochen, und er hat noch einige Fragen.“

Christos war überrascht. Aber auf positive Weise. Theo würde eines Tages ein milliardenschweres Unternehmen führen. Es war wichtig, dass er lernte, Optionen abzuwägen und Entscheidungen zu treffen.

„Was hast du für Fragen, Theo?“

„Ich möchte was über Griechenland wissen, Dad.“

Dad. Es gefiel ihm nicht, wenn der Junge ihn so nannte. Er war Theos Onkel, nicht sein Vater. Er würde mit Ava darüber reden müssen, um das zu unterbinden. Aber nicht in Theos Anwesenheit. „Das ist durchaus verständlich. Komm her, dann zeig ich dir ein paar Fotos von unserem Haus.“

Der Junge zögerte und sah Hilfe suchend zu Ava auf.

„Hast du Angst vor mir?“, fragte er Theo.

Der Junge zuckte mit den Schultern, die Augen genauso dunkelbraun wie die, die Christos jeden Morgen im Spiegel sah. Er wollte nicht, dass der Junge sich vor ihm fürchtete. Aber um ehrlich zu sein, wusste er nicht, was er dagegen tun sollte.

Er schaute zu Ava, die das Problem löste, indem sie sagte: „Komm, Theo. Ich bin auch neugierig, was sich im Haus der Theakis’ verändert hat, seit ich das letzte Mal dort war.“

„Heißt das, dass du dich entschieden hast, mein Angebot anzunehmen?“, fragte Christos.

„Wir haben darüber gesprochen. Mir geht es vor allem darum, dass Theo glücklich ist.“ Ava bemühte sich um einen freundlichen Ton. Sie hatte den ganzen Nachmittag auf dem Laufband in ihrem Schlafzimmer verbracht, um sich all den Ärger abzulaufen, der in ihr aufgeschäumt war, als Christos gesagt hatte, er wäre bereit, sie zu heiraten.

Am liebsten hätte sie ihm gesagt, er solle ins Meer springen und zurück nach Griechenland schwimmen, aber Theo war völlig begeistert von Christos. Er hatte sie den ganzen Nachmittag mit Fragen über ihn gelöchert. Und dann hatte er sie schließlich gefragt, ob er jetzt einen Vater bekommen würde. In dem Moment war Ava das Herz gebrochen. Sie hatte immer das Beste für ihren Sohn getan – aber den Vater konnte sie nicht ersetzen.

Christos nickte ihr zu, ohne etwas von seinen Gefühlen zu verraten. Ava wusste nicht genau, was sie sich von diesem Treffen versprochen hatte, aber dass Christos sich hinter seinem Schreibtisch verbarrikadierte, war mit Sicherheit nicht das gewesen, was sie sich erhofft hatte.

Sein Oberkörper war nackt, und sie musste sich zwingen, nicht ständig dorthin zu schauen. Christos war immer gut in Form gewesen, und offensichtlich hatte er sich auch während der letzten fünf Jahre nicht gehen lassen.

Schade eigentlich, denn es wäre so viel einfacher, ihm zu widerstehen, wenn er einen Bauchansatz bekommen hätte, so wie viele ihrer Freunde. Auch eine erkennbare Gefühlsäußerung würde die ganze Sache erleichtern, aber Christos war noch immer extrem unterkühlt und verbarg seine Gefühle. Genau wie damals. Nur wenn sie sich geliebt hatten, war er aus sich herausgekommen. Und natürlich das eine Mal, als sie seine Wut zu spüren bekommen hatte.

Theos Hand zitterte ein wenig in ihrer. Er hatte nicht wirklich Angst vor Christos, aber bisher hatte er nur wenig Kontakt zu Männern gehabt. In der Schule und im Kindergarten gab es fast nur weibliches Personal. Ihre beste Freundin, Laurette, hatte zwar einen Freund, aber der war beruflich ständig unterwegs. Immerhin tobte er mit Theo herum, wenn er sie mal besuchte.

„Der Theakis-Clan lebt auf einer Insel im Ägäischen Meer“, sagte Ava. Sie lebten nicht nur auf dieser Insel, sie gehörte ihnen mehr oder weniger. Die Theakis besaßen Grundstücke in ganz Europa, doch Mykonos war ihr Stammsitz.

Christos streckte Theo eine Hand hin und hob ihn dann zu sich auf den Schoß. Ihr Sohn sah so klein aus im Vergleich zu Christos mit seinem muskulösen Oberkörper und den kräftigen Armen. Christos griff um Theo herum und gab etwas auf der Computertastatur ein. Kurz darauf erschienen Bilder auf dem Monitor.

Ava bemerkte, dass Christos sich vorbeugte, ganz nahe an den Kopf ihres Sohnes, und tief einatmete. Dann schaute er zu ihr, und sie erkannte die Sehnsucht in seinem Blick. Aber was bedeutete das? Wollte er Theo, oder wünschte er, Theo wäre sein Sohn?

Einen Augenblick lang bedauerte Ava, dass sie damals keinen Vaterschaftstest veranlasst hatte, aber andererseits stand sie noch immer zu ihrer Entscheidung. Der Mann, den sie geliebt hatte, hätte wissen müssen, dass sie in Bezug auf etwas so Wichtiges niemals die Unwahrheit gesagt hätte. Die anderen Lügen, die sie erzählt hatte, waren vergleichsweise harmlos gewesen.

Ava musste blinzeln, weil ihr Tränen in die Augen schossen. Sie hoffte, Anzeichen dafür zu entdecken, dass Christos Theo nicht nur deshalb akzeptierte, weil er den Fortbestand des Theakis-Clans sichern wollte.

Bilder aus einer Vergangenheit, die sie verdrängt hatte, tauchten auf dem Computermonitor auf. Mykonos hatte sich in den letzten fünf Jahren wenig verändert. Warum sollte es auch? Die Insel gab es schon seit Urzeiten, da fielen die wenigen Jahre, die sie nicht mehr dort gewesen war, kaum ins Gewicht.

Ava merkte, dass sie die Reise in die Vergangenheit nicht antreten wollte, nicht einmal, um ihrem Sohn den anstehenden Umzug nach Griechenland zu erleichtern. Und sie wusste, dass Christos es ernst gemeint hatte, als er gesagt hatte, notfalls würde er Theo auch ohne ihre Zustimmung zu sich holen.

„Entschuldigt ihr mich bitte eine Minute?“, sagte sie.

Die beiden sahen auf. „Wo willst du hin?“, fragte ihr Sohn leicht besorgt.

„Ich muss kurz ins Bad.“

Christos nickte. „Den Flur entlang auf der linken Seite.“

Sie verließ das Zimmer so schnell wie möglich und blieb dann im Flur stehen. Durch die Tür hörte sie Christos’ tiefe Stimme, als er mit Theo sprach und ihm von seinem Erbe berichtete.

Ava wurde bewusst, dass ihr die Situation entglitten war und sie keine Idee hatte, wie sie die Kontrolle zurückgewinnen könnte. Immer wieder hatte sie davon geträumt, dass Christos eines Tages auftauchen und sich zu Theo bekennen würde. Und auch zu ihr. Genau genommen lag hierin das eigentliche Problem.

Fünf Jahre lang hatte sie darauf gewartet, dass er seinen Fehler erkannte, sie der Untreue beschuldigt zu haben. Nun war er hier und bot ihr das, was sie sich immer gewünscht hatte. Das, wovon sie schon geträumt hatte, als sie ihre Affäre begonnen hatten. Aber natürlich wusste sie, dass ihr Ja zu Christos’ Vorschlag nicht zu dem ersehnten Happy End führen würde.

„Alles in Ordnung?“

Sie schaute auf und sah Antonio. Ob er sich wohl an sie erinnerte? Oder hatte er sie längst vergessen angesichts der vielen Frauen, die in Christos’ Leben vorübergehend eine kleine Rolle spielten?

„Mir geht es gut, Antonio, danke. Ich brauchte nur kurz einen Moment für mich.“

„Aber natürlich. Warum gehen Sie nicht einfach hinaus in den Garten? Ich werde Mr. Theakis Bescheid sagen, wo er Sie finden kann.“

„Danke“, erwiderte sie und folgte Antonio, der sie zur Terrassentür geleitete. Als sie hinaus in die kühle Februarluft trat, empfingen sie eine erfrischende Meeresbrise und die süßen Düfte des abendlichen Gartens.

Sie folgte einem Pfad in den weitläufigen Garten und fand eine Bank, die in der Nähe eines kleinen Springbrunnens stand.

Schon wenig später hörte sie Christos rufen. „Ava?“

„Hier“, rief sie.

Christos kam um die Ecke gebogen. Er hatte einen leichten Pullover übergezogen und trug Turnschuhe. Sein dichtes schwarzes Haar wirkte zerzaust, so als wäre er mit den Fingern hindurchgefahren.

„Wo ist Theo?“

„Ich habe ihn mit Antonio in die Küche geschickt, damit er sich etwas Süßes holen kann.“

Theo war ein Schleckermäulchen, das musste er von ihr geerbt haben. Deshalb bemühte sie sich auch immer, als Ausgleich möglichst gesundes Essen im Haus zu haben. „Warum?“

„Wir müssen reden.“

Christos setzte sich neben sie auf die Bank. Sie konnte die Hitze spüren, die sein Körper ausstrahlte, und musste sich beherrschen, nicht noch näher an ihn heranzurücken.

„Wozu hast du dich entschieden?“

Sie zuckte mit den Schultern, irgendwie zögerlich, ihm ihre Entscheidung mitzuteilen. Schließlich war sie nicht sicher, ob sie ja sagen und ihr Leben für diesen Mann gänzlich auf den Kopf stellen sollte. Es hatte eine Zeit gegeben, da war sie dazu bereit gewesen, aber jetzt fürchtete sie sich davor, noch einmal ihr Herz zu riskieren.

Theo war intelligent und lustig und machte sich Sorgen, was ein Umzug für seine Mutter bedeuten würde. In einem Moment der Offenheit hatte er Christos enthüllt, dass Avas Familie sie mehr oder weniger verstoßen hatte, als sie schwanger aus Griechenland zurückgekehrt war. Natürlich hatte der Kleine das nicht in diesen Worten ausgedrückt, aber Christos verstand Theos Worte durchaus … es sind nur Mommy und ich.

Eigentlich hatte er die Beziehung zu Ava oder ihrem Sohn noch nicht vertiefen wollen, aber das war schon zu spät. Der kleine Junge eroberte sich langsam, aber sicher einen Weg in Christos’ unterkühltes Herz, und Ava … Himmel, war sie nicht schon immer seine Achillesferse gewesen? Er begehrte sie. Warum, zum Teufel, hatte sich daran nichts geändert?

Hier im Mondschein wirkte sie zu zerbrechlich, zu verletzlich, um all die Dinge zu tun, die sie, wie er wusste, getan hatte. Und auch wenn sie ihn zum Narren gehalten hatte – dass sie auch noch ihre Familie und deren Unterstützung verlor, hätte er ihr niemals gewünscht.

Was war das alles nur für ein schreckliches Durcheinander.

„Ich habe auch noch einige Fragen“, sagte sie und drehte sich zu ihm herum.

Ihre Augen waren groß, offen und ehrlich. Aber er wusste ja, wie trügerisch diese Ehrlichkeit war. In diesem Moment jedoch, während das Wasser im Brunnen leise plätscherte und ihm der Duft vom Hibiskus und Avas Parfum in die Nase stieg, kam es ihm nicht wie ein Trugbild vor.

Es fühlte sich alles so echt an. Schrecklich, dass diese Frau ihn so verwundbar machte. Bei allen anderen wäre er einfach hereingerauscht, hätte sich den Jungen genommen und wäre wieder abgereist. Aber das ging bei Ava nicht.

„Was für Fragen?“

„Wann willst du wieder abreisen?“, fragte sie.

„Nächste Woche. Ich warte noch, bis der Papierkram erledigt ist – und auf deine Entscheidung natürlich. Die Anwälte sind der Meinung, dass sie die nötigen Papiere, um Theo zum rechtmäßigen Theakis-Erben zu machen, in dieser Zeit aufsetzen können.“

„Ich glaube nicht, dass ich es schaffe, schon nächste Woche wegzukommen. Ich kann die Schule und meine Schüler nicht einfach so sitzen lassen.“

„Bedeutet das, dass du mitkommst?“, fragte er. Die leichte Brise wehte ihr eine Locke ins Gesicht. Sie strich sie hinters Ohr, doch im nächsten Moment wurde sie wieder nach vorn geweht.

Christos streckte die Hand aus, umfing die Locke und wickelte sie sich um den Finger. Sie war fein und zart wie der Nebel über dem Wasser, wenn er frühmorgens mit seinem Schnellboot über das Meer raste.

„Ja. Ich … ich möchte aber nicht, dass Theo so aufwächst wie du, Christos.“

Ihm gefiel es, wenn sie seinen Namen sagte. Das war schon immer so gewesen. Er ließ ihr Haar los, beugte sich vor und starrte zum Brunnen. Das heftige Klopfen seines Herzens und das Rauschen des Blutes in seinen Adern straften seine zur Schau getragene Selbstbeherrschung Lügen. Warum nur hatte Ava noch immer solch eine Wirkung auf ihn?

Von Unruhe getrieben stand Christos auf. Sie ist nur eine junge Frau, dachte er, während er sie anschaute. Und er hatte mit Frauen geschlafen, die weitaus weltgewandter als sie gewesen waren. Warum dann war sie diejenige, die er immer und immer wieder in den Armen halten wollte?

„Wie meinst du das?“, fragte er schließlich. Er hatte eine großartige Kindheit gehabt, nachdem er sich daran gewöhnt hatte, nicht mehr zu Hause zu leben. Denn das war damals, so kurz nach dem Tod seiner Mutter, schon eine ziemliche Umstellung gewesen. Aber Tristan und Gui waren von Beginn an da gewesen und hatten ihm mit ihrer Freundschaft eine Art Heimat gegeben.

„Eine Kindheit in Internaten, immer fort von zu Hause. Wie die Erben des Theakis-Clans im Allgemeinen so aufwachsen.“

Ja, sie war genauestens darüber informiert, wie Stavros seine Töchter erzogen hatte, da sie einen Sommer lang das Kindermädchen der beiden gewesen war. Ärger wallte in ihm auf. „Ich habe keine Lust, mit dir über meinen Bruder zu sprechen.“

„Ich habe nicht von Stavros geredet, sondern von seinen Töchtern.“

Die Erinnerung an das niedliche Gekichere der beiden Mädchen trieb Christos Tränen in die Augen. Er vermisste die beiden wirklich. Trotz des Streits mit Stavros hatte er seine Nichten einmal im Monat gesehen, und sie hatten einander sehr nahegestanden.

„Natürlich werde ich deine Meinung in Bezug auf Theos Ausbildung einholen, aber die letzte Entscheidung behalte ich mir vor.“

„Lass das.“

„Was?“

„Den arroganten Griechen zu spielen.“

„Das bin ich nun mal, daran wirst du dich gewöhnen müssen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann dir die ganze Sache auch erschweren.“

„Du kannst es gern versuchen. Ich bin sicher, dass deine Pflichtanwälte einige Ideen haben, wie sie dir helfen können, aber sie werden keine Chance haben. Ich habe die besten Familienanwälte hier in den Staaten engagiert. Und ich habe die Vereinbarung, die du Stavros unterschrieben hast.“

„Wie kommst du darauf, dass ich mir keinen Anwalt leisten kann?“, fragte sie.

„Weil du vom schmalen Gehalt einer Lehrerin lebst“, erklärte er und zitierte damit die Fakten, die er in dem Bericht des von ihm bezahlten Detektivs gelesen hatte.

„Stavros hat mir regelmäßig Geld für Theo geschickt“, widersprach sie. „Das war Teil der Abmachung, die ich unterschrieben habe.“

„Willst du etwa das Geld meines Bruders dazu nutzen, um mich in dieser Sache zu bekämpfen?“

Er kam sich wie ein Schuft vor, als Ava vor ihm zurückzuckte. Verdammt, was war nur mit ihm los, dass er sich in Avas Gesellschaft immer wie ein … arroganter Grieche verhielt? Er hatte einen Großteil seines Lebens damit verbracht, diesen Teil von sich zu unterdrücken, doch sie brachte immer seine Urinstinkte hervor.

„Vielleicht werde ich das. Ich denke, für Theo und für mich sprechen gute Gründe, nach Griechenland zu ziehen, aber wenn du dich weiterhin wie ein arrogantes Scheusal aufführst, dann werde ich dir die Sache erschweren.“

„Ein Scheusal?“

„Ja, genau das. Du weißt doch, was dieses Wort bedeutet, oder?“

„Ja, das weiß ich. Ich weiß nur nicht, warum du mich so bezeichnest.“

„Du hast gerade gefragt, ob ich das Geld deines Bruders benutzen würde, um dich zu bekämpfen. Dieses Geld gehört jetzt mir, Christos. Mir und Theo. Ich habe es für ihn genommen.“

„Okay. Ich werde aufhören zu sagen, dass es Stavros’ Geld ist. Und warum bin ich noch ein Scheusal?“

„Du verhältst dich, als wäre Theo eine Ware … du nennst ihn nur den Theakis-Erben. Er ist ein kleiner Junge. Ich liebe meinen Sohn, und ich werde nicht zulassen, dass er in Internate verbannt wird“, erklärte sie mit fester Stimme, aus der all die Liebe für ihren Sohn sprach.

„Im Internat kann er Freundschaften mit zukünftigen Führungspersönlichkeiten schließen. Die Internatszeit ist nicht nur dazu da, den Eltern die Mühsal der Erziehung ihrer Kinder abzunehmen.“

„Er kann das auch auf andere Art und Weise erreichen. Ich möchte …“

„Hier geht es nicht darum, was du möchtest, Ava.“ Sie funkelte ihn wütend an, und Christos unterdrückte ein Lächeln. Sie versuchte, ihr hitzköpfiges Temperament und ihren Ärger hinter einer Maske aus Höflichkeit zu verbergen. Aber es schlummerte direkt unter der Oberfläche, immer kurz davor auszubrechen.

„Nun, da täuschst du dich, Christos. Dies ist keine Sache, die du einfach bestimmen kannst. Ich arbeite weder für dich noch für sonst jemanden aus deiner Familie. Und wenn es um Theo geht, bin ich diejenige, die das endgültige Sagen hat, denn ich besitze das Sorgerecht.“

Christos unterdrückte den Impuls, den Jungen zu dem kleinen Flughafen zu bringen, wo sein Privatjet stand, und einfach abzureisen. Sobald sie einmal auf Mykonos wären, hätte Ava es schwer, den Jungen wiederzusehen. Man würde ihn des Kidnappings anklagen, aber schließlich bezahlte er seinen Anwälten viel Geld, die würden die Sache schon regeln. Doch als er Ava ansah, wusste er, dass er es nicht übers Herz bringen würde, ihr den Jungen einfach wegzunehmen.

Trotzdem widersprach er ihr. „Du bist nicht diejenige, die das Sagen hat, wenn es um Theo geht.“

„Doch, das bin ich. Auf der Geburtsurkunde ist kein Vater vermerkt.“

„Ja, aber ich habe den Beweis, dass Theo ein Theakis ist.“ Er war nicht erfreut gewesen, als er das Papier in Stavros’ Büro vier Tage nach dem Tod seines Bruders gefunden hatte. Das notariell beglaubigte Dokument sicherte Ava eine jährliche Zahlung zu – dafür, dass sie keinerlei Vaterschaftsansprüche an Stavros stellte. Es war das Geld, das sie eben erwähnt hatte. Aber das Dokument bewies zweifelsfrei, dass das Baby ein Theakis war.

„Du magst vielleicht die Papiere besitzen, die ich unterschrieben habe, aber das heißt nicht, dass ich mich geschlagen geben werde“, erklärte sie.

„Du kannst mir nicht drohen. Nimm einfach zur Kenntnis, dass Theo und ich in weniger als zehn Tagen nach Mykonos aufbrechen werden.“

„Ich habe noch eine Frage“, sagte sie.

Er schaute sie im Mondschein an und versuchte objektiv zu sein. Sie war nicht so attraktiv. Sie war hübsch, das ja, aber das erklärte nicht das heftige Verlangen, das er in ihrer Gegenwart verspürte. Das ging über das Äußerliche weit hinaus. „Ja?“

„Warum willst du mich heiraten?“

3. KAPITEL

Die Versuchung war groß, Christos alle Entscheidungen treffen zu lassen und einfach zu behaupten, er hätte sie zum Heiraten gezwungen. Aber Ava wollte stark sein – für Theo. Sie wollte ihm eine Mutter sein, wie es ihre nie gewesen war, und dafür musste sie auf ihre Rechte beharren.

„Eine Ehe würde Theos Geburt legitimieren“, antwortete Christos leise mit seiner tiefen Stimme.

Sobald er von Theo sprach, hatte Ava das Gefühl, als würde ihr etwas entgehen. „Ich glaube nicht, dass das heutzutage noch eine große Rolle spielt.“

„Hier in Amerika vielleicht nicht, aber in den Augen meines Vaters schon. Und da seine eigentlichen Erben verstorben sind …“

Wieder dachte sie voller Trauer an die beiden Mädchen. Die beiden Cousinen, die Theo jetzt niemals mehr kennenlernen würde. Gleichzeitig machte sie es wütend, dass Theo erst an zweiter Stelle kam. „Wenn das alles ist, was dir Theo bedeutet, dann sollten wir unser Gespräch jetzt beenden.“

„Er ist nicht nur der Erbe.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ist er nicht?“

„Nein. Aber was willst du eigentlich von mir?“

„Ich möchte wissen, was du für Theo empfindest.“

„Ich mag ihn. Ich sehe Stavros in ihm, und ich vermisse meinen Bruder.“

Sie ließ die Arme wieder sinken und merkte, wie die Worte sie ein wenig erweichten. „Okay, das sind die Gründe, warum du Theo zu dir holen willst. Aber warum willst du mich heiraten? Ich dachte, du könntest nur eine Griechin heiraten.“

Christos lachte kurz und verbittert auf. „Die Zeiten haben sich geändert.“

Sie ging zu ihm und blieb erst dicht vor ihm stehen. Zu gern hätte sie ihn sagen gehört, er wolle sie heiraten, weil er in ihr die Frau erkannt hatte, ohne die er nicht mehr leben könne. Doch als sie in seine Augen schaute, zerstob die Hoffnung sofort.

„Ich werde nicht zulassen, dass diese Barrieren zwischen uns weiterbestehen“, sagte sie, wohl wissend, dass sie nicht die Art von Frau sein wollte, die Nikki gewesen war. Nikki hatte über Stavros’ Affären hinweggesehen. Vor fünf Jahren hätte Ava sich vielleicht auch noch so verhalten, doch dafür hatte sich mit Theos Geburt zu viel verändert.

Christos atmete tief durch, und sein warmer Atem strich über ihre Wange. Er umfasste ihre Hüfte und zog Ava zu sich. „Dann komm her, Darling.“

Widerstrebend legte sie ihm die Hände auf die Brust, um Abstand zu wahren. Wie hatte sie nur glauben können, die Situation und Christos unter Kontrolle zu haben?

„Das habe ich nicht gemeint“, sagte sie, während sie spürte, wie gut sich seine Hände auf ihrem Körper anfühlten. Sofort verspürte sie den Impuls, sich vorzubeugen und den Kopf auf seine Brust zu betten. Seine Arme um sich zu fühlen. Oh, verflixt, das alles war keine gute Idee, aber Ava hatte auch nicht die Kraft, sich von Christos zu lösen.

„Das hier hat zwischen uns doch immer gut funktioniert“, raunte er ihr zu.

Ja, dachte sie. Sie lehnte den Kopf zurück und begegnete seinem Blick. Seine Lippen waren fest, sinnlich und so nahe. Sie erinnerte sich daran, wie er sie geküsst hatte, und biss sich auf die Lippe – aus Angst, etwas Dummes zu tun, wie zum Beispiel vorzutreten und ihn zu küssen.

Jemand räusperte sich. Doch als Ava zurückzuckte, hielt Christos sie fest in seinen Armen gefangen.

„Ja, Antonio?“

„Theo geht es nicht gut. Er scheint keine Luft zu bekommen.“

„Er hat Asthma“, sagte Ava besorgt, machte sich von Christos los und lief zum Haus. Sie hatte ihre Handtasche im Arbeitszimmer liegen gelassen und eilte dorthin, um sie zu holen. Nachdem sie sich die Tasche geschnappt hatte, sah sie Antonio und Christos im Flur stehen. „Wo ist er?“

„In der Küche.“

Sie rannte den Flur entlang in die Richtung, in die Antonio gedeutet hatte. Als sie ihren Sohn zusammengesunken auf einem Stuhl sitzen sah, blieb Ava abrupt stehen. Sein kleiner Brustkorb hob und senkte sich, während er versuchte, Luft zu bekommen.

„Hallo, Schatz“, sagte sie und kniete sich vor seinen Stuhl.

„Mir geht es … gut“, stieß Theo atemlos hervor.

„Nein, dir geht es nicht gut.“

Er schüttelte den Kopf. „Mom, ich will den Inhalator nicht.“

Sie stritt sich nicht mit ihm darüber. Es war ein ständiger Kampf mit Theo. Er hasste die Schwäche und wollte nicht zugeben, wenn er seine Medizin brauchte. „Ich weiß, Schatz.“

Sie zog den Inhalator heraus und spürte dabei, wie Christos sie von der Tür aus beobachtete. Doch sie schenkte ihm keine Beachtung.

Theo blickte über ihre Schulter zu Christos und flüsterte ihr dann ins Ohr: „Dad soll das nicht sehen.“

„Es ist schon okay“, antwortete sie.

Theo schüttelte den Kopf.

Ava drehte sich um und wollte Christos bitten zu gehen, doch er war in die Küche gekommen und lehnte sich gegen den Tisch. „Hör auf deine Mutter, Theo. Wir reden darüber, wenn du deine Medizin bekommen hast.“

Sie schob Theo den Inhalator in den Mund, und während Theo einatmete, beobachtete Ava ihren Sohn aufmerksam.

Christos legte eine Hand auf Theos Schulter, und als sie fertig waren, sah sie auf und las die gleiche Sorge in seinen Augen, die auch sie plagte. Es war ein Moment, der sie enger zusammenbrachte als alles, was im Garten geschehen war.

Okay, es ist nicht bedeutungslos gewesen, dachte sie, aber wenn man sich Sorgen um sein Kind macht, dann erscheint alles andere belanglos. Sie wollte Christos heiraten. Das hatte sie sich immer gewünscht. Und auch wenn sie gern gewusst hätte, warum er auf einmal seine Meinung geändert hatte, würde sie keine weiteren Fragen stellen.

Theo brauchte die Stabilität, die ihm zwei Elternteile geben konnten. Sie las die aufkeimende Liebe in Christos’ Augen, wann immer er Theo anschaute. Und Ava wünschte sich, dass er auch sie wieder so ansah.

Es musste doch einen Weg geben, der sie wieder zu diesem leidenschaftlichen Paar werden ließ, das sie damals gewesen waren. Und ohne die Einmischung von Stavros und Nikki Theakis hatten sie vielleicht sogar eine Chance.

„Sag mir, was los ist, Kleiner“, sagte Christos.

Theo zuckte die Schultern und schaute beschämt zur Seite. Ava legte einen Arm um ihren Sohn und musste sich beherrschen, ihn nicht fest an sich zu drücken, jetzt, da er wieder freier atmete.

„Du sollst mich lieb haben“, sagte Theo zögernd.

„Und warum sollte ich das nicht tun?“

„Weil ich nicht perfekt bin“, meinte Theo.

„Doch, das bist du“, widersprach Ava.

„Deine Mutter hat recht.“ Sanft strich er Theo über den Kopf. „Für uns bist du perfekt, so wie du bist. Versuch nicht, etwas zu verbergen, was ein Teil von dir ist. Vor allem nicht, wenn es dir wehtun könnte.“

Theo nickte, und Christos hob den Jungen hoch. Ava stand neben ihnen und spürte das Band, das sich zwischen Vater und Sohn zu bilden begann. So wie ganz gegen ihren Willen auch die Liebe, die sie für Christos empfunden hatte, längst wieder aufgeflammt war.

Christos bestand darauf, Ava und Theo nach Hause zu fahren. Antonio folgte in Avas Wagen und wartete dann in Christos’ Auto, während Christos Ava half, Theo ins Bett zu bringen.

Avas Haus war klein, aber sehr gemütlich. Das Wohnzimmer bestand hauptsächlich aus einem langen Bücherregal und einem großen gemütlichen Sessel. An den Wänden im Flur hingen unzählige Fotos von Theo, vom Neugeborenen bis zum Jungen, der er inzwischen war. Christos sah sich die Bilder in Ruhe an. Auf einmal bekam er das Gefühl, sich selbst um etwas betrogen zu haben. Theo war sein Neffe; er hätte Kontakt zu ihm halten sollen. Er hätte bei seiner Taufe dabei sein müssen.

Natürlich war der Junge katholisch getauft und nicht griechisch-orthodox. Sein Vater würde einen Anfall bekommen.

„Danke, dass du uns nach Hause gebracht hast“, sagte Ava, als sie aus Theos Zimmer kam. Sie hatte die Tür angelehnt.

„Gern geschehen. Wie schlimm ist sein Asthma?“

„Die Ärzte wissen es nicht genau. Es könnte sein, dass er herauswächst.“

„Ich habe es auch.“

„Was? Asthma? Tatsächlich?“

„Ich weiß, schockierend, oder? Es liegt in der Familie.“ Er hängte sein Asthma nicht an die große Glocke, und dank der Medikamente hatte er es gut unter Kontrolle. Aber als Kind hatte die Krankheit sein Leben nicht gerade leichter gemacht. Jetzt war das kaum noch vorstellbar, aber er war einmal ein rundliches, keuchendes Kind gewesen.

„Das hätte ich nicht gedacht. Du wirkst so fit.“

„Ich schwimme viel, das ist gut für die Lungen. Ich werde Theo ein paar Dinge zeigen, wie man mit der Krankheit besser umzugehen lernt.“

Ava knabberte auf ihrer Unterlippe herum, und das erinnerte Christos wieder an den anderen Grund, warum er mit ihr nach Hause gefahren war. Er begehrte sie. Die Erregung, die er vorhin im Garten schon verspürt hatte, traf ihn erneut mit unerwarteter Heftigkeit.

„Theo hat Angst vor Wasser.“

„Was? Die Theakis sind doch geborene Seeleute!“

Sie zuckte mit den Schultern. Offenbar bezweifelte sie, dass Theo das davon überzeugen würde, Wasser zu lieben. „Ich habe versucht, ihn dazu zu bewegen, im Pool zu planschen oder im Meer, aber er will nicht.“

„Ich werde mich darum kümmern“, sagte Christos.

Während sie den Flur entlanggingen, in dem all die Erinnerungsfotos von Theo hingen, fühlte Christos sich einmal mehr als Außenseiter. Sein Leben lang hatte er sich nie richtig zugehörig gefühlt. Zumindest nicht der Welt, die sein Vater geschaffen hatte.

„Hättest du wohl etwas zu trinken?“, fragte er.

„Sicher, komm mit in die Küche.“ Ava führte ihn in den hellen Raum. Er schaute sich um und sah das Leben, das sie für sich und Theo geschaffen hatte.

Genau so hatte er sich ihr Leben vorgestellt. Dieses gemütliche, heimelige Haus. Nur dass er nicht dazu passte. Aber das wollte er auch nicht. Denn mit seinem eigenen Leben hatte er schon vor langer Zeit Frieden geschlossen.

Doch sogar jetzt, da Stavros nicht mehr da war und er selbst an die Spitze des Familienunternehmens gerückt war, fühlte er sich noch als Außenseiter. Eben als genau der Ersatzerbe, der er für seinen Vater immer gewesen war.

Er rieb sich den Nacken und spürte die Erwartungen, die wie eine schwere Last auf seine Schultern drückten.

„Ich habe eine Flasche Weißwein, Mineralwasser oder Bier.“

„Ein Bier, bitte.“

Sie holte es ihm und setzte sich dann mit einem Glas Limonade neben ihn. „Wir müssen noch eine Menge Details klären. Ich werde in der Schule kündigen. Aber ich fürchte, sie werden es nicht schaffen, innerhalb von einer Woche einen Ersatz für mich zu finden. Könntest du die Abreise noch um eine Woche verschieben?“

Eigentlich wollte er es nicht. Er musste weg von hier, zurück in seine Welt. Dorthin, wo er alles unter Kontrolle hatte. Aber Ava hatte ihn bisher um so wenig gebeten, und er hatte heute gesehen, wie wichtig sie war, um Theo in sein Leben zu integrieren. „Ja, das geht. Wir werden uns morgen darum kümmern, dass ihr beide zu mir zieht.“

„Können wir nicht hierbleiben?“

„Ich würde Theo gern näher kennenlernen, und das geht am besten, wenn wir zusammenwohnen.“

Ava stand auf und ging in der Küche auf und ab. „Theo und ich können am Wochenende zu dir ziehen. Während der Woche ist das einfach zu viel Stress.“

„Ich werde mich um alles kümmern“, erwiderte Christos. Er stand ebenfalls auf und trat zu ihr, sodass sie zwischen ihm und der Arbeitsplatte gefangen war. Sie riecht so verdammt gut, dachte er und konnte nicht widerstehen, den Kopf ein wenig zu senken, um noch ein bisschen mehr von ihrem Duft abzubekommen.

Sie schüttelte den Kopf. „Du bist es einfach zu sehr gewohnt, deinen Kopf durchzusetzen.“

„Stimmt nicht“, entgegnete er. Okay, er mochte es, wenn alles so lief, wie er es wollte. Aber sein Leben hatte sich von Grund auf verändert, und jetzt musste er vor allem die Erwartungen anderer Menschen erfüllen.

„Lügner.“

„Das ist nicht sehr nett, Ava.“

„Du hältst mich ja auch nicht für nett“, sagte sie leise.

Darauf würde er nicht eingehen. „Du fühlst dich aber nett an, Kleines.“

Er senkte den Kopf und drückte seinen Mund auf ihren. Sofort öffnete sie ihn, und er schmeckte die Süße der Limonade, die sie getrunken hatte. Mit der Zunge strich er über ihre Lippen und küsste sie nur sehr flüchtig, um sich zu beweisen, dass er noch alles unter Kontrolle hatte. Aber das hatte er nicht.

In Gedanken hob er sie bereits auf die Arbeitsplatte und schob ihre Beine auseinander, damit er sich dazwischenstellen konnte. Dann würde er mit der Hand unter ihren Pullover gleiten und ihre festen, wohlgeformten Brüste streicheln. In Gedanken war er ein Mann, den die Vergangenheit nicht kümmerte und der frei war, der Leidenschaft nachzugeben, die Ava so mühelos in ihm weckte.

Ava war sich nicht sicher, ob das wirklich eine gute Idee war, denn jedes Mal war ihr Widerstand wie Butter in der Sonne dahingeschmolzen, sobald Christos sie in die Arme gezogen hatte. Die letzten Jahre waren hart gewesen, als sie darum gekämpft hatte, ihren Platz in der Welt für sich und Theo zu finden. Aber sie war glücklich mit dem, was sie erreicht hatte – und nun zutiefst verunsichert, ob dieser Schritt das Richtige war. Mit dem Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte, nach Griechenland zu ziehen – das war riskant.

Christos’ warmer Atem strich über ihre Wange und vertrieb ihre Zweifel. Genau das brauchte sie jetzt. Im nächsten Moment drückte er seinen Mund auf ihren, und sie hörte schlagartig auf zu denken. Mit der Zunge drang er zwischen ihre Lippen und küsste sie, dass es ihr den Verstand zu rauben drohte.

Sie legte die Hände auf seine Schultern, während er sie immer leidenschaftlicher küsste. Prompt kam die Erinnerung zurück – daran, wie es damals gewesen war. Ava erinnerte sich an die Wärme seiner Haut und daran, wie besitzergreifend seine Berührungen gewesen waren. Es hatte sie unfassbar stark erregt.

Er glitt mit den Händen an ihrem Rücken entlang, umfasste ihre Hüfte und hob Ava hoch, ohne die Lippen von ihren zu lösen. Sie fühlte sich wie berauscht und musste sich an ihm festhalten. Er lächelte verheißungsvoll, setzte sie auf die Arbeitsplatte und trat zwischen ihre Beine.

Plötzlich kam Ava wieder zur Besinnung und erinnerte sich daran, wo sie sich befanden und dass sie Christos nicht wirklich traute. Sie hob den Kopf und sah ihn an. „Ich … Das geht so nicht“, sagte sie stockend und versuchte angestrengt, das Begehren zu unterdrücken, das sie zu überwältigen drohte. Trotzdem konnte sie nicht widerstehen und strich Christos durch sein dichtes Haar.

„Du machst aber den Eindruck, als wolltest du es genauso“, sagte er leise. Mit der Fingerspitze strich er über ihren Hals und tastete nach dem Punkt, wo ihr Puls heftig pochte.

„Das ist eine rein körperliche Reaktion“, entgegnete sie heiser.

„Und?“

„Christos …“

Mit dem Daumen glitt er über ihre Lippen. „Ich habe es vermisst, meinen Namen aus deinem Mund zu hören.“

Sie erzitterte leicht und schmiegte sich an ihn. Dann legte sie den Kopf auf seine Schulter, weil sie ihm nicht in die Augen sehen wollte und dort vielleicht einen Blick auf die Wahrheit erhaschen würde – dass dies hier nur ein Versuch war, um sie in sein Bett zu locken. Andererseits, hatte Christos sich dafür je viel Mühe geben müssen? Nein. Ava hatte ihn vom ersten Moment an gewollt. Als sie auf Mykonos aus dem Privatflugzeug gestiegen war und ihn gesehen hatte, hatte sie sich genau das gewünscht.

Erschrocken machte sie sich von Christos los. „Willst du mich wirklich heiraten, oder ist das nur ein Trick, um mich gefügig zu machen?“

Er legte wieder die Hände auf ihre Taille und hielt Ava fest, als sie versuchte, von ihm fortzukommen. „Du wirst einfach abwarten und schauen müssen, nicht wahr?“

„Christos …“

„Bitte stell mir keine Fragen, Ava. Du solltest mir vertrauen. Nichts, was du sagen könntest, wird mich von meinem Entschluss abbringen.“

„Vergiss nicht, ich kann dir die Sache auch erheblich erschweren“, warnte sie ihn. Denn sie wusste: Im Grunde würde so lange kein Frieden zwischen ihnen herrschen, bis er zugab, dass er vor fünf Jahren einen Fehler begangen hatte.

„Das kannst du gern versuchen, aber ich kämpfe mit harten Bandagen. Und ich gewinne immer.“

„Merkwürdig. Ich würde meinen, unsere erste Begegnung endete in einem Unentschieden. Oder hattest du das Gefühl, einen Sieg errungen zu haben, als du mich aus deinem Leben gestrichen und mich der Untreue beschuldigt hast?“

Christos fluchte. Dann beugte er sich vor und stieß leise hervor: „Sprich nicht über die Vergangenheit, sonst nehme ich Theo und verschwinde.“

Ava wurde schlagartig kalt. Der Gedanke, ihren Sohn zu verlieren, war kaum zu ertragen.

Kaum hatte er ihr in die Augen gesehen, zog er sie jetzt wieder in die Arme. „Entschuldige.“

„Was?“

„Dass ich mich so unmöglich benehme, tut mir leid. Ich möchte mit dir nicht über die Vergangenheit reden. Möchte nicht daran erinnert werden, was du getan hast und wie unsere Beziehung geendet hat.“

Zärtlich hielt er sie, und Ava wunderte sich über die Gegensätze, die so typisch für Christos waren. Sie hatte Angst, ihm zu vertrauen. Gleichzeitig fürchtete sie sich davor, einen großen Fehler zu begehen, wenn sie es nicht tat. Denn so eisern er seine Gefühle unter Verschluss hielt – das Feuer, das unter der Oberfläche loderte, spürte sie nur zu deutlich.

Sie blinzelte gegen die Tränen an, doch vergeblich.

„Ich werde dir deinen Sohn nicht wegnehmen“, versicherte er ihr zärtlich.

„Wir könnten den Vaterschaftstest machen lassen.“ Anfangs hatte sie sich dagegen gewehrt, weil sie noch Jungfrau gewesen war, als sie Christos kennengelernt hatte; er hätte wissen müssen, dass sie sich nicht so einfach einem anderen hingeben würde. Und sie wollte, dass er ihr vertraute. Welche verliebte Frau erwartete das nicht?

„Das ist nicht nötig. Theo hat Theakis-Blut in sich, das genügt.“

Sie nickte und fühlte sich auf einmal schrecklich müde. Christos hob ihren Kopf an und wischte vorsichtig die Tränen von ihren Wangen. Dann küsste er sie noch einmal sanft. „Lass uns noch einmal von vorn beginnen.“

Sie nickte. Ja, ein Neustart. Das hörte sich gut an.

Nachdem Christos gegangen war, versuchte Ava sich einzureden, dass sie die Sache mit der Vergangenheit geregelt hätten – aber natürlich wusste sie, dass sie sich etwas vormachte. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass die Vergangenheit immer wieder auftauchte, um ihr das Leben schwer zu machen.

4. KAPITEL

Die gedämpften Töne, die aus dem Kinderzimmer drangen, konnte Christos bis in sein Arbeitszimmer hören. Der Kindergesang traf nicht immer die richtige Tonlage, und die Worte waren nicht zu verstehen, aber die Freude … die kam ohne Abstriche hier unten an.

Er war versucht, die Arbeit, auf die er überhaupt keine Lust hatte, einfach liegen zu lassen und nach oben zu gehen, um ihnen Gesellschaft zu leisten – dem Jungen, den er als seinen Erben anerkannt hatte, und die Frau … die Frau, die er zu seiner eigenen machen wollte.

Zehn Tage sollten einen Mann eigentlich nicht verändern, dachte er, doch genau das war geschehen. Zehn Tage war es her, seit er sie wiedergesehen hatte. Zehn Tage, seit er Theo zum ersten Mal getroffen hatte und sich auf einmal Dinge wünschte, die er sich zuvor nie gewünscht hatte.

Sein Handy klingelte, dabei wollte er im Moment wirklich mit niemandem reden. Als er auf dem Display die Nummer seines Vaters erkannte, hätte er den Anruf am liebsten von der Mailbox entgegennehmen lassen. Aber der alte Herr hätte sowieso umgehend Antonio angerufen und Christos unerbittlich ans Telefon holen lassen.

„Hallo, Patera.“

„Warum hast du nicht angerufen?“, wollte Ari Theakis wissen. Er kam immer direkt zur Sache und hielt nichts von Gefühlsausbrüchen.

„Sollte ich das?“

„Allerdings. Hast du meinen Enkel gesehen?“

„Ja. Er lebt hier bei mir.“ Mit Theo und Ava zusammenzuleben war völlig anders, als Christos es sich vorgestellt hatte. Seitdem die beiden hier waren, war ihm klar geworden, wie leer seine Häuser bisher immer gewesen waren. Im Gegensatz zu den Bediensteten, die ihn stets umgaben, ließen Theo und Ava ihn nicht in Ruhe. Einer von ihnen kam immer wieder in sein Büro und lud ihn ein, irgendetwas zu tun – fernzusehen, ein Buch zu lesen, mit Playmobil-Figuren zu spielen …

„Gut. Wann wirst du ihn nach Haus bringen?“

„Bald“, antwortete Christos. Die Abreise hatte sich verzögert, weil es noch eine Woche länger dauerte, bis Avas Nachfolgerin die Klasse übernehmen konnte, und Ava ihre Klasse nicht einfach so im Stich lassen wollte.

Er hatte ihre Bitte respektiert, weshalb sie noch immer in Florida waren.

„Wir brauchen jetzt einen legalen Erben. Mir gefällt der Gedanke nicht, dass unsere Linie mit dir enden könnte.“

„Glaub mir, Patera, dessen bin ich mir durchaus bewusst“, sagte Christos. Theo musste als Christos’ Erbe benannt werden, bevor die jährliche Vorstandssitzung im Herbst stattfand. Sonst würde ein anderer Zweig der großen Theakis-Familie die Kontrolle übernehmen wollen, sollte Christos etwas zustoßen. Und das wollte sein Vater auf jeden Fall verhindern. Auch Christos stimmte zu, dass das nicht gut wäre. Sein Onkel Tony war nicht gerade der beste Geschäftsmann. Andererseits war er, genau wie Christos jetzt, der zweite Sohn gewesen.

„Was ist mit dem Mädchen?“

„Ava?“ Das Letzte, was er wollte, war, mit seinem Vater über sie zu sprechen.

„Ja.“

„Was ist mit ihr?“

„Hör auf, Spielchen mit mir zu treiben, Junge. Ich bin noch immer das Oberhaupt dieser Familie.“

„Sie kommt mit. Sie hat sich geweigert, das Sorgerecht für den Jungen aufzugeben.“ Das hatte ihn gefreut, weil Ava sich damit als gute Mutter erwiesen hatte. Noch immer war für ihn die Ava von heute schwer in Einklang zu bringen mit seinen Erinnerungen an sie. Vielleicht hatte sie sich wirklich verändert, als sie Mutter geworden war, so wie sie gesagt hatte.

„Ist das klug? Wir trauen ihr nicht.“

„Patera, du hast mich gebeten, die Sache zu übernehmen und für einen Erben zu sorgen. Das tue ich, und ich tue es auf meine Weise. Wenn es dir nicht gefällt, dann kann ich gern wieder meinen anderen geschäftlichen Interessen nachgehen.“

Und nichts wäre ihm lieber gewesen als das. Ava und Theo könnten ihr Leben wieder aufnehmen, und er könnte wieder in die Welt zurückkehren, die er kannte. Vorbei wären die endlosen Stunden im Büro, um eine große Reederei zu führen. Und er bräuchte nicht jedes Mal die Anwesenheit seines Bruders zu spüren, wann immer er das Büro betrat.

Es herrschte Schweigen in der Leitung, und Christos wettete insgeheim, dass sein Vater sich in diesem Moment wünschte, Stavros wäre nicht bei dem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Vielleicht wünschte er sogar, Christos wäre an Stavros’ Stelle gewesen. Aber auch Ari hatte keine Kontrolle über Leben und Tod, und Christos war jetzt sein einziger Sohn und Erbe.

„Ich muss Schluss machen. Ich werde Antonio bitten, dir unsere Reisedaten zu schicken, sobald sie feststehen.“

„Wirst du das Mädchen heiraten?“

„Ja.“

„Gut. Der Junge braucht Geschwister.“

„Patera …“

„Die Hochzeit sollte hier auf Mykonos stattfinden. Ich werde Maria bitten, sich um alles zu kümmern“, fuhr Ari fort und bestimmte damit wie selbstverständlich über Christos’ Leben.

„Maria soll Ava anrufen. Ich gebe Antonio die Nummer.“

Er legte auf, und auf einmal fühlte sich sein Büro wie ein Käfig an. Entnervt trat er hinaus auf die Terrasse und stand dort im Schatten der Abenddämmerung. Schon immer hatte sein Vater ihm das Gefühl gegeben, als wäre er nicht … gut genug. Sogar jetzt, als er Aris Forderungen wie ein Mustersohn erfüllte, hatte er immer noch das Gefühl, nur das Zweitbeste zu sein. Der Sohn, der am wenigsten dazu geeignet war, so zu werden, wie sein Vater es wünschte.

„Christos?“

Er schaute über die Schulter. In der Tür stand Ava, in schwarzen Leggins, die ihre Beine endlos lang erscheinen ließen, und mit einem langärmeligen T-Shirt. Sie wirkte völlig entspannt, als fühlte sie sich in seinem Haus mehr zu Hause als er.

„Ja?“

„Möchtest du uns beim Vorlesen Gesellschaft leisten?“

Vorlesen? Sein Leben hatte sich wahrlich verändert. Gui und Tristan hätten ihren Spaß daran. Aber seine Freunde waren nicht hier. Vom Personal abgesehen, war er mit Ava und Theo allein.

Und wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er mit ihnen zusammen sein wollte. Er wollte mit ihnen gemütlich in der Kissenecke lümmeln und Ava lauschen, wenn sie mit ihrer wunderbaren Stimme Geschichten erzählte, in denen Eltern keine Erwartungen hatten, die man nicht erfüllen konnte. In denen Brüder nicht starben. Und in denen die Prinzessinnen bildhübsch, nett und vor allem ehrlich waren.

„Alles in Ordnung?“

„Ja. Ich habe nur ziemlich viel Arbeit.“

„Oh. Schade. Theo hätte gern das Ende der Geschichte gehört, die du ihm gestern vor dem Einschlafen erzählt hast. Die von dem Seeungeheuer.“

Ava hatte eine Veranstaltung in ihrer Schule besuchen müssen, und er war mit dem Jungen allein gewesen. „Lass mich nur schnell noch ein paar Sachen erledigen, und dann komme ich hoch.“

Sie nickte und wandte sich ab, bevor sie sich noch einmal umdrehte. „Danke für all das, was du für und mit Theo tust.“

Er lächelte. Er mochte den Jungen. Sosehr Theo auch wie ein Theakis aussah, war es für Christos doch offensichtlich, dass er Avas Persönlichkeit geerbt hatte. Er war an allem Neuen interessiert, aber gleichzeitig auch vorsichtig.

Nachdem Ava gegangen war, rieb Christos sich die Augen und sah in den Abendhimmel. Aber anders als sonst konnten ihn die Sterne heute nicht beruhigen.

Er begehrte Ava. Nichts anderes war der Grund für seine Rastlosigkeit. Nicht die langen Arbeitsstunden oder die ungewohnte Rolle als Vater.

Die Sehnsucht nach ihr machte ihn unruhig, und zu wissen, dass sie in seinem Haus, aber nicht in seinem Bett schlief, verstärkte seine Rastlosigkeit noch zusätzlich.

Ava versuchte, sich in den Kissen zu entspannen, aber in Christos’ Nähe gelang ihr das einfach nicht. Theo saß zwischen ihnen, und Christos hatte einen Arm um sie beide gelegt. Und mit jedem Atemzug roch sie den Duft seines würzigen Rasierwassers.

Sein Profil war klassisch und markant. Seine griechische Herkunft erkannte man beim ersten Anblick sofort. Schon das dichte schwarze Haar und die dunkle olivfarbene Haut …

„Ava?“

„Hm?“

„Du starrst mich an“, sagte Christos.

Sie errötete. „Ich habe nur gerade gedacht, wie sehr Theo dir ähnelt.“

Er hob eine Augenbraue und ließ sie auf diese Weise wissen, dass er ihr diese Antwort nicht abnahm. Sie zuckte mit den Schultern.

Christos fuhr fort, seine Geschichte zu erzählen. Ava liebte es, seiner tiefen Stimme zu lauschen. Sie lehnte sich gegen die Kissen und schloss für einen Moment die Augen. Ohne es zu merken, schlief sie ein und wachte erst wieder auf, als sie Theo flüstern hörte.

„Sie kann bei mir schlafen, Dad.“

„Soll ich sie in dein Bett tragen?“

Ava öffnete langsam die Augen. „Habe ich das Ende der Geschichte verpasst?“

„Ja“, erwiderte Theo und verkündete stolz: „Ich hab schon meine Zähne geputzt.“

Ava sah Christos an, der mit den Schultern zuckte. „Wir wollten dich nicht aufwecken.“

„Danke, dass du dich um Theo gekümmert hast.“

„Kein Problem“, meinte er und fuhr Theo durchs Haar. „Komm, ab ins Bett.“

Ava stützte sich auf dem Boden ab, um aufzustehen. Christos reichte ihr eine Hand und half ihr hoch. Die Kraft, mit der er zog, brachte sie aus dem Gleichgewicht, sodass sie gegen seinen muskulösen Oberkörper fiel. Instinktiv schlang Christos einen Arm um ihre Taille, ließ sie aber sofort wieder los.

Himmel, sie wollte diesen Mann so sehr. Und sie wünschte sehnlichst, das Leben wäre einfacher. Wünschte, sie wäre sich sicherer, was ihre Entscheidung betraf, nach Griechenland zu gehen. Dann hätte sie vielleicht nicht solche Angst, der Leidenschaft, die so offensichtlich zwischen ihnen knisterte, eine Chance zu geben.

„Komm, Mom.“

Sie brachten Theo ins Bett und verließen dann gemeinsam das Kinderzimmer. Das war für sie ein merkwürdiger Augenblick, da Ava so viele Jahre damit zugebracht hatte, sich auszumalen, wie es wohl wäre, Christos bei sich zu haben – und jetzt war er auf einmal da. Aber sie wusste auch, dass sie beide nur Theo zuliebe eine Rolle spielten.

Ava seufzte leise und überlegte, was sie jetzt tun sollte. Es war noch ein bisschen zu früh, um ebenfalls schlafen zu gehen, zumal sie nach ihrem kleinen Schläfchen wieder ausgeruht war. Außerdem wollte sie … nun, sie wollte Christos … kennenlernen.

Während ihrer Sommeraffäre hatte es nur heimliche Rendezvous und Zärtlichkeiten gegeben. Als Kindermädchen von Stavros’ und Nikkis Töchtern hatte sie zum Personal gehört, und Christos … er war nun einmal der Bruder ihres Chefs gewesen. Die Woche über war er geschäftlich unterwegs gewesen und nur an den Wochenenden hergeflogen. Dann hatte er sie, sobald ihr Dienst bei den Mädchen beendet gewesen war, mit auf seine Jacht genommen, hatte sie mit exotischen Köstlichkeiten verwöhnt, ihr Seefahrergeschichten erzählt und sie geliebt.

Jetzt folgte sie ihm die Treppe hinunter ins Wohnzimmer, wo er zur Bar ging und sich einen Scotch einschenkte.

„Wir müssen reden“, sagte Christos.

„Worüber?“

„Über Religion. Wir sind alle griechisch-orthodox erzogen worden. Könntest du dir vorstellen, zusammen mit Theo unserem Glauben überzutreten?“

„Oh … das kommt überraschend. Das müsste ich mir in Ruhe überlegen und mich natürlich erst einmal informieren“, erwiderte sie, weil Religion das Letzte war, worüber sie im Moment nachgedacht hatte. „Ich dachte, wir könnten heute Abend ein wenig Zeit miteinander verbringen, um uns besser kennenzulernen.“

„Und wie stellst du dir das vor?“

Autor

Katherine Garbera

Katherine kann sich nichts Schöneres vorstellen, als zu schreiben. Jedes Buch gibt ihr die Gelegenheit, die unterschiedlichen Verhaltensmuster der Menschen hervorzuheben. Leidenschaftliche Liebesromane zu verfassen, bedeutet für sie die Verwirklichung eines Traumes.

Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann, den sie in "Fantasyland" kennenlernte, und den beiden gemeinsamen Kindern in Florida.

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