Julia Sommeredition Band 2

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KÜSSE, SÜSS WIE GRIECHISCHER WEIN von CHANTELLE SHAW
Heiße Küsse, sinnliche Zärtlichkeiten: Nie hat Louise jenen magischen Sommer in Griechenland vergessen, als sie in Dimitris Armen die Liebe entdeckte. Bei ihrem Wiedersehen begehrt sie den Milliardär jetzt mehr denn je. Auch wenn sie weiß: für ihn ist es nur ein Spiel.

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  • Erscheinungstag 03.08.2021
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507165
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Chantelle Shaw, Lynne Graham, Kim Lawrence

JULIA SOMMEREDITION BAND 2

1. KAPITEL

Athen brütete unter einem wolkenlosen Himmel in der Hitze eines Sommernachmittags. Das grelle Sonnenlicht brach sich auf den Bronze gefärbten Fensterscheiben des Bürogebäudes von Kalakos Shipping Gesellschaft.

Die Türen glitten geräuschlos zur Seite, als Louise sich ihnen näherte. In dem Gebäude herrschte eine gedämpfte Atmosphäre wie im Inneren einer Kathedrale. Louise ging auf den Empfangstresen zu, das Klappern ihrer Pfennigabsätze hallte unerträglich laut auf dem schwarzen Marmorfußboden wider.

Die Empfangsdame war ebenso elegant wie die gesamte Umgebung, ihre Kleidung untadelig, das Gesicht nur dezent geschminkt. Ihr Lächeln wirkte höflich fragend.

„Ich heiße Louise Frobisher. Ich möchte zu Dimitri Kalakos.“ Louise sprach fließend Griechisch. Das einzige positive Erbe ihrer nomadenhaften Kindheit war, dass sie problemlos neue Sprachen lernte.

Die Empfangsdame warf einen Blick in ihren Terminkalender und zog ihre sorgfältig gezupften Augenbrauen leicht zusammen.

„Es tut mir leid, Miss Frobisher, aber es sieht nicht so aus, als hätte Mr. Kalakos heute einen Termin mit Ihnen.“

„Mein Besuch ist persönlicher und nicht geschäftlicher Natur. Ich kann Ihnen versichern, dass Mr. Kalakos sehr erfreut sein wird, mich zu sehen.“

Das war eine sehr großzügige Auslegung der Wahrheit, wie sie zugeben musste. Aber sie setzte auf Dimitris Ruf als Playboy und darauf, dass die Empfangsdame mit ein bisschen Glück glauben würde, sie wäre eine der – laut Klatschkolumnen – zahlreichen Geliebten Dimitris. Daher trug sie auch einen Rock, der um einiges kürzer war als alles, was sie jemals zuvor angehabt hatte, und geradezu mörderische Pfennigabsätze, die ihre Beine ins schier Unendliche verlängerten.

Statt wie sonst ihr Haar zu einem Knoten zu binden, ließ sie es offen auf ihre Schultern fallen und trug auch mehr Make-up als üblich; der rauchgraue Lidschatten betonte ihre tiefblauen Augen, und der scharlachrote Lippenstift entsprach perfekt dem Farbton ihrer Jacke und ihres Rocks. Der diamantene Fleur-de-Lys-Anhänger, den sie an einer schmalen Goldkette um den Hals trug, war ein Erbstück ihrer Großmutter. Und es war das einzige Schmuckstück, das sie besaß. Sie hatte es heute angelegt in der Hoffnung, ihre grandmère Céline möge auf sie hinabblicken und ihr vom Himmel Glück hinunterschicken.

Sie hatte irgendwo gelesen, Trickbetrüger seien deshalb erfolgreich, weil sie mit absolutem Selbstbewusstsein auftraten. Daher lachte sie nur und warf ihre blonden Locken zurück, als die Empfangsdame murmelte, sie würde bei Mr. Kalakos persönlicher Assistentin nachfragen. Louise strebte scheinbar unbekümmert auf den Fahrstuhl zu. Vor etlichen Jahren hatte sie Kalakos Shipping schon einmal besucht, damals war ihre Mutter Kostas Kalakos’ Geliebte gewesen, und sie war sicher, dass nun Dimitri in den luxuriösen Büroräumen im obersten Stockwerk des Gebäudes herrschte – dort, wo einst sein Vater residiert hatte.

„Da gibt es keine Frage. Dimitri möchte mich sehen. Und ich versichere Ihnen, er wird nicht wollen, dass wir gestört werden.“

Ihr Wagemut löste sich jedoch in Nichts auf, sobald die Türen des Fahrstuhls zuglitten, und sie fühlte sich ebenso unsicher und hilflos wie damals mit 19 Jahren. So deutlich, als wäre es gestern gewesen, konnte sie sich an den bitteren Streit mit Dimitri erinnern. Sieben Jahre war das her, und die Erinnerung an seinen Zorn und ihre Erniedrigung drehte ihr immer noch den Magen um.

In der Enge des Fahrstuhls meldete sich ihre Klaustrophobie, doch sie atmete tief durch und zwang sich, ruhig zu bleiben. Dimitri war der Einzige, der ihrer Mutter helfen konnte. Also musste sie souverän auftreten und ihre Gefühle unter Kontrolle halten.

Sie hätte wissen müssen, dass es wesentlich schwieriger war, an der persönlichen Assistentin vorbeizukommen als an der Empfangsdame unten in der Lobby. Immerhin rief Aletha Pagnotis – ihr Name stand an der Tür des Büros – bei ihrem Chef an und gab Louises Bitte um fünf Minuten seiner Zeit weiter.

Die Bitte wurde rundweg abgelehnt.

„Wenn Sie mir den Grund für Ihren Besuch verraten könnten, Miss Frobisher, würde Mr. Kalakos seine Entscheidung vielleicht noch einmal überdenken“, murmelte die Assistentin eine halbe Stunde später, als Louise immer noch in ihrem Büro wartete. Zweifellos war sie es ebenso müde, eine Fremde in ihrem Büro zu haben, wie Louise es müde war zu warten.

Warum sie Dimitri sehen wollte, war viel zu persönlich und zu wichtig, um den Grund jemand anderem als ihm anzuvertrauen. Aber ihr fiel plötzlich wieder ein, dass man sie auf Eirenne nur als Loulou kannte – das war der Spitzname, den ihre Mutter ihre gegeben hatte. Und da ihr Nachname anders war als früher, hatte Dimitri vielleicht gar nicht realisiert, wer sie war.

Die Assistentin wiederholte verblüfft die neue Nachricht, die sie ihrem Chef nun übermitteln sollte, und entschwand dann eilfertig in sein Büro.

Das Aroma frisch aufgebrühten Kaffees kitzelte Dimitris Geruchssinn und verriet ihm, dass es drei Uhr war. Dazu musste er nicht einmal auf die Platinrolex an seinem Handgelenk blicken, denn seine Assistentin brachte ihm seinen Kaffee jeden Nachmittag um exakt dieselbe Zeit. Aletha arbeitete nun seit fünf Jahren für ihn, und sie sorgte dafür, dass im Büro alles so reibungslos lief wie bei einer gut geölten Maschine.

„Efkharistó.“ Er hob seinen Blick nicht von den Zahlenreihen auf dem Computerbildschirm und wartete auf das leise Klicken, das anzeigen würde, dass Aletha sein Büro wieder verließ.

Das Klicken kam nicht.

„Dimitri – kann ich Sie kurz etwas fragen?“

„Ich habe darum gebeten, nicht gestört zu werden“, erinnerte er seine Assistentin ungeduldig.

„Es tut mir leid … aber die junge Frau, die Sie vorhin sehen wollte, ist noch immer da.“

Er zuckte mit den Schultern. „Wie schon gesagt, ich kenne keine Louise Frobisher. Ich habe noch nie von ihr gehört, und wenn sie keinen Grund für ihren Besuch angeben kann, würde ich vorschlagen, Sie rufen den Wachdienst und lassen sie vom Gelände bringen.“

Aletha Pagnotis kannte die Warnzeichen und wusste, dass der Vorsitzende von Kalakos Shipping gereizt war. Eine Unterbrechung seiner Routine brachte ihn immer schnell in Rage. Doch ein milliardenschweres Unternehmen zu leiten, musste ihm auch viel abverlangen, gestand Aletha ihm zu.

Mit seinen 33 Jahren war Dimitri einer der einflussreichsten Geschäftsmänner des Landes. Schon bevor er nach dem Tod seines Vaters Kalakos Shipping übernommen hatte, war Dimitri mit einem Internet-Unternehmen zum Millionär geworden. Er hatte sich mit seiner Firma darauf spezialisiert, Designerware an die schnell expandierenden asiatischen Märkte zu verkaufen. Durch seine überragende Energie und Entschlossenheit hatte er in nur wenigen Jahren Millionen gemacht, und sein Scharfsinn und seine Rücksichtslosigkeit waren in der Vorstandetage bereits eine Legende.

Aletha hatte manchmal den Eindruck, er wollte seinem Vater immer noch etwas beweisen, auch wenn der schon vor drei Jahren gestorben war. Das Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn war öffentlich bekannt, und sie fand es bedauerlich, dass die beiden ihre Differenzen nicht mehr hatten klären können.

Was auch immer ihn antrieb, Dimitri setzte sich ein Arbeitspensum, das ihm alles abverlangte, und bezahlte seine Angestellten großzügig dafür, dass sein Leben wie ein Uhrwerk funktionierte. Üblicherweise hätte sie ihn nicht wegen einer Besucherin belästigt, die ihn ohne Termin und ohne Angabe von Gründen sehen wollte. Doch unter der stillen Entschlossenheit der englischen Frau spürte Aletha eine tiefe Verzweiflung, die sie dazu gebracht hatte, Dimitris Anweisung, ihn unter gar keinen Umständen zu stören, zu ignorieren.

„Miss Frobisher hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass Sie sie vor einigen Jahren unter ihrem Spitznamen kannten. Loulou. Und dass Sie mit Ihnen über Eirenne sprechen möchte.“

Aletha war sicher, dass sie die Nachricht korrekt wiederholt hatte, aber jetzt klangen die Worte eher lächerlich, und sie wappnete sich gegen Dimitris Zorn.

Seine Augen wurden schmal, und er starrte sie einige Sekunden lang schweigend an, bevor er zu ihrer Überraschung kurz angebunden sagte: „Sagen Sie ihr, dass ich ihr genau drei Minuten meiner Zeit gebe, und bitten Sie sie herein.“

Im Büro der Assistentin war es so still, dass das Ticken der Uhr mit Louises pochendem Herz zu wetteifern schien. Aus dem Fenster hatte man einen fantastischen Blick über die Stadt, doch die Skyline von Athen konnte sie nicht lange fesseln. Ihre Nerven waren aufs Äußerste gespannt, und der Klang der sich öffnenden Tür ließ sie herumfahren, als Aletha Pagnotis das Büro wieder betrat.

„Mr. Kalakos hat kurz für Sie Zeit“, sagte die Assistentin ruhig. Sie war vermutlich neugierig, aber viel zu professionell, um das zu zeigen. „Folgen Sie mir bitte.“

Schmetterlinge flatterten in Louises Bauch. Wenn du dich selbstbewusst gibst, wird er dich auch nicht einschüchtern können, sagte sie sich. Aber die Schmetterlinge setzten ihren Tanz fort, und ihre Knie waren weich, während sie auf ihren Pfennigabsätzen in die Höhle des Löwen stolzierte.

„Also, wann ist aus Loulou Hobbs Louise Frobisher geworden?“

Dimitri saß hinter einem riesigen Mahagonischreibtisch und stand auch nicht auf, als Louise hereinkam. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung, sodass sie keine Ahnung hatte, was in ihm vorging. Aber ihn umgab eine Aura von Macht und Autorität, die sie einschüchterte. Außerdem sah er umwerfend gut aus mit seinem dunkel mediterranen Teint und den fein gemeißelten Gesichtszügen. Dann sah sie in seine olivgrünen Augen, mit denen er sie kühl und anscheinend ohne jegliches Interesse ansah. Ihr Herz pochte wie verrückt.

Dimitri lehnte sich zurück, nachdem seine Assistentin leise das Büro verlassen hatte, und taxierte Louise von oben bis unten. Ihre Wangen brannten. Sie kämpfte gegen den Drang an, am Saum ihres Rocks zu zupfen, ihn herunterzuziehen, damit er länger wirkte.

Anders als ihre Mutter, die immer im Mittelpunkt hatte stehen wollen, war Louise mehr als zufrieden damit, sich anzupassen und nicht aufzufallen. Sie war es nicht gewohnt, so angesehen zu werden, wie Dimitri sie nun ansah – als ob sie eine attraktive Frau wäre, eine nackte attraktive Frau! Ihr Gesicht brannte noch heißer. Blödsinn, selbstverständlich stellte er sich sie nicht nackt vor. In seinen Augen blitzte keinerlei Anzeichen von Erregung auf. Das war nur das Sonnenlicht, das durch die Jalousien hereinfiel und seine Augen zum Glitzern brachte.

Er hat mich mal attraktiv gefunden, wisperte eine Stimme in ihrem Kopf. Damals hatte er gesagt, sie sei schön. Aber das hatte er nicht so gemeint, sagte ihr gesunder Menschenverstand. Das war nur ein Teil des grausamen Spiels gewesen, das er mit ihr getrieben hatte, und die Erinnerungen an Eirenne und was dort zwischen ihnen passiert war, weckte man besser nicht.

„Bist du verheiratet? Ist Frobisher der Name deines Manns?“

Die kurzen Fragen überraschten sie. „Nein – ich bin nicht verheiratet. Ich habe immer so geheißen. Meine Mutter hat mir einen Spitznamen gegeben, als ich klein war, aber ich mag meinen richtigen Namen lieber. Und ich habe den Nachnamen meines Vaters bekommen, auch wenn Tina nie mit ihm verheiratet war. Sie haben sich getrennt, als ich ein paar Monate alt war, und er hat sich geweigert, sie oder mich zu unterstützen.“

Dimitris Gesicht wurde hart, als sie von ihrer Mutter sprach. „Überrascht mich nicht, dass dein Vater einer auf der langen Liste ihrer Liebhaber war. Du hast Glück, dass sie sich an seinen Namen erinnert hat.“

„Das musst du gerade sagen“, schoss Louise sofort zurück.

Zugegeben, Tina war nicht gerade die beste Mutter der Welt gewesen. Den größten Teil ihrer Kindheit war Louise in verschiedenen Internaten untergebracht, während ihre Mutter mit dem gerade aktuellen Kerl quer durch Europa zog. Aber jetzt war Tina krank, und es spielte keine Rolle mehr, dass Louise sich als Kind oft so gefühlt hatte, als wäre sie nur ein Störfaktor in Tinas umtriebigem Leben. Das Wort Krebs löste auch heute noch Furcht aus, trotz aller medizinischer Fortschritte. Und die Vorstellung, ihre Mutter zu verlieren, hatte Louise bewusst gemacht, wie viel Tina ihr trotz allem bedeutete.

„Nach dem, was man liest und hört, hast du einen beträchtlichen Verschleiß an schönen Frauen, die auf milliardenschwere Playboys stehen. Ich habe akzeptiert, dass meine Mutter nicht perfekt ist, aber bist du denn besser, Dimitri?“

„Ich zerstöre keine Ehen“, entgegnete er barsch. „Ich habe nie jemandem die Partnerin weggenommen oder eine perfekte, glückliche Beziehung kaputtgemacht. Deine Mutter aber hat meiner das Herz gebrochen.“

Seine bitteren Worte trafen Louise hart. Und auch wenn sie keinen Grund hatte, sich schuldig zu fühlen, wünschte sie sich zum wohl millionsten Mal, ihre Mutter hätte keine Affäre mit Kostas Kalakos gehabt.

„Zu einer Beziehung gehören zwei Menschen“, sagte sie ruhig. „Dein Vater hat sich entschieden, deine Mutter für Tina zu verlassen …“

„Nur, weil die ihn ununterbrochen verfolgt hat und ihn mit jedem Trick aus ihrem bestimmt sehr umfangreichen sexuellen Repertoire verführt hat.“ Dimitris Stimme troff vor Verachtung. „Tina Hobbs hat genau gewusst, wer mein Vater war, als sie ‚zufällig mit ihm zusammengestoßen ist‘ auf dieser Party in Monaco. Das ist keineswegs Zufall gewesen, wie sie dich hat glauben machen. Sie wusste, dass Kostas dort sein würde, und hat sich eine Einladung zur Party erschlichen, einzig und allein in der Absicht, sich einen reichen Liebhaber zu angeln.“

Dimitri versuchte, die Wut in den Griff zu bekommen, die immer noch aufflammte, wenn er an die Geliebte seines Vaters dachte. Beim ersten Blick auf Tina Hobbs hatte er sie durchschaut – sie war nichts als eine geldgierige Hure, die sich wie ein Blutegel an jeden reichen Mann heftete, der dumm genug war, sich von zwei großen Brüsten und dem Versprechen auf ein sexuelles Nirwana verführen zu lassen.

Am meisten hatte ihn die Erkenntnis verstört, dass sein Vater nicht so klug und wundervoll war, wie er immer geglaubt hatte. Das hatte geschmerzt. Er hatte den Respekt für Kostas verloren, der zuvor sein Idol gewesen war. Selbst jetzt noch spürte er einen Knoten in seiner Brust, wenn er sich daran erinnerte, wie seine Illusionen zerbrochen waren.

Seine Wut füllte ihn mit rastloser Energie, und er sprang auf. Louise zog sich sofort Richtung Tür zurück, und Dimitri runzelte die Stirn. Schließlich war es nicht ihr Fehler, dass ihre Mutter eine gierige, manipulative Schlampe war, sagte er sich. Louise war noch ein Kind gewesen, als Tina seinen Vater getroffen hatte – ein linkisches Kind mit Zahnspange und der irritierenden Angewohnheit, auf den Boden zu starren, als ob sie hoffte, ein Loch würde sich auftun, durch das sie verschwinden und unsichtbar werden könnte.

Er hatte ihr kaum Aufmerksamkeit geschenkt, wenn er seinen Vater auf der ägäischen Privatinsel der Familie besuchte und sie mit ihrer Mutter während der Schulferien dort gewesen war.

Es war geradezu ein Schock gewesen, als er dieses letzte Mal auf die Insel gekommen war – nach dem Streit mit seinem Vater – und das Mädchen, das er als Loulou gekannt hatte, dort allein vorfand. Nur war sie kein Mädchen mehr gewesen. Sie war 19 – kurz davor, eine Frau zu werden, und sich ihrer Reize gänzlich unbewusst. Er hatte keine Ahnung gehabt, wann genau sich dieser linkische Teenager in eine wortgewandte, intelligente und wunderschöne Frau verwandelt hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte ihn seine Selbstsicherheit im Stich gelassen, und er hatte nicht gewusst, was er zu ihr sagen sollte.

Er hatte das Problem durch einen Kuss gelöst …

Dimitri zwang seine Gedanken zurück in die Gegenwart. Reisen in die Vergangenheit waren nie eine gute Idee. Doch als er seine unerwartete Besucherin jetzt anstarrte, musste er zugeben, dass in Loulou – oder Louise – das Potenzial, das sie mit 19 gezeigt hatte, voll erblüht war.

Er ließ seinen Blick über sie wandern, musterte ihr langes honigblondes Haar, das ihr herzförmiges Gesicht einrahmte und in einem Wasserfall aus glänzenden Locken bis auf ihren Rücken hinabfiel. Ihre Augen waren von einem dunklen Saphirblau und ihre leuchtend roten Lippen eine ernsthafte Versuchung.

Ein heftiges Verlangen stieg in ihm auf, als er den Blick senkte und dabei bemerkte, wie sich ihre scharlachrote Jacke an die Kurven ihrer Brüste schmiegte und auch ihre schmale Hüfte betonte. Ihr Rock war kurz, und ihre Beine in den hellen Strümpfen waren schlank und lang. Die schwarzen Stöckelschuhe ließen sie mindestens sieben Zentimeter größer erscheinen.

Langsam ließ er seinen Blick wieder nach oben gleiten und auf ihrem Mund verweilen. Die weichen, feuchten Lippen standen leicht offen … Er fühlte, wie er Lust bekam, als er sich vorstellte, ihre Lippen mit seinen zu bedecken und sie zu küssen, so wie er es damals getan hatte.

Louise stockte der Atem. Irgendetwas passierte gerade zwischen Dimitri und ihr – eine seltsame Verbindung ließ die Luft im Zimmer vor Elektrizität knistern. Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Als zöge eine unsichtbare Kraft sie an. Und während sie ihn anstarrte, rauschte das Blut in ihren Ohren, ein Echo ihres fieberhaft schlagenden Herzens.

Beim Betreten seines Büros war ihr erster Gedanke gewesen, dass er sich kein bisschen verändert hatte. Er hielt seinen Kopf immer noch so, als fühlte er sich der ganzen Welt überlegen. Und obwohl er inzwischen in den Dreißigern sein musste, zeigte sich keinerlei Grau in seinem ebenholzschwarzen Haar.

Aber natürlich gab es Unterschiede zu damals. In den vergangenen sieben Jahren war sein glattes, attraktives Aussehen, mit dem er leicht ein Aftershave-Model hätte sein können, etwas rauer geworden. Sein Gesicht war schmaler und härter, die Wangenknochen traten rasiermesserscharf hervor, und sein eckiges Kinn war ein deutliches Zeichen seiner Durchsetzungskraft. Der jungenhafte Charme, an den sie sich erinnerte, war verschwunden.

Jetzt, wo er vor ihr stand, wurde sie sich wieder seiner außergewöhnlichen Größe bewusst. Er musste gut und gerne über zwei Meter groß sein, schätzte sie, er war kräftig gebaut und hatte die fein ausgeprägte Muskulatur eines Athleten. Perfekt geschnittene graue Hosen umschlossen seine schlanke Hüfte, und irgendwann im Laufe des Tages hatte er seinen Schlips abgelegt – der nun über der Rückenlehne seines Stuhls hing. Die oberen Knöpfe seines Hemdes waren geöffnet und enthüllten gebräunte Haut und ein paar dunkle Haare, die, wie sie wusste, seine Brust bedeckten.

Bilder eines jüngeren Dimitri stiegen in ihr auf – wie er am Rand des Pools stand, bei der Villa auf Eirenne, und nichts trug außer einer nassen Badehose, die sich an seine harten Schenkel schmiegte und nichts der Fantasie überließ. Nicht, dass sie es nötig gehabt hätte, ihn sich nackt vorzustellen. Sie hatte jeden Zentimeter seines herrlichen goldgetönten Körpers gesehen. Sie hatte ihn berührt, gestreichelt und gefühlt, wie sein Gewicht sie auf die Matratze presste, während er sich langsam auf sie legte …

„Warum bist du hier?“

Louise war heilfroh über seine abrupte Frage und seufzte.

„Ich muss mit dir reden.“

„Komisch – ich erinnere mich daran, dass ich mal genau das zu dir gesagt habe, aber du hast dich geweigert, mir zuzuhören. Warum sollte ich also jetzt dir zuhören?“

Dass er sich auf ihre gemeinsame Vergangenheit bezog, überraschte Louise. Sie hatte angenommen, er hätte die kurze Zeit, die sie zusammen gewesen waren, längst vergessen. Für sie waren es magische goldene Tage gewesen, aber sie hatte ihm nichts bedeutet – wie sie später herausgefunden hatte.

Mit der Zungenspitze befeuchtete sie ihre trockenen Lippen. „Ich glaube, dich wird interessieren, was ich zu sagen habe. Ich biete Eirenne zum Verkauf an – und ich habe gedacht, du willst die Insel vielleicht haben.“

Dimitri lachte hart auf. „Du meinst, ich soll die Insel zurückkaufen, die meiner Familie 40 Jahre lang gehört hat – bis deine Mutter meinen Vater auf seinem Totenbett davon überzeugt hat, seinen Letzten Willen zu ändern und ihr Eirenne zu hinterlassen? Moralisch gesehen hast du kein Recht, die Insel zu verkaufen. Und auch sonst hast du kein Recht dazu. Die Insel gehört Tina.“

„Nun, legal gesehen bin ich jetzt die Eignerin. Meine Mutter hat alle Rechte auf mich übertragen lassen, und daher kann ich mit Eirenne tun, was ich will – wobei Tina mit dem Verkauf einverstanden ist.“

Immerhin entsprach der erste Teil davon der Wahrheit. Ihr Buchhalter hatte ihre Mutter davon überzeugt, aus Steuergründen die Insel ihrer Tochter zu übertragen. Aber Louise hatte Eirenne nie wirklich als ihr Eigentum gesehen. Die Insel zu verkaufen, war nur das letzte Mittel, um das Geld aufzutreiben, das Tina in den USA die lebensrettende medizinische Behandlung ermöglichte. Sie hatte ihren Entschluss nicht mit ihrer Mutter abgesprochen, die ohnehin so krank war, dass sie sich auf nichts weiter konzentrieren konnte, als jeden Tag nur irgendwie zu überstehen. Tinas Überlebenschancen waren gering, aber Louise war entschlossen, dafür zu sorgen, dass sie eine Chance bekam.

Sie hielt Dimitris Blick stand, wollte sich von seiner Aggressivität nicht einschüchtern lassen. „Der Wert der Insel wurde auf drei Millionen Pfund geschätzt. Ich würde sie dir für eine Millionen überlassen.“

„Warum?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Weil ich schnell verkaufen muss.“

Dass sie sich nie mit der Tatsache angefreundet hatte, dass Kostas Kalakos die Insel ihrer Mutter anstatt seiner Familie hinterlassen hatte, sagte sie ihm nicht.

„Ich weiß, dass du meiner Mutter die Insel kurz nach Kostas Tod abkaufen wolltest und sie abgelehnt hat. Jetzt gebe ich dir die Chance, sie wiederzubekommen.“

Dimitri schnaufte. „Lass mich raten. Tina hat dem Verkauf von Eirenne zugestimmt, weil sie alles Geld, das mein Vater ihr hinterlassen hat, ausgegeben hat und nun ihren letzten Wertgegenstand zu Geld machen will.“

Seine Worte waren empfindlich nah an der Wahrheit. Seit Kostas Tod hatte ihre Mutter einen extravaganten Lebensstil gepflegt und den Warnungen ihrer Bank, dass sich ihre Erbschaft allmählich dem Ende neigte, keinerlei Beachtung geschenkt.

„Ich werde die Gründe für den Verkauf nicht mit dir diskutieren. Aber wenn du mein Angebot ablehnst, werde ich Eirenne auf dem Markt anbieten, und mir wurde versichert, dass die Insel jede Menge interessierte Käufer anlocken würde.“

„Interesse, vielleicht. Aber, nur für den Fall, dass du es nicht bemerkt hast, die Welt befindet sich mitten in einer Wirtschaftskrise, und ich bezweifle einen schnellen Verkauf. Für die Tourismusbranche ist Eirenne zu klein, um sie als Feriendomizil zu entwickeln – zum Glück.“

Dimitris Worte bestätigten, was ihr schon der Makler gesagt hatte. „Eine Privatinsel zu kaufen, ist für die meisten Leute im Moment keine Priorität. Selbst Milliardäre sind in diesen wirtschaftlich unsicheren Zeiten vorsichtig, und es könnte Monate dauern, bis ein Käufer ein Angebot macht.“

Panik machte sich in Louise breit. Ihre Mutter hatte keine Monate.

Dimitri betrachtete Louise abschätzend, seine Neugier war geweckt, als alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. Sie schützte Selbstbewusstsein vor, aber er spürte ihre Verwundbarkeit, die ihn an die junge Frau erinnerte, die er vor sieben Jahren gekannt hatte.

Sie studierte im ersten Semester an der Uni, hatte gerade ihre ersten Schritte hinaus in die Welt gemacht und sprudelte über vor Enthusiasmus und Lebensfreude. Ihre Leidenschaft, insbesondere für die Kunst, hatte ihn in den Bann gezogen. Obwohl gerade mal in den Zwanzigern, war er bereits übersättigt gewesen von der Menge kultivierter, etablierter Damen, die bereitwillig in sein Bett kamen. Er fand es ermüdend. Doch Loulou, die er in diesem Frühling auf Eirenne angetroffen hatte, war anders gewesen als jede Frau, der er bis dahin begegnet war.

Ihre für ihn unerwartete Reife hatte ihn fasziniert, und sie hatten sich stundenlang unterhalten. Kein zielloser Small Talk, wirklich interessante Gespräche. Wie die Tage so verstrichen waren, hatte er erkannt, dass er ihre Freundschaft und Ehrlichkeit ebenso schätzte, wie ihre Schönheit ihn betörte. Denn diese Schönheit kam von innen.

Er hatte geglaubt, etwas Besonderes gefunden zu haben – jemand Besonderen. Aber das war ein Irrtum gewesen.

Dimitri schüttelte sein leichtes Bedauern ab, als auch er die Tür zu seinen Erinnerungen zuschlug.

„Da steckt doch mehr dahinter. Warum willst du die Insel unter Wert verkaufen?“

Als sie keine Antwort gab, zuckte er mit den Schultern. „Danke für das Angebot, aber ich bin an Eirenne nicht mehr interessiert. Da lauern zu viele Erinnerungen, die ich lieber vergessen möchte.“

Legte er es darauf an, sie zu verletzen? Natürlich könnte er sich auf die Affäre seines Vaters mit ihrer Mutter beziehen. Kostas hatte Dimitris Mutter verlassen, um mit Tina auf Eirenne zu leben. Aber irgendwie wusste sie, dass er über andere, persönlichere Erinnerungen gesprochen hatte – über die wenigen wundervollen Tage, die sie zusammen verbracht hatten, und über diese eine unglaubliche Nacht.

Dimitri warf einen Blick auf seine Uhr. „Deine drei Minuten sind um. Einer meiner Sicherheitsleute wird dich vom Gelände begleiten.“

„Nein … Warte!“ Geschockt von seiner abrupten Verabschiedung stürzte Louise vor und streckte eine Hand aus, wollte ihn daran hindern, nach dem Telefonhörer zu greifen. Dabei berührten ihre Finger seine, der kurze Kontakt war wie ein Elektroschock. Louise keuchte auf und zog eilig ihre Hand zurück.

Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Wenn Dimitri Eirenne nicht kaufen wollte, könnte sie die Insel zu demselben Unterwertpreis auf den Markt bringen, den sie ihm genannt hatte. Aber auch das war keine Garantie für einen schnellen Verkauf, und für Tina wurde die Zeit knapp.

Sie sah noch das ausgezehrte Gesicht ihrer Mutter vor sich, als sie diese das letzte Mal besucht hatte. Der leuchtende Lippenstift, den Tina immer noch jeden Tag mit der Hilfe einer Krankenschwester auftrug, hatte wie ein greller Schlitz auf ihrer grauen Haut gewirkt.

„Ich habe Angst, Loulou“, hatte Tina gewispert, als Louise sie geküsst hatte, an dem Tag, bevor sie nach Griechenland geflogen war.

„Alles wird gut werden – das verspreche ich dir.“

Und dieses Versprechen werde ich halten, schwor sich Louise. Irgendwie musste sie genug Geld aufbringen, damit Tina diese Behandlung in den USA bekommen konnte. Und die beste Chance dafür bestand darin, Dimitri davon zu überzeugen, die Insel zurückzukaufen. Tief in ihrem Herzen glaubte sie, dass sie ohnehin ihm gehörte.

Darum hatte sie ihm Eirenne unter Wert angeboten. Sie fühlte sich zerrissen zwischen dem Wunsch, ihrer Mutter zu helfen, und Dimitri gegenüber fair zu bleiben. Die Summe, die sie ihm genannt hatte, würden Tinas Behandlungskosten in der Spezialklinik in Massachusetts decken, und Tina genug übrig lassen, um nach ihrer Genesung davon zu leben.

Louise musste einfach daran glauben, dass es gut ausgehen würde. Sie weigerte sich, an die Möglichkeit zu denken, dass Tina nicht überleben könnte. Aber Dimitris Erklärung, er sei an der Insel nicht länger interessiert, war ein harter Dämpfer für ihre Hoffnungen.

2. KAPITEL

„Ich habe angenommen, du würdest diese Chance sofort ergreifen.“ Louise betete, dass Dimitri die Verzweiflung in ihrer Stimme nicht hörte. „Ich erinnere mich noch daran, wie du mir erzählt hast, wie viel dir Eirenne bedeutet, weil du als Kind dort so glückliche Zeiten verbracht hast.“

„Ja, das waren glückliche Zeiten – für mich, meine Schwester und meine Eltern. Wir haben jeden Urlaub auf Eirenne verbracht. Bis deine Mutter meine Familie zerstört hat. Und jetzt besitzt du die Unverfrorenheit, mir zum Kauf anzubieten, was mir hätte gehören sollen? Mein Vater hatte kein Recht, unsere Insel dieser Hure zu überlassen. Ich nehme an, du würdest Tina den Erlös geben, damit sie weiterhin ihr extravagantes Leben finanzieren kann?“

Sein Mund verzog sich verächtlich. „Hältst du mich wirklich für so einen Trottel? Warum schlägst du ihr nicht vor, sich einen neuen, reichen Liebhaber zu suchen? Oder zu tun, was jede anständige Person tun würde, sich einen Job zu suchen? Das wäre mal was ganz Neues“, höhnte er. „Eine Tina, die für ihren Lebensunterhalt arbeitet. Obwohl sie vermutlich argumentieren würde, dass flach auf dem Rücken zu liegen eine Form von Arbeit ist.“

„Halt den Mund!“ Das niederträchtige Bild, das er von ihrer Mutter zeichnete, zerriss Louise das Herz – nicht zuletzt, weil sie zugeben musste, dass ein Körnchen Wahrheit in seinen Worten steckte. Tina hatte nie gearbeitet. Sie hatte sich unverfroren von ihren Liebhabern aushalten lassen – bis ihr ein noch reicherer Mann über den Weg lief.

Aber sie war ihre Mutter, inklusive all ihrer Fehler, und sie lag im Sterben. Louise weigerte sich, Tina zu kritisieren oder Dimitri zu gestatten, sie zu beleidigen.

„Ich habe es dir bereits gesagt – ich bin die rechtmäßige Besitzerin von Eirenne, und ich verkaufe die Insel, weil ich Kapital brauche.“

„Willst du damit sagen, das Geld sei für dich? Warum brauchst du eine Million Pfund?“

„Warum braucht man Geld? Von irgendwas muss man bekannterweise leben.“

Sie berührte den Fleur-de-Lys-Anhänger ihrer Großmutter. Selbst den hatte sie von einem Juwelier schätzen lassen, hatte daran gedacht, ihn zu verkaufen, um das Geld für Tinas Behandlung zusammenzubekommen. Doch der Verkauf hätte nur einen winzigen Teil der medizinischen Kosten gedeckt, und auf den Rat des Juweliers hin hatte sie beschlossen, ihr einziges Andenken an ihre Großmutter zu behalten.

Unter Dimitris hartem Blick errötete sie. Die Verachtung in seinen Augen war wie ein Messerstich. Aber sie musste ihn davon überzeugen, dass sie die Insel zu ihrem eigenen Nutzen verkaufte. Sie log ja nur ein bisschen, bestärkte sie sich. Sie gab Dimitri die Chance, die Insel zu kaufen, die mal seiner Familie gehört hatte. Und das zu einem Schnäppchenpreis. Es ging ihn nichts an, wofür sie den Erlös verwenden würde.

„Soweit ich mich an Eirenne erinnere, ist es ein hübsches Fleckchen Erde, aber mir ist Bargeld lieber als ein Haufen grauer Steine irgendwo im Meer“, sagte sie.

Dimitri fühlte sich, als senke sich ein bleischweres Gewicht auf ihn. Es war dumm, enttäuscht zu sein, weil Louise sich ebenso entwickelt hatte wie ihre Mutter.

Vor sieben Jahren hätte er geschworen, Louise sei anders als Tina, aber das war sie eindeutig nicht. Sie wollte leichtes Geld. Ihre ganze Erscheinung – Designerkleidung, perfektes Haarstyling und Make-up – deutete auf ihren exklusiven Geschmack hin. Ihre Halskette war kein billiger Modeschmuck. Diamanten, die so strahlend funkelten, waren ein Vermögen wert.

Dimitri runzelte die Stirn, als sich der Gedanke in seinen Kopf stahl, ein Mann könne ihr all das finanziert haben – dafür, dass sie mit ihm schlief. Ihre Mutter hatte eine Karriere daraus gemacht, sich an reiche Männer zu klammern, und ihm wurde schlecht, wenn er daran dachte, dass Louise vielleicht dasselbe tat.

Vor sieben Jahren war sie so unschuldig gewesen, erinnerte er sich. Nicht sexuell – obwohl er vermutet hatte, dass sie nicht sehr erfahren war, als er sie mit in sein Bett genommen hatte. Zuerst schien sie etwas schüchtern zu sein, ein wenig zögerlich, aber dann hatte sie auf ihn mit solch glühender Leidenschaft reagiert, dass er nicht länger glauben konnte, ihr erster Liebhaber zu sein.

Der Sex mit ihr war atemberaubend gewesen. Und auch jetzt noch zog sich alles in ihm zusammen, wenn er daran dachte, wie ihre schlanken Glieder ihn umfangen hatten, sich an die zarten und wonnevollen Aufschreie erinnerte, die sie ausgestoßen hatte, als er jede Stelle ihres Körpers küsste und ihre Schenkel sanft auseinandergedrückt hatte, damit er seinen Mund auf ihr süßes weibliches Herz pressen konnte.

Ihr weltfremdes Verhalten ist nur Show gewesen, dachte Dimitri grimmig, als er sich zwang, den Blick von ihr abzuwenden und aus dem Fenster zu blicken. Sie war ganz eindeutig die Tochter ihrer Mutter.

Warum also fühlte er sich so stark zu ihr hingezogen? Die Frage schien ihn zu verspotten, denn so sehr er auch hasste, es zuzugeben, er hatte ein überwältigendes Bedürfnis, Louise in die Arme zu reißen. Zudem spürte er ein Ziehen in der Leistengegend bei der Vorstellung, sie zu küssen, mit seiner Zunge über ihre rot glänzenden Lippen zu fahren und in ihren Mund einzudringen, während er eine Hand unter ihren Rock schob.

Gamoto!, fluchte er still. Das Mädchen Loulou von damals gehörte der Vergangenheit an. Vielleicht hatte sie, außer in seiner Vorstellung, nie existiert. Er hatte gedacht, sie sei etwas Besonderes, doch da hatte er sich offenbar etwas vorgemacht.

Die Frau, die hier in seinem Büro vor ihm stand, war schön und begehrenswert – und er war ein heißblütiger Mann. Aber Louise war für ihn aus vielerlei Gründen tabu – nicht zuletzt, weil sie seiner Vergangenheit angehörte und er keinerlei Wunsch hatte, diese zu wiederholen.

Zuversichtlich, dass er seine Libido erneut unter Kontrolle hatte, drehte er sich um und betrachtete Louise leidenschaftslos. Als sie ihm Eirenne zum Kauf angeboten hatte, wollte er ihr als erste instinktive Reaktion sagen, sie solle sich zum Teufel scheren. Aber jetzt meldete sich sein Geschäftssinn und flüsterte ihm zu, dass es verrückt wäre, das Angebot abzulehnen. Die Insel war locker das Doppelte von dem wert, was Louise forderte. Er fragte nicht, warum sie so weit unter Wert verkaufen wollte, und ehrlich gesagt, kümmerten ihn ihre Gründe auch nicht.

„Ich brauche ein wenig Zeit, ich muss erst darüber nachdenken“, sagte er abrupt.

Louise wagte kaum zu atmen, aus Angst, sie hätte nicht richtig gehört oder ihn missverstanden, und der winzige Hoffnungsschimmer, den er anzubieten schien, würde ihr sogleich wieder aus den Händen gerissen.

„Wie viel Zeit?“ Sie wollte ihn nicht bedrängen, aber Tina musste die Behandlung so schnell wie möglich bekommen.

„Drei Tage. Ich werde dich in deinem Hotel kontaktieren. Wo übernachtest du?“

„Nirgendwo. Ich bin gestern Abend angekommen und werde heute wieder abfliegen. Ich kann nicht allzu lange von zu Hause wegbleiben.“

Warum nicht?, fragte sich Dimitri. Lebt sie mit einem Liebhaber zusammen, der sie jede Nacht in seinem Bett haben will? Hatte der ihr den Diamantanhänger gekauft, der auf ihrer cremefarbenen Haut funkelte? Hitze stieg in ihm auf – eine unerklärliche Wut, die sein Blut zum Kochen brachte. Aber es ging ihn nichts an, wie Louise ihr Leben lebte. Es kümmerte ihn nicht im Geringsten, wenn sie eine Armee von Liebhabern hätte.

„Gib mir einfach deine Kontaktdaten“, wies er sie knapp an und reichte ihr Notizblock und Stift von seinem Schreibtisch.

Louise schrieb schnell etwas auf und gab Dimitri den Block zurück. Er warf einen Blick auf die Adresse, und neuer Ärger flammte in ihm auf. Wohnungen im Zentrum von Paris waren teuer. Das wusste er, weil er vor ein paar Jahren ein Gebäude auf der Rue de Rivoli gekauft hatte.

Sie konnte einen gut bezahlten Job haben, argumentierte sein Verstand. Er sollte nicht einfach annehmen, dass sie sich von einem Mann aushalten ließ, nur weil ihre Mutter das getan hatte. Andererseits hatte sie ihm gesagt, dass sie Eirenne verkaufen wolle, weil sie Geld brauchte. War also ein reicher Liebhaber ihrer überdrüssig geworden? Sie würde einen verdammt guten Job haben müssen, damit sie sich eine Wohnung mit so einer erstklassigen Adresse nahe der Champs-Elysées leisten konnte.

Zornig von den Gedanken, die in seinem Kopf kreisten – noch dazu Gedanken über eine Frau, an der er nicht im Geringsten interessiert war –, stürmte Dimitri quer durch sein Büro und riss die Tür auf.

„Ich melde mich.“

Offensichtlich war ihr Meeting beendet. Die nächsten drei Tage würden ihr wie eine Ewigkeit vorkommen, aber sie konnte jetzt nichts anderes mehr tun, als Dimitris Entscheidung abzuwarten.

„Danke.“ Ihre Stimme klang eingerostet, und ihre Beine fühlten sich wacklig wie die eines neugeborenen Fohlens an, als sie sein Büro verließ. Als sie an ihm vorbeiging, nahm sie den Duft seines Eau de Cologne wahr, vermischt mit einem subtil männlichen Geruch, der ihr auch nach all diesen Jahren noch schmerzhaft vertraut war. Sie zögerte, überwältigt von dem verrückten Verlangen, ihre Arme um ihn zu schlingen, den Kopf an seine Brust zu betten, damit sie seinem Herzschlag lauschen könnte, dicht neben ihrem, so wie es sie vor all jener Zeit getan hatte.

Unbewusst befeuchtete sie ihre Lippen mit der Zungenspitze.

Dimitris Augen wurden schmal. Theos, was war sie doch für eine Verführerin – und er war nur ein gewöhnlicher Sterblicher mit einem gesunden, sexuellen Verlangen.

Einen Herzschlag lang hätte er fast dem Verlangen nachgegeben, sie zurückzuholen, die Tür zu schließen und Louise dagegen zu drücken, damit er sich gegen sie pressen und an ihr reiben konnte. Es war lange her, dass er so ein drängendes, beinahe urtümliches Verlangen nach einer Frau gespürt hatte. Er war stolz darauf, immer die Kontrolle zu behalten, immer kühl und gefasst aufzutreten. Doch jetzt fühlte er sich ganz und gar nicht kühl. Flüssige Hitze schien durch seine Adern zu strömen. Und während er in Louises Augen schaute, wurde jeder vernünftige Gedanke von einem Verlangen zurückgedrängt, das so stark war, dass es ihn all seine nicht unbeträchtliche Willensstärke kostete, ihm nicht nachzugeben.

„Antio.“ Er verabschiedete sie kurz angebunden und mit zusammengebissenen Zähnen.

Der Klang von Dimitris Stimme brach den Bann. Louise riss ihren Blick von ihm los. Sie bemerkte, dass sie die Luft angehalten hatte, und atmete zitternd aus. Sie befahl ihren Füße weiterzugehen, und sobald sie den Flur betreten hatte, hörte sie das Zuschlagen der Tür.

Ein paar Sekunden lang lehnte sie sich gegen die Wand und sog gierig Luft ein, während ihr Herz gegen ihre Rippen hämmerte. Er ist nur ein Mann, rief sie sich zur Ordnung. Sicher, er sah gut aus, aber sie hatte schon andere attraktive Männer getroffen und sich nicht so gefühlt, als hätte sie einen Schlag in den Solarplexus bekommen.

Keiner der anderen Männer war so umwerfend sexy wie Dimitri, stichelte eine innere Stimme. Kein anderer Mann hatte ihre Beine in Gelee verwandelt und schockierende, erotische Fantasien in ihr geweckt, die ihre Wangen zum Glühen brachten, während sie zum Fahrstuhl eilte. Vor sieben Jahren war sie von Dimitri völlig überwältigt gewesen, und sie stellte bestürzt fest, dass sich daran nichts geändert hatte.

Dimitri ging zurück zu seinem Schreibtisch und trommelte mit den Fingern auf dem glatt polierten Holz herum. Er konnte den erleichterten Ausdruck in Louises Augen nicht vergessen, als er gesagt hatte, er würde über den Kauf der Insel nachdenken. Vielleicht hatte sie Schulden und brauchte daher schnell Geld. Das würde auch erklären, warum sie nicht erst auf einen Käufer warten konnte, der bereit wäre, den vollen Preis für Eirenne zu bezahlen.

Er ließ sich in seinen Stuhl fallen und starrte auf den Computerbildschirm, aber er konnte sich nicht länger konzentrieren, und seine Laune war mies. Fluchend gab er die Arbeit am Finanzbericht auf, schnappte sich den Telefonhörer und rief einen Privatermittler an, dessen Dienste er gelegentlich in Anspruch nahm.

„Ich möchte, dass Sie eine Frau namens Louise Frobisher überprüfen – ich habe eine Pariser Adresse von ihr. Die üblichen Informationen. Wo sie arbeitet …“ Falls sie arbeitet, dachte er bei sich. „… wer ihre Freunde … Liebhaber … sind. Ich will Ihren Bericht in 24 Stunden.“

Mitternacht war bereits vorbei, als Louise wieder in ihrer Pariser Wohnung in Châtelet-Les-Halles ankam. Idealerweise lag sie nah am Louvre, sodass Louise zur Arbeit laufen konnte. Seit vier Jahren war sie hier zu Hause, und sie stieß einen tiefen Seufzer aus, als sie durch die Eingangstür trat. Ihre Wohnung lag im 6. Stock, im Dachgeschoss des Hauses. Die schräg abfallende Decke ließ die enge Wohnfläche noch kleiner erscheinen, als sie ohnehin war, aber der Blick über die Stadt von ihrem kleinen Balkon aus war wunderbar.

Allerdings war der Ausblick wirklich das Letzte, was sie gerade beschäftigte. Sie ließ den Koffer im Flur stehen und zog die Schuhe aus. Die vergangenen 48 Stunden – in denen sie nach Athen und zurück geflogen war und dieses emotionale Treffen mit Dimitri gehabt hatte – waren mehr als erschöpfend gewesen.

Als sie das Wohnzimmer betrat, streckte sich ihre siamesische Katze Madeleine, voller Eleganz, bevor sie von einem Kissen auf der Fensterbank zu Boden sprang.

„Schau mich nicht so an“, murmelte Louise und hob die Katze hoch. Madeleine fixierte sie vorwurfsvoll aus schrägen lapislazuliblauen Augen. „Du bist nicht im Stich gelassen worden. Benoit hat versprochen, dich zweimal am Tag zu füttern, und ich wette, er hat einen richtigen Wirbel um dich gemacht.“

Ihr Nachbar, der in der Wohnung unter ihr lebte, war in letzter Zeit eine große Hilfe gewesen. Er hatte angeboten, Madeleine zu füttern, während Louise Zeit bei Tina im Krankenhaus verbrachte. Sie würde ihre Mutter morgen nach der Arbeit besuchen. Jetzt sollte sie erst einmal etwas essen, das wusste sie, aber ihr Hunger war ebenso nicht vorhanden, wie ihr Kühlschrank leer war. Eine schnelle Dusche und ihr Bett lockten sie, und so schlüpfte sie eine halbe Stunde später unter die frisch gewaschenen Laken und protestierte nicht einmal pro forma, als Madeleine auf die Bettdecke sprang und sich in Louises Kniekehlen kuschelte.

Eigentlich hätte sie schnell einschlafen müssen, aber die Gedanken, die ihr durch den Kopf jagten, hielten sie davon ab. Dimitri wiederzusehen war sehr viel schmerzhafter gewesen, als sie zuvor gedacht hatte. Es ist sieben Jahre her, erinnerte sie sich verärgert. Sie sollte längst über ihn hinweg sein – sie war über ihn hinweg. Und was war da überhaupt schon gewesen, worüber man hinwegkommen müsste? Die kurze Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, konnte man kaum eine Beziehung nennen.

Aber wie sie so in ihrem Bett lag und die silbernen Streifen des Mondlichts betrachtete, die durch die Lücken zwischen den Vorhängen ins Zimmer fielen, konnte sie ihre Erinnerungen nicht länger zurückdrängen.

Sie war in den Osterferien nach Eirenne gekommen. Ihre Freunde von der Uni hatten sie überreden wollen, in Sheffield zu bleiben. Doch sie musste für einige Examen büffeln, und sie wäre wohl kaum zum Lernen gekommen, denn ihre Mitbewohnerinnen veranstalteten jede Nacht Partys. Außerdem wollte sie ihren 19. Geburtstag mit ihrer Mutter verbringen.

Aber als sie auf der Insel ankam, machten sich Tina und Kostas gerade für eine Reise nach Dubai bereit. Es war nicht das erste Mal, dass Tina ihren Geburtstag vergessen hatte, und Louise machte sich gar nicht erst die Mühe, ihre Mutter daran zu erinnern. Wenigstens würde sie so ihr Pensum für die Uni erledigen können, tröstete sie sich. Aber einsam hatte sie sich doch gefühlt, so ganz allein auf Eirenne und in der Villa, in der außer ihr nur das Personal anwesend war. Sie vermisste ihre Kommilitonen.

Eines Nachmittags entschloss sie sich, gelangweilt vom Lernen, eine Erkundungstour mit dem Fahrrad zu machen. Eirenne war eine kleine Insel, aber bei ihren vorherigen Besuchen hatte sie sich nie weit vom Gelände der opulenten Villa entfernt, die Kostas für seine Geliebte gebaut hatte.

Die Straße, die einmal rund um die Insel führte, war kaum mehr als ein steiniger Feldweg. Louise wich sorgsam allen Schlaglöchern aus, als plötzlich ein Motorrad um eine Kurve schoss und abrupt ausscherte, um sie nicht umzureißen. In ihrer Panik verlor sie das Gleichgewicht und stürzte, dabei kratzte sie sich an dem rauen Boden den Arm auf.

Theos, warum hast du nicht aufgepasst, wo du lang fährst?“

Die verärgerte Stimme erkannte sie sofort, auch wenn sie Kostas’ Sohn Dimitri nur ein paar Mal zuvor getroffen hatte, wenn er zufällig seinen Vater besuchte, während sie auf Eirenne war. Sie hatte sich nie länger mit ihm unterhalten, nur oft die Streits zwischen Vater und Sohn über Kostas’ Beziehung zu Tina mit angehört.

„Du hast mich fast umgefahren“, verteidigte sie sich, und ihr Ärger wuchs, als er sie unsanft am Arm packte und hochzog. „Du Verkehrsrowdy! Wirklich ein toller Geburtstag“, fügte sie mürrisch hinzu. „Wäre ich bloß in England geblieben.“

Einen Moment lang verdunkelten sich seine ungewöhnlichen Augen. Doch dann warf er den Kopf zurück und lachte.

„Du kannst also doch sprechen? Du hast immer so sprachlos gewirkt, wenn ich dich gesehen habe.“

„Vermutlich denkst du jetzt, ich wär überwältigt von dir“, sagte sie und wurde rot. Um nichts in der Welt würde sie zugeben, dass sie für ihn schwärmte, seit sie 16 war.

Er blickte auf sie hinunter, und die Augen in dem attraktiven Gesicht glitzerten amüsiert. „Und? Bist du überwältigt, Loulou?“

„Natürlich nicht. Ich bin sauer. Dank dir hat mein Rad eine Reifenpanne. Und ich werde einen hinreißenden blauen Fleck auf der Schulter bekommen.“

„Du blutest“, sagte er, als er die Verletzung an ihrem Arm bemerkte. „Komm mit zurück zum Haus, und ich versorg diesen Kratzer und reparier deinen Reifen.“

„Aber zur Villa Aphrodite geht’s hier lang“, sagte sie verwundert, als er sich in die entgegengesetzte Richtung wandte. „Wo bist du überhaupt untergebracht? Ich habe dich noch gar nicht gesehen. Ich dachte, Kostas hat dich nach eurem letzten Streit aus der Villa verbannt.“

„Passt mir nur zu gut, nie wieder einen Fuß in diese Monstrosität zu setzen, die mein Vater für seine Mätresse gebaut hat.“ Wieder klang Dimitri wütend. „Ich wohne in dem alten Haus meines Großvaters. Er hat es Iremia genannt, was so viel wie Ruhe bedeutet. Aber die Insel ist kein ruhiger Ort mehr, seit deine Mutter hierhergekommen ist.“

Er ließ sein Motorrad am Wegrand stehen und schob Louises Fahrrad. Sie folgte ihm schweigend, eingeschüchtert von der starren Haltung seiner Schultern. Aber sein Ärger hatte sich verzogen, als sie beim Haus ankamen, und er war ganz der höfliche Gastgeber, bat sie herein und wies den Butler an, ihnen Getränke auf die Terrasse zu bringen.

Das Haus schmiegte sich in eine Senke, umgeben von Pinien und Olivenhainen, verborgen von allen Blicken. Daher war es nicht überraschend, dass es Louise nie zuvor aufgefallen war. Anders als die ultramoderne, und in Louises Augen unattraktive Villa Aphrodite, war Iremia ein wunderschönes altes Haus in klassischem Stil, mit korallenfarbenen Mauern und cremefarbenen Fensterläden aus Holz. Die umliegenden Gärten waren gepflegt, und zwischen den Bäumen funkelte das kobaltblaue Meer.

„Halt still, dann desinfiziere ich die Wunde an deinem Arm“, wies Dimitri sie an, nachdem er sie hinaus auf die Terrasse geführt und ihr eine Sonnenliege angeboten hatte.

Seine Berührung war leicht und löste doch einen sanften Schauer in Louise aus, als sie seine Hände auf ihrer Haut spürte. Sein dunkler Kopf beugte sich nah zu ihrem, und sie nahm nur zu deutlich sein Aftershave wahr, unter das sich ein anderer subtil maskuliner Geruch mischte, der ihr Herz wie verrückt pochen ließ.

Dimitri schaute auf und begegnete ihrem Blick. „Ich habe dich kaum erkannt“, sagte er, und sein Lächeln stellte seltsame Dinge mit ihr an. „Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du das sprichwörtliche hässliche Entlein.“

„Danke“, murmelte sie sarkastisch und wurde rot, als sie an die auffällige Zahnspange dachte, die sie jahrelang getragen hatte. Zum Glück waren ihre Zähne mittlerweile perfekt gerade und weiß.

Als Teenager hatte sie in ihrer Entwicklung immer hinterhergehinkt und war über ihre jungenhafte Figur in Verzweiflung geraten, aber im letzten Jahr hatte sie endlich die weiblichen Kurven bekommen, nach denen sie sich so gesehnt hatte. Trotzdem war es mit ihrem Selbstbewusstsein nicht weit her, und Dimitris Kommentar schmerzte. Sie versuchte, sich ihm zu entwinden, doch statt ihren Arm freizugeben, strich er mit seinen Fingern bis hinauf zu ihrem Hals und legte sie auf den Puls, der dort hektisch schlug.

„Jetzt hast du dich in einen Schwan verwandelt“, sagte er sanft. „Ise panemorfi – du bist wunderschön“, übersetzte er, obwohl das gar nicht nötig war. Sie sprach fließend Griechisch.

So hat es angefangen, dachte Louise und wandte den Kopf auf dem Kissen rastlos von einer Seite zur anderen. In diesem Moment, als sie in Dimitris Augen geblickt hatte und zu der erstaunlichen Erkenntnis gelangt war, dass er sie begehrte. Das war der Anfang der wenigen goldenen Tage gewesen, in denen sie Freunde geworden waren, während die Gefühle zwischen ihnen immer stärker wurden.

Als Dimitri erfuhr, dass sie ihren Geburtstag ganz allein verbrachte, bestand er darauf, sie auf die Nachbarinsel Andros zum Abendessen auszuführen, die nur einen kurzen Bootstrip von Eirenne entfernt lag. Es wurde ein magischer Abend, und zum Schluss, als er sie zurück zur Villa Aphrodite brachte, hatte er sie geküsst. Nur ein ganz kurzer Kuss war es gewesen, nicht mehr als ein hauchzartes Streifen seiner Lippen über ihre, aber in ihr war ein Feuerwerk explodiert. Und sie hatte ihn völlig benommen angeschaut, ihr Herz hatte geklopft, voller Sehnsucht, dass er sie noch einmal küssen möge.

Aber nichts dergleichen war geschehen. Stattdessen hatte Dimitri ihr eher abrupt eine gute Nacht gewünscht, sodass sie sich fragte, ob er irgendwie verärgert war. Vielleicht bedauert er, mich geküsst zu haben, weil ich die Tochter der Geliebten seines Vaters bin?, dachte sie verzweifelt. Aber am nächsten Morgen kam er wieder, gerade als sie untröstlich am Pool saß und dem nächsten einsamen Tag entgegensah. Er lud sie ein, mit ihm an den Strand zu gehen, und der Tag, der ihr eben noch so trostlos vorgekommen war, wurde mit einem Mal wundervoll.

Sie schwammen und lagen in der Sonne und sprachen über alles und nichts – nur nicht über die Affäre zwischen ihrer Mutter und seinem Vater. Dimitri erwähnte Tina niemals.

Im Verlauf der folgenden Tage schwand Louises Vorsicht Dimitri gegenüber, sie fühlte sich in seiner Gegenwart immer entspannter, und als er sie wieder küsste – richtig dieses Mal – reagierte sie so heftig darauf, dass er aufstöhnte und sie beschuldigte, eine Zauberin zu sein, die ihn mit einem Bann belegt hatte.

Es war ihnen ganz natürlich vorgekommen, als er sie wieder in das Haus im Pinienwald mitnahm und sie liebte, einen ganzen langen, trägen Nachmittag über. Sonnenstrahlen waren durch die Jalousien auf ihre nackten Körper gefallen und hatten sie in goldenes Licht gehüllt. Dimitri war ein so geschickter und sanfter Liebhaber, dass der Verlust ihrer Unschuld ein vollkommen schmerzfreies Erlebnis für sie wurde.

Dimitri hatte nicht gewusst, dass es ihr erstes Mal war, und sie war zu schüchtern gewesen, es ihm zu sagen. Auf das Streicheln seiner Hände und das unglaubliche Gefühl seiner Lippen auf ihren Brüsten, während er an ihren Brustwarzen saugte, bis sie steinhart wurden, reagierte sie mit einer Leidenschaft, die seiner in nichts nachstand. In absoluter Perfektion und Übereinstimmung hatten sich ihre Körper bewegt, bis sie gleichzeitig den Höhepunkt der Sinneslust erreichten.

Sie hatte die ganze Nacht mit ihm verbracht, und jedes Mal, wenn er sie aufs Neue nahm, verliebte sie sich mehr in ihn.

Am nächsten Morgen brachte er sie zurück zur Villa.

„Komm, lass uns im Pool schwimmen gehen“, lud sie ihn ein. „Niemand ist hier.“ Und mit ‚niemand‘ meinte sie ihre Mutter.

Dimitri zögerte. „Na gut –, aber dann gehen wir zurück nach Iremia. Ich hasse dieses Haus. Bestimmt hat sie die Dekoration ausgesucht“, sagte er höhnisch und blickte auf die zebragemusterten Sofas und Säulen aus weißem Marmor, die überall in der Villa zu finden waren. „Das beweist nur, dass keine Summe der Welt guten Geschmack kaufen kann.“

Die Verachtung für ihre Mutter klang so klar aus seiner Stimme, dass Louise sich unwohl fühlte. Doch dann lächelte er sie an, und der unangenehme Moment verging. Sie schwammen eine Weile, und schließlich trug er sie aus dem Pool und bettete sie auf eine Sonnenliege. Gerade hatte sie die Arme um ihn geschlungen und wollte ihn auf sich ziehen – als eine schrille Stimme sie auseinandertrieb.

„Was glaubst du eigentlich, was du hier tust? Nimm deine Hände von meiner Tochter!“

Auch nach all diesen Jahren konnte Louise immer noch hören, wie Tina Dimitri anschrie, während sie auf ihren schwindelerregend hohen Absätzen über die Terrasse stöckelte und vor Wut so sehr zitterte, dass ihre platinblonde aufgetürmte Frisur gefährlich ins Schwanken geriet.

„Schlimm genug, dass Kostas unseren Trip frühzeitig abgebrochen hat, weil er zu irgendeinem geschäftlichen Termin in Athen musste. Aber dich hier zu sehen, wie du dich an Loulou ranmachst, bringt das Fass wirklich zum Überlaufen. Du hast kein Recht, hier zu sein. Dein Vater hat dich aus der Villa verbannt.“

Wag es ja nicht, mir mit Rechten zu kommen.“ Dimitri kochte vor Wut, als er hochsprang und Tina gegenübertrat.

Im folgenden Streit waren viele bösartige Worte gefallen. Louise hatte geschwiegen, aber ihre Mutter hatte mehr als genug gesagt.

„Glaubst du wirklich, ich weiß nicht, was in deinem hässlichen, rachsüchtigen Kopf vorgeht?“, zischte Tina. „Ist doch ganz klar, dass du dich an Loulou ranmachst und sie verführen willst, um mich zu verletzen – aus irgendwelchen verqueren Rachegefühlen wegen deiner Mutter.“

„Das stimmt nicht!“, unterbrach Louise sie verzweifelt. „Das hat nichts mit dir zu tun.“

„Hat es nicht?“ Tina lachte höhnisch. „Dann hat dir Dimitri also alles über seine Mutter erzählt? Dass sie eine Überdosis genommen hat und er mir die Schuld an ihrem Tod gibt? Hat er dir auch erzählt, dass sein Vater ihn enterbt hat, weil er mich immer wieder beleidigt hat?“, fuhr Tina unerbittlich fort. „Oder dass ihn jetzt, wo er kein Vermögen mehr erben wird, die Frau fallen gelassen hat, die er heiraten wollte? Das hier hat allein mit mir zu tun – nicht wahr, Dimitri? Du hasst mich, und du hast dich nur an meine Tochter rangeschlichen, weil du Unruhe stiften willst.“

Angesichts Tinas Beschuldigungen fröstelte Louise. Ihre Mutter war schon immer über alle Maßen theatralisch gewesen, rief sie sich in Erinnerung. Unmöglich, dass Dimitri damals nur geheuchelt hatte, sich von ihr angezogen zu fühlen. Er war so aufmerksam gewesen, und die Leidenschaft zwischen ihnen so intensiv, dass sie sogar angefangen hatte zu glauben – zu hoffen –, er wäre auch in sie verliebt.

„Das ist nicht wahr. Oder?“ Sie drehte sich zu Dimitri, betete darum, dass er Tinas Anschuldigungen bestritt, doch schon bildeten sich Zweifel in ihrem Kopf. Sie hatte ja nicht einmal gewusst, dass seine Mutter gestorben war, ganz zu schweigen von den tragischen Umständen ihres Todes. Nicht einmal in den vergangenen Tagen hatte er davon gesprochen.

Sie hatte geglaubt, dass sie Freunde wären, und jetzt waren sie sogar Geliebte. Doch Dimitri hatte sich in einen Fremden verwandelt, und die Eiseskälte seines Blicks ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.

„Ja, es stimmt.“

Seine harsche Stimme durchbrach die Stille, und wie ein Kieselstein, der in einen Teich geworfen worden war, verursachten seine Worte Schockwellen in der angespannten Atmosphäre.

„Meine Mutter hat sich das Leben genommen, weil es ihr das Herz brach, dass mein Vater sich von ihr scheiden ließ und die Liebe, die sie 30 Jahre lang miteinander geteilt hatten, einfach wegwarf – für eine nichtsnutzige Hure.“

Voller Verachtung starrte er Tina an, drehte sich dann um und ging fort, ohne noch ein Wort zu sagen. Er schaute Louise nicht einmal an, als existierte sie gar nicht. Und sie sah zu, wie er fortging, gelähmt vor Schock. Ihr war übel von der Demütigung und davon, dass sie für ihn nichts weiter als eine Schachfigur gewesen war in seinem Kampf gegen ihre Mutter.

„Jetzt erzähl mir nicht auch noch, dass du dich in ihn verliebt hast“, sagte ihre Mutter, als sie in Louises entsetztes Gesicht blickte. „Um Gottes willen, Lou, bis vor Kurzem war er noch mit Rochelle Fitzpatrick verlobt – diesem hinreißenden amerikanischen Model, das ständig auf den Top-Modemagazinen abgebildet ist. Er war nicht ehrlich an dir interessiert. Wie ich gesagt habe, er will nur Unruhe stiften. Vor einer Weile hat er mit angehört, dass ich Kostas erzählt habe, wie versessen ich darauf bin, dass du eine super Karriere machst“, fuhr Tina fort. „Er hat genau gewusst, wie sehr es mich aufbringen würde, wenn du die Uni verlassen hättest, nur wegen einer Affäre mit ihm. Vermutlich hat er gedacht, wenn er dich mit seiner Schöntuerei einwickeln könnte, dann könnte er dich auch gegen mich aufhetzen. Und natürlich will er letztendlich nur den Bruch zwischen seinem Vater und mir herbeiführen.“

Schonungslos redete Tina weiter und weiter, ohne Louises gequälten Blick zur Kenntnis zu nehmen. „Zum Glück war ich hier, bevor er dich dazu verleiten konnte, mit ihm zu schlafen. Das Personal hat mir schon berichtet, dass er ein paar Tage lang hier herumgehangen hat. Geh zurück an deine Uni und vergiss Dimitri.“ Plötzlich fixierte sie Louise aufmerksam. „Du bist klug. Du kannst was aus deinem Leben machen. Du musst auf keinen Mann setzen. Und wenn du meinem Rat folgst, wirst du dich niemals so verlieben, wie ich mich in deinen Vater verliebt habe. Nach ihm habe ich mir geschworen, mir nie wieder irgendetwas aus irgendeinem Mann zu machen.“

Erschüttert von Tinas Hinweis auf ihren Vater, den sie selbst nie kennengelernt hatte, und traumatisiert von der Szene mit Dimitri, hatte Louise noch in der nächsten Stunde Eirenne verlassen. Sie hatte nicht erwartet, Dimitri noch einmal zu sehen, aber als sie in die Motorbarkasse stieg, die sie nach Athen bringen würde, durchfuhr sie der blanke Schock, als sie ihn den Steg entlanglaufen sah.

„Loulou … warte!“

Er trug ausgeblichene Jeans und ein schwarzes T-Shirt, was seinen unglaublichen Körperbau zur Geltung brachte. Er sah umwerfend aus, und da erst traf sie die Erkenntnis, wie verrückt sie gewesen war zu glauben, er könnte sich zu ihr hingezogen fühlen. Er konnte jede Frau haben, die er wollte, also warum sollte er eine einfache Studentin wollen, deren Aussehen man höchstens als ganz passabel bezeichnen konnte?

Von Selbstzweifeln überwältigt, wies sie den Bootsmann an, den Motor zu starten.

Dimitri begann zu rennen. „Theos! Geh nicht. Ich will mit dir über das reden, was ich in der Villa gesagt habe.“

„Aber ich will nicht mit dir reden“, rief sie. „Du hast dich ja klar genug ausgedrückt.“

Sie fühlte sich wie eine Närrin, aber eher würde die Hölle zufrieren, als dass sie ihn ihr gebrochenes Herz sehen ließ. Der Motor der Barkasse heulte auf und übertönte Dimitris Erwiderung. Er sah wütend aus, als das Boot vom Steg schoss, und schrie ihr irgendetwas hinterher. Aber über dem Brausen des Windes hörte sie seine Worte nicht mehr und redete sich ein, dass sie ihr egal waren, dass sie sowieso nie wieder mit ihm sprechen wollte.

Als sie damals Eirenne verließ, hatte sie noch nicht gewusst, dass sie ein paar Jahre später dringend mit Dimitri reden musste …

Louise warf sich in ihrem Bett hin und her. Sie setzte sich auf, schüttelte ihre Kissen, ließ sich wieder zurückfallen und wünschte sich, ihre Erinnerungen würden sie endlich nicht mehr derart bombardieren. Müdigkeit überfiel sie, und ihr letzter bewusster Gedanke war, dass sie bald würde aufstehen und zur Arbeit gehen müssen.

Sie war zunächst in einen tiefen Schlaf gefallen, aber gegen Morgen kam der Traum. Sie rannte einen langen Flur entlang. Auf beiden Seiten waren Zimmer, wie die eines Krankenhauses, und in jedem Zimmer lag ein Baby in einer Krippe. Aber nie war es ihr Baby. Jedes Mal, wenn sie eins der Zimmer betrat, war sie voller Hoffnung, dieses Mal würde es das richtige Zimmer sein –, aber jedes Mal blickte das Kind einer anderen zu ihr auf.

Sie rannte ins nächste Zimmer, und ins nächste, wurde immer verzweifelter in ihrer Suche nach ihrem Baby. Sie war schon fast am Ende des Flurs. Nur noch ein Zimmer war übrig. Dort musste ihr Kind sein. Aber das Bettchen war leer – und ihr kam die furchtbare Erkenntnis, dass sie ihr Baby niemals finden würde. Ihr Kind war für immer verloren.

Lieber Gott. Louise fuhr hoch und atmete schluchzend, als wäre sie einen Marathon gelaufen. Es war lange her, dass sie diesen Traum zum letzten Mal gehabt hatte. Und er war so real gewesen, dass es sie nicht überraschte, Tränen auf ihren Wangen zu spüren. Noch Monate nach der Fehlgeburt – drei Wochen, nachdem sie wusste, dass sie Dimitris Kind erwartete – hatte sie im Traum nach ihrem Baby gesucht. Und jedes Mal war sie aufgewacht, so wie jetzt, erfüllt von einer dumpfen Trauer über das kleine Leben, das sie nur so kurz in sich getragen hatte.

Dimitri gestern wiederzusehen, hatte Erinnerungen tief aus ihrem Unterbewusstsein geholt. Sie hatte nie jemandem von dem Baby erzählt und war ganz allein mit dem Verlust fertig geworden. Vielleicht hätte es geholfen, wenn sie sich jemandem hätte anvertrauen können. Aber ihre Mutter war ganz und gar mit ihrer Beziehung zu Kostas beschäftigt, und was Dimitri anging – nun, es war vermutlich besser, dass er nie von seinem Kind erfahren hatte.

Zweifellos wäre er schockiert gewesen. Aber sie würde nie wissen, wie er reagiert hätte. Er hatte sich geweigert, mit ihr zu sprechen, als sie endlich allen Mut zusammengenommen und ihn angerufen hatte, um ihm von den Schwangerschaft zu erzählen. Eine Woche später, als er sie doch noch zurückrief, hatte sie ihr Telefon ausgeschaltet. Es war ihr sinnlos vorgekommen, ihm vom Verlust des Babys zu erzählen. Damals war ihr fast alles sinnlos vorgekommen. Die Wochen und Monate nach der Fehlgeburt waren voller Verzweiflung und Trostlosigkeit gewesen, und sie hatte nur im Bett bleiben und sich vor aller Welt verstecken wollen.

Sie hatte sich eingeredet, dass es ohnehin nicht gut gewesen wäre, ein vaterloses Kind in die Welt zu setzen. Sie wusste zu genau, was es bedeutete, mit nur einem Elternteil aufzuwachsen. Sie wusste um dieses hartnäckige Gefühl des Versagens, weil vielleicht sie der Grund für die Zurückweisung durch ihren Vater gewesen war. Sie hatte alles versucht, sich davon zu überzeugen, dass es so das Beste war. Und doch, selbst jetzt noch, wann immer sie ein Kind von ungefähr sechs Jahren sah, stellte sie sich vor, wie ihr Kind ausgesehen hätte, und wünschte sich, sie hätte ihn oder sie kennenlernen dürfen.

Tränen standen in ihren Augen, und sie blinzelte sie fort. Es war sinnlos, in der Vergangenheit zu verweilen. Sie streichelte über Madeleines weiches Fell. „Wenigstens habe ich dich“, murmelte sie der Katze zu. Und Madeleine, die über eine Intuition zu verfügen schien, die über menschliches Verständnis hinausging, schnurrte sanft und rieb ihre spitzen schokoladenfarbigen Ohren an Louises Hand.

3. KAPITEL

„Bei dieser Führung durch den Louvre werden Sie einige der größten Meisterwerke der Welt bewundern können, darunter die Hochzeit zu Kana, die Venus von Milo und natürlich die Mona Lisa.“

Louise wandte sich an die Besuchergruppe, die in der Hall Napoléon unter der beeindruckenden Glaspyramide stand. In der heutigen Nachmittagsgruppe schienen vornehmlich amerikanische und japanische Touristen zu sein, die alle nickten und lächelten und zeigten, dass sie sie verstanden hatten.

„Wenn Sie mir bitte folgen, wir gehen zuerst in den Denon-Flügel.“

Aus dem Augenwinkel entdeckte sie noch jemanden, der quer durch die Halle eilte. Sie wartete, da sie annahm, der Mann wolle an der Führung teilnehmen. Aber als er näherkam, machte ihr Herz einen Salto.

Was machte Dimitri hier? Gestern waren drei Tage seit ihrem Besuch in Athen vergangen. Als er sich um Mitternacht immer noch nicht bei ihr gemeldet hatte, war sie davon ausgegangen, dass er Eirenne doch nicht kaufen wollte, und hatte sich die ganze Nacht lang darüber gesorgt, wie sie nun das Geld für die Behandlung ihrer Mutter aufbringen sollte.

Die letzten Teilnehmer ihrer Gruppe stiegen bereits die Treppe hinauf, als Dimitri vor ihr stehen blieb. Das amüsierte Glitzern in seinen Augen verriet ihr, dass er wusste, wie sehr sein Auftauchen sie schockierte. Zu ihrem Ärger spürte sie, wie sie rot wurde, als wäre sie immer noch das Schulmädchen, das vor so langer Zeit in ihn verknallt gewesen war. Sie hasste es, dass er diese Wirkung auf sie hatte, doch ihre guten Manieren verlangten, ihn mit einem höflich kühlen Lächeln zu begrüßen.

„Wolltest du zu mir? Ich mache gerade eine Museumsführung, also habe ich jetzt keine Zeit für ein Gespräch. Wenn du mir deine Nummer gibst, rufe ich dich an, sobald ich fertig bin.“

„Lass dich nicht aufhalten.“ Dimitri deutete an, dass sie ihrer Gruppe folgen solle, und schloss sich Louise an, als sie zur Treppe ging.

„Du hast also deinen Traum realisiert“, murmelte er.

Sie sah ihn überrascht an – und wünschte sich sofort, sie hätte nicht in seine Augen geblickt, denn das ließ ihren Herzschlag für einen Moment aussetzen. In natura war er noch viel umwerfender als auf dem Bild, das sie seit drei Tagen nicht aus dem Kopf bekommen konnte. Sie war sich seiner Größe nur zu bewusst, ebenso wie seines wohlgeformten, muskulären Körpers, während er neben ihr herging. Er trug einen Anzug, aber keine Krawatte, und die oberen Hemdknöpfe standen offen, enthüllten seinen kräftigen Hals. Der dunkle Bartschatten unterstrich seine verwegene, sexy Ausstrahlung.

Louise schluckte ein hysterisches Lachen hinunter, als sie sich fragte, wie er wohl reagieren würde, wenn sie ihrem verrückten Verlangen nachgäbe, ihre Lippen auf seinen sinnlich geschwungenen Mund zu pressen. Sie biss sich auf die Unterlippe, und der Schmerz brachte sie wieder zu Vernunft. „Ich weiß nicht, was du meinst“, sagte sie kurz angebunden.

„Du hast doch Kunstgeschichte studiert, damals, und mir gesagt, dass du am liebsten in einem Kunstmuseum arbeiten würdest. Ich glaube, du hast als Studentin sogar eine Zeit lang ehrenamtlich in der National Gallery in London gearbeitet.“

„Bestimmt habe ich dich mit meinen Karriereplänen zu Tode gelangweilt.“

Peinlich berührt erinnerte sie sich daran, wie simpel sie mit 19 gewesen war. Niemand hatte sich bis dahin wirklich für sie interessiert. Und so war sie von Dimitri geblendet gewesen, hatte seine Aufmerksamkeit aufgesogen wie ein Welpe, der verzweifelt bei seinem Herrchen Eindruck schinden wollte. Die Erinnerung schmerzte. Darum überraschte es sie jetzt, dass er ihr damals wirklich zugehört hatte.

„Eins kann ich dir versichern – du hast mich nie gelangweilt, Loulou“, sagte er sanft.

Der Klang ihres Spitznamens versetzte sie in die Vergangenheit – vor sieben Jahren war sie jung und herzzerreißend naiv gewesen. Sie erinnerte sich an das alte Haus unter den Pinien auf Eirenne, das Gefühl der Sonne auf ihrer Haut und an Dimitri, der ihren Namen wisperte, während er sie zu sich aufs Bett zog und seinen Mund auf ihren neigte. „Ich will dich, meine schöne Loulou.“

Sie zwang sich in die Gegenwart zurück. „Nenn mich bitte nicht so. Ich ziehe meinen echten Namen diesem kindischen Spitznamen vor.“

„Louise ist jedenfalls eleganter“, stimmte er zu. „Passt zu dir.“

Dimitri unterzog sie einer gemächlichen Betrachtung, musterte ihre hochgesteckten honigblonden Haare und die dunkelblaue Dienstuniform, die alle Museumsführer trugen. Sie wirkte gepflegt, fast schon züchtig und hatte, bis auf den hellrosa Lippenstift, keinerlei Schminke aufgelegt. Ganz anders als in Athen, wo sie als femme fatale verkleidet zu ihm gekommen war. Doch auch diese schlichte Bekleidung konnte die ihr innewohnende Sinnlichkeit nicht verbergen. Verlangen flammte in Dimitri auf, und er kämpfte gegen den Drang, sie in seine Arme zu ziehen und auf ihren verführerisch sanften Mund zu küssen.

Dimitris funkelnder Blick verwirrte sie, daher wandte Louise den Kopf ab und ging schneller, um die Gruppe einzuholen.

„Na ja, wie auch immer, nach meinem Abschluss habe ich ein weiterführendes Studium in Museologie gemacht, was ein dreimonatiges Praktikum im Louvre beinhaltete. Dann hatte ich Glück, und sie boten mir einen festen Job an.“ Sie runzelte die Stirn. „Woher weißt du, dass ich hier arbeite? Ich habe das ganz sicher nicht erwähnt.“

„Ich habe dich von einem Privatermittler überprüfen lassen.“

„Du hast was getan?“ Louise blieb abrupt stehen und starrte ihn an. „Wie konntest du es wagen?“

„Ganz einfach“, sagte er schulterzuckend. „Ich musste ja sichergehen, dass du die legale Besitzerin von Eirenne bist und das Recht hast, die Insel zu verkaufen.“

Eine einleuchtende Erklärung, musste Louise zugeben. Aber die Vorstellung, dass ein Detektiv in ihrem Leben herumgeschnüffelt hatte, war schrecklich. Sie fühlte sich wie eine Kriminelle. Und noch ein anderer Gedanke durchfuhr sie. Was, wenn dieser Schnüffler alles über Tinas Erkrankung herausgefunden hatte und Dimitri nun wusste, dass sie das Geld für Tinas Behandlung brauchte, für ihre einzige Chance auf ein Überleben? Wusste Dimitri jetzt, warum sie so schnell so viel Geld benötigte?

Sie konzentrierte sich auf das, was er vor wenigen Momenten gesagt hatte, und blickte ihn verunsichert an. „Als ich gestern nichts von dir gehört habe, dachte ich, dass du Eirenne nicht kaufen willst.“

„Ich habe noch keine Entscheidung getroffen. Ich brauche noch etwas Bedenkzeit.“

Also hatte Dimitri eindeutig Interesse an der Insel – ansonsten hätte er ihr klipp und klar gesagt, dass der Handel nicht zustande käme. Die Rettung ihrer Mutter, die gestern noch unmöglich schien, rückte wieder näher. Louise stützte sich gegen eine Wand, kämpfte darum, ihre Fassung zurückzugewinnen, und bemerkte daher nicht, wie aufmerksam Dimitri sie anblickte.

„Es macht mich wütend, dass ich den Besitz, der mir allein durch meine Geburt zustehen sollte und der nie aus den Händen der Kalakos-Familie hätte gegeben werden dürfen, nur durch einen Kauf zurückbekommen kann“, sagte er barsch. „Aber meine Großeltern sind auf Eirenne begraben, und meine Schwester kann den Gedanken nicht ertragen, die Insel für immer zu verlieren. Ianthe zuliebe denke ich immer noch über dein Angebot nach, aber ich brauche mehr Informationen. Wir besprechen die Einzelheiten heute Abend beim Essen.“

Er hat nichts von seiner Arroganz verloren, erkannte Louise bedauernd. Ihm war nicht einmal in den Sinn gekommen, sie könnte heute Abend keine Zeit haben. Aber er hatte das Heft in der Hand. Wenn er von ihr verlangt hätte, dass sie sich um Mitternacht auf dem Mond träfen, hätte sie ihr Bestes gegeben, um dorthin zu gelangen, denn er hatte ihr gerade wieder Hoffnung gemacht. Ihre Mutter würde eine Chance bekommen, die Krankheit zu bekämpfen, die ihren Körper zerstörte.

Sie hatten die griechische Galerie erreicht, in der antike Skulpturen auf Marmorsockeln ausgestellt waren. Am anderen Ende der Galerie, oben auf dem Absatz einer breiten Treppe, stand die Nike von Samothrake. Die Besuchergruppe war dort stehen geblieben und wartete nun darauf, dass Louise die Führung begann.

Sie warf einen Blick auf Dimitri. „Ich arbeite bis halb acht.“

„Dann sehen wir uns um Viertel nach acht im La Marianne in der Rue de Grenelle. Du weißt, wo das ist?“

Louise hatte schon von dem exklusiven Restaurant gehört, das den Ruf hatte, die beste französische Küche zu exorbitanten Preisen zu bieten. Nicht gerade etwas, das ihr schmales Gehalt ihr erlaubte, dachte sie bedauernd.

„Ich werde da sein. Aber jetzt musst du mich entschuldigen.“

Sie drehte sich um, entfernte sich von ihm und kämpfte gegen die Tränen an. Sie weinte selten. Seit der Fehlgeburt waren ihr nur wenige Dinge wichtig genug für Tränen erschienen. Aber heute fuhren ihre Gefühle mit ihr Achterbahn. Dimitri wiederzutreffen, weckte schmerzhafte Erinnerungen.

Sie wünschte sich, sie müsste ihn nicht noch einmal sehen. Aber vielleicht würde er heute Abend endlich dem Kauf von Eirenne zustimmen. Den Verkauft selbst würden dann ihre Anwälte regeln, Dimitri würde nach Griechenland zurückkehren, und vielleicht würde es ihr dann gelingen, wenn sie sich nur genug anstrengte, ihn zu vergessen. Aber wie sehr sie sich das auch einzureden versuchte, die Worte klangen genauso hohl wie ihre Schritte auf dem Boden der Galerie.

Autor

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