Kalter Schnee, verboten heiße Küsse

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

So betörend wie tabu! Auch wenn Hope ihn vom ersten Augenblick an fasziniert, zwingt Security-Boss Luca Calvino sich besser zur Zurückhaltung. Als ihr neuer Bodyguard soll er die schöne Kaufhauserbin beschützen, nicht begehren! Nur wie, wenn er sie auf einer mehrtägigen Geschäftsreise nach Österreich begleiten muss? In einem luxuriösen Chalet in den Bergen knistert es bald immer unwiderstehlicher zwischen ihnen. Mit hungrigen Küssen setzt Luca mehr als nur seinen Job aufs Spiel – sehr viel mehr …


  • Erscheinungstag 10.12.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525169
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Luca Calvino versuchte, den Mann im Krankenhausbett nicht anzustarren, der an unzählige Monitore angeschlossen war. Dass es sich bei dem Mann um Nate Harcourt handelte, einen milliardenschweren Geschäftsmann, nur wenige Jahre jünger als Luca mit seinen dreiunddreißig Jahren, war etwas verstörend.

„Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht.“

„Es sieht ziemlich schlimm aus“, entgegnete Luca wahrheitsgemäß.

„Ist es aber nicht.“

„Okay.“

Die Privatklinik in der Schweiz war luxuriöser als manches Hotel, in dem Luca übernachtet hatte, mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen. Durch die großen Fenster blickte man auf einen winterlichen Märchenwald. Warmes Leder und Holzakzente sorgten für das Flair einer Großstadtwohnung, allerdings bestand die Ausstattung auch aus medizinischen Geräten im Wert von fast einer halben Million Euro.

„Pegaso hat ein ziemlich beeindruckendes Portfolio für ein so junges Unternehmen“, sagte Nathanial Harcourt, um zum Thema zurückzukommen.

„Finden Sie zehn Jahre so jung?“, fragte Luca mit einem Anflug von Sarkasmus, weil er den Köder des Engländers nicht schlucken wollte.

„Im Vergleich zu einem vierhundert Jahre alten Familienunternehmen schon.“

„Da ist was dran“, räumte Luca ein. Bis vor einem Jahr war Nathanial Harcourt ein Shootingstar der Geschäftswelt gewesen. Zugegebenermaßen war er mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund geboren worden, doch was er daraus gemacht hatte, war legendär. Dann war er plötzlich wie vom Erdboden verschluckt gewesen und angeblich in Goa untergetaucht.

Das hier war weit entfernt von Goa.

„Krebs?“, fragte er, neugierig, wie viel Nate Harcourt ihm anvertrauen würde.

Es entstand eine Pause, in der die beiden Männer einander taxierten.

„Zerebrales Aneurysma.“

Luca nickte und zog unwillkürlich die Augenbrauen hoch, während er den Mann im Bett erneut musterte. Das obere Teil des Krankenhausbettes war hochgeklappt, darüber hing an einem Metallarm ein halber Tisch, auf dem sich neben einem Laptop der Papierkram eines ganzen Büros stapelte.

„Pegaso hat im letzten Jahr beträchtlichen Umsatz gemacht, was bei der heutigen Wirtschaftslage nicht einfach ist. Sie haben auf dem europäischen Festland Verträge mit diversen Unternehmen, einschließlich diesem“, sagte Nate und machte eine vage Geste, um auf die Klinik zu deuten, in der sie sich befanden – eine diskrete medizinische Einrichtung, die die Besten der Besten beschäftigte und absolute Privatsphäre bot.

„Ich kenne meine Vertragspartner.“

„Aber Sie haben es nicht geschafft, auf den englischsprachigen Märkten Fuß zu fassen.“

„Komisch“, meinte Luca schulterzuckend, „ich hätte gedacht, dass Sie als Geschäftsmann, der in drei Aufsichtsräten sitzt, Vorstandsvorsitzender von zwei Unternehmen ist und eine hohe Position im eigenen Familienunternehmen einnimmt, etwas mehr gesunden Menschenverstand besitzen, als jemanden zu verärgern, den Sie gerade um einen Gefallen bitten wollen.“

„Es ist kein Gefallen, es ist ein Angebot.“

Einer der Monitore piepte laut, und Luca entging nicht, dass Nates Hand zuckte, als wollte er sich an den Kopf fassen, seinen Schmerz aber nicht so offen zur Schau stellen. Luca empfand Respekt für seine Disziplin.

„Spucken Sie es aus, bevor es Zeit für Ihre Medikamente ist“, sagte Luca.

„Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht.“

„Reden Sie sich das nur ein.“

Nate brachte ein Lächeln zustande, und der Monitor beruhigte sich wieder.

„Ich brauche Sie, um meine Schwester zu beschützen.“

Nate deutete auf einen Ordner auf dem Tisch, und Luca stand auf, um ihn zu holen. Er hatte kein Problem damit, dem englischen Milliardär Paroli zu bieten, aber er hatte nicht die Absicht, den Mann zu erniedrigen. Ein zerebrales Aneurysma war kein Scherz.

Luca öffnete die Mappe: Hope Harcourt, Zwillingsschwester von Nathanial Harcourt, neunundzwanzig Jahre alt, ledig, Marketingleiterin bei Harcourts, dem weltweit führenden Luxuskaufhaus. Er lehnte sich zurück und betrachtete die Bilder einer Blondine mit zarten Gesichtszügen. Obwohl Hope und Nathanial Harcourt Zwillinge waren, sahen sie sich nicht ähnlicher als normale Geschwister. Er ließ den Blick über die hohen Wangenknochen gleiten und ignorierte bewusst die unmittelbare Anziehung, die er verspürte. Ignorierte die dunklen, espressobraunen Augen, die ihn anzublicken schienen, und schob die Bilder beiseite, um die Zeitungsartikel zu lesen, die sich auch in dem Ordner befanden.

Mehr als nur ein hübsches Gesicht? Hope zu Harcourts’ Marketingleiterin ernannt.

Luca überflog die mehr oder weniger frauenfeindlichen Schlagzeilen und war nicht überrascht, dass alle aus derselben Feder stammten.

Harcourts Verlobter enthüllt die tief liegenden Unsicherheiten des It-Girls.

Das schwarze Schaf der Harcourts! Die Wahrheit hinter der Trennung.

Luca verspürte den vertrauten Groll gegen die Boulevardpresse, die alles und jeden für ihre Schlagzeile ausnutzte. Doch er wusste auch, dass hinter jedem Journalisten jemand stand, der die Früchte erntete.

„Über meine Schwester wird ständig so ein Mist geschrieben.“

„Warum braucht sie dann ausgerechnet jetzt einen Aufpasser?“

„Weil ich … hier bin. Ich kann sie nicht beschützen.“

Zum ersten Mal seit der Begegnung mit Nate Harcourt spürte er, dass dessen Sorge echt, seine Wut aufrichtig war.

„Sie wollen, dass Pegaso sie vor der Presse schützt?“ Sie wäre nicht die erste Frau, die die Presse nutzte, um ihre Karriere zu pushen. „Woher wissen Sie, dass sie das überhaupt will?“

„Weil sie nicht so ist und weil irgendetwas im Busch ist. Ich weiß nicht, was. Aber die Aktionäre von Harcourts halten sich bedeckt, seit sie glauben, dass ich mich in Südwestindien herumtreibe, um mein drittes Auge zu finden.“

„Hätten Sie ihnen nicht die Wahrheit sagen können?“

Nate starrte ihn ausdruckslos an.

Luca nickte und verstand, ohne dass der Engländer es erklären musste. Er wusste, wie es lief. „Alberne Allüren verzeihen diese Leute eher als gesundheitliche Probleme, die den Aktienkurs gefährden könnten.“

Nate nickte, offenbar zufrieden, dass Luca die eigene Frage richtig beantwortet hatte.

„Meine Schwester und ich sind in einem Schlangennest aufgewachsen, Calvino. Es sieht vielleicht nicht so aus, aber sie ist ganz allein da draußen, und ich bin nicht da, um sie zu beschützen.“

Fast gerührt von so viel Geschwisterliebe, griff Luca in seine Tasche, um das weitere Gespräch mit dem Handy aufzuzeichnen. „Gibt es irgendwelche konkreten Bedrohungen, von denen ich wissen sollte?“

„Simon Harcourt, auf jeden Fall. Er ist unser Cousin. Ich habe ihm nie etwas nachweisen können, aber er ist schlau genug, sich nicht selbst die Hände schmutzig zu machen. Und natürlich die üblichen Verdächtigen – Typen, die hinter ihrem Geld her sind.“

„Passiert das oft?“, fragte Luca und warf einen weiteren Blick auf die, offen gesagt, wunderschöne Frau auf den Bildern.

„Es gibt einen Ex. Der nervt hin und wieder, ich habe die Sache aber im Griff.“

„Name?“

„Steht in der Akte. Aber wie gesagt, ich denke, den Kerl habe ich im Griff.“

„Natürlich haben Sie das“, sagte Luca trocken und wusste, dass es Nate Harcourt, den er zu mögen begann, auf die Palme bringen würde.

„Ich hätte gedacht, Sie hätten mehr Verstand, als jemanden zu verärgern, der Ihnen einen Gefallen tun will.“

„Sie tun mir keinen Gefallen, Sie machen mir ein Angebot“, konterte Luca, und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Ich werde ein Team zusammenstellen. Wir können …“

„Sie werden sich persönlich darum kümmern.“

„Das wird leider nicht möglich sein.“

Zwar war seine Firma bekannt für die diskrete Überwachung hochkarätiger Klienten, er persönlich blieb jedoch im Hintergrund. Immer.

„Doch. Denn wenn Sie das tun – wenn Sie, nur Sie persönlich sich darum kümmern, als Gefallen –, biete ich Ihnen einen exklusiven Vertrag mit Harcourts an. Sie wären nicht nur für die Security in den Geschäften zuständig, sondern auch für interne Abläufe und Cyber-Sicherheit – und das alles international. Sie werden den größten ersten Schritt in den englischen Markt machen, den je ein Unternehmen gemacht hat. Damit würde Pegaso zum Global Player avancieren und Sie hätten ausgesorgt.“

Es war ein Angebot, das er kaum ausschlagen konnte.

Luca betrachtete das Schwarz-Weiß-Foto einer Frau, die Harcourts durch seinen weltberühmte, Eingang verließ, eine Tasche in der Beuge eines angewinkelten Arms und eine übergroße Sonnenbrille auf der Nase, die die Hälfte ihres Gesichts verdeckte. Wie schwer konnte es schon sein?

„Wann soll ich anfangen?“

„Weihnachten steht vor der Tür. Nehme ich Sie Ihrer Familie weg?“

„Nein“, antwortete Luca, ohne auch nur einen Gedanken an den Tag zu verschwenden, den er, nach dem obligatorischen Besuch bei Alma und Pietro an Heiligabend, im Büro verbringen würde, wie jedes Jahr.

„Oder Ihrer Freundin?“

„Wollen Sie mit mir ausgehen, Harcourt?“

„Und wenn?“

Luca musste lachen. Der englische Milliardär war ein berüchtigter Schürzenjäger. „Nett, dass Sie fragen, aber Sie sind nicht mein Typ.“

„Nein. Das dachte ich mir. Und solange meine Schwester es auch nicht ist, sind wir im Geschäft.“

1. KAPITEL

Schweiß rann ihr den Rücken hinunter und ihr Atem ging keuchend, doch Hope Harcourt lief weiter. Sie warf einen Blick auf den Monitor: viereinhalb Kilometer, dreiundzwanzig Minuten … Fast geschafft. Sie brauchte das, der stampfende Rhythmus ihrer Füße auf dem Laufband wie Urwaldtrommeln. Brauchte den Moment, in dem die Mühe mühelos wurde, Körper und Geist im Einklang. Es hielt nie lange an, und sie erreichte diesen Punkt nicht immer, aber wenn sie es tat, war es … perfekt.

Der Monitor zeigte fünf Kilometer und fünfundzwanzig Minuten an, und Hope drückte auf die Cooldown-Taste. Während sie ihr Tempo dem Laufband anpasste, griff sie nach dem Handtuch, das sie über die Stange gehängt hatte, und wischte sich das Gesicht ab. Ihre Atmung normalisierte sich gerade rechtzeitig für den morgendlichen Anruf ihrer Assistentin. Bevor sie den Anruf entgegennahm, sah sie auf die Uhrzeit auf dem Display. Genau sechs Uhr dreißig.

Elises fröhliche Stimme drang durch die schnurlosen Kopfhörer, während das Laufband sich weiter verlangsamte.

„Und wie geht es uns heute Morgen?“, fragte Elise.

„Es geht uns wunderbar“, antwortete Hope, drückte auf die Stopp-Taste des Laufbands und schnappte sich ihre Tasche. Sie wohnte jetzt seit drei Jahren in ihrer Wohnung und hatte noch nie jemanden gesehen, der außer ihr das private Fitnessstudio des Gebäudes nutzte. Sie verließ den klimatisierten Bereich und machte sich auf den Weg zum Aufzug, der sie in ihre Wohnung im sechzehnten Stock bringen würde.

„War heute Morgen etwas von Kinara in meinem Posteingang?“, fragte Hope. Es hatte mehrere Jahre gedauert, bis sie einen Arbeitsrhythmus gefunden hatte, der ihr entsprach, aber jetzt lief alles reibungslos. Sie checkte ihre E-Mails erst, wenn sie zur Arbeit kam, aber ihre Assistentin verschaffte ihr schon einen kurzen Überblick, bevor sie sich für den Tag fertig machte. Sie erhielt die wichtigsten Informationen darüber, was sie erwartete, ohne das Drama – das konnte bis nach dem Kaffee warten. Und es half bei der Wahl der Garderobe.

Das hatte sie auf die harte Tour gelernt. Im Laufe der Jahre hatte es sich die Presse zum Sport gemacht, sie in ihren unvorteilhaftesten Momenten abzulichten, ob es nun in einem wenig schmeichelhaften und unangemessen kurzen Kleid an ihrem sechzehnten Geburtstag war oder in dem trutschigen Anzug bei ihrer Abschlussfeier. Bis sie bei Harcourts anfing, hatte sie ein feines Gespür für Mode entwickelt, was in ihrem Job als Marketingleiterin fast genauso hilfreich war wie ihr Diplom.

Als Hope in den Fahrstuhl stieg, fragte sie sich, warum sie von all den negativen Berichten im Laufe der Jahre ausgerechnet die Erinnerung an ihren sechzehnten Geburtstag am meisten schmerzte. Vielleicht weil die veröffentlichten Fotos damals nur von Menschen aus ihrem Umfeld stammen konnten – von ihren Freundinnen.

„Kinara will sich mit Ihnen treffen. Am Freitagmorgen beim Shooting.“

Hope überflog gedanklich ihren Terminkalender. „Das passt doch, oder?“

„Ja.“

„Ausgezeichnet. Schreib es in den Terminkalender.“

„Bin schon dabei.“

Hope und Steven, der Einkäufer von Harcourts, hatten Kinara umworben, seit Nates Deal mit Casas Fashion geplatzt war. Bei der Erinnerung an den Tag von Nates Zusammenbruch zog sich ihr prompt der Magen zusammen. Sie war es gewesen, die den Krankenwagen gerufen und bei ihm gewartet hatte, als er auf dem Boden lag, sein Blick abwesend, sein schneller, scharfer Verstand getrübt und verwirrt.

Er wurde von den besten Ärzten behandelt und befand sich zum Glück auf dem Weg der Besserung. Aber außerhalb der Klinik wussten nur zwei Menschen, was mit ihrem Zwillingsbruder geschehen war: sie und ihr Großvater. Ein Geheimnis, das notwendig war, weil Harcourts ein Haifischbecken war und die Konkurrenten ihres Bruders über Leichen gehen würden, um seine Position an sich zu reißen und auf der Karriereleiter die nächste Sprosse zu erklimmen.

Es war schon seltsam, seinen Arbeitsplatz zu lieben, aber viele der Menschen dort zu verabscheuen. Sie schüttelte den Kopf über die Aktionäre, die keinen Bezug zu den Kunden und ihren Bedürfnissen hatten und sich nur dafür interessierten, was am Ende auf ihrem Bankkonto landete. Es machte sie wütend, dass sie durch kurzsichtige Entscheidungen die Zukunft von Harcourts aufs Spiel setzten. Aber was kümmerte es diese alten weißen Männer, wenn sie nicht mehr da sein würden, um es zu erleben?

„Gibt es sonst noch etwas?“, fragte Hope, als der Aufzug sie in ihrem Stockwerk absetzte. Sie ging nach links und legte ihren Daumen auf die Tastatur neben der Tür zu ihrer Wohnung.

Dass Elise kurz zögerte, reichte aus, um sie zu beunruhigen.

„Gehen Sie nicht in die sozialen Netzwerke.“

Hope ließ den Kopf gegen die Holztür sinken, in der Gewissheit, dass sie allein war und niemand sie sah. Ein kurzer Moment der Schwäche, den sie sich gönnte, bevor sie die Zähne zusammenbiss und sich aufrichtete. „Was ist es dieses Mal?“

„Nichts, was nicht warten kann.“

„Elise.“

„Es ist Martin.“

Hope riss die Tür auf und schlug sie laut fluchend hinter sich zu. Dass Elise zuhörte, war egal. Es gab nur wenig, was sie vor ihrer Assistentin verbarg, die nun schon seit fast zehn Jahren bei ihr war. Elise war dabei gewesen, als Martin de Savoir mit seinem ganzen Charme in ihr Leben geplatzt war, und Elise war auch dabei gewesen, als er es mit einem lauten Knall verlassen hatte und seither jedem Journalisten die Ohren vollheulte, der sich erbarmte, ihm zuzuhören.

Wovon Elise nichts wusste, wovon niemand wusste, war das Gespräch, das sie zwischen Martin und ihrem Bruder mitgehört hatte. Ihr drehte sich der Magen um, der noch von den Crunches wehtat, die sie gemacht hatte, bevor sie aufs Laufband gegangen war. Ein Schmerz, der sie daran erinnerte, dass sie die Menschen, denen sie vertraute, an einer Hand abzählen konnte.

„Ich …“

„Das willst du nicht wissen.“

Hope starrte aus dem Fenster ihrer Wohnung. Ob Regen oder Sonnenschein, die Aussicht war an jedem Tag spektakulär. Aber sie hatte keine Augen für den hoch aufragenden Wolkenkratzer The Shard auf der anderen Seite der Themse oder den markanten Tower of London oder die ikonische Tower Bridge. In ihrem Kopf hörte sie Martins bitterböses Lachen, das sie damals kaum wiedererkannt hatte.

„Ich habe alle Beweise, die ich brauche, Martin. Ich weiß, dass es dir nur um ihr Erbe geht.“

„Gott, das ist alles, wozu sie gut ist, Harcourt. Jeder weiß das.“

„Gibt es sonst noch etwas?“, fragte Hope und versuchte, den Schmerz dieser verheerenden Erinnerung wegzuatmen.

„Nein.“

„Okay, wir sehen uns in vierzig Minuten.“

„Geh nicht in die sozialen Netzwerke.“

Hope legte auf und warf das Handy aufs Bett. Sie zog die verschwitzten Sportsachen aus und stellte sich länger als sonst unter den kräftigen Wasserstrahl, bis ihre Haut ganz gerötet war.

Doch sie konnte sich schließlich nicht den ganzen Tag unter der Dusche verstecken, so verlockend das auch sein mochte. Ebenso war es verlockend, Twitter und Instagram zu checken, aber sie wollte sich heute so kleiden, als wäre es ihr egal und als wüsste sie nicht, was ihr Ex-Verlobter dieses Mal getan hatte. Sie wollte sich für sich selbst kleiden. Also wählte sie einen kamelhaarfarbenen Rock, der bis zur Mitte der Waden reichte und ihre Taille betonte, ein weißes Seidenhemd mit einer Schleife im Nacken, dazu butterweiche, wadenhohe Lederstiefel und einen langen Kaschmir-Mantel.

Heute nahm sie sich etwas mehr Zeit für ihr Make-up, denn sie wusste, dass dies von allen Rüstungen die wichtigste war. Es kostete doppelt so viel Zeit, es so aussehen zu lassen, als wäre man ungeschminkt, aber sie machte das schon so lange, dass es für sie reine Routine war. Bevor sie die Wohnung verließ, sah sie nochmal in den Spiegel – nur zur Kontrolle – nicht aus Sorge um den Presserummel, den Martins jüngste Enthüllungen vermutlich ausgelöst hatten.

Aber als Hope mit dem Aufzug zur Rezeption ihres Gebäudes hinunterfuhr, ließ nicht die Wut über Martins Eskapaden ihr das Herz schneller schlagen, sondern die Vorfreude. Vorfreude auf eine bestimmte große, breitschultrige Person, die eingesprungen war, als ihr Fahrer James wegen eines familiären Notfalls ausgefallen war. Die naive Art von Vorfreude, die sie an törichte Schwärmereien aus Schulzeiten erinnerte, für die Hope eigentlich längst zu alt war.

Doch als sich die Aufzugtüren öffneten und sie ihn durch die gläserne Eingangstür ihres Wohnhauses auf sie warten sah, galoppierte ihr Puls wie ein ungestümes Pferd. Hope senkte den Kopf und setzte ihre Sonnenbrille auf, natürlich nicht, um ihn heimlich zu mustern, sondern um die Augen vor der winterlichen Morgensonne zu schützen. Sie konnte nur hoffen, er würde nicht bemerken, dass sie rot wurde, als sie ihn ansah.

Er trug einen schwarzen Anzug, unter dem sich seine breite Brust abzeichnete, ohne dass es so aussah, als wäre der Anzug zu klein, darunter ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. Eigentlich eine Uniform, doch der Mann hatte etwas an sich, das ihn nach Führungsetage aussehen ließ. Ihr Blick wanderte nach oben, und sie beschloss, dass es sein Gesicht war.

Sein markantes Kinn, das selbst ein Supermodel zum Weinen gebracht hätte, war so glatt rasiert, dass es die Morgensonne reflektierte. Die dunklen gewellten Haare waren ordentlich nach hinten gekämmt, an den Seiten kürzer, oben länger, und kein einziges Haar fehl am Platz. Gepflegt. Pünktlich. Effizient. Die große dunkle Brille verdeckte seine Augen und ließ ihn unergründlich aussehen. Fast teilnahmslos.

Und das war es, was sie frustrierte. Lucs absolut professionelles Verhalten macht meine Reaktion auf ihn nur noch unangemessener, dachte sie, als sie aus dem Gebäude trat.

Luca nahm sich einen Moment Zeit, um sich gegen die ungewollte und ganz und gar eigenwillige Reaktion seines Körpers auf Hope Harcourt zu wehren. Es machte ihn wütend, dass sie mehr Kontrolle über seinen Körper zu haben schien als er selbst. Und eine solche Reaktion auf eine Klientin war einfach nicht angebracht. Beziehungsweise auf die Schwester eines Klienten. So oder so stand sie unter seinem Schutz, ob sie es wusste oder nicht, und deshalb war sie für ihn tabu. Luca war dagegen gewesen, Hope über seine Identität im Unklaren zu lassen, aber Nate hatte darauf bestanden.

Nach ihrem Treffen hatte Luca die Weihnachts- und Neujahrstage damit verbracht, einen Plan zu entwickeln, um Hope Harcourt so effektiv wie möglich zu überwachen. Ihr Fahrer war leicht zu bestechen gewesen, vor allem mit Nate Harcourts Unterstützung, und Lucas Assistent hatte für ihn eine Wohnung in der Nähe gefunden. Nate hatte ihm über die IT-Abteilung Zugang zu Hopes beruflichen E-Mails verschafft, und Luca wusste, dass er bei Bedarf auch auf ihre privaten E-Mails zugreifen konnte, schreckte jedoch davor zurück, ihre Privatsphäre zu verletzen.

Er war vor sechs Tagen im verschneiten England angekommen und hatte sich sofort in die Arbeit gestürzt, die ihm endlich Zugang zum englischsprachigen Markt verschaffen würde – ein Ziel, das er schon seit Jahren vergeblich verfolgte. Denn egal, wie viele zufriedene Kunden oder hervorragende Referenzen oder multinationale Kunden Pegaso hatte, der britische und US-amerikanische Markt war schwer zu knacken. Dort wollte man altes Geld und bekannte Gesichter, und die Ablehnung hatte wehgetan.

Aber mit Nates Angebot würde er endlich einen Fuß in die Tür bekommen, und dieser Gedanke trieb ihn an wie der Teufel.

Hope trat aus der Glasdrehtür und schlüpfte auf den Rücksitz des Wagens, ohne ihm auch nur einen Blick zu schenken. Luca konnte nachvollziehen, dass viele sie für kalt hielten – vor allem, wenn man glaubte, was in der Zeitung stand –, aber wenn man genau hinsah, war sie … reich. Warm. Vornehm.

Die Kamelhaarfarben, die sie trug, schmeichelten ihrem Teint. Alles an ihr war teuer. Ihre Haut hatte einen subtilen goldenen Schimmer, und am liebsten hätte er ihr mit dem Daumen über ihre Wange gestrichen, um ein wenig Farbe darauf zu zaubern. Ihre Nase war klein und leicht nach oben gebogen, aber das stand ihr. Obwohl sie ihre Augen hinter der Sonnenbrille verbarg, wusste er, dass sie tiefbraun waren, was überraschend gut zu ihrem blonden Haar passte. Ihre Kieferpartie mündete in ein zartes Kinn, perfekt, um es zwischen Daumen und Zeigefinger zu halten. Perfekt, um …

Basta! Genug!

Er war hier, um sie zu beschützen, nicht um sie zu begehren. Und es war Begierde, was ihm da durch die Adern strömte. Hope ließ sich auf dem Rücksitz nieder, als er die Tür schloss und ihm die zarte Verlockung ihres Parfums in die Nase stieg.

Luca setzte sich auf den Fahrersitz und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Bevor er seinen Dienst als Ersatzfahrer antrat, überprüfte er das Auto jedes Mal genauestens und vergewisserte sich nicht nur, dass es sich in einem ausgezeichneten Zustand befand, sondern auch, dass weder Peilsender noch Abhörgeräte mit an Bord waren. Es schien unwahrscheinlich zu sein, aber Luca ging lieber auf Nummer sicher. Und obwohl das Auto über Nacht auf einem Privatparkplatz stand, kontrollierte er es jeden Morgen aufs Neue.

Als er sich in den Verkehr auf der Upper Thames Street einfädelte, überlegte er, welche Route er zum Flagship-Store von Harcourts in Mayfair nehmen sollte. Im Rückspiegel beobachtete er Hope, die aus dem Fenster auf die morgendliche Londoner Kulisse starrte. Er fand es seltsam, dass Hope auf dem Weg zur Arbeit nie nach ihrem Telefon griff. Das Bild hatte fast etwas Gelassenes an sich.

Ein Motorrad raste an ihm vorbei, und Luca konzentrierte sich wieder auf die Straße, bis sein Handy vibrierte. Das einzelne Vibrieren bedeutete, dass die Nachricht seines Teams nicht dringend war. Offenbar hatten sie noch keinen Beweis gefunden, der den Cousin der Harcourt-Zwillinge, Simon, mit dem Journalisten in Verbindung brachte, der für unglaubliche 78 Prozent der negativen Berichterstattung über Hope verantwortlich war. Luca war sich jedoch sicher, dass es diese Verbindung gab.

Sogar der Data-Analyst, den er mit der Suche beauftragt hatte, war schockiert über die schiere Menge an Hass und Feindseligkeit, die einer Frau entgegengebracht wurde, die nur ihrer Arbeit nachging. Derselbe Analyst war damit beauftragt, Hopes Vergangenheit genauer zu recherchieren, um eventuelle Schwachstellen zu finden.

Als ein entgegenkommendes Auto nach rechts abbog, streiften die Scheinwerfer sein Gesicht, und er sah Blitzlichter vor seinem inneren Auge, Tausende von ihnen, hörte die Rufe und Schreie der Menge zwischen ihm und seiner Mutter …

„Schenk uns ein Lächeln, Anna! Komm schon!“

„Hierher, Anna!“

„Stimmt es, dass du was mit deinem Co-Star hast, Anna?“

„Wann wirst du endlich heiraten, Anna?“

Ohne innezuhalten, fuhr Luca weiter in Richtung ihrer Abzweigung, obwohl er mit den Gedanken woanders war. Obwohl er in der Erinnerung gefangen war, wie seine wahnsinnig glamouröse Mutter den Kopf zurückgeworfen, das kehlige Lachen gelacht hatte, für das sie bekannt war, und der johlenden Menge geantwortet hatte: „Niemals, Schätzchen. Ich werde niemals heiraten!“

Und das hatte sie auch nicht. Italiens berühmteste Schauspielerin hatte nie geheiratet, hatte nie eine Beziehung gehabt, die länger dauerte als die Werbetour für ihren neuesten Film, und hatte niemals erwähnt, dass sie mit sechzehn ein uneheliches Kind bekommen hatte, das bei Verwandten aufwuchs und dessen Existenz sie vor allen geheim hielt.

Luca war überrascht, sich vor dem majestätischen Eingang von Harcourts in Mayfair wiederzufinden, und hätte sich ohrfeigen können. Es war inakzeptabel, dass er während eines Jobs so abgelenkt war. Rasch stieg er aus der Limousine und hielt Hope die Tür auf. Als sie ausstieg, hob sich ihr Rock gerade so weit, dass zwischen dem Rock und ihren Stiefeln ein Zentimeter cremefarbener Haut aufblitzte, doch er blickte unverwandt nach vorn. Er sah ein flüchtiges Stirnrunzeln über ihrer Sonnenbrille, als hätte sie seinen Blick bemerkt.

Sie zögerte. „Elise wird Ihnen Bescheid geben, wenn ich fertig bin. Alle Besprechungen sind intern, also brauche ich Sie bis dahin nicht.“

„Ich werde warten“, sagte er schlicht.

„Das wird nicht nötig sein“, antwortete sie und runzelte wieder die Stirn.

„Ich werde hier sein.“

Sie sah ihn noch einen Moment lang an, bevor sie unter die weltberühmte gold-violette Markise des Gebäudes trat. Er hatte sie verunsichert, und obwohl das nicht seine Absicht gewesen war, hatte er gespürt, wie die Luft zwischen ihnen knisterte, als sie miteinander um die Macht rangen – Autorität und Willenskraft, die aufeinandertrafen. 

Und er hatte genau das gewollt, wurde ihm klar. Er hatte ihre Willensstärke testen wollen.

Erneut vibrierte das Handy an seiner Brust, und er ging zum Wagen zurück, um ihn in die Tiefgarage zu fahren, wo er nachsehen würde, was seine Leute herausgefunden hatten. Es war Zeit, dass er wieder einen klaren Kopf bekam.

Autor