Komm mit mir nach Kreta

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Als Sophie hört, was Costas Paladimis zutiefst bedrückt, gibt es für sie keine Frage: Sie wird mit ihm nach Kreta fliegen! Denn nur sie kann seine kleine Tochter, die an Leukämie erkrankt ist, retten. In seiner weißen Villa findet Sophie in Costas’ Armen das große Glück - und Eleni wird wieder gesund! Schon glaubt sie an die Erfüllung all ihrer Wünsche, aber dann gefährdet Costas grenzenlose Eifersucht ihre junge Liebe ...


  • Erscheinungstag 02.12.2007
  • Bandnummer 1794
  • ISBN / Artikelnummer 9783863494919
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Costas stellte den Motor ab und betrachtete das Haus. Es war ein moderner Bungalow in einem Vorort von Sydney, ein schlichter massiver Bau, der jedoch allem Anschein nach in letzter Zeit vernachlässigt worden war. Postwurfsendungen quollen aus dem Briefkasten, und der Rasen hätte dringend gemäht werden müssen.

Stirnrunzelnd stieg Costas aus dem Auto. Obgleich der nicht geleerte Briefkasten vom Gegenteil zeugte, war er sicher, dass sie zu Hause war. Wenigstens war sie es gewesen, bevor er vor knapp dreißig Stunden Athen verlassen hatte. Sie nicht anzutreffen wäre eine Katastrophe, und Costas schob jeden Gedanken daran beiseite. Es stand zu viel auf dem Spiel, diese Reise durfte kein Misserfolg werden. Es war seine letzte Chance.

Er streckte sich und versuchte, seine verkrampften Schultermuskeln zu lockern. Wie immer war er erster Klasse geflogen, hatte aber dennoch nicht schlafen können. Die ständige Anspannung, unter der er nun schon so lange litt, war nicht für einen Moment von ihm gewichen. Seit drei Tagen hatte er nicht geschlafen und so gut wie nichts gegessen. Und bevor er von dieser Frau nicht bekam, was er wollte, würde er sich auch keine Ruhe gönnen – weder sich selbst noch ihr.

Es dauerte nur wenige Sekunden, die Straße zu überqueren, das niedrige Gartentor zu öffnen und den Zementweg zum Haus entlangzugehen. Costas klingelte und blickte missfällig über die kleine verkommene Terrasse hin zu den Spinnweben in den Ecken des vorderen Fensters. Offenbar war sie keine gute Hausfrau. Und das überraschte ihn gar nicht.

Gereizt klingelte er noch einmal. Wie konnte sie nur so selbstsüchtig sein? Aber jetzt würde er ihr zeigen, dass sich ein Costas Palamidis nicht abschütteln ließ.

Costas postierte den Finger auf dem Klingelknopf. Das unaufhörliche Läuten hallte durchs Haus. Gut! Diesen Lärm konnte niemand lange aushalten. Das würde sie in Bewegung bringen.

Trotzdem musste sich Costas noch etliche Zeit gedulden, bevor er drinnen eine Tür zuschlagen hörte. Dann fingerte jemand ungeschickt am Türschloss herum. Seine Anspannung stieg. Jetzt konnte sie ihm nicht mehr ausweichen. Und wenn sie sich erst einmal gegenüberstanden, würde ihr gar nichts anderes übrig bleiben als das zu tun, weshalb er gekommen war. Costas dachte daran, wie oft er bei ihr angerufen und dringend um einen Rückruf gebeten hatte. Nicht ein einziges Mal hatte sie sich gemeldet. Er atmete tief durch. Es würde ihm seine ganze Selbstbeherrschung abverlangen, sein Anliegen noch mit Freundlichkeit vorzubringen. In Anbetracht ihrer Missachtung war er allerdings eher in der Stimmung, auf alle Nettigkeiten zu verzichten und ihr stattdessen ummissverständlich zu drohen.

Endlich wurde die Tür geöffnet, und Costas erstarrte. Sein Blick fiel auf eine junge Frau, eindeutig nicht diejenige, die er suchte, aber … du lieber Himmel! Das Herz schlug ihm bis zum Hals, Schweiß trat ihm auf die Stirn, und er fühlte ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Costas glaubte das Gespenst seiner vor wenigen Monaten verstorbenen Frau zu sehen.

Die Frau besaß dieselben klassisch schönen Gesichtszüge, dieselben großen Augen, die schmale Nase, den schlanken Hals … Ein, zwei Sekunden lang erlag er der Sinnestäuschung, dann meldete sich sein gesunder Menschenverstand. Diese Frau war ein Mensch von Fleisch und Blut, kein Gespenst, das ihn aus der Vergangenheit heimsuchte.

Und jetzt nahm er auch die feinen Unterschiede wahr: Fotini hatte dunkle Augen gehabt, diese hier schimmerten goldbraun. Costas sah den volleren Mund, dessen Lippen einen perfekt geschwungenen Bogen bildeten. Sein Blick fiel auf ihr zerzaustes schwarzes Haar mit dem kastanienbraunen Schimmer, die zerknitterte Bluse und den verrutschten schwarzen Rock. Zweifellos hatte die Frau gestern Abend ausschweifend das Ende der Woche gefeiert und war wohl noch in ihrer Berufsbekleidung zusammengebrochen. Er registrierte abschätzig ihr blasses Gesicht, die dunklen Schatten unter den Augen, die ihn ausdruckslos anstarrten und fragte sich, ob bei ihren Exzessen nur Alkohol floss oder auch andere Drogen eine Rolle spielten.

Doch was kümmerte ihn das? Ihr Anblick irritierte ihn, weil er zu viele Erinnerungen wachrief, aber Costas hatte keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. Ihn interessierte nur die Frau, derentwegen er um die halbe Welt gereist war.

„Ich suche Christina Liakos“, sagte er.

Sie sah ihn benommen an.

War sie nüchtern genug, um ihn zu verstehen? „Ich suche Christina Liakos“, wiederholte er auf Griechisch und bemerkte, wie die junge Frau sich Halt suchend an den Türrahmen klammerte, sodass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. „Ich bin gekommen, um mit Christina Liakos zu sprechen“, versuchte er es noch einmal auf Englisch. „Bitte sagen Sie ihr, dass sie Besuch hat.“

Anscheinend wollte sie etwas erwidern, doch die junge Frau brachte kein Wort heraus. Sie schluckte krampfhaft. Ihre Augen wirkten unnatürlich groß. „Oh nein!“, flüsterte sie schließlich. Und im nächsten Moment wandte sie sich um und verschwand im Haus.

Ohne zu zögern ging Costas hinein und schloss die Tür hinter sich. Die Hand vor den Mund gepresst, taumelte die junge Frau in ein Zimmer am Ende des Flurs. Offensichtlich hatte sie es am vergangenen Abend stark übertrieben und litt nun unter den Folgen.

Erneut hatte Costas ein entsetzliches Déjà-vu, ausgelöst durch die erschreckende Ähnlichkeit mit Fotini. Aber mit einem oberflächlichen Partygirl, das sich Exzessen hingab und seinen Körper zugrunde richtete, konnte er kein Mitleid empfinden.

Costas sah sich suchend um. Aber er spürte, dass außer ihm und der jungen Frau niemand hier war. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er das Haus abgesucht hatte. Es war sauber und gemütlich eingerichtet. In Wohnzimmer und Küche allerdings sah es wie auf einem Schlachtfeld aus. Überall standen Flaschen, Gläser und Teller mit Essensresten. Auf der Arbeitsfläche warteten Stapel schmutziger Teller auf den Abwasch. In der Spüle standen dicht gedrängt Gläser. Kanapees und Salate waren nicht weggeräumt worden und verdarben in der Hitze.

Das muss ja eine tolle Party gewesen sein, dachte Costas gereizt. Aber wo war Christina Liakos? Er musste sie unbedingt finden, in ihrer Hand lag seine Zukunft.

Costas fand die junge Frau im Badezimmer, wo sie noch immer mit den Folgen ihrer Übelkeit kämpfte. Bei ihrem Anblick blieb er wie angewurzelt stehen. Nicht etwa aus Taktgefühl, weil er sie in einer Situation beobachtete, in der sie vielleicht lieber allein wäre. Nein, es war der Anblick ihres Pos und ihrer langen wohlgeformten Beine, der ihn erstarren ließ. In dem engen schwarzen Rock und der hauchdünnen schwarzen Strumpfhose sah beides unwiderstehlich aus.

Lächerlich!, sagte sich Costas. Niemand konnte sexy sein, während er sich übergab. Nicht einmal eine so schöne Frau wie diese.

Die Übelkeit ließ nach, doch Sophie zitterte so heftig, dass sie sich kaum aufrecht halten konnte. Ihr Kopf fühlte sich an, als hätte jemand einen eisernen Ring um ihn gespannt.

„Hier.“

Sie öffnete mühsam die Augen und nahm undeutlich den nassen Waschlappen wahr, den der Fremde ihr entgegenhielt. Dann sah sie seine Hand. Eine große, kräftige, tief gebräunte Hand und erkannte gleichzeitig den Ärmel eines teuren Anzugs, unter dem eine schneeweiße Manschette mit eleganten goldenen Manschettenknöpfen leuchtete. „Ich … kann nicht“, flüsterte Sophie. Sie hatte nicht die Kraft, nach dem Waschlappen zu greifen.

Der Mann hinter ihr sagte etwas auf Griechisch, was Sophie nicht verstand, aber es klang wie ein Fluchen. Dann legte er ihr den Arm um die Taille, zog sie an sich und wischte ihr mit dem nassen Waschlappen über Stirn, Wangen und Mund.

Sie erinnerte sich, wie sie die Tür aufgemacht und in ein grimmiges Gesicht gesehen hatte, in Augen, die ihr dunkler als die schwärzeste Nacht vorkamen. Und die eine Mischung aus mühsamer Höflichkeit und kaum zu beherrschender Wut und Feindseligkeit ausstrahlten. Aber am meisten hatte sie seine überwältigende Männlichkeit beeindruckt.

Keine Frau würde einen Mann wie ihn vergessen – ein arroganter Macho, aber dabei sündhaft sexy.

Von Müdigkeit überwältigt, ließ Sophie den Kopf an seine Brust sinken. Sobald er weg ist, gehe ich zurück ins Bett, dachte sie matt.

„Ich habe gefragt, was Sie genommen haben! Sagen Sie es mir!“

Langsam wurde ihr bewusst, dass er mit ihr sprach. „Was sagen?“ Allmählich wurde die Übelkeit besser, und Sophie begann, sich fast wieder wie ein Mensch zu fühlen, nur war alles so verschwommen.

„Haben Sie Drogen genommen? Oder Tabletten?“

Tabletten. Ja, sie hatte zwei Tabletten genommen. Oder waren es drei gewesen? Sophie nickte. „Schlaftabletten.“

Erneut hörte Sophie, wie der Fremde seinem Ärger auf Griechisch Luft machte. Dieser Mann hatte wirklich ein aufbrausendes Wesen.

„Können Sie allein stehen?“

„Natürlich.“ Aber als er sie losließ, musste sie sich am Waschbecken festhalten, um nicht hinzufallen. Erleichtert spürte sie, dass er ein paar Schritte von ihr wegging. In ein paar Minuten würde sie wieder zu Kräften gekommen sein, und dann würde sie ihn bitten zu gehen. Sie war dankbar für seine Hilfe, aber sie wollte, dass der Fremde endlich das Haus verließ.

Wieso war die Dusche an? Sophie drehte sich um und bereute es sofort. Ihr wurde so schwindlig, dass sie Mühe hatte, aufrecht stehen zu bleiben, obwohl sie sich gegen das Waschbecken lehnte.

Dann spürte sie seine Hände an ihrem Körper. Aus ihrer Benommenheit gerissen, schlug sie nach ihm, aber er war zu schnell. Schon hatte er ihr die Bluse aufgeknöpft und war dabei, den Reißverschluss an ihrem Rock zu öffnen. Mit einer verzweifelten Kraftanstrengung stemmte sich Sophie gegen ihn und merkte verwundert, dass sie nicht den feinen Stoff seiner Kleidung fühlte, sondern nackte Haut, die nackte Haut einer muskulösen starken Brust. Was sollte das? Noch einmal versuchte sie, ihn von sich wegzustoßen, doch gegen seine enorme Kraft hatte sie keine Chance.

Im Moment war Sophie allerdings nicht nach Bewunderung. „Lassen Sie mich in Ruhe!“, verlangte sie mit zitternder Stimme. „Raus hier, oder ich rufe die Polizei!“

Der Fremde ignorierte ihre Worte. Stattdessen fing er an, ihr die Kleidung vom Körper zu ziehen. Unter normalen Umständen hätte Sophie sich vielleicht besser wehren können. Aber es fiel ihr schon schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn, ihre Bewegungen zu koordinieren. Unbeholfen schlug sie mit der Faust nach ihm.

„Ich will Ihnen nichts tun!“, fuhr er Sophie an.

Sein Blick glitt mit solchem Abscheu über sie, dass sie es fast glaubte. Als er sie hochhob, fing der Raum um sie herum an, sich zu drehen. Sie nahm den Duft seiner nackten Haut wahr, und ihr wurde noch schwindliger. Dann ließ er sie herunter – direkt unter den harten Strahl der Dusche. Das Wasser traf ihren Kopf und ergoss sich über ihren Körper. Nur die Hände des Fremden hielten Sophie aufrecht. Er stand eine Armeslänge vor ihr entfernt, mit unbeweglichem Gesicht, lediglich ein Funkeln in den dunklen Augen, das sie nicht deuten konnte.

Allmählich wurden ihre Gedanken wieder klarer, und sie begriff, dass der Mann glaubte, sie müsse nüchtern werden. Wahrscheinlich dachte er sogar, sie habe eine Überdosis genommen. Warum sonst sollten sie beide nur mit Unterwäsche bekleidet in der Duschkabine stehen? Zu einem anderen Zeitpunkt, in einem anderen Leben hätte Sophie dieser Szene vielleicht etwas abgewinnen können: sie in BH und Slip aus weißer Spitze zusammen in der Dusche mit einem griechischen Gott in schwarzen Boxershorts.

Aber nicht heute.

Heute ist Samstag, dachte Sophie und bekam plötzlich einen völlig klaren Kopf, da der brennende Schmerz der Erinnerung sie mitten ins Herz traf. Gestern war der schlimmste Tag ihres Lebens gewesen. Kein Wunder, dass sie sich grauenhaft fühlte.

„Mir geht es jetzt wieder gut“, sagte Sophie. „Sie können mich allein lassen.“

„So sehen Sie aber gar nicht aus“, erwiderte der Unbekannte ungerührt. „Sie sehen aus, als bräuchten Sie unbedingt einen Arzt. Ich werde Sie ins Krankenhaus bringen, damit man Ihnen …“

„Was? Den Magen auspumpt? Hören Sie, ich habe ein paar Schlaftabletten genommen und offenbar nicht vertragen. Das ist alles.“

„Wie viele genau?“

„Zwei. Vielleicht auch drei, ich weiß es nicht mehr genau. Auf jeden Fall nicht genug, um an einer Überdosis zu sterben.“

„Und was haben Sie sonst noch genommen?“, fragte er scharf.

„Nichts. Ich nehme keine Drogen. Bitte lassen Sie mich los.“ Zögernd nahm er seine Arme herunter, blieb jedoch vor der Duschkabine stehen. Die Hände auf die Hüften gestützt, stand er da und versperrte ihr den Weg. Sophie konnte nicht anders, als ihn anzusehen. Er sah unverschämt gut aus: groß, sonnengebräunt und durchtrainiert, sein ganzer Körper schien nur aus straffen Muskeln zu bestehen. Aber der harte Gesichtsausdruck ließ Sophie erschauern. Noch immer spürte sie den Druck seiner kräftigen Hände an ihren Oberarmen. Bestimmt würde sie dort später blaue Flecken bekommen.

Ohne seine haltenden Arme fühlte sie sich noch unsicher auf den Beinen. Sie wartete einen Moment, bis sie die Kraft aufbrachte, sich umzudrehen und das Wasser abzustellen. In der plötzlichen Stille hörte sie das Atmen des Mannes. Und den eigenen Puls in ihren Ohren. „Ich habe nichts anderes genommen. Keine Drogen. Kein Alkohol. Dies ist nur eine Reaktion auf die Schlaftabletten.“

Und auf die furchtbaren Ereignisse der vergangenen Wochen.

Langsam wandte sie sich wieder zu ihm um. Sein unfreundlicher Blick, seine abweisende Körperhaltung drückten wenig Verständnis aus.

„Es tut mir leid, dass Sie sich Sorgen gemacht haben.“ Sophie schob sich das feuchte Haar aus dem Gesicht und zwang sich, an ihm vorbeizuschauen. Irgendwohin, um bloß nicht weiter diese unglaublich männliche Brust anzustarren, von der sie nur mit Mühe ihren Blick nehmen konnte. „Ich bin Ihnen wirklich dankbar für Ihre Hilfe. Aber ich bin jetzt okay.“ Offenbar glaubte der Mann ihr nicht. Prüfend musterte er sie von oben bis unten. Normalerweise wäre sie unter diesem durchdringenden Blick vor Verlegenheit fast umgekommen. Aber im Moment empfand sie so gut wie nichts, abgesehen von der schmerzenden Traurigkeit, die wieder in ihr aufstieg.

Schließlich nickte der Fremde und drehte sich um. Sophie blickte wieder zu ihm, registrierte seine breiten Schultern, den glatten tief gebräunten Rücken, seinen durchtrainierten Po in den nassen Boxershorts, die jetzt wie eine zweite Haut saßen. Kräftige Oberschenkel … Erschauernd holte sie Atem.

„Ich ziehe mich in einem anderen Raum um.“ Seine Stimme war völlig emotionslos. Der Fremde griff nach einem Handtuch und reichte es Sophie, dann hob er seine Sachen hoch und verließ das Badezimmer.

War an diesem Mann überhaupt irgendetwas Sanftes oder Liebevolles? Nein, entschied Sophie. Er war durch und durch stahlhart, von seinem durchtrainierten Körper bis hin zu seinem erstarrten Gesicht mit dem abschätzigen Blick. Sicher, er hatte ihr geholfen und sich um sie bemüht. Aber nicht aus Menschenliebe oder Freundlichkeit. Er hatte es einfach für notwendig gehalten. Was seiner Meinung nach getan werden musste, hatte er getan: dafür sorgen, dass sie bei Bewusstsein blieb, bis sie ärztliche Hilfe bekam.

Trotz ihrer vom heißen Wasser erhitzten Haut fröstelte Sophie. Sie trat aus der Dusche, wickelte sich das Handtuch um, nahm ein weiteres für ihr Haar aus dem Regal und huschte in ihr Schlafzimmer. Zehn Minuten später kam sie in alten Jeans und einem weiten T-Shirt wieder heraus und suchte nach dem Fremden, der in ihr Haus eingedrungen war.

Costas stand in der Küche und trank starken schwarzen Kaffee. Die Ähnlichkeit der jungen Frau mit Fotini war überwältigend. Doch mittlerweile hatte er festgestellt, dass sie in vielem anders war. Die junge Frau war zierlicher und schlanker, ihr Gesicht schmaler und mit ausgeprägteren Wangenknochen. Costas schaute nach draußen in den Garten, ohne ihn wirklich wahrzunehmen, und nahm gedankenverloren einen weiteren Schluck von dem Kaffee, der eigentlich noch viel zu heiß war. Im Geiste sah er sie vor sich, wie sie ihm die Tür aufgemacht hatte, Fotini so ähnlich, dass er völlig erschrocken war. Und dann sah er, wie er sie festgehalten hatte, während das Wasser über ihren verführerischen Körper lief. Er fühlte noch immer ihre schmale Taille, die Rundung ihrer Hüften. BH und Slip waren vom Wasser durchsichtig geworden.

Costas hatte sie sofort haben wollen, mit einer wilden und schmerzenden Begierde, die ihm verriet, dass er schon viel zu lange ohne Frau war. Allein ihre zarte glatte Haut zu spüren hatte in ihm den unwiderstehlichen Drang geweckt, sie nackt unter sich zu fühlen. Wären die Umstände doch nur anders, nur für ein oder zwei Stunden. Nur lange genug, um sich ein einziges Mal in ihr zu verlieren, um nur ein einziges Mal die Verantwortung und die Sorgen, die ihn drückten, in der Glückseligkeit zu vergessen, die er bei ihr finden würde.

Ärgerlich versuchte Costas, seine Erregung zu bekämpfen. Ganz gleich, wie groß die Verlockung war, er würde sich nicht von seinem Vorhaben ablenken lassen.

Er hörte Schritte und drehte sich schnell um. Die Frau kam herein, jetzt deutlich sicherer auf den Beinen. Mit dem bis auf die Schultern fallenden, glatt gekämmten Haar und in den lässigen Sachen sah sie wie sechzehn aus. Aber ihr Blick und die dunklen Schatten unter den Augen straften diesen Eindruck Lügen.

Costas runzelte die Stirn, denn statt der jungen Frau in Jeans und T-Shirt sah er sie schon wieder vor sich, wie sie fast nackt mit verführerisch durchscheinenden Dessous vor ihm unter der Dusche stand. Er hatte sie ausgezogen, sie berührt. Dieses Bild hatte sich seinem Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt.

„Hier ist Kaffee“, sagte er schroff und zeigte auf den Tisch.

Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken und nahm den Becher, den er für sie vorbereitet hatte, in beide Hände. „Danke.“

„Ich muss sofort mit Christina Liakos sprechen“, erklärte Costas noch einmal ungeduldig den Anlass seines Besuchs. „Wie kann ich mich mit ihr in Verbindung setzen?“

„Können Sie nicht. Und sie heißt nicht mehr Liakos. Ihr Name ist Paterson. Wer sind Sie?“

„Costas Palamidis.“ Er machte eine Pause, wartete auf ihre Reaktion, doch ihre Miene blieb ausdruckslos. „Ich habe eine dringende Angelegenheit mit Mrs. Paterson zu besprechen.“

„Palamidis“, murmelte sie. „Ich kenne den Namen …“

Aber offensichtlich hatte die Feierei der vergangenen Nacht ihr Erinnerungsvermögen getrübt. Costas Nerven waren zum Zerreißen gespannt. So kam er nicht weiter. „Hören Sie, ich komme gerade aus Athen und muss unbedingt mit Mrs. Paterson sprechen.“ Dass es für ihn um Leben und Tod ging, verschwieg er. Es war zu privat, als dass er es einer Fremden erzählen wollte.

„Athen? Dann waren Sie also der Typ am Telefon!“

Er sah, wie sich ihre Verwirrung jäh in Wut verwandelte. Sophie setzte ihren Becher so hart auf dem Tisch auf, dass der Kaffee überschwappte.

„Sie haben die Nachrichten auf den Anrufbeantworter gesprochen.“

„Nachrichten, auf die ich niemals einen Rückruf erhalten habe …“

„Jetzt weiß ich, wer Sie sind!“ Ihr Stuhl kippte um, als sie aufsprang. „Sie Mistkerl! Ich will, dass Sie gehen. Sofort!“

Costas blieb ungerührt stehen. Die junge Frau schien nicht zurechnungsfähig zu sein. Aber sie war nun einmal seine einzige Spur zu Christina Liakos. Und um sie zu erreichen, würde er sogar mit dem Teufel Geschäfte machen. „Ich gehe nirgendwohin. Ich bin gekommen, weil ich mit Christina Liakos sprechen will – oder Paterson, wie sie jetzt heißt. Und ich bleibe hier, bis ich genau das tun kann.“

Erstaunt beobachtete er, wie ihr zorniger Blick plötzlich leer wurde, als würde sie unter Schock stehen. Dann verzerrte sich ihr Gesicht vor Qual. Ein überreiztes Lachen erfüllte ihn mit bösen Vorahnungen.

„Tja, da werden Sie lange warten müssen, Mr. Palamidis. Ich habe meine Mutter gestern beerdigt.“

2. KAPITEL

Durch einen Schleier brennender Tränen starrte Sophie in ihren Kaffeebecher. Wenn sie gewusst hätte, wer ihr Besucher war, hätte sie ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen. Wie konnte er es wagen, am Tag nach der Beerdigung ihrer Mutter hier aufzutauchen? Wütend versuchte Sophie, die Tränen zu unterdrücken. Er sollte sie auf gar keinen Fall weinen sehen. Ihr Kummer war so groß, dass sie ihn sowieso mit niemandem teilen konnte, und schon gar nicht mit einem so gefühllosen und rücksichtslosen Mann wie ihm. Sophie unterdrückte den Impuls aufzuspringen, ihn anzuschreien und mit ihren Fäusten auf ihn einzuschlagen.

Aber was würde es nützen? Ihre Mutter war tot. Und nichts konnte sie wieder zurückbringen.

Sophie holte mühsam Atem und blickte auf. Seine dunklen Augen hatten sich geweitet vor Verwirrung. Nein, nicht Verwirrung. Vor Entsetzen. Costas Palamidis sah aus, als habe er gerade den größten Schock seines Lebens erlitten. Er war blass geworden, sein Gesicht wirkte verzerrt, und Sophie konnte sehen, wie sein Kiefermuskel zuckte.

„Es tut mir leid“, brachte er schließlich gepresst hervor. „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich Sie nicht gerade heute belästigt.“

„Sie wären zu keiner Zeit willkommen gewesen“, entgegnete Sophie unverblümt. Der Mann besaß tatsächlich die Unverfrorenheit, ihr jetzt noch sein Beileid auszudrücken, jetzt, wo alles zu spät war? Wieso hatten sie sich nicht früher gemeldet, als ihre Mutter noch lebte?

„Wie bitte?“

„Ich will Ihre Entschuldigung nicht, und ich will Ihr Beileid nicht. Ich will überhaupt nichts von Ihnen.“

Er runzelte die Stirn. „Ich verstehe, dass Sie trauern …“

„Nichts verstehen Sie“, fuhr Sophie ihn an. „Sie widern mich an mit Ihrer überheblichen Miene. Verlassen Sie sofort mein Haus, und ich will Sie nie mehr wiedersehen.“

„Wenn ich könnte, würde ich gehen, aber ich kann nicht. Ich bin wegen einer wichtigen Familienangelegenheit hier.“

„Familienangelegenheit?“ Ihre Stimme überschlug sich bei dem Wort. Wie konnte er nur so herzlos sein? „Ich habe keine Familie.“ Keine Geschwister. Keinen Vater. Und jetzt auch keine Mutter mehr.

Er kam näher. So nahe, dass Sophie die Wärme seines Körpers spürte. Aber sie blieb unbeweglich sitzen. Dies war ihr Haus, ihr Territorium. Sie würde nicht klein beigeben.

„Sie haben eine Familie in Griechenland.“

Eine Familie in Griechenland. Wie viele Jahre hatte sie das gehört? Es war das Mantra ihrer Mutter, einer Frau, die sich in einem fremden Land ein völlig neues Leben hatte aufbauen müssen. Einer Frau, die sich nicht hatte einschüchtern lassen, nicht einmal durch die Zurückweisung ihres Vaters. Was für eine Ironie! Ihre Mutter hatte ein Vierteljahrhundert darauf gewartet, bestätigt zu bekommen, dass sie eine Familie in Griechenland hatte. Jetzt, nur Tage nach ihrem Tod, wurden die Worte ihrer Tochter angeboten.

Sophie fing hysterisch an zu lachen.

„Schluss damit!“, befahl er und packte sie an den Schultern.

Aufgeschreckt blickte Sophie ihn an und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Schließlich ließ er sie los. „Ich habe keine Familie“, wiederholte sie.

„Im Moment sind Sie aus dem Gleichgewicht. Aber Sie haben einen Großvater und …“

„Was fällt Ihnen ein!“, sagte Sophie scharf. „Wie können Sie die Unverschämtheit besitzen, ihn in diesem Haus zu erwähnen?“ Sophie hatte die vergangenen Tage nur überstanden, indem sie ihren Blick konsequent nach vorne gerichtet hatte. Die Vergangenheit lag endgültig hinter ihr und mit ihr die sogenannte Familie.

Niemand, nicht einmal der grausame Patriarch der Familie Liakos konnte ihrer Mutter noch etwas anhaben. Und ausgerechnet jetzt erschien ein Handlanger der Liakos’ und rührte alles wieder auf. All den Kummer, die zerstörten Hoffnungen, den schwelenden Hass. Sophie zitterte am ganzen Körper. Diesmal nicht vor Schwäche. „Ich habe in meinem Leben keinen Platz für einen Mann, der seine Tochter verstoßen hat! Der sie Jahr für Jahr ignoriert hat, als würde sie nicht existieren. Nicht einmal als sie im Sterben lag hatte er genug Mitgefühl, um Kontakt mit ihr aufzunehmen!“

Der Grieche konnte die Verblüffung in seinen Augen nicht verbergen. Also war dies neu für ihn. Und seinem Stirnrunzeln nach zu urteilen war es keine erfreuliche Neuigkeit.

„Trotzdem müssen wir reden.“ Er hob abwehrend die Hand, als Sophie erneut Luft holte. „Ich bin nicht der Abgesandte Ihres Großvaters. Ich bin in eigener Sache hier.“

Irritiert hielt Sophie inne und runzelte misstrauisch die Stirn. In eigener Sache? Was sollte das bedeuten? War das ein Trick?

Autor

Annie West
Mehr erfahren