Küss die Zweifel einfach fort

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Erfährt er von ihrem dunklen Geheimnis, wird er sie verachten, dessen ist sich die Ärztin Esme sicher. Ihr Kollege Dr. Carson Ralston ist charmant, anziehend - und verboten für sie! Seine Küsse schmecken zwar süß und erregend. Doch ihre Zweifel können sie nicht zerstreuen …


  • Erscheinungstag 07.04.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506397
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Was will sie hier eigentlich?“, knurrte Carson mürrisch.

„Sieht aus, als würde sie Blumen in einen Topf pflanzen“, bemerkte Schwester Louise Adams trocken.

Carson drehte sich um und warf der altgedienten Arzthelferin seines Vaters, die inzwischen für ihn arbeitete, einen strengen Blick zu. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie sich angeschlichen hatte. Wie ein Ninja. „Ich habe Sie nicht nach Ihrer Meinung gefragt.“

Sie sah ihn tadelnd an, so wie damals, wenn er als kleiner Junge im Büro seines Vaters Unfug gemacht hatte. Ein Blick, der ihm immer noch einen Schauer über den Rücken jagte! Carson merkte, dass er zu weit gegangen war.

„Wenn Sie meine Meinung nicht hören wollen, Dr. Ralston, sollten Sie in meinem Wartezimmer nicht laut denken.“

„Entschuldigung, Louise.“ Er rieb sich seinen Nacken. „Ich hasse es bloß, was hier in Crater Lake gerade alles passiert!“

Ihr Gesichtsausdruck wurde etwas weicher. „Nun ja. Die Stadt wächst. Dass sich ein weiterer Arzt hier niederlässt, war nur eine Frage der Zeit!“

Carson runzelte die Stirn und schob seine Hände in die Hosentaschen, während er der neuen attraktiven Ärztin gegenüber beim Pflanzen zusah. Crater Lake veränderte sich und er wusste noch nicht, ob ihm das gefiel. Sein Vater war über vierzig Jahre lang der einzige Arzt in Crater Lake gewesen, noch bevor Carson das Licht der Welt erblickte. Er hatte die Praxis schon von seinem Großvater übernommen. Und nun war es Carsons Praxis. Seine Eltern waren in den Ruhestand gegangen und in wärmere Gefilde gezogen.

Seit das Städtchen Crater Lake im Jahr 1908 gegründet wurde, hatte es immer einen Ralston-Arzt am Ort gegeben. Daran erinnerte ihn sein Vater nur zu gern. Das einzige Mal, dass es zwei Ärzte gab, war gewesen, als Danielle mit ihm hier lebte und nach dem Studium mit ihm hier praktizierte, doch das war etwas anderes. Sie wollten zusammen arbeiten, heiraten und eine Familie gründen. Aber die Beziehung hielt nicht lange. Danielle mochte das beschauliche Leben und die langen Winter im Nordwesten Montanas nicht.

Luke ist auch Arzt.

Carson schnaubte bei dem Gedanken an seinen älteren Bruder, der ebenfalls Arzt war. Luke hasste die Enge der Praxis. Er zog es vor, in den Wäldern Bären zu verfolgen – oder was immer er da oben in den Bergen trieb. Luke lag nichts daran, die Familientradition aufrechtzuerhalten. Dieser Job blieb an Carson hängen.

Dr. Petersen, die neue Ärztin in Crater Lake, stand auf und streckte sich. Ihr blondes Haar schimmerte in der hellen Frühsommersonne. Er wusste noch nicht viel über die neue Einwohnerin von Crater Lake. Die meisten wussten nicht viel über sie. Seit sie hergezogen war, war sie für sich geblieben.

Ihre Praxis war noch nicht eröffnet, und obwohl es ihm egal sein konnte, fragte Carson sich, wer sie wohl war.

Die Tür ging auf und Carson sah, wie sein Bruder hereinkam, in derben Jeans und Lederjacke, über seiner Schulter hatte er ein Seil geschlungen. Louise gab einen verärgerten Laut von sich, als sie den Schmutz sah, den er reinschleppte.

„Ruhiger Tag?“, fragte Luke und legte das Seil auf einen Stuhl ab.

„Ja. In einer Stunde kommen die Johnstone-Zwillinge zur Impfung.“

Luke zuckte zusammen. „Vorher bin ich wieder weg.“

Louise stand auf und stemmte empört die Hände in ihre ausladenden Hüften. „Würden Sie bitte dieses verfilzte Seil mitnehmen? Mein Wartezimmer war sauber, bis Sie hier aufgetaucht sind. Ganz ehrlich? Wenn Ihre Eltern noch hier wären …“

Luke grinste. „So wie Sie das sagen, klingt es, als wären sie schon tot. Sie leben in Naples in Florida am Rande eines Golfplatzes und genießen das Leben.“

Carson lächelte. „Komm, wir gehen in mein Büro. Entschuldigen Sie bitte, Louise.“ Carson schaute noch einmal aus dem Fenster, aber Dr. Petersen war schon im Haus verschwunden. Luke folgte seinem Blick und sah seinen Bruder nachdenklich an.

Im Büro angekommen, setzte sich Luke auf einen der Stühle. „Was ist so interessant da draußen?“

„Es gibt eine neue Ärztin in der Stadt“, sagte Carson.

Luke grinste und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Oh, ich verstehe.“

„Was verstehst du?“

„Ich habe sie gesehen. Ich bin ja nicht blind.“

Carson schnaubte. „Das meine ich nicht.“

Luke zog eine Augenbraue hoch. „Was meinst du dann?“

„Es ist eine neue Ärztin in der Stadt. Und sie bedroht unsere Familientradition.“

Luke zuckte mit den Schultern. „Es ist deine Praxis, nicht meine.“

So war sein Bruder. Er scherte sich nicht um die Familienpraxis und um die Generationen von Ralstons, die ihren Schweiß gelassen hatten, um die Praxis und die Stadt aufzubauen. Das war etwas, das nur Carson am Herzen lag.

Tut es das wirklich?

Carson rieb sich den Nasenrücken. „Ich dachte, du wärst dagegen, die Stadt zu vergrößern, um einen Ski-Hot-Spot daraus zu machen.“

„Das bin ich. Nun … ich war es, aber ich konnte es am Ende ja nicht verhindern.“

„Vielleicht hättest du mal die öffentlichen Versammlungen besuchen sollen“, sagte Carson. Wann hatte Luke das Interesse daran verloren? Naja, es war ja nicht seine Sache! Außerdem sah er am Blick seines Bruders, dass Luke nicht darüber reden wollte. Zeit für einen Themenwechsel!

Carson drehte sich um und setzte sich auf die andere Seite des Schreibtisches. „Was führt dich aus den Bergen hier herunter und was um Himmels willen willst du mit diesem Seil fesseln?“

Ein teuflisches Lächeln erschien auf Lukes Gesicht. Ein Lächeln, das ihre Mutter früher immer in Angst und Schrecken versetzt hatte. Meistens bedeutete es nämlich, dass Luke kurz darauf in ernsthafte Schwierigkeiten geriet. „Nichts Besonderes. Ich wollte nur meine Arzneimittelbestände auffrischen. Ich werde ein paar Gutachter in den Wald führen.“

„Und mit dem Seil willst du sie fesseln und den Bären als Köder vorwerfen?“

„Diese Idee hatte ich auch schon. Aber genau wie du, lieber Bruder, habe ich den hippokratischen Eid geleistet. Ich habe geschworen, keine Gewalt anzuwenden.“

„Hmmm.“

„Du musst mal etwas für dich tun. Du bist zu empfindlich, lieber Bruder.“

Carson schnaubte. „Das musst du gerade sagen. Du weißt ja, dass die Nachbarskinder dich für den Grinch halten. Letztes Jahr hat einer der Johnstone-Zwillinge tatsächlich geglaubt, du würdest von den Bergen runterkommen und ihnen das Weihnachtsfest stehlen!“

„Das habe ich ihr erzählt, weil sie mein Pferd erschreckt hat.“

„Du bist schrecklich zu Kindern!“, sagte Carson.

„Ich kann super mit Kindern. Dad wusste eben, dass du eher der Bürotyp bist und ich eher wild.“

Das muss schön sein.

Der Gedanke überraschte ihn, schließlich kannte er Lukes Art zu leben schon lange. Luke machte immer, was er wollte und strebte nach Freiheit. Carson war eher der zurückhaltende Typ. Der Verlässliche, der nie das Risiko suchte. Carson schüttelte den Kopf. „Solange du nicht nackt durchs Leben rennst, kann es mir egal sein.“

Luke grinste. „Ich wusste gar nicht, dass du so besorgt bist.“

Carson konnte nicht anders und lachte. „Schwing deinen Hintern aus meinem sauberen Büro und geh zurück in deine Berge, bevor Louise einen Herzinfarkt bekommt. Ich habe gleich Patienten. Patienten, die glauben, dass du ihnen das Weihnachtsfest stiehlst.“

„Genau. So, bekomme ich nun meine Sachen? Ich arbeite zwar nicht offiziell in der Praxis, aber streng genommen bin ich Mitinhaber.“

„Du weißt, wo alles ist. Ich muss es dir wohl nicht erklären.“

„Danke.“ Luke stand auf.

„Und nimm dein Seil mit.“ Luke verschwand im Behandlungsraum, während sich Carson zurücklehnte und sich mit der Hand übers Gesicht rieb. In einem Punkt hatte Luke Recht. Er war zu empfindlich. Er arbeitete zu viel.

Du verschwendest hier dein Talent als Chirurg. Warum hast du das Praktikum in der Mayo-Klinik abgelehnt? Warum gibst du die Privilegien auf, die du als Chirurg hättest und arbeitest stattdessen hier als Allgemeinmediziner?

Danielles Worte verfolgten ihn unangenehm – spätestens, seit das alte Verwaltungsgebäude gegenüber verkauft worden war und er Wind davon bekam, dass ein neuer Arzt aus Los Angeles in die Stadt kommen sollte. Die älter werdende Bevölkerung der Stadt wurde allmählich zum Problem und mit dem neuen Tourismusboom kamen zwar mehr Menschen, doch die blieben nicht lange. Carson fragte sich, ob die Zeit des Kleinstadtarztes vorbei war. Vielleicht verschwendete er sein Leben? Vielleicht hätte ihm die Praxis genauso egal sein können wie Luke. Vielleicht wäre er ein großartiger Chirurg geworden?

In letzter Zeit hatte er solche Gedanken immer häufiger. Er ging zwar keine aufregenden Risiken ein, aber er war glücklich mit seinen Entscheidungen. Das war der Weg, den er gewählt hat und er war zufrieden damit. Er war glücklich.

Wen willst du überzeugen?

Er stöhnte. Er sollte die Geister der Vergangenheit verscheuchen und sich in den Griff kriegen. Carson schüttelte die Gedanken ab. Nein, er tat das, was er immer tun wollte. Sicher, er hatte tolle Angebote bekommen, als Chirurg zu arbeiten, aber er hatte abgelehnt. Er mochte das Leben in der Kleinstadt. Er mochte es, dass in Crater Lake jeder jeden kannte. Er würde in der Großstadt untergehen. Er würde im Operationssaal gefangen sein und unzählige Überstunden machen. Hier gefiel es ihm besser.

Noch …

Es wurmte ihn, dass es eine neue Ärztin in der Stadt gab, doch er konnte nichts dagegen tun. Sie kam aus Kalifornien und er bezweifelte sehr, dass sie den ersten Winter hier überstehen würde. Dieser Gedanke tröstete ihn.

Louise klopfte an die Tür und trat ein. Sie sah besorgt aus. „Dr. Ralston, Mrs. Johnstone ist im Wartezimmer. Sie möchte mit Ihnen sprechen.“

„Ist alles in Ordnung? Die Impfung der Zwillinge ist doch später.“

Louise presste ihre Lippen zusammen. „Sie hat den Termin abgesagt und möchte ihre Akte mitnehmen.“

„Moment!“, rief Esme. Sie fragte sich, wer da draußen an ihrer Tür klopfte. Sie hatte ja noch gar nicht eröffnet. Erst am Ende der Woche stand der große Tag an. Wenn es Lieferanten waren, sollten sie das Schild lesen und den Hintereingang nehmen. Aber das Klopfen ließ nicht nach. Es klang fast aggressiv, und das ließ sie innehalten. Vielleicht sollte sie erst mal einen Blick aus dem Fenster werfen. Das Letzte, was sie jetzt wollte, war die Presse vor ihrer Tür.

Sie hatte sich in den vergangenen Monaten wirklich genug mit denen rumgeärgert. Sie hatte genug mit ihnen zu tun gehabt, bevor sie Hals über Kopf die Abgeschiedenheit der Berge gesucht hatte. Als sie sich Crater Lake als ihre neue Heimat auserkoren hatte, war ihr durchaus bewusst gewesen, dass dies ein aufstrebender Ski-Ort war. Von dem neuen Hotel mit dem Luxus-Spa hatte sie allerdings nichts geahnt. Das war eigentlich nicht das, was sie wollte. Klein, verschlafen und friedlich sollte es sein. Doch sie hatte ihr gesamtes Geld für die Praxis ausgegeben und konnte jetzt keinen Rückzieher mehr machen.

Das Haus, das sie gekauft hatte, war schon seit fünf Jahren auf dem Markt. Sie wusste, dass es eine alte Familienpraxis im Ort gab. Seit Generationen hatte es hier einen Dr. Ralston gegeben. Es wurde Zeit, dass mal ein frischer Wind in Crater Lake wehte.

Das Klopfen erinnerte Esme daran, dass sie noch Material für ihre Praxis erwartete und sie schaute kurz aus dem Fenster ihres Behandlungsraumes.

„Wow.“

Der attraktive Mann, der vor ihrer Tür stand, war definitiv nicht von der Presse. Er hatte keine Kamera dabei und kein Mikrofon, noch nicht einmal ein Smartphone. Er war gut gekleidet, geschäftlich-lässig. Sein braunes Haar war ordentlich gekämmt, er war zudem frisch rasiert, dennoch sah man, dass er eher der Outdoor-Typ war. Die Ärmel seines weißen Hemdes waren hochgekrempelt und gaben seine braungebrannten, muskulösen Unterarme frei.

Er war ein gut gekleideter Naturbursche und Esme hatte eine Schwäche für Naturburschen. Hatte sie schon immer, doch in Los Angeles war es nicht so einfach, solche Typen zu treffen. Wenn man von den Countrysängern absah, die sie hätte behandeln können. Hatte sie aber nicht.

Und als sie sich ganz sicher gewesen war, den richtigen Mann gefunden zu haben, stellte sich heraus, dass er es nicht war. Doch sie durfte jetzt nicht an Shane denken.

Wer auch immer dieser Typ war, er war absolut tabu für sie! Esme wollte hier einfach mit niemandem eine engere Beziehung eingehen. Das Einzige, was sie bisher über Crater Lake herausgefunden hatte, war, dass es hier sehr viele ältere Menschen und junge Familien gab. Dies war kein Platz für Singles – und genau das gefiel ihr.

Sie war hier, um sich zu verstecken, und nicht um glücklich zu werden. Das hatte sie auch nicht verdient. Nicht nach dem, was sie Shane angetan hatte. Nicht nach dem, was ihr im Operationssaal zugestoßen war. Es war zu schmerzhaft.

Nein, Liebe und Freundschaft gehörten nicht zu den Dingen, wegen derer sie hier war. Sie war hier, um Ärztin zu sein. Sie war hier, damit sie niemand finden konnte.

Er hämmerte wieder an ihre Tür. Sie strich sich mit den Fingern durchs Haar und hoffte, sie würde nach all der Umzugsarbeit nicht zu sehr nach Schweiß riechen. Nicht, dass sie Eindruck auf ihn machten wollte, aber sie wollte potenzielle Patienten nicht gleich mit Schweißgeruch verprellen.

„Nur eine Sekunde.“ Esme entriegelte die Tür und öffnete sie. „Hey, ich habe heute nicht geöffnet.“

„Ich weiß“, sagte er knapp, „darf ich reinkommen?“

„Ich kenne Sie doch gar nicht.“

„Ist das Ihre Art, die Bewohner von Crater Lake zu behandeln?“

Was war mit dem Typ los? „Wie wäre es, wenn wir uns erst mal vorstellen? Ich bin Dr. Petersen.“ Sie streckte ihre Hand aus, aber er schaute sie nur an und ignorierte ihr Bemühen.

„Ich weiß, wer Sie sind, Dr. Petersen.“ Seine blauen Augen waren dunkel geworden und seine Augenbrauen zogen sich zusammen.

Oh nein!

„Ja? Sie wissen, wer ich bin? Das kann ich von Ihnen jetzt nicht gerade behaupten.“ Sein Mund klappte überrascht auf, dann schloss er ihn wieder. Er war wirklich sauer, aber dafür hatte sie jetzt keine Zeit. „Sehen Sie, ich habe heute viel zu tun. Warum rufen Sie nicht in der Praxis an und machen einen Termin mit meiner Arzthelferin?“

„Sie haben eine Arzthelferin?“, fragte er.

„Nun, noch nicht. Aber ich habe schon mit einigen vielversprechenden Kandidaten gesprochen.“

„Darauf möchte ich wetten.“

Esme zuckte zusammen. „Habe ich Sie irgendwie verärgert? Dann tut es mir leid. Aber noch mal: Ich habe noch nicht geöffnet.“

„Ich weiß, dass Sie noch nicht geöffnet haben. Aber das hält Sie nicht davon ab, meine Patienten abzuwerben.“

Esme war wirklich erstaunt. „Wer sind Sie?“

„Ich bin Dr. Ralston und bis vor zwei Stunden war ich noch der Hausarzt der Familie Johnstone.“

Jetzt war sie wirklich überrascht. „Sie sind Dr. Ralston?“

„Ja.“

„Dr. C. Ralston?“

„Ja.“

„Ich glaube es ja nicht.“ Esme machte einen Schritt zur Seite, um ihn reinzulassen, aber sie hatte ihn kaum gebeten, da marschierte er an ihr vorbei und setzte sich mit verschränkten Armen auf die Schreibtischkante.

„Was glauben Sie nicht? Ich kann Ihnen meine Lizenz zeigen.“

Esme schüttelte verwirrt den Kopf. „Aber Dr. Charles Ralston hat mehr als vierzig Jahre lang in Crater Lake praktiziert.“

Sie schloss die Tür, aber ließ einen Spalt offen. Nur für den Fall, dass der Typ verrückt war und sie fliehen musste …

„Dr. Charles Ralston ist mein Vater und ich bin Dr. Carson Ralston. Ich habe die Praxis übernommen, als mein Vater vor fünf Jahren in den Ruhestand ging.“

„Ach, und ich bin der Lump, der Ihnen die Patienten stiehlt?“

„So ist es.“

Esme verschränkte jetzt auch ihre Arme. „So, wie kann ich Ihnen helfen?“

„Hören Sie auf, meine Patienten abzuwerben.“ Es war ein leichter Schimmer in seinen blauen, blauen Augen und er schien nicht mehr ganz so verärgert zu sein.

„Es tut mir leid, aber Ihre Pateinten wollten zu mir, ich konnte sie nicht davon abbringen“, sagte sie.

„Sie können nicht in eine kleine Stadt kommen und dem Arzt, der hier schon so lange praktiziert, einfach die Patienten klauen.“

Esme hob eine Augenbraue. „Ist das eine Art Arztgesetz? Das ist neu für mich.“

„Es ist das Gesetz der Stadt.“

Es sah so aus, als würde er nicht klein beigeben, bis sie die Patientenunterlagen aushändigte. Aber sie hatte die Akten ja noch gar nicht. „Ich muss Sie enttäuschen, Dr. Ralston. Aber als ich im Kaufhaus auf Mrs. Johnstone traf, schienen ihre Zwillinge ganz angetan von mir zu sein und sie fragte mich, ob ich nicht ihre Hausärztin werden könnte.“

„Was meinen Sie damit, die Zwillinge seien ganz angetan von Ihnen?“

Sie grinste. „Ich meine, dass ich Ihnen keine Angst einjage wie der alte, grimmige Dr. Ralston.“

Einen Augenblick stand ihr Besucher fassungslos da, dann nickte er ihr zu. „Also gut, ich werde Sie nicht länger damit behelligen.“

„Jetzt seien Sie kein Miesepeter.“

Er zuckte mit den Schultern und wandte sich zur Tür. „Wenn ich alt und grimmig bin, kann ich jetzt nichts mehr tun.“

Ein Hauch von Furcht stieg in ihr auf. „Was wissen Sie über sie, das Sie mir nicht sagen wollen?“

Jetzt war es an ihm, zufrieden zu grinsen. „Nichts. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit den Zwillingen. Aber ich sage Ihnen, wenn Sie nicht aufhören meine Patienten zu klauen, gibt es Krieg.“

Esme konnte das Lachen nicht verkneifen. „Sie wollen mir den Krieg erklären, Dr. Ralston?“

„Ich denke schon, Dr. Petersen.“ Er lachte in sich hinein, als er die Tür hinter sich schloss, und Esme fragte sich, wo sie da reingeraten war.

Das Beste würde wohl sein, sich von Carson fernzuhalten.

Das könnte in einer solch kleinen Stadt schwierig werden, aber sie würde es versuchen.

2. KAPITEL

Carson war froh, dass der Sommer Einzug hielt und die Tage länger wurden. Obwohl er das längere Tageslicht nicht wirklich genießen konnte, wenn er länger arbeitete. Und das tat er oft, weil ihn zu Hause ja nichts erwartete.

Er hatte ein großes, leeres Haus, das er nur zum Schlafen nutzte. Das wars. Er hatte es für sich und Danielle gebaut. Danielle war aber nicht lang genug geblieben, um darin zu leben …

Die Sonne ging langsam hinter den Bergen unter und tauchte Mount Jackson in rosiges Licht. Dieser Anblick erfreute ihn immer noch. Er liebte Montana. Er hatte in der Vergangenheit viele Fehlentscheidungen getroffen. In Montana zu bleiben, gehörte allerdings nicht dazu.

Sicher waren die Berge und die Szenerie kein Ersatz für einen Weggefährten, aber die Berge würden ihn nicht betrügen und ihm das Herz brechen, wie Danielle es getan hatte.

Als Carson die Praxis abschloss, konnte er nicht anders und blickte zur anderen Straßenseite. Zur Praxis von Dr. Petersen. Er sah, dass noch Licht brannte.

Letzte Woche hatte sie eröffnet, aber er hatte keine weiteren Patienten verloren. Die meisten Patienten, die zu ihr gingen, waren Ski-Touristen. Das neue Luxushotel würde immer mehr Menschen in die Stadt locken. Einiges war noch im Bau, aber das Haupthaus war schon fast fertig. Sobald das Hotel über einen eigenen Arzt verfügte, würde Dr. Petersen empfindliche finanzielle Einbußen hinnehmen müssen. Er selbst hatte diesen Job abgelehnt …

Irgendwie hatte Carson ein schlechtes Gewissen. Er hätte ihr nicht den Krieg erklären sollen.

„Du hast ihr den Krieg erklärt?!“ Sein Bruder Luke hatte einen regelrechten Lachanfall bekommen, als er ihm davon erzählt hatte.

Das letzte Mal, dass Carson jemandem den Krieg erklärt hatte, war in ihrer Kindheit gewesen, als er zehn war und Luke fünfzehn.

Carson hatte im ganzen Haus Fallen aufgestellt. Luke gab vor, Waffenstillstand schließen zu wollen, doch es endete damit, dass Carson kopfüber im Baum hing. Ihr Vater setzte dann allen bestehenden und künftigen Kriegen ein Ende.

Carson seufzte. Die neue Ärtzin von Gegenüber hatte ihn ein wenig gereizt und es hatte ihn getroffen, dass die Johnstone-Zwillinge ihn für grimmig und alt hielten. Aber im Grunde war er froh, die beiden Satansbraten los zu sein. Doch es ging ihm auch ums Prinzip. Sein Vater war in all den Jahren nicht als alt und grimmig bezeichnet worden und er hatte niemals Patienten an einen anderen Arzt verloren.

Es hat aber auch nie einen anderen Arzt in Crater Lake gegeben.

In den vergangenen Jahren waren viele neue Familien in die Stadt gezogen. Dr. Petersen machte Werbung für sich, das hatte er im Lokalradio gehört. Vielleicht sollte er auch mal Werbung für sich machen. Vielleicht ruhte er sich zu sehr auf seinem Status aus und drohte, ins Hintertreffen zu geraten.

Carson rieb sich seinen Nacken. Er sollte ihr vielleicht doch die Hand reichen. Er überquerte die Straße und schaute in das Fenster ihrer Praxis, um einen Blick auf sie zu erhaschen, ihre Aufmerksamkeit zu erregen und vielleicht mit ihr zu sprechen. Bevor er wusste was geschah, hörte er einen Schrei, seine Handgelenke waren umklammert und er fand sich auf dem Boden wieder, den Bürgersteig nur Millimeter vor seiner Nase.

„Was zum Teufel?“ Carson schrie vor Schmerz, sein Arm fühlte sich an, als würde jemand Hunderte Nadeln hineinstecken. Er drehte seinen Kopf und sah – Esme Petersen. Sie hatte sich auf ihn gesetzt und seinen Arm in einem unangenehmen Winkel auf den Rücken gedreht.

„Arrgh. Sie können jetzt von mir ablassen, ich brauche meinen Arm noch“

„Um Himmels willen, Dr. Ralston, Entschuldigung.“ Sie ließ seinen Arm los und stieg von ihm ab. „Ich dachte, Sie wären ein Einbrecher.“

Stöhnend kam Carson wieder auf die Füße. „Es gibt nicht viele Einbrecher in Crater Lake, es ist eine ziemlich sichere Stadt.“

„Tut mir leid, dass ich Sie so attackiert habe, aber Sie haben mir Angst eingejagt. Warum zum Henker sind Sie so ums Haus geschlichen?“

„Wie zum Teufel haben Sie das gemacht?“, fragte er und säuberte sein T-Shirt.

„Was gemacht?“, fragte Esme.

„Mich so schnell niederzustrecken.“

Esme grinste. „Krav Maga, eine Selbstverteidigungstechnik. Aber Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Warum haben Sie in mein Fenster gestiert und sich so verdächtig benommen? Hat das etwa mit Ihrem Krieg zu tun?“

„Ja, irgendwie schon.“ Carson griff sich an die Stirn und zuckte zusammen. „Ich glaube, ich blute.“

„Oh mein Gott, ja.“ Esme griff nach seiner Hand und führte ihn zur offenen Tür. „Kommen Sie rein, ich werde die Wunde reinigen. Das ist das Mindeste, das ich tun kann.“

„Nein danke“, murmelte Carson und versuchte, ihr seine Hand zu entziehen. „Ich glaube, Sie haben schon genug angerichtet.“

„Bitte lassen Sie mich das machen, schließlich bin ich dafür verantwortlich.“ Sie drängte ihn in das großzügige Wartezimmer, das ganz in Gelb eingerichtet war. Im Vergleich zu seinem eigenen Wartezimmer wirkte es viel frischer und heiterer. Carson runzelte die Stirn.

„Kommen Sie ins Behandlungszimmer, dann schau ich mir das mal an.“

Carson schnaubte. „Werden Sie mir das in Rechnung stellen?“

Esme verdrehte die Augen. „Wie kann man nur so verdrießlich sein! Vielleicht sollte ich das wirklich tun! Warum schleichen Sie auch hier herum und erschrecken mich?“

Carson setzte sich auf die Behandlungsliege, während sie voller Tatendrang ihre Hände über dem Waschbecken wusch, ihre zarten kleinen Hände. Sie sahen weich und warm aus und Carson fragte sich, wie sich ihre Hände wohl in seinen Händen anfühlen würden. Doch er durfte jetzt nicht an so etwas denken. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“

„Vielleicht gehört das ja zu dem Krieg, den Sie mir erklärt haben? Macht man das nicht so? Wendet man da nicht solche Tricks an, um den Gegner einzuschüchtern?“ Esme stand auf ihren Zehenspitzen und griff nach einer Packung, die oben im Regal stand. Sie begann zu keuchen und zu fluchen, weil sie nicht drankam. Carson stand auf und griff für sie nach der Packung mit dem Pflaster. Seine Finger streiften ihre Hände, die immer noch versuchten, nach oben zu greifen.

So zart.

Sein Herz schlug schneller, er war ihr so nah, er sah auf sie herab und sie sah überrascht zu ihm hoch. Er hatte gar nicht bemerkt, wie blau ihre Augen waren. Und wie rot ihre Lippen waren, die einen reizvollen Kontrast zu ihren hellblonden Haaren bildeten. Sie erinnerte ihn ein wenig an eine kleine, lebhafte Marilyn Monroe.

Konzentrier dich.

Carson reichte ihr die Schachtel mit dem Pflaster. „Wenn Sie nicht drankommen, sollten Sie es nicht so hoch ablegen.“

„Hab ich ja gar nicht, das war mein Assistent. Er ist ein bisschen größer als ich.“

„Er?“, fragte Carson verblüfft.

„Ach, ein Sexist sind wir auch?“

Carson verdrehte nur stumm die Augen.

„Ach, setzen Sie sich. Sie sind ein echter Griesgram, Dr. Ralston.“

Carson setzte sich wieder auf die Liege, sein Kopf hatte angefangen zu pochen. „Mann, Sie haben mir ja einen verpasst. Wie nennen Sie es gleich?“

„Krav Maga.“ Esme zog Handschuhe an. „Sorry.“

Autor

Amy Ruttan

Amy Ruttan ist am Stadtrand von Toronto in Kanada aufgewachsen. Sich in einen Jungen vom Land zu verlieben, war für sie aber Grund genug, der großen Stadt den Rücken zu kehren. Sie heiratete ihn und gemeinsam gründeten die beiden eine Familie, inzwischen haben sie drei wundervolle Kinder. Trotzdem hat Amy...

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