Lass Dich glücklich machen

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Wer in der Geburtstagsnacht das sagenumwobene Nachthemd trägt, sieht im Traum den zukünftigen Ehemann! Ein Märchen, glaubt Cassie. Aber als Ryan sie kurz vor ihrem Geburtstag küsst, schlüpft sie abends hinein. Wird sie von ihm träumen - oder von ihrem Verlobten Joel?


  • Erscheinungstag 28.12.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733766283
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Er Hunger“, sagte die kleine zweijährige Sasha sehr ernst. Ihre großen blauen Augen hatten sich verdunkelt. „Will Erdnussbutter.“

„Er“, war weder ein kleiner Bruder noch ein Haustier, sondern ein summendes Faxgerät. Zerknülltes Papier verstopfte die Papierzufuhr, die Tasten waren mit Erdnussbutter verschmiert, ein klebriger Löffel ersetzte den Hörer. Ryan Lawfords Hand verkrampfte sich um die zehn Seiten, die er innerhalb der nächsten halben Stunde nach Japan schicken musste.

„Ich auch Hunger“, verkündete Sasha. „Will Udel.“

„Aber ja“, antwortete Ryan und biss die Zähne zusammen. Nudeln, warum nicht? Er konnte sie einfach zubereiten, einen kleinen Salat dazu herrichten, ein Glas Wein für sich selbst und Milch für seine Nichte, fertig wäre die Mahlzeit.

Allerdings standen der Sache noch einige Kleinigkeiten im Wege. Erstens konnte er nur Fertiggerichte in der Mikrowelle aufwärmen, und dann auch nur, wenn präzise Anweisungen auf der Packung standen. Zweitens hatte er festgestellt, dass der Kühlschrank leer war, abgesehen von dem verdammten Glas Erdnussbutter, das gerade an das Faxgerät verfüttert worden war. Und drittens: Was hatte er hier überhaupt zu suchen? Er kannte sich mit Kindern und deren Bedürfnissen überhaupt nicht aus.

„Bin gleich wieder da“, versuchte er Sasha abzuwimmeln. Seit er am Ende der vergangenen Woche angekommen war, um die Formalitäten für die Beerdigung seines Bruders und seiner Schwägerin zu regeln, war sie ihm wie ein kleiner Hund gefolgt.

Sasha ließ sich jedoch nicht abschrecken. Sie trippelte hinter ihm her, das Erdnussbutterglas fest im Arm.

„Onkel Ryan? Will Mom sehen.“ Die kleine Stimme zitterte, und er brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, dass Tränen über ihre Wangen kullerten. Im Hintergrund summte das Faxgerät weiter, und das Telefon klingelte. Ryan betrachtete seinen Computer und überlegte, dass er die Seiten scannen und per E-Mail versenden könnte.

Er nahm den Hörer ab und bellte ein „Hallo“ ins Telefon.

Das Erdnussbutterglas fiel auf den Boden, zerbrach jedoch glücklicherweise nicht. Sasha weinte dennoch lauter. „Mommy“, schniefte sie, als bräche ihr das Herz.

Am Telefon begann einer seiner Mitarbeiter, ein heikles Problem zu erörtern. Ryan konnte sich nicht konzentrieren. „Rufen Sie später wieder an“, bat er, hängte auf und rannte zu Sasha. Bevor er sie erreichte, klingelte es an der Tür.

Wer konnte das nun wieder sein? An diesem Tag lief aber auch alles schief!

„Ich komme gleich zu dir. Ich muss nur schnell die Tür aufmachen!“

Das Mädchen flüsterte nur: „Mommy.“

Ryan musste schlucken. Wie konnte er einem Kleinkind klarmachen, dass weder seine Mutter noch sein Vater je zurückkommen würden? Zum hundertsten Mal in weniger als einer Woche verfluchte er seinen Bruder dafür, dass er ihn zum Vormund seiner einzigen Tochter bestimmt hatte.

Vor der Tür stand eine lächelnde junge Frau.

„Hallo, Mr. Lawford. Wir haben uns nach der Beerdigung getroffen, aber Sie werden sich wahrscheinlich nicht an mich erinnern.“

Sie trug zwei große Tüten mit Lebensmitteln im Arm und reichte ihm eine davon. Ryan musterte seine Besucherin kurz. Hübsche Figur, dichtes, dunkles, kinnlanges Haar und große Augen.

„Es ist ja schon fast eine Woche her“, sagte sie und ging in das Haus. „Ich habe mir gedacht, dass Sie ziemlich hilflos dastehen. Sasha ist ein nettes Kind, aber sie ist zwei, und das ist ein schlimmes Alter. Ich weiß, dass Sie selbst keine Kinder haben. Ihre Schwägerin sprach oft von Ihnen, wenn sie Sasha abholte. Deswegen bin ich hier.“

Während sie sprach, war sie in die Küche gegangen, wo sie das Chaos betrachtete. In dem ehemals hübschen, hellen Zimmer lagen überall Teller und Plastikbehälter herum. Der Boden war von Flecken übersät, Überbleibsel des Versuchs, Sasha am Tisch zu füttern, bevor Ryan begriffen hatte, dass sie dafür noch zu klein war, und dass sie trotz ihrer Beteuerungen in ihren Hochstuhl gehörte.

Die Frau drehte sich langsam um und sah ihn an.

„Es waren sicherlich schwere Tage für Sie.“ Ihr freundlicher Gesichtsausdruck war voller Mitgefühl. Sie stellte die Tüte mit den Lebensmitteln auf einen freien Stuhl.

Ryan sah die Frau an und dann die Tüte, die er im Arm hielt. Dann erst fragte er: „Wer sind Sie, und was wollen Sie hier?“

Bevor sie eine Antwort geben konnte, hörte er einen leisen Schrei, gefolgt vom Geräusch trippelnder Füße.

„Cassie!“, rief Sasha, sichtlich erfreut.

Das Kind rannte, so schnell es konnte, durch die Küche und auf die Frau zu.

„Hallo, du Dreckspatz!“, sagte Cassie, die sich gebückt hatte, um Sasha in ihre Arme zu nehmen.

„Ich habe dich vermisst. Wie geht’s dir?“

Sasha gab ihr einen dicken Kuss, kuschelte sich in ihre Arme und strahlte.

„Ich helfe Onkel Ryan.“

Cassie wandte sich an Ryan. „Sasha meint es gut, aber ihre Hilfe führt meist zur Katastrophe. Sie haben mein ganzes Mitleid.“

„Das Faxgerät braucht Ihr Mitleid mehr als ich. Sie hat versucht, es mit Erdnussbutter zu füttern.“

Cassie schmunzelte. „Hast du das wirklich getan?“, fragte sie, während sie Sasha die Tränen wegwischte. „Hast du das Gerät gefüttert?“

Das Kind nickte: „Er Hunger. Ich helfen.“

Ryan starrte die junge Frau an, die vor ihm stand. Sasha hatte offensichtlich Vertrauen zu ihr. Vielleicht war sie die Lösung.

„Wer sind Sie?“, wiederholte er.

Cassie stellte Sasha wieder auf die Füße und rückte ihren Rock zurecht. Sie kam ihm entgegen und reichte ihm die Hand: „Entschuldigung! Ich bin Cassie Wright und arbeite als Erzieherin in Sashas Kinderkrippe. Die Kleine ist seit sechs Monaten in meiner Gruppe.“ Ihr Blick kreuzte seinen, und ihre Stimme wurde weicher. „Ich dachte, es könnte Ihnen schwerfallen, sich auf das Leben mit einer Zweijährigen einzustellen. Ich bin gekommen, um Ihnen meine Hilfe anzubieten.“

Ryan verspürte Erleichterung, nahm ihre Hand wie einen Rettungsring und lächelte sie an. „Schön! Ja, ich habe selbst keine Kinder, und mir fehlt jede Erfahrung auf diesem Gebiet. Ich habe versucht zu arbeiten, aber Sasha folgt mir überall. Es ist geradezu unmöglich, irgendetwas vernünftig zu erledigen.“ Er ließ ihre Hand los und warf einen Blick auf seine Uhr. „Ich muss unbedingt diese Seiten nach Japan senden. Ich bin schon spät dran. Könnten Sie vielleicht kurz auf Sasha aufpassen? Es dauert nicht lange.“

Er verschwand, ohne ihre Zusage abzuwarten.

Meine Gebete sind erhört worden, dachte er, während er die Seiten scannte. Er wusste nicht, was er mit seiner Nichte anfangen sollte. Er wollte schnellstmöglich zurück nach San Jose, aber er musste sich um Johns und Helens Angelegenheiten kümmern. Er musste entscheiden, was mit dem viktorianischen Haus, das sein Bruder und seine Schwägerin gerade gekauft hatten, passieren sollte, und es gab noch tausend andere Kleinigkeiten, die geregelt werden mussten. Leider war niemand außer ihm da, der dafür infrage kam.

Jedoch konnte Cassie ihm zumindest helfen, was Sasha betraf. Sie könnte vielleicht babysitten oder ihm jemanden nennen, der das Kind den ganzen Tag betreuen konnte. Eine Nanny, eine Art Mary Poppins.

Dreißig Minuten später begab sich Ryan wieder in die Küche. Er fühlte sich noch nicht bereit, Sasha in die Augen zu sehen, aber er konnte Cassie nicht mit ihr allein lassen, auch wenn er große Lust dazu gehabt hätte.

Sasha saß in ihrem Hochstuhl. Offensichtlich hatte sie gerade gegessen, denn sie war buchstäblich bis zu den Ellbogen mit roter Soße beschmiert. Cassie räumte gerade die Spülmaschine ein.

Ryan blieb auf der Schwelle der Küche stehen. Das war eine Szene, die er zwar tausend Mal im Fernsehen oder im Kino gesehen, aber niemals selbst erlebt hatte. Es verunsicherte ihn, eine Frau und ein Kind im Haus zu haben. Er fühlte sich fehl am Platz.

Cassie drehte sich um. „Haben Sie Ihr Fax senden können?“

„Ja. Danke, dass Sie auf die Kleine aufgepasst haben.“

Er warf einen Blick auf Sasha, die ihn anlächelte, während sie den mit einem Deckel versehenen Becher mit beiden Händen umfasste und zum Mund führte. Sie trank, ohne mehr als ein paar Tropfen zu verschütten. Ryan erinnerte sich daran, dass sie das erste Glas Milch, das er ihr gegeben hatte, über ihren Pyjama und über seine Schuhe gegossen hatte. Er hatte zwar alles weggewischt, aber seine Schuhe rochen seitdem seltsam.

Sasha setzte die Tasse auf den Tisch und quengelte. Sie wollte wieder herunter.

„Okay. Aber ich wische dir zuerst den Mund ab“, sagte Cassie, nahm ein feuchtes Tuch, um Gesicht und Hände zu säubern, bevor sie das Kind auf den Boden stellte.

Sasha klammerte sich an seinem Bein fest und sah ihn an: „Udel.“

„Zum Abendessen?“, fragte er. Sie nickte und er wandte sich an Cassie. „Genau das Essen, das sie sich gewünscht hatte!“

Cassie grinste.

„Kein Wunder. Ich gebe diesem Kind fast jeden Tag etwas zu essen. Ich weiß, was es mag.“

„Verstehe.“ Er befreite sich von Sasha und ging zum Tisch. Cassie hatte die Stühle freigeräumt. Er setzte sich und bat Cassie, ebenfalls Platz zu nehmen. Sie setzte sich und nahm das Kind auf den Schoß.

Zunächst herrschte Schweigen. Ryan wusste nicht, wie er beginnen sollte.

„Es war nicht einfach …“

„Sicher nicht“, pflichtete Cassie ihm bei. „Alles kam so plötzlich. Die Polizei hat uns über alles unterrichtet. Sasha war ein paar Nächte bei mir, bis Sie kommen konnten.“

Als Ryan darüber informiert worden war, dass sein Bruder und seine Schwägerin bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, war er mit zahllosen Arbeitsunterlagen sofort nach Bradley gefahren. Sasha war bei seiner Ankunft nicht im Hause gewesen. Erst als man sie ihm in die Arme legte, hatte er an sie gedacht.

„Die Frau, die sie mir übergab, war …“

„Charity, meine Tante“, unterbrach ihn Cassie. „Ich war bei der Arbeit.“ Sie sah ihm ins Gesicht: „Sie haben ihren Bruder und seine Familie nicht oft besucht.“

Er hätte nicht sagen können, ob das eine bloße Feststellung oder ein Vorwurf war.

„Ich leite eine große Firma in San Jose“, rechtfertigte er sich, auch wenn er sich fragte, warum er dies einer Kindergärtnerin gegenüber tat. „Ich trage viel Verantwortung.“

Sie umarmte Sasha und küsste ihren Kopf. „Dieses süße Mädchen sieht zwar winzig aus, aber es wird viel Platz in Ihrem Leben einnehmen.“

Daran wollte er gar nicht denken. „Ich habe keine väterliche Ader“, entgegnete er. „Ich weiß nicht, was John sich dabei gedacht hat, als er mich zum Vormund der Kleinen bestimmte.“

„Sie sind ihre Familie“, erinnerte ihn Cassie, als ob das alles erklärte. „Wem sonst hätte er sein Kind anvertrauen können?“

„Jemandem, der sich besser mit Kindern auskennt und sich besser um die Kleine kümmern könnte.“

Irgendjemandem eben, nur nicht ihm. Diese Verantwortung wollte er nicht tragen. Arbeit war sein Leben, und so gefiel es ihm. Wenn John bloß einen Hund statt des Kindes hinterlassen hätte …

„Sie werden es anfänglich schwer haben, aber Sie werden sich aneinander gewöhnen. Kinder sehen zerbrechlich aus, doch sie sind stark. Was sie brauchen, ist Liebe und Zuwendung. Und ab und zu eine vernünftige Mahlzeit“, fügte sie lächelnd hinzu.

„Was dieses Kind braucht, ist eine Nanny. Hätte zum Beispiel Ihre Tante vielleicht Interesse daran, ein paar Monate für mich zu arbeiten? Solange ich in Bradley bleiben muss, um die Sachen meines Bruders zu regeln und das Leben mit dem Kind in Griff bekomme.“

„Tante Charity eignet sich nicht zur Nanny. Wenn es sich nur um ein paar Monate handelt, dann könnte ich das vielleicht tun“, erklärte Cassie nach ein paar Sekunden.

Ryan beglückwünschte sich insgeheim. Sie arbeitete in einer Krippe und kannte die Kleine. Das war die ideale Lösung. „Aber Sie haben schon eine Arbeit“, erinnerte er sie.

„Das weiß ich. Da das Semester gerade angefangen hat, wird es sicher kein Problem sein, eine Vertretung für mich zu finden.“

Da er den Zusammenhang nicht verstand, klärte sie ihn auf. „Die Universität hat ein großes Seminar für Pädagogik. Die Studenten müssen Praktika absolvieren, und deshalb hat die Krippe mehr Anfragen als Stellen. Am Anfang des Semesters wird es nicht schwer sein, jemanden zu finden.“

Das war einfach perfekt.

„Wann könnten Sie anfangen?“

„Ich denke, sie sollten zunächst meine Referenzen überprüfen. Ich habe keinen Lebenslauf bei mir, aber ich werde Ihnen Namen und Telefonnummer hinterlassen.“

Ryan wusste, dass er alles falsch machte. Er hätte Cassie überprüfen sollen, um sicherzugehen, dass sie sich gut um Sasha kümmern konnte. Aber er hatte ohnehin keine Wahl.

„Wenn die Referenzen in Ordnung sind, könnten Sie dann morgen anfangen?“

Sie überlegte kurz. „Ich muss noch einiges mit der Krippe klären, aber ich denke schon. Möchten Sie, dass ich nur tagsüber arbeite, oder soll ich bei Ihnen wohnen?“

„Mir wäre es am liebsten, Sie würden hier wohnen. Das Haus ist riesig und hat mehrere Gästezimmer.“

Sasha warf den Löffel weg. Als Cassie ihn auffing, blitzte etwas an ihrer linken Hand auf. Ein Ring … Das hätte er sich denken können.

„Ich bezweifle, dass Ihr Mann es gutheißen wird, wenn Sie hier wohnen.“ Himmel, er klang wie ein Kind, dem gerade das Fahrrad gestohlen wurde. „Vielleicht könnten Sie tagsüber hier sein, und ich suche noch jemanden für die Nächte.“

Sasha quengelte und Cassie stellte sie auf den Boden.

„Ich bin nicht verheiratet“

„Sie tragen aber einen Ring.“

„Das ist kein Ehering, sondern ein Freundschaftsring. Ich bin sozusagen verlobt. Joel und ich sind seit Jahren zusammen.“

Da sie Anfang zwanzig zu sein schien, nahm Ryan die Tatsache, dass die beiden seit Jahren zusammen waren, nicht ernst. Ein Freundschaftsring … Das kannte er nicht. Er sah sich den Ring an. „Der ist doch zerkratzt. Haben Sie sich gestoßen?“

„Der ist nicht zerkratzt. Es ist ein Diamant. Na ja, ein Diamantsplitter, kein richtiger Stein.“

Ryan nahm ihre Hand und betrachtete den kleinen Stein. Er sah nach nichts aus, brach aber immerhin das Licht. Ryan dachte, dass Joel wohl nicht besonders spendabel war. „Sehr hübsch.“

„Danke.“

Er ließ ihre Hand los. „Sie könnten mir den Namen Ihres Arbeitgebers aufschreiben. Ich werde ihn anrufen und melde mich dann bei Ihnen.“

Er klingt sehr formell, dachte Cassie, die mit sich kämpfte, um ihre Hand nicht auf dem Schenkel abzuwischen. Ihre Finger kribbelten, seit er sie angefasst hatte. Ryan sollte nicht bemerken, wie aufgeregt sie war. Zum Glück konnte er nicht hören, wie wild ihr Herz pochte.

Einen Mann wie ihn hatte sie noch nie getroffen. Viele Männer kannte sie allerdings nicht. Gelegentlich holten von der Arbeit erschöpfte Männer ihre Kinder von der Krippe ab, und früher war da war noch der Fahrer des Paketdienstes gewesen, aber seit einiger Zeit hatte eine Frau seinen Posten übernommen. Im Grunde lebte sie in einer Frauenwelt, abgesehen vom Mann ihrer Schwester und von Joel.

Ryan sprach über die Konditionen. Er nannte einen Lohn, der viel höher war als der, den sie in der Krippe bekam, als Ausgleich dafür, dass sie ja bei ihm keine sozialen Leistungen erhielt, da ihre Arbeit auf einen Zeitraum von zwei Monaten beschränkt bleiben sollte. Er wollte ihr jedoch eine Pauschale für die Krankenversicherung bezahlen.

Cassie konnte nur durch ein Nicken zustimmen, denn ihre Kehle war wie zugeschnürt. Er war so elegant und weltmännisch. Helen hatte öfter von ihm gesprochen, von seiner Firma, von seiner steilen Karriere. Er war immer zu beschäftigt, um sie zu besuchen, auch nach Sashas Geburt. Ryan war der jüngere der beiden Brüder, aber älter als Cassie, vermutlich um acht oder neun Jahre. Ich hätte mein schönstes Sommerkleid anziehen sollen, dachte sie, auch wenn ihn an mir vermutlich nichts anderes interessiert als meine Fähigkeit, mich um Cassie zu kümmern.

„Ich glaube, wir haben alles besprochen“, sagte er. „Wenn Sie mir jetzt die Telefonnummer aufschreiben könnten …“

Cassie versuchte, ihn nicht anzustarren. Sie hatte normalerweise keine Probleme im Umgang mit Menschen, aber mit Ryan schon. Er sah so gut aus mit seinen hohen Wangenknochen und seinen feinen Gesichtszügen. Sie hatte Schwierigkeiten, ihren Blick von seinen dunkelgrünen Augen abzuwenden. Es war ihr schon schwergefallen, Ruhe zu bewahren, als sie ihn bei der Beerdigung gesehen hatte. Aber dort hatte es Ablenkung gegeben. Hier war nur Sasha.

Cassie wusste, dass sie wie ein Schulmädchen beim ersten großen Schwarm empfand. Und ein bisschen war es ja auch so, denn der einzige Mann, den sie bisher beachtet hatte, war Joel, und sie waren seit Jahren zusammen.

„Ich rufe Sie heute Abend an“, sagte Ryan mit seiner melodiösen Stimme.

Sie riss sich zusammen. Mit seinem Aussehen und seiner Stimme, die den Schmelz edler Schokolade hatte, gehörte er ins Fernsehen oder ins Kino. Aber er war in Bradley, und sie sollte für ihn arbeiten.

Sasha war im Wohnzimmer und sah sich ein Video an.

„Ich verschwinde unauffällig“, sagte Cassie ruhig. „Ich will nicht, dass sie weint.“

„Die Tränen sind das Schlimmste“, erwiderte Ryan.

„Aber sie trocknen schnell. Bald wird sie wieder lächeln.“

Er schien nicht überzeugt zu sein.

An der Tür überlegte sie, ob sie einen zweiten Händedruck riskieren sollte, aber sie winkte lieber, bevor sie schnell die Treppe herunterlief. Eine Viertelstunde später schlich sie durch die Hintertür in das Haus, in dem sie mit ihrer Schwester und ihrer Tante wohnte. Das viktorianische Herrenhaus gehörte ihrer Familie seit seiner Erbauung am Ende des 19. Jahrhunderts.

Cassie lief in ihr Zimmer, ohne ihre Tante zu treffen. Normalerweise plauderte sie gern mit ihr, doch jetzt wollte sie allein sein.

In ihrem Zimmer ging sie gleich zu dem bequemen Sessel neben dem Fenster. Es war zu dunkel, um den Garten zu bewundern, aber sie nahm sowieso nichts wahr, nicht einmal ihr eigenes Bild in den Fensterscheiben. Im Geist sah sie Ryan Lawford vor sich, groß, breitschultrig, gut aussehend. Der perfekte Held.

Sie atmete tief ein und seufzte laut. Wie sollte sich jemand wie er für jemanden wie sie interessieren können? Der Gedanke ließ sie lächeln. Sie war zwar die Romantikerin in der Familie, aber dumm war sie nicht. Männer wie er liebten Fotomodelle oder schöne, anmutige Frauen wie Chloe, ihre Schwester. Außerdem hatte sie Joel. Es war zwar schön, von Ryan zu träumen, aber es war nur ein Spiel. Sie liebte Joel wie am ersten Tag.

Genug geträumt, dachte sie. Sie sollte wirklich packen. Sie musste ihren Arbeitgeber anrufen, ihm sagen, dass sie sich für zwei Monate beurlauben lassen wollte. Mary, ihre Vorgesetzte, würde nicht überrascht sein. Schließlich hatten sie mehrmals über Ryans Lage gesprochen, und sie war es gewesen, die Cassie ermutigt hatte, sich bei ihm vorzustellen.

Cassie rief an und lachte, als Mary ihr sagte, dass Ryan sich schon erkundigt hatte.

„Ich habe dich in den höchsten Tönen gelobt. Er wird dich nicht so schnell gehen lassen.“

„Da bin ich mir nicht so sicher.“

Sie plauderten noch ein paar Minuten, dann holte Cassie ihren Kosmetikkoffer aus dem Schrank. Dabei stieß sie gegen eine große Schachtel und konnte sie gerade noch auffangen, bevor sie auf den Boden fiel.

Cassie trug die Schachtel zum Bett. Den Inhalt kannte sie genau, aber sie nahm dennoch den Deckel ab und betrachtete das altmodische elfenbeinfarbige Nachthemd. Es war wunderschön, hatte lange Ärmel und einen Stehkragen. Sie streichelte den alten, weichen Stoff. Noch sechs Wochen, dachte sie. Sechs Wochen, bis sie erfahren würde, ob die Legende auch auf sie zutraf.

Sie schloss die Schachtel wieder und verscheuchte den Anflug von Schwermut, der sie zu überkommen drohte. Alles, wonach sie sich sehnte, war, einen Platz in der Familienchronik einzunehmen. Die Stadt Bradley war von den Vorfahren ihrer Mutter gegründet worden. Bradley war auch einer ihrer Namen, aber sie trug ihn nur, weil das Gesetz es so vorschrieb, nicht weil sie eine geborene Bradley war.

Sie erinnerte sich daran, dass adoptiert zu sein bedeutete, ausgesucht worden zu sein. Ihre Eltern hatten sie wirklich haben wollen. Aber Chloe war ihr eigenes Fleisch und Blut. Das Haus war auch ihr vererbt worden. Cassies Erbe hingegen hatte aus Geld bestanden – die Summe entsprach ungefähr dem Wert des Hauses – nicht aus Dingen, die der Familie gehörten.

„Bis auf das Nachthemd“, flüsterte sie.

Der Legende nach hatte vor vielen Jahren ein Urahn eine Zigeunerin vor dem Tod durch Steinigung bewahrt. Zum Dank hatten die Frauen der Familie das Nachthemd erhalten, dem magische Kräfte nachgesagt wurden. Wenn sie es in der Nacht zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag trugen, erschien ihnen im Traum der Mann, den sie heiraten sollten. Und wenn sie es taten, dann konnten sie sicher sein, bis zum Ende ihrer Tage glücklich zu sein.

Vor fast fünf Monaten hatte Chloe das Hemd getragen und von einem attraktiven Fremden geträumt, den sie am nächsten Tag getroffen hatte. Sie hatten sich sofort ineinander verliebt. Cassie wünschte sich verzweifelt, das Hemd würde auch ihr eine Traumbotschaft senden.

Sie spielte mit dem Ring an ihrem Finger. Ihr Wunsch war Joel gegenüber nicht fair, aber er hatte ihr versichert, dass es ihm nichts ausmachen würde. Sie hatten über das Nachthemd mehrmals gesprochen. Sie wollte keine Verlobung vor ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag. Er war sich sicher, dass sie von ihm träumen würde, und das Warten fand er schön.

Cassie dachte, sie solle dankbar sein. Nicht viele Männer würden diese Geduld aufbringen. Aber manchmal war ihr seine Geduld zu viel. Sie wünschte sich, von Leidenschaft gepackt zu werden, die Magie tiefer sinnlicher Liebe zu spüren.

„Heute Nacht nicht“, sagte sie zu sich selbst und räumte die Schachtel in den Schrank. Die gute Neuigkeit war, dass sie ab dem nächsten Tag bei einem unglaublich attraktiven Mann leben würde, der sie schon durch seine bloße Anwesenheit innerlich zum Erbeben brachte. Damit, dass er sie als Frau überhaupt nicht wahrnahm, würde sie sich später auseinandersetzen.

2. KAPITEL

Um acht Uhr fünfundzwanzig hielt Cassie vor dem Haus der Lawfords. Sie hatte versprochen, um halb neun dort zu sein. Sie nahm ihren Koffer und eine Tasche mit Spielzeug, das sie sich in der Krippe geborgt hatte.

„Ich schaffe es“, sprach sie sich selbst Mut zu. „Ich kann die nächsten Wochen überstehen, ohne einen Narren aus mir zu machen.“

Sie lächelte. Ja, wahrscheinlich würde sie es können. Aber würde sie es wirklich heil überstehen? Egal, sie hatte jetzt keine andere Wahl. Sie hatte ihre Hilfe angeboten und hielt ihr Wort. Tatsache war, dass Ryan ihr den Atem raubte. Sie musste lernen, damit umzugehen.

Sie war noch zehn Schritte vom Haus entfernt, als die Tür aufging. Vor ihr stand der Mann, der ihre Gedanken und sogar ihre Träume beherrschte.

„Dem Himmel sei Dank!“, sagte er, ging ihr entgegen und nahm ihr den Koffer ab. „Ich dachte schon, Sie würden nie kommen.“

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. „Ich bin pünktlich.“

„Ich weiß. Das ist es nicht.“ Er zögerte, das Haus wieder zu betreten, als ob er eben der Hölle entflohen sei. „Wir haben einen ganz schlechten Tag.“

Ryan sah abgekämpft aus. Saft war auf sein hellblaues Hemd getropft, einer seiner Sportschuhe war nicht zugeschnürt. Er hatte sich beim Rasieren geschnitten, und sein Haar war wirr. Das alles am frühen Morgen …

„Probleme mit Sasha?“ Cassie wusste, dass das Kind ein Energiebündel war.

Ryan schloss die Tür hinter ihnen und setzte den Koffer ab. „Sie weint.“

Cassie musste sich auf die Lippe beißen, um nicht zu lachen. Sie hatte zwar Mitleid mit dem Kind, aber Ryan hatte die Worte ausgesprochen, als ob sie den Weltuntergang bedeuteten.

„Das passiert ab und zu“, bemerkte Cassie so ernst wie möglich.

„Aber was kann man dagegen tun? Ich weiß nicht mehr weiter. Sie sieht mich mit ihren großen Augen voller Tränen an, und ich kriege Panik. Ich habe ihr alles versprochen, damit sie nur aufhört.“

„Sie müssen Ihre Taktik ändern. Es könnte teuer werden. Und außerdem ist es nie gut, einem Kind so viel Macht zu geben. Es wird tausend Tricks finden, um Sie an der Nase herumzuführen. Das können Sie mir glauben.“

Sein Blick wurde finster. „Sie fragt nach ihrer Mutter.“

„Das wundert mich nicht. Es ist eine harte Zeit für Sie beide.“

Am Tag zuvor war Ryan ein kühler eleganter Geschäftsmann gewesen, aber jetzt war er vollkommen durcheinander. „Was sollte ich ihr sagen? Wie kann ich ihr erklären, dass ihre Mutter nicht nach Hause kommen wird und dass ich der einzige Mensch aus ihrer Familie, der ihr geblieben ist? Mir das Kind anzuvertrauen war nicht klug.“

Autor

Susan Mallery

Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren Frauenromanen voll großer Gefühle und tiefgründigem Humor. Mallery lebt mit ihrem Ehemann und ihrem kleinen, aber unerschrockenen Zwergpudel in Seattle.

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