Leidenschaft in deinem Blick

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Raffaele Petri brennt vor Rache: Er will die Firma des Mannes zerstören, der seine Schwester auf dem Gewissen hat. Doch dabei muss ihm Lily Nolan helfen, deren Ruf als Analystin legendär ist. Sie lebt abgeschieden, und als er sie endlich in sein Team gelockt hat, versteht er auch warum: Eine Narbe zeichnet ihr Gesicht. Trotzdem übt Lily einen unwiderstehlich femininen Zauber auf ihn aus. Vehement besteht er darauf, dass sie ihn in die Karibik auf die Insel des Feindes begleitet - und ein atemloses Spiel zwischen Leidenschaft und Rache beginnt …


  • Erscheinungstag 06.06.2017
  • Bandnummer 2286
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708405
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Raffaele Petri steckte seine Kreditkarte ein und verließ das Hafenrestaurant. Ohne die neugierigen Blicke anderer Gäste zu beachten, nickte er dem Ober dankend zu. Der Service war ausgezeichnet gewesen – aufmerksam, aber nicht unterwürfig. Das Trinkgeld hatte der Mann verdient.

Raffaele hatte nicht vergessen, wie es war, auf die Großzügigkeit reicher Ausländer angewiesen zu sein.

Er blieb stehen, um die Augen an das helle Sonnenlicht zu gewöhnen. Vor ihm breitete sich glitzernd das Mittelmeer aus, das sanft gegen die schneeweißen Jachten plätscherte. Die Luft war erfüllt von Salzgeruch. Raffa atmete tief durch und genoss das befreiende Gefühl nach den schweren Parfüms der Damen vom Nebentisch, die sich unverhohlen für ihn interessiert hatten.

Ziellos schlenderte er an mächtigen Schiffen und Motorbooten vorbei. Im Hafen von Marmaris zeigte man seinen Reichtum. Genau der richtige Ort für Investitionen, wenn er mit seinen Nachforschungen richtig lag. Die Reise in die Türkei hatte sich gelohnt …

Dröhnendes Gelächter ließ Raffaele innehalten. Der Klang dieser Stimme war unverkennbar und ließ ihn innerlich erstarren.

Unwillkürlich hielt Raffa den Atem an. Erneut dieses Lachen … das von einer mächtigen mehrgeschossigen Segeljacht kam. Das rotbraune Haar eines Mannes, der zwei Schönen auf der Uferpromenade etwas zurief, reflektierte im Sonnenlicht.

Der Boden unter Raffaele schien zu wanken, sein Magen rebellierte. Er ballte die Hände zu Fäusten, als er den rotgesichtigen Mann betrachtete, der den Frauen mit einem Champagnerglas zuwinkte.

„Kommt rauf, ihr Schönen! Der Schampus ist eisgekühlt.“

Raffaele erkannte die Stimme.

Selbst nach einundzwanzig Jahren.

Seit seinem dreizehnten Lebensjahr hatten ihn dieser selbstgefällige Ton und das raue Lachen bis in seine Träume verfolgt.

Dabei hatte er es fast aufgegeben, den Kerl aufzuspüren. Seinen Namen hatte er nie herausgefunden, denn der schleimige Mistkerl hatte Genua schneller verlassen als eine Ratte das sinkende Schiff. Niemand hatte einem zarten Zwölfjährigen geglaubt, der den Fremden mit dem rotbraunen Haar bezichtigt hatte, schuld an Gabriellas Tod zu sein.

Gabriella …

Plötzlich empfand Raffaele unbändige Wut. Und Rachedurst. Hass. Trauer.

Explosionsartig brachen sich die Empfindungen Bahn.

Seit Gabriellas Tod hatte er gelernt, nichts zu fühlen, niemanden zu lieben, keinem zu vertrauen. Doch jetzt … Er musste seine ganze Willenskraft aufbieten, um stehen zu bleiben und die Szene zu verfolgen.

Gestochen scharf registrierte er die Einzelheiten des Kerls, seine Züge, das gealterte, feist gewordene, selbstgefällige Gesicht, den Namen der Jacht und die weiß gekleidete Mannschaft, die sich in akzentfreiem Englisch verständigte. Einer von ihnen erbot sich, den Frauen an Bord zu helfen.

Eigentlich sind es eher Mädchen, stellte Raffaele fest – beide blond, unter zwanzig, obwohl eine sich älter gemacht hatte. Mit Make-up und Frauen kannte Raffaele sich aus.

Der Geschmack des Engländers hatte sich nicht gewandelt. Er stand immer noch auf junge Mädchen und Blondinen.

Am liebsten wäre Raffa an Bord gestürmt, um Gabriellas Tod mit den Fäusten zu rächen. Es gab keinen Zweifel. Das war der Mann!

Doch Raffa war kein impulsives, trauerndes Kind mehr.

Inzwischen besaß er Macht und konnte sehr viel mehr tun, als den Kerl zusammenzuschlagen. Und das hielt ihn zurück, wenngleich es ihm schwerfiel, nicht sofort Vergeltung zu üben.

„Ciao, belle.“ Er schlenderte auf die Mädchen zu und knipste sein unwiderstehliches Lächeln an, das Kameras und Millionen Frauen auf der Welt so liebten. Den Mann an der Reling würdigte er keines Blickes mehr.

„Lucy.“ Das größere Mädchen stieß seine Begleiterin an. „Schnell, dreh dich um! Der Typ sieht aus wie … das kann doch nicht wahr sein!“

Zwei Augenpaare richteten sich fasziniert auf Raffa, der locker näherkam. Die Sprecherin lächelte hingerissen, während ihre Begleiterin scheu wirkte.

Raffa war es gewöhnt, mit schwärmerischen Fans umzugehen, und verließ sich auf sein einnehmendes Lächeln, das nie versagte.

Die Größere kam näher und zog ihre Freundin mit sich. Das Schiff und sein Besitzer waren vergessen. Die Mädchen zuckten nicht einmal mit der Wimper, als der Mann an Bord seine Einladung lautstark wiederholte.

„Sie sehen aus wie Raffaele Petri. Das sagt man Ihnen bestimmt oft“, staunte die Jüngere atemlos.

„Weil ich Raffaele Petri bin.“

Die Mädchen gaben aufgeregte Laute von sich, und die Jüngere wirkte, als würde sie gleich ohnmächtig.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte Raffa sich besorgt bei ihr.

Sie nickte verwirrt, und ihre Freundin kramte eiligst ihr Smartphone hervor. „Haben Sie etwas dagegen?“

„Aber nein.“ Die Welt war voller Amateurfotos von ihm. „Ich wollte gerade einen Kaffee trinken gehen.“ Er deutete auf eine Seitenstraße des Hafens. „Hätten Sie Lust, mir Gesellschaft zu leisten?“

Während sie einträchtig zu dritt davongingen, tuschelten die Mädchen aufgeregt miteinander und hörten die Schimpfworte nicht, die der Engländer ihnen nachrief. War er doch glatt um sein Nachmittagsvergnügen gebracht worden!

Raffa lächelte grimmig. Bald würde dieser Widerling alles verlieren, was ihm etwas bedeutete.

Der Engländer würde ihm nicht mehr entkommen. Seine Rache würde honigsüß sein.

1. KAPITEL

„Das soll wohl ein Scherz sein, Pete.“

Lily lehnte sich am Schreibtisch zurück und lockerte den Griff um den Hörer. „Ich habe einen langen Tag hinter mir. Du magst in New York gerade aufgewacht sein, aber bei mir in Australien ist es Schlafenszeit.“

Sie bemerkte ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe. Ihr Haus lag weit entfernt von der Straßenbeleuchtung, und die Sterne waren nachts klar zu sehen. Müde rieb Lily sich den steifen Nacken. Es war kein Kinderspiel, das Projekt termingerecht fertigzustellen und ihren hohen Ansprüchen an sich selbst gerecht zu werden.

„Ich mache keine Witze.“ Pete wirkte ungewohnt aufgekratzt. „Der Chef will dich sofort sprechen, und in geschäftlichen Dingen versteht er keinen Spaß.“

Beunruhigt setzte Lily sich zurecht. „Ehrlich?“

„Ehrlich. Und was der Chef will, bekommt er, wie du weißt.“

„Raffaele Petri ist nicht mein Chef.“ Was konnte ein Mann wie er von einer gewöhnlichen Sterblichen wie ihr, Lily Nolan, wollen, die auf einer heruntergewirtschafteten Farm südlich von Sydney wohnte? „Er weiß nicht mal, dass es mich gibt.“

Der Mann lebte in einer Welt, von der Leute wie sie nur träumen konnten oder in Klatschmagazinen lasen, während sie …

Nervös ließ Lily die Hand sinken.

„Natürlich weiß er das. Warum hätte er dir sonst so viel Arbeit zugeschanzt? Er war beeindruckt von deinem Bericht über den Tahiti-Deal und will, dass wir nur noch dich beauftragen.“

Lily traute ihren Ohren nicht. Dass Signore Petri ihre Berichte persönlich las, hätte sie nicht erwartet. Sie hatte angenommen, er hätte genug damit zu tun, sich mit den Luxus- und Freizeitorten der großen Welt zu beschäftigen.

„Das ist ja fantastisch, Pete. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich das freut.“ Trotz der jüngsten Erfolge hatten das Darlehen für das Haus und die Geschäftsausweitung Lily schlaflose Nächte verursacht. Nachdem sie sich jahrelang als Außenseiterin gefühlt hatte, war sie getrieben von dem Wunsch, etwas Eigenes aufzubauen. Obwohl das bedeutet hatte, den Westen Australiens, wo ihre besorgte Familie lebte, zu verlassen. Doch Lily hatte diese Veränderung gebraucht.

Sie entspannte sich ein wenig. Wenn Signore Petri ihre Arbeit persönlich begutachtete …

„Ausgezeichnet. Ich habe dir den Vertrag schon gemailt. Prima, dich endlich persönlich kennenzulernen, wenn du hier arbeitest.“

„Moment mal!“ Lily sprang auf. „Freut mich, dass mein Engagement gewürdigt wird. Das ist aber auch alles.“ Natürlich wollte sie gut sein und wusste, dass sie hervorragende Arbeit ablieferte. Nachdem sie das Darlehen aufgenommen hatte, war es beruhigend, zu hören, dass der wichtigste Kunde mit ihr zufrieden war.

„Wie bitte? Du willst das Angebot des Chefs ablehnen, in New York zu arbeiten?“ Pete klang so, als würde sie die einzig mögliche Chance ausschlagen, ein Mittel gegen Krebs zu entwickeln.

„Richtig.“ Bei der Vorstellung, in einer Großstadt inmitten von Millionen Menschen zu leben und ständig mit Fremden zusammenzutreffen, bekam Lily eine Gänsehaut. Selbst hier vermied sie es möglichst, in den Ort zu fahren, und ließ sich Lebensmittel nach Hause liefern. In New York zu arbeiten, dauernd mit neugierigen Blicken konfrontiert zu sein, wäre ein Albtraum. Ständig der Öffentlichkeit ausgesetzt zu sein, war für sie undenkbar.

„Jetzt bist du es, die Witze macht. Wer wollte nicht für Raffaele Petri arbeiten?“

Lily zog die Augenbrauen hoch. „Ich arbeite doch schon für ihn – ab und zu.“ Ihr Vertrag mit seinem Unternehmen war so einträglich gewesen, dass sie das gewaltige Darlehen überhaupt erst aufnehmen konnte. Raffaele Petris Name auf ihren Verträgen hatte selbst den vorsichtigsten Banker überzeugt. „Aber hier bin ich mein eigener Chef. Warum sollte ich das ändern wollen?“

Ihre Unabhängigkeit, die Möglichkeit, ihr Leben selbst zu bestimmen, bedeutete ihr alles. Besonders, nachdem es durch ein schreckliches Ereignis unwiderruflich aus den Fugen geraten war.

Petes Schweigen sagte Lily, dass er ihre Haltung nicht verstand.

Doch er gab nicht auf. „Arbeite für Petri, und du bekommst jeden Posten, der dir vorschwebt. Er stellt nur die Besten ein. Und dann das Gehalt. Lies den Vertrag, bevor du ihn ablehnst, Lily. Chancen wie diese bieten sich nicht alle Tage.“

Beschwörend sprach Pete weiter auf sie ein, doch sie wusste, was sie wollte – beziehungsweise was nicht.

„Danke für den guten Rat, Pete, aber das ist nichts für mich.“ Sie fragte sich, welche Chancen sich ihr geboten hätten, wenn ihr Leben anders verlaufen wäre. Wenn sie eine andere wäre.

Doch die Vergangenheit ließ sich nicht abschütteln. Alles, was Lily sich wünschte, war hier zum Greifen nah. Sie musste nur an ihre Ziele denken: Erfolg, Sicherheit, Selbstständigkeit …

„Lily, das kannst du unmöglich ernst meinen. Denke wenigstens darüber nach.“

„Das habe ich getan. Pete. Aber meine Antwort lautet Nein. Ich bin hier glücklich.“

Anfangs hielt Lily das Summen für einen morgendlichen Vogelchor. Schon bei Tagesanbruch begrüßten sie Elstern und Papageien. Doch die Geräusche waren zu einförmig, zu beharrlich. Murrend öffnete Lily die Augen. Es war noch Nacht.

Alarmiert tastete sie nach dem Handy. Um diese Zeit rief man nur an, wenn ein Notfall vorlag.

„Hallo?“ Mühsam setzte sie sich auf und stopfte sich das Kissen in den Rücken.

„Ms. Lily Nolan?“

Ihr Herz schlug schneller. Die kraftvolle männliche Stimme gehörte einem Ausländer – sie war sinnlich und tief.

Seufzend schaltete sie die Nachttischlampe ein und blinzelte zur Uhr. Kurz vor Mitternacht. Kein Wunder, dass sie benommen war. Sie hatte nur eine halbe Stunde geschlafen.

„Wer spricht da?“

„Raffaele Petri.“

Raffaele Petri!

Für ihr schlaftrunkenes Gehirn klang die Stimme erotisierend, fast verführerisch. Unwillkürlich raffte Lily ihr Schlafshirt am Hals zusammen. Normalerweise reagierte sie nicht so auf männliche Stimmen. Aber nicht viele klangen wie diese.

„Sind Sie noch dran?“

„Natürlich. Sie haben mich aus dem Schlaf gerissen.“

Mi dispiace. Tut mir leid.“

Es tat ihm überhaupt nicht leid. Er wirkte …

Lily schüttelte den Kopf. Wenn das Raffaele Petri war, ging es um ein Geschäft. Und sie konnte es sich nicht leisten, darüber nachzudenken, wie männlich er sich anhörte. Auch wenn ihre Hormone beim Klang seiner sexy Stimme verrücktspielten.

„Signore Petri …“ Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und setzte sich kerzengerade auf. „Was kann ich für Sie tun?“

„Den Vertrag unterschreiben und herkommen. Subito – sofort.“

Lily schluckte die Antwort herunter, die ihr auf der Zunge lag. Das Einzige, was sie subito wollte, war, sich wieder schlafen zu legen.

„Das ist unmöglich.“

„Unsinn. Es ist das einzig Vernünftige.“

Lily atmete tief durch. Der Mann war ihr wichtigster Kunde!

„Haben Sie mich gehört?“

„Ja.“

„Gut. Sobald Sie den Flug gebucht haben, geben Sie meinem Assistenten Bescheid. Er lässt Sie vom Flughafen abholen.“

So dürften Prinzen im Mittelalter gesprochen haben. Jedes Wort war Gesetz. Sie bekamen stets, was sie befahlen.

„Vielen Dank, Signore Petri, aber ich werde Pete nicht bemühen.“ Lily räusperte sich, weil ihre Stimme immer noch verschlafen klang. „Ihre Anfrage ehrt mich, aber ich möchte lieber selbstständig arbeiten.“

„Sie lehnen mein Angebot ab?“ Sein Ton wurde gefährlich sanft.

Lily lief ein kalter Schauer über den Rücken. Niemand wagte es, Raffaele Petri zu widersprechen.

Lilys Herz begann zu rasen. Jetzt befand sie sich auf gefährlichem Terrain.

Raffaele Petri galt als einer der tollsten Männer der Welt – er hatte einen Körper wie ein junger Gott, blondes Haar, markante Züge und setzte internationale Designertrends. Keine Frage: Bei ihm sagten die Frauen selbstverständlich Ja.

Aber er hatte sehr viel mehr aufzuweisen als ein fantastisches Aussehen. Nachdem er nicht mehr als Model arbeitete, hatte er allen Kritikern zum Trotz ein überaus erfolgreiches Geschäftsimperium aufgebaut. Raffaele Petri war reich und mächtig – und daran gewöhnt, dass man sich seinem Willen beugte.

„Ihr Angebot ist wirklich sehr schmeichelhaft …“

„Aber?“ Auch wenn er die Frage auffallend sanft formulierte, schwang eine latente Drohung darin mit.

Lily atmete tief durch. „Leider ist es mir nicht möglich, es anzunehmen.“

Schweigen. Das so lange anhielt, bis Lily sich fragte, ob sie nicht gerade sämtliche Brücken hinter sich abgebrochen hatte. Angst stieg in ihr auf. Sie war auf die Arbeit angewiesen, die Raffaele Petri ihr schickte.

„Was könnte Sie bewegen, es anzunehmen?“

Zum Teufel mit dem Mann! Warum konnte er sich nicht mit einem Nein begnügen?

„Darf ich Ihnen eine Gegenfrage stellen? Warum wollen Sie ausgerechnet mich haben?“ Lily wurde bewusst, dass ihre Worte doppeldeutig klingen mochten. Doch Raffaele Petri würde kaum etwas anderes von ihr wollen als ihre beruflichen Fähigkeiten. „Wie ich hörte, waren Sie mit meinen Ausarbeitungen und unserer bisherigen Geschäftsbeziehung zufrieden.“

„Wäre es nicht so, würde ich Ihnen den Job nicht anbieten, Ms. Nolan.“ Seine kurz angebundene Art beunruhigte Lily. „Ich will Sie in meinem Team, weil Sie die Beste sind. So einfach ist das.“

Ihr wurde heiß. Musste sie über seine Einschätzung nicht froh sein?

„Danke, Mr. Petri. Es freut mich, dass Sie eine so hohe Meinung von mir haben.“ Sollte sie ihn bei der Gelegenheit gleich um eine Empfehlung bitten? Aber das war wohl nicht der rechte Zeitpunkt. „Ich versichere Ihnen, auch weiterhin mein Bestes zu geben.“ Nervös zupfte sie an ihrem Schlafshirt herum.

„Das genügt mir nicht.“

„Wie bitte?“ Was konnte er mehr wollen?

„Ich starte ein wichtiges neues Projekt.“ Er hielt inne. „Da brauche ich mein Team vor Ort – und absolute Verschwiegenheit.“

Stocksteif saß Lily da. „Halten Sie mich für ein Sicherheitsrisiko? Ich behandle jeden Auftrag von Ihnen absolut vertraulich. Die Daten meiner Markterhebungen und Kunden lege ich unter keinen Umständen offen.“ Kundendaten waren und blieben streng geheim. Deshalb bedeutete ihr Raffaele Petris Empfehlung auf ihrer Website auch so viel.

Als Mitarbeiterin einer privaten Marktforschungsagentur hatte Lily angefangen, war aber dort nicht recht glücklich geworden. Ihre Nische hatte sie gefunden, als sie ihre Servicepalette ausweitete – von Personalbewertungen bis zu Analysen von Unternehmen und Wirtschaftstrends, neuerdings auch der Erfolgsaussichten von Start-ups und übernahmereifen Geschäftsbereichen oder Firmen.

Und hier war Raffaele Petri ins Spiel gekommen. Der Mann hatte ein unglaubliches Gespür und war immer schneller als die Konkurrenz. Bei jedem Unternehmen, das Lily für ihn analysiert hatte, war sie auf Schwachpunkte und Problemsektoren gestoßen. Daraufhin kaufte Petri die Firmen blitzartig auf und machte sie zu Zugpferden der Freizeit- und Urlaubsbranche – vom Glamourbadeort auf Tahiti bis zu Jachthäfen oder einer Bootswerft in der Türkei.

„Wenn ich Zweifel an Ihrer Geheimhaltung hätte, würde ich Sie nicht einstellen.“

Erleichtert atmete Lily aus.

„Aber Risiken kann ich mir nicht leisten“, fuhr Petri fort. „Das Projektteam soll eine Auslese der Besten sein. Mit Sitz in New York. Deshalb brauche ich Sie hier.“

Lily konnte nicht leugnen, dass seine Worte sie mit Stolz erfüllten. Niemand hatte sie jemals gebraucht. Für ihre Eltern war sie lange Jahre Grund ständiger Sorge. Und für ihre Freunde eine unangenehme Erinnerung an den Schicksalsschlag, den sie am liebsten vergessen hätten. Es war ihr verhasst gewesen, pflichtschuldigst miteinbezogen zu werden, statt aufrichtig anerkannt und willkommen zu sein.

Lily schüttelte angewidert über diesen Anflug von Selbstmitleid den Kopf und hätte am liebsten geantwortet: Gut. Morgen bin ich in New York.

Die bloße Vorstellung, den Big Apple zu erkunden …

Schnell rief sie sich zur Ordnung. Unmöglich! Schon die neugierigen Blicke der Fremden, die sie anstarren oder sich abwenden würden … Das musste sie sich nicht mehr antun.

„Ich bin es gewöhnt, aus der Ferne mit Ihren Leuten zusammenzuarbeiten. Sicher können Sie …“

„So läuft das Projekt nicht, Ms. Nolan“, entgegnete Raffaele knapp und bestimmt. „Bei diesem dulde ich kein Versagen.“

Lily wollte ihm versichern, dass ein Versagen bei ihr nicht zu befürchten wäre, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Nun, Ms. Nolan?“

„Tut mir leid, Signore Petri, aber ich muss ablehnen.“

„Ich verdoppele Ihr Gehalt. Und auch den Bonus bei Projektabschluss.“

Lily traute ihren Ohren nicht. Natürlich hatte sie den Vertrag gelesen und über das atemberaubende Gehalt gestaunt – mehr, als sie in zwei Jahren verdiente. Die Versuchung war groß, mit einem Schlag ein Einkommen von vier Jahren zu verbuchen, das sie ihrer finanziellen Sorgen entledigen würde …

„Das könnte Sie umstimmen, richtig, Ms. Nolan?“ Der Mann klang so glatt und selbstsicher, dass sie ihrem Unmut am liebsten Luft gemacht hätte. Über ihn, der überzeugt war, sie kaufen zu können? Oder über sich selbst, die sie sich wider besseren Wissens hatte in Versuchung führen lassen?

Natürlich sehnte Lily sich nach Abenteuern, Reisen, aufregenden neuen Erfahrungen. Doch diese Träume musste sie begraben, nachdem ihr Leben, als sie vierzehn war, zusammengebrochen war. Mit grausigen Folgen. Damals hatte sie ihre beste Freundin, eine sorglose Jugend, ihren „normalen“ Alltag verloren. Dinge, die für junge Leute selbstverständlich waren – Flirts, Tanzen, Verabredungen …

Lily schloss für einen Moment die Augen. Der Teufel sollte den Mann holen, der die alten Sehnsüchte in ihr weckte.

Sie hing an ihrem Zuhause, war stolz, genug verdient zu haben, um es kaufen zu können. Doch es bedeutete noch so viel mehr für Lily. Sie brauchte das Gefühl der Sicherheit und Ruhe, die es ihr bot – den sicheren Hafen.

„Nein, Signore Petri. Ich war einfach überrascht. Bedaure, aber es bleibt bei Nein.“

„Interessant, Ms. Nolan. Kaum einer würde diese einmalige Gelegenheit ausschlagen. Warum Sie? Haben Sie Familie? Mann und Kinder?“

„Nein! Ich …“ Lily presste die Lippen zusammen. Instinktiv spürte sie, dass es besser war, diesem Mann keinen Einblick in ihr Privatleben zu geben.

„Keine Familie? Na ja, dafür dürften sie wohl etwas zu jung sein.“

Lily zog die Brauen hoch. So jung war sie mit achtundzwanzig nun auch wieder nicht. Oder fand Petri ihr Verhalten unprofessionell?

Vielleicht will er mich nur verunsichern. Der Mann genoss es, mit ihr zu spielen – wie die Katze mit der Maus –, ein Machtmensch, dem es Spaß machte, Druck auszuüben.

Lily warf den Kopf zurück. „Ich denke, das Alter wird erst wichtig, wenn man … reifer wird.“

Sie hörte einen rauen Laut durch die Leitung dringen. War Petri verärgert? Oder fand er ihre Bemerkung lachhaft?

Sie hätte das nicht sagen sollen. Er konnte es als Anspielung verstehen, dass er fünf Jahre älter als sie war. Das konnte alles verderben. Aber sie hatte es nicht nötig, sich seine Sticheleien gefallen zu lassen.

„So alt bin ich nun auch wieder nicht, Ms. Nolan.“

Nein, sicher nicht. Sie hatte genug Fotos von ihm in Glamourmagazinen gesehen … stets in Begleitung wechselnder Schönheiten.

„Wenn Sie keine Familie haben, gibt es sicher einen Liebhaber.“ Wie er das sagte, jagte ihr Schauer über die Haut. Lily zog die Knie an, um das erregende Gefühl zu verdrängen.

„Mein Privatleben geht Sie nichts an, Mr. Petri“, erwiderte sie beherrscht.

„Oh doch, Ms. Nolan – es geht mich etwas an, wenn es mich daran hindert, zu bekommen, was ich will.“

„Dann wird es Zeit, zu entdecken, dass Sie nicht alles bekommen können“, platzte sie heraus. „Ich entscheide, wann und wem ich meine Dienste anbiete.“

Sie fuhr sich übers Gesicht und atmete erneut tief durch. Meine Güte, sie ritt sich immer tiefer in die Tinte. Nur ruhig bleiben, egal wie unverschämt der Mann sie herausforderte.

„Hoffentlich machen Sie bei Ihren Kunden nicht zu oft sexy Anspielungen“, bemerkte er sinnlich. „Sonst könnten die sich falsche Vorstellungen von Ihren Diensten machen.“

Fast hätte Lily das Handy fallen lassen.

Sexy? Ha! Kein Mann hatte sie je sexy gefunden.

Ach was … er spielt nur mit mir, versucht, meine Schwachstellen auszuloten.

„Ich habe meine Gründe, nicht für Sie in New York arbeiten zu können, Signore Petri …“

„Nennen Sie mir drei.“

„Wie bitte?“

„Ich möchte wissen, warum Sie mein Angebot ablehnen. Kommen Sie: drei gute Gründe“, beharrte er und schaffte es tatsächlich, sie zu überrumpeln.

„Erstens habe ich keinen Pass.“ Das klang, als wäre sie ein Landei, während dieser Mann so selbstverständlich durch die Welt kurvte wie sie durchs Internet.

„Das wäre einer. Nummer zwei?“

„Ein Apartment in New York kann ich mir nicht leisten.“

„Nicht mal mit dem Bonus, den ich Ihnen biete?“

„Ich habe hier finanzielle Verpflichtungen, die ich bedienen muss.“

„Und der dritte Grund?“

Mit anderen in einem Büro zu arbeiten ertrug sie nicht – weil sie das alles nicht erneut durchmachen wollte. Sie war lieber allein. Ihr jetziges Leben, ihre Arbeit gefielen ihr. Kein launischer Chef konnte über sie bestimmen.

„Da Sie nicht antworten, Ms. Nolan, dürfte das der entscheidende Grund sein. Oder gibt es den gar nicht?“

Es kostete Lily alle Willenskraft, die Wahrheit nicht preiszugeben. Sie durfte sich von Raffaele Petri nicht provozieren lassen.

„Dann hält ein Mann Sie zurück.“

„Sie haben kein Recht, mich so auszuhorchen.“

„Ich habe ein Recht dazu, wenn mein wichtigstes Projekt durch Sie blockiert wird.“

Die gewaltige Arroganz des Mannes nervte Lily, doch nun wurde sie hellhörig. Er hatte ein Firmenimperium aufgebaut, erspähte geschäftliche Herausforderungen weit vor der Konkurrenz. Zu gern hätte Lily mehr über sein geheimes Projekt erfahren …

„Wollen Sie meinen Rat hören, Ms. Nolan?“ Ehe sie Nein sagen konnte, fuhr er fort: „Trennen Sie sich von dem Mann. Suchen Sie sich einen, der Sie von einer einmaligen Gelegenheit wie dieser nicht abhält. Sie sind ein echter Profi und sollten sich von ihm nicht an Ihrem Aufstieg hindern lassen.“

Einen Moment lang war Lily sprachlos. Was bildete Raffaele Petri sich ein? Wenn sie einen Partner hätte, würde sie ihn garantiert nicht verlassen, weil ein ichbezogener Fremder ihr das riet.

„Ich wusste nicht, dass Sie auch Beziehungsexperte sind, Signore Petri. Soweit mir bekannt ist, wechseln Sie die Freundinnen schneller als die Hemden.“

Im Eifer des Gefechts war ihr das herausgerutscht, und Lily hielt den Atem an. Das dürfte das Ende ihrer Geschäftsbeziehung mit Raffaele Petri sein – aber er hatte sie dazu verleitet.

Nun lachte Raffaele Petri so warmherzig, dass etwas Seltsames mit ihr geschah.

Ihr wurde heiß … sein Lachen berührte sie wie eine Liebkosung … dabei war er ein Fremder, den sie nicht einmal mochte. Entsetzt über sich selbst schwieg Lily.

Der Mann sah nicht nur aus wie ein griechischer Gott – er klang auch unwiderstehlich.

Dabei hasste sie Leute, die sie unter Druck zu setzen versuchten.

Aber war sie nicht eine junge, gesunde Frau mit normalen weiblichen Empfindungen? Ihre Hormone kümmerte es nicht, ob der Mann ein Heiliger oder der Teufel persönlich war. Viel zu lange hatte sie sich alles Sinnliche versagt.

„Hören Sie auf, über mich zu lachen!“, stellte sie ihn scharf zur Rede.

Langes Schweigen folgte.

Ich habe Raffaele Petri zu viel über mich verraten, wurde Lily bewusst.

Er mochte ein Tyrann sein, aber er war klug. Alle Welt wusste, dass er aus der Gosse einer italienischen Großstadt aufgestiegen war. Sein erstaunlicher geschäftlicher Erfolg war Legende.

„Und wenn ich über mich selbst lache? Weil mich endlich jemand an meine Fehler erinnert.“ Schwang da leise Ironie mit? „An mein Alter. Meine Gefühlskälte und Bindungsunfähigkeit … und wer weiß was noch?“ Er schwieg kurz. „Haben Sie Erkundungen über mich eingezogen, Ms. Nolan?“

Obwohl er die Sache locker abtat, entging Lily nicht, dass in seinem Ton erneut eine feine Drohung mitschwang.

„Nein, Signore Petri. Nur über Ihre Firma, ehe ich den Vertrag mit Ihnen unterschrieb. Aber Ihr Privatleben …“ Sie schüttelte den Kopf. „Das hatte ich nicht nötig.“

„Weil die Paparazzi mein Privatleben gründlich genug durchleuchten?“

Lily überlegte. Hatte sie bei ihm einen Nerv getroffen?

„Den Pass besorge ich Ihnen im Handumdrehen. Meine Leute kümmern sich darum. Auch um ein Apartment in New York. Ich lasse die Gehalts- und Bonusverdoppelung in Ihren Vertrag aufnehmen.“ Wieder schwieg er, und das war gut, weil Lily der Kopf schwirrte. Der Mann wollte sie glatt überrumpeln! „Sind Ihnen das genug Anreize?“

Autor

Annie West
Annie verbrachte ihre prägenden Jahre an der Küste von Australien und wuchs in einer nach Büchern verrückten Familie auf. Eine ihrer frühesten Kindheitserinnerungen besteht darin, nach einem Mittagsabenteuer im bewaldeten Hinterhof schläfrig ins Bett gekuschelt ihrem Vater zu lauschen, wie er The Wind in the Willows vorlas. So bald sie...
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