Liebeszauber in Manhattan

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Die idyllische Insel Martha’s Vineyard mit den malerischen Strandvillen, den Segelbooten und dem friedlichen Miteinander - hier hat die hübsche Künstlerin Jess endlich ein Zuhause gefunden! Auf Typen wie den eingebildeten Unternehmer Jordan Paydan, ihr neuer Nachbar, kann sie getrost verzichten. Doch dann führt sie eine Wohltätigkeitsgala gemeinsam nach New York. Jordan zeigt Jess seine Stadt und lädt sie sogar in sein Penthouse ein. Fast, als wolle er sie von der City überzeugen, und davon, dass auch er ein Herz hat. Das für sie schlägt …


  • Erscheinungstag 08.10.2019
  • Bandnummer 212019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712518
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Er war immer der Planer gewesen. Immer auf alles vorbereitet, Mehr als vorbereitet. Doch das jetzt hier war so unerwartet wie etwas nur hätte sein können.

Jordan Paydan stand an dem breiten Panoramafenster seines Penthouses und starrte ungläubig auf die Dokumente, die ihm der Bote gerade ausgehändigt hatte. Kein Detail war ausgelassen worden. Eine Horde Familienanwälte hatte sich um alles bis ins Kleinste gekümmert.

Aber die ganzen Papiere bedeuteten letztlich nur Eines: Sein Leben würde nie mehr dasselbe sein.

Noch immer konnte er es nicht glauben, dass seine Stiefmutter nicht mal versucht hatte zu kämpfen; sie hatte einfach nur gewartet, bis das gewünschte Geld auf ihrem Konto eingegangen war.

Stiefmutter. Jordan schnaubte verächtlich. Die Frau war kaum älter als er mit seinen einunddreißig Jahren und machte auch sicherlich nicht den Eindruck, sich wie eine Erwachsene verhalten zu wollen. Er kannte sie nicht wirklich gut, eigentlich gar nicht, aber der Punkt war so klar wie der Himmel vor ihm: Seine Stiefmutter hatte wirklich kein Problem damit, nach dem Tod seines Vaters in ihrem neuen Leben zurechtzukommen. Wenn man es neu nennen konnte. Für sie hatte sich nicht wirklich etwas geändert.

Jordan schüttelte fluchend den Kopf und warf die Sachen auf seinen Schreibtisch. Ihm blieb nur zu versuchen, die Dinge wieder in geregelte Bahnen zu lenken.

Aber wo zur Hölle sollte er damit anfangen?

1. KAPITEL

Sechs Monate später

Jess trat einen Schritt zurück, um ihr Werk zu begutachten.

Die ganze Wand hatte sich in eine weite Landschaft verwandelt: In der Ferne ragten Berge in den Himmel auf, Bäume im Vordergrund wurden zu unendlichen Wäldern. Den größten Teil machte die Burg aus, mit hohen Türmen und bunt wehenden Fahnen. Vögel flogen darüber zum Horizont, ein freundlicher Drache lag in seiner nahen Höhle, um sie zu behüten, und Ritter waren auf ihren Pferden unterwegs. Die Sonne schien und fluffige Wolken machten das Ganze perfekt.

Jetzt noch etwas Tiefe, ein paar Blumen und …

Sie war so sehr von ihrer eigenen Arbeit gefesselt, dass sie gar nicht bemerkte, wie die Haustür geöffnet wurde und jemand das Haus betrat. Sie merkte nicht, wie dieser Jemand die Treppe hinaufstieg. Erst, als sie ihre Farbpalette griff, um den Pinsel neu zu laden, fiel ihr Blick beim Aufschauen auf den Fremden, der sie vom Türrahmen aus anstarrte.

Sie schrie überrascht auf und stolperte einen Schritt zurück und warf das Einzige, das sie hatte, nach dem Eindringling: ihren Pinsel.

Die ungewöhnliche Wurfwaffe traf sein Ziel direkt auf die Brust.

„Was zur Hölle…?“ Die tiefe, maskuline Stimme klang so irritiert wie wütend zugleich.

Jess Augen wurden größer. Das war kein Eindringling. So gar nicht. Mit einem Schlucken wurde ihr klar, dass sie gerade einen dicken Klecks roter Farbe auf das reinweiße Hemd des neuen Hausbesitzers gemacht hatte. Geworfen hatte. Auf dieses eindeutig teure, maßgeschneiderte Seidenhemd. Sie hatte gerade keine Zeit, dass ihr die fein definierten Muskeln darunter auffielen. Sie musste etwas tun!

Hastig griff Jess einen der feuchten Mallappen vom Boden und rannte zu dem Mann. „Tut mir leid! So ein Mist. Sie haben mich so erschreckt!“

Bevor er sie aufhalten konnte, hatte sie schon begonnen, mit dem Tuch die Farbe irgendwie von dem Hemd zu reiben. Oder eher weiter über das Hemd zu verteilen.

Der Mann atmete ein. „Hören Sie auf.“

„Ich krieg das hin“, versicherte sie ihm. „Ich habe schon häufiger Farbe auf der Kleidung gehabt.“ Auf einem Seidenhemd? Wie krieg ich das je wieder raus? Was das kosten musste, und dazu noch der Eindruck.

„Hören Sie auf!“ Seine Stimme wurde einen Tick lauter, und starke Hände umgriffen die ihren. „Es reicht.“

Jess blinzelte und sah auf. „Tut mir leid mit dem Hemd. Ich bin einfach erschrocken. Was in aller Welt tun Sie hier?“

Für einen Moment hatte sie ihn sprachlos gemacht. „Was ich hier tue?“, brauste er dann auf. „Das ist mein Haus! Die Frage sollte ich wohl eher Ihnen stellen!“

Jess schluckte. Während sie verzweifelt nach Worten suchte, wanderten ihre Blicke über den Mann. Kurzes Haar, einen kleinen Ton dunkler als sandblond. Ein gepflegter Dreitagebart, von dem er vermutlich gar nicht wusste, wie verführerisch abenteuerlich der ihn aussehen ließ. Dunkle graugrüne Augen.

Verzweifelt versuchte Jess, sich zusammenzureißen. „Ich habe heute noch nicht mit Ihnen gerechnet“, stammelte sie. „Marie sagte mir, dass Sie frühestens morgen hier sei würden. Ihr gehört die Maklerfirma, die für Sie all das hier abwickelt. Sie ist eine Freundin von mir und …“ Jess bremste sich. Jetzt reite nicht auch noch Marie mit hinein. „Ich meine, sie vergibt mir ab und zu Jobs, und ich …“ Reiß dich zusammen. „Ich wollte sagen … Ich bin fast fertig.“ Jess deutete auf das Bild. „Nur noch …“

Der Mann schenkte der bunten Landschaft nicht mal einen Blick. „Ich habe keine Ahnung, warum Sie um diese Zeit noch hier sind. Oder warum meine Tür nicht verschlossen war. Oder was Sie hier überhaupt tun.“

„Ich mache ein Wandgemälde.“ Ob er mehr wissen wollte? „Das ist eine Burg und …“

„Warum?“

„Bitte?“ Sie sah ihn an.

„Warum machen Sie hier ein Gemälde hin? Ich hatte der Maklerin ausdrücklich gesagt, dass ich einfach das ganze Haus frisch gestrichen haben will. Sie hatte genaue Instruktionen bezüglich der Farbe, die sie angeblich auch ihren Malern weitergegeben hat.“

„Ja, Eierschalen-Weiß, das hat sie mir gesagt.“ Jess räusperte sich. „Im ganzen Haus.“ Merkte er denn nicht selbst, wie abgrundtief langweilig das war?

Der Mann nickte nur knapp. „Exakt. Ich denke nicht, dass man das mit einer Burg oder dem Auftrag für sonst irgendein Wandgemälde verwechseln kann.“

Sein Auftreten schnürte ihr zunehmend die Kehle zu. „Das ist mir klar. Aber ich habe gehört, dass es für ein Kind sein soll, und da dachte ich, dass doch jeder, egal, ob Junge oder Mädchen, sich bestimmt freuen würde über …“

Er wischte ihre Worte mit einer Handbewegung fort. „Es interessiert mich nicht, was Sie gedacht haben. Sie haben sich einfach über meine Anweisungen hinweggesetzt und bringen damit noch dazu meinen Zeitplan durcheinander.“

Jess bemühte sich, die aufsteigenden Tränen zurückzudrängen. Idiotin. Er hat recht. „Das tut mir leid. Ich brauche nur noch ein paar Minuten, und dann räume ich zusammen.“

Sein Blick verdunkelte sich weiter. „Das kleine Mädchen, das hier einziehen soll, wird in wenigen Minuten hier sein und seine kleine Matratze mit den vielen Ponys darauf aufgeblasen haben wollen. Dank Ihnen wird sie die erste Nacht im neuen Haus nicht in ihrem Zimmer schlafen können.“

Da hatte er schon wieder recht. Die Farbe sollte erst trocknen. Dass es in diesem Anwesen sicherlich genügend andere Zimmer geben dürfte, war auch nicht gerade ein gutes Argument. Schon gar nicht, wenn man es einem kleinen Mädchen erzählen wollte. „Sie haben ja recht. Ich mache nur noch das letzte Stück, und dann nehme ich meine Sachen.“

Ohne auf ihre Worte zu hören, trat er zur Seite und deutete auf die Treppe. „Bitte, gehen Sie einfach. Jetzt.“

Jess starrte ihn an. Dann presste sie die Lippen zusammen. Sie würde vor diesem fremden Kerl bestimmt nicht anfangen zu heulen. Er mochte ja mit einigem im Recht sein, aber sie hatte nur versucht, einem Kind eine Freude zu machen. Das hatte sie jetzt davon. Selber schuld. Schnell klaubte sie ihre Ausrüstung zusammen und machte sich auf den Weg.

Jordan sah der jungen Frau hinterher, wie sie die Treppe hastig hinunterlief und zum Ausgang lief. Er erwartete, dass sie die Tür hinter sich zuknallen würde, doch zog sie sie erstaunlich leise ins Schloss. Alles andere hätte ihn eigentlich weniger überrascht. So, wie er sich benommen hatte, hätte wohl jeder die Flucht ergriffen. Er seufzte. Konnte der Tag eigentlich noch schlimmer werden? Er hatte doch nur noch kurz das Haus checken und dann heiß duschen wollen. Stattdessen fand er eine Fremde vor, die sich irgendwelche Dinge herausnahm, noch dazu in Sonyas Zimmer!

Er fuhr sich kopfschüttelnd durchs Haar und ging zurück in den Flur, wo er seine Tasche abgestellt hatte. Vier Stunden Fahrt, das meiste davon durch strömenden Regen und das Gespräch mit einem wichtigen Investor auf der Freisprecheinrichtung. Und ich soll mich nicht aufregen, wenn plötzlich eine Fremde in meinem Haus ist? Wo er sich so Ruhe erhofft hatte? Die einfach etwas veränderte, nur weil es ihr besser gefiel? Die ihm noch dazu eines seiner Hemden ruinierte und dann nicht mal verstand, dass er nicht glücklich darüber war?

Festen Schrittes ging er in Richtung seines Badezimmers und wurde mit einem Mal von Gewissensbissen geplant. Irgendwie hatte der Auftritt der jungen Frau ihn berührt …

Ob er sich entschuldigen sollte? Er könnte versuchen, bei der Maklerfirma nachzufragen, wer sie war. Vielleicht hatten sie eine Telefonnummer. Aber wollte er das wirklich?

Jordans Blick fiel auf die noch immer offen stehende Zimmertür. Neugierig betrat er den Raum.

„Wow …“ Das Wandgemälde war ein echtes Kunstwerk. Jordan trat näher, um sich alles genauer anzusehen. Diese Frau verstand es, mit dem Pinsel und mit Farben umzugehen. Alles Freihand, wie er gesehen hatte. Vor allem zeigte das Bild eine Liebe zum Detail. Überall gab es etwas zu entdecken, dann wieder etwas und wieder etwas Neues. Und sie meinte, sie sei noch nicht fertig?

Er sog die Luft ein. Sein Verhalten erschien ihm nur noch grober und ungerechtfertigter als ohnehin schon. Sie war eine Künstlerin, und sie hatte sich so unglaublich viel Mühe gegeben. Einfach so?

Er musste sich bei ihr entschuldigen, definitiv.

So schlimm kam ihm auch der Farbgeruch jetzt nicht mehr vor. Ob es Sonya wirklich stören würde? Dazu hing ein feiner Duft nach Veilchen in der Luft. Ihr Duft, erinnerte sich Jordan unwillkürlich. Er hatte ihn wahrgenommen, als sie so nahe bei ihm gestanden hatte. Dann noch mal, als sie an ihm vorbei aus dem Zimmer gestürmt war.

Plötzlich sah er sie wieder vor sich, wie sie ihre Sachen aufgesammelt hatte. Er erinnerte sich, wie sie gebebt hatte, sich auf die Lippe gebissen, um nicht zu weinen. Was bist du nur für ein unglaublicher Idiot.

Jordan schnaubte frustriert. Er konnte sich nicht mal gegenüber einer Wildfremden benehmen, die ihm nichts getan hatte. Wie sollte er je in der Lage sein, sich um ein kleines Mädchen zu kümmern? Wie sollte er Sonya glücklich machen? Ihr endlich zu einer glücklichen Kindheit verhelfen?

Aber wie könnte er nicht alles daransetzen, es zu versuchen.

Nimm sie zu dir, Jordan. Die bittenden Worte seines Vaters hallten ihm noch immer durch den Kopf. Ihre Mutter will sie nicht. Ich weiß, dass ich viel von dir verlange.

Viel war gar kein Ausdruck. Er war der Falsche. Er hatte nicht die Fähigkeiten dazu. Er hatte schon zu viele Fehler gemacht.

Wenigstens hoffte er, dass Martha’s Vineyard nun keiner war. Eine kleine Insel, weit genug und nicht zu weit von der nächsten Großstadt entfernt. Die Sorte Ort, wo es ruhig war, ohne zu still zu sein.

Wo die Leute die gleichen Geschäfte besuchten und besuchen mussten. Also würde er der Malerin früher oder später ohnehin wieder über den Weg laufen. Und dann war es definitiv Zeit für eine Entschuldigung.

Bis dahin hatte es auch Zeit.

Als er schließlich aus der Dusche trat, hatte Jordan sich einen perfekten Plan zurechtgelegt: Eine aufrichtige Entschuldigung, ein ehrliches Kompliment zu ihrem Werk. Vielleicht konnte er ihr noch dazu erklären, dass er einen wirklich harten Tag gehabt hatte und von ihrer unerwarteten Anwesenheit so vollkommen auf dem falschen Fuß erwischt worden war. Jordan nickte. So würde er es machen. Die Aussicht ließ sogar seine Stimmung besser werden.

Die Aussicht, sich für sein rüdes Verhalten zu entschuldigen. Sicher nicht die, eine Gelegenheit zu haben, die Künstlerin wiederzusehen.

Elise Stimme draußen sorgte dafür, dass die Irritation über den Gedanken nicht allzu weit in sein Bewusstsein dringen konnte. Er streifte sich schnell ein frisches T-Shirt und Jogginghose über und lief die Treppe hinab.

„Haben Sie den Weg gut gefunden?“, fragte er die Nanny, während diese Sonya aus dem Auto half.

„Ja, kein Problem.“

„Hey, Sonnenschein.“ Jordan ging in die Hocke, um seine Schwester zu drücken. Die erwiderte das herzlich, winkte ihm dann zur Antwort mit einem Lächeln zurück. Mehr Antwort hatte er auch nicht erwartet. Dennoch schmerzte es ihn noch immer, wie wenig Worte sie nur noch benutzte. Je weiter ihr Hörvermögen zurückging, desto weniger schien sie Spaß am Sprechen zu haben. Die Ärzte hatten ihm versichert, dass dieses Verhalten normal sei; ihm zerriss es jedes Mal fast das Herz.

Dennoch schaffte er ein ehrliches Lächeln und ließ sie los, um ihr zu gesten, wie sehr er sich freute, sie zu sehen.

Sie grinste zurück. Sie waren eigentlich beide noch relative Anfänger in der Gebärdensprache, doch Sonya hatte ihn schon längst überholt. Sie war gerade mal sechs, aber die Sprache schien ihr vollkommen natürlich vorzukommen und jeden Tag kam sie und brachte ihm neue Worte bei.

„Sie sieht müde aus.“ Er erhob sich.

Elise nickte. „Und hungrig, ja. Es war eine lange Fahrt. Wir hatten zwar Proviant dabei, und Sonya hat die Fährfahrt großen Spaß gemacht, aber jetzt braucht sie etwas Richtiges zu essen.“

„Ich habe auf dem Weg eine Pizzeria gesehen. Ich lasse etwas bringen. Und danach gehts ins Bett.“ Jordan sprach laut genug, dass Sonya es verstehen würde, und sie nickte. Ihr Blick mochte müde sein, aber sie war eindeutig gleichermaßen aufgeregt.

„Sie freut sich auf ihr neues Zimmer“, erklärte Elise.

„Na, dann komm. Ich habe eine Überraschung für dich.“ Jordan streckte die Hand aus. Ungeplant, ungewollt, aber immerhin. Sonya würde es hoffentlich gefallen.

Tatsächlich konnte die Kleine es kaum erwarten, die Treppe hinaufzustürmen. Als sie dann im Zimmer stand, sprach ihr Blick Bände: Mit großen Augen sah Sonya sich um und trat näher an das Wandgemälde.

Elise machte Fotos mit dem Handy. „Das ist wirklich toll. Wie umsichtig von Ihnen, jemanden dafür zu engagieren.“

Er hob einen Mundwinkel. Wenn sie wüsste. Unwillkürlich glitten seine Gedanken zurück zu der dunkelhaarigen Fremden im bunt farbverklecksten Jeansoverall. Und zu dem Anblick, wie ihre Lippen gezittert hatten im Versuch, nicht zu weinen. Sein Kiefer mahlte.

„Danke!“ Sonya kam auf ihn zugerannt.

Jordan schluckte. Er ging auf die Knie, um die Kleine zu umarmen. Ja. Er schuldete jemandem eine verdammt große Entschuldigung.

Entweder ignorierte das Mädchen sie, oder es war versunken in einem Spiel. Jess hatte das Kind noch nie zuvor im Vineyard Vine’s Kids Club gesehen. Oder sonst wo auf der Insel.

Der Kids Club war ein beliebter Treffpunkt für die Kinder innerhalb des Gemeindezentrums. Es gab Kurse, Aktivitäten, Kinderbetreuung, Sport und sogar Schwimmkurse im Pool hinter dem Haus. Jess bot hier schon seit drei Jahren Kunstkurse für Kinder an.

Vielleicht eine neue Schülerin? Jess warf einen Blick zu der geschlossenen Bürotür. Ob die Mutter der Kleinen sie gerade anmeldete? Sie ging näher. Wie das Mädchen dabei aufschrak, machte ihr klar, dass es sicherlich kein Ignorieren gewesen war. Die Kleine hatte eine Hörbehinderung. Glücklicherweise hatte Jess über die Jahre ein wenig Gebärdensprache gelernt. Also ging sie in die Hocke und gestete ein „Hallo!“.

Das Mädchen strahlte sofort und winkte zurück.

Mein Name ist Jess.

Zur Antwort bekam sie Buchstaben gegestet: S-O-N-Y-A. Sonya, schloss das Mädchen ihre Namensgeste mit an. In der Gebärdensprache zeigte man eine Geste, die für einen selbst stehen sollte, um nicht jedes Mal die einzelnen Buchstaben zeigen zu müssen.

Hallo, Sonya, schön, dich kennenzulernen.

Ein weiteres Lächeln.

Jess kam ein Gedanke und sie deutete spontan zur Informationstafel. Wir machen zusammen ein Theaterstück, Mutter Gans. Ich leite es. Die Proben haben gerade angefangen. Hättest du Lust mitzumachen? Wir würden uns freuen.

Sonya hatte ganz offensichtlich den Inhalt verstanden und überlegte. Jess ließ ihr Zeit. Sie war sich sicher, dass man problemlos einen Part für Sonya anpassen können würde. Die Kinder waren noch so jung, dass sie auch ohnehin nur ein oder zumindest wenige Sätze nur zu sagen hatten. „Was meinst du?“, wandte sie sich wieder dem Mädchen zu, so, dass die Kleine ihre Lippen sehen konnte. „Möchtest du im Stück mitmachen?“

Die Bürotür hinter ihr wurde geöffnet und eine männliche, und verstörend bekannte Stimme erklang „Was in aller Welt …?“

Jess erhob sich und drehte sich um. Das konnte doch nicht wahr sein. Der unfreundliche Kerl vom Tag zuvor, der sie wegen der Burg angeschnauzt hatte. Und er sah diesmal sogar noch wütender aus.

Jordan war von dem plötzlichen Wiedersehen mit dieser Frau überrascht worden. Mehr noch aber überrollte ihn, was er dann gehört hatte. Hatte sie wirklich Sonya gefragt, ob diese an einem Theaterstück teilnehmen wollte? Wie konnte sie nur auf so eine miese Idee kommen? Der kurze Moment, in dem er sich gefreut hatte, sie wiederzusehen, sich bei ihr doch schon so bald entschuldigen zu können, verflog, als hätte es ihn nie gegeben.

„Was tun Sie denn hier?“ Jess stemmte die Hände in die Hüften, diesmal nicht so schnell mit ihrem Rückzug.

„Ich schreibe Sonya für den Schwimmunterricht ein.“ Was ging sie das überhaupt an? Warum erzählte er ihr das? Und warum war ihm so sehr danach, ihr auch noch zu erklären, dass der große Swimmingpool des Hauses und der nahe Atlantik der Grund für die Überlegung gewesen waren. Jordan schüttelte den Kopf. „Was haben Sie da gesagt? Theater? Sonya ist nicht interessiert.“

Jess verschränkte die Arme. „Achten Sie auf Ihren Ton. Und Sonya hat da ja wohl ein Wörtchen mitzureden.“

„Sie ist gerade mal sechs. Wie kommen Sie überhaupt dazu, sie das zu fragen?“

„Weil ich zufälligerweise hier Kursleiterin bin und auch die Leitung des Sommertheaters übernommen habe.“ Sie hielt inne, riss sich zusammen und streckte ihm die Hand entgegen. „Jess. Jessalyn Raffi.“

Aus reiner Höflichkeit heraus schüttelte er ihre Hand. „Jordan Paydan.“

Jess versuchte, das Gespräch wieder aufzunehmen. „Ihre Tochter schien durchaus Interesse …“

„Schwester. Sie ist meine Schwester. Halbschwester, um genau zu sein.“ Das geht sie doch gar nichts an. „Und sie hat kein Interesse.“

„Sie könnte dadurch andere Kinder kennenlernen.“

Die sich dann über sie lustig machen und ihr dumme Streiche spielen würden. Jordan würde das auf keinen Fall zulassen. Schon gar nicht nach allem, was geschehen war.

2. KAPITEL

Sonya hatte ihrem Bruder auf der gesamten Rückfahrt klargemacht, dass er sich schlimmer benommen hatte, als der fiese Bösewicht aus ihrem letzten Lesebuch. Er seufzte. Vielleicht hatte sie recht. Sehr sicher hatte sie das. Er hatte sich schon wieder daneben benommen. Wenn er ehrlich war, verstand er nicht, warum. Natürlich, er wollte Sonya beschützen. Er konnte nicht zulassen, dass sie von anderen Kindern ausgelacht wurde, und er konnte nicht verstehen, wie diese Frau so etwas leichtsinnig in Kauf nehmen konnte.

Der Gedanke daran ließ seine Wut noch einmal auflodern. Er musste Sonya beschützen. Egal vor wem. Wenigstens jetzt.

Aber alles, was er gerade tun konnte, war zuzusehen, wie Sonya aufgeregt gestend Elise von den Ereignissen erzählte und sich dann auch noch beide mit vorwurfsvollem Blick zu ihm umwandten.

„Okay, okay, ich gebe es ja zu!“ Er breitete entschuldigend die Arme aus. „Ich habe es schon wieder vergeigt.“

So gern er sich auf die Zunge gebissen hätte, es war zu spät. „Was meinen Sie mit ‚schon wieder‘?“ Nicht nur Elise sah ihn an.

Autor

Nina Singh

Nina Singh lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und einem sehr temperamentvollen Yorkshire am Rande Bostons, Massachusetts. Nach Jahren in der Unternehmenswelt hat sie sich schließlich entschieden, dem Rat von Freunden und Familie zu folgen, und „dieses Schreiben doch mal zu probieren“. Es war die beste Entscheidung ihres Lebens. Wenn...

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