Mi amor, mi pasión – Meine Liebe, meine Leidenschaft

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Glamour, Paparazzi und ein gewagter Deal! Als die unerfahrene Modedesignerin Anna Vega ihrer Jugendliebe Antonio Cabrera während einer Fashionshow in Rom unerwartet in die Arme läuft, schließt sich eine Mauer um ihr Herz. Nie wird sie vergessen, wie der weltgewandte Spanier sie einst verließ. Dass er jetzt mit ihr das verliebte Paar spielen will, angeblich um seinen ramponierten Ruf zu retten, raubt ihr den Atem. Ebenso wie seine prickelnde Nähe, die pure Leidenschaft in ihr weckt. Aber Anna fühlt, der stolze Spanier verbirgt etwas vor ihr …


  • Erscheinungstag 26.07.2022
  • Bandnummer 2554
  • ISBN / Artikelnummer 9783751509831
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Rom, Italien

Die Techno-Musik pulsierte durch Anna Vegas Venen, als sie im Blitzlichtgewitter über den Laufsteg schwebte. Sie blieb stehen, bedachte die nächstbeste Kamera mit einem unsicheren Mona-Lisa-Lächeln und fluchte innerlich. Hatte nicht irgendjemand gesagt, sie solle nicht lächeln, sondern geheimnisvoll und distanziert wirken?

Zu spät. Außerdem musste sie sich auf ihren Walk konzentrieren. Es war eine Kunst, auf diesen schwindelerregend hohen Absätzen einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie hörte das Plätschern des Brunnens im Innenhof des Hotels, als sie für einen letzten Blick stehen blieb, bevor sie hinter den schweren Vorhängen verschwand und in den Raum eilte, der die anderen Models und ihre Entourage beherbergte.

Sie trat durch die Glastür, und noch bevor sie Luft holen konnte, wurde sie von Stylisten umringt.

„Bürste Annas Haar!“

„Nein, nein, nein, das ist die falsche Lippenfarbe!“

„Das letzte Kleid ist das mit Tüll und Organza!“

Anna schloss die Augen, um sich nicht anmerken zu lassen, wie die widersprüchlichen Gefühle von Stolz und Schmerz sie innerlich zerrissen. Das letzte Outfit, ein langes Kleid mit tiefem Ausschnitt, würde sie ihrer Mutter zu Ehren tragen. Der lange Rock eine Reminiszenz an das Kleid, das ihre Mutter ihr für die Weihnachtsfotos mit der Familie geschenkt hatte, als sie vier war, das Oberteil eine Anspielung auf die unzähligen Male, die ihre Mutter gesagt hatte, dass sie eines Tages genug Selbstbewusstsein haben würde, auch „etwas Gewagteres“ zu tragen. Ein Tag, der dank eines rücksichtslosen Fahrers auf einer Landstraße in den Sümpfen von Louisiana nie gekommen war.

Doch ihre Mutter wäre stolz auf sie gewesen. Es war das erste Design, das allein ihre Handschrift trug. Keine Kopie, keine Kompromisse.

Obwohl Anna sich eingestehen musste, dass sie den Ausschnitt nicht ganz so tief gewählt hätte, wenn von Anfang an klar gewesen wäre, dass sie selbst das Kleid präsentieren würde. Doch als Kess angerufen und sie gebeten hatte, mit einem Koffer ihrer Designs nach Rom zu kommen, hatte sie nicht lange gezögert und sich ins Flugzeug gesetzt.

Und dann war alles irgendwie aus dem Ruder gelaufen. Eigentlich sollte sie in Kess’ erster Fashion Show nur ein paar Lücken füllen, nachdem ein Designer abgesprungen war, und nun gab sie unverhofft ihr Debüt als Model, weil eines der Mädchen eine Lebensmittelvergiftung hatte.

Das goldene Kleid funkelte im Licht hinter der Bühne. Ganz anders als die Pastellfarben, die sie sonst bevorzugt hatte. Doch seit dem verdammten Zeitungsartikel kamen die früheren Entwürfe ihr nur noch nichtssagend vor. Langweilig.

Prüde.

Noch immer zog sich ihr innerlich alles zusammen, wenn sie an das Foto von sich und den reißerischen Text darunter dachte. Obwohl sie zähneknirschend zugeben musste, dass der Artikel auch etwas Gutes bewirkt hatte. Euch werde ich’s zeigen, hatte sie gedacht und in einem wütenden Moment den Stoff bestellt, aus dem sie später dieses Kleid genäht hatte.

„Alles okay?“

Anna öffnete die Augen und sah Kess vor sich stehen, gehüllt in violette Seide, die fast bis zum Boden reichte. Durch einen verführerischen Schlitz funkelte Glitzerpuder, den eine Visagistin auf die dunkle Haut ihres Dekolletés gestäubt hatte. Sie sah atemberaubend aus.

Anna versuchte, ein zuversichtliches Lächeln aufzusetzen, während jemand an den luftigen Stoffschichten ihres Rocks herumzupfte. „Mal was anderes als T-Shirt und Jogginghose wie früher beim Lernen bis spät in die Nacht.“

Kess lächelte, und ihre Sorgenfalten glätteten sich. „Ein bisschen. Wir sind definitiv nicht mehr in Granada.“

„Kess!“

Das Gebrüll des Inspizienten übertönte das Stimmengewirr und den Lärm der Musik. Kess drückte ihre Hand und eilte davon.

Dann war es so weit. Schmetterlinge tanzten in Annas Brust, und sie klopfte nervös mit der Spitze ihres goldenen Schuhs auf den Boden.

Ein letzter Walk. Ein letzter Walk und nie wieder.

„Der letzte Walk“, murmelte sie vor sich hin. „Du schaffst das, du schaffst das.“

Der Assistent, der für den Vorhang zuständig war, warf ihr einen flüchtigen Seitenblick zu und unterdrückte ein Lächeln. Im Vergleich zu den unzähligen anderen Models, denen er in seinem Job begegnete, wirkte sie wahrscheinlich lächerlich. Unerfahren.

Sofort meldeten sich ihre Selbstzweifel. Was tat sie hier eigentlich? Sie war kein Model. Wenn überhaupt, war sie Mode-Designerin, die zweifelhafte Bekanntheit erlangt hatte, weil ein Journalist sich über sie lustig gemacht hatte. Und die meisten Anfragen im Zuge dieses Artikels bezogen sich dann auch nicht auf ihre künstlerische Vision, sondern auf ihre sehr vage Beziehung zu einer der reichsten Familien Europas.

Sie biss sich auf die Lippe. Eine nervöse Angewohnheit aus ihrer Kindheit, die sie eigentlich überwunden hatte. Doch in Momenten wie diesem, wenn sie sich hoffnungslos überfordert fühlte, wurde sie wieder das verängstigte kleine Mädchen, das gerade seine Eltern verloren hatte. Das in einem goldenen Käfig gefangen war und sich jedes Mal, wenn es etwas wagte, mit noch mehr Verboten und Regeln konfrontiert sah. Im Lauf der Zeit waren ihr die ständigen Zweifel ihres Onkel und ihrer Tante in Fleisch und Blut übergegangen. Der Tod ihrer Eltern hatte sie verändert und viel in ihr ausgelöscht. Von der Trauer ausgehöhlt, hatte sie die übertriebene Fürsorglichkeit einfach über sich ergehen lassen. Bis sie schließlich selbst glaubte, dass sie schwach war und nicht ohne die Hilfe anderer zurechtkam.

Nur einer war anders gewesen. Einer hatte sie immer ermutigt, ihr gesagt, sie könne alles schaffen und alles sein, was sie wollte.

Nur nicht seine Geliebte.

Bei der Erinnerung daran kniff sie unwillkürlich die Augen zusammen. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich an eine ihrer größten Niederlagen zu erinnern.

„Los!“

Die Stimme des Assistenten vertrieb die Gedanken an die Vergangenheit. Sie öffnete die Augen, drückte die Schultern durch und ging los. Am Ende des Vorhangs eine kleine Drehung nach rechts, und sie war wieder auf dem Laufsteg. Trotz der ohrenbetäubenden Musik hörte sie das unaufhörliche Klicken der Kameras, als das Blitzlichtgewitter um sie herum losbrach.

Da passierte es. Der Absatz von ihrem rechten Schuh brach ab. Sie verlor das Gleichgewicht, geriet ins Stolpern, stolperte ein zweites Mal und kippte vom Laufsteg. Sie hörte das kollektive Luftanhalten der Menge, das manische Klicken der Kameras, ihren eigenen Herzschlag, als ihr Rock so hoch flatterte, dass er ihr Gesicht verdeckte und sie diesen demütigenden Moment wenigstens nicht mitansehen musste.

Sie landete auf irgendeinem Schoß. Sie hatte keine Ahnung, auf wessen Schoß, doch sie konnte ihn spüren. Definitiv ein Er, dachte sie, als sich starke Arme um sie schlossen und sie hielten. Trotz der peinlichen Lage nahm sie seine muskulöse Brust wahr, den würzigen Amber-Duft, der von ihrem Retter ausging und in dessen Vertrautheit etwas Tröstliches lag.

„Tut mir leid, ich …“ Sie strich den Stoff glatt und verstummte, als ihr Blick den schimmernden braunen Augen des Mannes begegnete, den sie einst geliebt hatte.

Antonio Cabrera. Ausgerechnet!

Die Realität holte sie ein, als das Blitzlichtgewitter noch frenetischer wurde. Ihr erster Impuls war, das Gesicht in den Händen zu verbergen und durch die Menge zu flüchten, in der Hoffnung, dass die Paparazzi ihr nicht folgen würden.

Feigling.

Sie schluckte schwer. Davonlaufen würde das Problem nicht lösen.

Sie holte tief Luft und sah Antonio fest in die Augen. „Tust du mir einen Gefallen?“, fragte sie und fügte sanft hinzu: „Bitte?“

Seine Mundwinkel zuckten. „Außer die Jungfrau in Nöten zu retten?“

„Ich muss die Schuhe ausziehen. Hilfst du mir aufzustehen?“

Bevor sie ihn davon abhalten konnte, griff er in die Stoffmassen und schob ihren Rock hoch. Nur bis zur Mitte ihrer Waden, doch die Geste reichte, um ihr den Atem zu verschlagen. Ihr Herz begann zu rasen, als er mit den Fingern über ihren Knöchel strich, geschickt den Riemen des kaputten Schuhs löste und diesen abstreifte. Er wiederholte dasselbe bei dem anderen Schuh, während sie einfach da saß und sich darauf konzentrierte, den Mund geschlossen zu halten, denn die sanfte Berührung seiner Finger fühlte sich so wundervoll an, dass sie am liebsten laut gestöhnt hätte.

Sie hätte sich schämen sollen. Hätte angesichts der Demütigung in eine Schockstarre verfallen sollen, während die Kameras weiterhin unaufhörlich klickten und das Raunen des Publikums immer lauter wurde.

Doch das tat sie nicht. Alles, was sie fühlte, alles, was sie sah, war dieser Moment.

„Danke.“

Ihre Blicke begegneten sich, und für den Bruchteil einer Sekunde sah sie ein Feuer in den Tiefen seiner Augen aufflackern.

Wahrscheinlich war es nur das Blitzlicht einer der Kameras gewesen, die ihren tiefen Fall dokumentierte.

„Anna!“

Sie drehte sich um und sah Kess auf sich zukommen.

„Ich laufe gleich weiter.“ Sie verzog das Gesicht zu etwas, das hoffentlich einem Lächeln glich, denn sie war sich sehr wohl bewusst, dass die ganze Welt jede Sekunde ihres kleinen Dramas verfolgte. Sie versuchte, sich aufzurappeln. Ein Stöhnen entwich Antonios Kehle.

„Oh! Tut mir leid, hab ich dir wehgetan?“

Er stand mit einer fließenden Bewegung auf, einen Arm um ihren Rücken, den anderen unter ihren Beinen, machte ein paar Schritte vor und hob sie auf den Laufsteg.

„Du schaffst das“, hörte sie Kess hinter sich flüstern, als sie aufstand. Anna sah zu ihrer Freundin und ärgerte sich, weil ihr Blick ungewollt zu Antonio huschte. Er starrte sie einen langen Moment an, sein Blick undurchdringlich, dann nickte er ihr aufmunternd zu.

Anna schluckte schwer und wandte sich dem Publikum zu. Tosender Applaus brandete auf, und die Leute johlten. Sie zwang sich zu einem Lächeln, um sich für die Unterstützung zu bedanken, und setzte ihren Walk fort.

Trotz der positiven Reaktion auf ihren Sturz brannte ihr Gesicht. Für einen köstlichen Moment hatte Antonio sie abgelenkt. Doch jetzt stand sie wieder allein auf der Bühne, alle Blicke auf sie gerichtet, und es fiel ihr schwer, den Auftritt zu Ende zu bringen, ohne der Scham nachzugeben, die ihr die Kehle zuschnürte, oder der Sorge in ihrem Hinterkopf, dass sie Kess die Show vermasselt hatte.

Und dann war da noch die Gewissheit, dass Antonio ihr zusah, als sie das Ende des Laufstegs erreichte und posen musste.

Du schaffst das.

Kess’ Worte gossen Öl in das Feuer, das tief in ihrem Innern zu lodern begonnen hatte. Sie würde es schaffen. Sie hob das Kinn, warf den Kameras ein letztes dünnes Lächeln zu, dann drehte sie sich um und ging den Laufsteg zurück.

Aus dem Augenwinkel sah sie ihn, spürte seinen Blick. Doch sie blieb konzentriert, schaute weder links noch rechts.

Antonio hatte ihr heute geholfen, das ließ sich nicht leugnen. Sie würde eine Dankeskarte zur Residenz der Cabreras in Spanien schicken. Doch der kurze Augenblick der Freundlichkeit änderte nichts daran, dass er ihr auf grausame Weise das Herz gebrochen hatte. Dass er sich in all den Jahren nie gemeldet hatte. Dabei war er einmal ihr Freund gewesen, ihr Fels in der Brandung, ihre erste große Liebe.

Doch das war einmal.

Sie ging an ihm vorbei, stolz auf sich, weil sie der Versuchung widerstand, ihn anzusehen. Diesmal war sie es, die ihn stehen ließ.

Eine Stunde später saß Anna mit verschränkten Armen vor dem Trevi-Brunnen und sah zu den beleuchteten Statuen hinauf, die über den berühmtesten Brunnen der Welt wachten. Es war fast elf, und zu dieser späten Stunde waren kaum noch Touristen unterwegs, sodass sie den kleinen Platz fast für sich allein hatte.

Nach der Show hatte Kess’ Firma einen Cocktail-Empfang gegeben, und irgendwie hatte Anna die Stunde überstanden. Offenbar hatte ihr Sturz der Show nicht geschadet, denn sie hörte, wie Kess’ Boss in höchsten Tönen von ihr sprach.

Nachdem Anna sich umgezogen und die Tonnen von Make-up von ihrem Gesicht geschrubbt hatte, lud Kess sie auf einen Spaziergang zum Trevi-Brunnen ein. Dann hatte Kess’ Mutter aus Nigeria angerufen, und nun stand sie am Rand und erzählte aufgeregt, wie ihre erste Show gelaufen war, sodass Anna endlich eine Gelegenheit zum Durchatmen bekam.

Zunächst hatte sie das melodische Rauschen des Wassers und die angenehme Wärme eines italienischen Sommerabends nach der Hitze des Tages genossen. Doch die anfängliche Magie verschwand, und eine neue Welle der Scham durchflutete sie. Scham, aber auch Unmut darüber, dass ausgerechnet Antonio sie aufgefangen hatte. Wie wahrscheinlich war es denn, dass sie bei einer Modenschau stolperte und in die Arme des Mannes fiel, der sie vor all den Jahren zurückgewiesen hatte?

Ihr Magen zog sich zusammen, und sie konzentrierte sich auf die fast nackte Statue des Meeresgottes Oceanus. Sie war in Rom. Warum über die Vergangenheit nachgrübeln, wenn sie in einer der schönsten Städte auf diesem Planeten war? Vor allem, da es erst acht Monate her war, dass sie gewagt hatte, Granada zu verlassen. Und nun saß sie vor einem der berühmtesten Brunnen der Menschheit und ließ ihre Gedanken wieder zu der Stadt wandern, die einst ihre Rettung schien und sich dann in ein Gefängnis verwandelt hatte.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete die jahrhundertealte Architektur. Die bärtige muskulöse Statue von Oceanus beherrschte das Meisterwerk. Zu beiden Seiten sprangen Pferde aus dem Stein. Zwei nackte männliche Figuren führten die Pferde. Der eine versuchte, das wildere der beiden zu bändigen, der andere hob ein Muschelhorn an die Lippen. Unter Oceanus’ Füßen strömte das Wasser über drei Kanten, bevor es in das imposante Becken voller Münzen rauschte.

Wenn du eine Münze über die Schulter in den Brunnen wirfst, wirst du nach Rom zurückkehren.

Sie lächelte. Kess hatte ihr auf dem Weg hierher von der Legende erzählt.

Zwei Münzen, und du wirst dich verlieben.

Antonios Gesicht von damals, im zarten Alter von neunzehn jugendlich und doch schon so reif und ernst, tauchte vor ihrem geistigen Auge auf.

Drei Münzen, und du wirst bald heiraten.

Keine Chance. Früher hatte sie von Liebe, Hochzeit und Kindern geträumt. Eines Tages würde sie darauf zurückkommen. Doch seit sie ihren Job als Einkäuferin für eine Modekette verloren hatte, wollte sie endlich leben. Die Entlassung hätte sich wie ein Scheitern anfühlen sollen. Stattdessen fühlte es sich an wie ein Neuanfang. Sie verließ Granada, finanzierte mit ihren Ersparnissen und einem kleinen Erbe eine Wohnung in Paris und folgte ihrem Traum, Modedesignerin zu werden. Zugegebenermaßen hatte ihre Mappe zunächst wenig Anklang gefunden.

So wütend sie auch auf Leo White, den Modekolumnisten, sein mochte, war sie ihm auch zu Dank verpflichtet. Er hatte sie gezwungen zu erkennen, warum sich niemand für ihre Arbeit interessierte. Die Wut darüber, wie sie von ihm benutzt worden war, hatte außerdem ein Selbstbewusstsein zum Vorschein gebracht, von dessen Existenz sie selbst nichts geahnt hatte. Ohne sein Zutun hätte es das goldene Kleid nie gegeben, und sie hätte nie einen Fuß auf diesen Laufsteg gesetzt.

Ein flüchtiger Blick zu Kess bestätigte, dass diese noch immer mit ihrer Mutter telefonierte.

Die Erschöpfung holte Anna ein, und sie gähnte. Sie war gestern Abend in Rom angekommen, hatte ein paar Stunden Schlaf nachgeholt und war bei Tagesanbruch aufgestanden. Bei dem Gedanken an ihr gemütliches, frisch bezogenes Bett wurde ihr Kopf schwer.

Doch sie konnte Kess jetzt nicht allein lassen. Nicht nach allem, was sie für Anna getan hatte. Sie war der erste Mensch seit Antonio, der an sie geglaubt hatte. Daran, dass sie aus eigener Kraft etwas erreichen und die Leidenschaft, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, zum Beruf machen konnte. Damals hatte sie es nicht erkannt, doch der Entschluss, gegen den scharf formulierten Rat ihres Onkels und ihrer Tante den Beruf zu wechseln, war der erste Schritt, sich ihrem mächtigen Einfluss zu entziehen.

Nicht dass ihr Onkel Diego oder irgendjemand anders daheim in der Casa de Cabrera es böse gemeint hätte. Ganz besonders nicht ihr Onkel. Nachdem er seine geliebte kleine Schwester bei dem Autounfall verloren hatte, war Anna für ihn wie eine eigene Tochter. Sie wusste, dass es ihn manchmal geschmerzt hatte, sie anzusehen, als sie heranwuchs.

Wenn sie in den Spiegel schaute, sah sie ihre Mutter, genau wie er.

Eine leichte Brise kitzelte ihre Haut. Anna blickte auf, betrachtete erneut die gemeißelten Details der Statuen im warmen Licht der Scheinwerfer. Das Wasserrauschen war wie ein Wiegenlied, das die Anspannung dieses hektischen Tags löste.

Ihr Blick fiel auf die Münzen, die ihr vom Grund des Brunnens zublinzelten.

„Es heißt, wenn du eine Münze in den Brunnen wirfst, kehrst du eines Tages nach Rom zurück.“

Ihr Körper versteifte sich. Seine Stimme, die im Lauf der Zeit tiefer, sonorer geworden war, elektrisierte jede Nervenfaser ihres Körpers.

Eine Hand tauchte vor ihr auf, die Handfläche nach oben gerichtet, zwischen Daumen und Zeigefinger eine Münze.

„Rom ist wunderschön“, erwiderte sie und ärgerte sich darüber, wie belegt ihre Stimme klang. „Doch warum dorthin zurückkehren, wo man schon war, wenn die Welt so viel mehr zu bieten hat?“

Er schwieg einen Augenblick. Dann katapultierte er die Münze mit einem lässigen Fingerschnipsen in den Nachthimmel, bevor sie ins Wasser fiel.

Du schaffst das.

Sie wappnete sich innerlich und drehte sich um.

Sexy. Das Wort beschrieb den großen grüblerischen Mann, der nur wenige Meter von ihr entfernt stand, am besten. Schwarzer Anzug, Armani, dem Schnitt nach zu urteilen. Der Stoff schmiegte sich an seine breiten Schultern. Obwohl er kleiner war als seine Brüder, war er immer noch größer als Anna. Sie hätte die hochhackigen Schuhe anbehalten sollen, dann müsste sie jetzt nicht zu ihm aufschauen, um seinem Blick zu begegnen.

Seinem mahagonibraunen Blick, der tief in ihrem Innern einen Funken entzündete. Der hell aufloderte, als sie ihn musterte und sowohl das Vertraute als auch das Neue in sich aufnahm. Das vertraute kantige Kinn, die markanten Wangenknochen, auf denen sich jetzt dunkle Stoppeln abzeichneten. Das vertraute kastanienbraune Haar, an den Seiten kurz und oben voll und gewellt.

Und sein Mund. Ein sinnliches, nachdenkliches Lächeln lag auf seinen Lippen.

„Hallo, Anna.“

2. KAPITEL

Dios mío!

Verlangen stieg in Antonio Cabrera auf, ohne dass er es wollte, ohne dass er etwas dagegen tun konnte, als er Anna musterte. Anna Vega, ein A und ein V, die auf dem Label der von ihr designten Kleidungsstücke ineinander verschlungen waren. In den letzten Jahren war er in die Rolle des Chefs von Cabrera Properties – und vor allem der drei dazugehörigen Luxushotels – hineingewachsen. Verhandeln, verkaufen und auch mal einen unangenehmen Geschäftspartner unschädlich machen. Hart, aber fair … und vor allem gut. Diesen Ruf hatte er sich mühsam erarbeitet.

Was würden seine Mitarbeiter sagen, wenn sie jetzt seine Gedanken lesen könnten? Schon als Neunzehnjähriger hatte er verbotene Fantasien gehegt, an denen ihre Freundschaft letztlich zerbrochen war. Doch das war nichts im Vergleich zu der Begierde, die durch seinen Körper schoss, als Anna in einem goldenen Kleid den Laufsteg betrat. Der Rock schimmerte wie die Sterne, als sie sich bewegte. Keine Sekunde später wanderte seine Aufmerksamkeit zu ihrem Ausschnitt, der fast bis zur Taille reichte. Zwei Stoffbahnen bedeckten ihre Brüste und zeigten verlockend viel nackte Haut. Die Andeutung eines scheuen Lächelns auf den rosa geschminkten Lippen, gepaart mit der ungewohnt selbstbewussten Haltung ihrer Schultern, hatten sein Blut in Wallung gebracht.

Und als sie ihm in den Schoß fiel, hätte er fast die Kontrolle verloren.

Er atmete tief durch die Nase ein.

Tabu. Wir sind nur Freunde. Ich habe ihr das Herz gebrochen. Und sie ist Jungfrau.

Die Mahnung verpuffte, als sein Blick auf ihre endlos langen Beine fiel. Aus Anna Vega war eine atemberaubend schöne Frau geworden. Immer noch schlank, aber nicht mehr so schlaksig wie als Mädchen. Nein, er hatte die Rundung ihrer Hüfte definitiv gefühlt, die Einbuchtung ihrer Taille, als er sie kurz in den Armen gehalten hatte. Das schwarzbraune Haar reichte ihr inzwischen bis zur Taille. Die vollen rosa Lippen und diese hypnotischen Augen, eins bernsteinbraun, das andere hellblau.

Atemberaubend. Er hätte es als rein körperliche Anziehung abgetan, wäre sie nicht auf den Laufsteg zurückgekehrt, um ihren Walk zu beenden. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die alte Anna der Welt nach so einem peinlichen Vorfall wieder gegenübergetreten wäre, geschweige denn überhaupt einen Laufsteg betreten hätte. Doch diese neue Anna, die spektakuläre Kleider trug und modelte, war eine ganz andere, sehr faszinierende Frau.

Diego hatte das Modeln nicht erwähnt, dachte er gereizt. Nur dass Annas Freundin sie überredet hatte, ihre Designs bei einer Modenschau in Rom zu präsentieren.

„Ich mache mir Sorgen um sie“, hatte Diego vor zwei Tagen gesagt, als er in Antonios Büro gekommen war, um ihn um einen Gefallen zu bitten. Durch die tiefen Falten in seinem wettergegerbten Gesicht wirkte seine Miene noch finsterer. „Erst hat sie ihren Job verloren. Dann ist sie nach Paris geflohen. Und dieser Zeitungsartikel, der lauter persönliche Details aus ihrem Leben breitgetreten hat …“ Er holte tief Luft und durchbohrte Antonio mit seinem Blick. „Du hast doch gesagt, du bist für einige Zeit in Italien. Kannst du nicht mal nach ihr sehen? Dich vergewissern, dass es ihr gut geht?“

So, wie er und Anna auseinandergegangen waren, riss Antonio sich nicht gerade darum. Doch es war das erste Mal in den mehr als dreißig Jahren, die er bei der Familie Cabrera war, dass Diego ihn um irgendetwas bat.

Also brachte er in Erfahrung, wo die Show von Annas Freundin stattfand, und besorgte sich eine Eintrittskarte, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass es Anna gut ging. Sie musste nicht einmal erfahren, dass er dort war.

Dann hatte Anna den Laufsteg betreten, und ihm wäre beinah die Kinnlade runtergeklappt. Jede Kreation, die sie getragen hatte, stammte von ihr selbst und zeigte, wie sehr sie mittlerweile in ihrem Körper zu Hause war. Sie standen ihr alle gut zu Gesicht, auch wenn sie vielleicht ein wenig nüchtern wirkten.

Doch das goldene Kleid … Er hatte den Blick nicht abwenden können.

Während er nach der Show auf sie wartete, war er zu dem Entschluss gekommen, dass es sich um einen Aussetzer handelte – verursacht durch monatelange Abstinenz in Kombination mit dem Schock über die „neue“ Anna. Nach seiner intensiven Reaktion, als sie auf seinem Schoß gelandet war, wollte er sie umso dringender sehen. Nicht nur der alten Zeiten wegen, sondern um sie in ihrer normalen Kleidung zu sehen, ohne tonnenweise Make-up, damit sein Gehirn einen gewissen Körperteil informieren konnte, dass sie gar nicht so atemberaubend war.

Ganz dumme Idee.

Denn ohne den ganzen Schnickschnack war Anna noch viel schöner. Das schmale Gesicht mit den markanten Wangenknochen wurde durch die vollen Lippen abgemildert, und die zweifarbigen Augen bildeten einen faszinierenden Kontrast.

Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, musste sie noch den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen zu sehen. Jetzt war sie nur ein paar Zentimeter kleiner als er selbst mit seinen eins achtundachtzig. Die schwarze Jacke über dem weißen T-Shirt und die schmale Jeans waren eigentlich unspektakulär, zogen den Blick jedoch auf die Rundung ihrer Brüste und die endlos langen Beine.

„Es geht mir gut.“

Ihre plötzliche Antwort riss ihn aus seinen schamlosen Gedanken.

„Mal etwas anderes als Granada.“ Er deutete mit einem Kopfnicken auf den Brunnen.

„Ich wette, du bist glamouröse Orte wie diesen gewohnt.“

Er runzelte die Stirn. Sie hatte ihn überrascht, als sie die Münze, die er ihr angeboten hatte, nicht annehmen wollte. Die alte Anna hätte sie an die Brust gepresst, die Augen geschlossen, einen Wunsch gemurmelt und sie mit Entzücken in den Brunnen geworfen. Die Zurückweisung, so klein sie auch war, irritierte ihn.

Jetzt weißt du, wie sich das anfühlt, flüsterte eine garstige Stimme in seinem Kopf. Es gab keinen Grund, sich für das, was zwischen ihm und Anna passiert war, schuldig zu fühlen. Nicht den geringsten.

„Ich reise viel, ja. Aber du offensichtlich auch. Diego hat erwähnt, dass du in Paris lebst?“

Der Zug um ihren Mund wurde etwas weicher. „Es ist schön dort.“

Die Reserviertheit in ihrer Stimme passte überhaupt nicht zu Anna. Ihm gefiel auch nicht, dass sie den Köder nicht schluckte und zugab, dass sie auf Adriens und Everleighs Party gewesen war. Er hatte sie vom Balkon aus gesehen. Er hatte irgendetwas gespürt und gerade noch rechtzeitig aufgeschaut, um sie davonlaufen zu sehen. Zu seiner Überraschung hatte es ihm einen Stich versetzt. Als er aufwuchs, war Anna seine beste Freundin gewesen, vor allem, nachdem Alejandro nach England abgeschoben worden war.

„Tut mir leid, dass ich auf deinem Schoß gelandet bin.“

Er winkte ab. „Ich nehme an, das war keine Absicht.“

„Nein. Was tust du hier?“, fragte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Eins meiner Hotels liegt ein paar Straßen weiter. Ich kenne den Besitzer vom Hotel dell’Orchidea. Er hat mir für heute Abend ein Ticket geschenkt.“ Die Lüge ging im leicht von der Zunge. „Ich habe nicht erwartet, dich auf dem Laufsteg zu sehen.“

Sie schnaubte. „Ich auch nicht. Meine Freundin Kess hatte die Show produziert. Eins der Models ist heute Nachmittag krank geworden, und ich wollte, dass Kess’ erste Show ein Erfolg wird.“ Sie senkte den Blick und strich sich eine Strähne hinters Ohr. „Ich weiß nicht, ob du in letzter Zeit mal mit meinem Onkel gesprochen hast, aber ich habe meinen Job in Granada Anfang des Jahres verloren.“

„Er hat es erwähnt.“

Sie biss sich auf die Lippe. „Ja. Peinlich für jemanden, der in der Modebranche Karriere machen wollte.“

Er runzelte die Stirn. „So wie ich es verstanden habe, wurde das Unternehmen verkauft und deine Stelle gestrichen. So etwas darfst du nicht persönlich nehmen.“

Autor

Emmy Grayson
<p>Emmys Begeisterung für Romances begann, als sie die legendären Nancy Drew Krimiromane las, in denen die gleichnamige Heldin allerhand mysteriösen Fällen auf die Spur ging. Dabei blätterte Emmy beim Lesen immer wieder zu den romantischen Kapiteln mit Ned Nickerson zurück. Mehr als 20 Jahre später machte Harlequin Presents ihren Traum...
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