Monte Calanetti - Stadt der Liebe - 8-teilige Serie

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Glück und Liebe unter der Sonne der Toskana.

Umringt von den sanften Hügeln der Toskana liegt das zauberhafte Städtchen Monte Calanetti. Weltberühmte exquisite Weine kommen aus der typisch toskanischen Kleinstadt, und hier liegt auch der einst so prächtige Palazzo di Comparino, der seit Jahren leer steht und inzwischen mehr und mehr verfällt.

Plötzlich jedoch verbreitet sich das Gerücht schnell wie ein Lauffeuer - es gibt eine neue Besitzerin. Die geheimnisvolle Amerikanerin Louisa Harrison sucht hier nach einem Skandal Ruhe und Abgeschiedenheit. Aber dann wird Monte Calanetti Austragungsort für die Promihochzeit des Jahres!
Trubel und Aufregung sind also garantiert für die sympathischen Einwohner, doch werden die Hochzeitsglocken in Monte Calanetti vielleicht noch öfter läuten? Wird die steinerne Nixe, die in dem großen Springbrunnen mitten auf dem Marktplatz des Städtchens ihre Muschelschale hoch über dem Kopf hält, weitere Wünsche erfüllen, wie die Legende es erzählt?

Romantik und Italienzauber pur!

DER SÜßE GESCHMACK DER LEIDENSCHAFT

Ein heißer Flirt zum Dessert? Nicht nur die berühmten Menüs von Sternekoch Rafe Mancini führen die junge Amerikanerin Dani unwiderstehlich in Versuchung - auch seine leidenschaftlichen Küsse. Dabei ist sie in die Toskana gereist, um die Familie ihrer Pflegemutter zu finden, nicht um ihr Herz an einen heißblütigen Italiener zu verlieren!

HEIßE AFFÄRE IN DER TOSKANA

Eine malerische Hochzeitskapelle, ein romantischer Wunschbrunnen … Kayla lässt sich von ihrem Boss Angelo Amatucci die schönsten Seiten seiner italienischen Heimatstadt Monte Calanetti zeigen. Natürlich nur, weil sie gemeinsam mit ihm an einem neuen Projekt für seine Werbeagentur arbeitet ...

SAG NUR EINMAL "TI AMO"

Damit hat Marianna nicht gerechnet, als sie ihrem Urlaubsflirt Ryan mit klopfendem Herzen die Folgen ihrer Liebesnacht gesteht: Statt sie zärtlich zu umarmen, wie sie es insgeheim erhofft hat, reagiert der sexy Australier ungerührt. Doch warum folgt er ihr dann kurz darauf auf das malerische Weingut ihrer Familie in der Toskana?

DU UND ICH, DAS IST AMORE

Italien, Land der Liebe? Nicht für Connor Benson! Der Sicherheitsexperte ist in Monte Calanetti, um letzte Vorbereitungen für die Promihochzeit des Jahres zu treffen - nicht um den verlockenden Reizen seiner Zimmerwirtin Isabella zu verfallen ...

IST ES DIESES MAL FÜR IMMER?

"Logan!" Lucia stockt der Atem. Warum meldet sich ihr Exmann nach zwölf Jahren plötzlich bei ihr? Braucht er wirklich nur ihre Meinung als Kunsthistorikerin? Als sie zu ihm in das toskanische Städtchen Monte Calanetti reist, um ein kostbares Wandgemälde zu begutachten, sind sofort all die widerstreitenden Gefühle von damals erneut da ...

EIN TRAUZEUGE ZUM VERLIEBEN?

Zach Sullivan ist Versuchung pur! Aber Eventplanerin Lindsay ist vollauf damit beschäftigt, die Promihochzeit des Jahres in der Toskana zu planen - da kann sie sich keine Ablenkung durch einen Flirt mit dem sexy Trauzeugen leisten ...

MÄRCHENHOCHZEIT IN DER TOSKANA

Eine romantische Märchenhochzeit war immer Christinas größter Traum. Stattdessen tritt sie jetzt in Monte Calanetti für eine Scheinehe mit Prinz Antonio vor den Altar - weil es die einzige Möglichkeit ist, einen Skandal bei Hofe abzuwenden!

MIT DIR IM PALAZZO DES GLÜCKS

Ein Palazzo in der Toskana: Ihr überraschendes Erbe kommt der schönen Amerikanerin Louisa gerade recht. Umgeben von malerischen Weinbergen, kann sie nach ihrer anstrengenden öffentlichen Scheidung endlich zur Ruhe kommen! Nur wie soll sie entspannen, wenn ständig der aufregend attraktive Weingutbesitzer Nico Amatucci auftaucht und ihren Frieden stört?


  • Erscheinungstag 08.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778439
  • Seitenanzahl 1152
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Susan Meier, Jennifer Faye, Michelle Douglas, Cara Colter, Scarlet Wilson, Teresa Carpenter, Rebecca Winters, Barbara Wallace

Monte Calanetti - Stadt der Liebe - 8-teilige Serie

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2015 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „A Bride for the Italian Boss“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 012017 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: SAS

Abbildungen: Svyatoslava Vladzimirska / 123RF, czekma13 / Thinkstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733707187

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Italien musste das schönste Land der Welt sein.

Fasziniert betrachtete Daniella Tate die mit Kopfstein gepflasterte Straße in Florenz. Über der Stadt strahlte ein azurblauer Himmel. Daniella war mit dem Zug gekommen, aber jetzt musste sie in den Bus umsteigen, um nach Monte Calanetti zu gelangen.

Sie kaufte die Fahrkarte und setzte sich zum Warten auf eine der Holzbänke. Ihr fiel die silberblonde Frau auf, die auf der übernächsten Bank saß und mit leerem Blick vor sich hin starrte. Die schlanke Frau wirkte verloren, und Daniella fühlte mit ihr. Als Pflegekind aufgewachsen, wusste sie genau, wie es war, wenn man allein war und sich einsam, verängstigt oder sogar verwirrt fühlte. Emotionen, die sie auch in den blauen Augen der Frau erkannte.

Die Stimme aus den Lautsprechern kündigte den nächsten Bus an. Eine ältere Dame, die neben der blonden Frau gesessen hatte, stand auf und griff nach der Reisetasche zu ihren Füßen. Die Blonde erhob sich ebenfalls.

„Entschuldigen Sie, aber das ist meine Tasche.“

Die ältere Frau hob zu einem verärgerten Wortschwall in Italienisch an. Die Jüngere sagte in Englisch mit amerikanischem Akzent: „Tut mir leid, aber ich verstehe kein einziges Wort von dem, was Sie da sagen.“

Die Ältere jedoch drückte die Reisetasche fest an die Brust und erklärte der anderen unmissverständlich, dass dies ihre Tasche sei.

Daniella sprang auf und eilte zu den beiden. „Ich spreche Italienisch“, sagte sie zu der Amerikanerin. „Vielleicht kann ich helfen.“ Dann wandte sie sich an die ältere Frau und fragte sie in perfektem Italienisch, ob sie sicher sei, dass die Reisetasche ihr gehöre, denn da stehe noch eine ganz ähnliche auf ihrer anderen Seite.

Verdutzt drehte die ältere Frau den Kopf und lief vor Verlegenheit rot an. Mit überschwänglichen Entschuldigungen reichte sie der Amerikanerin die Tasche zurück, griff sich die andere und beeilte sich, in ihren Bus zu steigen.

Mit einem erleichterten Seufzer lächelte die hübsche Amerikanerin Daniella an. „Vielen Dank.“

„Keine Ursache. Als Sie auf Englisch geantwortet haben, war unschwer zu erraten, dass Sie die Landessprache nicht beherrschen. Warten Sie hier auf einen Bekannten, der Sie abholt?“

„Nein.“

Dani zog eine Grimasse. „Dann haben Sie hoffentlich ein gutes Englisch-Italienisch Wörterbuch dabei.“

Die Amerikanerin zeigte auf die Kopfhörer, die um ihren Hals hingen. „Ein Sprachkurs. In fünf Wochen soll man angeblich fließend Italienisch sprechen.“

„Das könnten lange fünf Wochen werden“, erwiderte Dani mit einem freundlichen Lachen. Sie reichte der anderen die Hand. „Ich heiße übrigens Daniella.“

Die hübsche Amerikanerin zögerte einen Moment, schüttelte dann aber Danis Hand. „Louisa“, stellte sie sich vor.

„Ich bin zum ersten Mal in Italien. Bisher habe ich in Rom Englisch unterrichtet, aber meine Pflegemutter stammt aus der Toskana. Darum will ich die letzten Wochen meines Aufenthalts nutzen, um mir ihre Heimat anzusehen.“

„Ihre Pflegemutter?“

Innerlich krümmte sich Dani leicht. „Tut mir leid, ich bin mal wieder viel zu freimütig.“

Louisa lächelte.

„Das kommt von der Aufregung, in Italien zu sein. Ich habe mir schon so lange gewünscht, Land und Leute kennenzulernen.“ Sie erwähnte allerdings nicht, dass ihr langjähriger Freund ihr am Tag vor ihrer Abreise nach Rom einen Heiratsantrag gemacht hatte. Das war wohl wirklich zu privat. Was sie von diesem Antrag halten sollte, wusste Dani bis heute nicht genau. Hatte Paul sie nur gefragt, um sie an sich zu binden? Oder war ihre Beziehung tatsächlich an den Punkt gekommen, wo eine Heirat der nächste Schritt war? War die Ehe überhaupt das Richtige für sie?

Viel zu viele Fragen. Also hatte sie sich Bedenkzeit ausgebeten und ihm gesagt, sie würde ihm nach ihrer Rückkehr aus Italien antworten. Die Wochen im Februar hätten ein entspannter Urlaub werden sollen, bevor sie nach New York zurückkehrte und dort ihre Lehrerlaufbahn begann. Paul hatte diesen Plan durchkreuzt. Eigentlich hätte sie den Antrag begeistert annehmen müssen, stattdessen war ihr leicht mulmig geworden. Es war wohl das Beste, wenn sie es vorerst zur Seite schob und später darüber nachdachte, wenn die Zeit gekommen war.

Nächsten Monat.

„Ich habe meinen Aufenthalt verlängert, um das Dorf zu besuchen, aus dem meine Pflegemutter stammt. Ich hoffe, ich lerne ihre Familie kennen.“

Louisa lachte. „Das könnte lustig werden.“

Es freute Daniella, dass Louisa so viel Verständnis zeigte. Sie schienen etwas gemeinsam zu haben. „Dann sind Sie auch Touristin?“

„Nein.“

„Entschuldigen Sie, ich wollte nicht neugierig sein.“

Louisa seufzte. „Schon in Ordnung, ich bin einfach nur nervös. Aber Sie haben mir geholfen, und ich sollte nicht so unfreundlich sein. Auf jeden Fall … ich bin unterwegs nach Monte Calanetti.“

Überrascht riss Dani die Augen auf. „Ich auch!“

Die Ansage, dass der Bus mit genau diesem Ziel jetzt in den Busbahnhof einfuhr, unterbrach ihr Gespräch. Daniella wählte einen Platz genau in der Mitte, überzeugt, dass sie von hier aus während der Fahrt am meisten sehen konnte.

Zu ihrer Überraschung fragte Louisa: „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?“

„Nein, ganz im Gegenteil.“

Wieder fiel ihr auf, dass Louisa stets zögerte – bei allem, was sie tat. Irgendwie schien auch bei allem, was sie sagte, das Ende offen zu bleiben.

„Sie bleiben also noch ein paar Wochen, bevor Sie wieder nach Hause zurückfliegen?“

„Ja, den ganzen Februar.“ Daniella holte tief Luft. „Und ich bin fest entschlossen, jede Minute zu genießen. Allerdings werde ich Arbeit finden müssen. Vielleicht als Kellnerin oder Verkäuferin, so etwas in der Art. Das Leben in New York ist teuer, und das Geld, das ich in Rom verdient habe, werde ich brauchen, wenn ich zurückkomme. Daher muss ich mir mein Urlaubsgeld vor Ort verdienen.“

„Guter Plan.“

Der Bus fuhr an. Dani setzte sich gerade auf, damit ihr nichts entging, und Louisa lachte. „Ihre Pflegemutter hätte die Reise mit Ihnen zusammen machen sollen.“

Danis Herz zog sich zusammen. Zwischendurch hatte sie gedacht, sie wäre langsam über den Verlust hinweg, doch dann erinnerte sie wieder etwas daran, dass die liebevolle Frau, die so viel Gutes für sie getan hatte, nicht mehr lebte. Sie schluckte. „Sie ist vor einigen Monaten gestorben. In ihrem Testament hat sie mir das Geld für ein Ticket nach Italien hinterlassen.“

Mitgefühl zog in Louisas Züge. „Mein herzlichstes Beileid. Das war gedankenlos von mir.“

Daniella schüttelte den Kopf. „Sie konnten es ja nicht wissen.“

Louisa musterte sie. „Sie haben also keinen konkreten Plan? Und wissen noch nicht, wo Sie Arbeit finden werden?“

„Nein, ich lasse alles auf mich zukommen. Natürlich habe ich mich vorher über Rosas Familie informiert, und die Sprache spreche ich auch. Also dürfte es nicht allzu schwierig werden.“

„Auf jeden Fall werden Sie weniger Probleme haben als ich, da ich kein Italienisch spreche.“ Louisa hielt ihren Discman hoch und lachte. „Erst in fünf Wochen.“

Während der Bus sich durch die Straßen wand, warf Dani einen letzten Blick auf Florenz. „Ist dieses Land nicht einfach himmlisch? Selbst im Winter mit den kahlen Bäumen wirkt es noch idyllisch.“

„Ja.“ Louisa kaute an ihrer Lippe. „Ich habe auch etwas geerbt“, gestand sie dann zögernd. „Eine Villa.“

„Oh, Gott, eine Villa!“

Louisa wandte den Blick ab. „Ich weiß, schon toll, nicht wahr? Das Haus heißt Palazzo di Comparino.“

„Haben Sie ein Foto?“

„Ja.“ Louisa holte ein Foto aus ihrer Handtasche. Es zeigte ein großes Herrenhaus. Im Hintergrund wuchsen endlose Reihen grüner Rebstöcke unter blauem Himmel.

„Das ist wunderschön“, hauchte Dani ehrfürchtig.

„Bisher habe ich noch nichts in Italien gesehen, was nicht wunderschön wäre. Ich muss zugeben, dass ich ziemlich aufgeregt bin.“

„Ich wäre mehr als nur aufgeregt!“

„Man hat mir erzählt, dass der Ort Monte Calanetti um den Palazzo herumgewachsen ist, wegen der Weinberge, die zu der Villa gehören, die ich geerbt habe. Man brauchte viele Helfer für die Lese und die Weinproduktion. Und so sind die Familien geblieben. Tja, und ich besitze auf einmal ein Weingut und verstehe überhaupt nichts davon.“

„Heute kann man doch alles aus dem Internet erfahren“, beruhigte Daniella sie.

Louisa holte tief Luft. „Das hoffe ich.“

Aufmunternd legte Daniella eine Hand auf Louisas. „Sie schaffen das schon.“

Louisa lächelte wieder so geheimnisvoll. Daniella ahnte, dass sie sich wünschte, glücklich zu sein, sich aber nicht richtig traute.

„Wissen Sie, ich könnte Hilfe gebrauchen, wenn ich dort bin. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so einfach in die Villa einziehen kann, ohne dass man mir nicht tausend Fragen stellt. Und da ich kein Italienisch spreche, könnte es kompliziert werden.“

„Vor allem, wenn der Sheriff aufläuft.“

Louisa lachte. „Ich glaube nicht, dass sie hier Sheriffs haben. Die Urkunde, die ich habe, ist in Englisch verfasst. Wenn ich sie den italienischen Behörden vorlege, verursacht das möglicherweise ein Chaos. Wenn Sie möchten, können Sie gern für eine Weile bei mir unterkommen … warum nicht für die ganzen vier Wochen, in denen Sie die Familie Ihrer Pflegemutter kennenlernen? Sie könnten für mich übersetzen. Was halten Sie davon?“

Daniella war überwältigt von so viel Großzügigkeit. „Das wäre fantastisch. Aber ich möchte Ihnen nicht lästig fallen.“

„Sie werden sich Ihre Unterkunft schon verdienen, wenn die ersten Fragen auftauchen und man meine Papiere prüft.“

Daniella strahlte. „Man stelle sich vor … ich logiere in einer Villa!“

Louisa lachte. „Ja, und ich besitze eine Villa.“

„Das Übersetzen übernehme ich gern für Sie, solange ich bleibe.“

„Danke.“

Die Frauen unterhielten sich angeregt und gingen schon bald zum freundschaftlichen Du über, während sie Meile um Meile durch grüne Hügel fuhren. Bis der Bus in ein von einer alten Stadtmauer umschlossenes Städtchen einbog. Rumpelnd fuhr er über das Kopfsteinpflaster, vorbei an alten Ziegelsteinhäusern mit wunderbar erhaltenen Stuckarbeiten und über den Marktplatz. Plötzlich erblickte Dani ein altes hölzernes Hinweisschild zum Palazzo di Comparino und fasste nach Louisas Arm.

„Da! Sieh nur!“

„Ach du meine Güte!“ Louisa sprang auf. „Anhalten!“

Dani stand ebenfalls auf und bat den Busfahrer anzuhalten. Hastig klaubten sie ihr Gepäck zusammen und stiegen aus. Seite an Seite durchquerten sie kleine Gassen und Gässchen und standen schon bald vor der alten Villa aus hellbraunen Backsteinen.

„Du lieber Himmel“, wisperte Louisa ehrfürchtig.

Dani befeuchtete sich die trockenen Lippen. „Das ist ja riesengroß.“

Das Haupthaus war mehrere Stockwerke hoch, lang und breit erstreckte es sich über das Grundstück. Da drinnen schlief man bestimmt in Suiten statt in schlichten Schlafzimmern.

Sie gingen über den mit Naturstein gepflasterten Weg bis zur Eingangstür. Louisa holte einen großen Schlüssel aus ihrer Tasche und schloss auf. Der muffige Geruch eines Hauses, das jahrelang unbewohnt und verschlossen gewesen war, schlug ihnen entgegen. Der Kristalllüster in dem mit Marmor verkleideten Foyer hing voller Spinnweben, die Gemälde entlang der breiten Treppe waren völlig verstaubt.

Daniella wagte einen Schritt ins Haus. „Ist deine Familie adelig?“

Louisa sah sich um. „Nicht dass ich wüsste.“ Sie trat nach rechts in den Salon. Auch hier lag der Staub fingerdick auf allem. Zusammen gingen die beiden Frauen weiter auf Entdeckungstour. Das anschließende Zimmer musste einst eine Bücherei oder ein Arbeitszimmer gewesen sein, daran schloss sich der Speisesaal.

Stockflecken an der Decke zeugten von einem Rohrbruch im ersten Stock, vielleicht leckte sogar das Dach. Die Küche war uralt und musste dringend renoviert werden, genau wie die Bäder im Parterre und im ersten Stock.

Weiter als bis in den ersten Stock waren sie nicht gekommen, als Louisa sich mit Tränen in den Augen zu Daniella umdrehte. „Es tut mir so leid. Ich ahnte ja nicht, in was für einem Zustand das Haus ist. Ich habe vollstes Verständnis, wenn du lieber in einem Hotel unterkommen möchtest …“

„Aber nein!“ Daniella betrat ein unglaublich verstaubtes Schlafzimmer und drehte sich um die eigene Achse. „Ich liebe es! Mit Putzeimer und Staubtuch und Scheuermittel fürs Bad ist das hier der perfekte Raum.“

Unsicher sah Louisa sich in dem Zimmer um. „Du bist wirklich eine Optimistin.“

Dani lachte. „Ich fürchte zwar auch, dass du baldmöglichst die Handwerker kommen lassen musst. Aber unsere Räume und die Küche können wir auf jeden Fall schon mal auf Vordermann bringen.“

Raffaele Mancini starrte Gino Scarpetti, einen großen dünnen Mann, der als Maître d’hôtel im Mancini’s arbeitete, fassungslos an. Das Sterne-Restaurant lag mitten im Herzen der Weinberge. Mit viel Naturstein und Massivholz liebevoll restauriert, verströmte das alte Bauernhaus den Charme der Alten Welt. Die große Auswahl erlesener Weine bezeugte den weithin berühmten Weinkeller des Hauses.

Gino riss sich das Namensschild von seinem blütenweißen Hemd. „Sie, Signor, müssen jetzt zusehen, wie Sie ohne Oberkellner zurechtkommen.“

Im Restaurant wurde es totenstill. Kein Besteckklappern mehr, kein Klingen von Kristallgläsern. Gino drückte Rafe das Namensschild in die Hand, und bevor Rafe auch nur ein Wort sagen konnte, marschierte der Mann zur Tür hinaus.

Ein einzelnes Klatschen ertönte. Dann brach Gelächter aus, und innerhalb von Sekunden applaudierte das ganze Restaurant.

Sie genossen sein Elend auch noch!

Frustriert warf Rafe die Hände in die Luft und verschwand in der ultramodernen Küche, nicht ohne vorher noch die Kommentare seiner Gäste über sein aufbrausendes Temperament und seine Unfähigkeit, gutes Personal zu halten, zu hören.

„Du!“ Er zeigte auf einen schmalen Jungen, der vor einer Woche seine Lehrstelle im Mancini’s angetreten hatte. „Zieh den Kittel aus und stell dich an den Empfang. Du wirst die Gäste zu den Tischen führen.“

Der Junge riss entsetzt die Augen auf. „Aber ich …“

Rafe hob eine Augenbraue. „Wenn du natürlich nicht willst …“ Mehr brauchte er nicht zu sagen. In seiner Küche musste er niemanden daran erinnern, wer der Chef war.

Nur … da draußen im Speisesaal lachten sie über ihn!

Der Junge warf seinen Kittel in die Wäschetonne. In der Küche setzte das geschäftige Klappern wieder ein, und Rafe schloss kurz die Augen. Nicht nur gab es endlose Probleme mit seinem Restaurant, jetzt hatten die Gäste auch noch den Respekt vor ihm verloren.

„Du hättest Gino nicht feuern sollen“, sagte Emory Danoto. Klein und rundlich und ein nahezu ebenso talentierter Koch wie Rafe, war Emory nicht nur der Souschef, sondern auch Rafes Mentor.

Rafe kontrollierte die Vorbereitungen und tat, als ginge es ihm bestens. Verdammt, mir geht es bestens! Er sah sich um. Er wollte keine verschreckten Kaninchen als Angestellte, nicht einmal außerhalb seiner Küche. Und die Reaktion seiner Gäste? Ein dummer Zufall. Irgendjemand da draußen an den Tischen fand es wohl unterhaltsam, wenn ein weltbekannter Chefkoch sich mit Inkompetenz herumschlagen musste.

„Ich habe Gino nicht gefeuert. Er hat gekündigt.“

„Du hast ihn angebrüllt.“

„Ich brülle jeden an!“, donnerte Rafe. „Ich bin der Chefkoch! Ich bin Mancini’s!“

„Natürlich. Und jeder muss deinen Befehlen gehorchen.“

„Stell mich hier nicht als Primadonna hin. Ich tue nur, was das Beste für das Restaurant ist.“

„Nun, Mr. Ich-tue-was-das-Beste-für-das-Restaurant-ist, hast du vergessen, dass uns ein Besuch von Michelin bevorsteht?“

„Gerüchte.“

Emory schnaubte. „Wann hätten wir jemals ein Gerücht ignoriert, wenn es um Michelin geht? Deine Sterne stehen auf dem Spiel. Du predigst doch immer, Chefköche, die solche Gerüchte ignorieren, erwischt es eiskalt. Wenn wir die Sterne behalten wollen, sollten wir auf alles vorbereitet sein.“

Emory hatte recht und erinnerte ihn nur an etwas, das er selbst wusste. Da er das Restaurant auf dem Land etabliert hatte, gab es keine Laufkundschaft. Er brauchte auch keine Laufkundschaft, aber er war auf Empfehlungen und Mundpropaganda angewiesen. Er konnte es sich nicht leisten, Sterne zu verlieren.

Der Lunch war vorbei, das Haus füllte sich fürs Dinner. Zum Nachdenken blieb Rafe keine Zeit. Als schließlich auch die letzten Gäste gegangen waren, die Küche wieder blitzsauber blinkte und das Personal zu Hause den wohlverdienten Feierabend genoss, setzte Rafe sich mit einer Flasche Whisky und einem Glas an die Theke.

Als er die Tür hörte, brüllte er sofort: „Wir haben geschlossen!“ Und schnitt ebenso schnell eine Grimasse. Bin ich denn wirklich so erpicht auf den Ruf als tobsüchtiger Griesgram?

„Nur gut, dass ich kein zahlender Kunde bin, was?“

Rafe drehte sich zur Tür und sah seinen Freund Nico Amatucci eintreten.

Der große dunkelhaarige Nico deutete auf die Whiskyflasche, während er sich auf den Barhocker neben Rafe setzte. „Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb du allein trinkst?“

Rafe ging hinter die Bar, um ein Glas für seinen Freund zu holen. „Ich trinke ja gar nicht allein.“ Er schenkte Nico großzügig ein. „Mein Maître d’hôtel hat gekündigt.“

Nico prostete ihm zu. „Wundert dich das?“

„Ich bin Künstler!“

„Du bist unerträglich.“

„Das auch.“ Rafe seufzte. „Ich will doch einfach nur, dass alles perfekt läuft. Gleich morgen lasse ich durchsickern, dass ich jemanden suche. Man wird mich belagern. Kein Problem.“ So lässig er das auch sagte, er wusste genau, dass es nicht einfach werden würde. „Oh, Mann, ich habe keine zwei Wochen Zeit, um auf Bewerbungen zu warten, und für Einstellungsgespräche habe ich auch keine Zeit. Ich brauche morgen jemanden.“

Nico trank einen Schluck. „Dann, mein Freund, hast du wohl doch ein Problem.“

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen stöberten Daniella und Louisa eine Dose mit Tee auf und fanden sogar einige Pfannkuchen in der Gefriertruhe. „Da haben wir ja Glück, dass sie den Strom nicht abgeschaltet haben“, meinte Louisa erleichtert.

„Mit Glück hat das nichts zu tun. Ein Generator sorgt für den Strom, damit die Leitungen im Winter nicht einfrieren.“

Erschreckt fuhren die Frauen herum, als sie die männliche Stimme hinter sich hörten.

Ein attraktiver dunkelhaariger Mann stand mit gerunzelter Stirn in der Küchentür. Er schien Italiener zu sein, sprach aber perfektes Englisch. „Frühstücken Sie noch zu Ende, aber dann muss ich Sie auffordern zu gehen. Das hier ist Privatbesitz.“

Louisa hob ihr Kinn. „Das weiß ich. Ich bin Louisa Harrison, ich habe die Villa geerbt.“

Der Mann kniff die Augen zusammen. „Können Sie das beweisen?“

„Natürlich. Mit den Dokumenten meines Anwalts.“ Sie reckte die Schultern. „Die Frage ist allerdings … wer sind Sie?“

„Nico Amatucci.“ Er zeigte hinter sich. „Ich wohne nebenan. Und ich halte ein Auge auf das Haus hier.“ Er lächelte schmal. „Diese Dokumente würde ich gern sehen. Oder …“, er zog sein Smartphone aus der Tasche, „… soll ich die Polizei verständigen?“

„Das wird nicht nötig sein.“ Louisa ging zu ihrer Tasche, und Daniella, die sich nicht in das Gespräch einmischen wollte, beschäftigte sich angelegentlich damit, Tee zu kochen.

„Und Sie sind?“

„Eine Freundin von Louisa.“

Er schnaubte nur abfällig. Doch da kam Louisa auch schon mit dem Dokument vom Anwalt zurück. Als Nico danach griff, zog sie es zurück. „Nicht so schnell. Ich hätte gern den Schlüssel, den Sie benutzt haben.“

Er hielt ihren Blick fest. „Sobald ich mich versichert habe.“ Sein Lächeln hätte einen See überfrieren lassen können. „Seit Jahren steht das Haus leer, und plötzlich tauchen Sie hier auf.“

„Mit einem Schreiben meines Anwalts.“ Sie reichte Nico das Papier.

Er überflog die Zeilen, sah dann Louisa an. „Willkommen im Palazzo di Comparino.“

Über der Teekanne stieß Daniella die Luft aus, die sie angehalten hatte.

Louisa ließ ihr Gegenüber nicht aus den Augen. „Was denn, einfach so? Das Schreiben könnte doch auch eine Fälschung sein.“

Er reichte ihr das Dokument zurück. „Erstens kenne ich den Anwalt, der sich um die Belange des Anwesens kümmert, und zweitens werden hier Details erwähnt, die kein Außenstehender wissen kann.“ Anstandslos überreichte er ihr den Schlüssel. „Da das Haus so lange leer gestanden hat, ist einiges an Reparaturen angefallen. Sollten Sie Hilfe benötigen …“

Louisa steckte das Papier zurück in ihre Jeanstasche. „Ich komme zurecht.“

Nico kniff abschätzend die Augen zusammen. Drückendes Schweigen legte sich über die Küche.

Als der Wasserkessel pfiff, zuckte Daniella zusammen. „Möchte jemand eine Tasse Tee?“ Am liebsten hätte sie sich getreten. Das lag nur an den guten Manieren, die ihre Pflegemutter ihr eingebläut hatte!

„Ja, gern“, sagte Nico, ohne Louisa aus den Augen zu lassen.

„Später vielleicht“, lehnte Louisa ab und verließ die Küche.

„Na, die ist ja freundlich“, schnaubte Nico, und Dani nahm sich zusammen, um ihm nicht deutlich zu zeigen, wie unmöglich er sich benommen hatte. Das ging sie alles nichts an.

„Kennen Sie Miss Harrison schon lange?“

„Wir haben uns gerade erst getroffen. Ich habe ihr mit meinen Italienischkenntnissen ausgeholfen, und wir haben zufällig denselben Bus hierher genommen.“

„Da haben Sie also das große Los gezogen und direkt eine Gratisherberge für sich gefunden, was?“

Der Typ ist ja unerträglich! „Ich nutze sie ganz bestimmt nicht aus, wenn Sie das andeuten wollen! Ich habe gerade meine Vertretungszeit als Englischlehrerin in Rom beendet, und Louisa braucht einen Dolmetscher.“ Sie richtete sich kerzengerade auf. „Gleich heute werde ich mich nach einem Job umsehen, mit dem ich meinen Aufenthalt hier finanzieren kann.“

Er nahm seine Teetasse in Empfang. „Was für einen Job suchen Sie denn?“

Sein freundlicher Ton nahm ihr den Wind aus den Segeln. „Irgendetwas, ganz gleich, was. Es ist ja nur befristet.“

„Würden Sie auch als Restaurantleitung arbeiten?“

„Sicher, warum nicht“, erwiderte Dani verständnislos.

„Ein Freund von mir braucht dringend eine Vertretung für seinen Maître d’hôtel, der gekündigt hat, bis er eine feste Kraft für die Position findet.“

Ihre Meinung über diesen mysteriösen Mann besserte sich minimal. Vielleicht war er doch nicht ganz so unerträglich. „Klingt gut.“

Er schrieb die Adresse auf seine Visitenkarte. „Rufen Sie nicht vorher an, sondern gehen Sie einfach hin. Sagen Sie, dass Nico Sie schickt, und legen Sie die Karte vor.“ Er stellte die Teetasse ab, sagte: „Richten Sie Miss Harrison bitte meinen Gruß aus“, und damit ging er.

Daniella musterte die Visitenkarte in ihrer Hand. Seltsam. Da half der Typ ihr so selbstverständlich, aber mit Louisa kam er offensichtlich nicht zurecht. Mit der Zeit würde sich das hoffentlich ändern. Schließlich waren sie Nachbarn.

Aufgeregt, weil sie einen Job in Aussicht hatte, machte sich Dani auf die Suche nach Louisa und fand sie in ihrem Zimmer. Gestern Abend noch hatten sie zusammen zwei der Räume geputzt. Jetzt mühte Louisa sich ab, alle weißen Tücher und Laken, die sie dabei von Möbeln gezogen hatten, zusammenzutragen. „Ich habe Waschmaschine und Trockner entdeckt, und ich musste einfach etwas tun. Überall dieser Staub!“ Deprimiert ließ sie sich auf die Bettkante sinken. „Und erst die Stockflecken! Das heißt, die Rohre müssen repariert werden, vielleicht sogar das Dach.“ Sie sah Daniella bedrückt an. „Wie soll ich das nur alles schaffen?“

Dani setzte sich zu ihr. „Wir werden Schritt für Schritt vorgehen.“ Nicos Visitenkarte ließ sie vorerst in ihrer Tasche. „Heute schrubben wir erst einmal die Küche, und dann nehmen wir uns ein Zimmer nach dem anderen vor.“

„Und was machen wir mit dem Dach?“

„Beten, dass es nicht regnet.“

Louisa lachte traurig. „Ich meinte das ernst.“

„Vielleicht habe ich einen Job in einem Restaurant.“

„Wirklich?“

„Ja. Nico kennt jemanden, der dringend einen leitenden Oberkellner sucht.“

„Oh!“

Daniella ignorierte den abfälligen Ton. „Am schnellsten findet man eben etwas heraus, wenn man mit den Anwohnern plaudert.“

Lächelnd schüttelte Louisa den Kopf. „Wenn jemand über Plaudern einen guten Job finden kann, dann du.“

„Und darum werde ich auch eine gute Restaurantleitung sein.“ Sie holte die Karte aus der Hose und las die Adresse mit gerunzelter Stirn. „Lass uns hoffen, dass in einer der vielen Garagen ein fahrbarer Wagen steht.“

Rafe stand hinter dem Empfang im Mancini’s und hätte am liebsten alles hingeworfen. Zu seiner Linken versuchten zwei amerikanische Paare in gebrochenem Italienisch eine Reservierung für heute Abend vorzunehmen, direkt vor ihm stand ein Geschäftsmann und verlangte, sofort zu einem Tisch geführt zu werden, da er es eilig habe, und zu seiner Rechten knutschte ein Pärchen. Hinter ihm murrte ein ganzer Saal voll ungeduldiger Gäste, während er sich abmühte, das System für die Sitzordnung auf dem Computer auszuknobeln.

Warum kennt sich niemand in meinem Restaurant mit dieser Software aus?

„Nur Geduld!“, sagte er laut, drückte einen Knopf – und der Bildschirm wurde schwarz.

Rafe fluchte, und prompt hörte er wieder einige Gäste lachen. Warum schien es die Leute zu amüsieren, wenn er Probleme hatte? Seine Gäste, die Menschen, die er liebte, für die er sich so anstrengte … wie konnten sie über ihn lachen?

Er versuchte, den Computer hochzufahren. Fehlanzeige.

„Entschuldigung … Entschuldigung …“

Rafe sah auf. Eine Amerikanerin, die offensichtlich vergessen hatte, dass sie in Italien war, bahnte sich einen Weg durch die Wartenden. Blonder Bob, blaue Augen, unter dem offenen schwarzen Mantel Jeans und hellblauer Pullover. Entschieden kam sie hinter den Empfang, ohne Rafe überhaupt anzusehen, und richtete sich sofort an die wartende Menge … in perfektem Italienisch.

„Entschuldigen Sie, meine Herrschaften, aber ich versichere Ihnen, in einer Minute wird jeder von Ihnen an seinen Tisch geführt.“

Ganz schön keck, die Kleine.

Jetzt endlich wandte sie sich zu ihm um und sah ihm direkt in die Augen. Sie hatte wirklich schöne Augen, von einem intensiven Blau, das vor Begeisterung leuchtete. Nicht nur strotzte ihr Blick vor Selbstbewusstsein und Souveränität, überraschenderweise setzte sein Herz auch tatsächlich einen Schlag lang aus.

Lächelnd streckte sie ihm die Hand hin. „Daniella Tate. Ihr Freund Nico schickt mich.“ Als er keine Regung zeigte, reichte sie ihm die Visitenkarte. „Hier, sehen Sie.“

Rafe starrte auf Nicos Visitenkarte. „Er hält Sie für die passende Angestellte für mich?“

„Befristet, natürlich. Mein Job als Vertretungslehrerin in Rom ist beendet. In den nächsten vier Wochen möchte ich mehr über Land und Leute erfahren, ich muss meinen verlängerten Aufenthalt aber irgendwie finanzieren. Wir würden uns also gegenseitig helfen. Sie bekämen Zeit, um in Ruhe Bewerbungsgespräche zu führen und jemand passenden einzustellen.“

Ihre melodische Stimme setzte ein unbekanntes Pulsieren in ihm in Gang. Das musste die Erleichterung sein, weil Nico sein Problem gelöst hatte. „Ich verstehe.“

„Hey, wir haben Hunger. Wenn Sie keinen Tisch für uns haben, gehen wir woanders hin!“

Daniella reagierte sofort. Sie schob Rafe aus dem Weg, griff sich einen Block und fertigte innerhalb von Sekunden eine Zeichnung des Speisesaals mit seinen Tischen an und kreiste die Plätze ein, die bereits besetzt waren.

„Wie viele sind Sie?“, fragte sie die Amerikaner.

„Vier. Wir möchten für heute Abend reservieren. Um sieben.“

Daniella schrieb alles auf und wandte sich an den nächsten Gast.

Ihre Unverfrorenheit verblüffte Rafe so sehr, dass er fast losgebrüllt hätte.

Fast.

Natürlich könnte er sie vor die Tür setzen, aber er brauchte eine Restaurantleiterin. Außerdem beschlich ihn langsam der Verdacht, dass die Leute vor allem herkamen, um ihn explodieren zu sehen, und nicht etwa wegen seines exquisiten Essens. Wäre er da nicht ein Narr, wenn er sie jetzt hinauswarf?

Der Geschäftsmann drängelte sich vor. „In einer Stunde habe ich einen Termin. Ich möchte so schnell wie möglich bedient werden.“

Diese Daniella Tate lächelte Rafe an, als würde sie auf seine Erlaubnis warten, doch plötzlich war sein Kopf wie leergefegt. Sie war wirklich genauso hübsch, wie sie keck war. Glücklicherweise nahm sie seinen leeren Blick als ein Ja.

„Aber natürlich, Signor.“ Damit führte sie den Mann an einen Tisch für zwei und kehrte dann wieder zum Empfang zurück.

Ganz gleich, wie keck und unverfroren sie war, ganz gleich, wie leer sein Kopf sich anfühlte … sie war eine fähige Kellnerin.

Rafe räusperte sich. „Sprechen Sie mit dem Service und informieren Sie sich, wer an der Reihe ist. Die haben nämlich ein System.“

Sie lächelte ihn an. „Mache ich.“

Ihr Lächeln und der Blick aus ihren blauen Augen stellten seltsame Dinge mit ihm an. Verwirrt drehte er sich um und ging. Hier stand zu viel auf dem Spiel, als dass er sich Gedanken über seltsame Gefühle für eine neue Mitarbeiterin machen konnte. Was immer da durch sein Blut rauschte, es musste Ärger sein. Denn ob Nico sie nun geschickt hatte oder nicht … Sie war einfach hereinmarschiert und hatte praktisch sein Restaurant übernommen!

Dani sah ihrem neuen Chef nach. Sie hatte nicht mit einem so jungen Mann gerechnet … oder einem so attraktiven. Gut ein Meter neunzig groß, mit dunkelbraunem welligem Haar und grauen Augen wäre der Mann in Amerika der Star einer Kochshow im Fernsehen. Allein sein Anblick hatte ihr den Atem geraubt, und überall in ihr hatte sich Wärme ausgebreitet. Der Mann sah wirklich sündhaft gut aus.

„Sie sollten besser darauf achten, dass Sie Ihr Haar aus dem Gesicht halten, sonst wird er Sie anbrüllen, dass es nicht nur in Ihrem Gesicht hängt, sondern auf seinem Essen landet“, hörte sie eine Stimme hinter sich. „Und zwar sobald er vergisst, wie glücklich er ist, dass Sie hier sind.“

Dani drehte sich um und stand einer Kellnerin gegenüber. In weißer Bluse und schwarzer Hose, das dunkle Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, sah die Frau sehr klassisch und professionell aus. „Das war glücklich?“

Der Pferdeschwanz wippte, als die junge Frau nickte. „Sì.“

„Na, dann möchte ich ihn nicht sehen, wenn er wütend ist.“

„Wappnen Sie sich lieber, denn er ist jeden Tag wütend. Und zwar gleich mehrere Male. Darum hat Gino ja auch gekündigt. Ich heiße übrigens Allegra. Die anderen beiden Kellnerinnen sind Zola und Giovanna. Und der Boss ist Chefkoch Mancini. Jeder hier nennt ihn nur Chef Rafe.“

„Er meinte, Sie haben ein System, wie die Gäste verteilt werden.“

Allegra nahm Danis Zeichnung und teilte den Saal mit zwei Strichen in drei Abteilungen. „Das sind unsere Bereiche. Setzen Sie die Gäste der Reihe nach abwechselnd in Zolas, Gios und meinen, und dann fangen Sie wieder von vorn an.“

„Sicher, kein Problem.“

Mit einem Lächeln ging Allegra an die Arbeit zurück, und Dani führte die nächsten Lunchgäste an die Tische.

Schnell fand sie sich in den Rhythmus ein. Zola und Gio kamen zu ihr und stellten sich vor, und Daniella machte es tatsächlich Spaß, in diesem wunderschönen Restaurant, erfüllt von köstlichen Aromen, die Rolle der Restaurantleitung zu übernehmen.

Als das Restaurant sich nach der Lunchzeit leerte, gingen Zola und Gio nach Hause. Dani wusste nicht recht, ob sie auch gehen sollte. Da Allegra jedoch blieb, um den einen oder anderen verstreuten Touristen zu bedienen, blieb sie ebenfalls. Sie deckte die Tische neu ein, polierte Besteck nach, bis es blitzblank glänzte, rückte Stühle zurecht. Schließlich war alles im Speisesaal so perfekt wie aus dem Lehrbuch. Dani stellte sich hinter den Empfang und stützte das Kinn auf die Hände. Was Louisa wohl gerade machte?

„Wieso sind Sie noch hier?“

Rafes Stimme jagte einen Schauer durch ihren Körper. „Ich dachte, Sie brauchen mich fürs Dinner.“

„In der Pause gehen Sie nach Hause. Oder erwarten Sie etwa, auch fürs Herumstehen bezahlt zu werden?“

Jäh flammte Wut in ihr auf. Was war los mit dem Typen? Da half sie ihm aus der Klemme, und dann stellte er ihre Motive infrage?

Sie baute sich vor ihm auf. „Und woher soll ich das wissen, wenn Sie es mir nicht sagen?“

Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass er seinen Fehler einsehen und sich entschuldigen würde, doch weit gefehlt. Er schnaubte nur.

„Das ist doch wohl selbstverständlich.“

„Also, in Amerika …“

Sein harsches Lachen schnitt ihr das Wort ab. „Ihr Amerikaner bildet euch ein, immer alles zu wissen. Aber wir sind in Italien.“ Er hielt ihr den ausgestreckten Finger vor die Nase. „Und hier tun Sie, was ich Ihnen sage.“

„Gern! Wenn Sie es mir denn sagen!“

Allegra hörte auf, Besteck auf die Tische zu legen. In dem stillen leeren Restaurant schien die Temperatur zu fallen, die Zeit stand still. An Rafes Schläfe trat eine Ader hervor.

Daniella hatte ein flaues Gefühl im Magen. Jeder Arbeitnehmer auf der Welt wusste, dass man seinen Chef nicht anschrie. Rein technisch gesehen schrie sie auch nicht. Sie behauptete sich nur entschieden. Als Kind hatte sie lernen müssen, für sich selbst einzustehen. Und wenn sie sich gleich am ersten Tag von ihm herumschubsen ließ, würde er sie die ganzen vier Wochen herumschubsen.

Schließlich warf Rafe die Hände in die Höhe, schwang herum und steuerte seine Küche an. „Gehen Sie verdammt noch mal nach Hause, und kommen Sie fürs Dinner zurück.“

Leise stieß Dani die Luft aus. Ihr Herz hämmerte so hart, dass es wehtat. Aber sie verspürte auch ein Triumphgefühl. Aus diesem kleinen Kampf der Willen war sie als Sieger hervorgegangen. Trotzdem fühlte sie sich nicht wohl nach der Konfrontation. Es war besser, wenn sie erst einmal von hier wegkam.

Mit dem alten grünen Wagen, den sie in der Garage gefunden hatte, fuhr sie zum Palazzo di Comparino zurück, und obwohl Louisa mitfühlend erst einmal eine Tasse Tee für sie machte, lachte sie doch amüsiert, als Daniella ihr die Geschichte erzählte.

„Das ist nicht lustig“, entrüstete Dani sich, doch es zuckte auch um ihre Lippen. „Na schön, ein bisschen vielleicht doch. Aber der Job macht Spaß, und ich würde ihn gern für die vier Wochen behalten. Nur hat der Mann mir nicht gesagt, wann ich wieder antreten soll. Wahrscheinlich werden wir uns also wieder in die Haare geraten.“

„Geh um sechs wieder hin. Und wenn er sich beschwert, dass du zu spät kommst, dann erinnere ihn höflich daran, dass er dir keine Zeit genannt hat und es also sein Fehler ist.“

Daniella hielt sich an Louisas Rat und kam um sechs im Restaurant an. Am Empfang standen tatsächlich schon einige Gäste, und ihr fiel auf, dass noch kein Tisch besetzt war. Rafe drückte ihr entnervt einen Stapel Speisekarten in die Hand und ließ sie dann stehen.

Sie lächelte. Er mochte keinen Ton gesagt haben, aber wie es aussah, hatte sie ihren Job noch.

Eine gute Stunde später bestellte Rafe sie zu sich. Dabei war sie sich absolut sicher, dass es nichts gab, weshalb er sie anbrüllen konnte.

„Sie wollten mich sprechen?“

„Wie ich höre, loben Sie meine Gerichte bei den Gästen.“ Er hielt ihr eine Gabel mit Ravioli hin. „Ich möchte, dass Sie das probieren, damit Sie wissen, wovon Sie reden und den Gästen sagen, dass man hier das beste Essen auf der Welt bekommt.“

Sie musste sich das Grinsen verkneifen. Wie maßlos und überheblich! Aber als sie die Lippen um die Gabel schloss und ihre Geschmacksknospen explodierten, stöhnte sie leise auf. „Oh, Gott, Sie haben recht. Das ist das Beste, was ich je gegessen habe.“

Emory, der Souschef, hielt ihr die nächste Gabel hin. „Hier, probieren Sie das.“

Sie nahm den Bissen in den Mund und stöhnte erneut. „Oh … das ist ja unglaublich gut! Was ist das?“

„Schmorbraten.“

Ein jüngerer Koch kam ebenfalls herüber. „Hier bitte, probieren Sie das auch noch einmal … Minestrone.“

Dani schloss die Augen, als sie die Suppe probierte. „Ihr seid wirklich die besten Köche der Welt.“

Jäh legte sich entsetzte Stille über die Küche, aber Emory lachte nur. „Chef Rafe ist der beste Koch der Welt. Das sind alles seine Rezepte.“

Lächelnd drehte Dani sich zu Rafe um. „Sie sind absolut erstaunlich.“

Damit meinte sie seine Kochkünste. Aber während sie in seine grauen Augen sah und er ihren Blick festhielt, schienen ihre Worte eine ganz andere Bedeutung zu erhalten. Schließlich zeigte er zur Tür.

„Gehen Sie und sagen Sie das den Gästen.“

Sie leckte sich den letzten Krümel von den Lippen, als sie wieder zurück zum Empfangstresen ging, wo bereits zwei Gruppen darauf warteten, an Tische geführt zu werden. Dani nahm die Speisekarten auf und geleitete das erste Paar durch den Saal.

„Können Sie uns vielleicht etwas empfehlen?“

Sie drehte sich zu dem Paar um. „Der Chef des Hauses kreiert fantastische Ravioli.“ Das konnte sie voller Überzeugung behaupten, schließlich lag der Geschmack noch immer an ihrem Gaumen. „Und die Minestrone ist himmlisch. Sollten Sie jedoch Appetit auf Fleisch haben … der Schmorbraten zergeht auf der Zunge.“

Die Gerichte probiert zu haben, hatte die seltsamste aller Wirkungen auf Dani: Sie fühlte sich zugehörig. Sie kam sich nicht mehr nur wie eine gute Oberkellnerin vor, die Gerichte empfahl, sondern sie wurde von dem Gefühl überwältigt, dass sie hierher gehörte. Als wäre es ihr Schicksal.

Schicksal? Das ist ja lächerlich. Pflegekinder lernten früh, nicht an Schicksal zu glauben, und begnügten sich damit, sich auf sich selbst zu verlassen.

Im Lauf des Abends ließen Rafe und sein Team sie immer wieder von den Gerichten probieren. Langsam wurde sie mit der Speisekarte vertraut. Sie lauschte interessiert den Geschichten der Touristen, die begeistert von ihren Erlebnissen erzählten, und gab selbst kleinere Anekdoten aus ihrer Zeit in Rom zum Besten. Das Zugehörigkeitsgefühl in ihr wuchs stetig, sodass ihr ganz leicht ums Herz wurde.

Rafe beobachtete seine neue Angestellte durch einen Spalt in der Küchentür.

„Sie ist hübsch, nicht wahr?“

Er drehte sich zu Emory um. Ob sein Freund den langen Blickkontakt über der Gabel Ravioli bemerkt hatte und jetzt ahnte, dass er Mühe hatte, in Daniella Tate eine einfache Angestellte zu sehen? Als sie ihn erstaunlich genannt hatte, hatte er Mühe gehabt, seinen Blick nicht auf ihren Lippen haften zu lassen.

Aber Emorys rundes Gesicht zeigte nichts als das übliche gutmütige Lächeln. Kein wissendes Funkeln in seinen Augen, nicht das kleinste Zeichen. Nein, Emory schien nichts von Rafes ungewöhnlicher Reaktion bemerkt zu haben. „Sie ist geschwätzig.“

„Du hast ihr doch gesagt, sie soll das Essen loben.“ Emory beugte sich vor, um ebenfalls durch den Spalt zu lugen. „Und die Gäste scheinen sie zu lieben.“

„Pah! Die Gäste müssen sie nicht lieben, sie sind wegen des Essens hier.“

Sein loyalster Angestellter zuckte mit den Schultern. „Schon möglich. Nur wissen wir beide auch, dass dein Temperament in letzter Zeit für mehr Furore sorgt als deine Rezepte. Ein wenig Aufmerksamkeit von einem hübschen Mädchen, das deine Gerichte lobt, könnte das richtige Heilmittel für deinen Ruf sein. Damit der Fokus wieder auf dem Essen liegt.“

„Ich finde trotzdem, dass sie zu viel redet.“

„Wenn du meinst …“

Rafe verschränkte die Arme vor der Brust. Und ob er das meinte. Er war geradezu berüchtigt für seine Meinung! Anders wäre schließlich kein großer Chefkoch aus ihm geworden. Er wollte und musste sich ausschließlich auf seine Gerichte konzentrieren können.

Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit würde er ein ernstes Gespräch mit Daniella Tate führen.

3. KAPITEL

Am Ende des Abends kam Rafe in den Speisesaal, als Daniella gerade zusammen mit den Kellnerinnen das Restaurant verlassen wollte. Er stellte sich hinter die Bar.

„Warten Sie … Daniella. Wir müssen reden.“

Zögernd drehte sie sich um. „Sicher. Wenn Sie meinen …“

Allegra und Gio warfen ihr einen mitfühlenden Blick zu und zogen die Tür leise hinter sich zu.

So aufrecht wie möglich ging sie zu ihm. „Ja?“

„Sie sind schwatzhaft.“

Dani lachte. „Ich weiß.“ Sie setzte sich auf einen Barhocker. „Das hat mich schon in der Schule oft in Schwierigkeiten gebracht.“

„Dann sind Sie sicher nicht beleidigt, wenn ich Ihnen sage, dass eine professionellere Haltung gegenüber den Gästen angebracht ist.“

„Nein, beleidigt bin ich nicht, aber ich halte es für verrückt, dass ich nicht freundlich zu den Gästen sein soll.“

Hitze stieg in ihm auf, genau wie vorhin, als sie die Ravioli probiert und ihn erstaunlich genannt hatte. Er wusste nicht, was an dieser Frau es war, das ihm derart unter die Haut ging, dass er nur noch daran denken konnte, sie zu küssen. Aber er wusste, er musste dem unbedingt Einhalt gebieten.

Rafe holte eine offene Flasche Wein unter dem Tresen hervor und schenkte zwei Gläser ein. „Finden Sie es passend, mit Ihrem Boss zu streiten?“

„Ich streite mich nicht mit Ihnen. Ich äußere lediglich meine Meinung.“

Er musterte ihr hübsches Gesicht, die ausdrucksstarken blauen Augen. „Ah, ich verstehe. Sie glauben, Sie haben das Recht auf Ihre Meinung?“

„Nun, auf jeden Fall fällt es mir schwer, keine Meinung zu haben.“ Sie nippte an dem Wein.

Er lehnte sich an den Tresen und kam ihr dabei unbeabsichtigt näher, aber ihm gefiel es, denn er erhaschte einen Hauch ihres Parfüms. „Möglich. Aber eine kluge Angestellte hält sich mit ihrer Meinung zurück.“

„Sie sagten ja schon … ich bin schwatzhaft.“

„Tun Sie es trotzdem.“

Sie setzte sich gerader auf, brachte mehr Abstand zwischen sie. „Okay.“

Rafe lachte. „Einfach so? Meine schwatzhafte Kellnerin stimmt schlicht zu?“

„Es ist Ihr Restaurant.“

Er prostete ihr zu. „Endlich sind wir einer Meinung.“

Doch als sie ihr Glas abstellte und zum Ausgang ging, spürte er Enttäuschung.

Entnervt griff er nach der Weinflasche und steuerte die Küche an. Er würde den Speiseplan für morgen bearbeiten. Es war idiotisch, enttäuscht zu sein. Er kannte die Frau doch gar nicht – und überhaupt … er war nicht auf der Suche nach einer Freundin. Instinktiv mochte sie den Wunsch in ihm wecken, sie zu küssen, aber er hatte schon seit vier Jahren keine Beziehung mehr gehabt. Affären, ja, One-Night-Stands, aber keine Beziehung. Und ein kluger Arbeitgeber fing grundsätzlich nichts mit einer Angestellten an.

Seine letzte Beziehung hätte fast seinen Traum zerstört. Er war dermaßen in Kamila Troccoli verliebt gewesen, dass er sein Restaurant hatte schleifen lassen und sein Leben nur auf sie konzentriert hatte. Trotzdem hatte sie ihn verlassen, und sein gebrochenes Herz war nie richtig geheilt. Die Liebe hätte beinahe seine Karriere zerstört, und ein kluger Mann vergaß eine solche Lektion nicht. Nicht wegen eines hübschen Mädchens.

Schon in der Tür zur Küche, drehte er sich noch einmal um. „Ach, Daniella … morgen bitte in schwarzer Hose und weißer Bluse.“

Danis Herz klopfte noch immer wie wild, als sie längst mit dem alten Auto durch Monte Calanetti fuhr. Als Rafe sich am Tresen näher zu ihr gelehnt hatte, waren seltsame Dinge mit ihr geschehen. Ihr Puls hatte sich beschleunigt, der Blutdruck war in die Höhe geschossen, und ihr Atem hatte gestockt. Es hatte sie in den Fingern gejuckt, ihm durch das wellige Haar zu fahren, das ihn aussehen ließ wie einen Piraten. Und wie er ihren Namen ausgesprochen hatte … das war so sexy gewesen, dass ihre Beine gezittert hatten.

Sie schimpfte sich selbst verrückt und fragte sich gleich darauf, warum ausgerechnet diese kleine Stadt ihr Herz so wärmte. Nie zuvor hatte sie sich so im Reinen mit sich und der Welt gefühlt wie hier in Italien. Sie konnte es gar nicht abwarten, die Familie ihrer Pflegemutter zu treffen. Sollten sie gut miteinander zurechtkommen, würde sie gern jedes Jahr hier Urlaub machen.

Sie bog auf die Straße zum Palazzo ein. Für Louisa symbolisierte die alte Villa nur Verfall und Unmengen von Problemen, doch Dani konnte sich genau vorstellen, wie es früher hier ausgesehen haben musste: Rebstöcke voll mit prallen Trauben, überall auf dem Gelände Arbeiter bei der Lese, der Besitzer, ein stolzer Mann …

Ähnlich wie Rafe.

Stumm verdrehte sie die Augen. Was hat dieser Mann nur an sich, das mir so zusetzt? Sicher, er war sexy. Aber sie kannte viele sexy Männer, und keiner von ihnen hatte je solche Reaktionen in ihr geweckt.

Louisa schlief bereits, als Dani ins Haus kam. Aber am nächsten Morgen beim Frühstückstee erzählte sie ihr haargenau, was sich gestern im Restaurant zugetragen hatte. Sogar den verrückten Wunsch, mit den Fingern durch Rafes Haar zu fahren, unterschlug sie nicht.

Louisa lachte. „Wir sind hier in Italien! Und da überrascht es dich, dass du alles viel intensiver empfindest? Es ist das Land der Leidenschaft. Das liegt in der Luft, im Wasser … was weiß ich. Solange dir das klar ist, kann dir nichts passieren.“

„Das kann ich nur hoffen.“ Dani stand auf. „Und ich hoffe, dass ich einen Secondhand-Laden finde, denn ich brauche dringend eine schwarze Hose und weiße Blusen. Rafe gefällt meine Jeans nicht.“

„Oh, ich wette, deine Jeans gefällt ihm sogar ausgesprochen gut.“ Louisa schlang Dani einen Arm um die Schultern. „Sie schmiegt sich nämlich ganz hervorragend um deine Kehrseite.“

Dani runzelte verständnislos die Stirn. „Was hat das denn damit zu tun?“

„Ist dir noch nicht der Gedanke gekommen, dass ihr beide extrem aufeinander reagiert?“

„Du glaubst, er findet mich attraktiv?“

„Dani, du bist attraktiv, und italienische Männer haben generell eine Schwäche für Blondinen.“

„Oh, Mann“, seufzte Dani bedrückt. „Das macht alles noch schlimmer. Ich bin nämlich verlobt … Naja, nicht wirklich verlobt, aber mein Freund hat mir vor der Abreise einen Heiratsantrag gemacht.“

Louisa pfiff durch die Zähne. „Ein Heiratsantrag … wow. Nun, das schließt dann wohl einen heißen Flirt mit deinem Chef aus.“

„Ich kann doch nichts mit meinem Chef anfangen!“, empörte sich Dani.

„Ich weiß. Komm, wir gehen nach oben. In meinem Koffer treiben wir bestimmt eine schwarze Hose und eine weiße Bluse auf. Außerdem muss ich sowieso noch auspacken.“

Es dauerte nur ein paar Sekunden, um Hose und Bluse zu finden, aber Dani half Louisa gleich noch dabei, ihre Garderobe in Schränke und Schubladen einzusortieren. Dann musste sie sich sputen, um rechtzeitig zur Lunchzeit im Restaurant zu sein.

Rafe höchstpersönlich schloss die Tür für sie auf. Ein prickelnder Schauer überlief sie, als er sie musterte, denn Louisas Vermutung ging ihr nicht aus dem Kopf. Wie mag es sich wohl anfühlen, wenn ein so attraktiver Mann sich tatsächlich zu mir hingezogen fühlt? Sie schüttelte leicht den Kopf. Wohin, um alles in der Welt, wandern meine Gedanken? Der Mann studierte sie nur so genau, um zu sehen, ob sie seine Anweisung zu seiner Zufriedenheit befolgt hatte.

Obwohl … bei seinem Blick wurde ihr wärmer …

Doch als er sich dann kommentarlos umdrehte, zu den Fenstern ging, die Läden aufstieß und damit den Blick auf die wunderschöne Landschaft freigab, überkam sie erneut das Gefühl von Vorbestimmung. Reiß dich zusammen, ermahnte Dani sich. Es war einfach nur ein schöner Tag und das Panorama einfach überwältigend. So etwas wie „Dazugehören“ existierte nicht. Das Leben bestand vor allem aus harter Arbeit und minutiöser Planung.

Die Lunchzeit währte bereits eine gute Stunde, als ein Gast sie an den Tisch rief und mit dem Chefkoch sprechen wollte. Dani überfiel ein mulmiges Gefühl. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie es ausgehen würde, wenn dieser nette ältere Herr sich über das Essen beschweren würde. Also setzte sie ihr freundlichstes Lächeln auf. „Vielleicht kann ich Ihnen helfen?“

„Durchaus möglich. Aber ich würde trotzdem gern mit dem Chefkoch sprechen.“

„Natürlich, ich sage ihm Bescheid.“

Sie musste sich nur umdrehen, denn Rafe stand bereits hinter ihr. Ganz bewusst lächelte sie noch strahlender. „Chef Rafe … dieser Gentlemen würde gern mit Ihnen sprechen.“

Plötzliche Stille legte sich über den Speisesaal. Jeder schien den Atem anzuhalten, einschließlich Daniella.

Rafe grüßte den Mann freundlich und fragte: „Was kann ich für Sie tun? Ich stehe meinen Gästen immer zur Verfügung.“

Verdutzt biss Dani sich auf die Zunge. Der Mann konnte ja richtig freundlich und charmant sein!

„Das sind die besten Ravioli, die ich je gegessen habe. Ich wollte Ihnen gern persönlich meine Bewunderung aussprechen.“

Rafe verbeugte sich leicht. „Grazie.“

„Warum haben Sie sich entschieden, ausgerechnet hier ein Restaurant aufzuziehen?“, erkundigte sich der Gast.

„Das Panorama hat mich fasziniert.“ Rafe lächelte, und Dani starrte ihn an, während diese verrückten Gefühle wieder durch sie hindurchrasten. Sobald der Mann mit seinen Gästen sprach, war er freundlich, höflich und … extrem sympathisch. Jetzt drehte er sich zu ihr um und deutete mit dem Kopf zum Empfang. „Unsere Gäste, Daniella …“

„Oh, ja, natürlich. Bitte entschuldigen Sie!“ Mit hämmerndem Herzen eilte sie davon, um die nächsten Gäste an ihre Tische zu führen. Während dabei jede Faser in ihr vibrierte, versuchte sie sich damit zu beruhigen, dass sie nur erleichtert war, weil Rafe den netten älteren Herrn nicht angebrüllt hatte. Sie weigerte sich zu akzeptieren, dass es tatsächlich so etwas wie Anziehungskraft von ihrer Seite geben sollte. Außerdem hatte sie zum Glück genug zu tun, um dem nicht weiter nachzuspüren.

Neue Lunchgäste kamen, Dani führte sie an ihre Tische. Die Kellnerinnen bedienten, und Rafe wanderte von Tisch zu Tisch, um sich mit seinen Gästen zu unterhalten. Die meisten genossen sein hervorragendes Essen und bewunderten den Blick auf die Landschaft, und er lachte freundlich.

Er lacht! Wärme erfüllte Dani, weil er so nett mit seinen Gästen umging. Was aber natürlich noch lange nicht hieß, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Sie respektierte ihn, natürlich, und ja, er sah verboten gut aus. Das konnte sie ruhig zugeben. Nur weil sie einen Freund hatte, war sie schließlich nicht blind.

Als das Restaurant sich nach dem Lunch leerte, gingen Gio und Zola nach Hause. Daniella wollte Allegra gerade dabei helfen, den Speisesaal für den Abend herzurichten, als Rafe sie beim Arm packte.

„Nicht so schnell.“

Seine Hand an ihrem Arm jagte Stromstöße direkt bis in ihr Herz, und das Blut rauschte heiß durch ihre Adern.

Verdammt! Ich fühle mich eindeutig zu ihm hingezogen.

Aber nur körperlich. Ganz sicher nur körperlich.

Langsam drehte sie sich zu ihm um. Sein wütender Blick bohrte sich in ihre Augen.

„Was, zum Teufel, sollte das vorhin?“

Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach. „Wann denn?“

„Als der Gast mit mir sprechen wollte! Und da schlagen Sie ihm vor, dass er mit Ihnen reden soll.“

Bebend holte sie Luft. „Ich habe versucht, eine Katastrophe abzuwenden.“

„Katastrophe? Er wollte dem Küchenchef ein Kompliment zollen. Wollten Sie das etwa für sich selbst in Anspruch nehmen?“

Sie schnappte entrüstet nach Luft. „Unsinn. Ich habe befürchtet, dass er sich beschweren will.“ Jetzt genauso wütend wie er, machte sie einen Schritt auf ihn zu. „Und dann hätten Sie ihn angeschrien und das gesamte Restaurant hätte sich über das Schauspiel amüsiert.“

Auch er trat einen Schritt vor. „Ach ja? Sie haben doch gesehen, wie ich mit meinen Gästen umgehe. Ich liebe sie.“

Sie kniff die Augen zusammen. Sie würde sich nicht einschüchtern lassen! „Jetzt weiß ich das, aber als der Gast darum bat, mit Ihnen zu sprechen, wusste ich es noch nicht.“

„Sie haben sich eindeutig zu viel herausgenommen.“ Er kam noch näher, und ihr ganzer Körper prickelte vor Energie.

Oh, nein.

Jetzt wusste Dani, was los war. Sie fand Rafe nicht einfach nur extrem gut aussehend. Sie war nicht nur körperlich angezogen von ihm, sondern fühlte sich zu ihm hingezogen, Punkt. Und sie stritt auch nicht mit ihm, weil sie sich verteidigen musste. Sie stritt mit ihm, weil das seine Art zu kommunizieren war. Er war ein dickköpfiger, leidenschaftlicher Mann. Flirte ich also mit ihm?

Diese Gedanken und Gefühle stimmten sie nicht unbedingt froh. Daher zog sie sich zurück und hielt ihre Stimme bewusst ruhig und leise. „Es wird nicht wieder vorkommen.“

Er lachte. „Was denn? Plötzlich geben Sie also nach?“

Warum hat er nicht einfach „gut“ gesagt und sich umgedreht, so wie sonst auch? Hat Louisa vielleicht recht, und er spürt diese Anziehungskraft auch?

Der Gedanke raubte ihr den Atem. Rafe, der so gut aussah und jede Frau haben konnte, sollte an ihr interessiert sein? Das war absurd. Aber ihr Interesse war nicht zu bestreiten. Also würde sie von jetzt an sehr, sehr vorsichtig sein.

Sie räusperte sich. „Wenn Sie mich bis zum Dinner nicht mehr brauchen, gehe ich jetzt nach Hause.“

Er schüttelte leicht den Kopf. „Übertreten Sie nie wieder Ihre Grenzen.“

„Glauben Sie mir, von jetzt an werde ich sehr genau darauf achten.“

Rafe sah Dani nach. Sein Puls raste noch immer, noch immer brodelte das Blut in seinen Adern. Und er war auch wieder enttäuscht, weil sie gegangen war. Er schüttelte den Kopf über sich selbst und kehrte in die Küche zurück.

„Und? Hast du Daniella genug angebrüllt?“

Rafe starrte Emory wütend an. „Sie ist anmaßend.“

„Sie hat nur versucht, Frieden zu wahren und die Gäste glücklich zu machen. Falls es dir nicht aufgefallen sein sollte … heute waren die Gäste besonders zufrieden.“

„Fein, die Gäste mögen sie. Na und?“

„Heute hat auch niemand darauf gelauert, dass du explodierst. Sie bringt die Gäste dazu, genau das zu tun, was wir wollen: sich auf das Essen zu konzentrieren. Du solltest froh und glücklich sein, dass sie hier ist.“

Mit einem geschnaubten „Pah!“ wandte Rafe sich ab. Aber insgeheim gestand er sich ein, dass er wirklich froh und glücklich war. Nur war das vielleicht keineswegs so gut, wie Emory dachte.

Denn während des kleinen Wortgefechts mit Dani hatte er sich unentwegt gewünscht, sie zu küssen.

4. KAPITEL

Spätabends kehrte Daniella hundemüde von der Arbeit zurück. Louisa schlief bereits. Nach den Mülltüten vor dem Haus und den offenen Schranktüren in der Küche zu urteilen, hatte sie begonnen, die Küche gründlich zu putzen.

Dani schleppte sich die Treppe hinauf, duschte noch schnell und kroch ins Bett, wobei sie sich streng verbot, über Rafe nachzudenken. Erstens wartete da jemand mit einem Heiratsantrag zu Hause auf sie, und zweitens … Sie und Rafe? Mr. Instabil und das Pflegekind, das sich nach nichts mehr sehnte als nach Stabilität? Das wäre die vorprogrammierte Katastrophe.

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück räumten sie und Louisa die Vorratskammer aus. Schon vor Jahren war das Verfallsdatum der Lebensmittel, die hier noch standen, abgelaufen.

Louisa wischte sich den Schweiß von der Stirn und starrte auf den stetig wachsenden Berg von Müllsäcken vor der Haustür. „Ich weiß nicht einmal, wann hier die Müllabfuhr kommt.“

„Du könntest Nico fragen“, schlug Dani vor.

Louisa verdrehte die Augen. „Ich werde ganz bestimmt nicht zu seinem Haus hinüberstapfen.“

„Ruf an. Ich habe doch seine Karte …“ Sie runzelte die Stirn. „Nein, die hat Rafe. Ich bitte ihn nachher, sie mir zurückzugeben.“

„Nein, danke.“

„Ich könnte auch die Mädels im Restaurant fragen.“

Louisas Laune hellte sich sofort auf. „Ja, das ist eine gute Idee.“

Mit gerunzelter Stirn schüttelte Dani die letzten Staubflocken vom Kehrblech in den Müllsack. Louisas Weigerung, auch nur das Geringste mit ihrem Nachbarn zu tun haben zu wollen, war nicht nur seltsam, sondern auch höchst unpraktisch. Dennoch sagte sie nichts dazu.

Sie zog sich um und fuhr zum Restaurant. Ihr fiel auf, dass zwei andere Köche in der Küche standen und auch Allegra heute nirgendwo zu sehen war. Stattdessen lernte sie Milana kennen, kurz Mila, die auf Danis Frage hin erklärte, dass Allegra heute ihren freien Tag habe, genau wie die beiden Köche, die Dani kannte.

„Haben Sie gedacht, sie wären gefeuert worden?“ Mila lachte.

Dani zuckte mit den Schultern. „Bei unserem Chef kann man nie wissen.“

„Nur Chef Rafe arbeitet sieben Tage die Woche, zwölf Stunden pro Tag.“

„Ich sollte mich wohl erkundigen, ob es so etwas wie einen Schichtplan gibt.“ Damit ging sie in die Küche.

Emory stand an einer der blinkenden Stahlanrichten und putzte Gemüse. Dankbar, dass Rafe nirgendwo zu sehen war, richtete sie sich an ihn.

„Cara!“ Der Souschef empfing sie herzlich. „Was kann ich für Sie tun?“

„Ich frage mich, ob es so etwas wie einen Schichtplan gibt. Ich weiß gar nicht, wann ich zum Dienst antreten muss.“

„Der Maître d’hôtel hat zu allen Schichten anwesend zu sein.“

Dani zuckte zusammen, als sie Rafes Stimme hinter sich hörte. Langsam drehte sie sich um. „Ich kann nicht sieben Tage die Woche arbeiten. Ich wollte den Monat nutzen, um mir die Gegend anzusehen. Sonst hätte ich ja gleich nach New York zurückfliegen können.“

Er lächelte. „Ah.“

Daniellas Herz schlug einen Purzelbaum in ihrer Brust. Er hatte das hinreißendste Lächeln, das sie je gesehen hatte. Es raubte ihr den Atem, ließ ihre Knie weich werden … und ängstigte sie halb zu Tode.

„Sie haben völlig recht. Emory wird einen Schichtplan aufstellen.“

Überrascht, wie simpel das gewesen war, beschloss sie, nicht länger in der Küche zu bleiben, erst recht nicht, da Rafes Lächeln Gefühle in ihr weckte, die völlig unangebracht waren. Keine fünf Minuten später kam Rafe in den Speisesaal, um die Restauranttür aufzuschließen, und wieder lächelte er ihr zu. Sie beeilte sich, hinter ihren Empfangstresen zu kommen, und atmete erst einmal scharf aus. Warum lächelt er mich ständig an? Großer Gott, sollte Louisa wirklich recht haben?

Nein. Rafe war viel zu sehr auf sein Restaurant konzentriert, als dass er Interesse an einer Aushilfe hätte. Er lächelte sie an, weil sie endlich eine Basis miteinander gefunden hatten – als Chef und Angestellte.

Das Restaurant begann sich zu füllen, und Dani hatte genug zu tun, auch wenn es zur Lunchzeit nicht so geschäftig zuging wie beim Dinner. Sie hatte gerade ein amerikanisches Paar an einen Tisch geführt und war wieder an ihren Tresen zurückgekehrt, als die beiden sie zu sich winkten.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie freundlich.

Der Mann schien verlegen. „Es ist unser erstes Mal im Mancini’s, und wir hatten gehofft, wir könnten nur eine Suppe oder einen Salat essen, aber … auf der Karte werden nur komplette Menüs angeboten.“

Die Frau legte ihrem Mann die Hand auf den Arm. „Wir können doch jetzt eine volle Mahlzeit bestellen, und dafür heute Abend nur etwas Leichtes essen.“

Der Mann lächelte. „Sicher, wie du möchtest.“

Dani winkte Gio herbei, damit sie die Bestellung aufnahm. Wenige Minuten später führte sie eine ähnliche Konversation mit den nächsten Gästen. Sie waren ins Mancini’s gekommen, um nur einen leichten Lunch zu sich zu nehmen, aber die Speisekarte bot nur Mahlzeiten mit mehreren Gängen.

Als der Strom der Lunch-Gäste verebbt war und zwei Kellnerinnen bereits bis zum Abend nach Hause gegangen waren, starrte Dani lange auf die Küchentür. Sollte sie es wagen? Auf jeden Fall sollte sie keine Angst haben. Sie war eine gute und verantwortungsbewusste Mitarbeiterin, und wenn sie und Rafe nun endlich eine gute Arbeitsbeziehung etabliert hatten, konnte sie ihm getrost berichten, was seine Gäste wünschten.

Beherzt ging sie in die Küche. „Haben Sie eine Minute Zeit, Chef Rafe?“

Er drehte sich zu ihr um. „Ja?“

Es war schwierig, sich zu konzentrieren, wenn er sie mit seinen silbergrauen Augen ansah, aber sie nahm sich zusammen und erzählte ihm von den Wünschen der Gäste. Rafe drehte sich zu Emory um und hielt die offenen Handflächen vor sich hoch. Ganz offensichtlich verstand er nicht, um was es ging.

Sie versuchte es mit einem neuen Ansatz. „Die Leute wollen zum Lunch kommen, aber auf der Karte werden nur volle Dinner angeboten. Wer will schon ein Fünf-Gänge-Menü am Mittag?“

Das silberne Schimmern in seinen Augen schwand. „Alle Italiener.“

„Nun gut.“ So viel also zu der Vermutung, er könnte sich zu ihr hingezogen fühlen. Er war sehr kühl, sehr geschäftsmäßig. Aber sie war überzeugt, dass sie hier einen wichtigen Punkt ansprach. „Schon, aber die Hälfte der Gäste sind Touristen. Wenn sie ein volles Menü essen wollen, kommen sie abends. Wenn sie aber vor allem die wundervolle Erfahrung des Mancini’s wünschen, kommen sie zum Lunch und wollen vielleicht nur einen Salat essen. Oder einen Hamburger.“

„Hamburger?“ Er flüsterte das Wort so entsetzt, als wäre es Blasphemie.

„Ja, und wenn es ihnen gefallen hat, dann kommen sie zum Dinner zurück.“

In der Küche war es totenstill geworden. Alle, vom Koch bis zur Küchenhilfe, starrten Daniella an.

„Wir sind hier in Italien. Die Touristen kommen wegen unserer Kultur!“

„Natürlich, Sie haben vollkommen recht. Aber die meisten Touristen essen keine zwei vollen Mahlzeiten pro Tag. Es kann doch nichts schaden, nur einen einzelnen Salat oder eine Suppe auf die Karte zu stellen, nur für den Fall, dass ein Tourist kein Fünf-Gänge-Menü essen möchte.“

Seine Augen blitzten auf, und als er sprach, war er gefährlich leise. „Miss Daniella. Sie sind eine Touristin, die für vier Wochen Oberkellnerin spielt. Ich dagegen … ich bin ein weltbekannter Sternekoch.“

„Ich weiß. Aber ich bin diejenige, die da draußen im Saal mit den Gästen spricht.“

Verärgert kniff er die Augen zusammen. Dani wich zurück. Was, zum Teufel, tue ich hier eigentlich? Wie er bereits gesagt hatte – er war ein weltbekannter Sterne-Koch. Bebend holte sie Luft. „Entschuldigung. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.“

Er nickte nur knapp, und sie sah zu, dass sie aus der Küche kam. Keine zwei Minuten später jedoch bat ein Gast darum, mit dem Chefkoch zu sprechen, der, wie sie von einem der Hilfskellner erfahren hatte, mit Emory im Arbeitszimmer war.

Gerade als sie anklopfen wollte, hörte sie Emorys Stimme.

„Ich weiß wirklich nicht, weshalb du dich ständig mit ihr streitest.“

„Ich mich streiten? Ich war nett und zuvorkommend zu der Frau, und sie kommt in meine Küche und will mir vorschreiben, wie ich mein Restaurant zu führen habe!“

Dani krümmte sich innerlich.

„Wir brauchen sie“, sagte Emory.

„Und genau da irrst du. Hätte Nico sie nicht hergeschickt, hätten wir jemand anderes gefunden. Jetzt jedoch sitzen wir mit ihr fest, und weil sie sich einbildet, wir bräuchten sie, glaubt sie, das Recht zu haben, ihre Vorstellungen einzubringen. Nicht nur brauchen wir sie nicht, ich will sie auch nicht hier haben …“

Den Rest bekam Dani nicht mehr mit, da sie sich hastig von der Tür zurückzog. Hören zu müssen, dass Rafe sie nicht wollte, weckte schlimme Erinnerungen in ihr. Als Kind und Teenager war sie so oft zurückgestoßen worden, weil sie kein Zuhause und keine Eltern gehabt hatte, dass es Narben auf ihrer Seele hinterlassen hatte.

Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie hatte einen vernünftigen Vorschlag gemacht, doch offensichtlich kamen sie und ihr Chef nicht miteinander zurecht. Vielleicht war es Zeit anzuerkennen, dass dieser Job nicht der richtige für sie war und sie besser gehen sollte.

Sie ging zu ihrem Tresen, wollte Mantel und Handtasche aufnehmen, doch genau in diesem Augenblick kamen neue Gäste.

Rafe schüttelte den Kopf, als Emory schmunzelnd das Arbeitszimmer verließ. Er hatte sich austoben müssen. Der Souschef hatte eine Weile zugehört und war dann gegangen. Das war auch gut so. Daniella hatte ihn maßlos verärgert, hatte ihn vor seinem Team herausgefordert – sich bei Emory Luft zu machen, war wesentlich besser, als sie zu feuern.

Sie brauchten Daniella noch. Bisher hatte er sich noch immer nicht um mögliche Bewerber gekümmert.

Der Restaurantbetrieb lief normal weiter. Irgendwann kam Dani in die Küche. „Chef Mancini, ein Gast möchte mit Ihnen sprechen.“

Sie sagte es leise und bedrückt, und sie hatte ihn auch Chef Mancini, nicht Chef Rafe genannt. Darüber würde er sich jetzt nicht beschweren. Eine professionellere Geschäftsbeziehung konnte sicher nicht schaden, vor allem, weil er überlegte, ob er nicht eine Affäre mit ihr anfangen sollte. Den ganzen Tag schon hatte ihn das beschäftigt … bis sie sich dann wegen Suppe und Salat gestritten hatten!

Darum lächelte er auch nur höflich. „Sicher, gern.“

Sie nickte knapp und verließ die Küche, ohne auf ihn zu warten. Er wusch sich die Hände und folgte ihr in den Speisesaal. Dani stand bei einem Tisch am hinteren Ende. Rafe steuerte also in die Richtung, sah, wie sie dem Gast lächelnd sagte: „Da kommt Chef Mancini“ und sich sofort zum Gehen wandte.

Gute zehn Minuten plauderte Rafe mit dem Gast, doch sein Blick suchte immer wieder Daniella. In der Küche hatte sie nicht auf ihn gewartet, hier vom Tisch war sie sofort verschwunden, und ihr sonst so strahlendes Lächeln war einer höflich-distanzierten Miene gewichen. Ihre blauen Augen wirkten komplett leblos.

Professionelles Auftreten war eine Sache, aber sie wirkte geradezu … verletzt. In Gedanken spielte er den Tagesablauf noch einmal durch, konnte aber keinen Unterschied zwischen ihrem heutigen und den anderen kleinen Wortgefechten feststellen – außer vielleicht, dass er sie heute bei ihrer Ankunft angelächelt hatte, weil er wieder das Bild in seinem Kopf gehabt hatte, wie er sie küsste. Das er allerdings augenblicklich aus seinem Kopf verbannt hatte.

Nachdem Rafe das Restaurant geschlossen hatte, fuhr er zu seiner Eigentumswohnung, duschte, zog Jeans, einen dicken Wollpullover und seinen schwarzen Wintermantel an und fuhr mit dem Privatlift wieder nach unten. Seit Weihnachten hatte er nichts anderes als das Mancini’s gesehen, vielleicht verstrickte er sich deshalb in so wirre Gedanken über seine Angestellte? Vermutlich wurde es höchste Zeit, mal wieder unter Leute zu kommen. Vielleicht eine Frau für eine angenehme Nacht zu finden …

Rafes Familie lebte in Florenz, er aber hatte sich in Monte Calanetti verliebt. Nicht nur faszinierte ihn die alte Architektur, auch die offenen und herzlichen Menschen hier hatten sein Herz erobert. Auch die Touristen waren allesamt begeistert von dem Städtchen und den Weinbergen des Palazzo di Comparino, die leider nicht mehr bewirtschaftet wurden. Aber vielleicht, eines Tages …

Seine Stiefelabsätze klackten laut auf dem Kopfsteinpflaster, als Rafe auf Pias Taverne zusteuerte. Die Februarnacht war klar und kalt, er stellte den Mantelkragen auf und zog die Schultern ein. Bei Pia würde das Feuer im offenen Kamin für wohlige Wärme sorgen, fast konnte er das frisch gezapfte Bier schon schmecken …

Er drückte die Tür der Taverne auf. Viel Betrieb war heute nicht, schließlich war es ein Wochentag. Der Fernseher über der Bar unterhielt die beiden Anwohner, die an der Bar saßen. Rafe sah sich um, nachdem seine Augen sich an das dämmrige Licht gewöhnt hatten. In der hintersten Ecke des Raums saß eine Blondine allein am Tisch …

Dani.

Er überlegte gerade, ob er auf dem Absatz kehrtmachen und wieder gehen sollte, doch da traf ihr Blick auf seinen, und die Traurigkeit in ihren blauen Augen ließ sein Schuldgefühl prompt in die Höhe schnellen. Wie von allein setzten seine Füße sich in Bewegung, und schon saß er ihr gegenüber.

„Na großartig. Das ist genau das, wovon ein Mädchen träumt – ein Drink mit dem Boss, der sie anbrüllt.“

Er runzelte die Stirn. „Sind Sie heute deshalb so still gewesen? Ich habe Sie nicht angebrüllt, ich bin nur nicht auf Ihren Vorschlag eingegangen. Das ist mein gutes Recht, schließlich bin ich der Boss.“

„Ich weiß.“

„Die meiste Zeit ignorieren Sie es. Warum also heute nicht?“

Sie antwortete nicht, sondern griff stattdessen nach Mantel und Handtasche und machte Anstalten zu gehen. Doch er hielt sie am Arm fest. Ihr Blick ging betont zu seiner Hand an ihrem Arm, dann sah sie in sein Gesicht. Und die Idee von einer Affäre mit ihr schoss ihm sofort wieder in den Kopf. Sie waren beide leidenschaftliche Menschen, zusammen würden sie wahrscheinlich sein Schlafzimmer in Brand stecken. Falls sie jemals lange genug nicht stritten, damit es überhaupt zu einem ersten Kuss kommen konnte.

„Bitte, ich möchte es wissen.“ Seltsam. Seit Kamila hatte es ihn nicht mehr interessiert, was eine Frau dachte und fühlte. Allerdings führte die Erinnerung an sie dazu, dass ihm der Rest dessen, was er noch sagen wollte, in seiner Kehle stecken blieb. „Wenn Sie unhöflich zu den Gästen sind, muss ich das wissen“, setzte er brummend hinzu.

„Ich bin nie unhöflich zu den Gästen“, wisperte sie.

„Also liegt es an mir.“

„Jedes Mal, wenn ich versuche, nett zu Ihnen zu sein, streiten Sie mit mir. Beim Lunch habe ich höflich einen Vorschlag gemacht, und es war ein guter Vorschlag.“

„Den ich mir genau angehört habe … bis Sie nicht aufhören wollten.“

„Und danach haben Sie Emory gesagt, dass Sie mich nicht haben wollen.“

Mit zusammengekniffenen Augen musterte er sie. „Solche Sachen sage ich ständig zu Emory. Ich muss Luft ablassen. Damit baue ich Stress ab.“

Dani schnaubte. „Vielleicht sollten Sie ein anderes Ventil finden.“

Er lachte, froh, dass die kecke Dani wieder zum Vorschein kam. „Und vielleicht sollten Sie mit dem Lauschen aufhören.“

Sie löste sich aus seinem Griff. „Ich habe nicht gelauscht. Sie haben so laut gebrüllt, dass jeder es hören konnte.“

Als sie sich dieses Mal zum Gehen wandte, hielt Rafe sie nicht auf. Trotzdem hatte er ein schlechtes Gewissen.

„Warten Sie!“

Sie war noch keine drei Schritte weit gekommen und blieb stehen.

„Sie haben recht, ich hätte nicht sagen sollen, dass ich Sie nicht haben will. Aber es stimmt, ich lasse ständig bei Emory Luft ab. Nur hört das meist niemand. Darum ist es auch nicht wichtig.“

Der Schein des Kaminfeuers strahlte in ihrem Rücken. „Wenn das eine Entschuldigung sein soll, dann ist es keine sehr gute.“

Nein, vermutlich nicht. „Warum hat es Sie so getroffen? Dahinter steckt sicher eine Geschichte, oder?“

„Natürlich gibt es eine Geschichte.“ Mehr sagte sie nicht.

„Wollen Sie sie mir nicht erzählen?“

„Damit Sie über mich lachen können?“

„Ich werde nicht lachen. Ich hatte gehofft, Sie erzählen es mir, damit ich nicht noch einmal ins Fettnäpfchen trete.“

„Wirklich?“

„Ich habe nicht die Angewohnheit. Leute aus Spaß zu beleidigen oder zu verletzen. Wenn ich meine Leute anbrülle, dann will ich damit nur das Beste aus ihnen herausholen. Aber bei Ihnen ist alles irgendwie anders.“ Er würde ihr nicht sagen, dass das Problem zum großen Teil an der Anziehungskraft lag, die er verspürte. Vielleicht sollte er den romantischen Aspekt ignorieren und schlicht versuchen, Freundschaft mit ihr zu schließen. „Vielleicht liegt es daran, dass Sie Amerikanerin sind. Auf jeden Fall möchte ich Sie nicht noch einmal verletzen. Kommen Sie, trinken wir einen Wein zusammen und unterhalten uns. Und Sie erzählen mir, was Sie so aufwühlt.“

Und so erzählte Daniella tatsächlich stockend von ihrer Kindheit und dem Pflegesystem in Amerika, in dem die Pflegeeltern das Recht haben, das Kind wieder zurückzugeben, wenn es in der Familie aus irgendeinem Grund nicht klappte. Bei ihrer Erzählung bildete sich ein Knoten in Rafes Magen. Er stellte sich ein kleines blondes Mädchen vor, das von Familie zu Familie gereicht wurde, weil irgendjemand das Kind „nicht wollte“. Jetzt verstand er, weshalb sein Ausbruch sie so getroffen hatte.

„Es tut mir wirklich leid, dass ich das gesagt habe“, meinte er zerknirscht.

Sie nippte an ihrem Glas. „Im Moment komme ich mir ziemlich albern vor. Sie sind ein Griesgram. Ein Perfektionist, der jeden anbrüllt, wenn es nicht läuft, wie es soll. Mir hätte klar sein müssen, dass Sie nur Luft ablassen. Also muss ich mich eigentlich entschuldigen.“

„Ihnen ist bewusst, dass Sie mich gerade einen Griesgram genannt haben?“

Sie trank noch einen Schluck. „Und einen Perfektionisten.“ Dani blickte ihm in die Augen. „Und Sie sind nicht beleidigt.“

Er lachte, und als sie lächelte, verspürte er eine seltsame Sehnsucht. Seit Jahren schon begnügte er sich mit One-Night-Stands, aber Dani ließ ihn sich nach einer echten Beziehung sehnen. Für sie war er nicht Chef Rafe. Sie behandelte ihn nicht wie ihren Boss …

Vielleicht, weil sie ähnlich fühlt wie ich?

„Erzählen Sie mir mehr von sich“, forderte er sie auf.

„Von meinem Leben?“

„Von allem, was Sie wollen.“

Mit einem leisen Klirren setzte sie ihr Glas ab. Ihr war nicht klar gewesen, wie sehr sie sich eine Entschuldigung von ihm gewünscht hatte. Und jetzt bat er sie, von sich zu erzählen. Worüber kann ich freimütig sprechen? Was sollte ich zurückhalten? Wieso will er es überhaupt wissen? Und warum sehne ich mich danach, mit ihm zu reden?

Rafe ließ sie Dinge fühlen, die sie bisher nie empfunden hatte. Wie gern würde sie die Finger in seinem Haar vergraben und mit den seidigen Strähnen spielen. Wie es wohl aussah, wenn es beim Sex sein Gesicht umrahmte?

Streng ermahnte sie sich, dass zu Hause jemand auf sie wartete. Außerdem war Rafe nicht unbedingt der angenehmste Zeitgenosse. Er war barsch, unbeherrscht und geradezu brutal ehrlich. Aber vielleicht war es ja genau das, was sie reizte? Weil sie offen mit jemandem reden wollte? Wissen wollte, woran sie war?

„Ich hatte eine schöne Kindheit“, brach er schließlich das lastende Schweigen. „Schon als kleiner Junge hat Kochen mich fasziniert.“

Dani lachte, fragte sich aber insgeheim, warum sie das Schicksal in Versuchung führte. Sie sollte aufstehen und gehen. Vielleicht war sie nicht offiziell verlobt, aber auf jeden Fall knapp davor. So gern sie Rafe auch küssen würde … Paul stand für Stabilität, und Stabilität war das, was sie brauchte.

„Meine Eltern waren zwar nicht begeistert, aber da ich auch Fußball spielte und mit meinem jüngeren Bruder kämpfte, haben sie sich zumindest keine Sorgen gemacht.“

„Sie lassen Kindheit wunderbar klingen.“

„Das war nicht beabsichtigt.“

„Es kränkt oder verletzt mich nicht, so etwas zu hören. Ich war nie eifersüchtig, wenn andere ein gutes Leben hatten. Und nachdem Rosa mich zu sich geholt hat, hatte ich ja auch ein gutes Leben.“

„Wie alt waren Sie da?“

„Sechzehn.“

„Mutig von ihr.“

„Sprechen Sie aus Erfahrung?“

„Sagen wir schlicht, ich war nicht ganz leicht zu zähmen.“

Wenn sie ihn so ansah, mit den schimmernden grauen Augen und dem welligen Haar, konnte sie sich gut vorstellen, dass einige Frauen es zumindest versucht hatten. Dennoch widerstand sie der Versuchung, mit ihm zu flirten. „Ich war eigentlich kein schwieriger Teenager, sondern einfach nur verloren.“

„Jetzt scheinen Sie auch ein wenig verloren zu sein.“

Sie hatte nicht sein Mitleid gesucht, sondern einfach nur die Unterhaltung auf sicherem Boden halten wollen. „Sie werden mich jetzt doch hoffentlich nicht bemitleiden, oder?“

„Nein, keinesfalls. Wenn Sie noch immer verloren sind, ist das Ihre eigene Schuld. Jetzt müssen Sie sich selbst darum kümmern.“

„Genau das sage ich auch immer.“

Er hob sein Glas. „Auf uns. Auf zwei Menschen, die ihren eigenen Weg gefunden haben.“

Sie stieß mit ihm an, und dann tranken sie schweigend ihren Wein aus. Wäre Dani frei, hätte sie vermutlich mit ihm geflirtet, so aber wurde die Stille drückend.

Wieder griff sie nach Mantel und Tasche. „Ich denke, ich sollte jetzt gehen.“

Auch er stand auf. „Ich begleite Sie zu Ihrem Auto.“

Seite an Seite schlenderten sie über den Bürgersteig. Bei ihrem Wagen angekommen, drehte Dani sich lächelnd zu ihm. „Danke fürs Zuhören. Das hat geholfen.“

„Danke, dass Sie mit mir geredet haben. Gegen ein wenig Hektik im Restaurant habe ich nichts, im Gegenteil, aber ich möchte keine schlechte Stimmung aufkommen lassen.“

Sie sah in seine Augen und erkannte echte Wärme darin. „Das heißt also, Sie brüllen nur, um die Hektik zu kreieren, die Sie brauchen?“

„Sie stellen mich ja als Kontrollfreak hin.“

„Das sind Sie doch auch.“

Er lachte. „Ich weiß.“

Sie sahen einander so lange in die Augen, dass Danis Herz wild zu pochen begann. Sie versuchte, den Blickkontakt zu brechen, und schaffte es nicht. Sekunden verstrichen – und Rafe neigte den Kopf und küsste sie.

Hitze schwappte über ihr zusammen wie eine Welle. Wie von selbst glitten ihre Hände zu seinen Schultern und weiter zu seinem Nacken. Sein langes Haar kitzelte ihre Fingerknöchel. Als ihr Kuss intensiver wurde und sie den Mund öffnete, schmeckte sie den Wein, und es berauschte sie. Bebend drängte sie sich an ihn, etwas so Mächtiges hatte sie noch nie gefühlt. Seine Hände strichen über ihren Rücken, hinunter zum Po, und in diesem Augenblick holte die Realität sie ein.

Warum küsse ich hier einen anderen Mann, wenn in New York ein Mann mit einem Heiratsantrag auf mich wartet?

5. KAPITEL

Nichts hatte Rafe darauf vorbereitet. Er sagte sich, dass es für einen erfahrenen Mann völlig absurd war zu glauben, ein simpler Kuss würde einen Unterschied machen. Doch kaum dass er Danis Lippen mit seinen berührte, explodierte pures Verlangen in ihm. Sie war keine schwache Frau, sondern stark, lebendig, voller Energie. Und sie küsste wie eine Frau, die nach der Berührung eines Mannes hungerte.

Prompt lag die Idee mit der Affäre wieder auf dem Tisch.

Doch urplötzlich riss sie sich von ihm los. „Sie können mich nicht so einfach küssen!“

Lächelnd lehnte er sich gegen den alten Wagen. „Habe ich gerade getan.“

„Das sollten Sie aber nicht.“

„Weil wir zusammenarbeiten?“ Er winkte ab. „Ihr Amerikaner mit euren puritanischen Regeln.“

„Sie halten nichts von Regeln? Und wie sieht es mit Versprechen aus? Ich bin nämlich verlobt.“

Das Verlangen, das ihn mitgerissen hatte, erkaltete schlagartig, und es ärgerte ihn, dass sie ihn zum Narren gehalten hatte. Ehrlicherweise war es wohl eher seine eigene Dummheit, die an ihm nagte. Natürlich. Warum auch sollte zu Hause kein Mann auf eine hübsche, temperamentvolle Frau wie Dani warten? „Ich verstehe.“

Sie strauchelte mehrere Schritte zurück. „Ich wollte Sie nicht an der Nase herumführen … ich meine, ich habe Sie auch nicht an der Nase herumgeführt. Wir haben uns unterhalten wie Freunde.“

Er stieß sich vom Auto ab. „Ja, nicht wahr?“

„Warum haben Sie mich dann geküsst?“

Er hob eine Schulter, zog die Wagentür auf. „Es fühlte sich einfach richtig an. Steigen Sie schon ein und fahren Sie nach Hause. Ich will nicht, dass Sie morgen im Restaurant wie ein verschrecktes Mäuschen herumhuschen und mir aus dem Weg gehen. Zwischen uns ist alles in Ordnung, tun wir einfach so, als hätte es diesen kleinen Kuss nie gegeben.“

Zu Fuß kehrte Rafe zu seiner Wohnung zurück. Im Lift schlug er mit der Faust gegen die Kabinenwand. Er wusste nicht, ob er wütend war, weil er Dani geküsst hatte oder weil sie vergeben war. Er sagte sich, dass es ihm egal sein sollte. Hätten sie eine Affäre gehabt, wäre es so oder so nur eine kurze gewesen, denn sie fuhr ja wieder zurück nach Amerika. Und selbst wenn nicht … Er ließ sich nicht auf Beziehungen ein, schließlich hatte er bereits einmal erfahren, wie hoch der Preis dafür war. Und ein zweites Mal würde ihm das ganz sicher nicht passieren.

Am nächsten Tag vollbrachte Rafe seine kleinen Wunder in der Küche, überzeugt, dass Danis Anziehungskraft nach den Worten „Ich bin verlobt“ komplett gestorben war. Nein, er wartete nicht gespannt darauf, dass sie zur Arbeit kam, sah nicht ständig zur Tür und fragte sich auch nicht, ob es ihr gut ging oder sie wütend und bedrückt war. Und erst recht nicht überlegte er, welche Speisen er speziell für sie zubereiten konnte, um ihre Augen aufleuchten zu sehen.

Verdammt. Warum denke ich ständig an eine Frau, die vergeben ist?

Er ging durch den Speisesaal, kontrollierte die Tische, stieß die Fensterläden auf. Es sollte ihm gleich sein, dass sie noch nicht hier war, natürlich abgesehen davon, was es für sein Restaurant bedeutete, falls sie zu spät kam. Daher hätte er fast geflucht, als er ihr perlendes Lachen hörte. Da er am hintersten Ende des großen Raums stand, hatte sie ihn wahrscheinlich nicht gesehen, als sie mit Allegra und Gio hereinkam. Ganz offensichtlich hatte der Kuss sie lange nicht so aufgewühlt wie ihn.

Auf dem Weg zurück in die Küche rieb Rafe sich den Nacken und fragte sich, wer sich da gestern Abend wem anvertraut hatte.

Emory wedelte ihm mit einem Blatt Papier entgegen. „Ich habe einen Schichtplan für Daniella aufgestellt und ihr montags und dienstags freigegeben, damit sie sich die Gegend ansehen kann.“

Bemüht konzentrierte Rafe sich auf das Wesentliche. „Wer kümmert sich an den Tagen um die Gäste?“

„Allegra hat um mehr Schichten gebeten. Sie wird sich gut machen, bis wir, wie Daniella vorgeschlagen hat, zwei Leute einstellen, die für die Gäste zuständig sind.“

„Na großartig! Vielleicht solltest du ab jetzt das Personal anheuern und einteilen“, giftete Rafe.

Emory lachte nur. „Das war eine Ausnahme, um Daniella einen Gefallen zu tun. Ich bin kein Manager, sondern Koch, selbst wenn ich hier an zweiter Stelle stehe. Um genau zu sein … du bist derjenige, der ihr den Plan übergeben wird.“

Rafe ignorierte, dass sein Herz bei der Aussicht, ihr gegenüber zu stehen, härter schlug. Er riss Emory den Plan aus der Hand und stürmte in den Saal.

Ihre Blicke trafen sich. Sie hatten sich unterhalten. Sie hatten sich geküsst. Aber sie gehörte einem anderen. Jegliche Verbindung musste abgebrochen werden.

Er begann damit, dass er den Blickkontakt abbrach und sich auf die Suche nach Allegra machte. „Emory hat mir gesagt, dass Sie mehr Schichten übernehmen wollen und bereit sind, an Danis freien Tagen den Empfang zu übernehmen.“

Allegras Augen leuchten auf. „Sì.“

„Gut, dann stehen Sie montags und dienstags am Empfang.“ Er spürte Danis Blick auf sich liegen und lief rot an wie ein Schuljunge. Lächerlich!

Also setzte er ein geschäftsmäßiges Lächeln auf und ging zu ihr, um ihr das Blatt auszuhändigen. „Sie hatten um einen Schichtplan gebeten. Hier ist er.“

Langsam hob sie den Blick. „Danke.“

Die Geräusche im Restaurant erreichten Rafe nur noch wie aus weiter Ferne. Die Erinnerung an jedes kleine Detail des Kusses stürzte auf ihn ein, zusammen mit der Enttäuschung, dass der erste Kuss auch der letzte gewesen war. Warum denke ich noch immer daran? Jetzt, da er wusste, dass sie tabu war, sollte er es vergessen und weitermachen wie bisher. „Sie wollten freie Tage haben, jetzt haben Sie sie.“

Damit drehte er sich um und verschwand in der Küche, stolz, dass er sich wie immer anhörte. Verflucht, alles ist wie immer. Ich bin wie immer. Weder ein Kuss noch eine Frau würden ihn ändern.

Die Lunchzeit begann und hielt ihn vollauf beschäftigt. Menü nach Menü verließ die Küche, und plötzlich schoss Rafe völlig unerwartet ein Gedanke in den Kopf. Er erinnerte sich an etwas, das Dani gesagt hatte.

Zum Lunch aß er nie mehrere Gänge, ihm reichten eine Suppe, ein leichtes Gericht oder ein Salat. Hatte sie etwa recht mit ihrem Vorschlag?

Während ihrer gesamten Schicht spürte Dani einen schier unerträglichen Druck auf der Brust. Jedes Mal, wenn Rafe aus der Küche kam, wurden die Bilder von dem Kuss wieder lebendig. Dieser wunderbare Moment gestern Abend war getrübt worden von der Erkenntnis, dass zu Hause ein Mann mit einem Heiratsantrag auf ihre Antwort wartete. Und ich habe einen anderen geküsst. Und was für ein Kuss das gewesen war. Die Art Kuss, in dem eine Frau sich verlieren konnte. Die Art Kuss, die sie mitreißen würde … wäre sie nicht bereits vergeben.

Nach dem Lunchbetrieb fuhr Dani zur Villa, von wo sie um fünf zu ihrer Schicht ins Restaurant zurückkehrte. Es herrschte so viel Betrieb, dass Rafe die ganze Zeit über in der Küche blieb, wofür Dani dankbar war. Als er sie am Ende des Abends um ein Gespräch bat, lief ihr ein kleiner Schauer über den Rücken.

Sie glaubte nicht, dass er sie feuern wollte, schließlich hatte er ihr heute einen Schichtplan überreicht. Küssen würde er sie auch nicht noch einmal, denn er respektierte die Tatsache, dass es einen anderen Mann gab, selbst wenn sie die Wahrheit etwas überdehnt hatte. Aber ihr Leben war auch so schon kompliziert genug, da musste sie es nicht mit einem kurzfristigen Flirt noch komplizierter machen. Dani konnte sich nicht vorstellen, worüber Rafe mit ihr sprechen wollte, war aber entschlossen, sich nicht nervös machen zu lassen.

Als er aus der Küche kam, bedeutete er ihr, sich an die Bar zu setzen, und schenkte zwei Gläser Wein ein.

Sie nippte daran und lächelte. „Der ist gut.“

„Chianti.“

Sie beobachtete, wie das Licht in die rote Flüssigkeit fiel, holte Luft und sah Rafe an. „Sie wollten mit mir sprechen?“

„Heute beim Lunch ist mir aufgegangen, was Sie mit den vielen Gängen meinten.“

Seine Antwort beruhigte sie so weit, dass sie sich entspannte. „So?“

„Ja, wir sollten neben der normalen Speisekarte auch eine Lunch-Karte anbieten.“

„Sie werden meinen Vorschlag tatsächlich berücksichtigen?“

Er hielt ihren Blick gefangen. „Sie sind nicht dumm, Dani, und das wissen Sie auch. Ich möchte, dass Sie mit mir eine Karte zusammenstellen.“

Ihr Puls ging schneller. „Wirklich?“

„Ja, wirklich. Schließlich war es Ihr Vorschlag, da sollten Sie auch ein Mitspracherecht haben.“

Sie konnte nicht anders, sie lachte.

„Was ist so lustig daran?“ Fassungslos kniff er die Augen zusammen.

Bevor sie antwortete, trank sie noch einen Schluck Wein. Sollte er ruhig ein wenig schmoren. „Sie sind also gar nicht der große böse Wolf, wie Sie jeden glauben machen wollen“, erbarmte sie sich schließlich.

Mit dem Daumen rieb Rafe sich übers Kinn, während er nachdenklich in die Leere starrte. Sein Gesicht war klassisch schön, so absolut perfekt …

„Ich sperre mich nicht gegen Vorschläge, wenn sie den Restaurantbetrieb verbessern. Fragen Sie Emory. Er hat hier mehr zu sagen, als Sie ahnen.“

Sie lächelte. Warum hielt er so beharrlich an seinem „Unbeherrschter Boss“-Image fest? „Ich behaupte dennoch, dass Sie gar nicht so schlimm sind.“

Der Wunsch, mit ihr zu flirten und sie zu verführen, befiel ihn mit aller Macht. Aber sie war vermutlich zu naiv, um zu erkennen, dass ihre Kommentare zu seiner Arbeit auch anders, und zwar als Flirten aufgefasst werden könnten.

„Sie sollten vorsichtiger sein mit dem, was Sie von sich geben, kleine Dani. Ich bin schlimm und ganz bestimmt kein Gentleman. Wenn Sie Ihre Verlobung nicht respektieren, sehe ich das als Freibrief für mich an, das zu tun, was ich möchte. Sie können keinen Verlobten zu Hause sitzen haben und dann hier ungeniert flirten.“

Verdutzt riss sie die Augen auf, doch er ließ ihr keine Zeit zu einer Entgegnung, sondern griff nach Block und Bleistift. „Also … was gehört Ihrer Meinung nach auf diese Lunch-Karte?“

Sie leckte sich über die Lippen, konzentrierte sich auf die Aufgabe. „Antipasti und Minestrone. Natürlich. Salat, verschiedene Sandwichs, zum Beispiel Club- und Truthahn. Und Hamburger.“

Mit Ausnahme der Hamburger – schon allein bei der Erwähnung krümmte er sich – stimmte Rafe ihr zu. „Natürlich setze ich allem meinen Stempel auf und nutze die Zutaten, die so oder so in der Küche vorhanden sind. Heute ändere ich die Karte. Morgen können wir loslegen.“

Mit offenem Mund starrte sie ihn an. „Morgen schon?“

Er stand vom Barhocker auf. „Warum warten, wenn eine Idee gut ist? Gehen Sie nach Hause. Wir sehen uns morgen.“

Er ging in die Küche und Dani zum Ausgang. Ganz gleich, wie sehr er sich auch zusammennahm, das Gefühl von Enttäuschung ließ sich nicht unterdrücken. Es wäre nett gewesen, wenigstens den Wein zusammen zu Ende zu trinken.

Aber das konnte er nicht riskieren.

Mit hämmerndem Puls ging Dani zu ihrem Wagen. Sie und Rafe mochten eine normale Unterhaltung geführt haben, sie mochte das Restaurant auch mit dem Eindruck verlassen haben, dass zwischen ihnen alles wieder normal war, aber … sie konnte seine Bemerkung, dass er kein Gentleman sei, nicht vergessen. Das sollte sie ängstigen, stattdessen reizte es sie nur umso mehr. Noch nie hatte sie sich zu einem Mann hingezogen gefühlt, der ganz offensichtlich der Falsche für sie war. Ein Mann, mit dem es keine Zukunft geben konnte. Sie suchte nach Sicherheit und Stabilität, und Rafe strahlte nichts als pure Gefahr aus.

Weshalb also schien er ihr wie die personifizierte Versuchung?

Als sie in der heruntergekommenen Villa ankam, saß Louisa mit einer Tasse Tee in der Küche und lächelte ihr entgegen.

„Möchtest du auch einen Tee?“ Louisas Lächeln erlosch, als sie sah, wie aufgewühlt ihre Freundin war. „Was ist denn los?“

„Rafe und ich hatten ein Gespräch, nachdem die anderen gegangen waren.“

„Hat er dich gefeuert?“

„Fast denke ich, dass mir das lieber gewesen wäre.“

Louisa lachte. „Jetzt weiß ich, dass du auf jeden Fall eine Tasse Tee brauchst.“ Sie stand auf und holte eine zweite Tasse aus dem Schrank. „Worum ging es denn?“

„Er hat mich gewarnt, dass ich vorsichtig sein soll, in welche Richtung ich unsere Gespräche lenke. Er meint, dass ich mit ihm flirte.“

Mit großen Augen drehte Louisa sich um. „Und? Tust du das?“

Dani presste die Lippen zusammen. „Zumindest nicht absichtlich. Du weißt doch, dass ich einen Verlobten habe.“

„Dann wirst du wohl dein Verhalten gegenüber Rafe ändern müssen. Behandle ihn wie den Boss, höflich und mit gebührendem Respekt. Halte dich mehr an die anderen vom Personal und fern von ihm.“

Am nächsten Tag lagen fünfundzwanzig in Leder gebundene, neue Lunch-Karten auf Danis Empfangstresen. Mit dem Stapel unter dem Arm ging sie sofort in die Küche, ihr begeistertes Lächeln strahlte wie der Sonnenschein persönlich. „Die sind ja großartig geworden!“

Rafe nickte und achtete auf Abstand zu ihr. „Wie ich gestern schon sagte: Hier geht’s ums Geschäft. Und wenn Ideen gut sind, werden sie auch sofort umgesetzt.“

„Wir sind immer dankbar für gute Ideen. Wenn Sie also noch mehr davon haben …“ Emory lächelte ihr zu.

„Pah!“, schnaubte Rafe nur und machte sich wieder an seine Arbeit. Allerdings bemerkte er noch aus den Augenwinkeln, wie sein Souschef Dani zublinzelte. Es sollte ihm ein Trost sein, dass auch Emory ihrem Charme erlegen war. Aber das war wohl anders geartet. Emory mochte Dani als Person, während er mit ihr schlafen wollte. Aber solange er sich vor Augen hielt, dass dieser Wunsch falsch und sie tabu war, konnte er seine Gelüste auch kontrollieren.

Die Kundschaft nahm die neue Lunch-Karte mit Begeisterung auf. Dani leitete alle Kommentare und Komplimente an Rafe weiter, dennoch war sie es, der das Rampenlicht galt. Die Gäste liebten sie. Das Personal wandte sich mit jeder kleinen Frage an sie. Wenn sie lächelte, schien der ganze Saal heller zu werden, und ihr Lachen schwebte wie Frühlingslicht durch die Luft. Rafe war endlos erleichtert, als sie sich am Abend verabschiedete. Endlich konnte er sich entspannen.

Als er Montagmorgen ins Restaurant kam, atmete er tief den Duft ein, der ihn empfing. Das hier war sein Zuhause, und heute würde ein guter Tag werden, denn es war Danis freier Tag. Zwei volle Tage konnte er gelassen bleiben und musste nicht auf jedes Wort und jede Geste achten und auch nicht ständig seinen Hormonen die Zügel anlegen. Außerdem war es viel leichter, sie als Angestellte zu sehen, wenn sie freie Tage hatte.

Vielleicht machte Allegra sich ja so gut als leitende Oberkellnerin, dass er Dani weniger Schichten zuteilen konnte. Das hatte nichts mit Selbstschutz zu tun, sondern allein mit dem Geschäft. Er war schließlich der Boss. Das würde die Atmosphäre im Restaurant wieder normalisieren.

Emory führte die Aufsicht in der Küche, und so hatte Rafe Zeit, zwei ältere Herren zu interviewen, die sich für die Position als Maître d’hôtel bewarben. Keiner der beiden war richtig für die Stelle, aber immerhin konnte Rafe sich so sagen, dass er dabei war, Ersatz für sie zu finden. Heute Nachmittag hatte er noch einen Termin, und morgen wollten sich weitere Kandidaten vorstellen. Er konnte Dani also bald ersetzen.

Allegra kam pünktlich und nahm ihre Position hinter dem Empfang ein. Da es warm war, öffnete Rafe die Fenster und ließ frische Luft ins Haus, und die Welt war wieder in bester Ordnung.

Bis ungefähr eine Stunde später klapperndes Getöse vom Speisesaal bis in die Küche drang. Rafe legte sein Messer ab und stürmte zur Küche hinaus. Gio hatte ein Tablett fallen lassen, weil Allegra sie angerempelt hatte.

„Jeden Tag navigiert ihr mit vollen Tabletts umeinander herum, und heute könnt ihr das nicht?“ Frustriert warf er die Hände in die Luft.

Allegra half dabei, die Scherben aufzuheben. „Es tut mir so leid. Ich bin einfach nervös. Ich hatte mit den Gästen gesprochen und nicht aufgepasst, wohin ich gehe.“

„Pah! Nervös. Konzentriert euch gefälligst.“

Wieder in der Küche, schickte Rafe einen der Lehrlinge in den Saal, um die Reste des Missgeschicks zu beseitigen, und bald lief wieder alles normal.

Nur … die Gäste waren nicht begeistert von Allegra. Sie war nett, aber nicht lustig. Sie plauderte nicht gern. Und als Italienerin sah sie Land und Leute eben nicht mit der gleichen Begeisterung wie Dani.

Ein Gast fragte sogar nach Dani, weil er unbedingt über seine Eindrücke von Florenz mit ihr plaudern wollte.

„Sie hat ihre zwei freien Tage, ab Mittwoch arbeitet sie wieder“, erklärte Rafe und kämpfte mit sich, um die Vorfreude im Zaum zu halten. Vergeblich.

Nur wenige Stunden war sie nicht hier, und schon fehlte sie ihm.

6. KAPITEL

Furchtbar, wie sehr sie ihn vermisste.

Die Notizen ihrer Pflegemutter hatten ihr bei der Suche nach deren Familie nicht sehr geholfen. Aber immerhin hatte Dani sich langsam vorgearbeitet und mit Leuten gesprochen, die Leute kannten, die wiederum Leute kannten, die ihr eventuell weiterhelfen konnten …

Sie fragte sich, wie Rafe die Situation wohl angehen würde. Vor allem dachte sie immer wieder an den Kuss. Und das bereitete ihr echte Sorgen. Denn an Pauls ersten Kuss konnte sie sich nicht erinnern, sosehr sie sich auch bemühte.

Der solide Paul hatte sie aber auch nie so geküsst, wie Rafe sie geküsst hatte. Dafür hatte er andere Qualitäten, die Rafe fehlten. Stabilität stand ganz oben auf der Liste. Paul war Buchhalter, solider ging es wohl nicht. Und Stabilität war nun einmal das, was Dani suchte. Von Abwechslung hatte sie in ihrer Kindheit mehr als genug gehabt.

Als sie Paul gestern Abend angerufen hatte, hatte er sie als Erstes gefragt, wann sie zurückkam. Das war vermutlich das Romantischste, was er ihr je gesagt hatte. Allerdings hatte er das Gespräch sehr kurz gehalten, weil er bereits im Büro saß. Er hatte nur noch gesagt, sie solle anrufen, wenn sie wieder zu Hause sei.

Zu Hause? Wollte er sie denn nicht vom Flughafen abholen? Nach über einem halben Jahr, in dem sie sich nicht gesehen hatten? Dani stellte sich vor, wie Rafe reagieren würde, wenn er seine Fast-Verlobte ein halbes Jahr lang nicht gesehen hätte. Sicher würde er ungeduldig vor dem Gate warten, seine Fast-Verlobte in die Arme reißen und sie küssen, bis sie nicht mehr klar denken konnte.

Sie kniff die Augen fest zusammen und holte tief Luft. Nein, das sollte sie sich nicht vorstellen. Es war nicht fair, Paul und Rafe miteinander zu vergleichen, wenn es um Leidenschaft ging. Der arme Paul hatte da nicht die geringste Chance. Außerdem hatte ihr Interesse an Rafe vor allem damit zu tun, dass sie in seinem Restaurant arbeitete und dort Anerkennung fand. Das Gefühl, gebraucht zu werden, war für ein ehemaliges Pflegekind mehr wert als Gold.

Etwas anderes war es nicht. Und vielleicht noch die Tatsache, dass Rafe wirklich gut aussah.

Nein, ich will ihn nicht. Ich brauche jemanden wie Paul.

So richtig das auch sein mochte. Etwas daran behagte ihr nicht. Sie musste daran denken, dass Paul sie nicht vom Flughafen abholen wollte, sondern ihr gesagt hatte, sie solle ein Taxi nehmen. Und dass er kaum zwei Minuten mit ihr gesprochen hatte.

Dani versuchte zu lesen, besprach mit Louisa die Reparaturliste für das Haus, bekam aber mehr und mehr das Gefühl, dass sie dringend andere Eindrücke brauchte, weil sie sonst noch verrückt wurde.

Darum erklärte sie Louisa, dass sie in die Stadt fahren würde.

Unruhig und rastlos wie Rafe war, fürchtete er, dass er ein Gericht völlig verbocken und seine Gäste enttäuschen könnte. So übergab er Emory an diesem Abend die Küche.

„Es sieht dir gar nicht ähnlich, so früh zu gehen.“

„Es ist schon acht.“ Rafe warf sich den schwarzen Wintermantel über. „Vielleicht bin ich einfach nur müde und brauche eine Pause.“

Emory lächelte. „Ah, brauchst du jetzt auch freie Tage, so wie Dani?“

Auf diesen Seitenhieb sprang Rafe gar nicht erst an, er ging schlicht zur Hintertür. „Wir sehen uns morgen“

Als er durch die Stadt fuhr, sah er Danis altes Auto vor der Taverne stehen. Sie schien ihm nicht der Typ, der oft in Kneipen und Bars ging. Das letzte Mal hatte sie hier gesessen, weil er sie beleidigt hatte. Hatte sie wieder etwas aus dem Gleichgewicht gebracht?

Kurz entschlossen parkte er seinen SUV und betrat das Lokal. Dani saß an demselben Tisch wie beim letzten Mal.

Er ging zu ihr. Sie sah zu ihm auf. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, setzte Rafe sich ihr gegenüber.

„So verbringen Sie also Ihre freien Tage?“

Sie schüttelte nur den Kopf. „Kommen Sie mir nicht so.“

Er hatte nicht streitlustig klingen wollen. Aber genau das war ihr Problem, oder? Entweder sie stritten sich, oder sie gierten nacheinander, einen Mittelweg gab es nicht. Falsch war beides, denn er war ihr Chef, und sie war verlobt.

Der Wirt kam an den Tisch. „Wollen Sie wieder eine Flasche von dem Wein?“

Rafe schüttelte den Kopf. „Ich nehme ein Bier vom Fass.“ Er deutete auf Danis Glas. „Und für die Dame noch mal das Gleiche.“

Als der Wirt zur Bar zurückging, sagte Dani: „Sie müssen mir kein Bier ausgeben.“

„Eine freundliche Geste, mehr nicht. Wir sollten ein gewisses Gleichgewicht finden.“ Er war das Streiten leid, genau wie die Fantasien über sie. Am besten bauten sie eine lockere Freundschaft auf, dann könnte er sie sehen wie jeden anderen auch – und nicht als etwas Besonderes.

„Ein Gleichgewicht?“

Er lehnte sich in den Stuhl zurück. „Entweder wir beichten einander private Dinge, wie Liebespaare es tun, oder wir streiten uns.“

Verlegen drehte sie ihr Glas zwischen den Fingern. „Stimmt.“

„Und darum trinken wir jetzt ein Bier zusammen, reden über Harmloses, und wenn Sie am Mittwoch wieder zum Dienst antreten, können wir ganz gelassen bleiben.“ Er lächelte. „Also, erzählen Sie mir, was Sie heute alles unternommen haben.“

„Ich bin in die Stadt gefahren, wo die Verwandten meiner Pflegemutter leben sollen.“

Das Bier kam, und er trank einen Schluck. „Haben Sie sie gefunden?“

„Noch nicht. Aber das werde ich noch.“

Ihr Blick traf auf seinen, und Sehnsucht und Verlangen überfluteten ihn. Er ignorierte beides, schließlich hatte er eine Mission – den Mittelweg finden, damit sie koexistieren konnten.

„Und was haben Sie heute gemacht?“

„Eine Lasagne zubereitet, für die meine Gäste morden würden.“

Sie lachte. „Übertreiben Sie da nicht etwas?“

„Das hat nichts mit Übertreiben zu tun, sondern mit Gewissheit.“

„Aha.“

„Halten Sie nichts von Gewissheit?“

Sie studierte sein schönes Gesicht. „Vielleicht bin ich einfach nicht so überzeugt wie Sie.“

„Warum nicht? Ich liebe es, zu kochen und die Menschen glücklich zu machen, sie mit etwas ganz Köstlichem zu überraschen. Und ich habe lange von der Pike auf gelernt, bei den Besten.“

Sie legte den Kopf leicht schief. „Also halten Sie sich nicht für den Besten von allen?“

Er lachte. „Wie kommen Sie denn darauf?“

„Nun, Sie sind ziemlich arrogant.“

„Arrogant … selbstsicher … wen interessiert das schon, solange das Ergebnis gut ist?“

„Ja, vermutlich.“

„Ich weiß es.“ Er trank noch einen Schluck Bier und beobachtete, wie sie ihr erstes, noch fast volles Glas beiseite stellte. Es musste warm geworden sein. „Sie sind keine große Biertrinkerin, oder?“

„Nein.“

„Was sind Sie dann?“

„So schließen Sie also Freundschaften? Tausend Fragen?“

„Man redet miteinander, ja, erkundigt sich über den anderen.“

„Ich dachte immer, gemeinsame Erfahrungen festigen Freundschaften.“

„Dafür haben wir keine Zeit. Wenn wir bis Mittwoch Freunde sein wollen, müssen wir die Abkürzung nehmen.“ Als sie noch immer nichts sagte, unternahm er einen neuen Ansatz. „Unterrichten Sie gern?“

„Ich bin eine gute Lehrerin.“

„Aber es erfüllt Sie nicht, macht Sie nicht glücklich?“

„Ich weiß nicht, ob die Menschen unbedingt glücklich sein müssen.“

Eine solche Antwort hatte er von seiner quirligen Angestellten nicht erwartet. „Meinen Sie das ernst?“

„Ja.“ Sie hielt seinem Blick stand. „Ich finde, es geht eher darum, zufrieden zu sein. Aber glücklich? Das ist seltenen, großen Ereignissen vorbehalten. Und vielleicht noch dem Urlaub.“

Für volle dreißig Sekunden wünschte er, sie würde in Italien bleiben. Dann würde er ihr die Grundregeln des Kochens beibringen, sie zum Lachen bringen, ihr zeigen, was Glücklichsein bedeutete. Aber das war nicht die Mission, zu der er aufgebrochen war. „Und das von meiner lebenslustigen Angestellten?“

„Ich dachte, wir wollten nicht über die Arbeit reden?“

„Tun wir ja auch nicht. Wir reden über Sie.“

Sie hob ihr Glas. „Vielleicht ist es kein guter Zeitpunkt, über mich zu reden.“

Was nur weitere tausend Fragen in ihm aufwarf. Im Mancini’s war sie immer fröhlich. Und nach einem freien Tag bedrückt? Hieß das etwa, dass sie gern im Restaurant arbeitete? Eine Vorstellung, bei der sein Puls freudig schneller schlug. Möglichkeiten schossen ihm in den Kopf, an die er nicht denken sollte.

„Also gut, genug geredet. Versuchen wir es jetzt mit den gemeinsamen Erfahrungen.“ Mit dem Daumen zeigte Rafe hinter sich. „Spielen wir Darts. Spielen Sie zu Hause in New York Darts?“

Lachend schüttelte Dani den Kopf. „Nein, nie.“

„Perfekt. Sollen wir um Geld spielen?“

„Nein, nur für den Spaß.“

„Schade.“

Als sie spielten, begann sie, von ihrer Suche nach Rosas Familie zu erzählen. Sie entspannte sich, ihr Lächeln kehrte zurück. Und Rafe verdoppelte seine Anstrengungen, sie zum Lächeln zu bringen.

Dass Rafe sie gefunden hatte, war nichts Ungewöhnliches. Schließlich lebten sie in einem kleinen Städtchen, und so viele Möglichkeiten, nach der Arbeit noch auszugehen, gab es hier nicht. Also würde sie auf keinen Fall zu viel hineinlesen.

Beim Dartspiel war er freundlich und höflich, auf keinen Fall absichtlich sexy. Über gewisse Dinge hatte ein attraktiver Mann wie er eben keine Kontrolle. Darum achtete Dani auch nicht darauf, wie lässig sein Gang war, wenn er zu ihr kam, um ihr die Pfeile zu reichen, die er aus dem Board gezogen hatte. Und sein vergnügtes Lachen, wenn sie die Scheibe gar nicht erst traf, sollte sie garantiert auch nicht verführen. Vor allem dachte sie sich überhaupt nichts dabei, als er sich hinter sie stellte und ihren Arm mit seiner Hand führte, um ihr zu zeigen, wie man richtig zielte und warf.

Schließlich wollte er nur ihr Freund sein, mehr nicht.

Es wurde immer später, und sie lächelte ihn nach dem dritten Glas Bier fröhlich an. „Danke, das hat Spaß gemacht.“

Seine silbergrauen Augen forschten in ihrem Gesicht. „Sind Sie glücklich?“

Sie schüttelte lachend den Kopf, weil er einfach nicht von dem Thema lassen konnte. „Schon. Ja, es war ein lustiger Zeitvertreib.“

Er schnaubte nur und ging zum Tisch zurück, um seinen Mantel zu holen. „Jeder kann glücklich werden.“

Das glaubte Dani nicht. Sie war zufrieden mit ihrem Leben und mochte andere Menschen. Aber sie glaubte eben nicht, dass ihr Leben eine einzige, nie endende Party sein sollte. Nur wollte sie nicht mit ihm darüber debattieren oder gar streiten. Auch sie kam zum Tisch und zog ihren Mantel über.

„Ich bringe Sie noch zu Ihrem Wagen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Danke, das ist nicht nötig.“

Einen Moment musterte Rafe sie, dann nickte er knapp, und Dani verließ allein die Taverne.

Sie trat hinaus in eine Welt, in der ihr Verlobter sie nicht einmal vom Flughafen abholen wollte.

7. KAPITEL

Als Dani am Mittwoch zehn Minuten vor Beginn ihrer Schicht das Restaurant betrat, stand Rafe bei der Bar. Er drehte sich um, ihre Blicke trafen sich. Ihr Herz begann zu pochen, und sie ermahnte sich, daran zu denken, dass sie zwar einen schönen Abend zusammen verbracht hatten, aber eben nur als Freunde.

„Guten Morgen.“

Sie musste sich räuspern, bevor sie den Gruß erwidern konnte. „Guten Morgen.“

„Bei der Suche nach der Familie weitergekommen?“, erkundigte er sich.

„Nein, aber ich habe mit mehreren Nachbarn und Anwohnern gesprochen, die alle glauben, dass sie nach Rom gezogen sind. Angeblich hat eines der Kinder dort eine gute Stelle bekommen, und es scheint, dass die ganze Familie mitgezogen ist.“

„Wie schön. Eine Familie sollte zusammenbleiben.“

„Das finde ich auch.“

Dani stellte sich hinter ihren Tresen, Rafe ging in die Küche. Unwillkürlich musste sie daran denken, dass Paul sich mit keinem Wort nach dem Stand ihrer Suche erkundigt hatte, während Rafe sofort gefragt hatte. Gleichgültigkeit versus Interesse.

Rafe suchte nur Freundschaft, mehr nicht.

Dennoch war sie sich seiner Gegenwart den ganzen Tag über viel zu bewusst. Jedes Mal, wenn sie ihn an einen Tisch holte, prickelte ihre Haut am ganzen Körper.

Am Ende des Abends, als die anderen das Restaurant gerade verließen, stellte Rafe sich hinter die Theke und holte eine Flasche Chianti hervor. Den Wein, den er auch in der Taverne für sie beide bestellt hatte.

Prompt verspürte sie Sehnsucht. Dani blieb bei ihrem Empfangstresen stehen, Rafe sah nicht zu ihr, sondern hielt den Kopf über irgendwelche Notizen gebeugt. Aber ihr fiel auf, dass er ein zweites Glas auf die Bar gestellt hatte.

Sie kaute an ihrer Lippe. Zufall … oder eine Einladung? Sie wusste es nicht. Aber da die Dinge zwischen ihnen im Moment so gut liefen, wollte sie keinen Fehler machen, der ihr Verhältnis wieder trüben könnte.

Aber haben wir nicht beschlossen, Freunde zu sein? Und trinken Freunde nach einem Arbeitstag nicht gemütlich ein Glas Wein zusammen?

Einen Anlauf würde sie noch versuchen, wenn dann noch immer keine Einladung von ihm kam, würde sie nach Hause fahren.

„Gute Nacht“, rief sie ihm zu.

Er sah auf, zögerte eine Sekunde. „Gute Nacht“, erwiderte er dann.

So enttäuscht sie auch war, zwang sie sich doch zu einem Lächeln, verließ das Restaurant, ging zu ihrem Wagen, stieg ein … und legte die Stirn aufs Lenkrad.

Sie sehnte sich so danach, mit ihm zu reden, ihm von ihren Erlebnissen bei ihrer Suche nach Rosas Familie zu erzählen, ihn zu fragen, was in den zwei Tagen im Restaurant alles passiert war. Und sie wollte diesem verrückten Gefühl nachgeben, das er in ihr weckte. Lust oder Liebe oder Hormone, was immer das war. Wenn sie sich einredete, dass sie nur Freundschaft mit ihm suchte, so war das gelogen.

Ein leises Klopfen am Seitenfenster ließ sie abrupt den Kopf heben. Rafe. Hastig kurbelte sie das Fenster herunter.

„Sind Sie krank?“

Dani schüttelte den Kopf. Alles, was er tat und sagte, verwirrte sie. Und ihre eigenen Gefühle für ihn verwirrten sie noch mehr. Sie beschloss, sich an die Wahrheit zu halten. „Als ich Sie mit dem Wein hinter der Theke stehen sah, habe ich mich gefragt, ob das zweite Glas vielleicht für mich war. Sie haben gesagt, wir sollen Freunde sein.“

„Am Ende eines harten Tages trinke ich immer ein Glas Wein.“

„Oh.“ Also hätte sie einfach losfahren sollen, anstatt sich zur Närrin zu machen.

„Aber gegen Gesellschaft habe ich grundsätzlich nichts einzuwenden. Nur spanne ich anderen Männern nicht die Frauen aus.“

„Das wäre es ja auch nicht, wenn wir uns über die Arbeit unterhalten …“

„Der Abend war eine Ausnahme. Um einander etwas besser kennenzulernen … damit wir uns nicht ständig streiten.“

„Oh. Also sind wir gar keine echten Freunde.“

Er lachte, sah in den sternenübersäten Himmel. „Immerhin so weit, dass wir zusammenarbeiten können. Wenn Männer versuchen, ein echter Freund zu werden, dann nur, weil sie darauf hoffen, mit der Zeit auch zum Lover zu werden.“

Wie er das Wort Lover aussprach, brachte ihre Nervenenden zum Vibrieren und raubte ihr den Atem.

Er hielt ihren Blick gefangen. „Ich habe Sie schon einmal gewarnt, vorsichtig zu sein, Dani. Es kommt selten vor, dass ich mir nicht nehme, was ich will. Normalerweise würde ich mich in Ihr Leben drängen, aber Sie sind anders. Sie sind unschuldig.“

„Das mit dem ‚anders‘ gefällt mir … dass Sie dann noch das ‚unschuldig‘ angehängt haben, aber nicht.“

„Das sind Sie aber.“

„In gewisser Hinsicht vermutlich schon.“ Sie hielt frustriert die Hände vor sich. „Nur hört sich das bei Ihnen wie eine Krankheit an.“

„Nein, im Gegenteil. Männer suchen nach dieser Eigenschaft, wenn sie eine Frau behalten wollen.“

Ihr Herz stockte. „So?“

„Freuen Sie sich nicht zu früh. Ich bin kein Typ für feste Beziehungen. Ich halte es lieber kurz und unkompliziert. Ja, ich fühle mich zu Ihnen hingezogen, aber ich kenne mich. Meine Hingabe gehört meinem Restaurant. Es wird immer an erster Stelle stehen, vor jeder Frau. Was ich für Sie fühle, ist nicht richtig. Sosehr ich mir auch gewünscht habe, Sie würden ein Glas Wein mit mir trinken … gleichzeitig hoffte ich, Sie würden nicht herüberkommen. Ich will Sie nicht verletzen.“

„Wir hätten uns über das Restaurant unterhalten können.“

„Wie sehr Sie fehlen? So sehr, dass schon Gäste nach Ihnen fragen?“

Dani lachte. „Sehen Sie? Das sind doch alles harmlose Themen.“

„Dann wird es Ihnen sicher auch gefallen zu hören, dass Emory nach dem Erfolg mit Ihrer Lunch-Karte der Meinung ist, wir sollten Sie ermuntern, mehr Vorschläge einzubringen.“

Stolz erfüllte Dani und machte ihr Herz leicht. „Ich werde mein Bestes tun und mir etwas überlegen.“

Rafe sah wieder zu den Sternen. Das Gespräch war an sein Ende gekommen. Er stand hier im T-Shirt in der eisigen Nacht, sie saß in einem eisigen Auto, das längst warm wäre, hätte sie den Motor angelassen. Dennoch herrschte zwischen ihnen alles andere als Kälte, und Dani erkannte glasklar, dass sie sich beide etwas vormachten, wenn sie sich einbildeten, sie könnten nur Freunde sein.

Lächelnd sah Rafe sie an. „Gute Nacht, Dani.“ Er wartete nicht auf ihre Erwiderung, drehte sich um und ging ins Restaurant zurück.

Sie blieb noch sekundenlang sitzen, hatte Mühe zu atmen und wusste, dass Rafe recht hatte. Sie konnten keine Freunde sein, und auf eine kurze Affäre konnten sie sich auch nicht einlassen. Ich bin unschuldig, und er würde mich verletzen. Selbst wenn das mit ihrer Verlobung nicht die hundertprozentige Wahrheit war – es würde sie vor einem gebrochenen Herzen bewahren.

Dani startete den Wagen und fuhr zum Palazzo zurück.

Am nächsten Morgen machte Dani sich sorgfältig zurecht, um auch wirklich geschäftsmäßig und professionell zu wirken.

Rafe verhielt sich ihr gegenüber keineswegs unfreundlich, blieb aber kurz angebunden. Ihr wurde klar, dass sie beide, solange sie nicht mit neuen Ideen aufwartete, nicht mehr viel zu besprechen hatten.

Und sie verstand. Die zwei Treffen in der Taverne hatten ihr Verhältnis so weit gelockert, dass sie sich nicht mehr anfauchten. Aber indem sie den Kontakt miteinander so minimal wie möglich hielten, konnte Rafe die Anziehungskraft ignorieren. Ihr dagegen gelang das nicht so leicht.

Um nicht ständig an ihn zu denken, konzentrierte sie sich am Freitag ausschließlich auf den Restaurantbetrieb. Sie studierte Besteck, Gläser und Tischdekoration, achtete auf die Kommunikation zwischen den Kellnerinnen und den Ablauf, aber ihr fiel nichts auf, was noch verbessert werden könnte. Trotzdem konnte sie es noch immer nicht ganz glauben. Eine kleine Lehrerin aus Brooklyn war von einem weltbekannten Sterne-Koch um ihre Mithilfe und Meinung gebeten worden.

Und wieder meldete sich diese Ahnung von Schicksal. Sie musste an Rafes Bemerkung über Glück denken. Wenn dieses unbekannte Zugehörigkeitsgefühl nun weder mit Rafe noch mit Italien zusammenhing? Was, wenn dieses Gefühl ihr versuchte, ihr etwas über ihre Berufswahl zu sagen? Sie unterrichtete gern, aber in der Schule verspürte sie nie die Erfüllung wie hier im Restaurant. Ob sie ihre Karriere neu ausrichten sollte, wenn sie in den Staaten zurück war? Das Leben wäre so viel einfacher, wenn Vorbestimmung etwas völlig Normales wäre – zum Beispiel ein Talent für die Arbeit in der Gastronomie, statt sich nach dem Chef zu sehnen, obwohl der Mann eigentlich keinerlei Wirkung auf sie haben dürfte, da zu Hause jemand auf ihre Antwort zu einem Heiratsantrag wartete.

Emory unterbrach ihre Gedanken, als er vor ihren Tresen trat. „Gio hat sich krankgemeldet. Hier sind die Telefonnummern des Personals. Bitte finden Sie jemanden, der für sie einspringen kann.“

„Wen soll ich denn anrufen?“

Er lächelte. „Das wissen Sie am besten, schließlich sehen Sie hier draußen jeden Tag, wer mit wem harmoniert.“

Nach ihrem Anruf bei Zola ging Dani in die Küche, um die Telefonliste zurückzugeben, doch Emory schüttelte den Kopf. „Das gehört ab jetzt zu Ihren Aufgaben. Damit erleichtern Sie mir das Leben ein wenig.“

Sie bedankte sich lächelnd.

Ohne zu ihr zu sehen, sagte Rafe: „Und Sie werden ab sofort auch die Hilfskellner einteilen. Das nimmt den Bedienungen Arbeit ab.“

Dani freute sich. Die neuen Aufgaben schienen ihr wie eine Beförderung, und wer wurde nicht gern befördert?

Am nächsten Tag nannte Lazare, einer der Hilfskellner, sie „Miss Daniella“. Dieser Respektbeweis ließ sie prompt den Rücken gerader durchdrücken. Als sie Rafe etwas später zu einem Gast führte, bedankte auch er sich bei ihr mit „Miss Daniella“, und ihr Herz platzte fast vor Stolz.

Allerdings kam ihr im Nachhinein der Verdacht, dass ihr Talent vielleicht nicht generell für die Gastronomie, sondern speziell für dieses Restaurant erwacht war. In New York konnte sie wohl kaum erwarten, direkt als Empfangsdame eingestellt zu werden. Sie würde ganz unten anfangen müssen. Und ob die Gäste und das andere Personal sie dann mit so viel Respekt behandeln würden, war mehr als fraglich. Als sie begriff, dass das alles enden würde, wenn sie von hier abreiste, schwand auch die Zuversicht, ihre Bestimmung gefunden zu haben. Sie würde in ihr winziges Apartment zurückkehren, zu einem Mann, dessen Heiratsantrag ihr Magenschmerzen bereitete, und zu einer Stelle als Lehrerin, die ihr plötzlich langweilig erschien.

„Miss Daniella …“ Zola kam an den Empfangstresen, „der Gentleman an Tisch zwei möchte mit dem Koch sprechen.“

Auch wenn Zola leise sprach, erkannte Dani an ihrem Tonfall, dass es sich um eine heikle Situation handelte. „Danke, Zola, ich kümmere mich darum.“

Sie ging zu dem Tisch, und der kleine stämmige Mann wartete nicht einmal, bis Dani sich an ihn gewandt hatte.

„Meine Manicotti waren trocken und fade.“

„Das tut uns sehr leid. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das passiert ist“, sagte sie entschuldigend. „Ich werde es der Küche mitteilen.“

„Ich will mit dem Koch sprechen!“

Seine laute aggressive Stimme hallte durch das Restaurant. Dani sah zur Küchentür. Endlich kamen die Gäste wieder wegen des Essens her und nicht, um Zeugen der Temperamentsausbrüche des Chefkochs zu werden. Sie würde nicht zulassen, dass dieser Mann mit den listigen kleinen Augen, der offensichtlich nur auf eine freie Mahlzeit aus war, das wieder ruinierte.

„Heute Abend herrscht sehr viel Betrieb.“ Sie zog den Mann behutsam am Arm vom Stuhl. „Statt des Gesprächs mit dem Koch … was halten Sie davon, wenn ich Ihre Rechnung übernehme?“

Seine Augen weiteten sich, als könne er nicht glauben, dass er sein Ziel so leicht erreicht hatte. „Sie zahlen mein Dinner?“

Sie lächelte. „Genau. Alles.“ Ein Blick über den Tisch verriet ihr, dass es sie wahrscheinlich einen ganzen Tageslohn kosten würde, aber um eine Szene zu vermeiden, sollte ihr das recht sein.

„Ich will aber noch Dessert.“

„Das geben wir Ihnen mit.“ Sie nickte Zola zu, die eiligst zwei Stücke Kuchen einpackte. Innerhalb von Sekunden war der Mann zur Tür hinausmanövriert.

Rafe hatte die Szene durch einen schmalen Spalt in der Tür mitverfolgt. Hören, was Dani sagte, konnte er nicht, aber er sah, mit welcher Ruhe und Besonnenheit sie mit der Situation umging. Höflich, aber unnachgiebig hatte sie den Störenfried aus seinem Restaurant entfernt, bevor die anderen Gäste mitbekommen hatten, was vor sich ging. Erheitert lachte er auf.

„Was ist denn so amüsant?“, fragte Emory.

„Dani hat soeben jemanden vor die Tür gesetzt.“

Emory riss entsetzt die Augen auf. „Schon wieder eine Szene?“

„Das ist ja das Großartige daran … Zwar ist er anfangs laut geworden, aber dann hat sie ihn so geschickt hinausbugsiert, dass selbst die Leute an den Nebentischen nichts mitbekommen haben.“

„Die Frau ist Gold wert.“

Rafe wurde nachdenklich. „Zola ist zu ihr gegangen, statt zu mir zu kommen.“

„Weil sie Dani vertraut.“ Damit kehrte Emory an seine Arbeit zurück und überließ es Rafe, sich seine eigenen Gedanken zu machen.

Am Ende des Abends, als die Bedienungen bereits gegangen waren und nur noch in der Küche aufgeräumt wurde, ging Rafe zu Danis Tresen, wo sie gerade Mantel und Tasche aufnahm.

„Sie haben sich heute sehr gut gehalten. Ich habe gesehen, wie Sie diesen ärgerlichen Gast losgeworden sind.“

Sie schnitt eine Grimasse. „Dafür habe ich ihm anbieten müssen, seine Rechnung zu übernehmen.“

„Das erledige ich.“

Sie sah ihm in die Augen, und dieses unerwünschte Gefühl meldete sich wieder in seiner Brust. „Wirklich?“

„Ja.“ Er ermahnte sich, dass er diese Gefühle nicht haben sollte. Er wollte eine gute Empfangsdame, keinen Flirt mit einer Frau, die einem anderen gehörte. „Ich vertraue Ihrem Urteil. Wenn es nötig war, ihn umsonst essen zu lassen, um eine Szene zu vermeiden, werde ich die Kosten wegstecken.“

„Danke.“

Er wandte nachdenklich den Blick ab, sah sie dann wieder an. „Ihre Verantwortung wächst stetig.“

„Ist das der diskrete Wink, dass ich meine Grenzen wieder überschritten habe?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, im Gegenteil. Sie übernehmen Arbeit, für die weder Emory noch ich Zeit haben.“

„Und das ist gut?“

„Sehr gut sogar.“ Er sah in ihre blauen Augen und kämpfte gegen den Wunsch an, sie zu küssen. Sein Restaurant entsprach immer mehr dem, was er sich vorgestellt hatte, und das verdankte er ihr. Sie erkannte die Stimmungen und Launen der Gäste sofort und konnte sie lenken. Der Geschäftsmann in ihm verbot sich Gefühle für sie, der leidenschaftliche Mann in ihm hätte sie am liebsten hochgehoben und begeistert durch die Luft geschwungen – bevor er sie geküsst hätte. Aber das war falsch, und er ärgerte sich über sich selbst. „Als ich Sie da so sah, kam mir der Gedanke, dass Sie sich von den Kellnerinnen unterscheiden sollten. Das würde auch Ihre Autorität stärken.“

„Muss ich jetzt einen Hut tragen?“

Rafe lachte. War es verwunderlich, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte? Niemand konnte ihn so leicht verdutzen oder zum Lachen bringen. Ihn dazu bringen, sich zu wünschen, sein Leben wäre heller, unbeschwerter, leichter …

„Ich möchte, dass Sie etwas anderes tragen als die schwarze Hose und die weiße Bluse der Kellnerinnen. Tragen Sie, was Sie für angebracht halten.“ Auf ihren fragenden Blick hin fuhr er fort: „Kleid, Kostüm, irgendetwas, das zeigt, dass Sie das Sagen haben.“

Jetzt war Dani erst recht verwirrt. „Das Sagen?“

„Im Speisesaal.“ Er grinste. „Ein paar Wochen müssen Sie sich noch gedulden, bevor Sie die Küche übernehmen.“

Auch sie lachte. Doch das Lachen erstarb auf ihren Lippen, als sie einander in die Augen blickten. Die Stimmung änderte sich von unbeschwert und fachlich zu etwas anderem, das er nicht beschreiben konnte. Da war dieser Draht zwischen ihnen, diese Verbindung, die er immer fühlte. Süß, heiß … aber sinnlos.

„Gute Nacht, Dani.“ Rafe drehte sich um und ging in die Küche zurück. Er stellte sich ans Spülbecken beim Fenster, sodass er sie in ihren Wagen steigen und abfahren sehen konnte. Erst dann verschloss er das Restaurant und ging zu seinem SUV.

Als er einstieg, erlosch das Lächeln, das die ganze Zeit über auf seinen Lippen gelegen hatte. Er hatte sie glücklich gemacht, so glücklich, dass er sie hätte küssen mögen, um zusammen mit ihr zu feiern. Doch dann hatte er sich zurückgezogen. Weil sie vergeben war.

Bin ich verrückt, weil ich sie weiter für mich arbeiten lasse und mich mehr und mehr auf sie verlasse, wo doch feststeht, dass es nie eine Beziehung zwischen uns geben kann?

Und überhaupt … weshalb regte er sich deswegen auf und verschwendete auch nur einen Gedanken daran? In wenigen Wochen wäre sie so oder so weg. Darüber sollte er sich Gedanken machen. Denn wie konnte es sein, dass sowohl Emory als auch er mehr und mehr auf sie bauten, was die Leitung des Restaurants anging? Nur gut, dass sich Montag weitere Bewerber vorstellten. Bis dahin würde er es sich verbieten, weiter über Dani nachzudenken und sich zu wünschen, er könnte sich mit ihr im Kreis drehen und sie küssen.

Am Sonntagmorgen kam Dani in einem klassisch geschnittenen cremefarbenen Kleid ins Restaurant. Das Haar trug sie in einer eleganten Hochsteckfrisur. Rafe wären fast die Augen aus dem Kopf gefallen, und Emory pfiff leise durch die Zähne.

Sie sah majestätisch und weltgewandt aus. Genau das richtige Gesicht für sein Restaurant. Genau das, was er sich vorgestellt hatte.

Aber sie reiste wieder ab. Sie wollte gar nicht teilhaben an seinem Erfolg, und er und Emory stützten sich viel zu sehr auf jemanden, der nicht blieb.

Die Kellnerinnen flatterten aufgeregt um sie herum und sagten ihr, wie großartig sie aussähe, die jungen Hilfskellner liefen rot an, sobald sie in der Nähe war.

Lachend stand sie mit Allegra zusammen. „Ich komme mir vor, als würde ich Verkleiden spielen. Louisa hat mir das Kleid geliehen. So etwas Schickes besitze ich gar nicht.“

Allegra seufzte hingerissen. „Es steht Ihnen ganz hervorragend.“

„Rafe und Emory haben mich nur befördert, weil ich zwischen den Gästen so viel Zeit habe, während ihr alle kaum wisst, wo euch der Kopf steht.“ Verschwörerisch lehnte sie sich näher zu Allegra. „Außerdem beinhaltet diese sogenannte Beförderung keineswegs eine Gehaltserhöhung.“

So leise sie es auch gesagt hatte, Rafe hatte es gehört. Sie hatte recht. Die neue Verantwortung brachte ihr nichts ein außer mehr Arbeit. Warum also wirkte sie so glücklich in einer Position, die sie in wenigen Wochen nicht mehr innehaben würde?

Der Sonntagslunch war besuchter als üblich. Die Gäste kamen herein, aßen, plauderten mit Dani und verließen das Restaurant froh und zufrieden. Rafe wusste nicht, weshalb sie sich so sehr für sein Restaurant engagierte, aber er sollte froh darüber sein.

Zwischen Lunch und Dinner ging sie nicht nach Hause, weil das Telefon konstant klingelte. Rafe entspannte sich. Ja, ihr Instinkt funktionierte. Jetzt, wo immer mehr Reservierungen hereinkamen, blieb Dani, um alles entsprechend zu arrangieren. Sie war eine gute, zuverlässige Mitarbeiterin. Sollte noch Argwohn ihr gegenüber in ihm leben, musste das ein Rest von Feindseligkeit sein, weil sie vergeben war und er sie nicht haben konnte. Sein Problem, nicht ihres.

Er überlegte, ob er sich entschuldigen sollte. Aber da sie ja nicht wusste, was in seinem Kopf vorging, würde ein Lob für ihre gute Arbeit wohl ausreichen.

Er steuerte auf ihren Empfang zu. Sie telefonierte schon wieder, und er musste lächeln. Heute Abend würde das Restaurant auf jeden Fall voll ausgebucht sein.

„Also sprechen wir über ungefähr hundert Leute?“

Rafes Augenbrauen schossen in die Höhe. Hundert Leute? Doch hoffentlich nicht an einem einzigen Abend, oder? Es gab zwar einen Privatsaal, aber er wurde nur selten benutzt und müsste erst vorbereitet werden. Ganz zu schweigen vom Kochen. Hundert Leute auf einmal zu verköstigen, das musste im Voraus geplant werden …

Als sie den Hörer auflegte, leuchteten ihre blauen Augen, und prompt meldete sich sein Verlangen wieder. Er musste den Wunsch unterdrücken, den Erfolg seines Restaurants mit ihr zu teilen. Wie er es auch drehte und wendete, sie hatte Anteil daran, dass sein Kundenstamm stetig wuchs. Ein smarter Geschäftsmann würde daran arbeiten, sie zu halten, würde versuchen, seinen Erfolg zu ihrer Karriere zu machen und Italien zu ihrer neuen Heimat. Dann würde sie vielleicht auch nicht mehr an ihren Verlobten denken und …

Er nahm sich zusammen. Nicht nur preschte er viel zu weit vor, sondern auch in die falsche Richtung. Hier war Professionalität gefragt!

„Klingt, als hätten wir eine enorme Reservierung eingeholt“, sagte er also, als er bei ihr angekommen war.

„Noch besser!“ Sie grinste ihn strahlend an. „Eine Hochzeit! Und wir müssen nichts liefern als das Essen, sie stellen Geschirr und Tische und alles Nötige.“

„Was?“

„Es war so … Gestern kam ein Paar zum Dinner. Nach dem Essen war die Frau so begeistert, dass sie meinte, es sei das perfekte Menü für die Hochzeit ihrer Tochter Ende des Monats. Gerade habe ich mit dem Brautvater gesprochen und alles aufgenommen.“ Sie reichte ihm den Notizblock. „Jetzt haben Sie Ihr Geschäft noch ausgeweitet.“

„Ich mache kein Catering.“

Er beherrschte sich eisern, schrie nicht, brüllte nicht, sprach geradezu sanft. Und Dani, die inzwischen seit zwei Wochen für ihn arbeitete, wusste genau, was in ihm vorging.

Beklemmt fasste sie sich an den Hals. „Ich dachte, Sie würden sich freuen.“

„Ich habe Michelin-Sterne zu schützen. Ich werde mein Essen nicht in die Welt hinausliefern, damit Gott weiß wer Gott weiß was damit anstellt.“

Sie schluckte. „Sie können als geladener Gast der Hochzeit beiwohnen …“

„Und das Restaurant vernachlässigen? Sie rufen diese Leute sofort an und sagen ab. Sagen Sie ihnen, dass Sie mit mir gesprochen haben und es zeitlich nicht möglich ist.“

„Aber … ich … Sie wollten eine definitive Zusage, und die habe ich ihnen gegeben.“

Mit offenem Mund starrte Rafe sie an. „Sie haben eine Zusage gegeben, ohne das vorher mit mir abzusprechen?“ Todsünde! Unverzeihlich! Jeder Angestellte der Welt wusste, dass er keine Zusagen geben konnte, ohne nicht vorher mit dem Chef zu sprechen.

Zorn mischte sich in die Fassungslosigkeit über ihre Unverfrorenheit. Da sein Traum plötzlich bedroht wurde, brauchte er gar nicht groß nachzudenken.

„Sie sind gefeuert“, stieß er aus.

8. KAPITEL

Niemand wurde gern gefeuert, das Schlimmste für Dani jedoch war Rafes Enttäuschung über sie. Sie hatte wirklich geglaubt, er würde sich über dieses neue Wirkungsfeld freuen, doch da hatte sie sich wohl gründlich geirrt. Aber sie war ja auch kein Chefkoch, kein Restaurantbesitzer und hatte keine Ahnung, welche Planung und Vorbereitungen dafür nötig waren.

Aber sie konnte sich auf ihren Instinkt verlassen. Oder nicht? „Ich bringe das wieder in Ordnung“, erklärte sie.

Er wandte sich schon zum Gehen. „Das ist nicht mehr in Ordnung zu bringen. Dieses Mal haben Sie die Grenzen eindeutig gesprengt. Ich weiß nicht, was in Sie gefahren ist, aber niemand, absolut niemand, trifft solche Entscheidungen, ohne sich nicht vorher mit dem Chef abzusprechen.“ Damit verschwand er in seiner Küche.

Vielleicht hätte Dani ihm folgen sollen, doch sie konnte kaum atmen. Dass er sie so kalt und distanziert abkanzelte, dass er so sicher war, sie nicht mehr sehen zu wollen, tat weh. Als hätte es den Abend in der Taverne nie gegeben. Als hätten sie sich nie geküsst. Tränen traten ihr in die Augen.

Doch dann siegte die Vernunft. Warum nahm sie das persönlich? Sie liebte ihn doch nicht. Schließlich war sie mit einem anderen Mann verlobt … naja, fast. Aus ihr und Rafe konnte nie etwas werden. Er war die verkörperte Leidenschaft, launisch, temperamentvoll. Sexy, keine Frage, aber viel zu intensiv.

Sie dürften sich nicht zueinander hingezogen fühlen, trotzdem war es so. Im Mancini’s zu arbeiten war, als hätte sie das Schicksal herausgefordert, schließlich wurde ihnen beiden stets vor Augen gehalten, was sie nicht haben konnten.

Vielleicht war es wirklich besser, wenn sie ging.

Als Dani in der Villa ankam, stand Louisa auf einer Leiter und besah sich die Stockflecken an der Decke, als könnte sie sie mit ihrem Blick wegzaubern.

„Was machst du denn schon hier?“

Dani riss sich die Haarnadeln aus der Frisur und kickte Louisas High Heels von den Füßen. „Ich bin gefeuert worden.“

„Was?“ Louisa stieg von der Leiter. „Wie kann er dich feuern, wenn er dich gerade befördert hat? Und du hast großartig ausgesehen, absolut perfekt. Wie kann ihm das nicht gefallen haben?“

„Oh, gefallen hat ihm das schon.“ Genau das war ja das Problem, oder? Sie spielten beide mit dem Feuer. Sie mochten einander, aber keiner von ihnen wollte das. Und sie hatte die Nase voll davon. „Die Teilchen haben sich endlich zusammengesetzt. Rafe und ich fühlen uns zueinander hingezogen, aber mein Freund zu Hause hat mich gebeten, ihn zu heiraten. Selbst wenn ich noch nicht Ja gesagt habe … ich sollte hier nicht mit einem anderen Mann flirten, und Rafe …“

„Weißt du, das wollte ich dich schon immer fragen“, unterbrach Louisa sie. „Es geht mich eigentlich nichts an, aber findest du nicht, dass es eine Menge aussagt, wenn du in einen Flieger nach Italien steigst, anstatt den Heiratsantrag begeistert anzunehmen?“

„Die Reise war lange geplant.“

„Liebst du den Typen?“

Dani zögerte. Sie dachte an das Telefonat mit Paul zurück, daran, dass er sie gebeten hatte, erst wieder anzurufen, wenn sie zurück zu Hause war. Das Schlimmste daran war, dass es sie nicht einmal wirklich verletzt hatte. Und in den letzten sechs Monaten hatte sie ihn auch nie wirklich vermisst. Eines hatte ihr das Zusammentreffen mit Rafe klar vor Augen geführt: Paul bot ihr Stabilität, aber sie liebte ihn nicht.

Wie erschlagen sank sie auf einen Küchenstuhl.

„Ach Süße, überleg doch mal“, fuhr Louisa mitfühlend fort. „Den Antrag deines Freundes nimmst du nicht sofort an, und du fühlst dich zu einem anderen Mann hingezogen. An deiner Stelle würde ich diesen Antrag niemals annehmen.“

„Ich weiß“, kam es erstickt von Dani.

„Du solltest ins Mancini’s gehen und es Rafe sagen.“

Dani schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, Rafe ist einfach zu viel für mich, zu intensiv, zu temperamentvoll, zu … alles. Ich arbeite zwölf Stunden für den Mann, obwohl ich doch eigentlich hier bin, um die Familie meiner Pflegemutter zu finden, bevor ich wieder nach Hause fliege.“

„Du verlässt mich?“

Dani sah zu Louisa. „Du wusstest doch, dass ich nur einen Monat bleibe. Ich habe noch etwas über zwei Wochen, um Rosas Familie zu finden. Komm mit mir nach Rom, du kannst einen Tapetenwechsel gebrauchen. Ich muss mir sowieso ein Zimmer nehmen. Wir könnten es zusammen bewohnen.“

Louisa sah traurig und bedrückt aus. „Und dann steigst du in den Flieger und verschwindest auf Nimmerwiedersehen.“

„Nein, wir sind Freundinnen. Wenn du in die Staaten kommst, wohnst du bei mir. Und ich komme dich hier in Italien besuchen, wenn ich Urlaub habe.“

„Du hast recht. Ich könnte wirklich eine Pause gebrauchen. Mal etwas anderes sehen als nur die Schäden, die alle dringend repariert werden müssen, und mich sorgen, wie ich das schaffen soll.“

„Fein, das wäre also abgemacht. Gehen wir packen.“

Mit dem Bus fuhren sie zusammen nach Rom und mieteten sich ein Zimmer in einer Herberge. Und gleich am nächsten Tag fanden sie Rosas Familie und wurden herzlichst zum Dinner eingeladen. Das opulente Mahl um den großen Tisch mit den vielen Gängen erinnerte Dani natürlich an Rafe, an die Kellnerinnen, mit denen sie sich angefreundet hatte, an die Gäste, die sie so schätzten. Das Gefühl, dass sie ein Zuhause verloren hatte, erfüllte sie mit Trauer. Ob nun richtig oder falsch, sie hing am Mancini’s.

Nur hatte Rafe sie gefeuert.

Damit hatte sie den Ort verloren, an dem sie sich clever und gewandt und stark und professionell gefühlt hatte. Den Ort, an dem sie Freunde gefunden hatte, die wie eine Familie für sie waren. Den Ort, an dem sie – ob das nun klug war oder nicht – Gefühle für einen Mann entwickelt hatte, der ihr den Atem raubte und ihre Knie weich werden ließ.

Aber das war auch der Mann gewesen, der sie eiskalt gefeuert hatte.

Sie merkte, wie ihre Fassade von Fröhlichkeit zu bröckeln begann. Sie entschuldigte sich und ging ins Bad. Dort glitt sie mit dem Rücken an der Wand hinunter, bis sie zusammengekauert auf dem Boden saß.

In ihrem ganzen Leben war sie noch nie so traurig und verwirrt gewesen.

„Rafe, da möchten Gäste mit Ihnen sprechen.“

Rafe legte das Messer ab und kam zu Mila, die wartend in der Tür zur Küche stand. „Schön, gehen wir.“ Seit Dani nicht mehr hier war, kamen Komplimente von Gästen wesentlich seltener. Er konnte einen aufmunternden Schub gebrauchen.

Mila führte ihn zu einem Tisch mit zwei Amerikanerinnen, ungefähr Anfang zwanzig, zu alt für die Highschool, aber zu jung, um sich eigenes Vermögen erarbeitet zu haben – die Töchter reicher Eltern, die mit Daddys Geld eine Europatour finanzierten. Wahrscheinlich gelangweilt und auf der Suche nach Abenteuer und Spaß. Wenn er es richtig anging, könnte er mit einer von beiden heute Abend vielleicht ein Glas Chianti trinken … und möglicherweise noch mehr.

Den Stich bei der Erinnerung, wie er mit Dani ein Glas ihres Lieblingsweins getrunken hatte, ignorierte er geflissentlich. Stattdessen setzte er ein charmantes Lächeln auf. „Was kann ich für die Ladies tun?“

„Die Ravioli waren das Allerletzte.“

Damit hatte er nun ganz und gar nicht gerechnet. Doch da er etwas von seiner ehemaligen Angestellten gelernt hatte, verbeugte er sich leicht. „Dann erlauben Sie mir, Ihre Rechnung zu übernehmen.“

Die kleine Blondine warf ihre Gabel klappernd auf den Teller. „Die Rechnung übernehmen? Sie sollten uns bezahlen, dass wir diesen Mist hinuntergewürgt haben.“

Der Ravioliteig war wie Seide durch seine Hände geglitten, die Soße hatte seine Zunge geküsst … Das Problem war nicht seine Zubereitung, sondern die wenig geschulten Geschmacksknospen dieser Mädchen.

Trotzdem wurde er nicht laut, sondern überlegte, wie Dani mit der Situation umgegangen wäre. Er fasste die schmale Blondine bei den Armen und zog sie behutsam vom Stuhl hoch. „Ich muss mich wohl entschuldigen.“ Sanft führte er sie zum Ausgang, und sie ließ sich auch führen, bis sie beim Empfang waren.

Plötzlich verzog sie gequält das Gesicht, als würde er ihr wehtun, und ihre Freundin schoss ein paar schnelle Fotos mit ihrem Smartphone.

„Schau bei Instagram nach“, rief die andere, als die beiden zur Tür hinausrannten. „Da kannst du sehen, wie tief Rafe Mancini gesunken ist!“

Wütend lief Rafe ihnen nach, doch die beiden waren bereits in ihren Mietwagen gesprungen und brausten davon. Er fluchte heftig, bevor er ins Restaurant zurückkehrte.

In einen totenstillen Speisesaal.

„Entschuldigen Sie bitte die Störung. Bitte, genießen Sie weiter Ihr Dinner.“ So hätte Dani es wohl auch gehandhabt. Mit einem schwachen Lächeln verschwand er in der Küche.

Emory kam zu ihm. „Du musst sie finden.“

Emory musste keinen Namen nennen, Rafe wusste genau, wen der Souschef meinte. Er schloss für einen Moment die Augen. „Es ist mein Restaurant. Wenn hier etwas schiefläuft, kümmere ich mich selbst darum.“

„Wenn Dani eines klargemacht hat, dann, dass du ein begnadeter Koch bist, aber nicht derjenige, der sich darum kümmern sollte, was draußen im Speisesaal vor sich geht. Du musst geholt werden, damit man dir Bewunderung zollen kann, was dich und dein Essen noch einzigartiger macht. Ist dir nicht aufgefallen, dass dein Temperament nie mit dir durchgegangen ist, als Dani hier war?“

Rafe versuchte gar nicht erst, das zu bestreiten. „Doch.“

„Weil sie Aufgaben übernommen hat, mit denen du dich gar nicht beschäftigen solltest. So hattest du den Kopf frei für deine Gabe – das Kochen. Also lass sie uns zurückholen.“

Dani zu vermissen, beinhaltete so viel mehr, als Emory auch nur ahnte. „Warum sollte ich ihr nachrennen?“ Endlich drehte Rafe sich zu seinem Souschef um. „In zwei Wochen fliegt sie ohnehin wieder nach Amerika zurück.“

„Vielleicht können wir sie ja überreden zu bleiben.“

Rafe schnaubte. „Sie hat einen Verlobten in New York.“

Emory runzelte die Stirn. „Und dann ist sie seit über einem halben Jahr in Italien? Ohne ihn? Das klingt mir aber gar nicht nach einem Verlobten.“

Rafe stutzte. Richtig. Er würde die Frau, die er liebte, niemals für Monate allein lassen. Vor allem nicht, wenn es sich bei der Frau um Daniella handelte.

Das sagte er aber nicht laut. Seine Gefühle waren so oder so schon wirr genug. Wegen Kamila hätte er fast seinen Traum aufgegeben, und sie hatten sich trotzdem getrennt. Daraus hatte er die Lehre gezogen, dass Beziehungen nur die Zukunft seines Restaurants gefährdeten, und sich mit flüchtigen Affären und One-Night-Stands begnügt.

Dani würde niemals nur ein One-Night-Stand sein.

Aber das Mancini’s funktionierte ohne sie nicht richtig.

Und das Mancini’s war sein Traum. Er brauchte Daniella in seinem Restaurant. Als Angestellte. Alles andere musste er aus seinen Gedanken verbannen.

Emory fasste nach seinem Arm. „Wenn sie nicht glücklich mit ihrem Verlobten ist, kannst du sie vielleicht überzeugen, im Mancini’s Karriere zu machen. Aber so etwas lässt sich nicht übers Telefon regeln. Fahr zum Palazzo di Comparino. Biete ihr eine feste Stelle an, mit einem festen Gehalt.“

„Einverstanden. Gleich morgen. Du übernimmst die Küche.“

Emory grinste. „So ist es richtig, mein Junge.“

Am nächsten Morgen teilte Louisa Dani mit, dass sie wieder zurück nach Monte Calanetti fahren würde. Die Zeit in Rom war schön und das Treffen mit den Verwandten sehr nett gewesen, aber sie war rastlos und wollte mit den Arbeiten in der Villa fortfahren. Und so frühstückten die beiden Frauen zusammen in einem Bistro, bevor Louisa wieder in den Bus stieg.

Dani besuchte Rosas Familie, aber auch sie war seltsam unruhig. Die Felices waren wirklich nett, aber eben nicht ihre Familie. Ihre Familie war die kleine Gruppe der Mitarbeiter im Mancini’s. Sie hatte die Kellnerinnen bemuttert, die Gäste umgluckt, und Emory war für sie so etwas wie ein Lieblingsonkel geworden.

Bedrückt kehrte sie am Nachmittag in ihr Hotel zurück und hielt auf dem Rückweg noch einmal in dem kleinen Bistro auf eine Tasse Kaffee draußen in der strahlenden Sonne an.

Kaum stand der Kaffee vor ihr, kam ein Blumenverkäufer auf sie zu und reichte ihr eine rote Rose. Verblüfft sah sie ihn an. „Grazie“, bedankte sie sich.

Der Mann grinste. „Oh, die ist nicht von mir, sondern von dem Signore dort drüben.“ Mit dem Daumen zeigte er hinter sich.

Dani riss die Augen auf, als sie in die Richtung sah. Rafe lehnte lässig an einem Laternenpfahl. In Jeans, Stiefeln und dem schwarzen Mantel sah er so sexy aus … und so einsam und allein. Genau wie sie sich bei dem Gedanken fühlte, nach New York zurückkehren zu müssen.

Mit der roten Rose in der Hand ging sie zu ihm. „Wie haben Sie mich gefunden?“

„Ich habe mit Ihrer Freundin im Palazzo gesprochen. Sie hat mir gesagt, dass Sie in Rom sind, also habe ich mich in den Wagen gesetzt und bin hergefahren. Gerade als ich Ihr Hotel betreten wollte, sah ich Sie hier sitzen.“ Er wandte den Blick ab, schob die Hände in die Manteltaschen, sah sie wieder an. „Wir vermissen Sie.“

„Wir?“ Im Stillen verfluchte sie sich für die Frage, aber sie musste es von ihm hören, damit sie wusste, dass sie sich das alles nicht nur einbildete.

Er seufzte. „Na schön, ich vermisse Sie. Zwei reiche Trustfund-Babys haben mich gestern Abend über den Tisch gezogen. Sie haben mein Essen beleidigt, und als sie mich damit nicht provozieren konnten, haben sie es so gedreht, dass es aussah, als hätte ich sie an den Ohren aus dem Restaurant geworfen. Es gibt Fotos davon – auf Instagram.“

Das Lachen ließ sich nicht zurückhalten. „Tatsächlich? Auf Instagram?“

„Das wird mein Ruin sein.“

„Aber Sie haben Haltung bewahrt?“

Er wandte den Blick ab. „Ich habe mir in Erinnerung gerufen, wie Sie es gemacht haben.“ Lächelnd wandte er sich ihr zu. „Ich bin lernfähig.“

Ihr Herz schlug schneller, schließlich gab er offen zu, dass er etwas von ihr gelernt hatte. Nicht nur das … er hatte auch zugegeben, dass er sie vermisste. Und er war hier. „Sehen Sie, Sie sind gar nicht so schlimm.“

„Emory meint, ich sei einfach nur überarbeitet. Dass ich mir auch noch die Bewerber für den Posten des Maître d’hôtel ansehen muss, hilft nicht gerade, vor allem, da keiner für die Position passt. Ergo – ich brauche Sie. Sie sind die Erste und Einzige, bei der ich mir keine Sorgen um den Speisesaal machen muss.“

Still zählte Dani bis zehn, wartete darauf, dass er noch mehr sagte. Doch er schwieg. „Und das ist alles?“, hakte sie nach.

„Ich weiß, Sie erwarten jetzt, dass ich etwas Romantisches sage, aber … es gibt genügend Dinge, die uns trennen. Nicht nur Ihr Verlobter. Bedenken Sie mein Temperament. Sehen Sie sich glücklich mit mir? Ich nehme mir, was ich will, mein Restaurant steht immer an erster Stelle für mich. Ich habe keine Zeit für eine feste Beziehung.“

Ihr Herz weinte, doch die nüchterne Vernunft des Pflegekinds, das den berauschenden Gefühlen, die es jedes Mal in seiner Nähe empfand, nicht traute, verstand. Er war geboren, um im Rampenlicht zu stehen, war schon jetzt eine Berühmtheit, und sie, das Pflegekind, suchte nach Sicherheit und Stabilität. Körperlich mochten sie sich zueinander hingezogen fühlen, doch emotional standen sie auf verschiedenen Seiten. „Sie können sich nicht binden?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe mich an mein Restaurant gebunden. Ich will einer der berühmtesten Köche Europas werden. Mancini’s ist mein Trittbrett. Die Dinge, die andere Männer wollen – Partys, schöne Frauen, Ehe – interessieren mich nicht. Ich würde Sie nur verletzen, und das möchte ich nicht.“

„Also ist alles zwischen uns rein geschäftlich?“

„Rein geschäftlich“, bestätigte er.

Der Job im Mancini’s hatte ihr so vieles gegeben, was sie bisher nie gehabt hatte – Selbstwert- und ein starkes Zugehörigkeitsgefühl. Das Gefühl, zu Hause zu sein. Aber sie würde nicht zurückgehen, nur um erneut gefeuert zu werden. „Und Sie brauchen mich?“

Er verdrehte die Augen. „Ihr Amerikaner. Immer müsst ihr mit Lobpreisungen überhäuft werden.“

Oh, er liebte es einfach, brummig zu sein! Sie hakte sich bei ihm ein und deutete zu ihrem Tisch. „Ich brauche keine Lobpreisungen. Ich muss nur wissen, dass ich einen Platz im Mancini’s habe, und ich brauche jetzt meinen Kaffee.“ Gemeinsam gingen sie zu ihrem Tisch zurück. „Mir gefällt es im Mancini’s. Ich mag die Menschen.“

„Also sind wir uns einig?“ Er hielt ihr den Stuhl.

„Nehme ich an. Sicher weiß ich nur, dass ich noch nicht nach New York zurückwill.“

„Das spricht nicht gerade für Ihren Verlobten.“

Dani holte Luft, setzte sich, sagte aber nichts. Dass sie die Wahrheit so weit überdehnt hatte, lag ihr wie ein Stein im Magen. Doch selbst wenn sie wusste, dass sie Pauls Heiratsantrag nicht annehmen würde, schützte diese angebliche Verlobung sie vor Rafe. Er räuberte nicht auf dem Territorium anderer Männer. Und er hatte recht: Wenn sie eine kurze Affäre hätten und er dann weiterzog, wäre sie am Boden zerstört.

Scheinbar wartete er auf eine Erwiderung, denn er sah sie mit einer fragend erhobenen Augenbraue an.

„Nun, Paul ist sicher nicht der perfekte Mann.“ Damit hatte sie zumindest nicht gelogen.

„Ganz bestimmt will ich Ihre Beziehung nicht zerstören, aber ich glaube, Sie sollten sich das alles noch einmal gut überlegen. Sie haben hier einen Platz in Italien. Das Mancini’s braucht Sie. Ich möchte, dass Sie fest für mich arbeiten. Dann kann Ihr Verlobter ja nachziehen.“

Dani lachte. Paul meinetwegen nach Italien ziehen? Wo er mich nicht einmal vom Flughafen abholen will? Aber Paul hatte mit all dem hier nichts zu tun. Sie hatte ja schon beschlossen, seinen Antrag abzulehnen. Sollte sie wirklich in Italien bleiben, war das allein ihre Entscheidung. „Ich denke, wir preschen hier viel zu schnell vor. Ich habe noch zwei Wochen, um mich endgültig zu entscheiden.“

Rafe nahm ihre Hand und drückte einen leichten Kuss auf ihre Knöchel. „Dann bleiben Sie bei mir, Daniella. Seien Sie Mancini’s Aushängeschild.“

Bleiben Sie bei mir … Wie er das sagte … Das Blut rauschte ihr heiß durch die Adern, ihr stockte der Atem. Sie musste sich streng daran erinnern, dass er sich damit nur auf die Position im Mancini’s bezog. Wenn sie sich in den nächsten beiden Wochen gut machte, würde sie nicht deprimiert in ein Flugzeug zurück nach Amerika steigen. Sie würde in gar kein Flugzeug steigen, sondern mithelfen, ein bereits florierendes Geschäft weiter auszubauen. Ihr gesamtes Leben würde sich ändern.

Sie entzog ihm ihre Hand. „Ich kann Louisas Gastfreundschaft nicht auf ewig ausnutzen. Ich muss in der Lage sein, meinen Lebensunterhalt zu finanzieren, und eine Kellnerin verdient nicht gerade viel.“

Er ließ ein Knurren hören, und sie lachte. Er sah so gut aus und war eine so starke Persönlichkeit, voller Energie, und wenn er wirklich er selbst war, dann erfüllte sie pure Freude. Vielleicht war das mit der Freundschaft gar keine schlechte Idee. Mit einem Freund zusammenzuarbeiten, würde Spaß machen.

„Ich kann einer Kellnerin kein riesiges Gehalt zahlen.“

„Dann geben Sie mir den entsprechenden Titel, der das Gehalt rechtfertigt. Vielleicht so etwas wie ‚General Manager‘. Ich bräuchte auf jeden Fall eine eigene Wohnung, wenn ich tatsächlich in Italien bleiben sollte.“

Er riss die Augen auf. „General Manager?“

„Kommen Sie, Rafe. Ich übernehme einen großen Teil Ihrer Arbeit, ganz zu schweigen davon, dass ich in ein anderes Land umsiedeln müsste. Da muss sich das schon lohnen.“

„Lieber Himmel, Sie sind vielleicht anspruchsvoll.“

„Aber ich habe recht.“

Er seufzte. „Also gut, Sie bekommen den Titel. Doch dafür werden Sie auch arbeiten müssen.“

„Das scheint mir nur fair.“

„Sonst noch etwas?“, fragte er mit zusammengekniffenen Augen.

„Eines noch.“ Sie kicherte, als sie seine grimmige Miene sah. „Sie nehmen mich in Ihrem Wagen mit zurück und fahren mich zu Louisa.“

Er verdrehte die Augen. „Abgemacht. Ich helfe Ihnen sogar dabei, eine Wohnung zu finden.“

Dani stand auf. „Sie preschen schon wieder zu schnell voran. Mir bleiben zwei Wochen, um zu entscheiden, ob das Mancini’s das Richtige für mich ist.“

Am nächsten Morgen rief Dani Paul an. Wenn das Leben in Italien von nun an ihr neues Leben werden sollte, musste sie das alte geregelt abschließen.

„Ist dir klar, wie viel Uhr es hier ist?“

Paul hörte sich so schlaftrunken an, dass Dani sich innerlich krümmte. „Ja, aber ich wollte dich erwischen, bevor du ins Büro gehst.“ Sie schloss kurz die Augen, klaubte ihren Mut zusammen. Man beendete eine langjährige Beziehung nicht per Telefon, aber sie hatten sich ja schon seit über sechs Monaten nicht mehr gesehen. Und was sie vorhatte, war richtig.

„Hör zu, Paul, es tut mir schrecklich leid, das telefonisch zu tun, aber … ich kann deinen Heiratsantrag nicht annehmen.“

„Was?“

Sie sah förmlich vor sich, wie er im Bett hochschnellte, jetzt hellwach. „Ich weiß nicht, ob ich überhaupt nach New York zurückkomme. Vielleicht bleibe ich für immer in Italien.“

„Und deine Stelle hier?“

„Ich habe neue Arbeit gefunden. In einem Restaurant.“

„Du gibst die Position als Lehrerin auf, um Kellnerin zu werden?“

„Leitende Oberkellnerin.“

„Na, dann …“

Dani konnte ihm den Sarkasmus nicht verübeln. „Um genau zu sein – General Manager.“ Sie war froh, dass sie einen Titel zu bieten hatte. Und Paul verdiente eine ehrliche Erklärung. „Ich liebe Italien, ich habe das Gefühl, hierher zu gehören.“ Sie holte tief Luft. „In den letzten sechs Monaten haben wir kaum miteinander geredet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du mich sehr vermisst. Ich glaube, wir waren nur noch aus Gewohnheit zusammen.“ Das Schweigen, das durch die Leitung drang, bestätigte ihre Vermutung. „Es tut mir wirklich leid, dass ich deinen Antrag nicht annehmen kann, aber … irgendwie bin ich auch froh.“

Nach einem Moment sagte er: „Ich bin auch erleichtert.“

Sie konnte wieder atmen. „Wirklich?“

„Ja. Ich habe wirklich geglaubt, dass ein gutes Ehepaar aus uns werden könnte, aber als du den Antrag nicht sofort angenommen hast, wusste ich, dass du Bedenken hast.“

„Es tut mir leid …“

„Das muss es nicht. So ist es eben manchmal im Leben.“

Ganz der pragmatische Paul. Sein Mangel an Emotion hatte ihr früher das Gefühl von Sicherheit verliehen, jetzt jedoch wusste sie, dass sie mehr vom Leben brauchte.

Sie sprachen noch ein paar Minuten miteinander, dann verabschiedete Dani sich. Nach dem Telefonat fühlte sie sich, als wäre ihr ein Tonnengewicht von den Schultern genommen … das jedoch sofort durch die nächste Last ersetzt wurde.

Jetzt blieb ihr als Waffe gegen Rafes Charme nur noch die eigene Disziplin und ihre Vernunft. Sie konnte nur hoffen, dass das reichte.

9. KAPITEL

Ihre Rückkehr ins Restaurant war fröhlich und herzerwärmend. Emory strahlte von einem Ohr zum anderen, die Kellnerinnen hüpften begeistert um sie herum, die Hilfskellner liefen allesamt rot an, und die Köche atmeten erleichtert auf.

Nur Rafe ärgerte sich. Natürlich freute er sich, dass das Personal Dani anbetete. Darum hatte er sie ja zurückgeholt. Sein Problem war, dass das Treffen in Rom immer wieder in seinem Kopf ablief. Er hatte alles gesagt, was er hatte sagen wollen, aber sein Herz protestierte laut in seiner Brust. Es war nicht gelogen, dass er ihre Beziehung rein geschäftlich halten wollte, und er hatte auch all die ehrlichen Gründe angeführt. Aber hier, zurück im Restaurant, wollte er sie einfach nur küssen.

Er sagte sich wieder und wieder, dass sie verlobt war, auch wenn sie zugegeben hatte, dass ihr Verlobter nicht perfekt war.

Nur war dieser nicht perfekte Verlobte die stärkste Waffe in seinem Arsenal gewesen, um Distanz zu ihr zu halten. Jetzt aber stellten ihr Eingeständnis und die Möglichkeit, dass sie in Italien blieb, diese Verlobung infrage. Und prompt flammten auch seine Gefühle wieder auf.

Dani schwebte in die Küche. In einem blauen Kleid, das ihre Augen betonte wie auch jede ihrer hinreißenden Kurven, ging sie zu Emory. Er nahm ihre Hände und setzte Küsse auf ihre Handrücken.

„Sie sehen appetitlicher aus als alles, was auf der Karte steht.“

Rafe schnappte lautlos nach Luft, unterdrückte das aufschießende Verlangen.

Dani schlang die Arme um Emorys Nacken und drückte ihn fest an sich, und mit einem kleinen Lächeln schloss Emory die Augen und genoss den Moment.

Das Verlangen in Rafe verwandelte sich in glühende Eifersucht. Mit unnötiger Kraft würfelte er den unschuldigen Sellerie.

Dani kam zu ihm. „Wenn Sie mir Ihren Schlüssel geben, schließe ich das Restaurant für die Lunchgäste auf.“

Kurz ließ er den Blick über sie wandern. Der Geschäftsmann in ihm gratulierte sich, dass er sie zurückgeholt hatte, der eifersüchtige Mann in ihm fragte sich, ob er sich selbst in den Wahnsinn treiben wollte.

„Emory, gib ihr deinen Schlüssel.“

Der Souschef zog sofort den Restaurantschlüssel von seinem Schlüsselbund. „Gern.“

„Lassen Sie noch heute einen Schlüssel für sich nachmachen und geben Sie diesen Emory zurück.“

„Wird gemacht, Boss.“

Sie drehte sich um und verließ die Küche. Die hohen Absätze ihrer Schuhe klackten bei jedem ihrer Schritte auf dem Fliesenboden, und mit jedem Schritt wiegten sich ihre Hüften – auf denen sämtliche Augenpaare in der Küche lagen.

„Geht wieder an die Arbeit!“, brüllte Rafe, und jeder beeilte sich, mit dem fortzufahren, was er gerade getan hatte.

Emory kam zu ihm. „Stimmt etwas nicht?“

„Nein, wieso?“ Rafe schnitt den Sellerie, als hinge sein Leben davon ab.

Der Souschef sah zur Tür, zu der Dani soeben hinausgegangen war. „Sie ist glücklich, wieder hier zu sein. Hast du sie überreden können, in Italien zu bleiben? Zieht ihr Verlobter her?“

„Weiß ich nicht.“

„Du weißt es nicht?“, fragte Emory fassungslos.

„Sie meinte, ihre letzten beiden Wochen in Italien seien eine Art Probezeit. Danach will sie sich entscheiden.“

„Dann sollten wir sie verwöhnen, wie und wo wir nur können.“

„Ich habe ihr mehr Gehalt und einen Titel gegeben. Wenn ihr das nicht reicht, sollten wir froh sein, wenn sie zu ihrem Verlobten zurückkehrt.“ Das Wort „Verlobter“ spie er verächtlich aus. Er merkte, wie er mit jeder Sekunde wütender wurde.

„Also, ich glaube ja noch immer, dass mit dieser Verlobung etwas nicht stimmt. Dani kommt mir nicht vor wie eine verliebte Frau.“

„Willst du damit behaupten, sie lügt?“

Emory neigte nachdenklich den Kopf zur Seite. „Nein, das nicht. Aber ich gehe jede Wette ein, dass ihr Verlobter ein langweiliger Trottel ist und die Beziehung so flach wie eine Crêpe.“

Von Rafe kam nur ein „Hmpf“, aber er musste wieder daran denken, dass sie gesagt hatte, ihr Verlobter sei nicht perfekt.

„Ich meine, ich erwähne das nur, weil es sicher ein Vorteil für uns ist. Denn wenn sie nicht wirklich verliebt ist, wird Italiens Schönheit für uns arbeiten. Wir sollten nett zu ihr sein, damit sie erkennt, dass sie das, was sie in New York hat, eigentlich gar nicht will.“

Rafe schwieg schmollend und schnitt weiter Sellerie. Warum sollte er sich einen Arm und ein Bein ausreißen? Immerhin war er hier der gute Fang. Er wollte, dass ihre Lider flatterten und ihre Augen zu strahlen begannen, wenn er nur an ihr vorbeiging. Schließlich hatte er auch seinen Stolz.

„Na, dann bleib eben weiter stur. Aber wunder dich nicht, wenn irgendein New Yorker Bürohengst hier auftaucht und sie uns vor der Nase wegschnappt.“

Rafe musste das Knurren unterdrücken. Aber … sollte eine Frau nicht sehnsüchtig nach ihrem Verlobten schmachten, den sie monatelang nicht gesehen hatte? Stattdessen war Dani hier in Italien und überlegte sogar, ob sie nicht für immer bleiben sollte. Und zwar ohne ihren Verlobten.

Auf einmal verstand er, was Emory meinte. Sie war nicht glücklich mit ihrem Verlobten, stattdessen suchte sie nach etwas. Sie war nach Rom gefahren, um die Familie ihrer Pflegemutter zu suchen. Familie! War es das, wonach sie suchte? Hing sie deshalb so am Personal vom Mancini’s?

Trotzdem, da fehlte noch immer ein Puzzleteilchen.

Nachdenklich tippte Rafe sich mit der Fingerspitze gegen die Lippen. Und dann hatte er die Antwort gefunden. „Ich werde mir morgen freinehmen“, verkündete er Emory.

„Schon wieder?“ Emory war alles andere als begeistert.

„Nur eine längere Mittagspause. Daniella wird zur Lunchzeit auch nicht hier sein.“

„So?“ Abschätzend musterte Emory ihn.

„Ich gehe mit ihr auf Wohnungssuche. Dani sucht nach einer Familie, und sie glaubt, sie hier mit uns gefunden zu haben. Aber das Mancini’s ist ein Restaurant, ein Unternehmen, kein Ersatz für Familie. Wenn ich ihr helfe, etwas zu finden, wo sie sich wohlfühlen und Wurzeln schlagen kann, wird ihr die Entscheidung viel leichter fallen.“

Sobald Rafe eine freie Minute hatte, rief er die Maklerin an, die ihm auch sein Penthouse vermittelt hatte. Tatsächlich hatte sie drei Objekte in Monte Calanetti, und Rafe machte sofort Besichtigungstermine aus.

Nach der Lunchzeit ging er durch den jetzt leeren Speisesaal zu Daniella.

Lächelnd sah sie ihm entgegen. „Sie werden mich doch jetzt hoffentlich nicht anbrüllen, weil ich die Mittagszeit hier verbringe und Sie zwei Stunden mehr Gehalt koste, oder?“

„Da Sie jetzt zum Management gehören, erwarte ich sogar, dass Sie anwesend sind, solange das Restaurant geöffnet hat.“

„Außer an meinen freien Tagen.“

Er stöhnte. „Wenn Sie meinen, Sie können es sich leisten, zwei Tage nicht hier zu sein … Denn sollte etwas schiefgehen, tragen Sie die Verantwortung.“

Sie lachte nur. „Ich habe Allegra gut eingearbeitet. Während meiner Abwesenheit wird es keine Katastrophen geben.“

„Schön. Ich habe übrigens drei Termine mit meiner Maklerin für Wohnungsbesichtigungen ausgemacht.“

„Ich hatte doch schon gesagt, dass Sie nicht so schnell vorpreschen sollen. Ich habe mich noch nicht …“

„Noch nicht entschieden, ob Sie bleiben“, fiel er ihr ins Wort. „Ich weiß. Aber sollten Sie sich zum Bleiben entscheiden, müssen Sie nicht in panische Hektik verfallen. Immer einen Schritt vorausplanen – so beugt man Desastern vor. Deshalb wird Emory morgen die Küche übernehmen, während wir beide auf Wohnungssuche gehen.“

Die Sonne schien strahlend vom Himmel, als Dani und Rafe zusammen zu den Besichtigungen aufbrachen. Allerdings sagte keines der drei Objekte Dani zu. Und überhaupt … sie konnte nicht fest zusagen, wenn noch gar nicht feststand, ob sie für immer in Italien blieb.

„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich bei Rafe, nachdem sie sich von der Maklerin verabschiedet hatten und wieder im Wagen saßen.

„Entschuldigen Sie sich noch nicht.“ Er zog sein Smartphone hervor und wählte eine Nummer. „Carlo, Rafe hier. Haben Sie den Schlüssel für die leere Wohnung bei sich am Empfang? Grazie.“

Er ließ das Smartphone wieder in die Tasche gleiten und startete den Motor. „Ich hatte damit gerechnet, dass Maria Ihnen die Wohnung als Erstes zeigen würde – eine frisch renovierte Eigentumswohnung in meinem Gebäude.“

„Ihrem Gebäude?“ Sie hatte längst begriffen, dass Rafe und sie als Paar eine schlechte Kombination waren und sie das Schicksal besser nicht in Versuchung führen sollte. Und dann schlug er auch noch vor, im selben Haus zu wohnen?

„Laut Emory sind Sie meine wertvollste Mitarbeiterin. Wir sollten schnellen und unkomplizierten Zugang zueinander haben können. Außerdem liegen zwei Stockwerke zwischen den Wohnungen.“

Noch immer zögerte sie. „Ist das Gebäude so groß?“

„Das nicht, aber ich lege sehr viel Wert auf meine Privatsphäre.“ Er seufzte. „Kommen Sie und sehen Sie es sich an, dann werden Sie verstehen.“

Neugierig sah Dani sich um, als sie das Foyer des alten, renovierten Gebäudes betraten. Eine rote Sitzecke stand in dem schwarzweiß gefliesten Foyer, der Empfangstisch war diskret in einer Ecke positioniert. Rafe beugte sich zu ihr.

„Ich wohne im obersten Stock, im Penthouse.“

Sein Atem kitzelte an ihrem Ohr, fast wäre sie herumgewirbelt, um ihn zu rügen, dass er mit ihr flirtete. Doch sie hielt sich zurück. Vermutlich tat er das nämlich gar nicht, er war einfach nur er selbst. Darum reagierte sie auch nicht, als sie sich zu ihm umdrehte und in seine grauen Augen sah. Weil ihre Reaktion irrelevant war. Wenn sie nicht alles von Anfang an aus der richtigen Perspektive sah, lief sie Gefahr, schwer verletzt zu werden.

Sie setzte ein höfliches Lächeln auf. „Zwischen Ihrem Penthouse und dieser Wohnung liegen also mehrere Stockwerke?“

„Und ein abschließbarer Privatlift.“ Er hielt ihr den Schlüssel vor die Nase.

Schweigend fuhren sie mit dem Aufzug nach oben. Rafe schloss die Wohnungstür auf.

Dani schnappte nach Luft. „Ach du meine Güte!“ Sie schwang herum. „Das kann ich mir doch gar nicht leisten.“

Er lachte. „Doch, natürlich.“

Nach dem ersten Eindruck im Foyer hatte sie eine ultramoderne Wohnung erwartet, doch hier herrschten überall beigefarbene und hellgelbe Wände vor, und die Kochnische samt Granitanrichte und Frühstücksbar wirkte richtig gemütlich. Schon jetzt sah Dani es vor sich – die Wohnung voller lachender Menschen, Louisa, die Kollegen aus dem Mancini’s, Nachbarn und neue Leute, die sie kennenlernen würde …

Sie verbannte den Gedanken, bevor er sich verfestigen konnte. Irgendetwas in Italien brachte sie dazu, alles durch die rosarote Brille zu sehen. Wenn sie sich nicht die Zügel anlegte, würde sie Entscheidungen treffen, noch bevor sie wusste, ob sie überhaupt mit Rafe als Freund zusammenarbeiten konnte.

Sie drehte sich zu ihm um. „Es ist unfair, mir etwas vor die Nase zu halten, das ich nicht haben kann.“

„Ich sagte doch schon, dass Sie es sich leisten können. Warum also glauben Sie, dass Sie es nicht haben können?“

Als Kind hatte sie von einer solchen Wohnung geträumt, aber sie durfte nicht zulassen, dass sie sich in dieses Apartment verliebte. Genauso wenig, wie sie Rafe zeigen durfte, wie hingerissen sie war. Sollte er ihre Schwachstelle erkennen, würde er sie sofort zu seinem Vorteil nutzen und versuchen, sie zu überreden – noch bevor sie selbst wusste, ob es die richtige Entscheidung wäre.

Sie deutete auf die Kochnische mit viel Edelstahl und Granit. „Die ist wirklich extrem modern.“

„Ist Ihnen das alte Bauerhaus mit den Löchern in den Mauern, das die Maklerin Ihnen gezeigt hat, lieber?“

„Nein.“ Mit einer Hand strich sie über die Granitanrichte und stellte sich bereits vor, wie sie hier Teig für Weihnachtskekse ausrollte. „Ich will eine heimelige Küche, in der es immer himmlisch duftet.“

„Das haben Sie im Mancini’s.“

„Und ich will ein breites gemütliches Sofa mit passenden Sesseln, in denen man versinkt, wenn man sich setzt.“

„An Mobiliar kaufen Sie sich, was Sie wollen.“

„Und nachts will ich die Heizung abstellen können, damit ich mich unter einem dicken Federbett zusammenrollen kann.“

Er starrte sie an, als hätte sie den Verstand verloren. „Das können Sie hier, wenn Sie es so unbedingt wollen. Sie haben eine ziemlich idealisierte Vorstellung von einem Zuhause.“

„Wie vermutlich die meisten Pflegekinder.“

Er lehnte sich mit einer Schulter an die Wand, musterte sie neugierig. „Sie haben eigentlich nie wirklich von Ihrem Leben erzählt, sondern nur gesagt, dass Sie von Pflegefamilie zu Pflegefamilie geschoben wurden. Kein Wort darüber, wie Sie im Pflegesystem gelandet sind.“

„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Meine Mutter war drogensüchtig.“ Sie sah, wie er zusammenzuckte. „Daran ist nichts schönzureden.“

„Jeder redet sich seine Vergangenheit schön, retuschiert, redigiert. Nur so kommen wir selbst damit klar.“

Überrascht sah sie ihn an. Sie war immer der festen Überzeugung gewesen, dass allein die Wahrheit half, in dieser verrückten Welt nicht selbst verrückt zu werden. Er jedoch schien genau gegenteiliger Meinung zu sein. „So? Was reden Sie sich denn schön?“

„Ich habe Ihnen mal gesagt, dass ich kein Gentleman bin, erinnern Sie sich?“

Dani schnaubte.

„Ich hätte sagen müssen, dass ich ein echter Mistkerl bin.“

Sie lachte. „Rafe, ich habe es schon beim ersten Mal verstanden. Sie suchen nichts Romantisches zwischen uns.“

„Sie werden im Mancini’s gebraucht, und mit Frauen, mit denen ich mal zusammen war, rede ich nicht mehr. Darum behalte ich Sie lieber fürs Mancini’s.“

Ihr wurde ganz warm ums Herz, als er sagte, er wolle sie behalten. Dabei meinte er das keineswegs so, wie ihr Herz es auslegte. Energisch ermahnte sie sich, vernünftig zu bleiben, und sah sich weiter in der Wohnung um. Sie konnte sich schon genau vorstellen, wie sie die Zimmer einrichten würde. Dann traf sie die Erkenntnis wie der Blitz. „Sie wussten, dass mir die Wohnung gefallen würde!“

Immerhin hatte er so viel Anstand, zerknirscht auszusehen. „Ich hatte es vermutet.“

Während sie auf ihn zuging, schoss ihr der seltsamste aller Gedanken in den Kopf. Man musste zwar kein Genie sein, um sich denken zu können, dass man ein Pflegekind am ehesten mit einem gemütlichen Heim ködern konnte, aber bisher hatte sich niemand die Mühe gemacht, das auch nur zu versuchen.

„Und warum?“, fragte sie, als sie vor ihm stand.

Er zuckte nur mit den Schultern. „Ich kann mir vorstellen, dass Sie das Gefühl haben, mit dem Tod Ihrer Pflegemutter auch Ihr Zuhause verloren zu haben. Wahrscheinlich sind Sie nach Italien gekommen, weil Sie hofften, dieses Gefühl bei den Verwandten Ihrer Pflegemutter wiederzufinden.“

„Es sind wirklich nette Leute.“

„Das will ich gar nicht anzweifeln, aber Sie haben keine wirkliche Verbindung mit Rosas netten Verwandten gespürt, oder? Im Mancini’s jedoch … zu uns sind Sie wieder zurückgekommen, weil Sie hier eine echte Bindung verspüren.“

Ihr Herz stockte. Nicht einmal ihr Fast-Verlobter hatte begriffen, weshalb sie Rosas Familie besuchen wollte. Rafe jedoch, ein Mann, den sie gerade mal etwas länger als zwei Wochen kannte, hatte es sofort erkannt.

Die Leute im Mancini’s waren tatsächlich zu ihrer Ersatzfamilie geworden. Das Einzige, was ihr in Italien noch fehlte, war eine Unterkunft. Ihr eigenes Zuhause.

Und Rafe hatte es für sie gefunden. Ihm lag genug an ihr, dass er sie froh und glücklich machen wollte, dass er Bedürfnisse erkannte, die sie fest in ihrem Herzen verschlossen hielt.

Der Gedanke machte ihr Angst, darum wanderte sie weiter durch die Wohnung und in das Hauptschlafzimmer. Beim Anblick des großen Raums riss sie die Augen auf. „Wow. Sehr nett.“

Rafe stand direkt an ihrem Rücken. „Wechseln Sie jetzt bewusst das Thema?“

Mit einem Ruck schwang sie herum. Er schien wirklich keine Ahnung zu haben, was er da tat. Nicht nur erfüllte er jeden ihrer Wünsche, ihm lag auch an ihr. Er lernte sie kennen, mehr und mehr, so wie es bisher noch niemand gewollt hatte. Die Sehnsucht, sich in seine Arme zu schmiegen und ihm alles über sich zu offenbaren, ihre Ängste, ihre Träume, ihre Hoffnungen, wurde so stark, dass sie von ihm zurücktreten musste. Sollte sie das wirklich tun und er sie dann auch noch trösten, würde sie sich nie wieder aus seiner Umarmung lösen wollen. Und sollte er ihr dann auch noch irgendetwas Romantisches zuflüstern, wäre sie für immer verloren.

„Ich war der Meinung, dass das Thema dringend gewechselt werden musste.“

„Warum?“

Wie gern hätte sie ihm jetzt gesagt, dass er dabei war, sich in sie zu verlieben. Die Dinge, die er für sie tat … So etwas tat kein Boss für eine Angestellte, ganz gleich, für wie wichtig er diese Angestellte hielt. Nein, er empfand wesentlich mehr für sie. Nur sah er das nicht.

Außerdem traute sie dem Ganzen nicht. Er hatte sich selbst als Mistkerl bezeichnet. Wenn er sie nun heute mochte, morgen aber nicht mehr?

„Weil ich Angst habe“, antwortete sie auf seine Frage. „Jedes Mal, wenn ich glaube, Wurzeln schlagen zu können, geht es schief.“ Sie sprach die Worte klar und deutlich aus, damit auch nichts missverstanden werden konnte. Rafe war clever, er konnte sich denken, was sie meinte. Wenn sie tatsächlich in Italien blieb, mithalf, das Mancini’s ganz nach oben zu bringen, bestand die große Wahrscheinlichkeit, dass sie sich in ihn verliebte. Ganz gleich, wie stark und vernünftig sie war, ganz gleich, wie viel Disziplin sie aufbrachte.

Und dann?

Würde ich ständig im Restaurant herumlungern und gierig die Krumen aufschnappen, die er mir zuwirft? Und wenn er dann zur Nächsten weiterzieht? Wie sollte ich je damit klarkommen?

Allein die Vorstellung verursachte Dani Übelkeit. Doch das konnte sie ihm unmöglich sagen, daher berief sie sich auf sichere Themen. Auf Themen, über die sie miteinander reden konnten.

„Wissen Sie, ich sehe es schon vor mir, wie wir wieder aneinandergeraten und Sie mich feuern. Oder ganz gleich, wie sehr ich die Bedienungen auch mag, irgendwann suchen sie sich neue Jobs und ziehen weiter. Diese Entscheidung birgt einige Risiken für mich. Ich meine, ich erwarte gar nicht, dass alles perfekt ist, aber etwas Sicherheit brauche ich schon.“

„Sie immer mit Ihrer Sicherheit. Vielleicht sollten Sie die Sicherheit vergessen und lieber nach Glück und Erfüllung suchen.“

Nichts würde sie lieber tun. Zusammen mit ihm durch Italien reisen, gestohlene Küsse, leidenschaftliche Nächte … Aber er hatte ihr bereits gesagt, dass er dafür nicht zu haben war, und das glaubte sie ihm auch unbesehen. Irgendwie musste sie es schaffen, solche Gedanken restlos aus ihrem Kopf zu tilgen. Denn nur, wenn ihr das gelang, konnte sie auch im Mancini’s bleiben.

Rafe seufzte, als sie nichts erwiderte. „Ich halte es nicht für Zufall, dass Sie ins Mancini’s gekommen sind.“

„Natürlich nicht. Nico hat mich geschickt.“

„Von Nico spreche ich nicht. Ich rede von Schicksal.“

Sie lachte leise. Fast war es amüsant, dass er Worte und Ausdrücke wählte, die ein Liebhaber nutzen würde, nur um sie für sein Restaurant zu halten. Kein Wunder, dass ihre Gedanken ständig in die falsche Richtung drifteten. Dem Himmel sei Dank, dass sie wusste, wie es von ihm gemeint war.

„Pflegekinder glauben nicht an Schicksal. Unsereins lernt früh, wie wichtig Ausbildung ist, damit wir Sicherheit für uns schaffen können. Wenn Sie also wirklich wollen, dass ich bleibe, dann lassen Sie mich meine eigenen Entscheidungen treffen, und zwar aus den richtigen Gründen. Denn wenn ich bleibe, werden Sie mich so schnell nicht wieder los, dann wird das Mancini’s mein Zuhause. Sind Sie bereit dafür?“

10. KAPITEL

Ob ich bereit bin? Was für eine Frage soll das denn sein?

Rafe hielt Dani beim Arm zurück, als sie sich abwenden wollte. „Natürlich bin ich bereit. Himmel, ich bin sogar nach Rom gekommen, um Sie zurückzuholen.“

Sie schüttelte lachend den Kopf. „Also gut. Aber sagen Sie hinterher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.“

Rafe verdrehte die Augen. Frauen! Wer sollte sie je verstehen? „Ich erachte mich als gewarnt.“ Er hielt die Tür für sie auf. „Kommen Sie, ich fahre Sie zurück zum Palazzo.“

Rafe setzte Dani bei Louisa ab und fuhr wieder zu sich nach Hause, um sich für die Arbeit umzuziehen. Dabei dachte er unentwegt an Danis Bemerkung, die ihn halb in den Wahnsinn trieb.

War er bereit dafür, dass sie blieb? Dumme Frage. Er hatte sie ja praktisch schon zur Geschäftsführerin gemacht. Natürlich wollte er, dass sie blieb.

Er zog sich um und ging zu Fuß zum Restaurant. Als er in die Küche kam, waren scheinbar alle äußerst guter Laune.

„Was ist denn los?“

Emory drehte sich von der Anrichte zu ihm um. „Hast du die heutige Ausgabe der Tuscany Review etwa noch nicht gesehen?“

Bei dem ganzen Hin und Her mit Dani hatte Rafe völlig vergessen, dass die neue Ausgabe heute herauskam. Er riss Emory das Magazin aus der Hand.

„Seite 29.“

Rafe blätterte bis zu der Seite und stieß auf ein Foto von Dani unter der Überschrift: Ein Neuanfang für Mancini’s.

„Lies den Artikel, er ist fantastisch“, sagte Emory. „Da steht auch, dass die neue Oberkellnerin hübsch und sehr sympathisch ist …“

„Ist sie ja auch“, warf Rafe ein.

„Und dein Essen wird gelobt, ohne auch nur ein Wort über dein Temperament.“

Mit einem Ruck hob Rafe den Kopf. „Tatsächlich?“

„Ja. Als ob es nie Szenen wegen deines Temperaments gegeben hätte.“

Rafe hielt sich die Zeitschrift vor die Brust. „Wie gut, dass ich nach Rom gefahren bin und sie zurückgebracht habe.“

Genau in diesem Moment kam Dani in die Küche, in einem apricotfarbenen Kleid. „Habe ich da etwas von einem Artikel in einer Zeitschrift gehört?“

Wortlos reichte Rafe ihr das Magazin. Dani sah auf das Foto von sich und lachte auf.

„Na, da sieh sich einer mich nur mal an.“

„Genau.“ Am liebsten hätte Rafe sie in seine Arme gerissen – und genau darum verschränkte er diese vor der Brust. Dass dieser Wunsch mit solcher Macht in ihm aufwallte, war ihm Bestätigung genug, wie unerlässlich es war, Distanz zu halten. Wenn Dani blieb, dann musste das Restaurant der ausschlaggebende Grund sein, ihr Wunsch, ein Zuhause für sich zu finden. Er würde sicherstellen, dass sie aus dieser Absprache das bekam, was sie wollte, und zwar ohne ihr das Herz zu brechen. Denn sollte er ihr Herz brechen, würde sie gehen, und dann wäre alles Erreichte hinfällig.

„Ihnen ist klar, dass selbst wenn jeder Koch kündigt und alle Bedienungen und Hilfskellner andere Jobs finden, Emory und ich immer hier sein werden, oder?“ Rafe stieß Emory den Ellbogen in die Rippen, als dieser nur breit grinste. „Hör auf, ein Gesicht wie einer von den drei Stooges zu ziehen. Für sie ist das eine ernste Angelegenheit.“

Lächelnd sah Dani von der Zeitschrift auf. „Ich weiß, dass Sie immer hier sein werden. Ist Ihnen schon mal der Gedanke gekommen, dass das Teil des Problems sein könnte?“ Und damit drehte sie sich um und verließ die Küche.

„Die Frau spricht in Rätseln“, brummte Rafe, obwohl er genau wusste, was sie meinte. Sie hatte Gefühle für ihn. Zum Teufel, er hatte ja auch Gefühle für sie! Aber gegen die würde er ankämpfen. Und jetzt, da sie mit ihm arbeitete, musste sie sicher sein können, dass sie das auch durchhielt.

Vielleicht hatte sie das mit ihrer Frage gemeint, ob er bereit sei. Denn wie es schien, kämpfte sie genauso gegen ihre Gefühle an wie er gegen seine.

Zwei Abende später, als der Kundenbetrieb langsam ruhiger wurde, schlenderte Nico ins Restaurant. Seine Augen leuchteten auf, als er Dani hinter ihrem Tresen stehen sah.

„Sieh einer an!“ Er nahm sie bei der Hand und drehte sie fröhlich einmal um die eigene Achse. Der Rock ihres hübschen blauen Kleides schwang um ihre Beine.

Eifersucht befiel Rafe wie aus dem Nichts, als er aus der Küche kam und die kleine Szene beobachtete. Aber er beherrschte sich.

„Laut Rafe sind Sie die ideale Besetzung“, meinte Nico.

Dani lächelte. „Wer würde es nicht lieben, hier zu arbeiten?“

Rafe freute sich, das zu hören. Sie liebte es also, im Mancini’s zu arbeiten. Das wusste er natürlich schon, aber es tat gut, es aus ihrem Mund zu hören. Offensichtlich funktionierte seine Taktik also. Im Restaurant herrschte eine gemütliche, entspannte und heitere Atmosphäre. Genau, wie er es sich immer gewünscht hatte.

„Wir haben nicht reserviert“, sagte Nico, als Dani im Computer nachsah.

Sie lächelte. „Keine Sorge, der Betrieb ebbt langsam ab. Platz gibt es genug.“

Nico sah auf. „Und da kommt der Chefkoch höchstpersönlich.“

Die beiden Männer umarmten einander zur Begrüßung. Nico erklärte grinsend: „Ich habe deine Ravioli auf Instagram gesehen, da musste ich einfach kommen.“

„Pah! Reiche verwöhnte Kinder. Ich hätte …“ Abrupt brach er ab, als er die Frau hinter Nico sah. „Marianna!“ Nicos kleine Schwester war ein ganzes Jahr durch die Welt gereist. Mit den kurzen dunklen Locken war sie der Prototyp der italienischen Schönheit. Rafe stieß Nico zur Seite und umarmte Marianna. Sie wieder hier zurück zu haben, brachte ein Stückchen Normalität zurück in seinen Alltag.

Einen Arm um Mariannas Taille, den anderen um Nicos Schultern, wandte Rafe sich an Dani. „Meine Freunde Nico und Marianna bekommen den besten Tisch des Hauses, und zwar gleich neben meiner Küche. Ich will sie verwöhnen können.“

Nico lachte vergnügt. „Was er damit meint, ist, dass er uns als Versuchskaninchen missbrauchen will.“

Dani lachte Nico an, dabei zog ein Hauch Rot auf ihre Wangen. Rafe kam ein Gedanke. Er hatte Dani gesagt, dass er die Beziehung zwischen ihnen rein geschäftlich halten wollte. Nico war ein gut aussehender Mann, Danis Verlobter ein Trottel und Dani selbst eine äußerst attraktive und sehr liebenswerte Frau. Wenn sie blieb, könnten sie und Nico ein Paar werden …

Sein Magen zog sich zusammen.

Er sollte froh sein, wenn Nico Interesse an Dani entwickelte und dies Dani zum Bleiben bewegte. Sich das in der Theorie vorzustellen und in der Praxis zu sehen, wie Nico sie anstarrte, waren zwei völlig verschiedene Dinge. Eifersucht raste heiß durch seine Adern, und er scheuchte Dani fort.

„Gehen Sie nur, ich kümmere mich um die beiden. Sie werden im Saal gebraucht. Der Abend ist noch nicht zu Ende.“

Mit einem letzten Lächeln kehrte Dani zurück auf ihren Posten, und Rafe stieß erleichtert die Luft aus. Er führte seine Freunde an einen kleinen Tisch und hielt den Stuhl für Marianna. „Was kann ich euch zu trinken anbieten?“

Nico nahm Wein, Marianna bat um ein Glas Mineralwasser.

Rafe sah sie ungläubig an. „Italiener trinken immer Wein zum Abendessen!“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich möchte nur ein Wasser.“

Nico winkte ab. „Seit sie zurück ist, benimmt sie sich seltsam. Bring ihr einfach ihr Wasser.“

Rafe winkte Allegra herbei, damit sie die Getränke holte, während Dani neu ankommende Gäste zu den Tischen geleitete. Wie ihm auffiel, haftete Nicos Blick bei jeder ihrer Bewegungen auf ihr.

Wieder quälte Rafe Eifersucht. Er wollte doch, dass Dani in Italien blieb. Nico könnte das Zünglein an der Waage sein. Er selbst durfte keine Beziehung mit Dani anfangen, warum also sollte es ihm so sauer aufstoßen, wenn sein Freund sie nur ansah?

„Gib mir zehn Minuten, und ich mache dich zum glücklichsten Mann der Welt.“

Nico lachte, ohne den Blick von Daniella zu lösen. „Selbst dein Essen wird dazu wohl nicht in der Lage sein.“

„Lass die schmutzigen Gedanken – und vor allem meine Angestellte in Ruhe“, knurrte Rafe.

„Was denn, deine Angestellte? Stellst du etwa Besitzansprüche?“

Rafe erstarrte, aber Marianna schüttelte den Kopf. „Männer! Alles dreht sich nur um Sex.“

Nico lachte noch immer, und Rafe schwang herum und verschwand in seiner Küche, wütend auf Nico, aber noch wütender auf sich selbst. Er sollte froh sein, wenn sein Freund Dani zum Bleiben brachte. Stattdessen tobte gleißende Rage in ihm. Es war völlig absurd.

Es dauerte keine zehn Minuten, bis das Menü für seine Freunde fertig war, sondern vierzig. Allegra trug Suppe und Antipasti hinaus, die Hilfskellner brachten benutztes Geschirr zurück in die Küche, und als Rafe endlich Zeit fand, in den Saal zu gehen, saß Dani bei Nico und Marianna am Tisch.

Rafe zwang sich zu einem munteren Lächeln und stellte die Teller vor Nico und seine Schwester.

„Das riecht absolut himmlisch“, schwärmte Marianna.

Nico nickte. „Wirklich sehr beeindruckend, Rafe.“

Dani schnupperte. „Hmm …“

Mit einem Grinsen drehte Nico Pasta auf seine Gabel und hielt Dani den Bissen hin. „Möchten Sie probieren?“

„Oh, ja, immer gern!“

Doch dazu kam Dani nie. Rafe zog ihren Stuhl mit einem Ruck zurück und weg vom Tisch. „Sie wird dieses Gericht später probieren.“

Nico lachte. „Gibt es etwa einen besonderen Anlass?“

Rafe kam sich plötzlich vor wie der letzte Idiot. Sollte Nico seine Eifersucht bemerkt haben, würde er sich halb totlachen.

Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Nein, aber einen laufenden Prozess. Dani hat schon öfter probiert, um die Speisekarte kennenzulernen, und heute Abend wollte ich ihr das volle Menü servieren.“

Dani drehte sich im Stuhl zu ihm um. „Wirklich?“

Großer Gott. Ihre blauen Augen hielten ihn gefangen, etwas Warmes, Erdiges lief durch ihn hindurch.

„Ja“, bestätigte er leise.

Sie stand auf, stand direkt vor ihm. „Ein privates Dinner?“

Alles, was männlich in ihm war, begann zu glühen. Nach Tagen, in denen sie zusammengearbeitet hatten und er sich ständig hatte zusammennehmen müssen, konnte er nicht länger abstreiten, wie sehr er sich wünschte, Zeit allein mit ihr zu verbringen. Er wollte nicht, dass Nico sie bezauberte. Er selbst wollte sie bezaubern. „Genau, ein privates Dinner.“

Sein Atem stockte, als sie ihn anlächelte. Sie will mit mir allein sein? Obwohl ich sie gewarnt habe? Was ist mit ihrem Verlobten?

Er eilte in die Küche zurück, war sich nicht sicher, was er hier eigentlich vorhatte. Ein spezielles Dinner für seine Dani. Er würde sich ganz besondere Mühe geben.

Meine Dani?

In der Küchentür kniff Rafe die Augen zusammen. Großer Gott, das war nicht nur simple Anziehungskraft. Nein, er war völlig verrückt nach ihr.

Der Speisesaal hatte sich inzwischen fast geleert, aber Dani war unruhig. So unruhig, dass sie sich tatsächlich fragte, ob sie überhaupt etwas von dem essen könnte, was Rafe für sie zubereitete.

Ein privates Dinner. Dani hatte nicht die geringste Ahnung, wohin das führen würde. Aber als Rafe endlich aus der Küche kam, setzte ihr Herz einen Schlag lang aus. Den weißen Chefkittel hatte er abgelegt. In schwarzer Hose und weißem T-Shirt, das seine breite Brust betonte, trat er an den Tisch der Amatuccis. „Nun, wie hat es euch geschmeckt?“

Nico tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. „Rafe, du bist wirklich ein Ausnahmekoch.“

Rafe verbeugte sich galant. „Marianna“, entfuhr es ihm, als er den Kopf drehte, „du hast ja kaum etwas gegessen!“

Sie lächelte matt. „Von der Portion wäre eine ganze Armee satt geworden.“

„Nimmst du den Rest mit nach Hause?“ Als sie nickte, winkte Rafe Allegra herbei, die das übrig gebliebene Essen zum Mitnehmen einpackte.

Derweil unterhielt sich Rafe mit Nico, viel gelassener, als Dani sich fühlte. Sobald Allegra mit der Portion zum Mitnehmen an den Tisch zurückkam, stand Marianna auf.

„Ich weiß nicht, was heute mit mir los ist, aber ich fühle mich völlig zerschlagen.“

Nico stand ebenfalls auf. „Es ist auch schon spät, und ich habe Marianna versprochen, dass es nicht zu lange dauert. Aber wir wollten auf jeden Fall vorbeikommen und Hallo sagen.“

Rafe verabschiedete Marianna mit Handkuss. „Schade, dass du so müde bist. Aber jetzt werden wir wieder öfter Gelegenheit haben, uns zu sehen, nicht wahr?“

Dani runzelte nachdenklich die Stirn. Nicos Schwester wirkte nicht nur erschöpft, sie war auch gespenstisch blass. Und nur einmal hatte sie eine Frau gesehen, die genauso müde und bleich gewesen war.

Sie verabschiedeten sich freundschaftlich voneinander, und Dani half den anderen noch dabei, das Restaurant aufzuräumen. Rafe kam aus der Küche, als sie gerade fertig waren. Er stellte sich hinter die Bar, holte eine Flasche Wein hervor und zwei Gläser. In Danis Magen begann es zu flattern. Dieses private Dinner … es rückte immer näher.

Die Kellnerinnen gingen in den Feierabend, das Licht in der Küche erlosch, was hieß, dass Emory und das Küchenpersonal das Restaurant ebenfalls verlassen hatten. Nur Dani und Rafe blieben zurück.

Er wandte sich zu ihr. „Setzen Sie sich.“

Nun, das war so weit von Romantik entfernt wie überhaupt nur möglich. Hier ging es nicht darum, Zeit miteinander zu verbringen, der Chefkoch wollte, dass seine Oberkellnerin das Menü kannte.

Doch als sie näher kam, fühlte sie seinen Blick, sah das Interesse aufflackern. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, und ihr Magen setzte zum Sturzflug an.

Das war der Grund, weshalb es ihr nie wirklich gelungen war, diese Anziehungskraft in sich ganz zu ersticken. Denn er war genauso an ihr interessiert. Er mochte es verbergen, mochte dagegen ankämpfen, aber er empfand mehr für sie, als ein Chef für eine normale Angestellte empfand.

Rafe hielt ihr den Stuhl, und sie setzte sich. Als sie sich zurücklehnte, lagen seine Hände noch immer auf der Lehne. Der unbeabsichtigte Körperkontakt jagte ihr ein Prickeln über die Haut. Jede Zelle in ihr vibrierte.

Er ließ den Stuhl los und trat zurück. „Suppe und Salat lassen wir ausfallen, weil es schon so spät ist.“ Ganz Chef, setzte er sich neben sie und hob die Hauben erst von ihrem, dann von seinem Teller. „Ich präsentiere … Schmorbraten mit Pappardelle an Minze.“

Sobald Dani das Aroma in die Nase stieg, lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Genießerisch schloss sie die Augen. „Fantastisch.“

„Warten Sie, bis Sie erst probiert haben.“

Aufmunternd lächelte er sie an, und sie nahm ihre Gabel und führte einen Bissen Pasta in den Mund. Da sie wusste, dass er dieses Gericht speziell für sie zubereitet hatte, schien es ihr irgendwie dekadent. Ihre Blicke trafen sich, als der Geschmack auf ihrer Zunge explodierte.

„Oh, Gott!“

„Gut?“ Er grinste.

„Sie wissen, dass Sie das nicht zu fragen brauchen.“

Lachend setzte er sich zurück. „Ich war der Beste des Jahrgangs. Ich habe sowohl in Europa als auch in Amerika gelernt, daher kann ich den Geschmack beider Gaumen zufriedenstellen.“ Das Grinsen verwandelte sich in ein triumphierendes Lächeln. „Ich bin ein Meister meines Fachs.“

Sie schnitt ein Stück von der Bratenscheibe ab. „Das werde ich sicher nicht bestreiten.“

„Probieren Sie auch mein Tiramisu. Oder müssen Sie auf Ihre Figur achten?“

Dani schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Dann wappnen Sie sich dafür, in die Welt der Dekadenz einzutauchen.“

Sie lachte, ging davon aus, dass er nun sein Besteck aufnehmen und ebenfalls mit dem Essen beginnen würde. Doch er saß nur da und beobachtete sie.

„Sie genießen es, wenn andere über Ihr Essen ins Schwärmen geraten, nicht wahr?“

„Natürlich.“

Doch das war nicht der Grund, weshalb er sie studierte. Es bestand ein Unterschied zwischen Stolz auf ein vollbrachtes Werk und Verwunderung über die vorherrschende Anziehungskraft, und Dani erkannte den Unterschied genau.

Sie legte das Besteck ab, hielt seinen Blick für einen Moment fest. „Was tun wir hier eigentlich, Rafe?“

Er schüttelte langsam den Kopf. „Ich bin mir nicht sicher.“

„Sie betrachten mich nicht wie jemand, der nur gespannt auf meine Reaktion auf sein Essen ist.“

„Sie sind schön.“

Ihr Herz setzte aus. Wie sehr sie sich wünschte, dass er endlich etwas tat. Aber eine Romanze zwischen ihnen wäre das vorprogrammierte Desaster. Sie würde verletzt werden und müsste Monte Calanetti verlassen. Darum durfte sie in nichts von dem, was er sagte, zu viel hineinlesen. „Schönheit bezahlt aber die Miete nicht.“

„Warum reizen Sie mich?“ Er flüsterte die Worte nur.

„Ich reize Sie doch nicht.“ Dani war entsetzt.

„Doch, das tun Sie. Jeden Tag ziehen Sie sich reizvoller an, aber Sie reden nicht mit mir.“

„Ich bin clever genug, um mich von einem Mann fernzuhalten, der mich gleich mehrere Male gewarnt hat.“

„Und doch waren Sie es, die mich gefragt hat, ob ich bereit dafür bin, dass Sie bleiben.“

„Weil Sie …“ Weil Sie mich mögen. Fast hätte sie es ausgesprochen. Doch damit würde der Ärger offen ausbrechen. Im Moment mochte er sie vielleicht, aber das war nicht von Dauer. Es wäre dumm, darüber zu reden. „Weil Sie mich nicht feuern können, wenn ich bleibe“, hielt sie sich auf sicherem Gebiet.

„Sie sagen das, als müsste ich Angst davor haben.“ Er legte den Arm hinter ihrem Rücken auf die Stuhllehne, spielte mit ihrem kinnlangen Haar, streichelte ihren Nacken. Dani konnte sich nicht rühren, konnte kaum noch atmen.

Er legte die Hand an ihren Nacken, zog ihren Kopf zu sich. Sie sagte sich, dass sie ihn aufhalten musste, dass sie sich wehren musste. Doch etwas in seinem Blick ließ es nicht zu. Die Blicke ineinander getaucht, kamen sie wie in Zeitlupe auf einander zu. Und als sein Mund ihre Lippen berührte, schloss sie die Augen.

Warm. Süß. Sacht. Dani wusste, warum sie sich nicht wehrte. Es kam selten vor, dass sie bekam, was sie sich wünschte. Darum war es so unendlich schwer, nein zu sagen. Es mochte falsch sein, sich nach ihm zu sehnen, aber das hielt sie nicht auf.

Seine Hand wanderte von ihrem Nacken über ihren Rücken, und er drehte sie auf dem Stuhl. Wie von allein glitten ihre Hände zu seinen Schultern, wenn auch zögernd. Doch als Rafe den Kuss vertiefte, verflog jeder klare Gedanke.

Endlich. Endlich küsste er sie, so wie an dem Abend, als er sie zu ihrem Auto begleitet hatte.

Als er noch gedacht hatte, sie wäre frei.

Der Kuss dauerte und dauerte. Und eine jähe Erkenntnis brach sich in Dani bahn: Sie hatte sich völlig umsonst gesorgt, dass sie sich mit der Zeit in Rafe verlieben könnte. Sie war nämlich längst in ihn verliebt. Unschuldig und sehnsüchtig, wie sie war, mit allem, was sie ausmachte.

Und er … er kam nicht einmal in die Nähe, sich in sie zu verlieben.

Er war stark und starrsinnig, absolut unbeirrbar in dem, was er wollte. Er hatte gesagt, er sei nicht der Typ für feste Beziehungen. Er hatte gesagt, er habe keine Zeit dafür. Er hatte sie gewarnt, dass er sie verletzen würde und sie dann unmöglich noch länger für ihn arbeiten könnte.

Wollte sie ihren Job für einen Flirt aufs Spiel setzen? Die neuen Freunde wieder verlieren? Wollte sie sich dem Kummer aussetzen?

War sie nicht schon oft genug verletzt worden?

Abrupt riss sie sich von ihm los, und er rieb sich mit der Hand übers Gesicht.

„Oh, Gott, es tut mir so leid.“

„Es tut dir leid?“ Chef oder nicht Chef, nach diesem Kuss verfiel sie ins Du. Aber da das Verlangen lodernd in ihr brannte, gemischt mit einer gehörigen Portion Angst, war ihr nicht ganz klar, wofür er sich entschuldigte.

„Ich stehle anderen Männern nicht die Frauen.“

„Oh, das.“ Die Sache mit Paul war für sie längst abgeschlossen, daran hatte sie überhaupt nicht mehr gedacht. Doch Rafe wusste das nicht. Einen Moment überlegte sie, ob sie es dabei belassen sollte, um sich selbst zu schützen. Aber sie waren jetzt an einen Punkt gelangt, an dem das nicht mehr fair wäre. Rafe sollte sich keine unnötigen Vorwürfe machen, erst recht nicht, nachdem sie sich so bereitwillig an dem Kuss beteiligt hatte.

Sie holte tief Luft. „Ich bin nicht verlobt.“

Ungläubig starrte er sie an. „Du hast gelogen?“

Dani sprang vom Stuhl auf, begann, auf und ab zu laufen. „Nein. Mein Freund hat mir einen Heiratsantrag gemacht. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm meine Antwort nach meiner Rückkehr aus Italien gebe. Die Reise war schließlich lange geplant …“

Rafe war ehrlich verwirrt. „Er hat dich gebeten, ihn zu heiraten, und du bist weggelaufen?“

„Rosa hat mir das Geld für das Ticket hinterlassen, und ich wollte ihre Familie kennenlernen. Außerdem hatte ich die Stelle in Rom als Aushilfslehrerin schon fest zugesagt, bevor Paul mir den Antrag gemacht hat.“

„Also war das alles nur Taktik.“

Mit gerunzelter Stirn sah sie ihn fragend an.

„Da er dich nicht von der Italienreise abbringen konnte, hat er dich mit dem Antrag an sich gebunden. Du solltest dich auf jeden Fall schuldig fühlen, falls sich während deiner Reise etwas ergeben und dich abhalten sollte. Aber sein Plan ist nicht aufgegangen, oder?“

Sie schloss die Augen. „Nein. Jetzt ist es so oder so egal, denn ich habe ihn angerufen und ihm meine Antwort mitgeteilt – ein Nein.“

„Du hast den Antrag abgelehnt?“

Sie nickte. „Ich habe ihn außerdem informiert, dass ich vielleicht nicht mehr aus Italien zurückkomme.“ Sie hielt kurz inne. „Er hat mir viel Glück gewünscht.“

Rafe ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen. „Also bist du frei.“ Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und lachte leise.

Sein Lachen jagte ihr Unbehagen ein. Sie hatte die eine Barriere eingerissen, die sie bisher geschützt hätte. Alles, was ihr jetzt noch blieb, war ihre Willenskraft. Und auf die war nicht unbedingt Verlass, wie sich eben erwiesen hatte.

„Ich sollte besser gehen.“

Er sah sie an. „Du hast kaum etwas gegessen.“

Sein Blick hielt sie gefangen, und ihr Magen zog sich zusammen. Diese Verbindung zwischen ihnen rief und lockte sie. Was wäre wohl passiert, wenn sie den Kuss nicht abgebrochen hätte? Und was würde passieren, wenn sie sich wieder setzte und ihr Mahl beendete? Würde Rafe sie jetzt, wo Paul nicht länger zwischen ihnen stand, verführen? Wie sollte sie ihn aufhalten? Mit der nächsten Lüge? Ich empfinde nichts für dich? Ich will nicht verletzt werden?

Wobei Letzteres nicht gelogen war und vermutlich sogar funktionieren würde. Aber Dani wollte nicht noch einmal von Rafe hören, dass er nichts für feste Beziehungen übrighatte. Dieser Abend sollte nicht mit einer weiteren Zurückweisung enden.

„Ich möchte jetzt nach Hause gehen.“

Langsam erhob er sich, ohne den Blick von ihr zu lösen. „Dann lass uns gehen. Ich räume morgen früh auf.“

Sie drehte sich um, um ihren Mantel zu holen. Ihre Knie zitterten, jeder Atemzug brannte in ihren Lungen.

Nicht weil sie nur knapp entkommen war, sondern weil sie schon jetzt wusste, wie sehr er sie eines Tages verletzen würde.

11. KAPITEL

Als Dani sich am nächsten Morgen mit ihrem eigenen Schlüssel ins Restaurant einließ, stand Rafe gerade im Speisesaal, um das Ausrichten der Tische zu überwachen. Ein köstliches Aroma hing bereits in der Luft, aber sobald Dani eintrat, brachte sie die Realität mit sich. In schwarzem Rock, rotem Pullover und kniehohen Stiefeln verkörperte sie die perfekte Kombination aus sexy und süß.

Und gestern Abend hatte sie ihn abgewiesen. Obwohl sie nicht mehr mit ihrem Freund in Amerika zusammen war.

Ohne ein Wort des Grußes verschwand Rafe in der Küche, wo Emory sofort auf ihn zueilte.

„Ist Dani schon da?“

„Ja.“

Rafe erhielt keine Gelegenheit, noch mehr zu sagen, denn schon schwang die Küchentür auf und Dani kam herein. Gefasst und souverän, als wäre gestern nichts zwischen ihnen vorgefallen.

Dabei war so viel passiert. Er hatte sie geküsst. Sie hatte ihm gestanden, dass es keinen Verlobten gab. Und dann hatte sie ihn zurückgewiesen und die Flucht ergriffen.

„Guten Morgen zusammen.“

Rafe zwang sich, den Kopf von der Anrichte zu heben, an der er Gemüse würfelte. „Guten Morgen.“

Emory kam zu ihr und umfasste ihre Hände. „Wie war das Dinner gestern?“

Dani lachte. „Exzellent.“ Sie sah zu Rafe. „Unser Chef ist wirklich einzigartig.“

Rafes Puls beschleunigte sich. Wie sollte ein Mann sich da nicht geschmeichelt fühlen?

Emory grinste zufrieden. „Das wissen wir alle. Und wir zählen darauf, dass Sie das auch unseren Gästen klarmachen.“

„Das habe ich und werde ich jetzt bestimmt noch besser tun können, da ich eine volle Mahlzeit genossen habe. Allerdings sehe ich auch ein Problem für die Zukunft, denn je mehr ich probiere und je besser es mir schmeckt … Bald werde ich wahrscheinlich rund wie ein Fass sein.“

Emory lachte gutmütig. „Berufsrisiko.“

Rafe hielt den Blick konzentriert auf die Anrichte gesenkt. Gestern Abend hatten sie auch etwas anderes probiert. Der Kuss war wie ein Vorgeschmack auf das, was sie zusammen haben könnten. Er hatte sie oft genug gewarnt, und dennoch hatte sie seinen Kuss erwidert. Er hatte ihr Zeit gelassen, sich zurückzuziehen, was sie aber nicht getan hatte, im Gegenteil.

Und jetzt … jetzt trafen sich ihre Blicke, und er erkannte die Hitze und das Verlangen in ihren blauen Augen.

Emory bemerkte nichts von der Spannung zwischen den beiden. „Von jetzt an müssen Sie immer kosten, wenn ein neues Rezept ausprobiert wird.“

„Sie soll mehr als nur kosten.“

Die Worte waren heraus, bevor Rafe sich zurückhalten konnte. Aber er würde das jetzt auch nicht zurücknehmen. Er wollte nicht nur eine Affäre mit ihr, er brauchte diese Affäre. Sie waren beide erwachsen. Romanzen gehörten zum Leben. Vielleicht würde Dani verletzt werden, aber vielleicht – da sie zusammenarbeiteten – würde sie ihn auch verstehen. Seinen Traum, seine Leidenschaften …

Vielleicht wäre sie die perfekte Partnerin für mich.

Die Erkenntnis durchzuckte ihn wie ein Blitzschlag. Es mochte nicht clever sein, denn es bestand das Risiko, sie zu verlieren. Aber das glaubte er nicht, eher das genaue Gegenteil. Ja, plötzlich war er fest davon überzeugt, dass eine langfristige Affäre mit ihr die einzige Lösung für diese Anziehungskraft zwischen ihnen war.

„Ich bin sicher, dass mehr als probieren mir nicht gut bekommen würde.“ Lächelnd lenkte sie den Blick wieder zu Emory, und dann schwebte sie auch schon wieder hinaus in den Saal.

Rafe konzentrierte sich ganz auf seine Vorbereitungen. Er wusste nicht, ob ihre letzte Bemerkung seinem Essen oder einer Affäre mit ihm galt, aber wenn sie sich einbildete, sie hätte ihn damit von seinem Plan abgebracht, so irrte sie gewaltig.

Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er aufgegeben, wenn er etwas wirklich wollte. Und schon gar nicht, wenn es die perfekte Lösung war.

Im Speisesaal presste Dani sich die Hand auf den Magen, um das Flattern zu beruhigen. Rafes silbergraue Augen transportierten mehr mit einem Blick als manch andere Männer mit einem langen Vorspiel.

Gestern Abend im Bett hatte sie lange überlegt und eine Entscheidung getroffen. Rafe war ein launischer Mann. In der einen Minute heiß und leidenschaftlich, in der nächsten kalt und distanziert. Woher sollte sie wissen, ob er sie nicht am Abend verführte und schon am nächsten Morgen fallen ließ? Das Mancini’s war die Sicherheit, die sie brauchte, und diese Sicherheit würde sie nicht für eine flüchtige Affäre aufs Spiel setzen.

Sie stellte sich hinter ihren Tresen und führte nur wenige Minuten später die ersten Gäste an die Tische. Der Arbeitstag begann, der Strom der Kundschaft brach den ganzen Tag über nicht ab. Dani plauderte mit den Gästen, hörte sich die Erlebnisse der Touristen an und erfuhr mehr über die Familien der Ansässigen. In der Mittagspause half sie, die Tische abzuräumen und wieder einzudecken, lachte und scherzte mit dem Personal, und dann ging der Abendbetrieb auch schon wieder los.

Deshalb wollte sie in Italien bleiben, im Mancini’s. Nicht für einen Mann, nicht für eine flüchtige Affäre, sondern für ein richtiges Leben, ein aufregendes, erfülltes, unbeschwertes Leben, das sie so nie wirklich kennengelernt hatte. Das würde sie nicht aufgeben und für ein gebrochenes Herz eintauschen.

Am Ende des Abends kam Emory und verteilte die Gehaltstüten. Mit einem breiten Lächeln reichte er Dani ihren Umschlag. „Der ist bestimmt besser als der letzte.“

„Dann ist die Gehaltserhöhung schon drin?“

Emory nickte lächelnd und ging wieder.

Dani steckte den Umschlag in ihre Rocktasche und half den Kellnerinnen noch beim Aufräumen. Sobald das erledigt war, zog sie ihren Mantel über. Sie wollte das Schicksal nicht herausfordern und noch als Letzte im Restaurant sein, wenn Rafe aus der Küche kam.

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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