Nächte der Liebe - Tage der Sehnsucht

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Miguel ist reich, sehr reich sogar - wenn er etwas haben will, bekommt er es auch. Nur das, was er sich am meisten wünscht, ist unerreichbar: Die Liebe seiner Frau Allegra kann er nicht kaufen. Eine bittere Lektion, die Miguel unter der Sonne Mexikos lernen muss …


  • Erscheinungstag 26.05.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733768751
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ihre Fingerknöchel traten weiß hervor, als Allegra sich zwang, den Knauf an der Tür zu ihrer Vergangenheit zu drehen. Bis vor einem Monat hatte sie sich an nichts, was sich in den letzten fünf Monaten ihres Lebens ereignet hatte, erinnert. Und noch immer lag vieles hinter einer dunstigen Nebelwand. Doch die Erinnerungen, die jetzt zurückgekommen waren, standen so klar vor ihr, dass es sie schier umbrachte.

Ihr Baby war tot. Ihr Mann, den sie über alles liebte, hatte sich seit dem Tag ihres Unfalls nicht nach ihr erkundigt. Es war, als wäre sie an jenem Tag ebenfalls gestorben. Und tatsächlich wünschte sie, es wäre so. Denn sie hatte den Unfall verursacht.

„Miguel hat dich nicht verdient.“ Wie oft hatte ihr Onkel das gesagt! „Lass dich von ihm scheiden.“

Bei dem Gedanken an Scheidung wurde ihr jedes Mal übel, dennoch konnte sie mit ihrem Leben nicht weitermachen, solange sie nicht den Schlussstrich unter ihre zerrüttete Ehe gesetzt hatte. Auch musste es ihr irgendwie gelingen, den Tod ihrer Tochter zu verarbeiten. Am besten sie durchtrennte alle Bindungen zu dem vielversprechenden Leben, das vor einiger Zeit in Cancún angefangen hatte. Und sie musste es an Ort und Stelle tun.

Allegra atmete noch einmal tief durch und betrat das Strandhaus, wo die Liebe zwischen ihr und Miguel aufgeblüht war. Sie hatte geglaubt, für diesen Moment gewappnet zu sein. Doch sie hatte sich geirrt. Beim Blick ins Innere des Hauses begann ihr Puls zu rasen, und ihre Nerven wollten reißen, denn plötzlich hatte sie das Gefühl, nach einer langen, anstrengenden Reise nach Hause gekommen zu sein.

Lauf!, hallte es in ihrem Kopf. Kehre zurück nach England, zu dem ruhigen Leben, das du dort führst. Lauf fort von der lockenden Versuchung, sich zum ersten Mal seit Langem wieder lebendig zu fühlen.

Doch entschlossen ignorierte sie die Stimme und betrat den Eingangsbereich, wie sie es unzählige Male vorher getan hatte. Vorab hatte Allegra die Haushälterin über ihre Ankunft informiert, und die gute Frau musste herbeigeeilt sein und das Haus auf Vordermann gebracht haben. Es sah viel zu einladend aus für ein Haus, das von Trauer erfüllt sein sollte. Alles wirkte, als wäre Allegra schnell einkaufen gewesen und soeben zurückgekommen. Könnte es doch nur wahr sein …

„Señora, wo soll ich Ihr Gepäck hinstellen?“

„Oben in das Schlafzimmer auf der Meerseite.“ Sie würde es nicht über sich bringen, das Hauptschlafzimmer zu betreten.

Wie sie es auch nicht fertigbringen würde, Miguel je zu vergessen.

Der Fahrer schleppte ihre Koffer die Treppe empor und war gleich darauf wieder zurück. Allegra bezahlte ihn für die Fahrt und legte noch ein großzügiges Trinkgeld hinzu.

Gracias, Señora.“ Er lächelte mit einer Herzlichkeit, die Allegra einst als selbstverständlich angesehen hatte.

Sie hatte vieles für selbstverständlich gehalten. Hieß es nicht, man lernte die Dinge erst zu schätzen, wenn man sie nicht mehr besaß?

Mit einem Schlag übermannte sie das Gefühl von Verlust, und sie hörte wieder die Warnung der Ärzte, sie sei noch nicht kräftig genug. Doch Allegra hasste diese Unsicherheit, hasste das schwarze Loch in ihrer Erinnerung.

Energisch unterdrückte sie den Impuls, den Fahrer anzuflehen, sie mit zurück zum Flughafen zu nehmen, schloss hinter ihm die Tür und lehnte die Stirn an das kühle Holz.

Ein Schlussstrich. Die Tür zur Vergangenheit musste sie ebenfalls schließen, damit sie endlich Frieden fand. Und wo könnte sie das besser tun als in ihrem Strandhaus?

Allegra ging zu der Schatten spendenden palapa, unter der sie so oft gesessen und den Anblick der kleinen abgeschiedenen Bucht genossen hatte. Flache Stufen führten hinunter an den weißen Strand, und als sie vor zwei Jahren hergekommen war, hatte sie sich spontan in diesen Ort verliebt.

Wenn sie die Augen schloss, sah sie wieder jenen Tag vor sich, als sie hier eingezogen war. Sofort hatte sie ihren Bikini angezogen und war zum Wasser hinuntergerannt. England war ein ganzes Universum weit entfernt, und sie hatte sich versprochen, alles auszuprobieren und zu genießen, was Yucatán zu bieten hatte, während sie über die größte Entscheidung ihres Leben nachdachte: den grundsoliden englischen Arzt, mit dem sie schon seit über einem Jahr zusammen war, zu heiraten oder nicht.

Allegra hatte ihn sehr gern, in gewisser Hinsicht liebte sie ihn sogar. Nur war sie nicht sicher, ob sie den endgültigen Schritt wagen wollte.

Und dann war Miguel aus den Fluten aufgetaucht, wie eine heidnische Gottheit. Groß und braun gebrannt, ein sinnliches Lächeln auf den Lippen, mit Augen, die Freuden versprachen, von denen sie bis dahin nur geträumt hatte.

Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte Miguel tatsächlich für einen Strandcamper gehalten. Wie sehr sie sich getäuscht hatte!

Noch heute erinnerte sie sich daran, wie er sie gehalten hatte, nach dem leidenschaftlichen Liebesspiel, so fest, als wären sie miteinander verschmolzen. Und sie hatte gewusst, dass sie den englischen Arzt niemals würde heiraten können.

Doch wie bald schon war ihr feuriger Liebhaber, der sie vom Strand weg in seine privilegierte Welt entführt hatte, zu beschäftigt damit gewesen, sein Imperium aufzubauen, um mehr als ein paar gestohlene Momente für seine Frau und seine neugeborene Tochter zu erübrigen. Sie hatte Entschuldigungen für ihn gefunden. Natürlich brauchte er Abstand von einem quengelnden Baby und einer gestressten Ehefrau. Und so hatte sie auf ihren Mann gewartet, der ihr Held war und ihr Geliebter.

Umsonst.

Allegra trat vor das Regal und nahm das gerahmte Foto zur Hand. Für einen Moment konnte sie nicht mehr atmen, ihr war, als würde ihr Herz zerreißen.

Ihr süßes Baby, ihr Ein und Alles, ihre Cristobel.

Nie hatte sie sich etwas so sehr gewünscht wie dieses Kind, empfangen in unendlicher Liebe. Ein Geschenk Gottes, hatte Miguel gesagt, und sie hatte es ebenso gesehen. Doch das war, als die Liebe noch unbelastet zwischen ihnen gestrahlt hatte.

Mit zitternden Fingern strich sie über das Foto. Wie hatte sie nur so achtlos mit diesem wertvollen Leben umgehen können? Fest presste sie das Foto an ihr Herz, und das glückselige Lächeln ihrer Tochter stand vor ihren geschlossenen Augen. Ihre Knie wollten nachgeben, als die grausame Realität sie einholte.

Ihre Schuld. Tränen verwischten ihre Sicht, als sie auf das Sofa zuwankte.

Ganz allein ihre Schuld.

Miguel war kaum ins Haus getreten, als der typische Duft, der nur Allegra anhaftete, ihm entgegenschlug.

Doch dieses Mal spielte seine Einbildung ihm keinen Streich, dieses Mal war es wahr. Allegra war hier und die Möglichkeit zurVergeltung zum Greifen nah.

Er hatte gewusst, dass sie irgendwann zurückkommen würde, dennoch traf es ihn wie ein Schlag, als er sie auf dem Sofa erblickte. So war es auch beim ersten Mal gewesen, als er sie dort am Strand hatte stehen sehen – nahezu engelsgleich.

Sie hatte seine Schutzmauern eingerissen und sich in seine Gedanken geschlichen, bei Tag und bei Nacht. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er davor gestanden, komplett die Kontrolle über seine Gefühle zu verlieren, doch so etwas würde er niemals zulassen. Deshalb hatte er zu seiner Beruhigung einen Leibwächter angeheuert, der sie beschützen würde, wenn er nicht da war, um alle Gefahren von ihr abzuwenden. Bewusst und mit aller Kraft hatte Miguel Abstand gehalten von dem sinnlichen Strudel, der ihn verschlingen und ihn näher und näher zu ihr reißen wollte. Und ausgerechnet in dem Moment, als er sich Vorwürfe machte, weil er sie falsch beurteilt hatte, da hatte sie ihm bewiesen, was für ein kalkulierendes Biest sie war.

Jetzt lag sie auf der Couch und schlief, als hätte sie keine einzige Sorge auf der Welt – oder wäre völlig erschöpft. Als er näher kam, das nasse Handtuch um die Hüften, mit Sand unter den Fußsohlen, vermutete er, dass Letzteres der Fall war.

Besorgt runzelte Miguel die Stirn. Allegra war blass und viel zu dünn, die schlichte Bluse und die helle Hose hingen lose an ihrem Körper. Dass er sich noch immer Sorgen um sie machte, ärgerte ihn maßlos. Rache war es, was sie verdient hatte, nicht Sorge. Schließlich hatte er allen Grund, sie zu hassen. Und ja, er hasste sie!

Er verabscheute sie dafür, dass sie so ruhig schlafen konnte, während er seit sechs Monaten keinen Schlaf mehr fand.

Doch so hatte sie noch nie ausgesehen, so zerbrechlich, so gläsern. Viel zu entkräftet für einen Kampf. Dass die Begegnung ein Kampf werden würde, daran zweifelte er nicht, denn er hatte geschworen, sie für ihre Achtlosigkeit büßen zu lassen – für die Gleichgültigkeit gegenüber der gemeinsamen Tochter und dem Gelübde, das sie ihm gegenüber abgelegt hatte.

Sie hatte ihre Ehe und ihre Familie zerstört. Sie hatte ihm bewiesen, wie richtig seine Entscheidung gewesen war, einen Teil von sich zurückzuhalten. Anstatt in Mexiko zu bleiben und gemeinsam die Tochter zu beerdigen, war sie mit ihrem Liebhaber nach England zurückgeflogen, hatte ihren Mann und ihre tote Tochter einfach vergessen.

Er aber würde ihre Niedertracht nie vergessen.

Abrupt wandte er sich von ihr ab, und Allegra erwachte mit einem Ruck, wie jemand, der instinktiv spürte, dass etwas nicht in Ordnung war. Ihre Blicke trafen aufeinander, seiner blitzend vor Wut und ihrer nervös und unsicher.

Ein dünnes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Buenos noches, querida. Schön, dass du endlich wieder zu Hause bist.“

Sie setzte sich hastig auf und blinzelte die Schlaftrunkenheit fort. „Und wie schön, dass du hier bist, um mich zu begrüßen.“ Ihr Blick glitt über seine fast nackte Gestalt. „Ausnahmsweise.“

Ein Schlag, den er nicht verdient hatte. Sí, die Wochen vor der Geburt der Tochter hatte er sich rar gemacht. Ihr Körper war so weich und üppig gewesen und hatte ihn gelockt, alle Zurückhaltung fallen zu lassen. Damals war ihm klar geworden, welche Macht sie über ihn besaß, aber aus Erfahrung wusste er, dass mit der Liebe auch die Angst vor dem Verlust kam, kalt und scharf.

Also hatte er sich in die Arbeit gestürzt, schließlich war er ein Gutierrez. Wie schon die Generationen vor ihm, hielt er Geschäft und Familie strikt getrennt. Seine Ehefrau würde es eben lernen müssen.

Nur hatte sie es nicht gelernt. Stattdessen war sie mit einem anderen Mann auf und davon.

„Weshalb bist du hier?“, fragte er.

„Der Schlussstrich.“

Er beschrieb eine gelangweilte Geste mit der Hand. „Soll heißen?“

Sie sog bebend den Atem ein, was ihre gefasste Haltung Lügen strafte. „Ich will Cristobels Grab besuchen.“ Ihr Blick glitt traurig durch den Raum. „Ich will das Haus verkaufen.“ Ihre Augen lagen jetzt auf seinem Gesicht. „Und ich will die Scheidung.“

Er hatte nichts anderes erwartet, dennoch ärgerte ihn ihre kühl vorgebrachte Auflistung. „Bist du zu deinem Doktor zurückgegangen?“

„Nein.“

Er glaubte ihr. Diesen Mann hatte sie hinter sich gelassen, genau wie ihn. „Unsere Tochter liegt auf dem Familienfriedhof begraben.“

„Das dachte ich mir. Aber du kannst mich nicht davon zurückhalten, das Grab meines Kindes zu besuchen.“

Könnte er. Ein simplerAnruf von ihm, undAllegraVandohrn würde des Landes verwiesen werden. „Ich begleite dich.“

Er hatte mit Protest gerechnet, stattdessen nickte sie nur knapp und fragte spitz: „Wie oft bist du in meinem Haus gewesen?“

„So oft ich wollte.“

„Deine Dreistigkeit erstaunt mich immer wieder. Du hättest in einem Hotel bleiben können. Oder zur Hazienda zurückfahren.“

„Weder das eine noch das andere gefiel mir.“ Rache tobte in ihm, aber das war gut so. Es lenkte von den anderen Gefühlen ab, die drohten die Oberhand in ihm zu gewinnen. „Ich mag die Menschenmengen im Hotel nicht, und die lange Fahrt zur Hazienda kann gefährlich sein, wie du selbst weißt.“

Eine Bemerkung, die alle Farbe aus ihrem Gesicht weichen ließ. Er wartete auf das Triumphgefühl, dass er sie verletzte, wie sie ihn verletzt hatte, doch außer der Leere in seiner Seele verspürte er nichts.

„Das Haus gehört mir“, erwiderte sie kühl. „Ich habe es von meinem Erbe gekauft.“

Er zuckte nur mit einer Schulter. „Du bist deinen Verpflichtungen aber nicht mehr nachgekommen.“

„Onkel Loring sagte, er habe sich um alles gekümmert.“

Ah, ihre unfehlbare Familie, die immer zu ihrer Rettung eilte. Doch dieses Mal hatte ihr Onkel sie im Stich gelassen.

„Einen Monat nach deiner Abreise rief die Haushälterin mich an. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Das Geld war aufgebraucht. Also habe ich übernommen.“

Verwirrung zeichnete sich auf ihren Zügen ab. „Das ist unmöglich.“

„Soll ich sie rufen, damit sie es dir erklärt?“

„Nein, natürlich nicht.“ Allegra versteifte sich. „Bringst du deine Frauen auch mit her?“

Regungslos starrte er die Frau an, die er bis an sein Lebensende hatte lieben und ehren wollen, und er hatte das Gefühl, seine Gesichtsmuskeln versteinerten sich. „Manchmal.“

Sie wandte den Kopf, als könnte sie die Vorstellung von ihm mit einer anderen Frau nicht ertragen. Eine seltsame Reaktion von einer Frau, die sich hinter dem Rücken ihres Mannes einen Liebhaber genommen hatte. „Und du, querida? Hast du deine Männer hier empfangen?“

„Wie kannst du es wagen, mir so etwas zu unterstellen?!“

Ihre Augen schleuderten Blitze, während ihre Schultern herabsanken. Rebellisch und scheu zugleich – eine Kombination, die ihn vom ersten Augenblick an fasziniert hatte. Jener Augenblick, der Ewigkeiten zurücklag.

„Der einzige Mann, der je hier war, bist du.“ Sie hob ihr Kinn und presste die vollen Lippen zusammen. „Darf ich dich daran erinnern, dass du schon vor sechs Monaten das Recht verloren hast, mich querida zu nennen?“

Dios mio! Sie wollte ihm vorschreiben, welche Rechte er hatte?! Sie, die ihn aus ihrem Leben verstoßen hatte und jetzt nach Cancún zurückkehrte, um die Leidtragende zu spielen?!

Mit zwei Schritten war er bei ihr und packte sie bei den Schultern. Sie zuckte vor ihm zurück, und er musste an sich halten, um nicht mit den Fingerspitzen über ihre seidene Haut zu streichen. Verdammt, diese Frau rieb ihn auf! „Du solltest dir besser überlegen, ob du mich an meinen Verlust erinnern willst.“

„Auch ich habe verloren, Miguel.“

Sie wandte das Gesicht ab, und in diesem Moment sah er, dass sie das Foto ihrer Tochter an sich presste. War das etwa ein Schluchzer, den er von ihr hörte?

Er stieß sie von sich, als wäre sie reines Gift, und fuhr sich mit den Fingern durch das nasse Haar. Nein, er würde sich kein Mitleid mit ihr erlauben! Er wollte nicht wissen, ob sie auch nur einen Moment gelitten hatte. Es wäre doch nur gelogen.

Denn er kannte dieWahrheit. Als er LoringVandohrn aufgesucht und von ihm verlangt hatte, ihm den Aufenthaltsort seiner Ehefrau zu verraten, hatte ihr Onkel ihm mitgeteilt, dass Allegra mit ihrem Liebhaber in den Urlaub gefahren sei, und ihm nahegelegt, die Scheidung einzureichen.

Eine Scheidung wäre wohl die einfachste Lösung gewesen, doch hätte er so auch jede Möglichkeit der Vergeltung verloren. Vergeltung an der Ehefrau, deren Achtlosigkeit seine Tochter das Leben gekostet hatte. Wiedergutmachung für die Sorgen und die Angst in den Monaten, in denen er nach seiner Frau gesucht hatte, nur um bei jedem Schritt in einer Sackgasse zu enden.

Er sah auf die Frau hinunter, die einst seine Welt aus den Angeln gehoben hatte, und fragte sich, warum sie die Scheidung wollte. Hatte sie vor, ihren Liebhaber zu heiraten?

Unwillkürlich stieg ihm ihr Duft in die Nase und ließ Bilder an leidenschaftliche Stunden mit ihr aufsteigen … und an die unzähligen Male, da er im Bett auf die Seite neben sich gegriffen hatte, nur um festzustellen, dass der Platz leer war.

Er hasste sich für die Schwäche, die er für diese Frau hatte. Sie wollte die Scheidung? Gut, er würde sie ihr gewähren – nachdem er seine Rache vollendet hatte.

„Wo steht das Telefon jetzt?“ Ihr Blick glitt suchend durch den Raum.

„Im Schlafzimmer. Warum?“

„Da du offensichtlich nicht vorhast zu gehen, werde ich gehen. Ich rufe mir ein Taxi, das mich in ein Hotel bringt, das nicht in deinem Einflussbereich steht.“

Hatte sie etwa vor, sich mit ihrem Liebhaber zu treffen? „Dann hättest du in England bleiben sollen.“

Auf dem Weg ins Schlafzimmer drehte sie sich schockiert zu ihm um. „Reicht dein Einfluss inzwischen so weit?“

. Und ich lasse nicht zu, dass du dich hier irgendwo ungestört mit deinem Liebhaber wirst treffen können!“ Aufmerksam beobachtete er ihre Reaktion.

Bitter lachte sie auf. „Ich kann dir versichern, ich habe keinen Liebhaber, weder hier noch anderswo.“

„Und das soll ich dir glauben?“

Ärger flammte in ihren blauen Augen auf. „Mir ist gleich, ob du mir glaubst oder nicht.“

„Das sollte es aber nicht sein, querida. Denn ich halte deine Zukunft in meiner Hand.“

Stolz straffte sie die Schultern. „Ist das eine Drohung?“

Ihm war ihr leichtes Zittern nicht entgangen. „Ein Versprechen. Du willst die Scheidung? Gut, ich gebe sie dir.“

Argwohn und Zweifel waren jetzt in ihrem Blick zu lesen. „Meinst du das ernst?“

. Ich habe nicht die geringste Lust, mit einer untreuen Ehefrau verheiratet zu bleiben.“

„Ich habe meinen Treueschwur niemals gebrochen.“

Sie schien ehrlich verärgert, dass er sie der Untreue beschuldigte. Ein dünnes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Doch, hast du. Ich habe den Beweis dafür.“

„Das ist unmöglich!“

„Keineswegs, querida. Es gibt Zeugen.“

Triumphierend bemerkte er, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich.

2. KAPITEL

Fassungslos starrte Allegra Miguel an. Das Ganze war völlig absurd!

„Ich habe die letzten fünf Monate in einem privaten Sanatorium verbracht.“ Wieder sah sie den unpersönlichen Raum vor sich mit dem großen Park vor ihrem Fenster. Wieder durchlebte sie die zäh dahinfließenden Stunden, in denen sie gehofft und gewartet hatte, endlich ein Wort von ihrem Mann zu hören.

Ein Tag war übergangslos in den nächsten geglitten. Tage, Wochen, Monate. Als Erstes hatte sie sich an die Gesichter des Pflegepersonals erinnert, dann an die Namen. Als Nächstes hatte sie sich merken können, für welche Uhrzeit dieVisite anberaumt war, wann die therapeutischen Sitzungen stattfanden, die so anstrengend waren, weil es endlose Mühe kostete, sich auch nur an die nichtigsten Dinge zu erinnern. Den Sonntag hatte sie schließlich daran erkennen können, dass Onkel Loring stets auf einen kurzen Besuch vorbeigekommen war.

Bis vor einem Monat hatte sich ihr Erinnerungsvermögen auf diese wenigen Fakten beschränkt.

„Es heißt Bartholomew Fields.“ Sie hielt seinem kalten Blick stand. „Du kannst ja nachfragen.“

Sein Lachen war wie ein Peitschenhieb für ihre angespannten Nerven. „Beschuldigst du jetzt etwa deinen Onkel der Lüge?“

„Natürlich nicht. Was willst du damit andeuten?“

„Dein Onkel sagte mir, dass du mit deinem Liebhaber in den Urlaub gefahren warst, querida.“

Unmöglich! „Warum sollte er so etwas behaupten?“

„Weil es die Wahrheit ist.“ Seine Stimme jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

„Nein, das ist es nicht.“

Nach zwei Monaten war sie aus ihrem Tiefschlaf aufgewacht und hatte darum gefleht, ihre wunderschöne kleine Tochter und Miguel zu sehen. Das war der Moment gewesen, in dem die Ärzte ihr von der Tragödie berichtet hatten.

Cristobel war bei dem Unfall ums Leben gekommen. Sie selbst hatte nur knapp überlebt. Ihr Gedächtnis hatte sie verloren und auch die Möglichkeit, je wieder Kinder zu bekommen.

Miguel marschierte im Zimmer auf und ab, sie wusste, er würde jeden Moment explodieren. „Er schlug vor, ich solle mich von dir scheiden lassen.“

Allegra schüttelte verständnislos den Kopf. Onkel Loring hatte ihr schmerzhaft deutlich gemacht, dass Miguel sie für den Tod der Tochter verantwortlich machte und nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Und jetzt behauptete Miguel, dass er sie gesucht hätte?

Sicher, ihr Onkel hatte Miguel nie gemocht. Aber würde er ihn deshalb belügen? Miguel war ihr Ehemann, und sie hätte ihn in jener furchtbaren Zeit an ihrer Seite gebraucht. Stattdessen hatte Miguel das Schlimmste von ihr angenommen und war nachYucatán zurückgekehrt, während sie in Bartholomew Fields eingesperrt gewesen war und um das trauerte, was sie verloren hatte – ihreTochter, ihre Ehe, ihren Verstand. Sie hatte nicht mehr weiterleben wollen, bis es mit der Gesundheit von Onkel Loring bergab gegangen war. Ab diesem Moment hatte sich zusammengenommen, um ihn zu pflegen, und sie hatte erkannt, dass sie den Rat der Ärzte befolgen und einen Schlussstrich ziehen musste.

„Ich will diese angeblichen Beweise sehen.“

„Sobald wir auf meiner Hazienda Primero sind.“

Angst kroch ihr über den Rücken. „Ich verzichte auf einen Besuch auf deinem Familienanwesen.“

Verächtlich hob er eine dunkle Augenbraue. „Das war keine Einladung, querida. Du willst die Beweise für deine Indiskretion sehen? Sie liegen in meinem Arbeitszimmer. Du möchtest das Grab deiner Tochter besuchen? Sie ruht auf dem cementerio neben der Hazienda.“

Sie schlang die Arme um sich. Sie fürchtete sich davor, auf die Hazienda zurückzukehren. Etwas Schreckliches hatte sich dort ereignet. Aber was? Es war eine schwarze Lücke in ihrer Erinnerung, und jeder Versuch, diese Lücke zu schließen, verursachte ihr Kopfschmerzen.

„Na schön“, gab sie nach. „Ich besuche die Hazienda und Cristobels Grab, aber anschließend komme ich wieder hierher zurück.“

Autor

Janette Kenny
Solange Janette sich erinnern kann, prägten fiktive Geschichten und Charaktere ihre Welt. Die Liebe zur Literatur entdeckte sie bereits als kleines Mädchen, da ihre Eltern ihr rund um die Uhr vorlasen. Ermutigt durch ihre Mutter, begann Janette schon früh zu schreiben. Anfänglich begnügte sie sich damit, ihren Lieblingssendungen neue, nach...
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