Ring aus Feuer

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"Ich bin gekommen, um den Ring zurückzubringen." Stavros Denakis ist Tessas Traummann. Vor vier Jahren hat der Milliardär ihr das Leben gerettet und ein wertvolles Schmuckstück in ihrer Obhut zurückgelassen. Jetzt ist der Tag gekommen, an dem Tessa ihre Schulden begleichen kann. Doch entsetzt muss sie erkennen, dass Stavros völlig verändert erscheint. Eiskalt fordert er, dass sie seine Geliebte wird. Nacht für Nacht führt er sie in eine Welt voller Leidenschaft - nur um sie tagsüber mit Verachtung zu strafen. Verzweifelt fragt Tessa sich: Warum ist Stavros so verändert? Hat er vergessen, was der Ring einst versprach?


  • Erscheinungstag 05.10.2008
  • Bandnummer 1838
  • ISBN / Artikelnummer 9783863492960
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Stavros Denakis ließ seinen Blick über die Menschenmenge vor seiner Villa schweifen. Ein selbstzufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen.

Die Verlobungsfeier war perfekt, genau wie geplant.

Es war ein prächtiger Abend für eine solche Feier. Der samtschwarze ägäische Himmel war mit strahlenden Sternen übersät, und eine schwache Brise machte die immer noch warme Luft erträglicher. Das Gemurmel und Gelächter der Gäste setzte sich von der Livemusik im Hintergrund ab. Eisgekühlter Champagner floss in Strömen.

Mit sicherem Blick entdeckte Stavros den Rollstuhl seines Vaters auf der Steinterrasse, die dem Haus am nächsten war. Der alte Mann lächelte, während er mit einem seiner Bekannten sprach. Selbst aus dieser Entfernung war seine neu gewonnene Energie nicht zu übersehen.

Ja. Stavros hatte mit der Ankündigung an diesem Abend die richtige Entscheidung getroffen.

Teilnahmslos beobachtete er Angela, während sie die breite Treppe zur unteren Terrasse herabschritt. Selbst unter diesen reichen und schönen Menschen zog sie alle Aufmerksamkeit auf sich. Sie war souverän, elegant gekleidet und trug das teure Diamantenkollier mit absoluter Selbstverständlichkeit. Nicht umsonst hatte er es ihr vor vier Wochen geschenkt. Ihre schlanken Hüften hatten gerade eben den richtigen Schwung, um einem Mann ein stummes, sinnliches Versprechen zu geben.

Die perfekte Verlobte.

Sie gesellte sich zu einer kleinen Gruppe, die weder aus Verwandten noch aus engen Freunden bestand. Es waren Geschäftspartner.

Er griff nach einem neuen Glas Champagner, während er sie weiter beobachtete. Angela wusste, wie wichtig diese Leute für ihn waren. Zwar waren sie nicht unersetzlich für ihn – niemand war das – aber um der Geschäfte willen mussten sie stets bei Laune gehalten werden. Und niemand konnte das besser als Angela. Er konnte sehen, wie sie schon jetzt die Gruppe mit ihrem Charme, ihrer Schönheit und ihrer Ausstrahlung verzauberte. Sie war mit der richtigen Mischung aus Geist und Sex-Appeal gesegnet. In ihr vereinten sich Intelligenz und Sinnlichkeit, Leidenschaft und Verständnis für seine Wünsche. Sie war die perfekte Braut für den Geschäftsführer von Denakis International.

Kyrie Denakis.“

Stavros drehte sich auf dem Absatz um und sah seinen Sicherheitschef auf sich zukommen. Ihm fiel auf, dass der andere Mann einen leicht nervösen Eindruck machte. Vermutlich hatte es einen weiteren Versuch der Presse gegeben, sich auf die Veranstaltung zu schleichen. Es musste sich um einen aggressiveren Übergriff handeln, wenn Petros ihn jetzt damit belästigte.

Wochenlang waren Stavros’ Angestellte damit beschäftigt gewesen, aufdringliche Fotografen in ihre Schranken zu weisen. Immer wieder hatten die Presseleute versucht, sich Zugang zur Verlobungsfeier zu verschaffen. Um seine Privatsphäre zu schützen, war Stavros nicht davor zurückgeschreckt, ein Flugverbot über der Insel zu erwirken.

„Gibt es ein Problem?“

Ein flüchtiger Ausdruck von Besorgnis huschte über Petros’ Gesichtszüge. Das war einmalig. Sofort wurde Stavros unruhig und bereitete sich innerlich darauf vor, dass etwas Schlimmes geschehen war.

„Es gibt einen Zwischenfall, kyrie.“

Stavros nickte. So viel hatte er sich schon gedacht.

„Eine junge Frau ist auf dem Anwesen aufgegriffen worden.“

„Und?“

„Sie besteht darauf, mit Ihnen zu sprechen.“

Für den Bruchteil einer Sekunde weiteten sich Stavros’ Augen. Die Tatsache, dass jemand es wagte, auf diese Weise seine Aufmerksamkeit zu erzwingen, war ihm vollkommen neu. Genau wie der Umstand, dass sein gut ausgebildeter Mitarbeiterstab nicht in der Lage war, dieser impertinenten Person schlicht die Tür zu weisen. Ganz gleich, was sie verlangte!

Seine Neugier wuchs. „Wer ist sie?“

„Sie weigert sich, ihren Namen zu nennen, kyrie.“

Stavros zog eine Augenbraue hoch. „Möglicherweise eine Journalistin?“

„Sie sagt Nein. Kein Presseausweis, und sie hat auch nicht die richtige Haltung.“

An diesem Urteil zweifelte Stavros nicht. Seine Sicherheitskräfte waren Profis, die ihr Fach verstanden.

Würde Stavros Denakis sich für jedermann Zeit nehmen, der ihn unbedingt sehen wollte, hätte er überhaupt keine Freizeit mehr. Und auch nicht die Zeit, das exklusivste Juwelierunternehmen der Welt zu führen.

Die Familie Denakis führte seit Generationen das weltweit bekannteste Juweliergeschäft. Nur die Reichsten der Reichen konnten sich diese außerordentlich kunstvollen Schmuckkreationen leisten.

Mühsam zügelte er seine Ungeduld, als Petros ihm einen winzigen tragbaren Monitor reichte. Auf dem Bildschirm erschien eine junge Frau, die auf einem Lehnstuhl in einem leeren Raum saß. Ihr Rücken war der Kamera zugewandt, aber Stavros konnte erkennen, dass sie eine verwaschene Jeans und ein T-Shirt trug. Sie war dünn und hatte ihre dunklen Haare mit einer Spange hochgesteckt.

Ihre Körperhaltung erregte seine Aufmerksamkeit. Sie saß kerzengerade in fast königlicher Haltung auf dem harten Stuhl und strahlte ein überzeugendes Selbstbewusstsein aus.

Etwas an ihr berührte ihn. Kannte er sie etwa? Waren sie sich schon einmal begegnet?

Er zuckte die Achseln. Es spielte ohnehin keine Rolle. Sie war nicht eingeladen, also dachte er gar nicht daran, mit ihr zu sprechen.

„Erteile ihr Hausverbot!“, befahl er und reichte seinem Sicherheitschef den Monitor zurück. „Sie verschwendet nur meine Zeit.“

Doch Petros rührte sich nicht von der Stelle, sondern räusperte sich lediglich.

Ungeduldig hob Stavros eine Augenbraue.

„Da ist noch etwas, kyrie. Sie werden sich vielleicht doch mit ihr unterhalten wollen.“

„Und warum sollte ich das?“

Mittlerweile war Petros sein Unbehagen deutlich anzumerken. „Sie besitzt Ihren Ring. Den mit dem Familienwappen.“

Stavros erstarrte. Dies war offenbar kein harmloser Scherz. Dieser Ring war etwas Besonderes, und Petros war durchaus in der Lage, das Schmuckstück zu identifizieren. Selbst wenn der Ring seit nunmehr vier Jahren verschwunden war …

„Hast du ihn bei dir?“, fragte Stavros und streckte erwartungsvoll seine Hand aus. Doch Petros schüttelte den Kopf.

„Aber ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen und gründlich untersucht. Sie trägt ihn an einer langen Kette um den Hals. Allerdings weigert sie sich, ihn herauszugeben. Sie will erst mit Ihnen sprechen. Natürlich könnte ich den Ring mit Gewalt an mich nehmen, aber ich wollte mich vergewissern, dass Sie nicht anderer Ansicht sind.“

Ich muss wissen, wer diese Frau ist, schoss es Stavros durch den Kopf. Seine gewaltige Neugier war ihm selbst unheimlich.

In seinem Leben gab es keine unwillkommenen Überraschungen. Er bezahlte eine Armee von Angestellten dafür, eben dafür zu sorgen. Selbst sein Berufsleben folgte einem strikt festgelegten Plan, den er persönlich aufgestellt hatte. Es gab Herausforderungen, Ziele und Gelegenheiten – aber aufgrund seines hervorragenden Geschäftssinns, seines extremen Reichtums und allem voran seiner wilden Entschlossenheit war der Erfolg buchstäblich vorprogrammiert.

Der Ring.

Langsam atmete er aus und spürte den Druck unterdrückter Gefühle, die sich nun den Weg zurück an die Oberfläche bahnten.

Es war seine Pflicht, das Schmuckstück zurückzuholen und es an die nächste Generation weiterzugeben. Einer seiner Vorfahren hatte diesen Ring schon auf dem Schlachtfeld getragen. Aber der Ring barg auch viele jüngere Erinnerungen – an eine Zeit, die Stavros beinahe vergessen hatte, an sein großes Versagen …

„Komm mit!“ Er wandte der lebhaften Verlobungsgesellschaft den Rücken zu. „Zeig mir diese Frau, die mein Eigentum mit sich herumträgt!“

Energisch kämpfte Tessa gegen die Erschöpfung an, die sie nun überfiel, nachdem sie endlich hier angekommen war. Sie straffte die Schultern, hob das Kinn und wartete. Nur noch eine kleine Weile, dann war es vorüber – dann konnte sie endlich ausruhen.

Sie starrte die weiße Wand vor sich an. Den blanken Tisch, den leeren Stuhl. Wofür war dieser Raum eigentlich gedacht? Er sah aus wie eine Verhörzelle.

Die unangenehme Erinnerung an ein anderes fensterloses Zimmer ließ sie zusammenfahren. Nicht ganz so schlicht oder so ruhig. Die Farbe an jenen Wänden war schon lange Zeit abgeblättert gewesen und hatte so den Blick auf brüchigen Putz und billige alte Mauersteine freigegeben.

Und dieser Gestank. Tessa rümpfte unbewusst die Nase. In jenem anderen Raum hatte der Geruch von Angst und Schmerzen gehangen.

Entschlossen wandte sie sich wieder der Gegenwart zu. Schließlich war sie buchstäblich eine Weltreise von diesem Ort entfernt, und der Raum war schon vor einer Ewigkeit von einem Bulldozer eingestampft worden.

Leider konnte man Erinnerungen nicht so einfach zerstören wie Gebäude.

Sie atmete tief durch und griff automatisch nach dem Talisman an ihrer Kette. Sein Gewicht lag tröstend zwischen ihren Brüsten. Der Ring hatte sie bereits durch wahrhaft schwere Zeiten begleitet und barg für sie einen Schimmer der Hoffnung, wann immer sie zutiefst verzweifelt war.

Und jetzt war sie hierhergekommen, um das Schmuckstück zurückzugeben. Sie brauchte es nicht mehr.

Es war ein Schock für sie gewesen, dass sein Besitzer noch am Leben war. Sie hatte sich setzen müssen und minutenlang auf die Zeitschrift in ihren Händen gestarrt – direkt in das Gesicht des Mannes, der ihr seit vier Jahren im Kopf herumspukte. Die Wartehalle des Flughafens war um Tessa herum verschwommen, während sie auf seine klaren arroganten Gesichtszüge starrte, die Selbstsicherheit und Kraft ausstrahlten.

Ringe für zwei? Stavros Denakis und Angela Christophorou – das goldene Traumpaar.

So stand es auf der Titelseite unter dem Foto eines Glamourpaars, das gerade einen Nachtclub betrat. Die Frau sah atemberaubend aus, gestylt wie ein Model in einem silberfarbenen Kleid, das ihr üppiges Dekolleté perfekt zur Schau stellte. An ihrem Hals funkelten beeindruckende Juwelen.

Trotzdem verblasste diese Dame nahezu neben dem großen, kräftig gebauten Mann an ihrer Seite, der mit ernster Miene direkt in die Kamera starrte. Seine Züge strahlten wilde Entschlossenheit aus, Macht und eine Anziehungskraft, die keine Frau zu ignorieren vermochte.

Tessa schluckte den dicken Kloß in ihrem Hals hinunter. Noch immer spürte sie die aufregende Berührung seiner warmen Hand auf ihrer Haut. Seine Lippen, die flüchtig, aber dennoch sengend heiß ihren Mund streiften und ihn auf ewig brandmarkten. Und seine schwarzen Augen, die reglos auf sie hinunterblickten.

Faszinierend, dass ihr diese Details ihres Zusammentreffens nach so langer Zeit noch lebhaft in Erinnerung waren – bis hin zu der Erregung, die sein intensiver Blick ausgelöst hatte.

Andererseits war er schließlich der Mann, der ihr das Leben gerettet hatte. Tessa würde keine Minute vergessen können, die sie je mit Stavros verbracht hatte. Während der letzten Jahre hatte Tessa sich permanent ins Gedächtnis gerufen, wie selbstverständlich er ihr zur Hilfe gekommen war – willensstark und ohne zu zögern.

Und dieser Gedanke war noch wertvoller als der Ring, den dieser Mann zurückgelassen hatte.

Das Geräusch fester Schritte riss Tessa aus ihren Tagträumen. Sie atmete tief durch und wappnete sich innerlich gegen die bevorstehende Begegnung.

Die Tür öffnete sich, und dann stand er vor ihr. Stavros Denakis.

Ihre Augen weiteten sich leicht, während sie ihn schweigend musterte. Er war sogar noch größer als in ihrer Erinnerung, und seine breiten Schultern füllten beinahe den gesamten Türrahmen. Ihr Blick fiel auf seine Hand, die den Türgriff so fest umklammerte, dass die Knöchel weiß hervortraten. Ansonsten war ihm keinerlei Anspannung anzumerken – er war vollkommen reglos. Nur seine Brust hob sich, als er tief einatmete.

Sein Gesicht hätte genauso gut in Stein gemeißelt sein können. In aller Seelenruhe ließ er seinen Blick über ihren Körper gleiten, und Tessa wurde es allmählich unerträglich heiß.

Sie hob entschlossen ihr Kinn und wartete geduldig ab. Doch sie spürte deutlich, wie ihr Körper auf seine Ausstrahlung reagierte – genau wie beim ersten Mal. Diesen Mann würde sie mit verbundenen Augen unter Tausenden wiedererkennen. Wie konnte seine Wirkung auf sie über all die Jahre unverändert bleiben?

„Wer bist du?“, fragte er auf Englisch. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, dennoch verriet sein Tonfall seine unantastbare Autorität.

„Tessa Marlowe.“ Ihr Mund fühlte sich entsetzlich trocken an.

Abweisend hob er den Kopf. Für einen Moment herrschte eine Stille, die nur von Tessas unregelmäßigen Atemstößen unterbrochen wurde. Dann beugte er sich vor und stützte sich mit beiden Fäusten auf dem Tisch ab. Sein Kopf war dicht vor ihrem Gesicht, und Tessa wehrte sich verzweifelt gegen den Impuls, auf dem Stuhl nach unten zu rutschen.

Sie holte tief Luft, um ihre Fassung wiederzuerlangen, doch leider erreichte sie das genaue Gegenteil. Denn mit jedem Atemzug sog sie seinen männlich würzigen Duft ein, der ihr jeden klaren Gedanken raubte.

„Erinnern Sie sich nicht an mich?“, hauchte sie gequält.

Die Augen unter den pechschwarzen Wimpern schienen sogar noch dunkler zu werden. Sie strahlten keine Wärme aus, nur unbändige Wut.

„Wer bist du?“, wiederholte er kalt.

„Das habe ich schon gesagt. Tessa Marlowe.“

Mit der flachen Hand schlug er hart auf die Tischplatte. „Tessa Marlowe ist vor vier Jahren gestorben.“

Die Luft schien vor Spannung zu knistern. Tessa hatte eine andere Reaktion von ihm erwartet: Überraschung, vielleicht Erstaunen, aber ganz sicher keine Wut!

Sie presste sich gegen die Stuhllehne und zwang sich, ihre Stimme möglichst ruhig klingen zu lassen. „Damit liegen Sie falsch. Ich war verletzt und bewusstlos. Mehr nicht.“

Er blinzelte nicht einmal. „Beweise es!“

Nervös fingerte sie an ihrer Kette herum und hielt den Ring fest umklammert. Er hatte sie schon durch so viele schwere Zeiten begleitet. Dann legte sie ihn auf ihre flache Hand und hielt sie Stavros hin.

Endlos lange starrte er auf das Schmuckstück hinunter, und es hätte Tessa nicht gewundert, wenn ein Donnerschlag die Mauern des Gebäudes zum Beben gebracht hätte. Dann war der Moment vorüber. Tessa sackte auf ihrem Stuhl zusammen und war sich sicher, dass Stavros ihr endlich glaubte.

Fassungslos betrachtete er den Ring, den er schon sein ganzes Leben lang kannte. Ein hervorragendes Kunstwerk, obwohl es bereits ziemlich abgetragen war. In der Mitte war vor ewigen Zeiten ein Bild eingearbeitet worden. Es zeigte einen Jäger, der von einem Streitwagen aus einen Löwen in Schach hielt. Das Bildnis diente ursprünglich als Siegel – das unverkennbare Zeichen eines Mannes von Macht und Ansehen.

Mittlerweile war dieses Bild das Symbol des Hauses Denakis. Eine modifizierte Version dieses Jägers zierte die Türen der Denakis-Verkaufsräume in Athen, Paris, London, Zürich und Tokio.

Ehrfurchtsvoll streckte er die Hand aus und tastete über die Gravur des Rings. Mit den Fingerspitzen berührte er dabei Tessas warme Handfläche. Sie zitterte. Also war sie doch nervös, obwohl ihre Körperhaltung und ihr fester Blick Selbstsicherheit vortäuschten.

Erneut konzentrierte er sich auf den Ring. Es bestand kein Zweifel: Er war echt und passte überhaupt nicht zu der billigen Kette, an der er hing. Stavros runzelte die Stirn. Jetzt waren definitiv ein paar Erklärungen fällig.

Er ließ den Ring los, und Tessa zog ihrerseits sichtbar erleichtert die Hand zurück. Die Kette lag nun zwischen ihren Brüsten, und Stavros musste feststellen, dass seine Aufmerksamkeit ebenfalls an Tessas reizvollen Rundungen hing.

Abrupt sah er ihr ins Gesicht. Noch vor einer Minute hatte er geglaubt, einem Geist zu begegnen. Sein Magen hatte sich vor Schreck buchstäblich umgedreht.

Tessa war vor vier Jahren bei einer schweren Explosion ums Leben gekommen, bei der auch ein Dutzend andere Menschen den Tod gefunden hatten. Er besaß sogar eine Kopie ihrer Sterbeurkunde! Offiziell gab es keine Tessa Marlowe mehr. Für Stavros hatte sie nur in seiner Erinnerung weitergelebt.

Und trotzdem war sie hier und quicklebendig! Der Schock saß Stavros noch immer in den Knochen.

Kurz überlegte er, welche arme, namenlose Frau nach der Bombenexplosion wohl für Tessa gehalten worden war. In jedem Fall saß die leibhaftige Tessa Marlowe jetzt vor ihm, denn diese einzigartigen Augen würde er nie vergessen können.

Schon früher waren ihm Menschen mit auffallend grünen Augen begegnet. Aber noch nie hatte er ein so reines Smaragdgrün gesehen – außer bei seltenen Edelsteinen. Sammler würden ein Vermögen für einen Stein dieser Farbe bezahlen. Sie war einmalig, genau wie Tessa Marlowe – einmalig und unverkennbar.

Dennoch sah sie anders aus als früher. Sie strahlte eine Ernsthaftigkeit aus, die darauf hinwies, dass sie im Leben bereits viel Erschreckendes gesehen hatte. Auch äußerlich hatte sie sich verändert. Schon bei ihrer ersten Begegnung war sie dünn gewesen, aber jetzt wirkte sie regelrecht zerbrechlich. Nur ihre Lippen waren noch genauso wie damals: voll, sinnlich und einladend.

Oh, ja, an diesen Mund erinnerte er sich gut. Er hatte noch monatelang von der Sanftheit dieser Lippen geträumt.

„Was machst du hier?“ Seine Frage klang wie ein heiseres Knurren.

„Ich bin gekommen, um den Ring zurückzubringen“, erklärte sie eilig. Dennoch dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis sie die Kette von ihrem Hals gelöst und den Ring mit bebenden Fingern überreicht hatte.

„Warum bringst du ihn ausgerechnet jetzt zurück?“, erkundigte er sich scharf. „Ich hoffe, du hast eine Erklärung dafür.“

Verwirrt über seine ablehnende Haltung, zog sie die Augenbrauen zusammen. „Er gehört Ihnen – dir! Mir ist klar, dass du nicht vorhattest, ihn mir so lange zu überlassen. Und wenn ich ihn eher hätte zurückbringen können, hätte ich es getan.“ Unbewusst streckte sie eine Hand nach ihm aus.

„Ich soll dir glauben, es hätte so lange gedauert, Kontakt mit mir aufzunehmen? Vier endlose Jahre?“ Sein Tonfall war erbarmungslos. Schließlich hatte sie ihn jahrelang im Unklaren gelassen.

Sie ergriff seine Hand, und ihre Wärme floss durch seinen ganzen Körper. Trotzdem wollte er der Versuchung widerstehen, denn er nahm an, dass sie ein falsches Spiel mit ihm spielte.

„Ich glaube dir nicht“, sagte er betont und ignorierte den Schmerz in ihren Augen. Diese Frau war nicht so unschuldig, wie sie tat. Diese Aktion diente sicherlich nur dazu, ihr irgendeinen Vorteil zu verschaffen.

„Aber es stimmt“, beharrte sie. „Ich habe von dir erfahren und musste einfach herkommen.“

Natürlich. Sie hatte festgestellt, wer er war, und sich dann sofort auf den Weg gemacht. Kaum zu glauben, dass sie nicht schon früher davon gewusst hatte.

Ihre Unterlippe zitterte leicht. Dann drückte sie die Schultern durch und sah ihm fest in die Augen.

„Es tut mir leid, wenn ich mir einen ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht haben sollte. Das war bestimmt nicht meine Absicht.“ Sie wollte ihre Hand zurückziehen, aber er hielt sie fest. „Nachdem du dein Eigentum nun zurückhast, werde ich wohl besser gehen.“

Geradewegs zur nächsten Presseagentur, um ihre Geschichte gewinnbringend zu verkaufen, dachte er sarkastisch. Das musste er um jeden Preis verhindern.

„Das wird wohl nicht gehen“, widersprach er.

„Aber hier bin ich nicht willkommen. Das ist doch offensichtlich.“

Daraufhin nickte er. „Stimmt. Aber glaubst du wirklich, ich würde dich so einfach gehen lassen?“

Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber er brachte sie mit einer ungeduldigen Handbewegung zum Schweigen.

„Genug! Du kannst dir deine Unschuldsnummer sparen. Und dieses Grundstück verlässt du erst, wenn ich die ganze Geschichte von dir gehört habe und wir eine Einigung in Bezug auf diese Situation gefunden haben.“

„Eine Einigung?“, hakte sie kopfschüttelnd nach.

Offenbar hatte sie während der letzten vier Jahre schauspielerische Fähigkeiten erworben, stellte er fest. Früher hatte man ihr alle Gedanken und Gefühle deutlich ansehen können, aber mittlerweile schien sie sich zu einer begabten Lügnerin entwickelt zu haben.

„Selbstverständlich, eine Einigung. Diese Situation erfordert besondere Aufmerksamkeit.“ Seine Finger schlossen sich fester um ihre Hand.

„Du hast doch wohl nicht geglaubt, ich hätte meine Verlobung heute so öffentlich gefeiert, wenn ich geahnt hätte, dass ich noch immer verheiratet bin?“

2. KAPITEL

Tessa atmete hörbar aus. Seine Verlobung bereitete ihr unerträgliche Magenschmerzen. Dabei ging es sie überhaupt nichts an, mit wem er eine Beziehung führte.

Doch er hatte Tessa als seine Ehefrau bezeichnet. Diese Vorstellung war absurd. Sie beide kannten schließlich die Wahrheit: Tessa war nie Stavros’ Ehefrau gewesen.

Sie zuckte zusammen unter dem falschen Lächeln, das er ihr schenkte. Sein Gesichtsausdruck wirkte bedrohlich, und Tessa lief es eiskalt den Rücken herunter. Andererseits war Stavros Denakis ein zivilisierter Mann, mit dem man sicher über alles vernünftig reden konnte. Allerdings schien er nicht zu merken, wie fest er Tessas Hand drückte.

„Du tust mir weh“, sagte sie ruhig.

Augenblicklich ließ er Tessa los, und ihre Hand fing an zu kribbeln.

„Entschuldige“, erwiderte er tonlos.

Ihre Gedanken überschlugen sich. „Du willst also heiraten?“

„Amüsant, nicht wahr?“ Sein Lächeln hatte jedoch nichts Erfreuliches an sich. „Ich bin in der außergewöhnlichen Position, sowohl eine Verlobte als auch eine Ehefrau zu haben.“

Für einen Sekundenbruchteil kniff sie beide Augen fest zusammen. Wovon sprach er überhaupt? Das ergab alles keinen Sinn.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, stammelte sie.

„Ach, nein?“ Seine tiefe Stimme war voller Spott. „Du überraschst mich. Ich dachte, du hättest alles gut geplant. Hast du schon eine Summe im Kopf? In Dollar oder vielleicht lieber in Euro?“

„Euro? Wovon redest du überhaupt?“ Ihr wurde schwindelig, und ganz langsam drehte sie den Kopf von einer Seite zur anderen.

Offensichtlich warf er ihr etwas vor, aber Tessas Verstand war wie gelähmt. Sie konnte sich einfach keinen Reim auf seine Worte machen.

Ich hätte in Athen eine Atempause einlegen sollen, bevor ich hierherkomme, dachte Tessa. Zum Schlafen, Essen und Ausruhen.

Allein der Flug von Südamerika über die Vereinigten Staaten bis nach Griechenland hatte eine halbe Ewigkeit gedauert. Ganz abgesehen von dem ganzen Chaos in Athen. Von dort hatte Tessa sich einen Weg zum Hafen von Piräus suchen müssen, und anschließend folgte auch noch die Fährfahrt zu Stavros’ Insel.

Tessa war restlos erschöpft. Der Schock darüber, dass er am Leben war, hatte sie so aufgewühlt, dass an Schlaf nicht mehr zu denken gewesen war. Und als Folge all dieser Aufregungen stürzte sie nun in ein tiefes Loch. Ihre Lebensgeister verließen sie, und eine Welle der Müdigkeit drohte sie mit sich fortzureißen.

Mit beiden Händen klammerte sich Tessa an der Tischkante fest, um nicht vom Stuhl zu rutschen. Dieser wütende Fremde hatte nichts mit dem Mann zu tun, den sie in ihrer verklärten Erinnerung vor Augen hatte. Vielleicht hätte sie auf ihre innere Stimme hören und die Vergangenheit ruhen lassen sollen.

„Genug!“ Wieder schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch, und Tessa riss erschrocken die Augen auf. „Ich habe keine Zeit für diese Spielchen. Es liegt doch auf der Hand, warum du hier bist. Leugnen ist zwecklos.“

Der Blick seiner dunklen Augen bohrte sich regelrecht in ihre, und es ging eine fast unerträglich negative Energie von ihm aus. Tessa konnte es nicht länger ertragen und rappelte sich mühsam auf. Ihre Knie waren weich, und sie stützte sich schwer auf dem Tisch ab.

„Wo willst du hin?“, wollte er wissen. „Ich bin noch nicht fertig mit dir.“

Autor

Annie West
Annie verbrachte ihre prägenden Jahre an der Küste von Australien und wuchs in einer nach Büchern verrückten Familie auf. Eine ihrer frühesten Kindheitserinnerungen besteht darin, nach einem Mittagsabenteuer im bewaldeten Hinterhof schläfrig ins Bett gekuschelt ihrem Vater zu lauschen, wie er The Wind in the Willows vorlas. So bald sie...
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