Romana Exklusiv Band 392

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HEISSER FLIRT UNTER GRIECHISCHER SONNE von ANNE FRASER

Ein idyllisches Dorf in Griechenland – hier hofft Katherine, endlich die dringend nötige Ruhe zu finden. Vergeblich? Seit dauernd dieser gut aussehende Mann am Strand auftaucht, geraten ihre Sinne mehr und mehr in Aufruhr. Aber für eine neue Liebe ist sie längst nicht frei …

DENN DIR GEHÖRE ICH FÜR IMMER von SORAYA LANE

Rebecca wiederzusehen weckt in Polo-Star Ben McFarlane sofort tiefes Verlangen. Damals war ihm seine Karriere wichtiger, heute will er ihr endlich seine Liebe zeigen. Als Ben jedoch erfährt, was er nie wissen sollte, schmecken Rebeccas Küsse plötzlich nach Verrat …

WENN DER FEIND SO ZÄRTLICH KÜSST von SHIRLEY HAILSTOCK

Rosanna könnte im siebten Himmel sein: Der Mann, mit dem sie am Strand entlanggeht, ist ihr Märchenprinz. Doch sie darf David Thorn nicht lieben! Er hat sie um ihre berufliche Zukunft gebracht. Warum träumt sie dann von einem gemeinsamen Leben mit ihm?


  • Erscheinungstag 20.09.2025
  • Bandnummer 392
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533027
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Anne Fraser, Soraya Lane, Shirley Hailstock

ROMANA EXKLUSIV BAND 392

Anne Fraser

PROLOG

Alexander Dimitriou war gerade unterwegs zu der Bucht, in der sein Boot lag, als er die blonde Frau zum ersten Mal erblickte. Er hatte bereits von ihr gehört. Was nicht verwunderlich war. Denn in dem kleinen griechischen Dorf redete man natürlich darüber, wenn eine Fremde herkam, um in dem Haus über der Bucht zu wohnen.

Zweifellos hatten die Leute nicht übertrieben. Sie war wirklich sehr hübsch. Und die aufgehende Sonne tauchte sie jetzt auch noch in ein herrlich magisches Licht, als sie aus dem Wasser kam. Einen Moment lang verschlug es ihm den Atem.

Wenn sie doch nur aufblicken würde, dann könnte sie ihn oben an der kleinen Mauer sehen, die den Dorfplatz säumte. Aber sie richtete die Augen auf den Strand. Ihre Haut glänzte golden in der Sonne, sodass man fast meinen könnte, ein mystisches Wesen wäre dem Meer entstiegen.

Aber nur fast, und das auch nur, wenn man zu Übertreibungen neigte. Was er sicher nicht tat.

1. KAPITEL

Katherine Burns legte den Stift beiseite und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Wie schon mehrfach an diesem Samstagvormittag ließ sie den Blick über die kleine Bucht unterhalb ihres Balkons schweifen.

Der schwarzhaarige Mann, der an den letzten Abenden immer an seinem Boot gearbeitet hatte, war heute bereits seit dem frühen Morgen da. Selbstvergessen kratzte er die alte Farbe ab und begutachtete hin und wieder sein Werk. Er trug Jeans, die bis über die Knöchel aufgekrempelt waren, und ein weißes T-Shirt, das seine breiten Schultern und die olivfarbene Haut betonte.

Wer er wohl war? Wäre Sally hier, hätte sie längst alles über ihn in Erfahrung gebracht. Ihre Freundin war weitaus hübscher als sie und zog die Männer magisch an. Sie hatte sich früher vor Verehrern nicht retten können. Seit sie aber mit Tom glücklich verheiratet war, hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, für sie, Katherine, einen Mann zu finden. Bisher ohne Erfolg.

Abgesehen von ihrer Beziehung mit Ben, hatte sie noch zwei weitere Freunde gehabt. Inzwischen hatte sie jedoch schon lange die Suche nach ihrem Mr. Right eingestellt. Und so attraktive Typen wie der Mann, den sie gerade beobachtete, waren im Allgemeinen bereits vergeben.

Nicht dass er mich interessiert, dachte sie. Er lenkte sie – auf angenehme Weise – beim Schreiben ihrer Dissertation ab. Denn er war eine Augenweide und ebenso faszinierend wie Griechenland selbst. Es war genau, wie ihre Mutter es immer beschrieben hatte: weiße Strände, grau-grüne Berge und ein Meer, das sich je nach Tageszeit und Tide farblich veränderte. Jetzt verstand sie wirklich, warum ihre Mum so oft und sehnsuchtsvoll von ihrem Geburtsland gesprochen hatte.

Katherines Herz krampfte sich zusammen. War es tatsächlich schon einen Monat her, dass sie gestorben war? Es fühlte sich an, als wäre es erst gestern gewesen. In ihrer Trauer hatte sie sich noch mehr in die Arbeit gestürzt, um nicht zu viel nachzudenken. Schließlich hatte Tim, ihr Chef und guter Freund, ihr energisch erklärt, dass sie sich eine Auszeit nehmen solle. Insbesondere da sie seit Jahren keinen Urlaub mehr gemacht habe. Jeder Protest war sinnlos gewesen. Tim hatte auf acht Wochen bestanden und ihr angedroht, jemanden vom Sicherheitsdienst zu rufen, sollte er sie vorher im Büro sehen.

Eine Arbeitskollegin hatte ihr dann erzählt, dass die Eltern einer griechischen Freundin zur Geburt ihres ersten Enkelkindes in die Staaten fliegen würden. Sie suchten für die Zeit jemanden, der ihr Haus hüten, den geliebten Kater versorgen und sich um den Garten kümmern könnte.

Katherine hatte es als Glücksfall betrachtet. Auch wenn Tim ihr völlige Ruhe „verordnet“ hatte, war die Zwangspause genau die richtige Zeit, um die Dissertation fertig zu schreiben. Diese hatte sie während der Krankheit ihrer Mutter erst einmal auf Eis legen müssen. Und sie würde nun zugleich die Gelegenheit haben, das Versprechen einzulösen, das sie ihrer Mum gegeben hatte.

Das Haus stand am Rande eines Dorfes und schmiegte sich an einen Berg. Es bestand aus drei Etagen. Auf der mittleren waren eine kleine offene Küche und der Wohnbereich, unten das Elternschlafzimmer und eine Terrasse, über die man direkt zum Strand gelangte. Und oben befanden sich die anderen Zimmer und ein Balkon, von dem aus man die Bucht überblickte. Im Garten spendeten Feigen-, Granatapfel- und Olivenbäume den dringend benötigten Schatten, und Bougainvilleen, Jasmin und Oleander blühten in üppiger Fülle.

Der Kater Herkules war kein Problem. Sie hatten sich schnell angefreundet. Meistens sonnte er sich auf der Terrasse, und Katherine musste nur für genügend Wasser zum Trinken sorgen und ihm das Futter hinstellen.

Sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Seit ihrer Ankunft vor vier Tagen hatte sie schon einiges geschafft. Allerdings hatte sie bis auf einen kurzen Ausflug in das Dorf, in dem ihre Mutter als Kind gelebt hatte, noch nichts von Griechenland gesehen. Aber dafür hatte sie ja noch viel Zeit. Wenn sie weiter so gut vorankam, würde sie in etwa zwei Wochen mit der Dissertation fertig sein. Dann konnte sie Urlaub machen und sich das Land anschauen.

„Baba!“, hörte sie irgendwann jemanden rufen.

Sie blickte auf und sah ein etwa fünf- oder sechsjähriges Mädchen mit blondem Pferdeschwanz in Jeansshorts und rotem T-Shirt auf den Mann in der Bucht zulaufen. Ein Spaniel folgte ihr auf den Fersen. Er ist also verheiratet, dachte sie und spürte, dass sie seltsamerweise enttäuscht war.

„Crystal.“

Sie beobachtete, wie er die Arme ausstreckte und die Kleine auffing. Als er das Mädchen schließlich wieder auf die Füße stellte, bemerkte sie, dass eine schlanke Frau mit kurzen blonden Haaren auf die beiden zukam. Sie hatte einen Korb dabei und war sicher die Ehefrau. Und während sie eine Decke ausbreitete und den Inhalt des Korbs darauflegte, tollte Crystal mit dem Hund herum.

Was für ein Familienidyll, dachte Katherine, und ihr Herz krampfte sich einen Moment zusammen, als sie sich erneut über die Arbeit beugte. So sollte es sein – und hätte es vielleicht werden können. Aber sie würde es wahrscheinlich nie selbst kennenlernen. Nicht dass ihr das Leben, das sie führte, nicht gefiel. Ihr Job als Epidemiologin im öffentlichen Gesundheitswesen war spannend, herausfordernd und erfüllend.

Als Katherine das nächste Mal aufschaute, war die blonde Frau nicht mehr da. Die Reste des Picknicks lagen jedoch noch auf der Decke. Der schwarzhaarige Mann hatte die langen Beine von sich gestreckt und lehnte an einem Felsen. Seine Tochter hatte sich an ihn gekuschelt und sah zu ihm auf, während er ihr eine Geschichte vorlas.

Sie schaffte es nicht, sich wieder auf ihre Arbeit zu fokussieren, und beschloss, es im Haus zu versuchen. Später musste sie auch noch ins Dorf, denn die Vorräte, die sie am ersten Tag gekauft hatte, neigten sich langsam dem Ende zu. Sie hatte sich zumeist von morgens bis abends mit ihrer Dissertation beschäftigt und war nur in der Frühe schwimmen gewesen und vor dem Schlafen etwas am Meer entlangspaziert.

Aber drinnen konnte sie sich jetzt genauso wenig konzentrieren. Das Familienidyll am Strand hatte sie um ihre Ruhe gebracht und das leider so vertraute Gefühl von Einsamkeit und Sehnsucht in ihr geweckt. Warum zog sie sich nicht um und ging gleich ins Dorf?

Im Schlafzimmer zögerte sie kurz und wandte sich zum Nachtschränkchen, aus dem sie ein Album holte, das sie immer bei sich hatte. Sie blätterte darin, bis sie ein paar Fotos von Poppy fand, als diese in etwa so alt gewesen war wie Crystal. Ein Bild zeigte sie ebenfalls am Strand, wie sie eine Sandburg baute. Auf einem anderen hatte Liz sie auf dem Arm, und sie strahlte über das ganze Gesicht, ein Schokoladeneis in der Hand. Sie schien glücklich zu sein. Genauso glücklich wie Crystal.

Katherine klappte das Buch wieder zu, sie konnte es nicht länger ertragen, die Fotos anzuschauen. Hatte sie sich nicht schon oft gesagt, dass es sinnlos war, darüber nachzudenken, was hätte sein können? Stürz dich in die Arbeit, forderte sie sich auf. Diese hielt sie im Allgemeinen davon ab, sich mit der Vergangenheit zu befassen. Sie würde jetzt nicht ins Dorf gehen, sondern erneut versuchen, sich in die Dissertation zu vertiefen.

„Hallo.“

Die leise Stimme riss Katherine aus ihrer Versunkenheit, und sie drehte sich um. Sie hatte niemanden kommen hören. „Hallo.“ Was machte denn das kleine Mädchen vom Strand hier? „Du hast mich ein wenig erschreckt.“

Crystal lachte. „Hab ich, oder?“, erwiderte sie in perfektem Englisch, allerdings mit starkem Akzent. „Ich habe dich vorhin gesehen. Du warst auf dem Balkon. Ich glaube, du hast keine Freunde. Deshalb willst du vielleicht, dass jemand dich besucht. Ich.“

Katherine lachte. Aber es klang nicht so unbekümmert, wie sie gehofft hatte. „Manche Erwachsene sind gern allein.“ Sie zeigte zu den Papieren auf dem Tisch. „Außerdem muss ich viel arbeiten, während ich hier bin.“

Skeptisch blickte die Kleine sie an. „Aber du hast nichts dagegen, wenn ich manchmal vorbeischaue, oder?“

Was sollte sie darauf antworten? „Nein, natürlich nicht. Doch wirst du mich schätzungsweise nicht so unterhaltsam finden, weil …“

Sie verstummte, denn plötzlich brach Chaos aus. Crystals Hund stürmte ins Haus. Als er Herkules auf dem Katzenkissen liegen sah, rannte er schnurstracks auf ihn zu. Der Kater miaute wütend und rettete sich auf den Tisch, wobei er Papiere und Stifte auf den Boden beförderte. Katherine hielt ihn fest, während der Spaniel bellend an ihrem Bein hochsprang.

„Kato!“

Große Güte, wie viele Menschen und Tiere verirren sich noch zu mir, fragte sie sich, als Crystals Vater herbeieilte. „Kato! Platz!“, rief er wohl auf Griechisch, denn sie beobachtete, wie der Hund zu ihm kam und sich hinlegte. Danach schaute er seine Tochter streng an und sagte etwas zu dem Mädchen, das Katherine ebenfalls nicht verstand, da sie nur ein paar Brocken Griechisch konnte.

„Bitte entschuldigen Sie, dass meine Tochter hier eingedrungen ist. Sie weiß, dass sie nicht einfach verschwinden soll, ohne mir Bescheid zu geben. Ich habe erst festgestellt, dass sie weg ist, als ich sie um etwas bat und sie mir nicht antwortete. Dann bin ich ihren Fußspuren im Sand gefolgt“, erklärte er in fast akzentfreiem Englisch. „Lassen Sie uns Ihnen dabei helfen, die Papiere aufzusammeln.“

Aus der Nähe betrachtet, wirkte er einfach umwerfend attraktiv. Er hatte dunkle Augen mit langen dichten Wimpern, eine gerade Nase, hohe Wangenknochen und einen sinnlichen Mund.

„Das ist nicht nötig …“

„Es ist das Mindeste, das wir tun können“, erwiderte er, während er bereits die ersten Blätter aufhob.

Katherine setzte Herkules auf den Boden, der eilig das Weite suchte, und ging auf Crystals Vater zu. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm, merkte, dass ihre Fingerspitzen zu kribbeln anfingen, und zog ihre Rechte schnell zurück. „Mir wäre es lieber, wenn Sie alles so liegenlassen würden. Womöglich geraten die Seiten sonst nur noch mehr durcheinander.“

Er stand wieder auf und sah sie einen Moment lang prüfend an. Katherine atmete seinen Duft ein und hatte regelrecht das Gefühl, die Kraft zu spüren, die von ihm ausging. Jeder Nerv in ihrem Körper schien kurzzeitig zu vibrieren. Grundgütiger, was war nur mit ihr los, dass sie so dermaßen auf einen verheirateten Mann reagierte?

„So was passiert. Sie müssen wirklich nichts tun. Vielen Dank.“ Wie gut, dass ihre Stimme normal klang.

„Ich möchte mich noch einmal für meine Tochter entschuldigen. Sie ist es so gewohnt, hier bei jedem unangemeldet ein- und auszugehen, dass sie gar nicht auf die Idee käme, manchen Leuten könnte das nicht recht sein.“

„Kein Problem. Ich wollte ohnehin eine Pause machen. Jetzt lege ich sie eben etwas früher ein. Das ist okay.“

„Dann verschwinden wir jetzt, damit sie sie in Ruhe genießen können.“ Kurz schaute er auf ihre Hand. Sie trug keinen Ring. „Miss …“

Burns. Katherine Burns.

Alexander Dimitriou. Ich habe heute Vormittag gesehen, wie Sie mich von ihrem Balkon aus beobachtet haben.“

„Ich habe Sie nicht beobachtet. Ich habe gearbeitet, und Sie waren jedes Mal genau in meinem Blickfeld, wenn ich den Kopf gehoben habe.“

Welch eine Arroganz, anzunehmen, sie hätte ihn beobachtet. Auch wenn sie es natürlich getan hatte. Als er lächelte, wurde ihr bewusst, was sie ihm gerade verraten hatte. Nämlich dass sie ihn bemerkt hatte.

„Vielleicht kommen Sie irgendwann zu uns zum Mittagessen, damit wir den Überfall von heute wiedergutmachen können?“

Sie war nicht hier, um mit umwerfend attraktiven Griechen ihre Zeit zu verbringen. Und mit verheirateten schon gar nicht. „Vielen Dank“, erwiderte sie kurz angebunden und fügte hinzu, als sie die beiden nach draußen begleitete: „Ich habe Crystal gesagt, dass sie mich gerne wieder besuchen darf.“

Als Crystal am Abend im Bett war, waren Alexanders Gedanken immerzu bei Katherine. Er hatte immer wieder an sie denken müssen, seit er sie vor ein paar Tagen morgens am Meer gesehen hatte. Und heute hatte sie ihn zweifellos beobachtet. Er hatte mehrfach aufgeschaut und festgestellt, dass sie in seine Richtung blickte.

Überhaupt hatte ihre Ankunft für Aufregung im Dorf gesorgt. Die Leute und auch seine Großmutter und seine Cousine Helen waren fasziniert von der Frau, die hier allein Urlaub machte und kaum das Haus verließ. Sie war bisher nur einmal im Dorf gewesen und gleich wieder verschwunden, nachdem sie eingekauft hatte.

Vor allem Helen hätte nur zu gern mehr über sie erfahren. Sie forderte ihn sowieso ständig auf, sich wieder zu verabreden. Katherine war zwar ausgesprochen hübsch, aber er war einfach nicht an längeren Beziehungen interessiert und für einen Urlaubsflirt war sie sicherlich nicht zu haben.

Allerdings hatte sie etwas an sich, das ihn geradezu magisch anzog. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ich bei ihr eine ähnliche Traurigkeit spüre, wie sie auch in mir ist, überlegte er. Was dann umso mehr ein Grund war, sich von ihr fernzuhalten.

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen beschloss Katherine, im Haus zu arbeiten. Doch nach ein paar Stunden drängte es sie hinaus auf den Balkon. Alexander war wieder bei seinem Boot. Fasziniert betrachtete sie seinen nackten Oberkörper, der in der Sonne golden glänzte.

Plötzlich fluchte er, ließ den Spachtel fallen und starrte auf seine Hand. Er schüttelte den Kopf, schaute sich um und hob Momente später das T-Shirt auf, um es sich um die Hand zu wickeln.

Sie konnte ihn unmöglich mit seiner verletzten Hand sich selbst überlassen. Noch dazu, da sie natürlich einen Erste-Hilfe-Kasten im Haus hatte. Außerdem dürfte in dem Dorf am Sonntag kein Arzt verfügbar sein.

„Hallo“, rief Katherine im Näherkommen, um ihn nicht zu erschrecken, denn er arbeitete mit der gesunden Rechten weiter, während er die Linke in die Luft streckte. „Kann ich helfen?“, fragte sie, als er sich umdrehte und auf seine Hand deutete.

„Es geht schon. Aber vielen Dank.“ Er lächelte sie an, und ihr Herz klopfte schneller.

„Lassen Sie mich wenigstens einen Blick darauf werfen. In Anbetracht des vielen Blutes müssen Sie sich ziemlich verletzt haben.“

„Wenn Sie darauf bestehen.“

Er hielt ihr die Hand hin, und Katherine löste behutsam den Behelfsverband. Als ihre Fingerspitzen seine Handfläche berührten, hatte sie das Gefühl, lauter kleine elektrische Schläge zu bekommen. Verflixt, jetzt begegnete sie jemandem, den sie auf Anhieb attraktiv fand, und er war verheiratet und obendrein noch Vater.

Prüfend betrachtete sie die Wunde. „Es ist ein tiefer Schnitt, der genäht werden muss. Ist heute irgendwo eine Praxis geöffnet?“

„Die meisten sind sonntags nur für Notfälle da, und ich bezweifle, dass dies hier einer ist.“

„Das denke ich allerdings schon. Ich bin Ärztin und weiß, wovon ich rede.“

Alexander zog die Brauen hoch. „Wirklich? Die Leute im Dorf haben vermutet, Sie wären Schriftstellerin. Sind Sie praktische Ärztin?“

„Nein. Ich bin Epidemiologin und arbeite als Forscherin im öffentlichen Gesundheitswesen.“

„Auch im Urlaub? Sie waren gestern ganz schön beschäftigt.“

„Ich schreibe meine Dissertation.“

„Das gefällt mir.“ Er lächelte erneut zu Herzen gehend. „Können Sie nicht schnell die Hand nähen?“

„Nein. Mir fehlt die entsprechende Ausrüstung. Außerdem dürften Sie eine Tetanusinjektion benötigen. Es sei denn, Sie haben erst kürzlich eine erhalten.“

„Nein, habe ich nicht.“

„Okay, dann müssen wir auf jeden Fall in eine Notfallpraxis. Ich werde die Wunde jetzt provisorisch versorgen. Haben Sie jemanden, der Sie hinfahren kann?“

„Es gibt eine, die zu Fuß erreichbar ist. Diese kleine Verletzung wird mich ja nicht so schnell umbringen.“

„Vielleicht nicht. Dennoch könnte sie Ihnen ernste Probleme bereiten.“ Katherine zögerte einen Moment. „Ich rate Ihnen dringend, jetzt sofort in eine Notarztpraxis zu fahren. Ich kann auch gerne anrufen. Ein Gespräch von Arzt zu Arzt ist da oft sehr hilfreich.“

„Offen gestanden, wäre es doch etwas peinlich in Anbetracht der Tatsache, dass ich der Arzt bin und es meine Praxis ist. Jedenfalls eine von meinen.“

„Sie sind Arzt?“, fragte sie überrascht und kam sich nun mit ihrem kleinen Erste-Hilfe-Kasten ziemlich albern vor. Jetzt wusste sie auch, warum sie seit ein paar Minuten das Gefühl hatte, er würde sich über sie lustig machen. „Das hätten Sie auch früher sagen können.“

„Ich hätte es noch getan. Ehrlich.“ Wieder lächelte er. „Ich schätze, ich habe es genossen, zur Abwechslung mal der Patient zu sein.“

„Sie hätten es sofort sagen sollen.“ Katherine kämpfte gegen ihren Ärger an. „Allerdings können Sie die Hand schlecht selbst nähen.“ Obwohl sie im Augenblick nicht abgeneigt war, es ihn versuchen zu lassen.

„Ich könnte es probieren … Aber Sie haben recht. Es wäre leichter und ordentlicher, wenn Sie es tun würden. Meine hiesige Praxis ist nicht viel mehr als ein besseres Sprechzimmer. Ich benutze sie, wenn die älteren Leute aus dem Dorf mit kleineren Wehwehchen zu mir kommen. Sie ist jedoch so ausgestattet, dass Sie die Wunde dort nähen können.“

„Dann los.“

Seine Praxis schien ein ehemaliges Fischerhäuschen zu sein, das unmittelbar am kleinen Hafen lag. Von dem schmalen Flur gingen nur zwei Türen ab, und Alexander öffnete die rechte.

Katherine sah alles, was sie in einer ländlichen Praxis erwartet hätte. Bis auf den großen Lehnstuhl, über den eine karierte Decke ausgebreitet war. Alexander verzog das Gesicht, als er ihren erstaunten Blick bemerkte.

„Ich weiß, der gehört hier eigentlich nicht her. Aber meine Patienten fühlen sich so mehr wie zu Hause.“

Während sich Katherine die Hände wusch, stellte er alles Nötige auf den Edelstahlwagen neben der Liege, setzte sich und entfernte den Notverband. Nachdem sie die Schutzhandschuhe übergestreift hatte, spritzte sie ihm schließlich ein Mittel zur lokalen Betäubung. „Ich warte noch etwas ab, bis es richtig wirkt.“

„In der Zwischenzeit können Sie mir erzählen, was Sie herführt. Unser Dorf ist nicht unbedingt bei Touristen gefragt.“

„Eine Kollegin ist mit der Tochter der Familie Dukase befreundet. Ich darf deren Haus benutzen, wenn ich mich um Herkules und den Garten kümmere. Meine Mutter ist gebürtige Griechin, und ich habe schon immer mal ihre Heimat kennenlernen wollen.“

„Ist sie von hier?“

„Nein, aus Itylo ganz in der Nähe.“

„Sind Sie das erste Mal auf dem Peloponnes?“

„Ja, und auch in Griechenland.“

„Und Ihre Mutter ist nicht mitgekommen?“

„Sie ist kürzlich gestorben.“ Katherine musste sich räuspern. „Sie wollte immer, dass wir gemeinsam herfliegen. Aber ihre Gesundheit hat sie am Reisen gehindert. Sie hatte Multiple Sklerose.“

„Es tut mir leid.“

Ja, er meint es ehrlich, dachte sie, während sie mit den Fingerspitzen auf seine Innenhandfläche klopfte. „Wie fühlt sich das an?“

„Taub. Sie können anfangen.“

Warum muss er nett und zudem noch attraktiv sein, fragte sie sich, als sie sich dem kleinen Operationsbesteck auf dem Edelstahlwagen zuwandte.

„Sie haben hoffentlich vor, hier einiges zu besichtigen. Olympia, Delphi, Athen, vielleicht auch Mykene.“

Sie lachte. „Das steht alles auf meiner Liste. Aber vorher muss ich noch meine Dissertation zu Ende bringen.“

„Also erst einmal kein freier Tag? Das ist nicht gut. Jeder braucht irgendwann etwas Entspannung.“

„Ich relaxe durchaus. Außerdem ist Arbeit zugleich Entspannung für mich.“

„Ja, sie kann ein Mittel sein, sich etwas Unerträglichem nicht stellen zu müssen. Wenn man das zu lange macht, schadet es allerdings der Psyche. Sie müssen sich Zeit zum Trauern nehmen“, murmelte er leise.

Katherine zuckte zusammen. Für wen hielt er sich, dass er ihr erzählte, was sie tun oder lassen sollte? Es war ihre Entscheidung, wie sie lebte.

„Ich möchte mich noch einmal wegen gestern entschuldigen“, fuhr Alexander fort, als sie nichts erwiderte. „Meine Tochter wollte Sie unbedingt kennenlernen und da sind leider die Pferde mit ihr durchgegangen.“

Katherine begann, die Wunde zu nähen. „Ihre Kleine ist bezaubernd.“

„Sie kommt nach ihrer Mutter.“

„Die hübsche Frau gestern am Strand war sicher Ihre Frau?“ Sie hörte, dass er scharf einatmete, als sie den nächsten Stich setzte. „Habe ich zu wenig von dem Betäubungsmittel gespritzt?“

Alexander schüttelte den Kopf. „Ich spüre nichts … Die Frau, die Sie gesehen haben, ist meine Cousine Helen. Crystals Mutter ist tot.“

„Es tut mir leid. Wie schrecklich für Sie und Ihre Tochter.“

„Ja, das war es“, antwortete er schroff, während sie sich wieder um die Wunde kümmerte.

Er wusste also, was es hieß, jemanden zu verlieren. Und der Ausdruck, der sich eben in seinen Augen gespiegelt hatte, verriet ihr, dass er den Verlust noch nicht überwunden hatte. Dann könnte er genauso gut auch verheiratet sein, dachte sie und rief sich im nächsten Moment zur Vernunft. Wohin verirrten sich nur ihre Gedanken?

„Was ist mit der Tetanusinjektion?“, fragte sie, nachdem sie die Hand verbunden hatte. „Sie haben hier vermutlich welche vorrätig, oder?“

„Ja. Und da meine letzte Impfung vor über fünf Jahren war …“ Alexander öffnete den kleinen Medikamentenkühlschrank. „Verflixt, es ist keine mehr da. Egal. Ich lasse mir morgen in meiner anderen Praxis eine geben.“

„Bis dahin könnte es zu spät sein, wie Sie sicher selbst wissen. Da Sie zumindest momentan mein Patient sind, bestehe ich darauf, dass es noch heute geschieht.“

„Was eine Fahrt nach Pyrgos bedeutet, das fast eine Autostunde entfernt ist. Außerdem ist Helen gerade mit meinem Wagen unterwegs. Sie wird erst am Abend zurückkommen. Also muss es doch bis morgen warten.“

„Dann fahre ich Sie“, erklärte Katherine in einem Ton, der keine Widerrede duldete. „Ich hole das Auto, und währenddessen möchten Sie sich vielleicht ein anderes Hemd überstreifen. Ich schlage vor, wir treffen uns in zehn Minuten wieder hier.“

Katherine konnte ihr Angebot – zumindest zeitlich betrachtet – nicht aufrechterhalten. Da man ihr abgeraten hatte, die Strecke von Athen auf den Peloponnes selbst zu fahren, war sie ziemlich umständlich von England aus angereist. Nach der Landung auf einem anderen griechischen Flughafen hatte sie das Schiff genommen und war schließlich per Bus bei der Leihwagenfirma eingetroffen. Dort hatte man ihr erklärt, man hätte nur noch dieses eine zerbeulte Auto, das nun auch noch einen Platten hatte. Was sie festgestellt hatte, nachdem sie sich schnell umgezogen hatte.

Aber wenigstens gab es im Kofferraum einen Ersatzreifen und auch das nötige Werkzeug. Sie bockte das Fahrzeug auf und versuchte, die Muttern zu lösen. Doch die schienen eingerostet zu sein.

„Probleme?“

Katherine fuhr herum und sah Alexander in heller Hose und weißem Poloshirt hinter sich stehen. „Diese verdammte Karre hat einen Platten. Bei nächster Gelegenheit werde ich sie gegen ein besseres Auto tauschen.“

Er ging um den Wagen herum und schüttelte den Kopf. „Welche Firma hat Sie denn damit abgespeist?“, fragte er, und Katherine nannte ihm den Namen. „Sie haben eine Zweigstelle in Katakolo, das nicht weit von Pyrgos entfernt ist.“

„Hat sie sonntags geöffnet?“

„Katakolo lebt von Touristen. Dort ist alles offen. Sobald ich zu Ihrer Zufriedenheit gepikst worden bin, kümmere ich mich um den Autotausch.“

„Dazu bin ich sehr wohl selbst in der Lage.“

Abwehrend hob er die Hände. „Hallo? Sie helfen mir doch auch, und die Filiale liegt schließlich fast auf dem Weg.“

Katherine schämte sich für ihre schroffe Reaktion. Er konnte schließlich nichts dafür, dass sie sich in seiner Nähe wie ein Schulmädchen fühlte, das zum ersten Mal für jemanden schwärmte. Und so protestierte sie nur kurz mit Rücksicht auf seine verletzte Hand, als er ihr anbot, den Reifen zu wechseln, und ließ ihn danach gewähren.

In Griechenland Auto zu fahren, war ähnlich nervenaufreibend wie in Süditalien. Als Katherine den Wagen vor Alexanders Praxis endlich zum Stehen brachte, war sie total geschafft.

„Es wird nicht lange dauern. Warum machst du nicht solange einen Spaziergang?“, schlug er vor. Sie hatten sich im Auto darauf geeinigt, sich zu duzen. Schließlich waren sie Kollegen.

„Wenn es schnell geht, kann ich auch mit reinkommen.“ Gern würde sie einen Blick hinter die Kulissen werfen.

Während Alexander die Sprechstundenhilfe am Empfang begrüßte, setzte sich Katherine in das kleine Wartezimmer. Dort saß eine ältere Frau mit Stock und bandagiertem Knie. Alexander sagte etwas auf Griechisch zu ihr, und sie lachte.

„Mrs. Kalfas ist fertig und wird von ihrem Mann abgeholt, weshalb ich gleich durchgehen kann“, erklärte er Katherine und verschwand.

Wenig später erschien ein etwa fünfundzwanzigjähriger Mann in der Praxis. Er redete kurz mit der Sprechstundenhilfe und ließ sich anschließend auf einen Stuhl im Wartezimmer fallen. Seine Jeans und das T-Shirt waren fleckig, als hätte er einfach nach den nächstbesten Klamotten gegriffen.

Katherine beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Er hatte gerötete Wangen und fiebrig glänzende Augen, die er jetzt schloss. Fühlte er sich so elend, oder hatte er Probleme mit der Helligkeit? Ihre Alarmglocken begannen zu schrillen, als sie sah, dass er die Hand auf seinen Nacken presste. Momente später stöhnte er auf und rutschte vom Stuhl.

Sogleich sprang sie auf und ging neben ihm in die Hocke, um seinen Puls zu kontrollieren. Er war schwach und erhöht. Sie schaute zum Empfang, doch die Sprechstundenhilfe war nicht dort.

„Ich brauche Hilfe! Alexander!“

Er war binnen Sekunden da, und ein korpulenter Mann mit Stethoskop um den Hals folgte ihm.

„Was ist passiert?“

„Er ist kollabiert und hat sich vorher den Nacken gehalten, als wäre dieser steif oder würde ihm wehtun. Wir sollten Meningitis in Betracht ziehen.“

Alexander und sein Kollege wechselten ein paar Worte, bevor der Arzt wieder verschwand. Dann rief er der Sprechstundenhilfe etwas zu, die gerade wieder am Empfang erschien.

„Es kann auch vieles andere sein. Aber um auf der sicheren Seite zu sein, legen wir ihm einen Zugang und geben ihm intravenös ein Antibiotikum. Diane fordert gerade einen Krankenwagen an“, erklärte er Katherine, als sein Kollege zurückkehrte.

Wenig später hatten die beiden den Patienten versorgt. Und während Katherine ihn noch mit einer Sauerstoffmaske versah, wandte Alexander sich an die Sprechstundenhilfe, die mit der älteren Frau das Geschehen verfolgt hatte.

„Diane sagt, dass der Krankenwagen in Kürze eintreffen wird“, informierte er sie dann. „Außerdem wird sie Mrs. Kalfas nach Hause fahren, damit sie hier nicht länger auf ihren Mann warten muss. Ich fand es besser, da das Ganze sie etwas mitgenommen hat.“

Katherine war beeindruckt, wie umsichtig und einfühlsam er sich selbst mitten in einem Notfall zeigte. Und kaum hatten die zwei die Praxis verlassen, trafen die Sanitäter auch schon ein.

„Sollte ihn nicht vielleicht einer von uns begleiten?“, meinte Katherine zu Alexander, nachdem der junge Mann in den Krankenwagen geschoben worden war.

„Das ist nicht nötig. Carlos fährt mit. Stefan ist sein Patient“, antwortete er, als das Auto mit Sirenengeheul davonbrauste. „Bist du okay?“

„Ja, klar. Könntest du dafür sorgen, dass man ihn auf jeden Fall auch auf Meningitis testet?“

„Ist das nicht etwas weit hergeholt? Momentan grassiert so einiges. Außerdem habe ich keinen Ausschlag gesehen.“

„Vertrau mir. Infektionskrankheiten sind mein Fachgebiet. Der junge Mann scheint einige Anzeichen zu haben. Fieber, Nackenschmerzen, möglicherweise Lichtempfindlichkeit … Und der Ausschlag kann ja noch jederzeit auftreten.“

„Eine Lumbalpunktion kann nicht schaden. Ich werde veranlassen, dass man im Krankenhaus alle Untersuchungen macht. Aber jetzt müssen wir leider warten, bis Carlos zurück ist.“

„Warum zeigst du mir währenddessen nicht die Praxis?“, schlug sie vor, und er führte sie herum.

„Ihr seid fast so gut ausgestattet wie ein kleines Krankenhaus“, sagte sie nach dem Rundgang.

„Wir wissen nie, was auf uns zukommt, und wollen auf das Schlimmste vorbereitet sein. Wie du dir nach der Fahrt hierher sicher vorstellen kannst, passieren viele Verkehrsunfälle. Manchmal bringen die Leute die Verletzten her, da das Krankhaus weiter entfernt ist. Wir tun zwar nicht viel mehr, als sie zu stabilisieren, aber es kann über Leben und Tod entscheiden.“

„Dann hast du vermutlich eine Zusatzausbildung in erweiterten Reanimationsmaßnahmen?“

„Ja, die haben wir alle. Außerdem ist es ganz hilfreich, dass ich früher als Chirurg gearbeitet habe.“ Alexander griff zum Telefon. „Bitte entschuldige, aber ich sollte im Krankenhaus anrufen. Bei der Gelegenheit kann ich mich auch gleich nach einem meiner Patienten erkundigen, der letzte Nacht eingeliefert worden ist.“

„Ja, selbstverständlich.“

Nach dem Gespräch, von dem sie nichts verstand, wirkte er sehr nachdenklich. „Gibt es schlechte Neuigkeiten?“

„Mein Patient wurde heute Morgen in ein Athener Krankenhaus verlegt. Leider ist der Arzt, der es veranlasst hat, jetzt nicht zu erreichen. Niemand konnte mir etwas Genaues sagen. Ich werde erst morgen mit ihm reden können.“ Alexander lehnte sich im Stuhl zurück. „Aber ich habe mit der diensthabenden Ärztin wegen Stefan gesprochen. Sie wird bei ihm eine Lumbalpunktion machen.“

„Gut.“

„Und nun erzähl mir, worüber du deine Dissertation schreibst?“

„Über Infektionskrankheiten.“

„Wie weit bist du mit der Ausbildung?“

Katherine zog eine Braue hoch. „Fertig. Ich bin Fachärztin. Seit vier Jahren. Ich möchte mich auf eine Professorenstelle bewerben. Deshalb arbeite ich an der Dissertation.“

„Du bist Fachärztin! Du siehst zu jung dafür aus.“

„Ich bin vierunddreißig.“

Sie redeten noch eine Weile über ihre Arbeit, und Katherine merkte erst, wie schnell die Zeit verflogen war, als Carlos aus der Klinik zurückkehrte.

In der Leihwagenfiliale hatte man tatsächlich ein anderes Auto für Katherine. Nur würde es erst am späteren Nachmittag zur Verfügung stehen.

„Du willst bestimmt nach Hause“, sagte sie zu Alexander. „Gibt es in der Gegend nicht noch eine andere Leihwagenfirma?“

„Ich fürchte, dort wird es das Gleiche sein. Die Kreuzfahrtschiffe legen hier morgens an. Viele der Passagiere, die nicht die Bustour nach Olympia gebucht haben, mieten sich für den Tag ein Auto. Sie bringen es meistens gegen vier zurück.“

„Verflixt, das ist erst in drei Stunden.“

„Wir könnten irgendwo zu Mittag essen oder, falls du keinen Hunger hast, nach Olympia fahren. Es ist schon Jahre her, dass ich das letzte Mal dort gewesen bin. Von hier aus brauchen wir noch nicht einmal dreißig Minuten. Wenn wir dann zurückkommen, dürfte Costa einen Wagen für dich haben.“ Alexander lächelte. „Du bist jetzt in Griechenland und könntest dir das Leben sehr erleichtern, indem du akzeptierst, dass hier ein anderer Zeitbegriff herrscht.“

Katherine unterdrückte ein Seufzen. Sie müsste eigentlich weiterarbeiten. Heute Vormittag hatte sie bereits Stunden verloren. Sie lief Gefahr, in ihrem selbst aufgestellten Zeitplan zurückzufallen. Spinnst du, fragte sie sich im nächsten Moment. Es war Sonntag, und ein interessanter verwitweter Mann wollte etwas Zeit mit ihr verbringen.

„Ich würde gern nach Olympia.“ Ein Ausflug hatte irgendwie weniger mit einem Date gemein als ein Mittagessen.

„Okay, dann los.“ Er öffnete die Beifahrertür für sie, und Katherine zog eine Braue hoch. „Ich glaube, dass es nicht so stressig und für uns beide sicherer ist, wenn ich fahre. Ich kenne die Straßen besser.“

Nach kurzem Zögern lächelte sie. „Wenn ich ehrlich bin, kann ich gut darauf verzichten, am Steuer dieser Karre zu sitzen. Also tu dir keinen Zwang an.“

Wenig später bereute sie ihre Entscheidung, denn Alexander fuhr so draufgängerisch wie die meisten seiner Landsleute.

„Vielleicht solltest du dir doch ein wenig Zwang antun.“

Er lachte. „Keine Sorge. So zu fahren ist sicherer.“

Trotzdem war sie erleichtert, als sie unversehrt ihr Ziel erreichten und er auf dem überfüllten Parkplatz noch eine Lücke gefunden hatte.

„Ich schlage vor, dass wir erst das Museum besichtigen, dort ist es schön kühl. Die Ruinen können wir uns dann nach der Mittagshitze vornehmen.“ Prüfend blickte er sie an.

Sie trug eine marineblaue Hose und eine weiße Bluse mit Bubikragen. Es war zweifellos ein gepflegtes, korrektes Outfit, das aber auch fast unerträglich warm war.

„Wenn wir mit dem Rundgang fertig sind, wird es draußen nicht mehr so heiß sein. In der Ausgrabungsstätte gibt es nicht viel Schatten.“

Während sie durch die Ausstellungsräume schlenderten, versuchte Katherine, sich auf die Exponate zu konzentrieren. Doch es gelang ihr nur bedingt. Sie war sich zu sehr der Ähnlichkeit bewusst, die die vielen nackten Statuen mit dem Mann an ihrer Seite hatten.

Als sie schließlich das Museum verließen, war es schon etwas kühler geworden. Trotzdem kam sie sofort ins Schwitzen. Ganz im Gegensatz zu Alexander, der noch genauso frisch wirkte wie am Vormittag.

Während sie die Ruinen besichtigten, entspannte sie sich allmählich. Vielleicht lag es daran, dass sie nun keine nackten Statuen mehr sah. Jedenfalls konnte sie jetzt Alexanders Ausführungen folgen. Er kannte sich in der griechischen Geschichte bestens aus und war ein guter Erzähler.

„Wusstest du eigentlich, dass die Athleten stets unbekleidet zum Wettkampf antraten?“

Sogleich sah sie ihn im Geiste nackt vor sich und errötete. Hoffentlich schrieb er es der Hitze zu. Aber als sie den belustigten Ausdruck in seinen Augen las, war ihr klar, dass er es nicht tat.

Das Ganze war verrückt. Nach ihrer letzten Beziehung zu einem Arbeitskollegen, die dadurch endete, dass er einen Job in den Staaten antrat, war sie überraschenderweise erleichtert gewesen. Sie hatte danach noch viele Verabredungen gehabt. Aber kein Mann hatte sie genügend interessiert, um sich wieder mit ihm zu treffen.

Beziehungen wurden überbewertet, hatte sie für sich beschlossen. Viele Frauen waren Single und damit sehr glücklich. Wie sie es war. Sie brauchte sich nach niemandem zu richten und konnte leben, wie es ihr gefiel.

Es war keine Lüge gewesen, als sie Crystal erklärt hatte, sie wäre gern allein. Was allerdings nicht hieß, dass sie körperliche Nähe nicht vermisste. Doch einfach bloß so mit jemandem zu schlafen war noch nie ihr Ding gewesen.

Als Katherine und Alexander aus Olympia zurückkehrten, war in der Leihwagenfiliale noch immer kein Auto verfügbar.

„Aber es ist fast sechs.“

„Costa hat versprochen, dass er um sieben einen Wagen haben wird. Wenn nicht, gibt er dir seinen eigenen.“ Alexander lächelte. „Ich habe dich gewarnt, dass bei uns ein anderer Zeitbegriff herrscht.“

„Hast du es denn nicht eilig, nach Hause zu kommen? Du hast schon viele Stunden durch mich verloren und sicher Besseres zu tun. Und ich sollte mich wieder um meine Dissertation kümmern.“

„Mich drängt nichts. Meine Cousine und Crystal werden erst später zurück sein. Und du kannst dir sicher noch etwas Freizeit gönnen, oder?“ Kurzfristig wurde sein Blick ernst. „Glaub mir, manchmal sollte die Arbeit eine untergeordnete Rolle spielen.“

Was für ihn offenbar kein Problem war. Aber noch mehr Zeit mit ihm zu verbringen und immer wieder zu erröten und kaum sprechen zu können war peinlich. Sie konnte ihn allerdings wohl schlecht dazu bringen, mit dem Taxi nach Hause zu fahren – selbst wenn es ihr verlockend erschien. Vielleicht sollte sie sich ein Taxi nehmen?

War sie jetzt verrückt geworden? Sie verhielt sich wie jemand, der einen Sonnenstich hatte. Fast hätte sie erleichtert geseufzt. Womöglich hatte sie wirklich einen? Du bist jedenfalls nicht du selbst, dachte sie und bemerkte, dass er sie abwartend ansah. Was hatte er gerade gesagt? Ja, richtig, er hatte den Vorschlag gemacht, zusammen zu Abend zu essen.

„Das ist eine gute Idee. Hast du schon ein Lokal im Auge?“

„Ja, es liegt direkt am Meer. Dort gibt es die besten Meeresfrüchte weit und breit. Oder magst du keine?“

„Ich liebe sie.“

Wenig später saßen sie auf der Restaurantterrasse, von wo aus man auf den herrlich weißen Strand blickte und das glitzernde blaue Meer. Als Alexander sich für den fangfrischen Hummer entschied, schloss Katherine sich ihm an. Und da er darauf bestand, sie später nach Hause zu fahren, bestellte er für sich einen Saft und für sie einen Weißwein.

Sie plauderten über Griechenland, und Alexander legte ihr noch einige Orte ans Herz, die sie sich unbedingt anschauen müsste. Schließlich erkundigte er sich, wo sie studiert habe, und sie erzählte ihm, dass sie in Edinburgh gewesen sei. Überrascht hörte sie, dass er mit dem Gedanken gespielt hatte, dorthin zu gehen, dann aber in London gelandet war.

„Warum hast du in England studiert?“, fragte sie, nachdem der Ober ihnen die Getränke serviert hatte.

„Ich bin dort aufgewachsen. Meine Mutter stammt aus Kent.“

Deshalb sprach er so gut Englisch. „Du hast also einen griechischen Vater und eine englische Mutter. Bei mir ist es genau umgekehrt. Wie haben sich deine Eltern kennengelernt?“

„In der Taverna, in der meine Mutter auf ihrer Rucksacktour durch Griechenland gejobbt hat. Eigentlich wollte sie nach der Reise auf die Universität, aber dazu ist es nie gekommen. Kurz nachdem sie und mein Vater sich verliebt hatten, haben sie geheiratet und sind nach Athen gezogen. Zwei Jahre später war ich auf der Welt und irgendwann mein jüngerer Bruder. Sie hat sich jedoch stets nach England gesehnt. Weshalb sich Dad, der Dozent für Archäologie war, um einen Posten im Britischen Museum beworben hat. Als er ihn erhielt, sind wir nach London gegangen. Damals war ich fünf.

Mein Vater hat Griechenland sehr vermisst. So oft wir konnten, sind wir hier gewesen. Griechenland war für mich immer meine Heimat. Dad ist mit Anfang vierzig gestorben und mein Großvater kurz nach ihm. Als ältester Sohn habe ich das Haus geerbt, in dem ich jetzt wohne. Es ist seit Generationen in unserer Familie. Natürlich lebt meine Großmutter auch dort.“

„Und was ist mit deiner Mutter?“, erkundigte sich Katherine.

„Sie ist in England. Seit dem Tod meines Vaters ist sie nicht mehr hier gewesen. Ich schätze, sie kann es nicht ertragen. Sie wohnt in der Nähe meines Bruders in Somerset.“

„Vermisst sie ihr Enkelkind nicht?“

„Natürlich. Aber ihr Leben spielt sich in England ab. Wir besuchen sie aber oft und skypen auch regelmäßig. Doch genug von mir. Was ist mit dir? Wartet in England jemand auf dich?“

„Nein, niemand.“

Überrascht sah er sie an. „Bist du geschieden? Ich vermute, du hast keine Kinder. Sonst wären sie mit dir hier.“

Katherine zögerte. „Ich war nie verheiratet.“ Sie schluckte. „Und ich habe auch keine Kinder.“

„Was ist mit Geschwistern? Deinem Vater?“

„Dad ist gestorben, als ich sechzehn war, und Geschwister habe ich keine.“

„Du bist also ein Einzelkind. Dann muss dich der Tod deiner Mutter umso härter getroffen haben“, erwiderte Alexander mitfühlend.

„Wie ich bereits zu Crystal gesagt habe, bin ich gern allein. Ich habe viele Freunde, falls ich einmal das Bedürfnis nach Gesellschaft habe.“

„Hat dich denn niemand in dieses tolle Haus begleiten wollen? Wir Griechen können uns nur schwer vorstellen, wie es ist, allein zu sein. Wie du wahrscheinlich schon bemerkt hast, sind wir immer von einer großen Schar Freunde oder der Familie umgeben.“

„Viele meiner Freunde haben mir angeboten mitzukommen. Aber diese Reise wollte ich allein unternehmen“, erklärte Katherine, und Alexander blickte sie warmherzig an. „Ich wünschte jedoch, ich hätte sie mit Mum machen können. Sie hat immer gehofft, mir ihr Geburtsland zeigen zu können. Leider sollte es nicht sein.“

„Wegen ihrer MS?“

„Ja, größtenteils.“

Schon vor der Diagnose hatten sie in der Familie über die Reise gesprochen. Allerdings war sie nie geplant worden. Das Restaurant ihrer Eltern hatte die ganze Kraft und Zeit und alles Geld verschlungen. Zunächst schien es eine Erfolgsgeschichte zu werden. Aber dann war das Unvorstellbare geschehen. Ihr Dad war gestorben. Ihre Mutter war zu einem Schatten ihrer selbst geworden und hatte immer seltener davon geredet, nach Griechenland zurückzukehren.

Erst später hatte Katherine erkannt, dass die Lustlosigkeit ihrer Mutter nicht nur mit dem Tod des Vaters und dem schlecht laufenden Lokal zusammenhing. Ihre Mum hatte die Symptome erfolgreich vor ihr verborgen bis zu dem Abend, an dem sie zusammengebrochen war. Das war der Anfang eines neuen Albtraums gewesen.

„Was machst du, wenn du nicht arbeitest?“, fragte Alexander, als sie nichts weiter sagte.

„Ich arbeite praktisch immer. Es ist meine Lieblingsbeschäftigung.“ Sie ging völlig in ihrem Beruf auf und erforschte auch abends gern noch etwas zu Hause bei einem Glas Wein.

„Warum hast du dich für das öffentliche Gesundheitswesen entschieden?“, erkundigte er sich, nachdem der Kellner ihnen das Essen serviert hatte.

„Eigentlich wollte ich in die Allgemeinmedizin. Während der turnusmäßigen Wechsel in der Ausbildung bin ich ein halbes Jahr in der Infektionsabteilung gewesen. Ich war gleich total fasziniert. Vor allem wenn es sich darum drehte, unbekanntere Krankheiten zu diagnostizieren. Es war, als würde man ein kryptisches Kreuzworträtsel lösen. Man musste herausfinden, was es sein konnte, indem man die Hinweise entschlüsselte. Was hieß, dass man so viel wie möglich über den Patienten in Erfahrung bringen musste. Zum Beispiel was er in der Zeit davor getan hatte, wo er oder seine Angehörigen gewesen waren und, und, und. Es waren eindeutig die Patienten, die den Job so spannend machten. Wenn man alle Informationen zusammengetragen hatte, galt es zu entscheiden, welche Tests durchgeführt werden sollten. Um dann eine Krankheit nach der anderen auszuschließen, bis nur noch die eine übrig blieb, die es dann mit großer Sicherheit auch war.

Natürlich kann so ein Prozess nicht immer gut ausgehen. Manchmal hat man so lange für die Diagnose gebraucht, dass es für den Patienten bereits zu spät war. Und wozu bei jemandem Malaria feststellen, wenn man nicht verhindern kann, dass er es überhaupt bekommt? Ich habe mich sehr für die Vorbeugung interessiert und bin deshalb im öffentlichen Gesundheitswesen gelandet.“ Sie schwieg unvermittelt. „Entschuldige, ich plappere wie ein Wasserfall. Aber wenn ich erst von meiner Arbeit anfange …“

„Du weißt doch, ich bin Arzt und immer brennend an diesen Themen interessiert.“

„Warum hast du dich entschlossen, nach Griechenland zurückzukehren?“, fragte sie, und für den Bruchteil einer Sekunde blitzte irgendetwas in seinen Augen auf, das sie nicht deuten konnte.

„Ich wollte mehr Zeit mit meiner Tochter verbringen. Aber eigentlich haben wir doch von dir gesprochen. Wie haben sich deine Eltern eigentlich kennengelernt?“

„Mein Vater war Soldat und auf Zypern stationiert, als meine Mutter dort Freunde besucht hat. Sie haben sich sofort verliebt, er ist dann später aus dem Militärdienst ausgeschieden, und sie sind nach Schottland gezogen. Er hat diverse Jobs ausprobiert, um einen zu finden, der ihm wirklich lag oder in dem er zumindest gut war. Schließlich hat er aber aufgehört, nach seinem Traumjob zu suchen, und in einer Baufirma angefangen. Er hat keine Reichtümer verdient, aber wir hatten unser Auskommen. Als ich gerade neun war, hat er gesundheitliche Probleme bekommen. Er wusste nicht, was es war, nur dass es sich auf seine Lungen auswirkte. Als es ihm dann immer schlechter ging, konnte Mum ihn davon überzeugen, endlich einen Arzt aufzusuchen.

Damals begann ich, mit dem Gedanken zu spielen, Ärztin zu werden. Wir hielten als Familie zusammen und haben meinen Dad immer zu seinen Untersuchungsterminen begleitet. Zuerst waren wir beim Hausarzt. Als er nicht feststellen konnte, was mit Dad los war, hat er ihn ans Krankenhaus überwiesen. Die ganze Atmosphäre dort hat mich sofort total fasziniert.

Natürlich habe ich zu der Zeit noch nicht wirklich verstanden, dass wir da waren, weil mein Vater ernste gesundheitliche Probleme hatte. Ich erinnere mich noch gut an seine behandelnde Ärztin, eine nette Frau mit Hornbrille. Als sie merkte, wie interessiert ich an allem war, hat sie mich seine Brust mit dem Stethoskop abhören lassen.“

Katherine trank einen Schluck Wein. „Ich habe mich in der Schule immer leichtgetan. Meine Eltern waren stolz auf meine guten Noten, was mich beflügelt hat, mich noch mehr anzustrengen. Als ich ihnen dann erzählt habe, dass ich Ärztin werden möchte, waren sie begeistert. Aber ihnen war klar, dass es schwierig werden würde, wenn ich die Gesamtschule in unserem Bezirk besuchte, die einen schlechten Ruf hatte. Sie haben daraufhin jeden Cent gespart, um mich auf eine Privatschule schicken zu können.

Bei meinem Vater war schließlich im Laufe der Zeit ein Lungenemphysem diagnostiziert worden, das sein Job in der Baufirma verursacht hatte. Als er dort zu arbeiten aufhörte, erhielt er eine Abfindung. Ich wusste, dass er das Geld gern als Startkapital für ein kleines Restaurant nutzen würde, mit ihm als Manager und meiner Mutter als Köchin.

Natürlich wollte ich nicht, dass sie es für mich verwendeten, wenn es nicht unbedingt nötig war. Deshalb habe ich ihnen vorgeschlagen, dass ich mich um ein Stipendium bei einer der Eliteschulen bewerbe. Und ich habe das Auswahlverfahren bestanden.“

„Allmählich hege ich den Verdacht, dass du dich durch nichts von etwas abbringen lässt.“

Entsetzt wurde Katherine bewusst, dass sie Alexander gerade ihr halbes Leben erzählt hatte. Das war ganz und gar untypisch für sie, denn normalerweise lenkte sie stets das Gespräch von sich selbst auf ihr Gegenüber. Doch jetzt hatte sie praktisch das Wort an sich gerissen und sich noch dazu als ein Ausbund von Tugend hingestellt, der sie nicht im Mindesten war. Lag es vielleicht an dem Wein oder an seiner Art, ihr zuzuhören, als wäre sie der faszinierendste Mensch auf der Welt?

„Wie lange bist du schon wieder zurück in Griechenland?“, erkundigte sie sich aus echtem Interesse, denn sie würde gern mehr über ihn erfahren.

„Etwas über zwei Jahre. Kurz nachdem meine Frau starb. Ich war im Londoner St. George“, fügte er schnell hinzu. „Dort habe ich als Chirurg gearbeitet. Aber meine Frau Sophia war kein Stadtmensch, weshalb wir ein Haus in einem der Vororte gekauft haben. Ich bin gependelt und habe im Krankenhaus geschlafen, wenn ich Bereitschaft hatte.“ Sein Blick verdunkelte sich. „Rückblickend betrachtet, war es ein Fehler.“

Er hatte so leise gesprochen, dass sie nicht sicher war, ob sie ihn richtig verstanden hatte. „Warum bist du dann jetzt praktischer Arzt?“

„Ich habe die Chirurgie an den Nagel gehängt, als ich mich entschloss, nach Griechenland zurückzukehren.“

Es war nicht wirklich eine Antwort auf ihre Frage, und sie hatte das Gefühl, dass er genauso viel für sich behielt, wie er ihr erzählte. War er tatsächlich zufrieden damit, die Chirurgie mit all ihren Herausforderungen aufgegeben zu haben? Aber nicht selten veränderte die Trauer einen Menschen.

„War deine Frau Griechin?“

„Ja.“

„Hat sie auch in England gearbeitet?“

„Sie war Musikerin und hat immer in einem Orchester spielen wollen. Sie hat darauf verzichtet, als wir nach England gezogen sind, und hat stattdessen Klavierunterricht erteilt.“

„Crystal muss sie sehr vermissen.“

„Das tun wir beide. Ich sehe ihre Mutter tagtäglich in ihr.“ Alexander schluckte und schaute einen Moment lang ins Leere. „Was ist mit dir?“, meinte er schließlich. „Möchtest du keine Kinder?“

„Wollen nicht die meisten Frauen welche? Doch …“ Fieberhaft suchte sie nach den passenden Worten. „Doch bisher sollte es nicht sein.“ Ihr Herz schlug plötzlich wie wild, und sie wollte schnell wieder auf ein neutrales Gesprächsthema umschwenken. „Der Ausflug nach Olympia war übrigens sehr schön. Du kennst dich gut in griechischer Archäologie und Geschichte aus“, sagte sie, und er blickte sie nachdenklich an, als würde er wissen, dass sie das Thema absichtlich gewechselt hatte.

„Mit einem Archäologen als Vater und einer Frau, die seine Begeisterung teilte, kann es kaum anders sein.“

Katherine lehnte sich im Ledersitz des Wagens zurück und war froh, dass nicht sie ihn bei Dunkelheit die kurvigen Straßen entlangsteuern musste. Gerade schaltete Alexander das Radio an, und die sanften Klänge eines Konzerts von Brahms erfüllten die Stille im Auto. Er stellte die Musik ein wenig lauter.

„Du magst es?“, fragte sie. „Es ist eines meiner Lieblingskonzerte.“

„So?“ Er sah zu ihr hin. „Sophia hat es oft gespielt. Ich habe es mir länger nicht mehr angehört.“ Er presste die Lippen aufeinander und schaute wieder geradeaus.

Katherine war plötzlich so zumute, als würde seine Frau mit im Wagen sitzen. Er musste sie sehr geliebt haben. Sie schloss die Augen und versuchte, sich von Alexander abzulenken, indem sie über den kranken Stefan nachdachte.

Als sie merkte, dass sie das Dorf erreicht hatten, setzte sie sich wieder aufrecht hin. Deutlich spürte sie die Spannung, die sich zwischen ihnen aufbaute, während er das Auto vor ihrem Haus parkte.

Sie stiegen aus, und er gab ihr den Wagenschlüssel, wobei sich ihre Finger kurz berührten. Ihr war, als hätte sie einen kleinen Stromschlag erhalten. Verstohlen blickte sie ihn an. War es ihm ähnlich ergangen? Und was würde nun geschehen? Würde er fragen, ob er noch mit reinkommen oder sie wiedersehen könnte?

„Es war schön heute“, sagte er ruhig. „Vielen Dank, Katherine.“

Enttäuschung machte sich in ihr breit. Was hatte sie aber auch anderes erwartet? Er trauerte schließlich noch um seine Frau. „Ja, das fand ich ebenfalls. Gute Nacht.“

„Gute Nacht.“

Als sich die Tür hinter Katherine schloss, schob Alexander die Hände tiefer in die Hosentaschen. Er machte auf dem Absatz kehrt und hätte sich ohrfeigen können. Den ganzen Tag schon hatte er gespürt, dass er diese reservierte, intelligente und hübsche Frau begehrte. Aber das Konzert zu hören, das Sophia so oft gespielt hatte, hatte ihn schlagartig daran erinnert, dass auch Katherine eines Tages wieder verschwinden würde.

Schon gestern hatte er sich gesagt, dass er sich lieber von ihr fernhalten sollte. Und damit hatte er recht. Es wäre einfach nicht richtig, sich mit dieser Frau einzulassen, die noch so schwer an ihrem Verlust trug.

3. KAPITEL

„Yia-Yia will, dass du zu uns kommst.“

Katherine schreckte auf. Sie hatte nicht bemerkt, dass Crystal das Haus betreten hatte. „Wie bitte?“

„Yia-Yia hat gesagt, dass du Baba geholfen hast. Sie will, dass du zum Essen kommst. Sie sagt, dass es nicht gut ist, immer allein zu sein.“

„Yia-Yia? Deine Uroma?“, fragte Katherine, und die Kleine nickte. „Weiß dein Vater, dass du hier bist?“

„Ich hab’s ihm erzählt.“ Crystal seufzte theatralisch. „Er arbeitet wieder an seinem Boot. Er will auch, dass du kommst.“

Katherine wusste nicht, ob sie das glauben sollte. Sie wollte sich ihm und seiner Familie nicht aufdrängen. Am Montagabend war er bei ihr gewesen, um ihr mitzuteilen, dass sie recht gehabt habe und Stefan tatsächlich an Meningitis erkrankt sei.

Seither hatte sie ihn nicht mehr gesehen – und dabei viel zu oft an ihn gedacht. Sie lief zweifellos Gefahr, sich in ihn zu verlieben. Was eine einseitige Sache sein würde, und jemand wie er würde über kurz oder lang erkennen, welche Wirkung er auf sie hatte. Der Ausgang des gemeinsamen Abends hatte deutlich gezeigt, dass er an einer Beziehung mit ihr nicht interessiert war. Diese Einladung zum Abendessen konnte doch nur eine Geste der Höflichkeit sein.

„Ich bin sehr beschäftigt, Crystal.“ Sie ...

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