Romana Exklusiv Band 393

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WIE VERFÜHRT MAN EINEN SPANIER? von JANE WATERS

Bevor Scarlett ihre Wanderung auf dem Jakobsweg beginnt, wird sie überfallen. Sie braucht Hilfe – und findet sie bei Damian Aragón. Magisch fühlt sie sich von dem Spanier angezogen! Aber trotz der erotischen Stimmung zwischen ihnen scheint Damians Herz nicht frei zu sein …

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  • Erscheinungstag 18.10.2025
  • Bandnummer 393
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533034
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jane Waters, Cathy Bell, Dana Grenville

ROMANA EXKLUSIV BAND 393

Jane Waters

1. KAPITEL

Damian stand abrupt auf und fuhr sich mit der Hand über sein stoppelbärtiges Kinn. „Was haben Sie da gesagt? Wer ist gerade auf dem Weg zu mir?“, fragte er perplex. Normalerweise stellte er sein Handy während der Arbeit aus, doch an diesem Morgen hatte er es vergessen. Hätte er das Klingeln doch eben bloß ignoriert!

„Scarlett Warrington ist auf dem Weg zu Ihnen“, wiederholte die Stimme am Telefon gleichmütig. „Sie ist die Tochter eines Freundes Ihres Vaters. Señor Aragón konnte Sie im Moment leider nicht selbst anrufen, er hat sehr viel zu tun und mich deswegen beauftragt …“

„Natürlich, er hat immer viel zu tun! Ich aber auch!“, unterbrach Damian die Sekretärin seines Vaters ungehalten, obwohl sie natürlich nichts für diesen Anruf konnte. „Entschuldigen Sie“, korrigierte er sich rasch.

„Schon gut. Soll er sich bei Ihnen melden, wenn er aus dem Meeting kommt?“

Damian überlegte nur kurz. „Nein“, entschied er dann. Es war besser, den Kontakt mit seinem Vater auf ein Minimum zu beschränken. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als diese Scarlett zu empfangen und so bald wie möglich wieder wegzuschicken. Die Sekretärin hatte von einem „kleinen Problem“ der jungen Frau gesprochen, ohne es genauer benennen zu können.

Nur vage erinnerte er sich an Scarlett, ein unscheinbares Ding, das er vor wenigen Jahren auf der pompösen Firmenfeier der Familie Warrington in England getroffen hatte. Sein Vater war damals Ehrengast gewesen, und Maya hatte darauf bestanden, ihn zu begleiten.

Als er aufgelegt hatte, sah sich Damian in seinem Arbeitszimmer um. Der Boden war mit beschriebenen Manuskriptseiten, Büchern und Zeitschriften übersät. Geistesabwesend schüttelte er den Kopf und ging in die Küche, wo noch das Geschirr vom Vortag stand. Seine Haushälterin war krank geworden, und er hatte keine Ahnung, wann sie wiederkommen würde. Plötzlich ließ sich der Ärger nicht mehr unterdrücken. Wie kam sein Vater nur dazu, ihm eine quasi völlig fremde Person vorbeizuschicken?

Missmutig begann er, das Geschirr zu stapeln. Oder sollte er sich lieber erst rasieren? Doch schon nach ein paar Handgriffen überlegte er sich alles anders und ging in sein Zimmer zurück. Wenigstens das aktuelle Kapitel wollte er noch beenden. Leider fiel ihm das Arbeiten in diesen Tagen ziemlich schwer. Das war wohl die Quittung dafür, dass er einem großen Verlag eine erfolgsträchtige Story versprochen hatte, anstatt zu schreiben, was er eigentlich wollte.

Damian schaffte es dennoch, eine weitere Seite auf seinem Laptop zu tippen, bis er draußen einen Wagen vorfahren hörte. An dieser Stelle des urwüchsigen kleinen Flusses Sarela waren Autos eine Seltenheit, und auch sonst hörte er meistens nur das Wasser rauschen oder den Wind in den mächtigen Baumkronen flüstern. Hier würde ihn kaum ein Journalist finden. Und genau das war seine Absicht! Auf der Suche nach einem Rückzugsort hatte er sich in die üppige Natur und das einsam gelegene, charmante Haus schlichtweg verliebt. Casa del Silencio – „Haus der Stille“ hatte er es getauft. Dabei lag die belebte Pilgerstadt Santiago de Compostela nur einen Steinwurf entfernt.

Doch mit der Einsamkeit war es wohl jetzt vorbei. Seufzend erhob er sich und ging zur Tür.

Draußen führte die schmale Zufahrtsstraße in einigen Metern Entfernung am Grundstück vorbei, und er erkannte zwischen den Bäumen ein Taxi, das dort parkte. Eine dunkelhaarige, schlanke Frau stieg aus und winkte zu ihm herüber. Er zuckte nur mit den Schultern, da winkte sie abermals: „Kannst du bitte herkommen?“, rief sie ihm nun auf Englisch zu. Ihre Stimme klang ein wenig rau.

Damian schüttelte ungläubig den Kopf. Irgendein grundlegendes Missverständnis musste hier vorliegen. Erwartete sie vielleicht, dass er sie freudig willkommen hieß?

Schließlich wechselte die Frau ein paar Worte mit dem Fahrer und trat durch das niedrige Gartentor ein. Aufrecht kam sie den Steinweg entlang, der sich durch den Garten schlängelte. Sie trug einen nicht sehr großen Rucksack über der Schulter, und je näher sie kam, desto verblüffter war er. Natürlich, damals war sie fast noch ein Teenager gewesen. Jetzt jedoch stand eine ganz andere Person vor ihm. Unwillkürlich glitt sein Blick über ihren schlanken Körper. Sie trug eine eng anliegende Hose, eine taillierte Jacke und … feste, lederne Wanderschuhe. Gehörte sie etwa zu den Menschenmassen, die hier am Ende des berühmten Jakobswegs die Stadt belagerten? Dann jedenfalls zählte sie zu den attraktivsten Pilgerinnen, die er hier je gesehen hatte. Ihre kastanienbraunen Locken fielen hinab bis zur Schulter, und ihre hellbraunen Augen waren mit dichten, dunklen Wimpern gesäumt. Vor Überraschung fiel ihm keine passende Begrüßung ein.

„Ich brauche schnell Geld. Bitte!“

Damian blickte sie überrascht an. „Qué dinero? Welches Geld?“

Sie runzelte die Stirn. „Deswegen bin ich doch hier! Und jetzt muss ich das Taxi bezahlen. Ich habe wirklich keinen Cent mehr.“

Ganz selbstverständlich redete sie auf ihn ein, so als wären sie alte Bekannte. Mühelos wechselte er ins Englische. „Du bist hier, weil du kein Geld hast?“, fragte er.

„Ich dachte, das weißt du? Deswegen wurde ich doch hergeschickt. Ich brauche Hilfe, ich kann nicht einmal das Taxi bezahlen. Bitte!“

Damian fühlte sich überrumpelt. „Wo kommst du denn her?“, wollte er wissen.

„Direkt aus Santiago. Es ist zwischen den ganzen Touristen und Pilgern passiert. Auf einmal war alles verschwunden.“

Langsam verstand er die Situation. Offenbar gab es hier wirklich ein kleines Problem. „Ich erledige das eben“, willigte er ein, ging zum Taxi und bezahlte den Fahrer.

Erst als das Auto außer Sichtweite war, schlenderte er langsam wieder zum Haus zurück. Scarlett sah ihm angespannt entgegen, und ihre Gestalt zog seinen Blick abermals geradezu magnetisch an: Sie hatte reizvolle weibliche Rundungen, und gleichzeitig wirkte sie sportlich. Dazu dieser sinnliche rote Mund und die großen Augen … So eine verführerische Erscheinung hatte ihm gerade noch gefehlt! Kurz dachte er an Maya, die ebenso wie Scarlett vor ziemlich genau drei Monaten völlig überraschend hier vor der Tür gestanden hatte. Doch seitdem hatte er sich auf keine Frau mehr eingelassen, und er wollte es auch gar nicht. Keine Ablenkung, keine Gesellschaft, keine Interviews. Die Zeit zur Abgabe des ganzen Manuskripts drängte!

Scarlett stand immer noch am gleichen Fleck, und er blieb vor ihr stehen. Ihr hübsches Gesicht wirkte verschlossen. „Komm rein“, sagte er zunächst nur. Sie folgte ihm, und er spürte ihren Blick im Rücken.

„Danke“, hörte er sie hinter sich sagen, als sie ins Haus traten. „Du hast mich erst einmal gerettet. Tut mir leid das Ganze. Könnte ich vielleicht ein Glas Wasser haben?“

Ihre Stimme klang wieder so rau, aber auch sanft. Er dachte daran, dass er seit Tagen kaum mehr mit jemandem gesprochen hatte. Schreiben machte eben auch einsam. Erfolg noch viel mehr. Denn nun wartete jeder auf den nächsten großen Wurf, und er hatte sich aufgrund des enormen Medienhypes geradezu verstecken müssen.

„Darf ich mich setzen?“, fragte Scarlett, als sie in der Küche standen.

„Natürlich“, antwortete er etwas zerstreut und deutete auf einen Stuhl. „Kann ich dir sonst noch irgendetwas anbieten?“

„Nein, danke.“ Sie sah sich um. „In diesem Haus lebst und schreibst du also?“

„Im Moment ja“, antwortete Damian widerstrebend und brachte ihr das Wasser. Er mochte es nicht, über seine Tätigkeit ausgefragt zu werden – schon gar nicht von einer Fremden, die hier einfach so hereinplatzte. „Wie kann ich dir sonst noch helfen?“, lenkte er ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Eins war klar: Er musste seine Besucherin so bald wie möglich wieder loswerden. „Ich bekam einen Anruf von der Sekretärin meines Vaters …“

Scarlett lachte kurz auf, aber es klang nicht fröhlich. „Wirklich? Ich hatte vorhin nur meine Cousine Sophie angerufen und um schnelle, diskrete Hilfe gebeten. Wahrscheinlich hat sie mit ihrem Vater gesprochen, der deinen ja gut kennt. Und da du gerade in der Nähe bist, hat sie mir dann deine Adresse genannt.“ Nun sah sie Damian etwas verwundert an. „Dass der große José Aragón persönlich eingeschaltet wird, konnte ich nicht ahnen. Sophie hält ziemlich viel von ihm – und von dir.“

Damian stöhnte innerlich auf. Eigentlich hatte er gebeten, dass sein Aufenthaltsort so geheim wie möglich bleiben sollte! Es fehlte gerade noch, dass irgendwelche Fans hier auftauchten. „Wieso bist du überhaupt in der Gegend?“, fragte er.

Je länger er die Engländerin ansah, desto mehr drängte sich der Gedanke auf, wie es wäre, einfach ihre vollen roten Lippen zu küssen. Verrückt! Er hatte schon lange nicht mehr so empfunden. Seit der Enttäuschung mit Maya hatte jede Begegnung mit einer Frau schal geschmeckt. Obwohl er sich kaum vor Verehrerinnen hatte retten können, seit er von einem findigen Journalisten als Sohn des weltbekannten Bestsellerautors José Aragón enttarnt worden war. Doch allein des Erfolgs wegen begehrt zu sein war ihm zu oberflächlich. Mit Maya hatte er eine bittere Pille geschluckt.

„Ich mache Urlaub und wollte mir den Jakobsweg ansehen“, antwortete Scarlett nun. „Ich bin erst seit zwei Tagen unterwegs und hatte heute vor, die berühmte Kathedrale von Santiago zu besichtigen. Auf einmal war meine Gürteltasche mit meinem Portemonnaie weg. Ich kann es mir nicht erklären. Vielleicht wurde sie gestohlen, vielleicht habe ich sie auch einfach verloren.“

Damian fixierte sie prüfend. Konnte er ihr das glauben? Geradeheraus und nicht gerade freundlich sagte er: „Und ich kann mir nicht erklären, warum du dir von deiner Familie nicht einfach das nötige Geld schicken lässt. Das ist doch heutzutage gar kein Problem, oder?“ Immerhin kam Scarlett aus bestem Haus. Ihre Familie besaß eine ganze Reihe von Wellness-Tempeln, in denen sein Vater Stammgast war.

Jetzt erwiderte sie seinen Blick. „Nein, ich kann meine Familie nicht anrufen. Es geht nicht.“ Dann verfiel sie in ein seltsames Schweigen, anstatt ihm zu erklären, was eigentlich los war.

„Ist dir dein Telefon denn auch abhandengekommen?“, startete er noch einen Versuch, ihrem Problem auf den Grund zu gehen.

„Nein, das ist es nicht.“

„Aha.“

Wieder keine Antwort. Langsam verlor Damian die Geduld. Er hatte wirklich Besseres zu tun, als seine Zeit mit dieser gestrandeten Touristin zu verschwenden.

Plötzlich stand sie auf und kam auf ihn zu. „Kann ich nicht hier … etwas für dich tun?“ Nur eine Armlänge entfernt blieb sie vor ihm stehen und machte eine Handbewegung, die wohl auf den Zustand der unaufgeräumten Küche hinweisen sollte. Ein wenig unangenehm war ihm dies schon, und er fühlte sich prompt gezwungen, sich zu rechtfertigen: „Normalerweise habe ich eine Haushälterin, aber sie ist krank geworden.“

Ihr Gesicht leuchtete auf. „So ein Zufall! Dann habe ich eine Idee. Ich helfe dir hier und halte alles in Ordnung, du bezahlst mich, und ich bin in ein paar Tagen wieder weg. Wie wäre das?“

Ungläubig sah er sie an. Nun kam sie noch ein wenig näher. Er konnte schon ihren verführerischen, weiblichen Duft wahrnehmen. Er musste sie nur umfassen und ein Stück zu sich ziehen und …

„Bitte!“, sagte sie mit ihrer markanten Stimme. Das Lächeln dazu war unverschämt entwaffnend. Umso härter fiel seine Antwort aus: „Nein, das ist leider nicht möglich. Aber natürlich kannst du heute im Gästezimmer übernachten. Bis morgen musst du dir allerdings etwas überlegt haben.“

Scarlett starrte Damian an und spürte, wie sich ihr Gesicht versteinerte. Sie besaß viel Übung darin, ihre wahren Gefühle vor anderen zu verbergen. Doch im Moment wurde ihr alles zu viel, und am liebsten hätte sie geweint. Nicht nur, dass sie wahrscheinlich bestohlen worden war. Mit Damians Zurückweisung zerfiel auch ihr mühevoll gehegter Plan zu einem Häufchen Asche: Sie hätte so gerne zwei Wochen einfach nur für sich gehabt. Wäre vielleicht tatsächlich eine Weile gepilgert. Sogar einen Sprachkurs hatte sie besucht, um sich hier in Spanien im Wesentlichen verständigen zu können. Vor allem aber brauchte sie diese Zeit, um Abstand von ihrer Vergangenheit zu bekommen. Ohne spontane Hilfe aber konnte sie ihre Reise nicht fortsetzen. Wie nur sollte sie einem quasi Wildfremden ihre innere Not erklären? Noch dazu brachte sie Damians unerwartet gutes Aussehen völlig durcheinander. Dunkle Bartstoppeln säumten sein markantes Kinn, die Haut war leicht gebräunt, das Haar tiefschwarz, und die Augen waren … ausgerechnet blau wie das Meer! Selten hatte sie einem Mann gegenübergestanden, der derart tiefgründig und gleichzeitig so attraktiv wirkte.

„Ist das dein Ernst?“, fragte sie.

Damian musterte sie nun fast ein wenig mitleidig, und sie wandte sich ab. Sie wollte kein Mitleid, sie brauchte einfach nur Hilfe! Aber sie würde nicht darum betteln. Betteln war für sie tabu. Müde sah sie hinaus in den leicht verwilderten Garten.

Gleichzeitig verstand sie Damian. Ein derart gefragter Autor hatte sicherlich Besseres zu tun, als sich um gestrandete junge Frauen zu kümmern. Wahrscheinlich konnte er sich vor weiblichen Fans, die an seine Tür klopften, gar nicht retten. So etwas hatte ihre Cousine Sophie jedenfalls vermutet, als sie sich nach Scarletts Hilferuf noch einmal gemeldet und ihr völlig begeistert erzählt hatte, dass Damian hinter dem Pseudonym Dario Amado steckte und er ihr bestimmt helfen konnte. Genaugenommen war er ein Bekannter von ihnen beiden, wenn auch sehr weit entfernt. Vor fünf Jahren hatten sie sich auf der Firmenfeier des Familienunternehmens schon mal die Hand gegeben. Ob er sich wohl auch an den Eklat erinnerte …?

Scarlett drehte sich wieder um. „Wir kennen uns doch von früher“, startete sie einen Versuch, Damian irgendwie umzustimmen. Scarletts und Sophies Väter führten die erfolgreiche Spa-Kette Lotus-Inn-Resorts, in der auch für Scarlett eine vielversprechende berufliche Karriere vorgesehen war. José Aragón hatte in den Spa-Resorts sogar den einen oder anderen Bestseller geschrieben und war besonders Sophies Vater freundschaftlich zugetan: Für die Publicity des Unternehmens war dies eine äußerst zuträgliche Verbindung. Vielleicht hatte es also Sinn, darauf noch einmal hinzuweisen, doch da warf Damian ihr einen Blick zu, der sie noch mehr verunsicherte. Er war deutlich abweisend, und gleichzeitig sandte er ihr einen prickelnden Schauer über den ganzen Körper. Mit ausschweifenden Erklärungen kam sie hier jedenfalls nicht weiter. So blieb ihr nur, ihre Enttäuschung ehrlich auszudrücken: „Wieso werde ich hierhergeschickt, wenn du mir gar nicht helfen magst?“, fragte sie ein wenig provozierend und sah Damian, der immer noch nah vor ihr stand, fest in die Augen.

Seine Augen blitzten auf. „Ich wurde nicht gefragt. Aber du kannst gern wieder gehen …“

„Nein!“, rief sie lauter als beabsichtigt.

Er zuckte nur mit den Schultern. „Die Hilfe, die ich dir geben kann, habe ich dir bereits angeboten.“

Immer noch ließ er seinen tiefgründigen Blick auf ihr ruhen, und es überkam sie das diffuse Gefühl, sich schützen zu müssen. Sie strich sich eine Locke aus der Stirn. „Ja, danke“, murmelte sie, denn sie wollte auch nicht undankbar wirken. Eine deutliche Spannung baute sich zwischen ihnen auf. Und dann … knurrte laut sein Magen.

Er trat einen Schritt zurück, und das erste Mal lächelte er und zeigte seine weißen, ebenmäßigen Zähne. „Entschuldige. Du musst auch hungrig sein, wenn du keinen Cent mehr bei dir hast.“

„Das stimmt.“ Schon seit Stunden hatte Scarlett nichts gegessen, denn all ihre Gedanken waren nur um die aktuelle Lage gekreist. Auf keinen Fall jedenfalls würde sie ihre Eltern oder ihre Schwester Alicia um Hilfe bitten. Auf dieser Reise wollte sie einmal frei von deren Erwartungen sein. Es musste auch niemand in der Familie wissen, dass sie ihr Geld verloren hatte. Das würde nur zu gut dazu passen, dass sie ohnehin als schwarzes Schaf galt. Doch auch Sophie hatte eben nur bis hierhin helfen können. Sie gönnte sich mal wieder einen Abenteuertrip und befand sich irgendwo im tiefsten Dschungel. Ein Glück, dass sie ihre Cousine überhaupt erreicht und diese ihr bis hierher weitergeholfen hatte. Wie sehr sie Sophie um ihre Freiheit beneidete! Sie reiste einfach kreuz und quer durch die Welt, während es für Scarlett die erste längere und weitere Reise überhaupt war, die sie unternahm.

„Na, diesen einen Abend werden wir wohl miteinander auskommen“, sagte Damian und klang nun sogar freundlich. „Aber morgen solltest du …“

„Das hast du gerade schon gesagt“, fiel sie ihm etwas schnippisch ins Wort, bereute es aber sofort. „Ich meine, okay …“, lenkte sie ein. „Ich könnte uns etwas zu essen machen als Dank dafür, dass ich heute hierbleiben kann. Ich werde mich in dieser Küche bestimmt zurechtfinden.“

Damian bedachte sie wieder mit einem unergründlichen Blick. „Meinst du? Aber … gut, warum nicht? Ich habe wirklich zu tun. Viel ist in den Schränken allerdings nicht vorrätig, aber du wirst schon etwas finden. Und wenn du dich frisch machen möchtest, kannst du das Bad hier unten benutzen.“

„Oh, danke.“ Scarlett stand auf.

Damian schüttelte leicht den Kopf, lachte kurz auf und ging dann hinaus.

Auch Scarlett musste, als sie allein war, über die kuriose Situation lachen. Erst hatte Damian sie loswerden wollen, und nun arbeitete er, und sie bereitete das Essen zu … Fast wie ein Ehepaar. Was für ein absurder Gedanke! Ein kurzes und seltsam starkes Glücksgefühl durchströmte sie.

Auf der Suche nach dem Bad sah sich Scarlett in der unteren Etage etwas um. Von außen wirkte das Haus viel bescheidener als von innen. Es gab eine Tür, auf der „Gäste“ stand, die sie aber nicht zu öffnen wagte. Dann noch ein weiteres Zimmer, dessen Tür ebenfalls verschlossen war, hinter der sie Damian vermutete. Das Bad am Ende des Flurs war riesig, die Badewanne reichte für zwei. Wie aus dem Nichts flackerte in ihr der Gedanke auf, wie es wäre, mit Damian darin zu liegen … und die Härchen auf ihrer Haut stellten sich auf. Die Vorstellung verfolgte sie bis zum Salon, dessen Tür weit offen stand. Sie warf einen Blick hinein und entdeckte einen schönen Kamin mit einem einladend großen Sofa davor. Auch hier dachte sie plötzlich: Wie es wohl wäre, wenn …?

Die spontanen Fantasien verwirrten sie. Es war das erste Mal seit Langem, dass ein anderer Mann als Raymond ihre Gedanken bewegte. War es wegen der meerblauen Augen, die Raymond und Damian gemeinsam hatten? Sie flüchtete in die Küche und grübelte über die neue Situation nach: Es hatte lange gedauert, bis sie sich wirklich für ihre Schwester und Raymond hatte freuen können. Alicia war verheiratet mit dem Mann, in den sie selbst verliebt gewesen war. Doch niemand wusste um dieses innere Unglück. Über die Jahre war sie Meisterin darin geworden, nach außen ihre Bedürfnisse zu leugnen. Aber wenigstens ließ sie das Schicksal, das mit Alicias Leben fest verbunden gewesen war, langsam aus seinen Klauen. Trotzdem durfte sie sich nicht wieder in den Falschen verlieben, und Damian beeindruckte sie jetzt schon viel zu sehr …

Beim Zubereiten der Mahlzeit setzte Scarlett alles daran, den Abend so schön wie möglich zu gestalten. Vielleicht konnte sie ihren Gastgeber ja doch noch umstimmen und ihn von ihren Fähigkeiten als Ersatzhaushälterin überzeugen. Sie deckte den Tisch hübsch ein und stellte Kerzen auf. Die Möglichkeit, sich hier schnell und unkompliziert etwas Geld zu erarbeiten, war im Moment ihr einziger Rettungsanker.

Schließlich klopfte sie vorsichtig an die Tür seines vermeintlichen Büros. Sie hörte ein dumpfes Geräusch, dann kam Damian heraus. Das Haar hing ihm wirr ins Gesicht, und sie konnte sehen, dass hinter ihm im Zimmer überall auf dem Boden Papier verstreut lag. „Was ist?“, fragte er in leicht gereiztem Ton.

Sein distanziertes Auftreten gab ihr einen Stich. „Das Essen ist fertig“, antwortete sie nur und hatte plötzlich eine ganz trockene Kehle.

Er starrte sie einen Moment lang an wie einen Geist. „Natürlich. Ich komme gleich. Ich war ganz in Gedanken.“

Sie ging zurück in die Küche, stellte sich ans offene Fenster und kämpfte gegen das schmerzliche Gefühl an, ganz und gar unwillkommen zu sein. Aber galten Schriftsteller nicht generell als eigenbrötlerisch? Sie schloss kurz die Augen und sog den zarten Blütenduft ein, der in die Küche strömte. Dieser Ort jedenfalls war auf eine besondere Weise wunderschön, vor allem so ruhig und – inspirierend. Leise stimmte sie eines ihrer Lieder an, das ihr auf dieser Reise ganz neu in den Sinn gekommen war:

Hoped to meet you in paradise,

didn’t know, you are already there …

Ich hoffte dich im Paradies zu treffen,

ich wusste nicht, dass du schon da bist

„Wie schön“, hörte sie da Damians Stimme hinter sich und fuhr herum. Er stand in der Küchentür, und sie biss sich auf die Lippe. Sonst sang sie nur noch für sich selbst.

„Mehr davon“, sagte er jedoch zu ihrer Überraschung völlig ernst.

„Aber das Essen wird kalt“, erwiderte sie ausweichend und ging zum Herd. Sie hatte aus den wenigen Vorräten einen appetitlichen Auflauf zubereitet, dazu gab es sogar noch einen kleinen Salat. Am liebsten hätte sie auch eine der Weinflaschen geöffnet, die in der Speisekammer in einem Regal lagerten, doch diese Geste war Damians Sache. Er aber setzte sich und goss sich ein Glas Wasser ein. Wieder spürte sie einen kleinen Stich der Enttäuschung. Was war nur los mit ihr?

„Es schmeckt köstlich“, lobte Damian sie nach dem ersten Bissen immerhin und nickte ihr anerkennend zu. „Seit meine Haushälterin krank ist, habe ich nichts Richtiges mehr in den Magen bekommen. Das hier ist ein Segen.“

Scarlett saß vor Aufregung kerzengerade und wartete angespannt darauf, ob er nun vielleicht doch darauf zurückkam, dass sie bleiben und ihm im Haushalt helfen konnte. Stattdessen aber fragte er: „Gehörst du eigentlich zu den Pilgern hier?“

Sie schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Vielleicht muss ich meine Reise ja abbrechen und zurück nach London fahren, auch wenn ich nicht weiß, wie das ohne Geld funktionieren soll.“

Damian überging ihre Andeutung und wurde wieder schweigsam. Eine leise Verzweiflung überkam Scarlett. Sie wollte unbedingt, dass Damian der Abend gefiel und er ihn nicht nur als eine lästige Pflicht ansah. „Was hat dich denn hierhergeführt?“, fragte sie, um die Unterhaltung fortzusetzen. „Wohnst du schon lange in diesem Paradies?“

Nun lächelte er. „Nein, ich bin erst vor ein paar Monaten hierhergekommen. Eine sehr bekannte galizische Schriftstellerin hat schon im vorletzten Jahrhundert von der Gegend hier am Fluss geschwärmt. Das Leben in Madrid war mir zu unruhig. Hier aber habe ich mich schlichtweg verliebt.“

„In die Gegend?“, fragte Scarlett fast automatisch nach, denn auf seltsame Weise interessierte es sie brennend, ob Damian hier wohl allein lebte.

Jetzt lachte er leise auf. „Ja, in die Gegend. In dieses Haus. Hier kann ich unbehelligt schreiben. Und eines Tages werde ich auch den Jakobsweg gehen, wenigstens ein Stück weit. Vielleicht wenn ich mit dem aktuellen Projekt fertig bin.“

Scarletts Blick hing gebannt an seinen Lippen, und sie hätte ihm ewig zuhören können. Sie aßen zu Ende, und er erzählte ihr noch ein paar Dinge über die wundervolle Natur des Landes, die sie seiner Meinung nach unbedingt erforschen sollte – als würde er ihr Problem, dass sie im Moment völlig mittellos war, überhaupt nicht ernst nehmen. Draußen setzte die Abenddämmerung ein.

Dann, als sie sich gerade dazu durchringen wollte, ihre Bitte nochmals vorzubringen, stand Damian unerwartet schnell auf. Ahnte er, was sie gerade sagen wollte? Wenn ja, dann wollte er es einfach nicht hören.

„Ich muss weitermachen“, sagte er. „Vielen Dank für das Essen. Im Gästezimmer neben dem Bad findest du alles, was du brauchst. Gute Nacht.“ Und er verschwand fast ebenso geräuschlos, wie er gekommen war.

Scarlett blickte eine Weile in die Kerzenflamme, die im Windzug flackerte. Sie fühlte sich plötzlich verlorener als je zuvor. Sie wollte bleiben. Sie sollte gehen. Sie hatte immer noch keine Idee für den nächsten Tag. Eigentlich blieb jetzt nur, Damian vorübergehend um Geld zu bitten, doch alles in ihr sträubte sich dagegen. War es ihr Stolz? Oder war es dieser leise, aber immer stärker werdende irritierende Wunsch: dass Damian sie fest in die Arme nehmen und küssen sollte, anstatt sie wegzuschicken?

2. KAPITEL

Das taunasse Gras funkelte in der aufgehenden Sonne, und an den Blättern der großen Laubbäume glitzerten die Tropfen wie Diamanten. Damian atmete tief ein, während er seine frühmorgendliche Runde durch die stille Natur machte. Wie froh er war, diesen Ort gefunden zu haben! Das versteckt gelegene Haus war sein erstes Eigentum von großem Wert, und das nötige Kapital dafür hatte er ganz allein durch den ersten großen Bucherfolg verdient. Seit dem Tod seiner Mutter vor wenigen Jahren trieb ihn der Ehrgeiz an. Nicht nur sie, auch er hatte stets unter seinem dominanten Vater gelitten. José Aragón war zweifelsohne ein begnadeter Autor und großzügiger Mensch – aber dafür forderte er Gehorsam. Er hatte seine finanziellen Zuwendungen unterlassen, als Damian unter einem Pseudonym zu schreiben begann, und auch Maya hatte Damian zum schnelleren Erfolg unter dem Namen des Vaters überreden wollen. So hatte er das Vertrauen in zwei der wichtigsten Menschen seines Lebens verloren – und das von Maya wollte er auch nicht zurück. Wenn er könnte, würde er ihren Besuch vor drei Monaten aus seinem Gedächtnis streichen. Noch tagelang danach war er durcheinander gewesen, und nun schickte sich Scarlett Warrington an, ihm ebenso seine innere Ruhe zu rauben!

Auf der kleinen, verwunschenen Steinbrücke, die schon fast in Sichtweite seines Hauses war, blieb er stehen und starrte in das träge dahinfließende Wasser. Nein, er konnte im Moment wirklich keine attraktiven weiblichen Wesen um sich herum gebrauchen. Alles zu seiner Zeit. Wenn sie sich nicht anders zu helfen wusste, würde er Scarlett das Geld für die Weiterreise eben heute in die Hand drücken. Allerdings war es das Mindeste, dass sie ihn selbst um diese Hilfe bat.

Zielstrebig ging Damian auf das Haus zu. Leise trat er ein, er wollte seinen Besuch keinesfalls wecken. Vorsichtig öffnete er die Küchentür und prallte fast zurück, so sehr überraschte ihn der sich bietende Anblick: Scarlett beugte sich gerade aus dem Fenster und sah hinaus in den Garten. Ihr kurzes Nachthemd war ein Stück hochgerutscht, fast konnte er den Ansatz ihres runden, festen Pos sehen. Die langen schlanken Beine waren nackt.

Fast widerwillig löste er seinen Blick und zog sich leise zurück. Er war sich sicher, sie hatte ihn nicht gehört, denn wenn er es wollte, bewegte er sich geräuschlos. Das hatte er früh gelernt: Nie durfte der berühmte Vater beim Schreiben gestört werden.

Zurück in seinem Zimmer, stand er kurz unschlüssig da, dann setzte er sich und brütete weiter über seinem Manuskript. Doch nicht zum ersten Mal steckte er in der Handlung fest. Er klappte den Laptop wieder zu. Egal, ob sich eine halbnackte Frau in seiner Küche aufhielt oder nicht, er brauchte jetzt seinen Morgenkaffee, und zwar sofort!

Auf dem Weg zur Küche hörte er Scarlett wieder singen – sehr schön singen. Ihre Stimme drang gedämpft durch die Küchentür, rauchig und melodiös.

Really, I was looking for you.

Really, I was looking everywhere.

Now I’m here and you send me away …

Glaub mir, ich habe dich gesucht.

Glaub mir, ich habe überall geschaut.

Nun bin ich hier, und du schickst mich fort …

Es klang fantastisch. Der Text war leicht melancholisch, die Melodie war ihm nicht bekannt. Er lauschte noch eine Weile, dann öffnete er die Tür. Sie verstummte sofort.

Scarlett saß nun auf einem Stuhl und hatte ihre nackten Beine hochgezogen. Das Nachthemd war auf einer Seite von der Schulter gerutscht. Sie blickten sich wortlos an. Ihr Mund mit den sinnlichen Lippen blieb ein wenig offen stehen, so überrascht schien sie zu sein.

„Du bist schon auf?“, brach sie das kurze, verlegene Schweigen.

„Offensichtlich“, antwortete er.

„Das wusste ich nicht“, sagte sie.

Er konnte sich einen Kommentar dazu nicht verkneifen: „Das sehe ich.“

Sogleich zog sie ihr Nachthemd wieder über die Schulter und stellte die Beine auf den Boden. Täuschte er sich, oder wurde sie tatsächlich ein wenig rot?

„Ich bin meistens sehr früh draußen“, sagte er und ging zur Kaffeemaschine. Er begann zu hantieren, und das Gerät machte wie immer einen ziemlichen Krach. Eine Weile war er damit beschäftigt, und als er sich umsah, war Scarlett fort.

Schade, schoss es ihm durch den Kopf, als er an den reizvollen Anblick von eben dachte. Und gleichzeitig: ein Glück.

Mit der Tasse in der Hand wollte er wieder in sein Zimmer gehen, da stieß er mit ihr an der Tür fast zusammen. Sie war zurückgekehrt, hatte sich nun aber etwas übergezogen. Die Locken fielen ihr in die Stirn, und immer noch schien sie ein wenig verlegen zu sein.

„Ich mache uns Frühstück“, sagte sie, und der hoffnungsvolle Ton in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Schon wollte er ihr sagen, sie müsste danach aber gehen, da besann er ich. Womöglich würde sie sonst gleich eines dieser typisch weiblichen Dramen aufführen, mit Tränen und Jammern. Falls es dazu kommen sollte – zuerst musste er noch seine Passage zu Ende schreiben. „In etwa einer Stunde komme ich in die Küche“, antwortete er also nur.

Am Schreibtisch nippte er an seinem Kaffee und starrte auf den Bildschirm. Sein Kopf war wieder so leer wie schon so oft in den Tagen zuvor. Auf einmal jedoch kam ihm das Lied in den Sinn, das Scarlett gerade gesungen hatte. Die Melodie war voller Harmonie und Eigensinn gewesen – und ähnelte darin seinem ureigenen Schreibstil. Er schloss kurz die Augen, und es passierte ein Wunder: Er begann zu tippen und hörte erst wieder auf, als der Kaffee schon kalt war.

Scarlett hatte auf den Tisch gezaubert, was noch an bescheidener Ausbeute zu finden war. Auch hatte sie ein paar Blumen gepflückt. In der Nacht war sie nochmals ihre Alternativen durchgegangen – es gab kaum eine. Ausweis, Kreditkarte und alles Geld waren weg, und zu Hause sollten sowohl ihre Eltern als auch Alicia weiterhin denken, sie wäre auf dem Pilgerweg. Zumindest hatte Sophie versprochen, ihre Hilfe diskret zu organisieren. Da es im Familienunternehmen gerade viel zu tun gab, war es schon schwierig genug gewesen, sich diese Auszeit zu nehmen. Es hatte Streit gegeben. Doch kurz nach dem Ende ihres Studiums und vor allem nach Alicias Hochzeit hatte sich Scarlett einfach ausgelaugt gefühlt. Dennoch – oder gerade deswegen – hatte sie sich ausnahmsweise gegen Alicia durchgesetzt, die bald in die Flitterwochen fahren wollte. Nun hatten Raymond und sie die Planung wegen Scarlett also verschoben. Doch mehr als zwei Wochen Auszeit konnte Scarlett sich nicht nehmen. Alicia war immer noch nicht voll belastbar und traute sich nicht allzu viel Arbeit am Stück in der Firma zu. Gute Wünsche für ihre Reise nach Nordspanien hatte Scarlett von ihrer Familie aber nicht erhalten.

Jetzt dort um Geld zu bitten war ungünstig.

Überhaupt wollte sie um so wenig wie möglich bitten – schon gar nicht betteln. Sie wollte auch nicht als das Dummchen dastehen, das sich bei der ersten Gelegenheit bestehlen ließ. Das Thema Diebstahl war schon lange ein rotes Tuch für sie. Scarlett, das schwarze Schaf. Scarlett, die Diebin. Die Demütigung und der Schmerz, die sie einst erleiden musste, hatten sie hart und stolz gemacht.

Bisher war sie sich gar nicht sicher gewesen, ob sie wirklich pilgern wollte. Sie hatte die Gegend erst einmal nur erkunden wollen. Jetzt aber war es fast ihre einzige Möglichkeit fortzubleiben, weil das Pilgern nicht ganz so teuer war … Es musste mit Damian einfach klappen! Außerdem war der Ort hier wunderschön – fast magisch.

In diesem Moment kam er herein. Sie hielt unwillkürlich den Atem an, denn er sah umwerfend aus. Er trug ein weißes Hemd, das ein wenig offen stand und ein Stück seiner gebräunten, behaarten Brust frei ließ. Noch immer trug er diesen Dreitagebart, als wüsste er, dass er dadurch nur noch attraktiver wirkte. Sie selbst hatte ihr Lieblingskleid angezogen, das einerseits bequem war und gleichzeitig ihre Figur betonte. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Ehrlich gesagt war es nicht nur das Haus, das hier magisch auf sie wirkte …

„Ich habe Tee gemacht“, sagte sie. „Ich kann Eier mit Speck braten, oder möchtest du lieber …“

„Stopp!“

Sie hielt erschrocken inne.

„Du bist nicht meine Haushälterin, Scarlett.“ Er kam auf sie zu und blieb vor ihr stehen. „Du brauchst mich nicht zu bedienen.“

Sie bemühte sich, ruhig weiter zu atmen. Seine blauen Augen beunruhigten sie noch mehr als am Tag zuvor. Es war zwar Unsinn, solche Augen aus Prinzip gefährlich zu finden, aber sie erinnerten sie nun einmal an Raymond. Und an die Tiefen des Meeres. Manches Unglück im Leben ließ einen eben nie wieder los. Aber sie konnte dafür kämpfen, dass es weniger wurde.

Ein wenig trotzig reckte sie das Kinn. „Richtig, ich brauche dich nicht zu bedienen, aber ich würde es tun. Du musst dich um nichts kümmern, machst nur deine Arbeit und ich den Rest, bis deine Haushälterin wieder da ist. Damit verdiene ich mir etwas und muss meine Reise nicht abbrechen. Wir hätten doch beide etwas davon!“

Damian sah sie schweigend an. Warum war er so abweisend? Gab es vielleicht eine Frau oder Freundin in seinem Leben, und er fürchtete, Scarletts Anwesenheit könnte unpassend sein? Warum aber sagte er dies dann nicht einfach?

„Bitte!“, rief sie nun lauter als beabsichtigt. „Es ist mir wirklich wichtig!“ Sie standen einander dicht gegenüber, und Scarlett kämpfte gegen den irrsinnigen Impuls an, sich einfach in Damians Arme zu schmiegen. Wenn sie noch an ihre Fantasien vom Vortag dachte, dann lief das Ganze hier allerdings in die völlig falsche Richtung.

Damian setzte sich an den Tisch. Er hatte es geahnt. Gleich würde es theatralisch werden – mit diesem Mittel versuchten die meisten Frauen, ans Ziel zu kommen. Wie oft hatte Maya so getan, als würde er sie absichtlich verletzten. Dabei hatte er ihr immer wieder erklärt, dass er sich zum Schreiben eben zurückziehen musste und dies nichts mit ihr persönlich zu tun hatte. Dennoch machte sie ihm eine Szene nach der anderen. Sie hatte ihn unter Druck gesetzt, weil der Erfolg zu lange auf sich warten ließ, und schließlich hatte sie ihn verlassen.

Betont langsam begann er, in seiner Tasse zu rühren. Dabei bemerkte er sehr wohl, wie Scarlett mit ihrer Verzweiflung kämpfte. Doch warum? „Deine Eltern sind sehr reich“, sagte er nur.

Was auch immer es war, das sie beschäftigte, es war nicht sein Problem. Er wollte einfach nur seine Ruhe haben, und das war sein gutes Recht.

„Na und!“ Auf einmal hatte Scarlett ihre Fassung wiedererlangt. „Nur weil meine Eltern reich sind, heißt das nicht, dass ich immer bekomme, was ich brauche!“

Plötzlich keimte wieder Interesse in ihm auf. Seit Scarletts Ankunft ging es bei ihm hin und her: Mal dachte er mit einer gewissen Spannung an sie, dann wollte er nur, dass sie wieder aus seinem Leben verschwand. „Wie meinst du das?“

„So wie ich es sage. Ich habe meine Gründe, warum ich im Moment kein Geld von zu Hause annehmen kann. Aber wahrscheinlich hast du von deinem Vater immer alles auf Knopfdruck bekommen, nicht wahr?“

Ihr plötzlich scharfer Ton irritierte ihn. Es war fast ein wenig unverschämt, wie sie auftrat, doch er blieb ruhig. So schnell ließ er sich nicht provozieren. Zumal sie mit ihrer Vermutung völlig danebenlag. „Nein, ganz bestimmt nicht. Echte Zuwendung war meinem Vater fremd.“

Nun war es Scarlett, die ihn überrascht ansah. „Das kennst du also auch?“

Damian fuhr mit der Hand über sein Kinn, wie so oft, wenn er Zeit zum Überlegen brauchte. Es war schon seltsam, wie schnell er mit seiner ungebetenen Besucherin in viel zu vertrauliche Situationen geriet. Beim Abendessen am Tag zuvor war es ähnlich gewesen. Es war ihm plötzlich so vorgekommen, als würden sie sich seit Langem sehr gut kennen. Wieso hatte er eben dieses Detail über seinen Vater überhaupt verraten? Es ging sie nichts an, wie er als Kind gelitten hatte, weil der große José Aragón niemals Zeit für ihn gehabt hatte. Seine Zuneigung drückte der Vater am liebsten materiell aus. Oder über seine Beziehungen. Gönnerisch wollte er Damian zum schriftstellerischen Erfolg verhelfen, doch Damian hatte es ohne diese Gunst schaffen wollen!

Sein Blick blieb an Scarletts leicht geöffneten Lippen hängen. Sie wirkte nicht nur unglaublich anziehend, sondern gleichzeitig so … unschuldig. Und etwas verloren. Ihre ganze Körperhaltung drückte Spannung aus. Fast tat sie ihm ein bisschen leid. Es war Zeit, dass sie ging.

„Ich bin das schwarze Schaf der Familie“, sagte Scarlett nun tonlos und sah an ihm vorbei. „Ich kann jetzt nicht um Geld bitten, es wäre nur eine weitere Niederlage. Verstehst du das?“

Damian trank einen Schluck. Das alles war viel mehr, als er wissen wollte, und dennoch konnte er sich nicht einfach entziehen. Dazu verstand er Scarlett zu gut. „Ich gebe dir das Geld“, sagte er, doch ihre Antwort überraschte ihn keineswegs.

„Nein!“, rief sie aus. „Ich will nichts geschenkt bekommen. Auch nicht geliehen. Ich will … ich brauche …“ Sie brach ab und biss sich auf die Lippe.

„Was ist los?“ In ihren hellbraunen Augen sah er einen tiefen Schmerz verborgen. Sie musste sehr verletzt worden sein. Als Autor hatte er einen scharfen Blick für das, was in anderen Menschen vorging.

Sie setzte sich aufrecht hin. „Das willst du gar nicht wissen“, antwortete sie gefasst, aber traurig.

Gegen seinen Willen begann sie, ihn immer mehr in den Bann zu ziehen. „Wir frühstücken jetzt“, sagte er bestimmt, um etwas Zeit zu gewinnen. Warum nur befahl er ihr nicht einfach zu gehen, wenn sie sein Geld nicht annehmen wollte?

Sie aber rührte sich nicht. Er seufzte auf. Im Moment brachte er es wirklich noch nicht über das Herz, sie vor die Tür zu setzen. Er nahm seinen Teller und stand auf. „Wenn ich alleine frühstücken muss, kann ich das auch in meinem Zimmer tun, da wartet jede Menge Arbeit auf mich. Wir sprechen dann nachher noch mal.“

Sie stand ebenso auf. „Ich habe auch zu tun.“

Er sah sie verwundert an. „Ach ja?“

„Ja.“ Sie stemmte die Arme in die Hüften. „Der Garten braucht dringend Pflege. Ich gehe auch zum Supermarkt, wenn du mir sagst, was du brauchst. Kann ich dorthin laufen?“

In diesem Moment war er viel zu verblüfft, um zu widersprechen. Scarlett spielte wirklich alle Trümpfe aus: zeigte ihm ihre nackten Beine, verdrückte eine Träne, überrumpelte ihn mit ihrer Ehrlichkeit und konfrontierte ihn einmal mehr mit der Tatsache, dass im Haus wirklich etwas getan werden musste.

Beide sahen sich wortlos an. Sie standen sich gegenüber wie zwei Wettkämpfer bei einem Duell. Schließlich musste er grinsen. Sollte doch das Schicksal entscheiden! „Ich werde kurz telefonieren, dann bekommst du eine Antwort“, sagte er. Denn wenn Rosario noch länger als ein, zwei Tage krank sein würde, durfte Scarlett bleiben. Er hatte tatsächlich keine Zeit, den Haushalt zu führen, und unter dem Dach gab es schließlich die kleine Einliegerwohnung. Wenn er es richtig anstellte, würde sie ihn da oben kaum stören.

Mit geschlossenen Augen blieb Scarlett sitzen und summte vor sich hin. Immer wenn es ihr besonders gut oder besonders schlecht ging, stiegen neue Melodien in ihr auf. Diese Art von Kreativität war ein Ventil für sie. Wobei die wirklich glücklichen Momente seit jenem verhängnisvollen Tag am Meer vor vielen Jahren ziemlich rar geworden waren. Bis dahin hatte jeder in der Familie sie gerne singen gehört. Danach aber hatte sich alles nur noch um Alicia gedreht, und wenn Scarlett mal fröhlich war, fühlte sie sich zugleich schuldig. Kein Wunder, dass sich dies auch auf die Liebe übertragen hatte. Scarlett hatte sich nie einfach so verlieben dürfen, das musste sie ihrer damals todkranken Schwester versprechen. Schon gar nicht in denselben Mann wie Alicia. Aber es war gekommen, wie es kommen musste: Erst brach der gemeinsame Jugendschwarm Scarletts Herz, später Raymond. Seine Nähe hatte sie von Beginn an elektrisiert – und auch Alicia schwärmte für ihn. Schweren Herzens hatte Scarlett so getan, als wäre er ihr gleichgültig. Sie hatte viele Nächte geweint. Doch nun war Alicia endlich glücklich verheiratet. Scarlett musste keine Rücksicht mehr nehmen. Es war ein seltsames, ungewohnt freies Gefühl …

„In Ordnung.“

Scarlett riss die Augen auf. Damian stand vor ihr, wieder hatte sie ihn nicht kommen hören. Wie schaffte er es nur, sich lautlos wie ein Raubtier zu bewegen? „Schleichst du dich immer so heran?“, fragte sie mit pochendem Herzen. Er hatte sie wirklich erschreckt.

„Ich bewege mich in meinem Haus, wie ich möchte“, gab er ruhig zurück. „Außerdem habe ich dieses Refugium ‚Haus der Stille‘ getauft, und so verhalte ich mich auch.“

Sie schluckte. Er sah zu ihr hinunter, und sofort wurde ihr heiß.

„Ich wünsche mir Ruhe. Sonst könnte ich es mir noch anders überlegen“, fuhr er fort.

Sie verstand sofort und sprang auf. „Ich kann bleiben!“

„Bis meine Haushälterin bald wieder da ist.“ Damian verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie durchdringend an. Von einem Augenblick auf den anderen konnte er kalt sein wie Eis. Dennoch wäre sie ihm am liebsten um den Hals gefallen. „Womit soll ich beginnen …?“

Er hob abwehrend die Hände. „Erst mal zeige ich dir deine Bleibe. Komm mit.“

Das Herz schlug ihr bis zur Hals. Insgeheim hatte sie gehofft, weiterhin mit ihm unter einem Dach zu bleiben – dafür gab es ja schließlich das komfortable Gästezimmer, in dem sie gut geschlafen hatte. Etwas in ihrem Inneren zog sich vor Enttäuschung zusammen. Wortlos folgte sie ihm.

Doch zu ihrer Überraschung stiegen sie die Treppe in den ersten Stock hinauf. Hier oben war sie bisher noch nicht gewesen. Überall im Haus hingen an den Wänden kunstvolle Bilder, von denen manche ziemlich wertvoll wirkten. Dann gab es noch eine weitere Treppe, vor der Damian stehen blieb.

„Unter dem Dach ist eine kleine, separate Wohnung. Sie ist komplett eingerichtet und sofort beziehbar. Wenn du etwas brauchst, lass es mich wissen.“

Wieder wäre sie Damian am liebsten um den Hals gefallen. Das hier war wirklich die optimale Lösung! Damian ständig in allernächster Nähe zu wissen machte sie viel zu sehr nervös. Jetzt aber konnte sie sich nützlich machen und in Ruhe nachdenken, wie es weitergehen sollte. Jetzt, da das Studium zu Ende war, wurde nämlich von ihr erwartet, dass sie sofort in die Unternehmensleitung mit einstieg. Eine äußerst lukrative Stelle wartete auf sie – und doch war sie darüber nicht glücklich. Aber hatte sie denn eine Wahl?

„Also dann“, sagte Damian und wandte sich zum Gehen. „Haus, Garten, Einkauf – du siehst ja, was gemacht werden muss. Heute allerdings möchte ich nicht mehr gestört werden, und das Frühstück nehme ich gerne alleine ein. Wir sehen uns vermutlich morgen.“ Dann ging er die Treppe hinunter.

Scarlett stand da wie betäubt. Willkommen in einer neuen Realität! Noch nie hatte sie für jemanden als Haushälterin gearbeitet, in London hatten sie ja stets selbst Bedienstete gehabt. Nicht, dass sie sich für eine solche Arbeit grundsätzlich zu schade war. Aber dass Damian sie nun tatsächlich wie eine Angestellte behandelte, fühlte sich fast beschämend an. Wie sehr wünschte sie sich das Gegenteil! Denn zunehmend schürte er in ihr eine quälend tiefe Sehnsucht nach körperlicher Nähe.

3. KAPITEL

Damian zerknüllte ein weiteres Blatt und warf es auf den Boden. Das neue Kapitel ging ihm wieder schwerer von der Hand. Eine solche Schaffenskrise hatte er bisher nie erlebt. Als er noch unbekannt gewesen war, hatte er zwar auch unermüdlich gearbeitet, doch wenigstens mit Spaß. Heute war es nicht mehr so. Was wohl daran lag, dass er nun unter seinem richtigen Namen für einen großen Verlag schrieb. Dabei hatte er seine innere Stimme ignoriert. Er verstand sich als Künstler, aber er hatte seine Kreativität verkauft. Er musste liefern. Wäre er doch nur Dario Amado geblieben! Nun aber schauten alle auf Damian Aragón. Der Druck war enorm.

Eine Weile saß er nur da und beobachtete, wie das Sonnenlicht in seinem Zimmer verblasste. Dann machte sich sein Magen bemerkbar. Scarlett könnte ihm etwas zu essen zubereiten, aber er hatte den ganzen Tag nicht an sie denken wollen. Warum nur hatte er sie nicht einfach weggeschickt? Wie er sie am Morgen zuvor zufällig halbnackt in der Küche gesehen hatte … Solche Ablenkungen waren im Moment wirklich nicht förderlich für seine Arbeit! Er stand auf und ging in die Küche.

Als er leise eintrat, war er fast enttäuscht. Der Raum war leer. Alles war aufgeräumt und sauber, der Kühlschrank wieder gefüllt. Er hatte Scarlett Geld auf den Tisch gelegt und den Schlüssel für das kleine Auto, mit dem er hier unauffällig durch die Gegend fuhr. Rosario kochte oft für ihn, etwa um diese Zeit.

Er trat in den Flur. „Scarlett?“, rief er. Seine Stimme hallte durch das Haus. „Scarlett!“

Nun vernahm er Geräusche, die aus dem oberen Stockwerk kamen. Er ging zurück in die Küche und öffnete eine Flasche Wein. Alkohol trank er nur selten, aber heute wollte er nicht mehr über sein Manuskript nachdenken. Vielleicht brauchte er einfach mal einen unterhaltsamen Abend, so wie normale Menschen eben lebten.

Er saß mit dem Rücken zur Tür, als Scarlett eintrat. Es war seltsam – ohne sie zu sehen, überkam ihn ein starkes Verlangen. Drei Monate war es her, als er das letzte Mal mit einer Frau – mit Maya, seiner verlorenen großen Liebe – zusammen gewesen war. Nur für eine Nacht. Maya hatte ihn schon lange davor verlassen, kurz vor seinem Durchbruch, an den sie nicht mehr geglaubt hatte. Und nun, da er plötzlich erfolgreich war, hatte sie wieder an seine Tür geklopft, und er war schwach geworden. Doch am Morgen danach hatte er seinen Fehler sofort bereut. Eine Frau, die ihn nur des Erfolgs wegen begehrte, interessierte ihn nicht. Als Schriftsteller war er auch Künstler, und Geld war für ihn sekundär. Ebenso überdrüssig war er der Affären, die er vor und nach Maya erlebt hatte. Kein Zweifel, er steckte nicht nur in einer Schaffens-, sondern auch mitten in einer Lebenskrise.

„Ja?“, fragte Scarlett hinter ihm. „Hast du mich gerufen?“

Er nahm ein paar Schlucke Wein, und ein wärmendes Gefühl breitete sich in ihm aus. Ihre raue Stimme gefiel ihm. Er könnte sich nun einfach umdrehen und sie auf seinen Schoß ziehen …

Schnell verscheuchte er diese Vorstellung. Er war nicht mehr der Draufgänger von früher. Und er war nun kein Unbekannter mehr – quasi jede Frau, mit der er zusammen war, konnte etwas Interessantes über ihn ausplaudern. Das freie, schöne Leben war vorbei. Im Winter hatten die Medien fast in jeder Woche etwas über ihn zu berichten gehabt: Sohn des weltbekannten José Aragón, der in die Fußstapfen des Vaters getreten war und es aber unter einem Pseudonym allein geschafft hatte. Dazu war er gut aussehend, im besten Alter, Junggeselle … Es war erstaunlich, was ihm von der Presse plötzlich angedichtet wurde.

Er goss sich Wein nach. Scarlett stand immer noch hinter ihm. „Vielleicht könnten wir gemeinsam etwas essen?“, schlug er vor.

Ihr Zögern nahm er gelassen auf. Er war am Tag zuvor etwas brüsk gewesen, und sie hatten sich seitdem nicht mehr gesehen. Langsam drehte er sich um und sah in ihre schönen Augen. „Möchtest du ein Glas Wein?“, fragte er. Die Antwort war ein Lächeln, und die Aussicht, an diesem Abend nicht allein zu sein, gefiel ihm immer besser. Die Gespräche mit Rosario waren in diesen Tagen sonst fast seine einzige Verbindung zur Außenwelt. Sie war eine warmherzige Frau mittleren Alters und fast ein wenig mütterlich zu ihm. Das tat manchmal gut, wenn man wie ein Einsiedler lebte.

Während er Scarletts Glas füllte, ging sie zum Kühlschrank. „Passt prima“, sagte sie leichthin. „Ich habe auch noch nichts gegessen. Ich dachte, du magst vielleicht Steak mit Salat. Liege ich da richtig?“ Sie holte mit ein paar geschickten Griffen die Lebensmittel hervor und sah ihn erwartungsvoll an.

Er musste lachen. „Das klingt bestens. Und es passt hervorragend zu dem guten Tropfen hier. Ich habe einen Bärenhunger.“

Dann begannen sie, wie schon am ersten Abend, unverfänglich miteinander zu plaudern. Scarlett beherrschte die Kunst des Small Talks genauso gut wie er. Nur dass das Gespräch mit ihr tatsächlich ein wenig Spaß machte und nicht nur dazu diente, die Zeit zu überbrücken. Außerdem konnte er sie dabei ganz entspannt beobachten. Sie trug enge schwarze Leggings, und ihr Shirt bedeckte gerade so den Po. Ihre Bekleidung ließ offen, ob sie es einfach bequem liebte und sich um die Wirkung keine Gedanken machte. Denn auf den zweiten Blick sah es sexy aus. Und er hatte ja schon eine Ahnung von ihren verführerischen Rundungen …

Schließlich stand das Essen auf dem Tisch. Die Dämmerung hatte eingesetzt, und Scarlett stellte, wie schon beim ersten gemeinsamen Essen, Kerzen auf den Tisch. Als sie sich gegenübersaßen, lächelte sie ihm zu.

Auf einmal wurde ihm klar, dass er die Weichen für das, was jetzt kam, am Tag zuvor bereits gestellt hatte. Ihm gegenüber saß eine äußerst begehrenswerte Frau, die ihm das Schicksal vorbeigeschickt hatte. Mit absoluter Sicherheit wusste Scarlett, was sie tat. Und sehr bald würde sie aus seinem Leben wieder verschwunden sein. Nun blieb nur noch herauszufinden, ob sie leicht zu haben war …

„Isst du öfter mit fast fremden Männern bei Wein und Kerzenlicht zu Abend?“, fragte er provokant.

Ihre Augen schimmerten im Halbdunkel. Sie fuhr sich mit einer Hand durch ihre Locken, dann wich sie seinem Blick aus. „Nicht unbedingt“, antwortete sie leise.

Die Antwort gefiel ihm. Er mochte keine Frauen, die sich Männern sofort an den Hals warfen.

„Wieso fragst du das?“

Er bemerkte das leichte Beben in ihrer Stimme. „Als Schriftsteller habe ich viel Fantasie“, fuhr er fort. „Du kommst hier vorbei, quartierst dich ein, zauberst ein romantisches Essen nach dem anderen …“ Gespannt sah er sie an.

Da stand sie abrupt auf. „Ich … es fehlt noch etwas Salz“, sagte sie und ging zu einem der Schränke.

Er zog eine Augenbraue hoch. Ihre abwehrende Reaktion überraschte ihn. „Sehe ich irgendetwas falsch?“

„Es war eine Art Notfall.“ Sie setzte sich wieder und begann, übermäßig viel Salz auf das bereits gut gewürzte Essen zu streuen. Er musste etwas schmunzeln.

„Ach ja? Ich glaube, du wolltest auch aus einem anderen Grund unbedingt bleiben. Habe ich recht?“ Er nahm noch einen Schluck. Nur die Kerzen brannten, und im Zwielicht konnte er Scarletts Gesichtsausdruck nicht richtig deuten. Er bekam keine Antwort, aber er genoss die zunehmende Spannung zwischen ihnen.

Wieder stand sie auf und griff nach der leeren Pfanne.

„Nein“, sagte er laut. „Lass alles stehen. Komm her.“

„Wieso, ich …“

Langsam schob er den Stuhl zurück. Das Geräusch klang wie eine wortlose Aufforderung, und sie sprach nicht weiter. Die Luft zwischen ihnen schien jetzt zu knistern. Er ging langsam zu ihr. Sie öffnete den Mund und wollte etwas sagen, doch es kam kein Laut heraus. Wenn er ehrlich war, wirkte sie etwas verängstigt. Natürlich würde nichts gegen ihren Willen passieren. Was aber wollte sie von ihm? Jetzt, wo er sich für diesen Abend von seinem anstrengenden Dasein als Autor frei genommen hatte, reizte ihn dieses Spiel. Er jedenfalls wollte zumindest eine eindeutige Antwort.

Er legte die Hand auf ihre Wange. Ihre Haut schien zu glühen. Mit dem Daumen zog er sanft ihre Lippen nach, die weich wie Samt waren. Er beugte sich zu ihr und strich flüchtig mit seinem Mund über ihren. Sie stand die ganze Zeit still, doch er spürte ihr Zittern, als er sie in die Arme zog. Ihr Körper fühlte sich äußerst verführerisch an. Er umarmte sie fester, und sie presste sich an ihn. Natürlich hatte er richtiggelegen – sie wollte ihn auch!

„Dann komm mit“, sagte er, löste sich aus der Umarmung und führte sie in den Salon. Kurz dachte er daran, Feuer im Kamin zu machen, doch das würde den Fluss der Dinge zu sehr unterbrechen. Er entschied sich für ein dezentes Licht und zog Scarlett auf das Sofa. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und forschte in ihren Augen. Wieder entdeckte er da diese leise Furcht … und verbot es sich gleichzeitig, diesem Ausdruck weitere Beachtung zu schenken. Diese Situation hier war eindeutig und spielte sich wie so oft zwischen Mann und Frau ab. Es war das älteste und bekannteste Spiel der Welt, und er war bereit, seine Askese für heute zu vergessen. Scarlett zeigte auch weiterhin keinerlei Gegenwehr, im Gegenteil. Sie fühlte sich an wie Wachs in seinen Händen. Also begann er, sie leidenschaftlich zu küssen. Einmal nur zögerte sie einen winzigen Augenblick, doch dann küsste sie ihn ebenso heftig zurück. Das bekannte Gefühl tiefer Erregung durchströmte seinen Körper. Er war hungrig. Er wollte Sex.

Schon lagen sie eng nebeneinander, und seine Hände fuhren über ihren Bauch, über ihre festen Brüste, über ihre Schultern und wieder zurück. Dabei küsste er sie unentwegt, und es dauerte nicht lang, da streifte er ihr Shirt nach oben. Sie zuckte und atmete heftig, als er den Kopf senkte und seine Lippen auf ihre nackte Haut legte. Er genoss den Augenblick zutiefst und begann, sanft an einem ihrer Nippel zu saugen …

„Nein!“ Sie machte sich völlig überraschend von ihm los und stemmte die Hände gegen seine Brust. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als von ihr abzulassen. „Ich meine … ja!“, schickte sie hinterher, und es klang eher verzweifelt. Er lag halb auf ihr, und verwirrt sah sie ihn an. Dann legte sie einen Arm über ihr Gesicht, und der Blickkontakt war unterbrochen.

„Was ist?“ Zärtlich und irritiert zugleich strich er über ihre wirren Locken. Sie flüsterte etwas, das er nicht verstand, und er beugte sich ganz zu ihr hinunter.

„Entschuldige“, hörte er sie wispern. „Ich … ich sollte …“

„Was?“, fragte er nun doch etwas ungeduldig.

Jetzt sah sie ihn wieder an, und er richtete sich ein Stück auf.

„Du solltest vielleicht wissen … dass ich … noch nie … mit einem Mann bis zum Ende zusammen war“, sagte sie leise.

Er runzelte die Stirn. „Bis zum Ende?“ Dann begann er zu verstehen. Wollte sie ihm etwa sagen, dass sie noch Jungfrau war? Verblüfft und wie von selbst nahm er seine Hände zurück. Eben noch hatten sie erwartungsvoll auf ihrer heißen, nackten Haut geruht. „Du hast noch nie mit einem Mann geschlafen?“, fragte er direkt, schließlich waren sie erwachsene Menschen.

Da schlang si...

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