Romana Extra Band 100

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NUR EINE SÜSSE WEIHNACHTSROMANZE? von NINA SINGH

Seit ihrer geplatzten Weihnachtshochzeit flieht Celeste vor dem Fest der Liebe in die Karibik.
Doch statt Ruhe und Erholung erwartet sie diesmal pure Sinnlichkeit. Hotel-Tycoon Reid küsst sie heiß und bringt sie sogar zum Lachen. Kann er auch ihre Wunden heilen?

SINNLICHES RENDEZVOUS MIT DEM FEIND von ANNE TAYLOR

Celine de la Tour ist empört! Sie lässt sich nicht kaufen, schon gar nicht von Eric Cortez! Erstens soll ihr Château ein Familienhotel werden und kein Luxustempel, zweitens macht sie mit einem Cortez keine Geschäfte. Aber warum fühlt sie sich von ihrem Feind so sinnlich angezogen?

ZAUBER EINER WINTERNACHT von CAROLINE ANDERSON

Georgia fährt eine Abkürzung - und steckt im Schnee fest. Direkt vorm Anwesen ihres Ex! Fünf aufwühlende, romantische, einzigartige Tage lang sind sie und Sebastian von der Außenwelt abgeschnitten. Dann droht ein Abschied für immer, weil ein altes Geheimnis ihren Neuanfang überschattet …

KÜSSE, SCHNEE UND LICHTERGLANZ von ROCHELLE ALERS

An die große Liebe glaubt Viviana schon lange nicht mehr. Bis der smarte Noah sie zu einem zauberhaften Weihnachtstrip ins glitzernde New York entführt. Allmählich lernt sie, dem attraktiven Architekten zu vertrauen. Doch plötzlich scheint ihr Liebestraum in Gefahr …


  • Erscheinungstag 27.10.2020
  • Bandnummer 100
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748029
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nina Singh, Anne Taylor, Caroline Anderson, Rochelle Alers

ROMANA EXTRA BAND 100

NINA SINGH

Nur eine süße Weihnachtsromanze?

Celeste verbringt die Weihnachtstage in seinem Luxus-Resort? Für Reid eine Herausforderung. Denn der Hotel-Tycoon weiß genau, von der Ex-Braut seines Freundes sollte er die Finger lassen …

ANNE TAYLOR

Sinnliches Rendezvous mit dem Feind

Banker Eric Cortez hat nur ein Ziel: Die schöne Celine de la Tour muss ihm ihr Château verkaufen. Dafür zahlt er ihr jede Summe. Aber als er Celine küsst, wünscht er sich plötzlich etwas ganz anderes …

CAROLINE ANDERSON

Zauber einer weißen Winternacht

Je eisiger der Sturm tobt, desto wärmer wird Sebastian ums Herz. Denn solange müssen Georgia und ihr kleiner Sohn bei ihm ausharren. Ob er seine große Liebe zurückgewinnen kann, ehe der Schnee schmilzt?

ROCHELLE ALERS

Küsse, Schnee und Lichterglanz

Für ein Bauprojekt kauft Architekt Noah der attraktiven Viviana Land ab. Doch ein Blick von ihr genügt, und er will sie nur noch in seinen Armen halten. Hat sich der Playboy etwa verliebt?

1. KAPITEL

Ihre Schwester begriff es einfach nicht. Andererseits hatte Celeste ihr noch nie klarmachen können, was die Weihnachtsferien ihr bedeuteten. Genauso wenig wie ihrer Mutter. Ihre Familie würde sie nie verstehen. Und sie verstand die beiden auch nicht.

„Mir ist wirklich schleierhaft, warum du nicht längst darüber hinweg bist“, sagte Tara und warf frustriert die Arme hoch. „Deine Hochzeit war vor drei Jahren. Finde dich endlich damit ab!“

Tara war nicht dafür bekannt, besonders sensibel zu sein. Die Hochzeit, auf die sie sich bezog, hatte in Wirklichkeit nie stattgefunden. Nur mit Mühe unterdrückte Celeste ein Stöhnen. Sie war nicht in der Stimmung, jetzt darüber zu sprechen. Eigentlich wollte sie nicht einmal an den Tag denken, als man sie so demütigend vor dem Altar hatte stehen lassen. Den Tag, als sie auf den Bräutigam wartete, der nie erschien.

Diese Demütigung verfolgte sie manchmal noch bis in ihre Träume. Sie sah Dutzende von Augen, die sie anstarrten, während die Minuten verstrichen.

Eigentlich hätte sie Weihnachten eine Braut sein sollen. Stattdessen war sie sitzen gelassen worden.

Wieso verstand Tara nicht, dass sie die Feiertage am liebsten ignoriert hätte? Und dass es das Beste für ihren Seelenfrieden war, in dieser Zeit die Stadt zu verlassen, bis der Trubel hinter ihr lag?

Die nächste Frage ihrer Schwester bewies erneut, dass die sich überhaupt nicht in sie einfühlen konnte: „Wie kannst du deine Familie im Stich lassen, um ganz allein in die Karibik zu fliegen? Weihnachten ohne dich ist einfach nicht dasselbe.“

Ein Anflug von Schuldgefühl durchrieselte Celeste. Vielleicht würde sie eines Tages dazu in der Lage sein, alles hinter sich zu lassen und die Ferien sogar zu genießen. Aber noch war sie nicht so weit, nicht annähernd. Alles, was mit Weihnachten zusammenhing, erinnerte sie nach wie vor an Jack und die Tage, die mit einer unglaublichen Demütigung geendet hatten.

Darüber hinaus ging es bei der Enttäuschung ihrer Schwester noch um etwas anderes. Äußerlich wirkte es so, als wollte sie vor allem Weihnachten mit ihr verbringen. Aber tatsächlich steckte mehr dahinter, denn mit sechsundzwanzig Jahren war Tara nach wie vor finanziell von ihr abhängig. Genau wie ihre Mutter.

Celeste wusste, dass sie diese Abhängigkeit schon lange hätte eindämmen müssen. Besonders wenn man in Betracht zog, was es sie vor drei Jahren gekostet hatte. Doch sie hatte ein ausgeprägtes Pflichtgefühl, und ihr war klar, sie war als Einzige in ihrer Familie finanziell solide aufgestellt. Als ihr Vater ihre Mutter Wendy vor über zehn Jahren verließ, zerbrach etwas in ihr. Er hinterließ ihr nichts als Schulden, von denen Wendy und Tara sich nie erholten. Am Ende war sie als ältere Schwester es gewesen, die die Scherben eingesammelt hatte.

Was sie immer noch tat, denn Celeste wusste, sie konnte die beiden nicht im Stich lassen. Zumal Tara inzwischen selbst Mutter war.

„Ich war mir ganz sicher, dass du dieses Mal hierbleiben würdest“, erklärte Tara in diesem Moment, ihre Unterlippe zitterte.

„Wie kommst du denn darauf?“

„Weil der Ort, an den du sonst fährst, inzwischen komplett zerstört ist.“

Das stimmte allerdings. Die letzte Orkansaison hatte die Insel, auf die Celeste in der Regel immer fuhr, dem Erdboden gleichgemacht. Nachdem ihre Hochzeit geplatzt war, hatte sie sich an den Ort in der Karibik geflüchtet, wo das luxuriöse Resort lag, zu dem sie seitdem jedes Jahr im Dezember flog. Dieses Jahr war das leider keine Option.

Niedergeschlagen dachte Celeste an all die Leute, die sie dort kannte und die ihre Häuser verloren hatten. Sie hatte großzügig für den Wiederaufbau gespendet und sich gewünscht, mehr für die Insel tun zu können. Schweren Herzens hatte sie sich schließlich für ein anderes Resort entschieden. Doch jetzt sah es so aus, als erwartete ihre Familie von ihr, dass sie ganz auf den Urlaub verzichtete.

Und das, obwohl sie sowohl ihrer Mutter als auch ihrer Schwester rechtzeitig im Detail von ihren Plänen berichtet hatte.

Manchmal hatte sie das Gefühl, als würden die beiden sie gar nicht kennen.

Es brauchte mehr als eine Naturkatastrophe, um sie daran zu hindern, Manhattan über Weihnachten zu verlassen. Sie wollte nichts damit zu tun haben, konnte den ganzen aufgeregten Trubel, der damit einherging, nicht ausstehen. Die Weihnachtslieder, die Lichter, die Hektik, was den Kauf der Geschenke anging … Es irritierte und ärgerte sie zugleich.

Und das völlig unabhängig von den bösen Erinnerungen an ihre geplatzte Hochzeit. Das war nur noch ein zusätzlicher Punkt von Abneigung.

Sie blickte ihre Schwester an und merkte, dass Tara gleich anfangen würde zu weinen. Was sie tatsächlich rührte. Ja, Tara hatte ihre Fehler, doch Celeste wusste, dass sie sie wirklich vermissen würde.

„Ich hatte gehofft, wir könnten uns das Geschenk für Mom teilen“, erklärte Tara nun. „Du weißt ja, bei mir ist es im Moment ein bisschen eng …“

Celeste verkniff sich die Bemerkung, dass dies nichts Neues war. Für gewöhnlich war sie es, die für das meiste zahlte, wozu selbstverständlich das Weihnachtsessen gehörte. Aber warum auch nicht? Schließlich verdiente sie viel mehr als ihre Schwester.

Schweigend griff sie nach ihrem Scheckbuch, schrieb einen Scheck aus und reichte ihn Tara.

„Hier, das sollte für Moms Geschenk und ein Dinner im Restaurant reichen. Und du kannst dir auch noch etwas Nettes kaufen.“ Das war großzügig von ihr, denn tatsächlich hatte sie Tara ihr Weihnachtsgeschenk schon gegeben. Ein Paar goldene Ohrringe, vierzehn Karat, die sie hübsch in Seidenpapier eingewickelt hatte.

Taras Augen waren verdächtig feucht, als sie nach dem Scheck griff.

„Danke, Schwesterherz. Irgendwann zahle ich dir alles zurück, das verspreche ich dir.“

Celeste ergriff Taras Hand und drückte sie. „Ja, bestimmt“, versicherte sie ihr, obwohl sie ihre Zweifel hatte.

„Ich wünsche dir eine gute Reise. Freu mich schon auf unser Wiedersehen“, erklärte Tara mit einem Lächeln.

Obwohl ganz in Rot gekleidet, sah man, dass der Mann kein normaler Weihnachtsmann war. Denn weder war er alt und dick, noch wirkte er besonders fröhlich. Celeste fand zwar, dass er sich Mühe gab, seine Rolle gut zu spielen, sie fragte sich jedoch, ob die Hotelleitung nicht eine bessere Besetzung hätte finden können. Selbst aus der Distanz, von ihrer Strandliege aus, erkannte sie, dass er groß und schlank war. Sie beobachtete ihn dabei, wie er den Kindern Geschenke aus einem Sack überreichte. Irgendwie kam er ihr seltsam vertraut vor, aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein.

Den Kindern schien nichts aufzufallen. Sie lachten laut und packten ungeduldig ihre Präsente aus.

Celeste blätterte in dem Roman, den sie am Flughafen gekauft hatte, und versuchte sich darauf zu konzentrieren. Das war aber gar nicht so einfach, denn die Kleinen machten ziemlichen Lärm. Unwillkürlich musste sie an das denken, was sie vor drei Jahren verloren hatte, und ein Schatten senkte sich auf ihr Gemüt.

Natürlich hatte sie sich auch Kinder gewünscht, als sie Ja zu dem Mann sagte, der ihr einen Antrag machte. Und der sie dann so schmählich vor dem Altar stehen ließ.

Offensichtlich war dieses Resort mehr auf Familien zugeschnitten als das, wohin sie sonst fuhr. Vielleicht sollte sie sich für den Rest ihres Aufenthalts eine Stelle am Strand suchen, wo weniger los war. Das hier war nur schwer zu ertragen.

„Ho, ho, ho.“

Ohne dass sie es bemerkt hatte, war der Weihnachtsmann mit den Kindern im Gefolge näher gekommen und stand nur noch einige Meter von ihr entfernt.

Celeste stöhnte genervt auf. Kein Zweifel, ein paar der Kleinen waren ausgesprochen süß, aber deshalb war sie nicht hergekommen. Sie wollte sich entspannen und ganz bestimmt nicht über verpasste Chancen nachdenken.

Seufzend beugte sie sich hinunter und griff nach ihren Flipflops. Sie wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden, doch da hatte sie die Rechnung ohne den Weihnachtsmann gemacht.

Er trat noch einen Schritt näher und baute sich vor ihr auf.

„Bitte entschuldigen Sie, junge Dame“, sagte er. „Wir wollten Sie wirklich nicht stören.“

Kam es ihr nur so vor, oder machte er sich über sie lustig?

„Kein Problem“, versicherte sie ihm schnell und hatte erneut das Gefühl, als würde sie ihn irgendwoher kennen. Neugierig blickte sie ihn an, sah in ein Paar goldbraune Augen, von denen sie wusste, dass sie sie schon einmal gesehen hatte.

War es womöglich ein Kollege von ihr? Sie war Vizepräsidentin im Marketing eines Luxuswarenherstellers. In ihrer Position hatte sie es oft mit Agenturen zu tun. War dieser vorgebliche Weihnachtsmann vielleicht ein Schauspieler, den sie irgendwann gebucht hatte?

Doch eigentlich war es auch egal. Wichtig war nur, dass sie endlich Ruhe und Frieden fand. Denn dafür war sie schließlich hergekommen.

Der Weihnachtsmann schien jedoch andere Pläne zu haben.

„Entschuldigen Sie.“

Reid wusste, dass er sie hätte in Ruhe lassen sollen, aber er konnte nicht anders, er musste sie einfach ansprechen. Im Gegensatz zu ihr hatte er sie sofort erkannt, was vielleicht auch kein Wunder war. Schließlich hatten sie sich nicht im Guten getrennt. Seine Gefühle für sie waren durchaus gemischt.

Die Kinder wurden unruhig, sie waren gelangweilt vom Gespräch der beiden Erwachsenen. Celeste verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn mit unverhohlener Ablehnung an.

„Was kann ich für Sie tun?“ Sie zeigte auf seinen leeren Sack. „Offensichtlich haben Sie Ihren Job jetzt doch erledigt, oder?“

Reid zuckte zusammen. Sie kam ihm vor wie eine Prinzessin, die den Narren wegschickte. Was natürlich auch mit seiner lächerlichen Uniform zu tun hatte.

Warum war er überhaupt auf sie zugegangen? Er wusste schließlich, was er von einer Frau wie ihr erwarten konnte. Das Leben war viel zu kurz, um sich mit einer Zicke wie Miss Frajedi abzugeben. Er hatte wirklich Wichtigeres zu tun. Wie zum Beispiel das Resort auf Vordermann zu bringen.

Und doch konnte er nicht anders, als sie eingehend zu mustern. Die letzten drei Jahre waren anscheinend spurlos an ihr vorübergegangen. Sie war nach wie vor unglaublich attraktiv. Ihr dunkles lockiges Haar umrahmte ihre ausgeprägten Gesichtszüge mit den hohen Wangenknochen und den haselnussbraunen Augen. Kein Wunder, dass der arme Jack sich unsterblich in sie verliebt hatte. Glücklicherweise war er noch rechtzeitig zur Vernunft gekommen. Obwohl Reid wirklich nicht mit der Art einverstanden gewesen war, wie sein Freund die Beziehung zu Celeste beendet hatte. Das hatte er Jack auch deutlich zu verstehen gegeben, seitdem war ihr Verhältnis ein bisschen getrübt.

Sie runzelte die Stirn. „Kennen wir uns?“

Reid zögerte und war für einen Moment versucht, ihr zu sagen, wer er war. Doch dann entschied er sich dagegen. Schließlich war sie ein zahlender Gast und hatte Anspruch auf die Leistung, die sie gebucht hatte. Der Strand war mehr als einen Kilometer lang. Es gab keinen Grund, warum sie sich während der Dauer ihres Aufenthalts über den Weg laufen sollten.

Er nahm sich vor, das in Zukunft zu vermeiden, daher zuckte er die Achseln und sagte: „Jeder kennt mich. Ich bin schließlich der Weihnachtsmann.“

Sie sah ihn prüfend an und nickte. „Na gut. Okay, lieber Weihnachtsmann, dann werde ich mir jetzt mal einen Kaffee holen.“

Als sie sich an ihm vorbeischlängelte, stieg ihm der Duft von Sonnencreme in die Nase. Er holte tief Luft.

„Frohe Weihnachten, Prinzessin.“

Celeste ignorierte ihn, und er beobachtete, wie sie auf die Frühstücksbar zueilte. Im letzten Moment änderte sie jedoch die Richtung und schlug den Weg zu den Suiten ein. Offensichtlich war ihr der Appetit auf Kaffee vergangen. Schuldbewusst sah Reid ihr nach.

Verdammt, was hatte er getan? Sollte er sich bei ihr entschuldigen? Besonders professionell hatte er sich gerade nicht verhalten. Dabei hatte er sich vorgenommen, in seiner neuen Position als Mitinhaber des Baja Majestic Resorts auf Jamaika alle Gäste gleich zu behandeln. Aber weil er so überrascht gewesen war, sie hier zu sehen, hatte er sich wohl im Ton vergriffen.

Das durfte ihm nicht noch einmal passieren. Nicht wenn er sein Ziel, das Resort auf Vordermann zu bringen, erreichen wollte. Bedrückt dachte er an seinen Vater, dem es aufgrund seiner Spielsucht fast gelungen wäre, die Familie in den Bankrott zu treiben. Er riskierte stets zu viel, hatte sich nicht im Griff und überließ es ihm, seinem Sohn, die Scherben aufzulesen. Wenn es überhaupt jemandem gelingen konnte, die Evanson-Hotelkette und die Resorts wieder in Schwung zu bringen, war er es. Es war eine große Verantwortung, deren er sich erst noch würdig erweisen musste.

Und jetzt hatte er gerade einen wichtigen und vor allem zahlenden Gast vor den Kopf gestoßen.

Ob es ihm nun gefiel oder nicht, er würde sich für sein Verhalten bei Celeste Frajedi entschuldigen müssen.

Frohe Weihnachten, Prinzessin.

Die höhnischen Worte verfolgten Celeste bei ihrer Flucht in ihre luxuriöse Suite. Kaum hatte sie sie erreicht, knallte sie die Tür hinter sich zu und eilte auf den Balkon hinaus, der einen grandiosen Ausblick aufs Meer bot. Sie stützte sich auf dem Geländer auf und merkte, dass ihre Hände zitterten. Der angebliche Weihnachtsmann hatte sie aus der Fassung gebracht, das ließ sich nicht leugnen. Aber warum?

Es hatte irgendetwas mit dem Blick zu tun, mit dem er sie betrachtet hatte. Offensichtlich war er nicht erfreut gewesen, sie zu sehen, so viel stand fest.

Was allerdings wesentlich wichtiger war – wieso war er ihr so vertraut vorgekommen?

Sie schüttelte ungehalten den Kopf. Eigentlich war das doch ganz egal, oder? Fakt war, er war einem Gast gegenüber nicht sehr freundlich gewesen, und das war unter professionellen Gesichtspunkten unverzeihlich.

Trotzdem war es noch lange kein Grund, sich von ihm so irritieren zu lassen. Schließlich war auch sie ein Profi und hatte in ihrem Berufsleben schon viel provokantere Situationen erlebt. Am besten, sie vergaß die ganze Geschichte so schnell wie möglich.

Entschlossen drehte sie sich um und nahm sich vor, zu meditieren. Sie ließ sich auf dem Teppich nieder, atmete tief durch und entspannte alle Muskeln. Dann schloss sie die Augen und versuchte, ihren Geist komplett zu leeren.

Was allerdings alles andere als einfach war.

Klopf. Klopf. Klopf.

Celeste hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als das Klopfen sie aus ihrer meditativen Trance riss. Verdammt noch mal, würde man sie denn nie in Ruhe lassen?

„Zimmerservice“, erklang im nächsten Moment eine sanfte weibliche Stimme von der anderen Seite der Tür aus.

Sie erhob sich ein bisschen zu schnell und merkte dabei, dass ihre Muskeln schmerzten. Dann eilte sie zur Tür und öffnete sie.

„Das muss ein Irrtum sein“, sagte sie zu der Frau in Livree, die neben dem Servierwagen stand. „Ich habe nichts bestellt.“

Die Frau schüttelte lächelnd den Kopf. „Das hier geht auf Kosten des Hauses, Madam.“ Sie rollte den Wagen ins Zimmer und reichte ihr einen Umschlag. Dann drehte sie sich um und verließ den Raum.

Stirnrunzelnd riss Celeste den Umschlag auf und las die Notiz darin.

Bitte entschuldigen Sie die Störung von vorhin. Wir bedauern die Unannehmlichkeit und wünschen Ihnen weiterhin einen entspannten Aufenthalt.

Mit den besten Grüßen

The Baja Majestic Resort

Jemand vom Management schien den Zwischenfall mit ihr und dem angeblichen Weihnachtsmann mitbekommen zu haben. Prüfend betrachtete Celeste die Köstlichkeiten auf dem Servierwagen und musste zugeben, dass sie sich redlich Mühe gegeben hatten, um sie zu besänftigen.

Neben dem heißen Kaffee in der Silberkanne gab es eine Flasche Champagner im Kühler sowie Orangensaft, Croissants, Butter und Gebäck. Es sah unglaublich einladend aus. Plötzlich verspürte sie ein gewisses Schuldgefühl, als sie an den falschen Santa Claus dachte. Hoffentlich bekam er ihretwegen keine Schwierigkeiten. So schlimm war ihre Begegnung nun auch wieder nicht gewesen.

Sie beschloss, sich später darum zu kümmern und mit dem Personalchef über ihn zu sprechen, nachdem sie gefrühstückt hatte.

Schließlich war dies die Rolle, die man ihr im Leben zugedacht hatte. Wenn es jemanden gab, der immer für alles die Verantwortung übernahm, war sie es.

2. KAPITEL

„Einer der Gäste möchte dich sprechen, mi paadie.“

Reid sah von der Tabelle auf, die er gerade studierte, und betrachtete den Mann, der sein Büro, ohne anzuklopfen, betreten hatte. Alex war der zweite Besitzer des Resorts, und Reid war dafür dankbar, denn er hätte nie gewusst, wie er den Betrieb ohne ihn hätte leiten sollen. Schließlich kannte niemand die Insel und ihre Bewohner so gut wie Alex. Außerdem war er ein hervorragender Geschäftsmann.

Einen Fehler hatte er jedoch, er klopfte nie an, selbst wenn die Tür zu einem Raum geschlossen war. Allerdings war er, Reid, gerade nicht sehr beschäftigt, denn immer, wenn er sich auf die Zahlen konzentrieren wollte, musste er an haselnussbraune Augen denken. Er fragte sich, ob Celeste das Frühstück genossen hatte, das er ihr aufs Zimmer geschickt hatte. Würde sie seine Entschuldigung akzeptieren, oder hatte sie das Essen womöglich zurückgeschickt? Zutrauen würde er ihr das auf jeden Fall.

„Ja, hallo, Alex“, antwortete er seinem Partner, ohne vom Bildschirm aufzusehen.

„Hast du gehört, was ich gesagt habe, Alter?“

Reid nickte. „Ja, du meintest, dass einer der Gäste mich sprechen möchte.“

Alex lächelte. „Völlig richtig. Sie hat nach dir persönlich gefragt.“

War es nicht schon genug, dass man ihn abkommandiert hatte, heute den Weihnachtsmann zu spielen, da sich der Schauspieler, der für diese Rolle vorgesehen war, krankgemeldet hatte? Der Entertainment Manager hatte sich voller Panik an ihn gewandt, da es sonst niemanden gab, der diesen Part hätte übernehmen können. Seit Wochen war diese Veranstaltung angekündigt worden. Am Ende war es das Einfachste, das Kostüm anzuziehen und die Sache hinter sich zu bringen.

Nur hatte er nicht damit gerechnet, dabei auf eine Frau zu treffen, von der er überzeugt gewesen war, dass er sie nie wiedersehen würde.

Und jetzt musste er sich auch noch um irgendeinen aufgeregten Gast kümmern, der vermutlich ein besseres Zimmer wollte.

„Ich habe versucht, ihr zu sagen, dass ich der Besitzer dieses Resorts bin“, fuhr Alex fort. „Aber anscheinend will sie nur mit dir sprechen.“

Reid seufzte und erhob sich von seinem Schreibtisch. Vielleicht war es ja eine Frau, die er heute Morgen nicht gegrüßt hatte und die sich vernachlässigt fühlte.

Was auch immer es sein mochte, bestimmt war es am besten, die Sache schnell hinter sich zu bringen. Offenbar war das einer dieser Tage, an denen alles schiefging.

Celeste schüttelte den Kopf und versuchte, das, was sie sah, wegzublinzeln. Es musste eine Vision sein. Aber als sie die Augen wieder öffnete, stand der Mann immer noch vor ihr.

Sie konnte es kaum fassen. „Du bist der unverschämte Weihnachtsmann?“ Ihre Stimme war lauter als beabsichtigt, und alle Gäste in der Lobby starrten sie an. Eine Frau kicherte leise.

Eins musste man ihm lassen – Reid Evanson ließ sich von ihrem Ausbruch nicht aus der Fassung bringen. Plötzlich ergaben die Ereignisse von heute Morgen einen Sinn. Sie hatte sich also die Abneigung, die der gespielt fröhliche Weihnachtsmann ihr gegenüber ausstrahlte, nicht eingebildet.

Nun, das galt für beide Seiten.

„Was machst du denn hier?“, wollte sie von ihm wissen.

Reid schob die Hände in die Hosentaschen, bevor er antwortete: „Du hast nach mir gefragt.“

„Ich meine, was machst du hier in diesem Resort?“

„Ihr beide kennt euch?“, fragte der andere Mann im Zimmer erstaunt.

„Ja, wir sind flüchtig miteinander bekannt“, gab Reid zurück.

Prüfend sah Celeste ihn an und musste zugeben, dass er nicht wesentlich gealtert war. Der Dreitagebart, der ein bisschen dunkler als sein blondes Haar war, stand ihm gut. Anstelle des Kostüms von heute Morgen trug er jetzt eine Kakihose und ein T-Shirt, das seinen durchtrainierten Oberkörper zur Geltung brachte.

„Warum wolltest du mich sprechen?“, erkundigte Reid sich.

„Das wollte ich ja gar nicht. Ich wollte mit dem Weihnachtsmann sprechen.“

Alex schmunzelte, und sie errötete. Natürlich war ihr klar, wie albern ihre Worte klangen.

Reid trat auf sie zu und nahm sie beim Arm. „Lass uns das Ganze in meinem Büro besprechen, okay?“

In seinem Büro? Den Raum, in den er sie kurz darauf führte, konnte man nur als gigantisch bezeichnen. Bodentiefe Fenster gaben den Blick auf den Strand und das kristallblaue Meer frei. Der Teppich war so dick, dass sie glaubte, darin zu versinken. Im Zentrum stand ein riesiger Schreibtisch, auf dem sich drei Monitore befanden.

„Du leitest das Resort?“, fragte sie erstaunt.

Er nickte. „Ich bin einer der Eigentümer. Der andere ist Alex Wiliston, den du ja schon kennengelernt hast.“

Jetzt erst ergab alles einen Sinn. Plötzlich erinnerte Celeste sich daran, dass Reid aus einer reichen Hoteliersfamilie stammte und dass sie gelesen hatte, das Unternehmen sei in Schwierigkeiten geraten und dass er den Vorsitz von seinem Vater übernommen hatte und es seitdem aufwärtsging.

„Aber … wenn dir das Resort gehört … warum hast du dann heute Morgen … ich meine …“

„Ich musste kurzfristig für einen Angestellten einspringen.“

„Verstehe“, erwiderte sie und biss sich auf die Unterlippe.

Plötzlich wurde ihr alles zu viel. Sie hatte schließlich nicht die Flucht aus Manhattan ergriffen, um an den katastrophalen Ausgang ihrer Beziehung erinnert zu werden und sich mit jemandem konfrontiert zu sehen, der eine wichtige Rolle in dem ganzen Debakel gespielt hatte.

Reid war der Trauzeuge ihres Ex-Verlobten gewesen. Und Celeste wusste, dass er der Meinung war, sie sei nicht gut genug für seinen Freund.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte Reid, denn etwas Besseres fiel ihm nicht ein.

Celeste schüttelte den Kopf. „Nein danke. Ich habe gerade Kaffee getrunken und mir ein Glas Champagner gegönnt. Aber ich nehme an, das weißt du. Sicher warst du es doch, der mir den Zimmerservice geschickt hat, oder?“

Er nickte. „Stimmt. Hat es dir geschmeckt?“

Sie riss die Augen auf. „Tun wir das wirklich?“

„Was denn?“

„Vorgeben, dass ich ein ganz normaler Gast bin?“

Sein Schuldbewusstsein verstärkte sich, denn natürlich war sie hier Gast, und noch dazu ein zahlender. Dass er vorhin so brüsk zu ihr gewesen war, tat ihm leid. Er war nur unglaublich überrascht, sie hier zu sehen.

„Aber genau das bist du doch“, erwiderte er und setzte galant hinzu: „Außerdem bist du auch noch ein sehr geschätzter Gast, und ich möchte mich bei dir unbedingt für mein unmögliches Benehmen von vorhin entschuldigen. Ich hätte nie zulassen dürfen, dass unsere … äh, gemeinsame Geschichte sich auf die Behandlung einer unserer Gäste auswirkt. So etwas darf nicht passieren.“

Er meinte es damit wirklich ernst. Es gab keine Entschuldigung für sein Verhalten. Wahrscheinlich hing es mit dem schrecklichen Telefonat zusammen, das er davor mit seinem Vater geführt hatte. Seinem Vater, der sie um ein Haar in den Ruin getrieben hätte, wäre er, Reid, nicht in letzter Minute eingesprungen.

Celeste wirkte nicht überzeugt von seinen Worten.

„Ich versichere dir, es wird nie wieder vorkommen“, sagte er deshalb. „Am besten, du vergisst, dass ich überhaupt hier bin.“

Ihr skeptischer Blick verriet ihm, dass sie nach wie vor zweifelte.

Am besten, du vergisst, dass ich überhaupt hier bin.

Ha! Das war leichter gesagt als getan. Plötzlich erkannte Celeste, dass es ein Fehler gewesen war, herzukommen. Wieso hatte sie sich ausgerechnet für dieses Resort entschieden, als sie ihren Urlaub plante? War das Ganze etwa ein kosmischer Witz der Götter, die sich über sie lustig machen wollten?

Sie ließ sich auf das riesige Bett in ihrer Suite fallen und stöhnte laut auf. Nein, sie konnte nicht einfach vergessen, dass Reid Evanson ausgerechnet hier auf dieser Insel war. Und sie konnte ebenfalls nicht vergessen, wie er sie vor drei Jahren behandelt hatte: als würde sie nie gut genug für seinen geliebten Freund sein.

Auch wenn sich herausstellte, dass Jack ein verantwortungsloser Mistkerl war, der sie am Altar stehen ließ. Erst jetzt wusste sie, dass er ihr damit einen Gefallen getan hatte. Sie war inzwischen zu der Erkenntnis gelangt, dass sie nicht für eine Familie oder eine feste Beziehung geeignet war. Was bedeutete, er hatte ihr dabei geholfen, den größten Fehler ihres Lebens zu vermeiden.

Den Fehler, den auch ihre Mutter gemacht hatte.

Was sie natürlich trotzdem nicht vor der schlimmsten Demütigung ihres Lebens bewahrt hatte. Wobei Reid als Zeuge zuschaute. Damals hatte sie das Gefühl gehabt, dass er glaubte, sie hätte es nicht anders verdient.

In diesem Moment klingelte ihr Handy, und das Bild ihrer Schwester erschien auf dem Display. Sie hielt ihre kleine Nichte auf dem Schoß. Celeste stöhnte erneut und überlegte kurz, ob sie überhaupt rangehen sollte. Andererseits brauchte sie jetzt tatsächlich jemanden zum Reden, daher nahm sie das Gespräch an.

„Hallo, Tara.“

„Hallo, Schwesterherz.“

Im Hintergrund erklang laute Kindermusik.

„Was gibt’s denn?“

„Ich wollte nur mal hören, wie es im Paradies so läuft.“

Sie seufzte. „Also, um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee war, herzukommen.“

„Wie bitte?“, gab Tara erstaunt zurück. „Warum denn nicht? Was ist passiert?“

„Nun, hier ist jemand aufgetaucht, mit dem ich wirklich nicht gerechnet habe.“

„Ein Mann? Mit dem du mal eine Affäre hattest? Nun spuck es schon aus, und lass dir nicht jedes Detail aus der Nase ziehen. Wer ist es?“

Celeste zögerte. „Ach, ist nicht so wichtig. Wie geht’s Mom? Und der kleinen Nat?“

„Uns geht es gut“, erwiderte Tara ungeduldig. So leicht ließ sie sich nicht von dem Thema abbringen, das sie brennend interessierte. „Also, wer ist denn jetzt dieser geheimnisvolle Mann? Wie hast du ihn überhaupt getroffen? Und was bedeutet er dir?“

Celeste öffnete den Mund, um lautstark zu protestieren. Reid Evanson bedeutete ihr absolut gar nichts. Und sie hatte in den letzten drei Jahren auch kaum an ihn gedacht.

Irgendwie wollte ihr diese Lüge jedoch nicht über die Lippen kommen.

3. KAPITEL

Alex stand mitten in seinem Büro und studierte ihn, Reid, wie ein Insekt unter dem Mikroskop.

„Gibt es irgendwas, das ich für dich tun kann?“, fragte Reid schließlich ungeduldig.

„Ja, unbedingt. Du kannst mir die Frage beantworten, die ich dir und der jungen Dame gestellt habe. Und die ihr mir beide nicht beantwortet habt.“

Reid tat so, als würde er weiterhin die Tastatur bearbeiten, doch es sah tatsächlich so aus, als wollte sein Freund nicht lockerlassen. Daher gab er es schließlich auf und lehnte sich seufzend auf seinem ledernen Bürostuhl zurück.

„Also gut. Was willst du wissen?“

„Was weißt du über unseren Gast? Ich habe den Eindruck, sie ist allein gekommen.“

„Ja, und?“

„Hat das irgendetwas mit dir zu tun?“

„Was? Nein, natürlich nicht. Jedenfalls nicht direkt.“

Er hatte gar nicht gemerkt, dass er die letzten Worte gemurmelt hatte, bis Alex ihn darauf aufmerksam machte.

„Was soll das heißen, Reid? Nicht direkt?“

Er seufzte und merkte, dass er dringend eine Nackenmassage gebrauchen könnte.

„Es ist nicht so, wie du glaubst, Partner.“

„Sondern? Jetzt lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Ihr beide habt offensichtlich eine gemeinsame Geschichte, und sie scheint nicht besonders positiv zu sein.“

Reid gab sich geschlagen. „Celeste hätte fast einen sehr engen Freund von mir geheiratet. Und ich kann dir sagen, seit ihre Beziehung zu Ende ist, ist er nicht mehr derselbe.“

„Sie hat mit ihm Schluss gemacht?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, nicht direkt.“

„Das verstehe ich nicht.“

Wie sollte er seinem Freund das nur erklären? Reid gab sich einen Ruck. „Also, von außen betrachtet war es Jack, der mit ihr Schluss gemacht hat. Du musst wissen, dass Celeste eine sehr erfolgreiche Marketingspezialistin ist. Sie hat in New York einen untadeligen Ruf, gilt aber auch als skrupellos, wenn es darum geht, ihre Interessen durchzusetzen.“

„Du hast gesagt, dein Freund sei nicht mehr derselbe, seit die Hochzeit geplatzt ist.“

Er nickte. „Ja, das stimmt. Er ist ziemlich aus der Spur geraten, macht nur noch Party und treibt sich mit verschiedenen Frauen herum.“

Alex runzelte die Stirn. „Verstehe. Und das hat er nicht gemacht, bevor er Celeste getroffen hat?“

Darauf blieb Reid ihm die Antwort schuldig, denn wenn er ehrlich war, hatte Jack schon immer ein Lotterleben geführt. Wenn überhaupt, hatte Celeste in dieser Hinsicht einen guten Einfluss auf ihn ausgeübt.

„Also, es war so … Er hat mir erzählt, dass sie rund um die Uhr gearbeitet hat und nie für ihn da war. Irgendwann hat er sich dann wie ein Single gefühlt. Weißt du, sie ist sehr ehrgeizig und ihre Arbeit geht ihr über alles.“

Alex nickte. „Immerhin hat sie unsere teuerste Suite gebucht. Sie muss es in ihrem Job weit gebracht haben.“

Reid zuckte mit den Schultern. „Ja, wahrscheinlich. Manche Leute kriegen den Hals eben nie voll.“ Das galt bestimmt für seinen Vater und sicher auch für Celeste.

Alex kniff die Augen zusammen und sah ihn an. „Kann es sein, dass du ein bisschen voreingenommen bist, was die ganze Sache angeht?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich auf dem Absatz um und verließ das Büro.

Offensichtlich hatte es sich um eine rhetorische Frage gehandelt.

Reid sah seinem Freund und Partner nachdenklich hinterher. Konnte es sein, dass er Celeste unrecht tat? Natürlich hatte Alex recht, er kannte wirklich nur Jacks Version der Geschichte. Aber schließlich waren sie seit der Universität Freunde, und Jack hatte sich mehr als einmal für ihn eingesetzt.

Je näher die Hochzeit gerückt war, desto bedrückter wurde Jack und beschwerte sich bei ihm öfter darüber, wie kühl und kritisch Celeste ihm gegenüber geworden war, als ein paar seiner Geschäfte platzten. In Jacks Augen hatte sie es an jeder Empathie fehlen lassen.

Frustriert knallte Reid seinen Laptop zu.

War das nicht alles längst vorbei? Jack war erwachsen, er konnte auf sich selbst aufpassen. Das hoffte er jedenfalls, auch wenn das Verhalten seines Freundes etwas Selbstzerstörerisches hatte. Aber durfte er Celeste dafür tatsächlich verantwortlich machen?

Wenn er ihr gegenüber fair sein wollte, gab es darauf nur eine Antwort.

Nein, nicht wirklich.

Fröhliche Reggae-Musik begrüßte Celeste, als sie auf dem Weg zum Strand auf das große Zelt zuging, in dem sie heute zum ersten Mal ihr Dinner einnehmen wollte. Sie hatte ihren Roman dabei und freute sich auf ein Glas Weißwein und einen Teller Seafood. Leider war ihr Morgen alles andere als entspannt gewesen, daher fand sie, dass sie sich ein vorzügliches Abendessen und eventuell einen kleinen Strandspaziergang verdient hatte.

Je näher sie kam, desto mehr verlangsamten sich jedoch ihre Schritte. Das Zelt war voll, kein einziger Tisch schien frei zu sein.

„Hätten Sie vielleicht einen Tisch für eine Person?“, erkundigte sie sich bei der hübschen Dame am Empfang.

Die schüttelte bedauernd den Kopf. „Im Moment leider nicht, Miss. Es gibt nur noch Plätze an der Bar. Und selbst die werden bald weg sein, wenn Sie sich nicht beeilen.“

Sie zeigte auf den langen Tresen, hinter dem mehrere Barkeeper damit beschäftigt waren, Drinks für die Gäste zu mixen.

Celeste seufzte frustriert, marschierte auf die Bar zu und ließ sich auf einem der Hocker nieder, direkt neben einem dickeren älteren Mann in einem Hawaiihemd und einer fülligen Brünetten. Sie griff nach der Getränkekarte.

Im nächsten Moment kam einer der Barkeeper zu ihr. Auf seinem goldenen Namensschild stand in Schwarz Philippe. „Was kann ich für Sie tun?“ Er lächelte sie gewinnend an.

Leider war sie nicht in Stimmung für einen Flirt. Sie gab immer ein üppiges Trinkgeld, wenn der Service gut war, deswegen musste er sie nicht gleich anmachen. Sie bestellte ein Glas Prosecco und eine Portion Fischtacos und war froh, als beides kurz darauf vor ihr stand.

Vielleicht hätte sie sich doch etwas aufs Zimmer bringen lassen sollen, denn nun musste sie sich mit den Aufmerksamkeiten des Barkeepers herumschlagen, wonach ihr im Moment wirklich nicht zumute war. Ihr kam der Gedanke, nach ihrer Rückkehr eine Online-Bewertung des Resorts zu schreiben. Bis jetzt würde die nicht sehr positiv ausfallen.

Kaum hatte sie den letzten Bissen gegessen, erschien Philippe erneut und strahlte sie an.

„In einer Stunde habe ich Feierabend. Dürfte ich Ihnen dann vielleicht einen Drink ausgeben?“

Celeste wollte gerade antworten, als eine tiefe Männerstimme hinter ihr erklang: „Miss Frajedi, ich hoffe, das Dinner hat Ihnen geschmeckt.“

Sie musste sich gar nicht umdrehen, denn sie erkannte Reid sofort.

Der Barkeeper zuckte zusammen und sah ihn erschrocken an. „Oh, guten Abend, Boss.“

Vorsichtig drehte sie sich um. Reid stand mit verschränkten Armen vor ihr und wirkte nicht besonders relaxed. Auf den Gruß des Barkeepers antwortete er nur mit einem kurzen Nicken. Dann streckte er die Hand aus und zog sie, Celeste, zu ihrer Überraschung vom Hocker herunter.

„Aber ich habe doch noch gar nicht bezahlt“, protestierte sie.

„Das geht aufs Haus“, sagte er und warf Philippe einen scharfen Blick zu.

„Natürlich, Boss“, erwiderte der sofort.

Sie hätte sich nicht gewundert, hätte er die Hacken zusammengeschlagen. Schnell griff sie nach einer Serviette und wischte sich den Mund ab. Dann ließ sie es zu, dass Reid sie von der belebten Bar weg und zum Strand führte.

„Wahrscheinlich seht ihr es nicht so gern, wenn das Personal mit den Gästen flirtet, oder?“, fragte sie nach ein paar Minuten ungemütlichen Schweigens. Die Sonne war kurz davor unterzugehen und tauchte den Himmel in rotorangenes Licht.

„Also, es gibt keine Regel, die das verbietet. Aber wir ermutigen die Leute auch nicht dazu.“

Er klang müde und angespannt. Wenn es keine Regel dagegen gab, warum wirkte er dann so verärgert? Hatte es etwas mit ihr zu tun?

„Ich werde mit dem Personalchef sprechen“, sagte er. „Es wird bestimmt nicht wieder vorkommen.“

Celeste nickte und zog ihre Sandalen aus, um barfuß über den Sand zu laufen. „Das ist heute schon deine zweite Entschuldigung.“

Er atmete tief aus. „Ich fürchte, wir hatten einen schlechten Start.“

Sie wusste, dass er sich auf das Resort bezog, doch sie nutzte die Gelegenheit, die Sache beim Namen zu nennen. „Oder wir machen einfach so weiter wie vor drei Jahren.“

Zwar ging er unbeirrt neben ihr her, aber sie hätte schwören können, dass sich sein Körper unmerklich versteifte.

„Ich dachte, deine Absicht auf dieser Reise war, alles zu vergessen?“

Sie blieb einen Moment lang stumm. „Also, eine Sache würde mich wirklich sehr interessieren. Ich hatte immer den Eindruck, dass du mit unserer Hochzeit nicht einverstanden warst.“ Oder genauer gesagt, nicht mit ihr als Braut.

„Ihr beide habt einfach nicht zueinandergepasst“, erwiderte Reid schlicht.

Aus irgendwelchen Gründen verletzte sie diese Antwort nicht, denn sie wusste, dass er recht hatte. Auch wenn es nicht angenehm war, das aus seinem Mund zu hören.

Sie konnte sich schon vorstellen, wie er zu diesem Schluss gekommen war, denn sie und Jack stammten aus komplett verschiedenen Welten. Für das, was sie erreicht hatte, hatte sie hart arbeiten und kämpfen müssen. Jack hingegen finanzierte sein Leben mithilfe eines Treuhandfonds und hatte stets Reichtum und Privilegien erfahren.

Genau wie der Mann neben ihr. Doch wenn sie ehrlich war, hatten die beiden Männer darüber hinaus nicht viel gemeinsam.

Während Reid immer rund um die Uhr gearbeitet hatte, um sein Familienunternehmen aus den roten Zahlen zu bringen, war Jack nur ein Aushängeschild für die Reederei, die seiner Familie gehörte, und hatte sich noch nie die Finger schmutzig gemacht.

Celeste schüttelte den Kopf. Was brachte es, die beiden Männer miteinander zu vergleichen? Im Grunde wollte sie keinen weiteren Gedanken an Jack verschwenden. Warum hatte sie überhaupt seinen Namen erwähnt? Trotzdem, irgendwas an Reids Aussage ließ sie nicht los.

„Was meinst du damit?“, hakte sie nach. „Dass wir nicht zueinander gepasst haben, meine ich.“

Er zuckte die Achseln. „Eure Persönlichkeiten sind nicht besonders kompatibel, würde ich sagen. Er ist nicht so … ehrgeizig wie du, obwohl auch du eine Seite hast, die …“ Er brach mitten im Satz ab und schüttelte den Kopf. „Eigentlich ist es egal. Außerdem geht es mich nichts an.“

Sie stupste ihn an. „Nein, bitte sprich den Satz doch zu Ende. Es gibt eine Seite an mir, die …“

Reid stieß einen tiefen Seufzer aus und betrachtete den Horizont. „Nun, ich glaube, du warst einfach zu stark für ihn. Du hast ihn überwältigt mit deiner Energie, deiner Entschlossenheit. Damit konnte er nicht umgehen.“

Ein Schleier schien seinen Blick zu bedecken, und sie hatte das Gefühl, als hätte er am liebsten hinzugefügt: im Gegensatz zu mir.

Eine Weile blieben sie stumm, man hörte nur das Rauschen der Wellen vor ihnen. Celeste machte keine Anstalten, dagegen zu argumentieren, denn ihr war klar, dass er die Wahrheit ausgesprochen hatte. Ja, sie gab sich alle Mühe, ihre Wildheit und Ungezähmtheit hinter ihrem professionellen Auftreten zu verbergen. Niemand wusste, dass sie als Teenager gebettelt und gestohlen hatte und dass sie zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester damals fast ein Jahr lang obdachlos gewesen war.

Das war ihr Hintergrund. Sie hatte gründlich die persischen Wurzeln ihres abwesenden Vaters untersucht, fasziniert von der fremden Kultur.

Reid schien von alldem etwas zu ahnen, obwohl sie sich vor drei Jahren komplett fremd gewesen waren.

„Ich … ich weiß nicht, was du damit meinst“, sagte sie stockend. „Dass ich zu stark für ihn war und ihn überwältigt habe.“

Er drehte sich zu ihr um und sah ihn an. „Nimm es als Kompliment.“

Eigentlich hatte Reid nicht vorgehabt, nach dem Büro an der Bar vorbeizuschauen. Nach dem langen, frustrierenden Tag wollte er nur noch in seine Suite, sich eine Flasche Cabernet und einen Burger bestellen und die Füße hochlegen.

Doch dann hatte er aus der Ferne Celeste am Tresen gesehen, und das hatte ihn veranlasst, stehen zu bleiben und sie zu betrachten. Sie war allein, aber es sah nicht so aus, als würde ihr das etwas ausmachen. Wie sie so dagesessen hatte, in ihr Buch vertieft und vor ihrem Glas Wein und dem Seafood sitzend, hatte sie sehr zufrieden gewirkt. Eigentlich hatte er es dabei belassen wollen, doch dann war ihm aufgefallen, dass der Barkeeper sich um sie bemühte, was ihm irgendwie nicht gefallen hatte.

Beim Näherkommen hatte er gehört, dass der Angestellte ihr einen Drink anbot. Das hatte ihn dazu bewogen, einzugreifen. Aber wieso war er danach mit ihr an den Strand gegangen? Genauso gut hätte er ihr eine gute Nacht wünschen und seiner Wege gehen können. Dann wäre ihm diese peinliche Unterhaltung erspart geblieben. Eine Unterhaltung, in der es vor allem um Dinge ging, die in der Vergangenheit lagen.

Celeste räusperte sich. „Seit wann leitest du dieses Resort?“

Sie war offensichtlich bemüht, das Thema zu wechseln.

„Seit letztem Sommer“, erwiderte er prompt. „Ich wollte schon seit einiger Zeit in die Karibik expandieren und da fiel mir diese Gelegenheit in den Schoß. Glücklicherweise ist dies eine der wenigen Inseln, die von den Wirbelstürmen verschont worden sind.“

Sie lachte.

„Was ist daran so komisch?“

„Ich bin nur aus diesem Grund hier. Die Insel, auf die ich normalerweise fliege, wurde dem Erdboden gleichgemacht. Es gab nicht viele Alternativen zu buchen.“

„Hey, warte mal!“ Er sah sie verletzt an. „Willst du wirklich behaupten, du bist nur hier, weil du keine anderen Optionen hattest?“

Sie lächelte, der Wind blies ihr eine dunkle Locke ins Gesicht. Es zuckte ihm in den Fingern, sie zurückzustreichen.

„Ich fürchte, ja. Und um ehrlich zu sein, ich vermisse meine Insel. Nimm es mir bitte nicht übel.“

„Darum geht es nicht. Ich mache mir nur Sorgen als Geschäftsmann. So toll scheint unser Resort offensichtlich nicht zu sein, wenn es für dich nur zweite Wahl ist.“ Wie viele der Gäste sahen das wohl auch so? Er hätte nicht gedacht, dass die Konkurrenz so stark war.

„Willst du meine professionelle Einschätzung hören?“

Reid lachte. „Kann ich mir das überhaupt leisten? Du hast den Ruf, nicht gerade billig zu sein.“

„Betrachte es von mir aus als Gratisangebot.“

Er neigte den Kopf und hörte ihr aufmerksam zu.

„Also, um es mal ganz deutlich zu sagen: Euer Marketing ist suboptimal. Ziemlicher Müll sogar.“

„Wie bitte?“

Sie lachte. „Nein, im Ernst, ich habe mir eure Website angeschaut. Es gibt nichts darauf, das mich dazu bewegen könnte, direkt zu buchen. Außer ein paar hübschen Fotos vom Strand finde ich da keine wichtigen Informationen für die Gäste, wie zum Beispiel besondere Sehenswürdigkeiten hier in der Gegend, die Aktivitäten und Events im Hotel sowie …“

„Du hast trotzdem bei uns gebucht.“

Sie nickte. „Ja, aber nur, weil ich keine Alternativen hatte und befürchten musste, dass alles andere längst ausgebucht war. Weihnachten herrscht ja überall Hochbetrieb, und ich bin nicht die Einzige, die in dieser Zeit raus aus der Stadt will.“

Reid erahnte den Grund dafür. Er wusste schließlich, dass sie und Jack geplant hatten, an Weihnachten in die Flitterwochen zu fliegen. Es hätte so schön romantisch sein können, wenn nicht alles zusammengebrochen wäre.

Er hatte sich allein auf Jacks Wort verlassen und Celeste die Schuld an dem ganzen Desaster zugeschoben. Aber vielleicht war das ein Fehler gewesen.

Sie redete weiter über das Thema, das ihr so am Herzen lag – die PR des Hotels, die ihrer Meinung nach verbesserungswürdig war: „Um ehrlich zu sein, gibt es hier nichts, das mich dazu bewegen würde, ein zweites Mal herzukommen. Außer unserer Geschichte natürlich.“

Er seufzte und nickte bedrückt. „Ja, ich weiß, du erzählst mir damit nichts Neues. Mir war nur nicht klar, wie dringend wir etwas in dieser Sache unternehmen müssen. Ich werde es ganz oben auf die Liste setzen. Wir haben auch schon mit ein paar Marketingfirmen gesprochen, bisher aber niemanden gefunden, der unseren Vorstellungen entspricht.“

„An eurer Stelle würde ich so schnell wie möglich handeln.“

Celeste hatte recht. Erneut kam ihm der Gedanke, dass dieses Unternehmen vielleicht eine Nummer zu groß für ihn war, offensichtlich bestand ein gehöriger Unterschied darin, ob man ein Hotel in der Stadt oder ein Resort auf einer Insel leitete.

Ohne Alex an seiner Seite wäre er wahrscheinlich komplett aufgeschmissen, aber offenbar reichte ihre Leistung nicht.

„Hast du irgendwelche Vorschläge?“

„Willst du wirklich, dass ich im Urlaub arbeite?“, gab sie zurück und zwinkerte ihm zu.

Reid musste lachen. „Tut mir leid. Ich bin schrecklich.“

Inzwischen waren sie am Pier angekommen, wo die Ausflugsboote lagen. Manche von ihnen waren noch auf See. Reid war klar, dass er demnächst einen oder zwei der Ausflüge mitmachen musste, damit er wusste, worauf seine Gäste sich einließen. Er stützte sich auf das Geländer und sah hinunter ins Wasser, wo ein Schwarm blaugoldener Fische direkt unter der Oberfläche schwamm.

„Du hast recht“, sagte er. „Wir müssen unsere Angebote besser kommunizieren.“ Die Ausflüge, die die Gäste buchen konnten, waren ein gutes Beispiel. Natürlich, in der Lobby stand eine große Tafel, auf der die einzelnen Möglichkeiten aufgelistet waren, aber es handelte sich dabei nur um nüchterne Informationen und nicht um Werbung für die vielen abenteuerlichen Erfahrungen, die man rund um die Insel machen konnte.

Plötzlich hatte er eine Idee. Und sie hatte mit der Frau an seiner Seite zu tun. Hoffentlich ließ sie sich überzeugen, darauf einzusteigen.

4. KAPITEL

Celeste erwachte, als ein Blatt Papier unter ihrer Tür hindurchgeschoben wurde.

Was zum …?

Die Rechnung konnte es nicht sein, denn sie wollte erst in ein paar Tagen abreisen. Wenn man sie mit einem anderen Gast verwechselt haben sollte, würde Reid etwas von ihr zu hören bekommen. Sie sah auf die Uhr und erkannte, dass es bereits nach halb zehn war. Normalerweise schlief sie nie so lange. Sie hatte allerdings auch eine ruhelose Nacht hinter sich. Immer, wenn sie die Augen schloss, hatte sie an ihn und sein Lächeln denken müssen, als sie zusammen den Strand entlanggelaufen waren.

Wann hatte sie so etwas zuletzt mit einem Mann gemacht? Sie konnte sich nicht daran erinnern. Waren Jack und sie je am Meer gewesen? Nein, bestimmt nicht. Vielleicht war das der Grund dafür, dass sie so gern an Weihnachten auf einer tropischen Insel war.

Wann hatte sie überhaupt zuletzt ein Date mit einem Mann gehabt? Jedenfalls war das schon sehr lange her. Sie stöhnte, erhob sich aus dem Bett und ging zur Tür.

Neugierig hob sie das Papier auf, das sich als Umschlag herausstellte. Sie öffnete ihn, zog eine Karte hervor und las sie, wobei ihr Herz heftig zu klopfen begann.

Falls du noch nicht gefrühstückt hast, komm doch bitte herunter. Es gibt ein paar Dinge, die ich gern mit dir besprechen würde. Es wird keine verschwendete Zeit sein. Du kannst mich in meinem Büro abholen, wenn du magst.

Reid

Was, in aller Welt, hatte er vor? Alarmglocken begannen in ihrem Kopf zu schrillen. Auf der Karte stand auch seine Handynummer. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte sie, ob es nicht besser wäre, ihn anzurufen und ihm zu sagen, dass sie schon gefrühstückt hatte. Oder dass sie keine Zeit hatte. Nein, noch besser, dass es sie nicht interessierte, was er ihr zu sagen hatte. Doch das wäre eine Lüge, denn in Wirklichkeit war sie äußerst neugierig darauf. Die Vorstellung, ihn wiederzusehen, elektrisierte sie. Immer wieder hatte sie letzte Nacht an ihn und seine Worte denken müssen.

Was natürlich ein triftiger Grund wäre, um sein Angebot abzulehnen.

Verdammt, der Mann war der beste Freund ihres Ex-Verlobten. Vor zwei Tagen hatte er ihr noch vorgeworfen, sie habe die Schuld an dem ganzen Debakel und dass sie Jack von Anfang an dominiert habe.

Nein, es gab wirklich keinen Grund, ihn wiederzusehen.

Aber warum ging sie dann zum Schrank und zog ihr hübschestes Sommerkleid daraus hervor? Das rote, das ihre Haut zum Leuchten brachte, mit den Spaghettiträgern und dem weiten bauschigen Rock, das all ihre Kurven betonte?

Erneut schrillten die Alarmglocken, doch Celeste ignorierte sie.

Sie legte das Kleid aufs Bett und ging ins Bad, um zu duschen.

Es kann ja nicht schaden, sie zu fragen, dachte Reid, als er im Büro saß und ungeduldig auf Celestes Antwort wartete. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu ihrem Strandspaziergang zurück. Er musste sich zu seiner Überraschung eingestehen, dass er die Zeit mit ihr sehr genossen hatte.

Was vielleicht auch damit zusammenhing, wie sie aussah, als sie am Pier stand. Der Wind spielte mit ihren Haaren, und ihre Haut war leicht gebräunt. Wie eine Göttin, hatte er in diesem Moment gedacht.

Und dann hatte er die ganze Nacht lang an nichts anderes mehr denken können.

Doch all das hatte nichts mit seinem Vorschlag, sich mit ihr zu treffen, zu tun. Das war rein professionell.

In diesem Moment flog die Tür auf, und er schaute nicht einmal auf, denn es gab nur eine Person, die nie anklopfte.

„Guten Morgen, Partner“, sagte Alex.

Reid nickte nur.

„Dein Vater hat mehrmals bei der Rezeption angerufen“, informierte Alex ihn. „Er hat sich darüber beschwert, dass du ihn nie zurückrufst.“

Reid sah seinen Freund irritiert an. Sein Vater war wirklich eine Nervensäge.

„Warum sollte ich ihn zurückrufen? Es interessiert mich nicht, was er mir zu sagen hat.“ Vermutlich ging es wieder um die bevorstehende Hochzeit seines Vaters mit einer sehr viel jüngeren Frau. Er seufzte und nickte. „Na gut, ich werde mich bei ihm melden. Und sei es nur, damit er endlich Ruhe gibt.“

Allerdings würde er zuerst mit seiner Mutter sprechen, das nahm er sich fest vor.

Er wusste, was der Grund für diese erneuten Anrufe war. Dank seiner Anstrengungen schrieb das Unternehmen wieder schwarze Zahlen. Dale wollte garantiert seine Macht zurück, obwohl er damals das Zepter nur zu gern an ihn, seinen Sohn, weitergab, nachdem er alles vermasselt hatte.

Ein Grund mehr, um Celeste mit an Bord zu holen. Reid wusste, dass sich das Marketing für das Hotel um einiges verbessern ließ, und er war fest entschlossen, aus dem Resort die erste Anlaufstelle für zahlungskräftige Gäste zu machen.

Dabei ging es ihm selbstverständlich nur um ihren professionellen Rat. Er würde ihr ein Angebot unterbreiten, das sie nicht ablehnen konnte.

Und doch … Er war zu ehrlich, um sich etwas vorzumachen. Es gab da etwas an ihr, das ihn sehr anzog. Sie war ein Geheimnis, das er unbedingt entschlüsseln wollte. Ungeduldig sah er auf die Uhr. Seit er ihr die Nachricht geschickt hatte, war schon über eine Stunde vergangen.

Es sah leider so aus, als würde Celeste ihn ignorieren.

Celeste stand gerade vor Reids Bürotür und wollte anklopfen, als sie aufgerissen wurde und er herausstürmte.

Oho!

Fast wären sie zusammengestoßen, wenn sie nicht instinktiv einen Schritt zurückgetreten wäre.

Trotzdem kamen sie sich so nahe, dass ihr sein herber männlicher Duft in die Nase stieg. Reid ergriff ihren Arm, um sie am Stolpern zu hindern, und sah sie besorgt an.

„Alles okay?“

Sie nickte beklommen. „Ja, natürlich.“

Er ließ sie los und schüttelte den Kopf. „Bitte entschuldige. Ich habe nicht mit dir gerechnet.“

Celeste sah ihn verwirrt an. Schließlich war er derjenige, der ihr geschrieben und sie gebeten hatte, ihn zum Frühstück abzuholen. Aber der Zusammenstoß hatte sie so aus der Fassung gebracht, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Es juckte ihr in den Fingern, durch sein Haar zu streichen und ihn zu …

„Ich … äh … ich habe deine Karte bekommen“, stammelte sie.

Reid nickte. „Ja, doch das ist schon über anderthalb Stunden her. Ich hätte nicht gedacht, dass du eine Langschläferin bist, Prinzessin.“

Bestimmt bildete sie sich nur ein, dass seine Stimme auf einmal tiefer und heiserer klang, geradezu intim. Ihre Fantasie ging plötzlich mit ihr durch und durchflutete sie mit Bildern, wie sie mit ihm im Bett lag und …

Sein anzügliches Lächeln sagte ihr, dass seine Gedanken in dieselbe Richtung gegangen waren.

Celeste schüttelte verwirrt den Kopf. Was war nur mit ihr los? Noch vor zwei Tagen hätte sie gesagt, dass Reid Evanson zu den wenigen Menschen gehörte, die sie nie wiedersehen wollte. Und jetzt hatte sie schon erotische Fantasien von ihm?

„Mir … ich habe deinen Umschlag erst spät gesehen“, log sie und errötete leicht.

Reid erwiderte darauf nichts und musterte sie nur von Kopf bis Fuß.

„Ist es dir lieber, wenn ich ein anderes Mal wiederkomme? Du wolltest anscheinend gerade irgendwohin.“

„Nein“, sagte er, drehte sich um und ging zurück in sein Büro. „Was ich vorhatte, eilt nicht.“ Dann fragte er: „Hast du schon gefrühstückt?“

Die Antwort war Nein. Sie hatte nur einen Kaffee getrunken. Aber in diesem Moment hatte sie keinen großen Appetit. Ihr Herz pochte stark, ihr Puls raste. Sie konnte nur hoffen, dass sie sich bald wieder beruhigen würde.

„Möchtest du vielleicht einen Tee?“, fragte er.

„Ja, gern.“

Er gab seiner Sekretärin Bescheid, die wenige Minuten später mit einem Tablett ins Büro trat, auf dem sich eine Kanne und zwei Tassen befanden. Celeste nahm es als Vorwand, sich mit ihrem Tee zu beschäftigen. Dann sah sie ihn an.

„Warum wolltest du mich sprechen, Reid?“

Er hatte sich hinter seinem massiven Schreibtisch aus Mahagoni niedergelassen und bot ihr den Stuhl davor an.

„Du hast gestern Abend gesagt, dass unsere Marketingmaßnahmen hier zu wünschen übrig lassen, richtig?“

Sie nickte. „Ja, das ist mein Eindruck.“

„Ich weiß, dass du keinen Grund hast, aber ich wollte dich fragen, ob du mir in dieser Hinsicht weiterhelfen würdest.“

Jetzt war ihr Interesse geweckt, sie sah ihn aufmerksam an. „Weiterhelfen? Was meinst du damit?“

Er zuckte die Achseln. „Ich weiß, dass du einen guten Ruf hast. Du bist darauf spezialisiert, Marketingkampagnen zu entwickeln, die genau auf die Zielgruppe ausgerichtet sind. Dafür möchte ich dich engagieren. Zeig mir, wie wir ein reizvolles Angebot für unsere Gäste erschaffen können. Natürlich werde ich dich entsprechend bezahlen. Falls du nicht an Geld interessiert sein solltest, könnte ich dir stattdessen kostenlosen Aufenthalt hier in unserem Resort anbieten – sooft du willst.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das ist wirklich sehr nett von dir. Aber wie du bereits gesagt hast, ich kann es mir leisten, meinen Urlaub zu bezahlen. Du brauchst mir keine Gratisangebote zu machen.“

„Würde dich denn die Herausforderung nicht interessieren?“

Celeste dachte einen Moment über seine Worte nach. Plötzlich wurde ihr klar, wie weit sie es in ihrem Beruf gebracht hatte. Die junge Frau, die sie einmal gewesen war, hätte diese einmalige Gelegenheit sicherlich mit beiden Händen ergriffen, doch die Frau, die sie inzwischen war, hatte es nicht mehr nötig, auf jeden Zug aufzuspringen. Daher schüttelte sie den Kopf. „Dein Angebot ehrt mich, wirklich. Aber ich bin hier, um Urlaub zu machen und nicht, um zu arbeiten.“

Er lächelte ungerührt. „Das ist ja das Beste daran“, erwiderte er. „Was ich dir vorschlage, wird deinen Urlaub noch interessanter machen, glaub mir.“

Neugierig blickte sie ihn an.

„Bitte hör mir einfach nur zu, okay?“, bat er sie.

Sie zögerte kurz und nickte dann. Was hatte sie schon zu verlieren, wenn sie ihm ein paar Minuten lang zuhörte? Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, nippte an ihrem Tee und sah Reid erwartungsvoll an.

Reid merkte selbst, dass er gefährlich nahe dran war, Unsinn zu reden. Er wusste, dass er sein Angebot nicht so gut präsentierte, wie es ihm möglich war. Aber er hatte auch große Mühe, sich darauf zu konzentrieren. Denn er spürte noch immer die Wärme ihres Körpers, konnte sich nur zu gut an den Duft ihres Shampoos erinnern, der ihm beim Zusammenprall in die Nase gestiegen war. Ihr Haar war nass vom Duschen und fiel lockig auf die leicht gebräunten Schultern. Offensichtlich war sie gerade erst aus ihrem Zimmer gekommen. Als er sich vorstellte, wie sie nackt unter der Dusche gestanden hatte, wurde ihm ganz anders. Ungebeten drängte sich ein anderes Szenario auf, von ihm neben ihr, wie er sie einseifte und …

Reid schluckte, das verlockende Bild vernebelte seine Sinne und Gedanken.

Reiß dich zusammen.

Celeste war schließlich hier, weil er sie darum gebeten hatte und weil er ihr einen geschäftlichen Vorschlag machen wollte. Da hatten erotische Fantasien nichts zu suchen.

Er durfte nicht vergessen, dass auch er ein Profi in diesem Bereich war. Er hatte Dutzende Vorträge vor wichtigen Politikern und Tourismusmanagern gehalten. Es gab wirklich keinen Grund für ihn, jetzt so aufgeregt zu sein.

Glücklicherweise schienen seine Worte irgendwie zu ihr durchgedrungen zu sein.

Sie räusperte sich. „Nur damit wir uns richtig verstehen … du willst, dass ich dich auf die Ausflüge begleite, die ihr für die Gäste anbietet? Um zu sehen, was man da in puncto Marketing verbessern kann?“

Er nickte. „Ja, genau. Ich hatte geplant, das selbst zu tun. Aber ich könnte ein zweites Paar Augen gut gebrauchen.“

„Mit dir?“, wiederholte sie fassungslos.

Was denn sonst? Wollte sie es etwa allein tun?

„Ja“, erwiderte Reid schlicht.

„Hast du nicht gesagt, du hättest einen Geschäftspartner?“

„Ja, aber Alex muss sich hier um den Betrieb kümmern, wenn ich den ganzen Tag weg bin. Außerdem kommt er von hier und kennt sich auf der Insel bestens aus. Das ist nicht das, was ich brauche.“

„Um welche Art von Ausflügen handelt es sich?“, fragte sie vorsichtig.

„Um das Beste, was Jamaika zu bieten hat. Wir werden einen rauschenden Wasserfall hinunterklettern, uns einen wunderschönen botanischen Garten anschauen und mit einem Quad über holpriges Gelände fahren.“

Celeste biss sich auf die Unterlippe. „Weißt du, eigentlich wollte ich in nächster Zeit nur am Strand liegen und nichts tun.“

„Aber du bist doch über eine Woche hier, oder? Da wirst du trotzdem genügend Gelegenheit haben, in der Sonne zu liegen.“

„Um wie viele Tage geht es denn?“

„Höchstens drei. In dieser Zeit können wir alle Ausflüge ausprobieren. Für mich habe ich sie bereits gebucht. Wenn du mein Angebot annimmst, würde ich einfach deinen Namen hinzufügen.“

Sie hielt die Hände hoch. „Hey, stopp mal. Noch habe ich nicht Ja gesagt.“

„Aber Nein hast du auch nicht gesagt.“ Reid machte eine kleine Pause. „Komm schon. Es gibt schlimmere Arten, drei Tage auf einer Insel wie Jamaika zu verbringen.“

Kurz befielen ihn Zweifel, ob er es vielleicht übertrieb. Bei jedem anderen hätte er sein Angebot auf den Tisch gelegt und basta. Er war als harter Verhandlungsführer bekannt, der nicht mit sich spaßen ließ. Bei Celeste lag der Fall jedoch irgendwie anders. Bei ihr war er nicht in seinem Element, und das behagte ihm ganz und gar nicht.

Irgendwann würde er über die Gründe dafür nachdenken müssen, denn schließlich ging es doch nur um eine geschäftliche Angelegenheit.

Alles, was Reid sagte, ergab absolut Sinn, musste Celeste zugeben, als ihr endlich klar wurde, worauf er hinauswollte. In Wahrheit war sein Angebot so logisch, dass sie sogar ein bisschen enttäuscht war, denn anscheinend ging es ihm nur ums Geschäft. Und so sah er auch aus in seinem maßgeschneiderten weißen Hemd mit der schwarzen Hose. Außerdem trug er eine große goldene Uhr am Handgelenk, die in der Sonne glitzerte, während er sprach.

Ein unglaublich attraktiver Mann wollte also verschiedene Abenteuerausflüge mit ihr unternehmen, wobei es ihm lediglich um ihre professionelle Einschätzung ging.

Wieso störte sie das eigentlich so sehr? Schließlich waren Reid und sie nicht befreundet, im Gegenteil. Sie hatte immer gedacht, er würde sie nicht mögen.

„Warum ich?“, fragte sie. Sicher hätte er auch andere bitten können, ihn zu begleiten, vor allem Frauen. Ein so gut aussehender Mann wie er hatte garantiert keine Schwierigkeiten, weibliche Gesellschaft zu finden. Hatte sie nicht vor Kurzem noch ein Foto von ihm gesehen, auf dem er den Arm um eine Hollywoodschönheit legte und breit in die Kamera lächelte? Ob das vielleicht seine Freundin war? Und wenn ja, was würde sie sagen, wenn sie erfuhr, dass er beabsichtigte, mit einer anderen über die Insel zu fahren?

Dieser Gedanke zog gleich weitere nach sich. Wie mochte es sein, einen Mann wie ihn zu daten? Und wie fühlte es sich wohl an, wenn er tatsächlich Zeit mit ihr verbringen wollte, weil er sie attraktiv fand und nicht, um ihren professionellen Rat als Marketingexpertin einzuholen?

Vor allem … wie würden sich seine Lippen anfühlen, wenn er sie küsste?

Um Himmels willen, was war nur in sie gefahren? Hatte sie diese verbotenen Gedanken wirklich nur, weil sie schon so lange mit keinem Mann mehr zusammen gewesen war, oder lag es an der romantischen Umgebung, in der sie sich befanden?

Warum hatte sie nicht längst Nein gesagt, anstatt immer noch darüber nachzudenken?

Schließlich war sie nicht gerade ein Outdoor-Typ und nicht besonders sportlich.

In diesem Moment unterbrach Reid ihre Gedanken: „Denk einfach darüber nach, ja? Ich bin mir sicher, du wärst die perfekte Besetzung für diesen Job.“

Es klang logisch. Und natürlich wäre es auch eine tolle Gelegenheit, um die Insel kennenzulernen. Vielleicht war er ja doch der Weihnachtsmann. Jedenfalls hatte er ihr gerade ein Geschenk gemacht, das die meisten Frauen sicherlich sofort mit beiden Händen ergriffen hätten.

Trotzdem brachte Celeste es nicht über sich, Ja zu sagen. Zumindest jetzt noch nicht.

„Ich muss wirklich darüber nachdenken, Reid.“

Mit einem Anflug von Enttäuschung blickte er sie an und nickte. „Wie du möchtest.“

Celeste konnte an nichts anderes denken.

Sie hatte sich vorgenommen, das Für und Wider genau abzuwägen, bevor sie Reid ihre Entscheidung mitteilte. Die Frage war jedoch, wieso stand sie dann plötzlich im Surfladen des Resorts und begutachtete ein Paar wasserfeste Schuhe, die man bestimmt brauchte, wenn man an einem Wasserfall hinunterklettern wollte? Und warum kaufte sie sich einen einteiligen Badeanzug? Sie hatte nur zwei Bikinis dabei, die sich für Wassersport nicht eigneten.

Auf all diese Fragen hatte sie keine Antwort. Doch sie spürte, dass sie mehr und mehr dazu neigte, sein Angebot anzunehmen.

Nie im Leben hätte sie geglaubt, dass sie ihn einmal so attraktiv finden würde, und das brachte sie ziemlich durcheinander. Schließlich stand Reid für alles, was sie nicht brauchen konnte. Er und ihr Ex waren aus demselben Holz geschnitzt: reiche, privilegierte, sorglose Schnösel aus der oberen Mittelklasse, die langjährige Freunde waren.

Und auch wenn Reid hart für sein Geld arbeitete, würde er nie in der Lage sein, jemanden wie sie zu verstehen. Er wusste nicht, wie es war, wenn man sich von ganz unten nach oben kämpfen musste. Oder wie es sich anfühlte, wenn man seine Mutter und seine Schwester unterstützen musste, weil sie nicht auf eigenen Füßen stehen konnten. Und ganz sicher hatte er keine Ahnung davon, wie es war, obdachlos zu sein.

In diesem Moment kam eine Verkäuferin auf sie zu und lächelte sie an.

„Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Miss?“

Celeste erwiderte ihr Lächeln. „Ach, ich kann mich nur nicht entscheiden.“ In mehr als einer Hinsicht.

Die Verkäuferin zeigte auf die Schuhe. „Falls Sie vorhaben sollten, den Dunn River hochzuklettern, brauchen Sie stabileres Schuhwerk.“

Am Dunn River lag der Wasserfall, von dem Reid gesprochen hatte, daher nickte Celeste.

„Wie wäre es zum Beispiel mit diesen hier?“ Die Verkäuferin reichte ihr ein Paar Schuhe. „Die Sohlen sind dicker, und das Profil ist ausgeprägter. So etwas werden Sie brauchen, damit Sie auf den schlüpfrigen Steinen nicht ausrutschen.“

Wie schlüpfrig mochten die Felsen sein? Vielleicht war das hier ein Zeichen, auf das sie hören sollte. Eigentlich hielt sie sich für ziemlich fit, hatte aber keinerlei Erfahrung, was das Klettern betraf.

„Machen Sie sich keine Sorgen“, sagte die Verkäuferin. „So schwierig ist es nun auch wieder nicht. Bestimmt wird es Ihnen großen Spaß machen.“

„Da bin ich mir nicht so sicher“, erwiderte sie zweifelnd. „In meinen Ohren klingt das ziemlich gefährlich.“ Ihre Worte bezogen sich nicht nur auf die Kletterpartie. In Wirklichkeit war sie überrascht darüber, wie anziehend sie den Freund ihres Ex-Verlobten fand. Schließlich hatte sie nicht vergessen, wie sehr Jack sich von ihr distanziert hatte, je mehr er über ihren Hintergrund erfuhr.

Warum sollte Reid in dieser Hinsicht anders sein?

„Eine solche Gelegenheit würde ich mir an Ihrer Stelle nicht entgehen lassen, Miss“, sagte die Verkäuferin. „Wer weiß, wann Sie sie noch einmal bekommen werden.“

Da hatte sie allerdings recht.

Celeste war nicht besonders risikofreudig, denn sie wusste aus eigener Erfahrung, wie viel im Leben schiefgehen konnte. Das einzige Mal, als sie gewillt gewesen war, alle Vorsicht zu vergessen und sich in das Abenteuer der Ehe zu stürzen, hatte es mit einer großen Demütigung geendet.

Unter einem Wasserfall eine glitschige Wand hochzuklettern lag sicher nicht auf derselben Gefährlichkeitsstufe, wie einen Mann heiraten zu wollen, dem gegenüber man Vorbehalte hat. Aber Risiko blieb nun einmal Risiko. Außerdem ging es ja auch nicht nur um sie. Was würde aus ihrer Mutter und ihrer Schwester werden, wenn sie nicht mehr da wäre? Finanziell hatte sie längst dafür gesorgt, dass es ihnen an nichts fehlen würde, doch die zwei brauchten sie nicht nur in finanzieller Hinsicht.

Vielleicht machte sie sich aber auch nur etwas vor. Es war durchaus möglich, dass die beiden ihr Schicksal in die Hand nahmen, sobald sie auf sich allein gestellt waren.

Außerdem – wie gefährlich konnte dieser Kletterausflug schon sein? Bestimmt würde Reid ihr Leben nicht gefährden, dessen war sie sicher.

Danach konnte sie immer noch am Strand herumliegen. Vielleicht war es ja wirklich an der Zeit, mal etwas Neues auszuprobieren.

„Bestimmt steht Ihnen dieser Badeanzug ausgezeichnet“, sagte die Verkäuferin und zeigte auf das Stück in ihrer Hand. „Das wird Ihr Freund sicher auch sagen.“

Sie errötete. „Oh nein, wir sind nicht … ich meine, er …“

Die andere zog die Brauen hoch. „Wollen Sie allein klettern? Das ist doch kein Problem, viele machen das.“

„Nein, ich werde nicht allein sein. Ich mache das mit jemandem zusammen. Es ist nur, dass er … also, er ist nicht mein Freund. Mehr so etwas wie ein Geschäftspartner.“

Die Frau sah sie verständnislos an. „Ein Geschäftspartner?“

Celeste nickte. „Ja, so ähnlich. Es ist ein bisschen schwer zu erklären.“

„Verstehe.“

Sie zeigte auf die Schuhe und den Badeanzug. „Jedenfalls nehme ich beides. Bitte schreiben Sie die Rechnung auf mein Zimmer.“

Damit stand die Sache fest. Offensichtlich hatte sie sich entschieden.

Hoffentlich würde sie es nicht bereuen.

5. KAPITEL

Ihr Handy in der Jackentasche klingelte, als Celeste gerade ihr Zimmer aufschließen wollte. In der Annahme, dass es Reid war, holte sie es hervor und nahm das Gespräch an. Doch sie hatte sich geirrt. Es war die Stimme ihrer Mutter, die an ihr Ohr drang.

„Na, bist du am Strand und trinkst Cocktails?“

Ein Hauch von Neid war nicht zu überhören.

Celeste holte tief Luft und versuchte, sich nicht irritieren zu lassen. Die Gespräche mit ihrer Mutter waren nie ganz einfach, und wenn sie getrunken hatte, wurden sie geradezu traumatisch.

„Hallo, Mutter“, sagte sie ruhig. „Nein, ich wollte gerade in mein Zimmer gehen. Ich habe ein paar Einkäufe gemacht.“

„Ach, wie nett. Ist dir überhaupt klar, was bei uns zu Hause alles fehlt? Ich hätte auch nichts gegen eine Tochter, die für mich einkaufen geht.“

Celeste schlug die Tür hinter sich zu. „Wenn ich mich recht erinnere, habe ich dir dafür Geld gegeben, bevor ich geflogen bin. Eine ziemlich große Summe sogar, oder?“

„Darum geht es nicht. Wer hilft mir im Haushalt, das ist doch die entscheidende Frage.“

Darauf erwiderte Celeste nichts, denn sie wusste genau, wie ein Streit ausgehen würde. Wendy Frajedi schaffte es jedes Mal, dass sie sich irgendwie schuldig fühlte, obwohl sie sich nach Kräften bemühte, eine gute Tochter zu sein. Natürlich war ihr klar, dass es mit dem Alkohol zusammenhing. Und doch verfehlten die haltlosen Anschuldigungen ihrer Mutter niemals ihre Wirkung.

Sie hatte sie schon öfter auf ihr Alkoholproblem angesprochen, das Wendy jedoch vehement bestritt. Die Auseinandersetzungen verliefen immer nach demselben Muster. Wendy rastete aus, dann legte sie sich irgendwann ins Bett und wachte mit einem Kater und Kopfschmerzen auf. Danach war sie voller Reue über ihre Entgleisungen und schwor, dass es nie wieder vorkommen würde. Bis zum nächsten Mal.

„Warum lädst du mich und deine Schwester eigentlich nie in ein solches Luxushotel ein?“, hakte Wendy nach.

„Weil du Flugangst hast, Mutter, und weil Nat noch zu klein zum Fliegen ist. Außerdem weißt du doch, wie viel ich in letzter Zeit gearbeitet habe. Selbst ich brauche mal eine kleine Pause.“

Wendy lachte ungläubig. „Natürlich. Wie konnte ich das vergessen?“

Manchmal hatte Celeste das Gefühl, dass ihre Mutter ihr den Erfolg nicht gönnte. Sie verstand einfach nicht, wie wichtig es für sie war, dem Elend zu entkommen, in dem sie aufgewachsen war. Sie hoffte nur, dass dieses Gespräch bald zu Ende sein würde.

„Wie geht’s Nat überhaupt?“, fragte sie, um ihre Mutter auf andere Gedanken zu bringen und sich nicht weitere Tiraden anhören zu müssen.

„Sie schreit ständig“, behauptete Wendy. „Wahrscheinlich zahnt sie gerade. Ich sage dir, ich würde ein Vermögen geben, wenn ich diesem Geschrei entfliehen könnte.“

Celeste schluckte den Ärger runter, der sich plötzlich in ihr aufbaute. Taras Tochter war das süßeste Baby, das man sich vorstellen konnte. Insgeheim beschloss sie, sich um einen Babysitter für die Kleine zu kümmern, sobald sie wieder in New York war. Oder vielleicht sogar schon früher, von hier aus. Denn sie wollte nicht, dass Wendy sich in diesem Zustand um die Kleine kümmerte.

Natürlich würde sie vorher mit Tara darüber sprechen müssen.

Die nächsten Worte ihrer Mutter machten ihren Vorsatz jedoch zunichte.

„Glücklicherweise muss ich mich in den kommenden Wochen nicht mehr um sie kümmern, denn es sieht tatsächlich so aus, als wäre deine Schwester schon wieder gefeuert worden.“

Das überraschte Celeste nicht besonders, denn es geschah nicht zum ersten Mal. Tara behielt keine Arbeit sehr lange. Sie kam meistens zu spät und ging so früh wie möglich, was natürlich keinem Arbeitgeber gefiel. Wahrscheinlich war ihre Abwesenheit auch der Grund dafür, dass Wendy schon am Nachmittag zur Flasche gegriffen hatte.

„Das war ihr dritter Job in diesem Jahr, richtig?“

Auf diese Gelegenheit hatte Wendy nur gewartet. „Nun, wir können nicht alle so perfekt sein wie du“, gab sie höhnisch zurück.

Am liebsten hätte Celeste sie gefragt, ob sie sich nun besser fühlte, doch sie bezweifelte es. Sie wusste jetzt schon, dass ihre Mutter sich schrecklich fühlen würde, sobald sie aus ihrem Rausch aufwachte und sich erinnerte, wie sie mit ihrer ältesten Tochter gesprochen hatte. Vermutlich würde sie sich dann bei ihr melden und sich tausendmal dafür entschuldigen.

Bis es wieder passierte.

Nachdem er das dritte Mal durch das gesamte Resort geschlendert war, musste Reid sich schließlich eingestehen, dass er Celeste suchte. Es nervte ihn ziemlich, dass sie bisher noch nicht auf sein Angebot geantwortet hatte.

Er wusste auch, dass er enttäuscht sein würde, falls sie es ablehnen sollte. Was natürlich albern war.

Trotzdem war er froh, als er sie endlich entdeckte. Sie saß allein an einem kleinen Tisch vor dem Pub, der zur Anlage gehörte, und hatte eine Portion Pommes frites vor sich, die sie noch nicht angerührt hatte. Sie starrte in ihr Glas, das einen Longdrink mit Cola und Rum enthielt, wie er beim Näherkommen feststellte.

„Stimmt etwas mit den Pommes nicht?“, fragte er, als er vor ihr stand. „Soll ich mir mal den Koch vornehmen?“

Erschrocken blickte sie zu ihm hoch. „Oh, hallo, Reid.“

Ihr Lächeln wirkte ein wenig gezwungen.

„Darf ich mich setzen?“, fragte er.

Sie nickte und sagte wie aus der Pistole geschossen: „Ich weiß, ich habe dir noch nicht geantwortet.“

Irgendwie kam sie ihm traurig vor. Sie wirkte so verloren.

„Sag mal, ist alles in Ordnung mit dir?“, erkundigte er sich besorgt.

Sie nickte. „Mir geht’s gut. Und ich habe mich entschlossen, dein Angebot anzunehmen.“

Reid strahlte sie an. „Das ist fantastisch! Du wirst es nicht bereuen, das verspreche ich dir.“ Er streckte ihr die Hand entgegen. „Mein Wort darauf.“

Sie ergriff sie und schüttelte sie. Das Gefühl, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte, blieb. Sie wirkte so zart und verletzlich. Der Beschützerinstinkt erwachte sofort in ihm, was ihn selbst überraschte.

Ob ein Mann der Grund für ihre Traurigkeit war? Dieser Gedanke gefiel ihm gar nicht. Celeste hatte schon genug Debakel erlebt, was ihr Privatleben betraf.

Dabei war sie eine so tolle Frau. Wie schade, dass ihm das vor drei Jahren nicht aufgefallen war. Etwas musste ihn blind gemacht haben, sodass er Jacks Schwächen nicht gesehen hatte.

Man hatte ihm mehr als einmal vorgeworfen, dass er zu loyal sein konnte. Bei seinem nächsten Treffen würde er mal ein paar Worte mit Jack über die Sache mit der Hochzeit wechseln müssen, so viel stand fest.

Allerdings würde das sicher noch eine Weile dauern, denn seit damals waren sie getrennte Wege gegangen. Bisher war Reid davon ausgegangen, dass Celeste und sein Freund in Verbindung standen. Es hätte ihn auch nicht gewundert, wenn Jack der Grund für ihren Kummer wäre. Dieser Gedanke behagte ihm gar nicht.

Deshalb stieß er übergangslos hervor: „Was ist eigentlich an jenem Tag genau geschehen?“

Sie tat nicht mal so, als wüsste sie nicht, wovon er sprach.

Ihre Lippen verzogen sich zu einem gequälten Lächeln. „Du willst mit mir über meine geplatzte Hochzeit sprechen? Ausgerechnet jetzt?“

„Natürlich nur, wenn du darüber reden möchtest.“

„Nun, du hast doch selbst behauptet, dass Jack und ich nicht zusammenpassen. Wie es aussieht, hattest du recht. Ich gehe mal davon aus, dass er dir dasselbe gesagt hat.“

„Ja, aber ich würde gern deine Seite der Geschichte hören“, beharrte er.

Sie zuckte die Achseln und fuhr leicht mit dem Finger über den Rand des Glases. Dann sagte sie leise: „Am Ende hat Jack mir ein letztes Ultimatum gestellt, als eine Art Test sozusagen. Und ich habe ihn nicht bestanden.“

Celeste schaffte es nicht, von ihrem Glas hochzuschauen und Reids fragendem Blick zu begegnen. Aber sie spürte ihn trotzdem. Er blieb stumm nach ihrer kryptischen Bemerkung und wartete darauf, dass sie weitersprach, doch sie wusste nicht recht, wo sie anfangen sollte. Drohende Zeichen, dass ihre Verlobung zum Scheitern verurteilt war, waren immer häufiger aufgetreten, je näher der Hochzeitstag rückte. Sie hatte jedoch beschlossen, sie zu ignorieren.

„Was für einen Test denn?“, fragte Reid schließlich.

Es fiel Celeste nicht leicht, darüber zu sprechen. Sie hatte ihr Bestes versucht, um alles zu vergessen und hinter sich zu lassen. Aber welche Art von Frau wurde am Altar stehen gelassen? Wie konnte sie ihren Gefühlen je wieder vertrauen, nachdem sie sich in einen Mann verliebt hatte, der ihr das antat?

Erneut verfolgten sie die alptraumartigen Bilder jenes Tages. In den Kirchenbänken saßen ihre Kollegen und Freunde, die sie voller Mitleid anschauten. Celeste sah wieder das enttäuschte Gesicht ihrer Mutter vor sich. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken und für immer verschwunden. Es gab keinen Vater, der sie hätte zum Altar führen können, daher hatte sie einen früheren Mentor darum gegeben. Nie würde sie seinen Gesichtsausdruck vergessen, als sie auf den Bräutigam warteten, der nicht erschien. Ihr Mentor war es schließlich auch gewesen, der sich an die Gäste gewandt hatte, während sie blind vor Tränen aus der Kirche geflohen war. Damals hatte sie sich geschworen, ihr Herz nie wieder einem Mann zu schenken, solange sie sich nicht absolut sicher sein konnte, dass er sie wirklich liebte.

„Celeste?“, hakte Reid noch einmal nach. „Was für eine Art Test denn?“

Sie zwang sich, in die Gegenwart zurückzukehren. „Eine Woche vor der Hochzeit entschied Jack, dass er mit mir durchbrennen wollte.“

Reid hob überrascht die Brauen. Sie hatte sich immer gefragt, ob er in den Plan seines Freundes eingeweiht gewesen war. Doch es sah nicht so aus.

„Verstehe“, erwiderte er verwirrt.

So richtig erklären konnte er es sich anscheinend nicht. Dabei war der Grund ganz einfach. Jack hatte sich für ihre Familie geschämt und wollte nicht, dass seine Freunde sie kennenlernten. Bei einer heimlichen Hochzeit wären Tara und ihre Mutter außer Sichtweite gewesen.

Celeste hatte ihm das auf den Kopf zugesagt, woraufhin er weggegangen war.

„Ich nehme mal an, du warst nicht begeistert von der Idee, oder?“, fragte er.

Sie zuckte die Achseln. „Ich wollte eine traditionelle Hochzeit, nicht mehr und nicht weniger.“

Das war es nicht allein. Jacks Strategie war die eines Feiglings gewesen, und das hatte sie ihm auch gesagt. Er hatte sie vor eine Wahl gestellt, die sie gar nicht hatte. Wie hätte sie den beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben ausgerechnet an ihrem Hochzeitstag den Rücken kehren können?

Reid sah sie nachdenklich an, und sie hatte das Gefühl, er wusste, dass das noch nicht alles war. Aber ihm mehr zu erzählen wäre über ihre Kräfte gegangen.

„Ich kenne Jack schon mein ganzes Leben“, sagte er schließlich. „Und ich habe oft miterlebt, wie leichtsinnig er sich verhielt. Dich zu verlieren war allerdings das Dümmste, was er je getan hat.“

Seine Worte hingen schwer zwischen ihnen. Er bereute nicht, was er gerade gesagt hatte, beschloss jedoch, das Gespräch nicht weiter zu pushen, denn offensichtlich wollte Celeste nicht darüber sprechen.

Langsam schob sie ihr Glas zurück und erhob sich. „Da das jetzt ausgeräumt ist, sollte ich wohl früh zu Bett gehen. Morgen haben wir einen anstrengenden Tag vor uns, und ich möchte fit sein.“

Reid fasste sie sanft am Arm. „Ich habe eine bessere Idee.“

Sie zuckte zusammen, die Luft schien vor Spannung zu pulsieren.

Schließlich setzte sie sich ergeben wieder hin und sah ihn an. „Was hast du vor?“

Er zeigte auf ihren vollen Teller. „Offensichtlich hast du noch nicht zu Abend gegessen. Dagegen müssen wir etwas tun. Wie wäre es mit einem Dinner?“

Sie zuckte die Achseln. „Warum nicht?“

„Schließlich ist heute Donnerstag.“

„Ja und?“

„Liest du die Ankündigungen auf der Anzeigetafel nicht? Jeden Donnerstag gibt es Karaoke am Strand. Das Thema des heutigen Abends sind Weihnachtslieder.“

Sie erstarrte. „Ich glaube nicht, dass ich …“

Er unterbrach sie mitten im Satz: „Karaoke ist eine der Aktivitäten, die wir anbieten wollen. Wir beide haben einen Deal, erinnerst du dich?“

Ihr entsetzter Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass sie die Absprache am liebsten vergessen hätte.

„Ich … ich singe nie in der Öffentlichkeit, das kannst du dir abschminken“, stammelte Celeste. „Und schon gar keine Weihnachtslieder.“

Reid schüttelte den Kopf. „Darum geht es nicht. Du warst einverstanden, dir alles anzuschauen, was das Baja Majestic Resort anzubieten hat. Und dazu gehört nun mal auch Karaoke.“

Verdammt, worauf hatte sie sich da nur eingelassen?

„Aber ich … ich singe ja nicht einmal unter der Dusche! Wie kommst du denn darauf, dass ich es vor lauter Fremden am Strand tun würde?“

Er warf einen Blick auf seine teure Uhr. Bestimmt war es eine Rolex.

„Wir haben noch genügend Zeit, um es zu besprechen. Komm, lass uns essen gehen!“ Er griff nach einem Pommes frites und steckte es sich in den Mund.

„Da gibt es nichts zu diskutieren, Reid.“

Er zog sie hoch. „Das sehe ich anders. Aber lass uns zuerst etwas zu uns nehmen. Wir könnten ins Hibachi gehen, da kocht heute mein Lieblingskoch. Oder wir entscheiden uns für das mediterrane Restaurant. Die Kebabs dort sind so gut, dass sie auf der Zunge zergehen. Es muss irgendetwas mit der Marinade zu tun haben.“

Plötzlich fing ihr Magen laut zu knurren an, und sie merkte, wie hungrig sie war.

Reid lachte. „Also Kebab, ja? Lass uns gehen!“

Celeste hatte ihm nichts entgegenzusetzen. Wenig später standen sie vor einem griechischen Restaurant, das einem Tempel nachgebaut war. Die blonde Geschäftsführerin kam auf sie zu, und als sie Reid erblickte, leuchteten ihre Augen auf, was man ihr nicht verübeln konnte.

„Hallo, Boss, Sie waren ja schon länger nicht mehr hier.“

Sein Lächeln war sehr viel reservierter als ihres. „Meine Freundin hier möchte euren Kebab probieren, Michelle. Daher hätten wir gern einen Tisch für zwei, wenn das geht.“

Die junge Dame warf ihr einen scharfen Blick zu und nickte dann.

„Natürlich, kein Problem. Bitte folgt mir.“

Sie wurden zu einem eleganten Tisch geführt, der festlich gedeckt war. Celeste sah sich um und erkannte, wie romantisch die ganze Atmosphäre war. Das beunruhigte sie nur noch mehr, denn Romantik war das Letzte, woran sie jetzt denken wollte. Daher versuchte sie, sich auf die Speisekarte zu konzentrieren. Alles klang so köstlich, dass ihr das Wasser im Munde zusammenlief. Außerdem genoss sie es, beim Essen endlich einmal in Begleitung zu sein.

Ein Kellner in einem weißen Jackett nahm ihre Bestellung auf. Kurz danach erschien ein weiterer Ober und stellte eine kleine Karaffe mit einer durchsichtigen Flüssigkeit auf den Tisch.

Sie starrte verwirrt darauf. „Mehr Wasser kriegen wir nicht?“

Reid sah von seiner Speisekarte auf. „Das ist kein Wasser, Liebling. Und wenn du es nicht gewohnt bist, würde ich es an deiner Stelle auch nicht trinken.“

Wahrscheinlich hatte er sich nichts bei diesem Kosenamen gedacht, er blieb aber trotzdem nicht ohne Wirkung auf sie.

„Das ist Ouzo, stimmt’s?“

„Ja, richtig. Hast du ihn schon mal probiert?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Und wahrscheinlich sollte ich es auch heute nicht tun.“

Er nickte. „Ja, das Zeug hat es in sich. Natürlich kann man es immer mit Wasser verdünnen.“

„Ich bleibe besser bei Weißwein, danke.“

Reid bestellte ihr einen Chardonnay und schenkte sich dann selbst ein kleines Glas Ouzo ein, das er in einem Schluck herunterkippte. Während sie auf ihr Essen warteten, tat der Wein seine Wirkung, sodass Celeste sich entspannter fühlte.

Bis Reid erneut aufs Karaoke zu sprechen kam.

„Ich dachte, du wärst bereit, auch mal was Neues auszuprobieren“, zog er sie auf.

„Das bin ich doch“, verteidigte sie sich. Um es ihm zu demonstrieren, griff sie nach der Karaffe, in der sich noch ein kleiner Rest Ouzo befand. Sie schenkte ihn sich ein und kippte ihn in einem Schluck herunter. Sie hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass er wie Feuer in ihrer Kehle brannte, und musste husten und rang nach Luft.

Reid lachte, was sie ihm wirklich übel nahm.

„Wasser! Ich brauche unbedingt Wasser“, stieß sie hervor.

Ihr Magen fühlte sich an, als hätte sie ein brennendes Streichholz verschluckt. Ihre Wangen röteten sich, und ihr wurde leicht schwindelig.

Wirklich lustig war das nicht. Warum stimmte sie dann in sein Lachen mit ein?

Reid hatte aufgehört, darüber nachzudenken, wieso Celeste vorhin so traurig gewirkt hatte. Wichtig war nur, dass sie sich jetzt offensichtlich gut amüsierte. Bei dem Gedanken, dass er sie zum Lächeln brachte, wurde ihm ganz warm ums Herz.

Nachdem sie gegessen hatten, verließen sie das Restaurant und schlugen den Weg zum Strand ein. Dabei betrachtete er sie verstohlen von der Seite. Sie war anders als alle Frauen, die er bisher getroffen hatte. Jack hatte immer behauptet, sie sei distanziert und kühl, doch das war gar nicht sein Eindruck.

„Wie geht es dir?“, fragte er, als sie den Strand erreichten.

„Überraschend gut, danke. Aber ich glaube, das war mein erster und letzter Ouzo.“

„Wahrscheinlich eine weise Entscheidung.“

In diesem Moment erklangen die ersten Töne von „Stille Nacht“.

„Willst du wirklich zu diesem Karaoke Event?“, fragte sie resigniert.

„Bitte glaub mir, es wird dir gefallen.“

Sie stieß einen Seufzer aus. „Na gut, anschauen kann ich es mir ja mal. Bestimmt gibt es schlimmere Arten, den Abend zu verbringen.“

Er sah sie spöttisch an. „Das klingt ja sehr enthusiastisch. Immerhin bist du in meiner Gesellschaft.“

„Du solltest das als Kompliment ansehen. Niemand sonst könnte mich davon überzeugen, irgendwelchen Amateuren dabei zuzuhören, wie sie aus vollem Hals Weihnachtslieder grölen.“

Inzwischen hatten sie die hölzerne Bühne erreicht, wo das Ganze stattfand, die Musik war jetzt wesentlich lauter. Eine beachtliche Menge von Gästen war versammelt, und rechts von der Bühne saßen zwei Hotelangestellte mit Weihnachtsmützen auf dem Kopf vor ihren Laptops. Eine dritte Mitarbeiterin ging durch die Menge und verteilte ähnliche Mützen an die Anwesenden.

„Guten Abend, Mr. Evanson“, sagte die junge Frau zu Reid und reichte ihm eine Mütze.

Celeste bekam auch eine, doch sie war anders als seine. Auf einem kleinen weißen Band stand darauf geschrieben: Sie wurden auserwählt.

„Sie wurden auserwählt, Madam“, sagte die Hotelangestellte und klatschte erfreut in die Hände.

Celeste blinzelte verwirrt. „Auserwählt? Wofür?“

Autor

Rochelle Alers
<p>Seit 1988 hat die US-amerikanische Bestsellerautorin Rochelle Alers mehr als achtzig Bücher und Kurzgeschichten geschrieben. Sie hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Zora Neale Hurston Literary Award, den Vivian Stephens Award for Excellence in Romance Writing sowie einen Career Achievement Award von RT Book Reviers. Die Vollzeitautorin ist Mitglied der...
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