Romana Extra Band 33

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GESUCHT: ITALIENISCHER TRAUMMANN! von WATERS, JANE
Liebe auf den ersten Blick? In Rom fühlt sich die schüchterne Fotografin Jennifer sofort zu Damian di Bernardo hingezogen. Doch der smarte Unternehmer scheint sie kaum zu bemerken. Bis Jennifer diesem italienischen Traummann unverhofft bei einem Dinner gegenübersitzt …

SÜßE STUNDEN MIT DEM BOSS von TREMAYNE, AVRIL
Ihre Kurven verbirgt Catherine unter Business-Kostümen, ihre Lockenmähne in einem strengen Zopf - und ihre sehnsüchtigen Gedanken über ihren aufregenden Boss Max schreibt sie nur heimlich auf! Aber eines Tages fällt ausgerechnet Max ihr kleines Buch der Liebe in die Hände …

EINE NACHT UND TAUSEND KÜSSE von GRAHAM, LYNNE
Atemlos sieht Maribel, wer unter den Gästen der Feier ist: der griechische Milliardär Leonidas Pallis! Vor zwei Jahren haben sie eine sinnliche Nacht miteinander verbracht. Mit süßen Folgen … Jetzt sucht er wieder ihre Nähe. Wie soll sie nur ihr größtes Geheimnis vor ihm verbergen?

IM STURM ZÄRTLICHER GEFÜHLE von LENNOX, MARION
Ein verheerender Hurrikan bricht über Hideaway Island herein - da entdeckt Mary einen verletzten Mann am Strand. Mit letzter Kraft kann sie ihn in eine Höhle bringen. Gerettet! Aber als der Fremde die Augen aufschlägt, verliert Mary ihr Herz im Sturm der Gefühle …


  • Erscheinungstag 08.09.2015
  • Bandnummer 33
  • ISBN / Artikelnummer 9783733742485
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jane Waters, Avril Tremayne, Lynne Graham, Marion Lennox

ROMANA EXTRA BAND 33

JANE WATERS

Gesucht: italienischer Traummann!

Rom bei Sonnenuntergang: Jennifers Herz schlägt rasend schnell. Was aber nicht an der Schönheit der Stadt liegt, sondern an dem charismatischen Damian di Bernardo! Wird er sie gleich zärtlich küssen?

AVRIL TREMAYNE

Süße Stunden mit dem Boss

Seine Sekretärin verführen? Undenkbar, findet Max. Bis er mit Catherine an die australische Küste fliegt. Eine süße Nacht lang will er Catherine ganz nah sein. Egal, was ihnen der Morgen bringt!

LYNNE GRAHAM

Eine Nacht und tausend Küsse

Er hat einen Sohn! Schockiert erfährt der griechische Milliardär Leonidas Pallis, was seine Exgeliebte Maribel ihm verschwiegen hat. Wenn er nur an die Ehe glauben würde! Dann würde er Maribel sofort heiraten …

MARION LENNOX

Im Sturm zärtlicher Gefühle

Ganz dicht zieht Ben die zarte Mary an sich. Sie hat ihm das Leben gerettet – jetzt muss er sie beschützen! Denn ein Hurrikan tost über der Insel. Es wird eine stürmische Nacht für sie beide …

1. KAPITEL

„Sie dürfen die Braut jetzt küssen!“

In der Kirche herrschte gespannte Stille, und alle Augen waren zum Altar hin gerichtet. Was für ein Augenblick – einer der wichtigsten Momente im Leben einer Frau überhaupt! Jennifers Herz setzte einen Schlag aus, und ihre Hände begannen leicht zu zittern. Trotzdem fanden ihre Finger routiniert den Auslöser, und schnell war sie wieder in ihrem Element. Durch die Kamera fühlte sie sich immer ein wenig vor der Welt geschützt, gleichzeitig aber konnte sie alles ganz genau beobachten.

Wie unglaublich schön Sonya in ihrem Traum aus Weiß aussah, als der Schleier gelüftet wurde! Wie liebevoll sie ihren Bräutigam anblickte, wie er sie anlächelte! Und dann – der Kuss. Jennifer spürte in der Brust einen ziehenden Schmerz. Klar, sie freute sich sehr für ihre beste Freundin. Doch gleichzeitig konnte sie sich partout nicht vorstellen, auch einmal einen so tollen Mann zu finden … Schnell wischte sie sich eine kleine Träne fort. Das nächste Foto, das sie machte, zeigte eine überglücklich strahlende Braut, die in ihre Richtung sah. Jennifer nickte ihr bewegt zu. Dann huschte sie aus der Kirche, um gleich, wenn das Brautpaar unter einem Blütenregen herauskommen würde, den Moment für die Ewigkeit festzuhalten.

Als sie ihre Freundin kurz darauf umarmte, während die Kirchenglocken läuteten und ein warmer Wind über das Land wehte, hätte sie fast doch noch geweint. „Sonya, ich wünsche dir, dass alles, was du möchtest, in Erfüllung geht“, murmelte Jennifer und sog den Duft des puren Glücks tief in sich ein. Sonya hatte sie in diesem Leben schon ein paarmal gehalten und getröstet. Dann hatte Jennifer immer die Augen geschlossen und gedacht: So duftet das Glück! Denn zweifelsohne war Sonya nicht nur als wunderschönes weibliches Wesen, sondern auch als zufriedener Mensch geboren worden.

„Alles, was ich möchte?“ Sonya löste sich aus der Umarmung und sah sie mit warmem Blick an. „Weißt du, was da bei mir ganz oben steht, Jenny?“

„Nein“, gestand Jennifer.

Sonya beugte sich wieder zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: „Dass auch du glücklich wirst, meine Liebe. Und dafür, das verspreche ich dir jetzt und heute, würde ich dir jeden erdenklichen Gefallen tun.“

Jennifer schluckte kurz, und wieder regte sich dieser ziehende Schmerz in der Brust. „Heute ist dein Tag“, erwiderte sie fast trotzig.

Ihre Freundin lachte auf. „Wir reden nachher weiter“, sagte sie noch. Dann drängten sich die Gratulanten immer dichter um sie und den blendend aussehenden Ted, der neben ihr stand. Was für ein perfektes Paar!

Nachdenklich trat Jennifer einen Schritt zurück. Was wollte Sonya denn heute noch groß mit ihr bereden? Und es war ja nett, dass die Braut ihr ebenso alles Glück der Welt wünschte, aber …

„Dürfen wir die Fotos mal sehen?“

Jennifer sah überrascht nach unten und musste lachen. Zwei der kleinen Blumenmädchen, in weißen Kleidchen und mit adretten Schleifen im Haar, standen dort Hand in Hand und sahen mit großen Augen zu ihr auf. „Natürlich“, sagte sie und beugte sich hinab. Die Mädchen strahlten.

„Heiratest du auch bald einen Traumprinz?“, fragte eines der Mädchen Jennifer da geradeheraus, während sie sich die Bilder des Brautpaars ansahen.

Einen Moment war Jennifer perplex. Dann richtete sie sich wieder auf. „Das glaube ich kaum“, sagte sie. „Leider ist nicht jeder Frau so ein Glück vergönnt. Also hoffe ich erst gar nicht auf einen Traumprinzen, denn ich weiß, die Enttäuschung kann sehr wehtun. Ich möchte nur …“ Sie stockte, auch weil das Mädchen nun die Stirn runzelte und so daran erinnerte, dass sie einer solchen Antwort noch nicht gewachsen war. Spielerisch kniff sie der Kleinen in die Wange und sagte schnell: „Jetzt muss ich aber weitermachen. Und so hübsch wie du bist, triffst du deinen Traumprinzen bestimmt, wenn du groß bist.“

Dann wechselte die Hochzeitsgesellschaft vom Kirchplatz in den Garten des angrenzenden, wundervoll romantischen Landguts, das etwa eine gute Stunde von London entfernt lag. Die Sonne ließ den Champagner in den Gläsern golden funkeln, überall wurde gelacht und eine Live-Band sorgte im Hintergrund für stimmungsvolle Musik. Jennifer lehnte mit ihrem Glas an einem Baum, um sich einen Moment von ihrem Fotomarathon auszuruhen, als Sonya neben sie trat, im Schlepptau einen rothaarigen, etwas schlaksigen Mann, der Jennifer vage bekannt vorkam.

„Jenny, hier bist du. Ich wollte dir jemanden vorstellen!“, rief Sonya, deren Gesicht vor lauter Freude gerötet war und dadurch nur noch anziehender wirkte. „Oder kennt ihr euch noch? Wir gingen doch früher alle in dieselbe Klasse, und neulich hat mich Matthew zufällig auf der Straße erkannt, und wir haben uns lange unterhalten …“, sprudelte es aus ihr hervor.

„Ach ja?“, fragte Jennifer nur, und der Mann, der tatsächlich etwa in ihrem Alter sein mochte, streckte ihr die Hand entgegen.

„Hi“, sagte er, musterte sie mit seinen grauen Augen und sagte dann: „Du bist also Jenny? Ich kann mich gar nicht mehr richtig an dich erinnern …“ Und wie zur Entschuldigung zuckte er leicht mit den Schultern.

Das können die wenigsten, dachte Jennifer, ließ sich aber nicht anmerken, wie sehr und wie oft sie in der Vergangenheit darunter gelitten hatte, wenn die Männerwelt immer nur von der wunderschönen Sonya oder von Clarissa, Jennifers ziemlich hübscher Schwester, Notiz genommen hatte, während sie neben ihnen wie Luft gewesen war. „Macht doch nichts“, entgegnete sie jetzt sanft. Mit der Zeit hatte sie sich damit arrangiert: Im Schatten lebte es sich schön ruhig. Für ihren Job jedenfalls empfand sie es durchaus als Vorteil, nicht aufzufallen. Zumal sie für eine so exzentrische Person wie Violet arbeitete, die alle Aufmerksamkeit der Welt für sich brauchte.

„Ich muss mal kurz zu den anderen Gästen“, sagte Sonya nun und huschte davon. Es dauerte keine Minute, die Jennifer etwas verlegen mit Matthew zusammenstand, bis sie begriff, dass ihre Freundin hier versuchte, etwas einzufädeln: Sie hatte Matthew ihretwegen zur Hochzeit eingeladen, um sie mal wieder – natürlich erfolglos – zu verkuppeln. Leicht verärgert nahm sie einen Schluck von ihrem Schampus. Am liebsten hätte sie Matthew einfach stehen lassen, doch er konnte ja nichts für diese Situation.

„Was für ein schönes Landgut“, begann er eine unverbindliche Konversation. Und dann, zum Glück, klingelte ihr Telefon. Violet!

„Jen, ich weiß, du bist auf dieser Hochzeit“, begann ihre Chefin sogleich zu sprechen. „Aber ich muss dich leider entführen, sorry, Schätzchen.“

Typisch Violet, kein Hallo, kein Bitte, nicht mal eine Frage, wie es ihr gehe.

„Jen, es ist so, dass ich einen heißen Auftrag bekommen habe, und ich habe sofort zugesagt. Natürlich ist er super bezahlt – auch für dich“, erzählte Violet ohne Atempause. „Ein Fotoshooting in Rom, morgen geht der Flieger.“

„Wann?“, fragte Jennifer wenig überrascht, und es gab zwei Gründe, so gelassen zu reagieren: Erstens hatte sie es noch nie gewagt, Violet etwas abzuschlagen, und zweitens brauchte sie jeden Penny – um später endlich frei zu sein. Frei von Violets Diktat, frei von den drängenden Erwartungen ihrer Familie. Frei für ein eigenes, unabhängiges Leben. Vielleicht würde es dann auch mit der Liebe einmal klappen … Schon legte sie sich im Kopf ihren Plan für den nächsten Tag zurecht: Sie würde ganz früh hier abreisen und auf das gemeinsame Frühstück einfach verzichten.

„Das ist der Haken. Sieben Uhr.“

„Oh nein!“

„Doch.“

„Aber …“

„Du könntest heute Abend noch zurückkommen und morgen ganz früh ein Taxi nehmen“, fuhr Violet unbeirrt fort. „Schaffst du das?“

Jennifer zögerte.

„Schaffst du das?“ Violets Stimme wurde drängender.

Jennifer atmete tief durch. Wäre ihre Chefin nicht eine der berühmtesten Fashion & People-Fotografinnen dieser Zeit, hätte sie schon längst das Handtuch geworfen. Eine Weile aber musste sie noch durchhalten …

„Ja, das schaffe ich“, erwiderte sie wenig begeistert. Wie sollte sie das nur Sonya beibringen? Als das Gespräch beendet war, starrte sie leicht verdrossen vor sich hin, bis Matthews Räuspern sie wieder in die Gegenwart zurückholte.

„Entschuldige“, sagte sie da. „Ich … muss kurz was klären.“ Und damit war das „Rendezvous“ auch schon beendet.

Sonya sah sie stirnrunzelnd an, als Jennifer sie nicht ganz elegant vom Arm ihres Göttergatten löste. „Was ist los?“

„Was los ist?“ Plötzlich war Jennifer doch ein wenig sauer. „Ich mag es nicht, wenn du mich an irgendwelche Männer, die dir zufällig über den Weg laufen, verkuppeln willst“, stellte sie klar.

Sonya seufzte tief. „Aber Matthew ist wirklich sympathisch, und heute Abend gibt es auch noch eine weitere Auswahl an netten Junggesellen, die …“

„Nein!“, unterbrach Jennifer ihre Freundin einfach. „Ich werde nicht da sein.“

Sonya sah sie überrascht an. „Du brauchst doch nicht gleich wegzulaufen!“Jennifer sah ihr fest ins Gesicht. „Um meine Liebesangelegenheiten kümmere ich mich selbst.“

„Wenn du denn welche hättest …“

Jennifer biss sich auf die Unterlippe, und Sonyas Gesichtsausdruck wechselte von leicht vorwurfsvoll zu bestürzt. „Ach, Jenny, bitte entschuldige! So war das nicht gemeint.“

„Schon gut“, wehrte Jennifer knapp ab. „Jedenfalls muss ich spontan zu einem Job.“

„Violet! Hat sie dich mal wieder wegbefohlen? An meinem Hochzeitstag? Ausgerechnet heute?“ Sonya stemmte die Hände in die Hüften.

Doch auf die Feierlichkeiten hatte Jennifer ohnehin irgendwie gar keine Lust mehr, und daran war Sonya selbst mit schuld. „Der Job ist sehr gut bezahlt. Ich kann ihn nicht ablehnen“, sagte sie.

„Bleib doch bis morgen, bitte!“

„Das geht leider nicht. Wir müssen ganz früh los. Nach Rom.“

„Ach, Rom hin, Rom her! Jenny, mir gefällt das nicht, wie Violet dich immer herumkommandiert. Sie macht mit dir, was sie will!“

Jennifer schüttelte den Kopf. „Bitte, du kennst doch meine beruflichen Träume! Ich will so bald wie möglich dieses Fotostudio kaufen! Also sei mir nicht böse.“

Ihre beste Freundin sah sie nun nachdenklich an, dann streckte sie die Arme nach ihr aus. „Quatsch, ich bin dir doch nicht böse, wenn du deinen Weg verfolgst. Ich mag es nur nicht, wenn du dich zu sehr ausnutzen lässt. Und wenn du deine Chancen einfach nicht wahrnehmen willst“, sagte sie und drückte Jennifer an sich. Zum Glück waren sie beide nie nachtragend gewesen. So hatten sie ihre Freundschaft über Höhen und Tiefen hinweg immer retten können. Auch damals am College, als Jennifer gedacht hatte, sie könnte es einfach nicht mehr ertragen, an Sonyas Seite zu sein …

„Na, vielleicht lernst du ja in Rom einen Mann nach deinem Geschmack kennen“, neckte Sonya sie noch, als sie sich wieder voneinander lösten.

„Blödsinn“, sagte Jennifer jedoch nur. Niemals käme sie auf die Idee, sich bei einem ihrer Jobs einen Mann zu angeln. Sie war nur die unscheinbare Assistentin im Hintergrund. In Rom würde es genauso sein wie immer: Jennifer war die Statistin, und die anderen – egal, ob Clarissa, Sonya oder jetzt Violet – spielten eben die Hauptrollen.

„Und jetzt weiter!“

Jennifer hatte mithilfe des Taxifahrers das Equipment im Kofferraum verstaut und ließ sich erschöpft auf die Rückbank gleiten. Violet saß vorne und gab wie gewohnt ihre Befehle. Nach ihrer Ankunft in Rom hatten sie einen reichen, etwas schwerfälligen Manager in seiner Superluxusvilla porträtiert. Der Auftrag für die Fotoserie kam von einem populären Wirtschaftsmagazin. Nun ging es also zum nächsten Termin, um einen weiteren Aufsteiger, der auf der Welle des Erfolgs ritt, abzulichten.

Das Taxi fuhr los, und Violet wandte sich zu Jennifer um. „Jetzt wirst du gleich Augen machen“, versprach sie.

„Ja?“, fragte Jennifer nur und blickte nach draußen, wo Roms Kulisse unter einem strahlenden Frühherbsthimmel an ihr vorüberglitt. Noch hatte sie keine Sekunde Zeit gehabt, sich die Stadt genauer anzusehen, aber das würde sicherlich noch klappen. Oft verlängerte Violet ihre Aufenthalte in den Metropolen spontan, um noch auf exklusive Partys zu gehen oder diverse Liebschaften zu pflegen. Jennifer hatte sich daran gewöhnt, und es war ja auch nicht das Schlechteste: Sie durfte im Hotel bleiben – Violet spendierte ihr immer ein passables Zimmer – und konnte in Ruhe die Stadt und die Gegend entdecken, bis ihre Chefin für die Rückreise bereit war.

Untätig in London herumzusitzen war für Jennifer hingegen eine kleine Katastrophe. Clarissa rief viel zu oft an und fragte, was sie machte und wo sie steckte. Und wenn sich herausstellte, dass Jennifer gerade mal nicht für Violet arbeitete, forderte ihre ein Jahr ältere Schwester stets: „Du könntest uns wirklich mal ein wenig helfen. Wir ersticken in Arbeit!“ Das familieneigene Feinkost- und Cateringunternehmen Delight Delivery florierte mehr und mehr, seit Clarissa all ihre Energie dort hineinsteckte. Doch Jennifer wollte nun mal weder Schürze noch Abendkleid tragen …

Violet riss sie aus ihren Gedanken: „Nicht nur das Hotel, wo wir shooten werden, ist ziemlich phänomenal. Auch der Mann“, versprach sie.

Na bitte, sagte sich Jennifer im Stillen. Hier bahnte es sich ja schon an, dass sie länger in Rom bleiben würden. Violet war dermaßen gut im Geschäft, dass sie die Flüge hin und her buchte, wie es ihr gefiel. Vor zwei Jahren hatte die Star-Fotografin einen Fotowettbewerb ausgeschrieben, um eine neue, begabte Assistentin zu finden, und Jennifer war mit ihrem natürlichen Talent und dem gewissen Händchen in die engere Wahl gekommen. Dass sie damals tatsächlich das Rennen gemacht hatte, schrieb sie allerdings auch der Tatsache zu, dass sie zwar ein ehrgeiziger, aber auch ein unscheinbarer und stiller Typ war. Jemand anderen konnte Violet neben sich nämlich nicht dulden, sie musste stets im Mittelpunkt stehen.

Ihre Chefin sah wieder nach vorne. „Damian di Bernardo heißt er“, sprach sie den Namen schwärmerisch aus. „Allein bei dem Klang bekomme ich eine Gänsehaut.“

Jennifer zuckte nur mit den Schultern und sah wieder aus dem Fenster, wo Horden von Touristen auf der Via della Conciliazione, einer von Roms Prachtstraßen, dem weltbekannten Petersdom entgegenpilgerten.

„Also geben wir gleich wieder alles, ja?“, insistierte Violet, und Jennifer rollte genervt mit den Augen. Als ob sie das nicht immer taten! Bis auf ein paar wenige Pausen arbeiteten sie wie verrückt, aber sie wusste ja, warum sie es tat: Sobald sie genügend Geld gespart hatte, würde sie das Fotostudio des alten Mr Kent übernehmen.

Davon hatte sie schon immer geträumt. Sie war in einem Wohnviertel im Norden Londons aufgewachsen, mit dem Fotostudio in der Nachbarschaft, und sie hatte den sympathischen älteren Mann unzählige Male dort besucht und ihm bei der Arbeit zugesehen. Später hatte sie ihm im Studio auch geholfen. In ein bis zwei Jahren wollte er in Rente gehen und sein Geschäft verkaufen. Jennifer stand auf der Interessentenliste ganz oben. Schade nur, dass ihre Familie diese Pläne nicht unterstützte, sondern stattdessen immer nur gefordert hatte, sie solle im Unternehmen mitarbeiten …

„Endlich da!“

Sie stiegen aus, und Jennifer ließ den Blick über die barocke Fassade des Viersternehotels wandern. Was für ein Luxus! Überwältigt trat sie neben Violet in die riesige Lobby, wo der Geruch von Reichtum und Ruhm geradezu in der Luft lag.

Sie traten in den geräumigen Lift, der fast geräuschlos nach oben glitt. Violet sah in den großen Spiegel und zupfte an ihren Haaren. Auch Jennifer betrachtete sich. Neben der extravaganten Fotografin stand eine junge, ungeschminkte, blasse Frau, die – wie immer, wenn sie arbeitete – ihre glatten langen Haare in einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden hatte. Sie hatte schöne blaue Augen, ja, aber diese versteckte sie oft lieber hinter ein paar Ponyfransen. Und auch wenn sie auf ihre schlanke Figur stolz sein konnte, trug sie keine zu enge oder sexy Kleidung. In dieser eitlen Branche wollte sie erst gar nicht auffallen. Mit all den Schönheiten und Berühmtheiten konnte sie ohnehin nicht mithalten.

Die Türen des Lifts öffneten sich, und direkt vor ihnen erstreckte sich eine riesige, steinerne Veranda mit atemberaubendem Blick über die Altstadt. Fasziniert traten sie in das gleißende Licht. Jennifer kniff die Augen zusammen, dann folgte sie Violet, die auf einen herrlich bestickten Baldachin zuging. Darunter stand ein riesiger, kunstvoll mit Schnitzereien verzierter Tisch. Die samtbezogenen Stühle drumherum sahen so aus, als stammten sie direkt aus einem Schloss. Der Mann, der dort saß und einen hellen Strohhut ins Gesicht gezogen hatte, schien ganz in Gedanken vertieft zu sein. Erst als sie beide vor ihm standen, schaute er auf.

Jennifer schluckte unwillkürlich, denn das Paar dunkelbrauner Augen, das sie mit einem interessierten Blick streifte, löste sofort eine Art stillen Alarm bei ihr aus. Sie kannte dieses Gefühl schon, schließlich traf sie bei den Jobs mit Violet öfters atemberaubend gut aussehende Männer, die sich natürlich aber nie für sie interessierten. Doch dieser hier schien all seine Vorgänger zu übertreffen. Seine Augen erinnerten sie an Bitterschokolade und Samt zugleich, das Gesicht war ebenmäßig und doch markant. Sein Mund hatte einen sinnlichen Zug, wirkte aber trotzdem sehr männlich. Mit elegantem Schwung stand er auf, schob sich den Hut aus dem Gesicht und lächelte unverschämt charmant. Sogar Violet verschlug es einen Moment lang die Sprache.

„Die Damen?“, fragte er nonchalant. „Ich bin Damian di Bernardo.“

„Hi, ich bin Violet“, sagte ihre Chefin und bedachte ihn mit einem kecken Augenaufschlag. „Und das ist Jen, meine Assistentin.“

„Jen?“

„Jennifer“, sagte Jennifer. „Nur Violet nennt mich so …“

Damian musterte sie beide und zeigte beim Lachen eine Reihe weißer, makelloser Zähne. „Okay. Von mir aus können wir gleich loslegen. Ich bin bereit.“

Nicht nur sein Aussehen, auch seine Stimme, die tief und angenehm war, verwirrte Jennifer. Offenbar sprach er perfekt Englisch – aber klar, er war ja auch ein erfolgreicher Geschäftsmann. Sie riss den Blick von ihm los und machte sich schweigend an die Arbeit. Während sie die Kameras auspackte und die Technik überprüfte, verfolgte sie jedoch aufmerksam das Geplauder zwischen Violet und Damian. Dabei erfuhr sie, dass der attraktive Italiener eine äußerst erfolgreiche Werbeagentur namens Success in Mailand besaß, zu deren Kunden die ganz großen Firmen der Welt zählten. Jennifer spürte wieder diese stille Resignation in sich aufsteigen. Manche Menschen bekamen eben alles: Sie sahen toll aus, waren reich, und sicherlich hatten sie auch viel Glück in der Liebe …

Entsprechende Botschaften sollte Damian nach Violets Vorstellungen auch auf den Fotos transportieren: Ich bin ein Gewinner. Ich bekomme, was ich will. Mir gehört die Welt. So ungefähr.

Damian wurde an dem riesigen Tisch platziert, vor ihm ein Laptop im Edeldesign. Dann ließ Violet ihn lässig die Hand aufstützen – nicht ohne ständig unterschwellig mit ihm zu flirten. Er folgte jeder ihrer Anweisungen mit spielerischer Leichtigkeit, und da auch Jennifer sich voll und ganz auf das Fotoobjekt zu konzentrieren hatte, konnte sie Damian ziemlich genau betrachten. Er sah einfach unverschämt gut aus. Und wie er sich kleidete – dezent, aber sehr exklusiv und irgendwie aufregend. Und dann dieser Körper mit den breiten Schultern, der sonnengebräunten Haut … Hin und wieder streifte Damian sie mit einem kurzen Blick, was ihr einen kleinen Schauer über die Haut jagte. Zum Glück konnte sie die ungewohnt starke Faszination gut verbergen, das hatte sie geübt. Sie war sich sicher, dass ihr Gesicht völlige Gleichgültigkeit vorspiegelte. Sie war nämlich nicht nur eine gute Fotografin, sondern auch eine gute Schauspielerin. Nur wusste das keiner.

Doch als es endlich losgehen sollte, kam plötzlich alles anders. Der schrille, durchdringende Ton einer Sirene ertönte, und die Bediensteten, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatten, liefen aufgeregt herbei. „Feueralarm im Haus, bitte verlassen Sie sofort die Terrasse!“

Damian sprang auf, sein Blick war wach und klar. Seltsam, mit ihm an der Seite verspürte Jennifer keinerlei Angst. Allerdings war auch kein Rauch zu sehen, doch Alarm war Alarm. Sie blickte zu Violet, die sofort anfing, die teuren Kameras einzupacken. „Hilf mir doch!“

„Nein, alles hierlassen!“, insistierte einer der Bediensteten und wies drängend zur Seitentreppe. „Es ist alles versichert, lassen Sie nur!“ Doch Violet sah nicht einmal auf. „Mach schnell, Jen!“ Sie drückte ihr eine Kameratasche in die Hand.

Da verfing sich Jennifer mit einem Bein in einem Kabel und drohte zu stolpern. Doch das Gefühl des Fallens dauerte nur eine Millisekunde, dann hielten sie zwei starke Hände fest. Es war ein angenehmer Druck, und als Jennifer realisierte, dass die Hände zu Damian gehörten, rauschte eine warme Welle durch sie hindurch. Dichter als nötig zog er sie einen Moment an sich, sodass sie kurz seine starke Brust streifte und sein herbes Aftershave einatmete. Dann stellte er sie sicher auf die Beine, lächelte sie an und nahm ihr die Kameratasche aus der Hand: „Darf ich?“ Die andere Hand legte er sanft auf ihren Rücken und schob sie in die Richtung, in die sie die ganze Zeit schon gehen sollten. „Ich glaube es ist besser, wir verschwinden“, sagte er noch.

Schließlich folgte auch Violet, und alle liefen sie rasch die Treppe hinunter, während der Alarm immer noch weitertönte.

Unten in der Lobby herrschte eine kontrollierte Hektik, doch auch hier war nichts von Rauch oder Feuer zu bemerken.

„Bestimmt ein Fehlalarm“, mutmaßte Violet genervt. „Dabei wären das jetzt, genau mit diesem Licht, geniale Fotos geworden!“

Und sie behielt recht. Der Hotelmanager kam und entschuldigte sich. Aus organisatorischen Gründen könne die Terrasse jedoch erst wieder in einer Stunde freigegeben werden, erklärte er. Violet regte sich furchtbar auf, Jennifer stand hilflos daneben. Damian hatte sich ein paar Meter weiter in einem der edlen Ledersessel niedergelassen und beobachtete die Szene offenbar amüsiert.

Schließlich ging Violet zu ihm, während Jennifer ihr mit gespielt gelassener Miene nachsah. Dabei hasste sie es, wenn Violet sie einfach so stehen ließ. Doch schon wenig später kam ihre Chefin wieder auf sie zu. „Kein Shooting mehr heute, Damian hat leider nicht so lange Zeit.“

„Aber dann …“

„… müssen wir das nachholen.“

Jennifer schloss kurz die Augen.

„Wir bringen das Equipment zurück in unser Hotel. Anschließend hast du bis morgen Mittag frei“, fuhr Violet fort.

Jennifer ahnte schon etwas. „Und du …“

Violets Augen blitzten auf. „Ich treffe mich später noch mit Damian. Privat!“

Jennifer nickte nur und sah kurz zu dem Italiener hin. Sein dunkler, samtener Blick ging ihr durch und durch. Und plötzlich, das erste Mal in der ganzen Zeit, in der sie nun schon für Violet arbeitete, verspürte sie einen seltsam scharfen Stich von Eifersucht.

2. KAPITEL

Damian hatte ein bekanntes Restaurant in der Nähe der stimmungsvollen Piazza di Spagna vorgeschlagen, wo sich auf der berühmten Spanischen Treppe stets viele Touristen tummelten. Da Violet ihrer Aussage nach Rom nicht besonders gut kannte und auch er nicht hier, sondern in Mailand beheimatet war, hielt Damian es für eine gute Wahl. Doch Violet hatte selbstbewusst gesagt: „Ein verschwiegenes Lokal wäre mir lieber.“ Die Fotografin machte aus ihren Absichten kein Geheimnis. Dabei stand ihm im Moment gar nicht so sehr der Sinn nach einer Affäre – zumal er mit Violet ja noch einen weiteren Fototermin hinter sich zu bringen hatte und er bald Anna treffen würde.

Nachdenklich nippte er an seinem Drink. Anna. Es war lange her, dass sie sich das letzte Mal gesehen hatten. War es auf der Beerdigung gewesen? Jedenfalls lebte sie seitdem völlig zurückgezogen und hatte den Kontakt mit ihm so knapp wie möglich gehalten. Dabei hatte er doch einst versprochen, dass er immer für sie da sein würde …

Vor wenigen Tagen hatte dann das Telefon geklingelt: „Ich bin so weit“, hatte sie gesagt. „Ich möchte dich gerne treffen. Aber nicht in Mailand. Zu viele Erinnerungen.“

Ja, Mailand war voll von Erinnerungen, und vor allem waren es Erinnerungen an die wohl schönste Zeit seines Lebens. Dort hatte er mit Arturo die Agentur gegründet, dort hatten sie erste Erfolge gefeiert, dort hatte er geliebt. Richtig geliebt. Doch das war vorbei. Seitdem aber stellte er sich vor, Arturo und auch Aurora sähen ihm von oben hin und wieder über die Schulter. Sicherlich wären sie stolz auf ihn, wie er die Firma alleine erfolgreich weitergeführt hatte. Jedenfalls hatte er Rom für ein Treffen mit Anna vorgeschlagen, weil er hier eben diesen Fototermin und andere geschäftliche Dinge zu erledigen hatte.

„Okay, Rom ist gut“, hatte Anna seltsam tonlos gesagt. Sie schien den Verlust noch lange nicht überwunden zu haben. Und er selbst? Er wich dieser Frage lieber aus. Und das war auch der Grund, weswegen er sich an diesem Abend eben doch auf die herausfordernde Verabredung mit Violet eingelassen hatte. Ablenkung kam ihm gerade recht.

Er sah auf die Uhr. Klar, eine Frau wie Violet rauschte hier natürlich nicht pünktlich herein. Er studierte also schon einmal die kleine, exquisite Speisekarte, als er merkte, wie sich jemand langsam näherte. Er blickte auf – und war überrascht. Es war Jennifer, die Assistentin von Violet. Am Nachmittag war sie ihm durch ihre ernste und stille Art aufgefallen, die sie der etwas herrischen Violet offensichtlich entgegensetzte.

„Hi“, sagte Jennifer betont beiläufig. Sie trug ihre rotblonden Haare nun offen, lang fielen sie ihr über die Schultern. Na bitte. Das sah doch schon ein wenig hübscher aus als dieser Pferdeschwanz.

„Hi“, sagte er ebenso lässig. Doch ganz so lässig kam sie ihm gar nicht vor, wie sie da kerzengerade stand, die Hände ineinander verschränkt und mit leicht flackerndem Blick. Er sah sie ruhig an. Sie schien eine ziemlich gute Figur zu haben, auch wenn ihre locker fallende Kleidung das nicht unbedingt unterstrich.

„Tut mir leid“, begann Jennifer zu sprechen und wich seinem Blick aus, als sei es ihr unangenehm, wie er sie betrachtete. „Violet kann nicht kommen, sie hatte einen kleinen Unfall. Sie schickt mich, um Ihnen auszurichten, Sie mögen auf Ihre Kosten essen. Und ich soll Ihnen hier etwas als Entschuldigung überbringen und …“

Damian hob die Arme. „Moment, Moment“, unterbrach er den Redeschwall. „Setzen Sie sich doch bitte einen Augenblick. Erzählen Sie in Ruhe!“

Jennifers Miene verdunkelte sich. „Nein, danke, ich …“

„Doch!“ Er wollte schon etwas mehr erfahren als ein paar lapidare Sätze. Außerdem wirkte die Assistentin etwas gehetzt. Es musste anstrengend sein, für die berühmte Fotografin zu arbeiten.

„Also, ich …“

„Setzen Sie sich. Bitte.“ Endlich tat sie es. Damian entging nicht die feine Röte, die nun ihr Gesicht überzog. Eigentlich war Jennifer ziemlich hübsch, wenn man genau hinsah. Nur eben ungeschminkt, und das war ungewohnt. Die Frauen, mit denen er sonst zu tun hatte, legten immer sehr viel Wert auf ihr Äußeres.

„Trinken Sie lieber Weißwein oder Rotwein?“

„Weißwein …“

Ohne auf Jennifers Einspruch zu achten, bestellte er eine Flasche des besten Weins, den es gab. Es war so eine Laune, und natürlich würde er das kleine Vermögen nachher selbst bezahlen.

„Was ist passiert?“, nahm er interessiert den Gesprächsfaden wieder auf, als der Kellner gegangen war. Jennifer strich sich nervös durch die Haare. Jetzt erst fragte er sich, ob er sie vielleicht von einer Pflicht Violet gegenüber abhielt und hakte nach: „Werden Sie gleich zurückerwartet?“

„Nein, das nicht. Es ist auch nichts Schlimmes, Violet ist einfach auf der Treppe umgeknickt. Aber der Knöchel ist mächtig angeschwollen, und sie hat Schmerzen. Ihr Fuß steckt gerade in einem Eiskübel.“

Zu seiner Überraschung war Damian überhaupt nicht enttäuscht über diese kleine Änderung. Auch Jennifer war ihm willkommen – mit ihr zu plaudern war in jedem Fall entspannter als ein offensiver Flirt, auf den es Violet wohl angelegt hätte. „Und dann wurden Sie geschickt? Warum hat Ihre Chefin nicht angerufen?“

„Es ist erst vor einer Stunde passiert, und Sie waren nicht erreichbar.“

„Ach ja?“ Stimmt, er hatte gar nicht auf den Akku geachtet und vorhin stundenlang mit Mailand telefoniert. Wahrscheinlich hatte sich sein Handy ausgeschaltet, das passierte gelegentlich.

„Außerdem soll ich Ihnen als Entschädigung das hier überbringen …“ Jennifers hübscher Kopf verschwand kurz unter dem Tisch, als sie nach ihrer Tasche griff. Dann legte sie einen großen, glänzenden Fotokatalog vor ihn auf den Tisch. Best of Violet, las er. Er nahm ihn in die Hand. Er war schwer.

„Eine limitierte Auflage“, ergänzte Jennifer. „Sie dürfen sich geehrt fühlen.“

Damian hörte deutlich den Hauch Sarkasmus in ihrer Stimme. „Arbeiten Sie gern für Violet?“, fragte er geradeheraus.

„Die Arbeit ist sehr interessant“, sagte Jennifer ausweichend. „Ich treffe viele Persönlichkeiten, lerne immer neue Orte kennen.“

Der Kellner trat wieder an den Tisch, ließ ihn den Wein kosten. Damian tat alles mit großer Ruhe und spürte, wie Violets Assistentin ihn genau beobachtete. Schließlich waren die Gläser gefüllt. „Nun, das war nicht ganz die Antwort auf meine Frage, Jennifer“, sagte er. „Aber ich glaube, ich verstehe Sie.“ Er selbst war Meister im Entschlüsseln und Verschlüsseln versteckter Botschaften, das gehörte schließlich in der Werbebranche zu seinem Job. So konnte er schon jetzt schlussfolgern, dass Jennifer mit ihrer Arbeit für die berühmte Fotografin nicht ganz glücklich war. Und aus einem ihm nicht erfindlichen Grund – denn was ging ihn das an? – bedauerte er dies ein wenig. „Was möchten Sie essen?“

„Essen?“

„Bitte leisten Sie mir Gesellschaft. Das ist doch sicherlich in Violets Sinne, wenn ich hier jetzt nicht ganz allein sitze.“

„Wenn Sie mich über meine Chefin ausfragen wollen, vergeuden Sie Ihre Zeit“, antwortete sein Gegenüber allerdings etwas brüsk.

Damian war verblüfft, denn da lag Jennifer völlig falsch. Es war bestimmt nicht sein Stil, jemanden auszufragen. Doch sie hatte da wohl andere Erfahrungen gemacht. Klar, wenn man im Schatten einer solchen Diva stand …

Auf einmal fand er es reizvoll, sich mit der Assistentin nicht nur die Zeit zu vertreiben, sondern sie auch aus der Reserve zu locken und ihr etwas zu bieten. „Eigentlich dreht sich bei mir der Abend immer um jene Person, die mir gegenübersitzt“, nahm er ihr den Wind aus den Segeln. „Ich würde mich freuen, wenn Sie bleiben würden.“

Wieder flackerten ihre Augen auf. Sie waren von einem hellen Blau, aber sie erschienen ihm trotzdem nicht so kühl wie die vieler anderer Engländerinnen, die er in seinem Leben schon getroffen hatte. Sein Blick wanderte zu ihrem Mund, dessen volle Lippen sich gerade öffneten, wahrscheinlich, um sein Angebot abzulehnen.

„Tun Sie es nicht“, sagte er rasch, und das Spiel machte ihm immer mehr Spaß. Keine Spur von der latenten Langeweile, die sich so oft bei ihm meldete, wenn er mit einer Frau den Abend verbringen sollte, von dem er genau wusste, wie er ausging.

Doch dann sprach sie Klartext: „Sie waren mit Violet verabredet, und ich soll jetzt die Ersatzdame spielen?“

Er lehnte sich zurück. Auf jeden Fall war Jennifer mutig und schien ihn keineswegs anzuhimmeln. „Nein“, sagte er mit fester Stimme, beugte sich etwas vor und legte eine Hand auf ihre zierlichen Finger, die doch so hart anpacken konnten. „Sie sind kein Ersatz für Violet. Sie sind Jennifer, und das ist auch gut so.“

„Du hast mit Damian zusammen in dem Lokal gegessen?“ Violet starrte Jennifer am nächsten Morgen ungläubig an. „Wie kam es denn dazu?“

Nun, die Wahrheit würde Violet wohl kaum interessieren. Denn es war eines der wenigen Male gewesen, dass Jennifer auf einem dieser Jobs in den vielen fremden Städten jemanden getroffen hatte, der sie nicht nur als beliebige Assistentin im Hintergrund wahrgenommen hatte. Der respektvoll mit ihr gesprochen und ihr das Gefühl vermittelt hatte, dass sie keineswegs eine langweilige, unscheinbare Person war. Schon allein wie Damian sie stets mit ihrem ganzen Namen und nicht etwa mit „Jenny“ oder „Jen“ angesprochen hatte, hatte ihr gutgetan. Auf einmal hatte sie sogar Appetit verspürt und das Essen mit ihm ziemlich genießen können.

Violet lag auf ihrem Bett und hatte ein Bein auf einem Kissen gelagert. Der vom Hotel gerufene Arzt hatte ihr geraten, sich absolut ruhig zu verhalten. Das war eine schwere Herausforderung für eine Person wie Violet, die sonst hyperaktiv war. Jennifer war klar, dass sie ihre Chefin ein wenig bei Stimmung halten musste.

„Nun, Damian hat mich darum gebeten, ihm Gesellschaft zu leisten“, antwortete sie wahrheitsgemäß.

„So“, sagte Violet nur. „Und was hat er zu meinem handsignierten Katalog, meinem Entschuldigungsgeschenk, gesagt?“

Jennifer stockte. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass Damian gar nichts zu dem Katalog gesagt hatte. Schon kurz nachdem sie ihn auf den Tisch gelegt hatte, hatte er ihn beiseitegeschoben und den ganzen Abend nicht weiter beachtet. „Äh … ja, schön“, brachte sie hervor. „Vielen Dank, lässt er ausrichten.“ Das war schon die erste Lüge, und weitere, so ahnte sie, würden folgen, wenn Violet gleich noch mehr wissen wollte.

„Aha. Und wie war der Abend so mit ihm?“

„Nett“, erwiderte Jennifer und bemühte sich, ihre Stimme gleichgültig klingen zu lassen, dabei war nett die beste Untertreibung, die ihr gerade einfiel. Es waren die aufregendsten Stunden gewesen, die sie seit Langem erlebt hatte. Allein die paar Momente, in denen er seine Hand sachte auf ihre Finger gelegt hatte. Jedes Mal hatte sie einen kleinen Stromstoß gefühlt, und einmal hatten sich die Härchen auf ihrem Arm so deutlich aufgestellt, dass sie schnell aufgestanden war, um auf die Toilette zu gehen. Dort hatte sie die Hände lange unter kaltes Wasser gehalten und sich im Spiegel angeschaut. Ihr Gesicht war verändert gewesen, die Augen hatten einen fiebrigen Glanz gehabt, und ihre Lippen hatten leicht pulsiert, als hätte Damian sie geküsst. Es war unglaublich, was für eine Wirkung dieser Mann auf sie hatte.

„Nett“, wiederholte Violet. „Könntest du bitte etwas deutlicher werden? Ich liege hier hilflos und allein im Hotelzimmer, und du amüsierst dich mit meinem Date? Da darf ich ja wohl ein wenig mehr erfahren!“

Jennifer stand vor Violets Bett und hatte nicht die geringste Lust, von dem Abend zu erzählen. Am liebsten hätte sie dies auch genauso gesagt, doch sie sah ein, dass ein Streit nicht klug war. Es war besser, Violet einfach nur zu beruhigen.

„Ich glaube, Damian war sehr enttäuscht, als du nicht kamst“, sagte sie, und das war wahrscheinlich noch nicht einmal eine Lüge. Welcher Mann wäre nicht enttäuscht, wenn eine Frau wie Violet ihn – aus welchem Grund auch immer – versetzen würde? „Aber er wollte eben nicht alleine essen. Erst habe ich Nein gesagt, doch er hat darauf bestanden, dass ich bleibe. Was hätte ich tun sollen?“

Violet ließ den Kopf wieder ins Kissen sinken und starrte an die Decke. „Du hast ja recht, entschuldige. Ich fühle mich nur einfach so schrecklich hilflos mit diesem blöden, geschwollenen Fuß. Das bin ich nicht gewohnt.“

Einen kurzen Moment schwiegen beide, doch dann fragte Violet neugierig weiter: „Was hast du ihm von mir erzählt?“

Einen Moment verschlug es Jennifer die Sprache. Die Selbstverliebtheit Violets war wirklich unschlagbar. Offenbar konnte sie sich nicht vorstellen, dass Jennifer hauptsächlich über sich selbst gesprochen hatte. Damian hatte sie geradezu über ihren Werdegang ausgefragt, und am Ende, nach zwei Gläsern Wein, hatte sich ihre Zunge gelöst und sie hatte von ihrem großen Traum erzählt, in London das Fotostudio des alten Mr Kent zu übernehmen und dann nur noch ihre eigene Chefin zu sein. Die ganze Zeit hatte Damian ruhig zugehört, während seine Augen im Kerzenlicht dunkel und geheimnisvoll schimmerten.

„Meinst du nicht, es wäre besser, du erzählst Damian bei eurem nächsten Treffen selbst von dir?“, startete Jennifer nun ein diplomatisches Ausweichmanöver. Es schien zu funktionieren, denn ihre Chefin ließ endlich von ihr ab. Was allerdings nicht funktionierte, war, nicht dauernd daran zu denken, wie Damian sie nach dem Essen verabschiedet hatte. Vor dem Lokal hatte er sie ein kleines Stück an sich gezogen und langsam auf jede Wange geküsst. Sehr langsam. Sie hatte seinen Atem auf ihrer Haut gespürt und angespannt die Luft angehalten. Dann hatte er gesagt, was sie ihm nicht ganz glauben mochte: „Der Abend war interessant für mich. Vielen Dank. Auf bald.“

Violet seufzte auf. „Wie auch immer, ich habe gerade mit Damian telefoniert …“

„Ja?“, entfuhr es Jennifer unbeabsichtigt laut, woraufhin Violet leicht die Stirn runzelte.

„Ja, natürlich! Wir sind hier wegen eines Auftrags und nicht wegen irgendwelcher Abendessen, oder hast du das etwa vergessen?“

Der Seitenhieb saß. Rasch setzte Jennifer eine coole Miene auf. Und sie verbat sich auch gleich jede weitere Regung für Damian. Denn schließlich war es nur ein schöner Abend gewesen, der sich zufällig ergeben hatte – fertig, aus. Was war überhaupt aus ihrem unbedingten Vorsatz geworden, sich in diesem Leben von gut aussehenden Männern nicht mehr beeindrucken zu lassen? Die nämlich waren für Frauen wie Violet da – oder Clarissa oder Sonya …

„Jedenfalls treffen wir uns heute Nachmittag nochmals auf der Dachterrasse dieses Hotels. Bitte hilf mir, aufzustehen.“

Schon schwang sich Violet aus dem Bett, und Jennifer trat zu ihr, um sie zu stützen. „Aber du sollst doch liegen …“, versuchte sie gleichzeitig einzuwenden.

„Quatsch. Wenn ich immer getan hätte, was andere mir sagen, wäre ich heute nicht da, wo ich bin!“ Violet ließ sich von Jennifer aufhelfen und versuchte, mit ihrem verletzten Bein aufzutreten, doch sie knickte um und schrie auf vor Schmerz. „Verdammt!“ Sie sackte zurück.

„Nein, das wird nichts“, sagte Jennifer.

Violet ignorierte sie. „Versuchen wir es noch mal!“ Doch wieder schrie sie auf. Schließlich sank sie auf das Bett zurück und schloss einen Moment die Augen.

Violet so hilflos zu sehen machte Jennifer nervös. „Soll ich Damian anrufen und den Termin verschieben?“, fragte sie.

Ihre Chefin schlug die Augen auf und sah Jennifer nachdenklich an. „Nein“, sagte sie schließlich. „Nein, das ist keine gute Idee. Ich habe ihn gestern schon versetzt.“

„Aber was sollen wir denn tun?“, fragte Jennifer ratlos.

Violet kniff nun leicht die Augen zusammen und sah Jennifer an. „Ich weiß, ich lobe dich selten, aber jetzt tue ich es. Du bist gut, Schätzchen, du bist schon ziemlich gut. Und deswegen machst du den Job ohne mich. Das ist wohl die beste Lösung.“

Jennifer blieb einen Moment lang die Luft weg. „Ohne dich …?“

„Traust du dir das etwa nicht zu, nach all dem, was du bei mir schon gelernt hast? Außerdem dürften dir alle Anweisungen von gestern, bevor dieser bescheuerte Alarm ausgebrochen ist, noch im Gedächtnis sein.“

Jennifer wurde es heiß und kalt auf einmal. Violet hatte sie noch nie alleine auf einen Job geschickt, denn sie gab nicht gerne die Kontrolle ab. Ein wenig erfüllte sie das zwar mit Stolz, doch gleichzeitig war sie in völligem Aufruhr.

„Also, was ist?“, fragte Violet und starrte missmutig auf ihren Fuß. „Vielleicht, wenn ich heute noch eine Pause einlege, bin ich morgen wieder einsatzbereit.“

Jennifer hatte einen ganz trockenen Mund, als sie gespielt gelassen erwiderte: „Klar, das schaffe ich.“ Aber sie konnte sich nichts vormachen. Sie war nicht so aufgeregt, weil sie einen Auftrag ohne Violet erledigen sollte, das würde sie schaffen, ja, ganz bestimmt. Der Grund, warum ihr gerade schwindelig wurde, war dieser: Sie würde abermals mit Damian alleine sein.

Vor lauter Nervosität war Jennifer viel zu früh am Set. Endlich öffneten sich die Türen des Lifts, und Damian trat hinaus ins Sonnenlicht. Sie hielt den Atem an, und es wurde ihr erst jetzt bewusst, dass es komisch aussehen mochte, wie sie so steif unter dem kostbaren Baldachin auf dem Stuhl saß und Damian entgegensah, als betrete er eine Bühne und sie sei das Publikum. Der Schweiß brach ihr aus, dabei zeigte sich das Septemberwetter eher mild an diesem Tag. Den Himmel allerdings trübte kein Wölkchen.

Damian sah fantastisch aus. Lässig schlenderte er auf sie zu. Sein schwarzes, dichtes Haar glänzte im Sonnenlicht. Er trug ein helles Sommerjackett und eine passgenau geschnittene Hose aus Leinen. Unbestechlich edel und leger zugleich. Sie hingegen trug nur ihre bequeme Jeans und eine Bluse, die sie vorne meistens nur locker zuknotete, darunter ein einfaches Top.

„Hi“, sagte Damian, als er vor ihr stehen blieb. Sie erhob sich und wagte einen Blick in seine dunklen Augen. Er lächelte.

„Violet ist leider immer noch nicht in Form, sie konnte nicht kommen“, sagte Jennifer entschuldigend. „Wir hoffen, es ist in Ordnung für Sie, wenn ich die Fotos heute ausnahmsweise alleine mache. Und falls Sie mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein sollten, holt Violet das Shooting nach, selbstverständlich an einem Ort und einem Zeitpunkt Ihrer Wahl und …“

„Ich habe vollstes Vertrauen, nachdem ich Sie gestern Abend etwas näher kennenlernen durfte“, bremste Damian sie aus. „Nun wissen wir ja, wozu das unter anderem gut war, oder?“

Unter anderem …? Sie räusperte sich. „Danke. Wollen wir gleich anfangen?“

„Klar“, sagte Damian.

Wie am Tag zuvor setzte er sich an den kunstvoll verzierten Tisch, vor sich den geöffneten Laptop, den Blick frei in die Kamera gerichtet, eine Hand auf der Tastatur. Jennifer schoss rasch eine Folge von Fotos und unterdrückte mit eisernem Willen das leichte Zittern in ihren Fingern. Dann aber fand sie zur vollen Konzentration, denn Fotografieren war ihr Element, es war ihre Berufung. Vor allem wollte sie Violet erstklassige Bilder liefern. Sie gab knappe Anweisungen, wie Damian sich präsentieren sollte, und durch die Linse sah er so aus, wie man sich einen erfolgreichen Geschäftsmann auf einem Höhenflug vorstellte: unbestechlich gut. Fokussiert. Mit einer gewissen Härte und Überlegenheit im Blick.

Doch dann, bei der nächsten Einstellung, veränderte sich Damians Gesichtsausdruck. Er lächelte ein wenig, seine Augen blickten wärmer. Seine Lippen entspannten sich. Die Veränderung verunsicherte Jennifer. Trotzdem drückte sie auf den Auslöser. Sie schoss Foto um Foto, und es waren schöne Fotos, ganz bestimmt. Doch die Bilder der letzten Einstellung waren nicht geeignet für ein Wirtschaftsmagazin, das in einer Reportage aufstrebende Wirtschaftsbosse porträtieren wollte. Stattdessen wirkte Damian auf den Fotos wie ein Köder für ein Partnervermittlungsinstitut, so charmant, so einladend. Irritiert ließ sie die Kamera sinken.

Damian lachte sie an, und Jennifer realisierte, dass er begonnen hatte, mit ihr zu flirten. „Sind wir schon fertig?“, fragte er leichthin.

Vielleicht half ein Positionswechsel, dachte sie nervös. Sie würde noch ein paar Profilbilder machen, da konnte er sie mit seinen Blicken nicht weiter durcheinanderbringen. „Nein, noch nicht ganz. Könnten Sie sich vielleicht an die Balustrade stellen und den Blick über die Stadt schweifen lassen?“

„Klar.“

Damian schien ein Naturtalent zu sein. Es sah locker und gleichzeitig völlig souverän aus, wie er dastand, das Kinn leicht angehoben. Sie legte los, bis Damian den Kopf in Richtung Kamera drehte und wieder so einnehmend lächelte. Und zwar lächelte er für sie, nicht für die Kamera, das war ihr auf einmal völlig klar. Sie machte noch ein paar Aufnahmen, wohl wissend, dass sie die letzten Fotos Violet nicht würde zeigen können, ohne eine sarkastische Bemerkung zu ernten. Aber wofür machte sie diese Bilder dann?

Erneut trat ihr der Schweiß auf die Stirn. Das Shooting vermischte sich mit Erinnerungen an die Gefühle vom gestrigen Abend. Was sollte das? Warum wollte Damian sie unbedingt verwirren? Oder bildete sie sich das Ganze nur ein? Denn warum sollte sich ein Mann wie Damian schon für sie interessieren? Und selbst wenn er ein solches Interesse vorgab – sie wollte jedenfalls nichts von einem Mann wie ihm. Sie war schon einmal in einen Mann mit ähnlich umwerfendem Aussehen verliebt gewesen, und es hatte sehr schlimm geendet. Sicherlich würde sich Damian bei der nächsten Gelegenheit lieber mit Violet oder einer anderen tollen Frau treffen. Sie war hier nur zweite Wahl, so, wie sie es immer schon gewesen war …

Sie beschloss, genug passende Bilder gemacht zu haben. „Wir sind fertig“, sagte sie. „Danke. Wir lassen Ihnen die Auswahl an Fotos zukommen und …“

„… wir gehen jetzt an die Bar und trinken etwas Kühles“, ergänzte Damian schnell. „Das haben wir uns doch verdient, oder?“

Jennifer blickte auf die Uhr. Es gab heute keine weiteren Termine mehr. Doch mit dieser Geste wollte sie vortäuschen, dass sie keine Zeit hatte. Es war nicht ihre Art, sich einfach so in einen Flirt zu stürzen. Und vor Violet wollte sie nicht nochmals lügen müssen.

„Nein, ich …“

„Die Bar liegt quasi auf dem Weg nach draußen“, unterbrach er sie freundlich, aber bestimmt. Er nahm sein Jackett und schwang es sich über die Schulter. „Sie sehen erhitzt aus, erschöpft. Sie würden aus mir unbekannten Gründen lügen, wenn Sie mir nun erzählen würden, eine kurze Pause würde Ihnen nicht guttun. Und falls Violet Ihnen solche Pausen nicht gönnt, würde ich das an Ihrer Stelle schnellstens einfordern.“

Er schien ihre Lage irgendwie zu durchschauen, und er hatte recht. Auch wusste sie sich gegen Damians direkte Art nicht recht zu wehren. Das Einzige, was sie jetzt noch tun konnte, war, ihre Fassade aufrechtzuerhalten. „Wenn Sie darauf bestehen …“

„Das tue ich. Und übrigens finde ich, jetzt, wo die Arbeit getan ist, brauchen wir uns auch nicht mehr so förmlich anzureden. Findest du nicht auch?“

Ein Ziehen ging durch ihren Bauch, dann ein angenehmes Kribbeln. Es war, als könnte sie sich nicht entscheiden, was sie fühlen und denken sollte. Einerseits war sie auf der Hut vor diesem Mann, doch gleichzeitig gefiel es ihr mehr als gut, wie er sie beachtete und wie er sie immer ansah. „Warum nicht“, antwortete sie jedoch lapidar.

Sie versuchte, ihre Gedanken zu beruhigen. Ein Drink an der Bar – was war schon dabei? Mal abgesehen davon, dass es für einen richtigen Drink viel zu früh und der Alkohol am Abend zuvor eine große Ausnahme gewesen war … Nur deswegen hatte ja vorübergehend diese irritierende Nähe beim Kerzenlicht zwischen ihr und Damian entstehen können. Nur deswegen hatte sie so viel von sich erzählt. Doch jetzt war sie komplett nüchtern.

Damian las ihre Gedanken. „Du trinkst nicht bei der Arbeit, richtig?“

„Nein.“

„Das ist gut so, ich auch nicht. Ich möchte dich nur noch nicht einfach so gehen lassen, und es gibt hier vorzüglichen Eiskaffee.“

Seine Worte hallten in Jennifer nach: Ich möchte dich nicht einfach so gehen lassen … Doch sicherlich war das nicht ernst gemeint, es war bestimmt nur so eine Floskel, eine Laune. Sie wandte sich ab und begann, die Kameras zu verstauen. Damian schien dabei jede ihrer Bewegungen genau zu beobachten. Als sie fertig war, nahm er ihr eine der Taschen ab und sagte mit tiefer, warmer Stimme: „Gehen wir.“

Sie reckte trotzig ihr Kinn. Was jetzt kam, war ihre leichteste Übung: Sie würde alle Schutzschilder hochfahren und Damian an sich abperlen lassen wie Wasser auf einer dicken Schutzschicht.

3. KAPITEL

Selten hatte Damian ein Fotoshooting Spaß gemacht. Sonst betrachtete er solche Termine als notwendiges Übel. Dann setzte er eben seine Business-Miene auf, kein Problem. Aber heute war es nach kurzer Zeit so gewesen, dass sich sein Gesicht wie von selbst entspannt und er in die Kamera gelächelt hatte, hinter der sich Jennifer so gut verstecken konnte. Auf eine seltsame Art und Weise interessierte ihn Violets Assistentin, obwohl sie überhaupt nicht sein Typ war. Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit Auroras ätherischem Wesen, das er immer noch unbändig vermisste.

Jennifer hingegen war … ja, wie war sie überhaupt? Er hatte den Eindruck, als wüsste sie das selbst nicht, als hätte sie ihre Persönlichkeit als Frau noch überhaupt nicht gefunden. Besonders weiblich jedenfalls wirkte sie nicht in ihrer Arbeitskleidung und mit diesem Pferdeschwanz. Dafür aber war sie in ihrem Job selbstbewusst und zielstrebig – nach diesen Kriterien hatte Violet ihre Assistentin sicherlich richtig ausgewählt. Jennifer schien auch absolut nicht eitel zu sein. Ganz im Gegenteil zu Aurora …

Nachdenklich blickte Damian auf das cremige Eis, das in den beiden hohen Gläsern langsam in dem schwarzen Kaffee versank. Viel zu lange schon war Jennifer auf der Toilette, und er wurde langsam ungeduldig. Warum aber machte er sich über die unscheinbare Engländerin eigentlich so viele Gedanken?

Er seufzte innerlich auf. Entweder er arbeitete wie verrückt, oder er suchte Ablenkung. Es war ihm gar nicht so wichtig, mit wem genau er seine knappe Freizeit verbrachte und sich zerstreute. Hauptsache, er dachte nicht die ganze Zeit an Aurora. Oder daran, dass Anna heute eintreffen würde. Das verursachte bei ihm gemischte Gefühle, deswegen wollte er sich vorher einfach nur ein wenig entspannen. Er sah auf.

„Danke.“ Jennifer war fast geräuschlos neben ihn auf einen der Barhocker geglitten und griff nach dem Glas. Sofort sog sie an dem Strohhalm. „Lecker!“

Sie hatte ihre Frisur nun wieder gelöst, und es gefiel ihm. „Du bist gleich eine ganz andere Frau, wenn du so aussiehst“, sagte er und berührte kurz das seidige, rotblonde Haar, das über ihre Schultern fiel. Es war eine spontane Geste und seine ehrliche Meinung.

Sie sah ihn mit unbewegtem Gesicht an und stellte das Glas zurück auf den Tresen. „Beim Arbeiten muss es eben praktisch sein, das geht nicht anders“, sagte sie etwas steif.

Wollte sie keine Komplimente hören? Doch er bemerkte wieder dieses Flackern in ihren hellblauen Augen, die bei Tageslicht intensiv strahlten. Gleichzeitig aber versuchte sie, distanziert zu wirken. Er durchschaute die meisten Menschen schnell, das war so eine Gabe. Am Abend zuvor allerdings war sie ziemlich schnell aufgetaut und hatte lebhaft gestikulierend von ihren Zukunftsplänen erzählt. Ihr ganzes Gesicht hatte geleuchtet. Gerne hätte er dies noch einmal gesehen.

Stattdessen schwieg sie nun fast verbissen. Und er – er sagte auch nichts. Er hatte keine Lust, den Alleinunterhalter zu spielen. Er war ein Mensch, der auch mal schweigen konnte, ohne sich unwohl zu fühlen.

Jennifer hingegen tat nun so, als betrachte sie interessiert das edle Interieur der Bar. Dabei rutschte sie auf ihrem Hocker hin und her. Er musste schmunzeln.

„Was sehen Sie mich so an!“, fuhr sie schließlich auf.

„Waren wir nicht schon beim Du?“, fragte er ruhig zurück.

Sie presste kurz ihre sinnlichen Lippen zusammen. Aus der Nähe und bei Tageslicht fiel ihm erstmals auf, was für eine helle, zarte Haut sie hatte.

„Wie lange bleiben Sie … bleibst du noch in Rom?“, frage Jennifer nun, offenbar bemüht, ein wenig unverbindliche Konversation zu betreiben.

Er dachte kurz nach. Er wusste noch nicht, wie lange Anna bleiben würde. Vorher konnte er auf keinen Fall zurück nach Mailand. „Es kommt auf meine Termine an. Ich bin recht flexibel. Und ich habe hier noch eine Verabredung …“

„… mit einer Frau!“, ergänzte sie wie aus der Pistole geschossen.

Er sah sie verblüfft an und gleichzeitig dämmerte ihm, dass sie ihn per se für einen Schürzenjäger hielt. Fast kränkte ihn das ein bisschen.

„Hast du nie eine Verabredung?“, fragte er provokant.

Jetzt sah sie ihn wachsam an. „Doch, klar“, erwiderte sie dann langsam. Mehr war nicht aus ihr herauszubekommen – und das stachelte ihn an. Sonst liefen ihm die Frauen geradezu hinterher. Das hier war mal etwas anderes.

„Und wie vertreibst du dir in den nächsten Tagen die Zeit?“, fragte er weiter.

„Das werde ich schon“, antwortete sie – wie erwartet – ziemlich kühl. „Wir machen auf jeden Fall noch eine weitere Fotostrecke für dieses Wirtschaftsmagazin, aber Violet muss sich vorher wohl noch ein bisschen erholen.“

In diesem Moment kam auf seinem Handy eine SMS an. Da er im ständigen Kontakt mit seiner Firma in Mailand stand, warf er einen Blick darauf, um zu prüfen, ob es etwas Dringendes war. Doch die Nachricht war von Anna. Er konnte nicht umhin, sie zu überfliegen, und erfuhr, dass sie nicht heute, sondern erst zwei Tage später ankommen würde.

Jennifer hatte ihren Eiskaffee ausgetrunken. Sie strich sich die Haare zurück und sah abermals demonstrativ auf ihre Uhr. „Ich muss gehen. Vielen Dank für den Eiskaffee und auch dafür, dass du dich beim Fotoshooting so gut angestellt hast.“ Endlich lächelte sie mal ein wenig. „Ich denke, es sind ein paar gute Aufnahmen dabei.“

Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er nun unerwartet einen freien Abend hatte, weil Anna später kam. Es war zwar ein bisschen verrückt, aber er sagte, ohne weiter zu überlegen: „Ich würde dich gerne ausführen.“

Jennifer, die gerade hatte aufstehen wollen, sank zurück und runzelte die Stirn. Eine freudige Reaktion sah anders aus. „Warum sollten wir uns nochmals treffen?“, stieß sie hervor.

Das klang fast schon aggressiv, und er sah sie erstaunt an. Was war es nur, was sie so bitter reagieren ließ?

Nun blitzten ihre Augen angriffslustig auf. „Du schwimmst auf der Welle des Erfolgs und denkst, dir gehört die Welt. Oder nicht?“

Da irrst du dich gewaltig, denn meine Welt habe ich längst verloren, hätte er gerne geantwortet. Doch er schwieg, denn es ging eine Fremde nichts an. Wieder überkam ihn nun dieser eine Gedanke, der ihn seit dem großen Unglück nicht mehr losließ: Allen Erfolg und alles Geld der Welt würde er sofort eintauschen, wenn er nur jenen Tag rückgängig machen könnte, an dem er alles verloren hatte, was ihm wichtig gewesen war. Seitdem lebte er wie in Watte gepackt.

Er war zum Workaholic geworden und hatte viel Erfolg, finanziell und auch zunehmend wieder bei den Frauen. Erst hatte er getrauert, dann, langsam, hatte er sich vereinzelte Affären nicht mehr verboten. Doch jede Bettgeschichte hinterließ nur einen schalen Nachgeschmack. Und deswegen lag Jennifer, die offenbar dachte, er würde völlig unbeschwert durchs Leben rauschen, extrem falsch. Ob sie es wusste oder nicht, sie hatte ihren Finger in eine offene Wunde gelegt.

Aber da war keinerlei Drang, sich zu rechtfertigen. Er hatte das nicht nötig, vor niemandem. Allein sich selbst gegenüber musste er aufrichtig sein. Das Einzige, was er sich nicht verzeihen konnte, war, dass er Aurora an jenem Nachmittag mit Arturo allein hatte ziehen lassen. Wenn er doch nur mitgekommen wäre, wenn er doch nur …

Stopp! Er spürte, wie sein Gesicht sich immer mehr verhärtete.

Jennifer stand nun auf und räusperte sich. „Entschuldigung“, sagte sie. „Es steht mir eigentlich nicht zu, so zu sprechen. Wir kennen uns ja kaum.“

Er schwieg.

„Ich gehe jetzt.“ Sie streckte ihm die Hand hin.

„Okay“, sagte er nur und wollte ebenfalls aufstehen. Doch dann, im letzten Moment, überlegte er es sich anders. Er reichte ihr seine Visitenkarte. Einen allerletzten Vorschlag hatte er noch zu machen: „Ich kann dir Rom zeigen, wenn du willst. Heute Abend oder morgen. Aber falls wir uns nicht wiedersehen, drücke ich dir die Daumen. Dafür, dass du mit deiner kratzbürstigen Art, aber auch mit deinem eigenen Studio später einmal glücklich wirst.“

Das hatte gesessen. Noch Stunden später nagten Damians Worte an Jennifer, denn er hatte sie kalt erwischt: Schließlich war sie mit ihrer schroffen Art, die sie immer wieder an den Tag legte, alles andere als glücklich. Und – da hatte er wohl leider recht – so würde sie es wohl auch nie werden. Doch es war eine Art Selbstschutz, den sie sich schon vor vielen Jahren zugelegt hatte. Abweisend zu sein war ihre Reaktion darauf, immer im Hintergrund zu stehen. Nicht nur neben ihrer Freundin Sonya war sie immer verblasst. Sie kannte das auch aus ihrer Familie, wo ihre Schwester sie stets überstrahlt hatte. Clarissa war immer die Lieblingstochter gewesen. Deswegen hatte Jennifer nie im Unternehmen mitarbeiten wollen, denn auch dort hätte sie ewig im Schatten ihrer Schwester gestanden. Jennifer war also früh ihren eigenen Weg gegangen, und das nicht nur beruflich. Im Gegensatz zu Clarissa und Sonya, die sich oft auf ihre Verehrer eingelassen hatten, hielt sie sich zurück.

Denn keinesfalls wollte sie nochmals erleben, was sie einst durchlitten hatte. Wunderschöne Männer waren für wunderschöne Frauen bestimmt, das war doch logisch! Oder wenigstens für höchst interessante Frauen. Und sie war weder so heiß und interessant wie Violet noch so wunderschön wie Sonya oder Clarissa. Damian konnte alle haben – warum sollte er sich ausgerechnet mit ihr die Zeit vertreiben?

Den ganzen Nachmittag grübelte Jennifer in ihrem Hotelzimmer darüber nach. Nur langsam verging die Zeit. Es zehrte an ihren Nerven, auf Violets Anweisungen zu warten. Noch nie war ihre Chefin krank gewesen, es war eine für beide ungewohnte Situation. Violet hatte angekündigt, nachher zu ihr zu kommen, und das war schon ziemlich lange her.

Endlich klopfte es. Sie sprang auf und öffnete die Tür. Ihre Chefin stand da auf zwei Krücken gestützt. „Oh mein Gott“, entfuhr es Jennifer. „Ist es so schlimm?“

„Quatsch“, sagte Violet und humpelte an ihr vorbei ins Zimmer. „In drei, vier Tagen bin ich bestimmt wieder einsatzbereit, und dann machen wir weiter. Wir haben doch noch den dritten Fototermin für das Magazin hier zu leisten. Diesmal ist es nicht nur ein Millionär, sondern ein Milliardär. So jemanden will ich unbedingt selbst ablichten.“

Jennifer schloss die Tür hinter ihr. „Also bleiben wir noch ein paar Tage hier?“

Violet setzte sich auf einen Stuhl. „Gefällt dir Rom nicht?“

„Doch, bestimmt …“

„Na also. Und dein Zimmer hier ist doch auch ganz passabel, oder? Hältst du es so lange hier aus?“

„Sicher …“

„Gut. Ich aber nicht. Ich ziehe vorübergehend zu einer Freundin, die heute aus dem Urlaub zurückgekommen ist. Bei ihr gehen die interessantesten Leute ein und aus. Hier im Hotel jedenfalls langweile ich mich zu Tode.“

„Du checkst aus?“

„Meine Koffer stehen schon unten.“

Violet in Hochform. Sie hatte nicht einmal vorher mit ihr darüber gesprochen, ob es okay war, sie hier im Hotel allein zu lassen. Aber eigentlich war Jennifer froh. Mehr denn je ging ihr Violets herablassende Art auf die Nerven.

„Ich habe mir die Fotos angeschaut, die du heute von Damian gemacht hast“, fuhr ihre Chefin fort.

Jennifer wartete. Ihr war etwas mulmig zumute, weil sie all jene Fotos, auf denen Damian mit ihr durch die Kamera geflirtet hatte, vom Chip heruntergezogen hatte. Die Fotos waren jetzt auf ihrem Laptop, was ihr ein wenig wie Diebstahl vorkam.

„Ich hätte gedacht, du bietest ein paar Varianten mehr an, aber die Fotos, die du gemacht hast, sind ganz okay und brauchbar.“ Violet besah sich ihre knallrot lackierten Fingernägel, während sie mit ihr sprach. Dann blickte sie schnell auf: „Tatsächlich hast du es geschafft, Damian genau so abzulichten, wie viele einen Top-Manager gerne sehen wollen: mächtig, stark, unnahbar und ein wenig sexy. Wirklich zu schade, dass ich mir diesen Knöchel angeknackst habe. Zum Verrücktwerden sogar. Aber ich werde Damian nicht mit Krücken treffen. Da habe ich wohl diesmal Pech gehabt.“

Jennifer schluckte, als sie diese Beschreibung von Damian aus Violets Mund hörte. Sie hatte sich die ganze Zeit verboten, so über ihn zu denken. Dabei hatte Violet gerade nur einen Teil von Damians Schokoladenseite beschrieben. Denn außerdem konnte er noch zuvorkommend, respektvoll und interessiert sein, garniert mit einem warmen Lächeln.

„Ich habe mich noch gar nicht erkundigt, ob ihr danach wieder gemeinsam getafelt habt?“

Jennifer war auf der Hut. Scheinbar konnte Violet es nicht verschmerzen, dass ihr Rendezvous mit Damian am Abend zuvor geplatzt war. Und sie gönnte es ihrer Assistentin nicht, dass sie auch einmal etwas Aufmerksamkeit bekommen hatte. Wenn sie jetzt also verkündete, dass sie mit Damian noch in der Hotelbar gewesen war, wäre Violet sicher sauer.

„Nein“, sagte Jennifer also nur. Die Antwort war nicht einmal gelogen. Sie hatte mit Damian nicht getafelt, sondern nur einen Eiskaffee getrunken. Und das ging Violet verdammt noch mal nichts an!

„Gut. Sonst wäre ich doch sehr irritiert.“ Violet erhob sich.

Jennifer spürte, wie Ärger heiß in ihr aufstieg. „Was ich in meiner Freizeit tue, ist meine Sache“, wagte sie zu sagen.

„So?“ Violet zog affektiert eine Augenbraue hoch. „Der Umgang mit einem Kunden ist aber keine Freizeit, das ist Arbeit, meine Liebe. Erst jetzt, wo du mir die Fotos gegeben hast und der nächste Termin noch aussteht, kannst du tun und lassen, was du willst. Ist das klar?“

Jennifer kämpfte um ihre Fassung, denn Violet sollte sie nicht so aufgewühlt sehen. Vor ihr gab sie sich stets beherrscht, weil sie wusste, dass ihre Chefin schon so manche Assistentin gefeuert hatte, wenn diese ihr „zu frech“ geworden war. Sie konnte sich das leisten. Jennifers Traum, genügend Geld für das Fotostudio zu erwirtschaften, würde dann jedoch zerplatzen wie eine Seifenblase. Also biss sie sich auf die Lippen und nickte nur. „Ja, sicher.“

Zurück blieben eine bedrückende Stille und dieser nagende Ärger.

„Gut“, sagte Violet. „Dann sind wir uns ja einig. Ich melde mich bei dir.“ Und hätte ihre Chefin hinausrauschen können, statt auf den Krücken hinauszuhumpeln, so hätte sie es getan.

Jennifer seufzte, steckte die Hände in die Hosentaschen, lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen …

Da ertasteten ihre Finger Damians Visitenkarte, und sie zog sie aus der Tasche. Lange betrachtete sie das Kärtchen. Sie hatte völlig verdrängt, dass er es ihr gegeben hatte, denn natürlich würde sie nie und nimmer auf sein Angebot zurückkommen und sich nochmals mit ihm treffen, ganz ausgeschlossen. Plötzlich fühlte sie sich schrecklich elend.

Jetzt, wo sie hier so allein und hilflos stand, meldete sich ihr sonst so sorgsam unterdrücktes Innenleben zu Wort. Zum einen war da der Ärger Violet gegenüber, die sich weigerte, in ihr nicht nur eine funktionierende Assistentin, sondern einen Menschen aus Fleisch und Blut zu sehen. Dann verspürte sie wieder diese tiefe, ihr nur allzu gut bekannte Einsamkeit, die auf den Reisen in den anonymen Hotelzimmern immer besonders präsent war. Und an Damian zu denken hinterließ in ihr nichts weiter als eine große Verwirrung.

Sie stieß sich von der Wand ab und tat das, was sie immer tat, wenn sie jemanden zum Reden brauchte. Sie wählte Sonyas Nummer.

„Hey, Jenny!“, rief diese fröhlich ins Telefon. „Wie läuft es mit Violet?“

Jennifer berichtete kurz von Violets kleinem Unfall und seinen Folgen. Und als sie Damian erwähnte, schaltete Sonya sofort.

„Höre ich da nicht ein ganz besonderes Interesse für diesen attraktiven Geschäftsmann heraus?“, fragte sie neckisch.

Jennifer wehrte brüsk ab: „So einen Quatsch brauchst du mir gar nicht erst einzureden! Er hat mir zwar seine Visitenkarte gegeben, aber deswegen rufe ich ihn noch lange nicht an.“

„Okay“, lenkte ihre Freundin ein, „dein Tonfall sagt mir alles. Du hältst an deiner Überzeugung fest, dass du als alte Jungfer in die Geschichte eingehen solltest. Aber tu mir wenigstens einen kleinen Gefallen. Ich bin nämlich neugierig auf diesen Damian geworden, den deine Chefin vernaschen wollte. Schickst du mir mal eben ein Foto? Du hast doch bestimmt eins.“

Jennifer zögerte kurz, willigte dann aber ein. Eine Weigerung hätte Sonya nur dazu verleitet, weiterzubohren. Und vielleicht war Jennifer ja doch ein klitzekleines bisschen stolz darauf, dass ein Mann von Damians Kaliber vorgab, sich für sie zu interessieren – auch wenn sich das später als Unsinn herausstellen sollte.

Keine drei Minuten später, nachdem sie eines der besten Fotos gesandt hatte, klingelte ihr Handy. Sonya klang atemlos.

„Jenny, das ist nicht dein Ernst! Dieser Mann will dich kennenlernen – und du zeigst ihm die kalte Schulter?“

Sie versteifte sich. „Ich habe mich schon mal in den schönsten Mann am College verliebt, erinnerst du dich nicht?“

„Ach, Jenny, bitte!“, sagte Sonya in einem Ton, der eindringlich darum bat, nun nicht die alte Geschichte aufzuwärmen. „Ich sehe das so: Du wartest in Rom gelangweilt darauf, welche Befehle Violet dir bald wieder geben wird. Dabei lässt du sinnlos eine Riesenchance verstreichen, anstatt dir einfach mal eine schöne Zeit zu machen. Mensch, greif doch zu! Und Violet, auch wenn sie das vielleicht nicht unbedingt erfahren sollte, kriegt für ihre ewige Arroganz mal einen Dämpfer. Der Kerl sieht umwerfend aus! Ach, umwerfend ist gar kein Ausdruck. Und wenn er auch noch nett ist …“

Jetzt musste Jennifer doch lächeln. Denn diesmal, und das war das erste Mal seit Langem, hatte Sonya ins Schwarze getroffen. Zwar versuchte ihre Freundin unangenehm oft, sie zu irgendwelchen Männergeschichten zu animieren, seit Jennifer diese furchtbare Liebesenttäuschung hatte einstecken müssen. Dabei war Sonya gar nicht so unschuldig an der ganzen Sache gewesen. Doch Damian war der erste Mann seit einer gefühlten Ewigkeit, dessen Nähe sie als aufregend empfand. Allein die Gedanken an ihn erfüllten sie mit einem Kribbeln und intensiver Lebendigkeit. Ihr Widerstand bröckelte. Warum es nicht wenigstens … einen Tag lang genießen? Sie musste ihm ja nicht zeigen, wie sehr er sie verwirrte. Selbst wenn er es bemerken sollte, ging nach kurzer Zeit jeder wieder seiner Wege. Verlieben war ausgeschlossen, und weder eine Sonya noch eine Violet und auch keine Clarissa konnten ihr in die Quere kommen. Und ihre Chefin hatte wirklich einen Denkzettel verdient.

Jennifer atmete tief durch. „Also gut“, sagte sie, plötzlich heiser vor Aufregung. „Ich rufe ihn an.“

4. KAPITEL

Damian hatte als Treffpunkt die Fontana di Trevi, den berühmten Trevi-Brunnen, vorgeschlagen. Er mochte das Getümmel der vielen Touristen hier, die ihre Münzen zum großen, über der Szenerie thronenden steinernen Neptun hin ins Wasser warfen und über das imposante Meisterwerk – immerhin handelte es sich um einen der bekanntesten Brunnen der Welt – staunten. Jennifer musste ihn unbedingt einmal gesehen haben.

Sie hatte ihn am Abend zuvor tatsächlich angerufen, dabei hatte er die Engländerin eigentlich schon aus seinen Gedanken verbannt. Relativ sachlich hatte sie gesagt: „Ich habe nun doch ein wenig Zeit, und wir könnten uns treffen.“

„Okay“, hatte er ebenso neutral geantwortet und seine Überraschung verborgen. „In was für ein Restaurant soll ich dich führen?“

„Nein, nicht heute Abend. Morgen … tagsüber. Ich kenne so gut wie nichts von Rom“, war sie jedoch zurückgewichen.

Er musste also vorsichtig mit ihr umgehen. Was aber war überhaupt sein Ziel? Suchte er wieder nur den anfänglichen Reiz des Neuen, um Aurora wenigstens für einige Augenblicke zu vergessen?

Im ersten Jahr nach ihrem Tod hatte er keine Frau näher ansehen können, nun aber gönnte er sich hin wieder eine Liebesnacht, denn er war immer noch ein Mann aus Fleisch und Blut. Beim ersten „Seitensprung“ hatte er ein schlechtes Gewissen empfunden, heute, im zweiten Jahr nach dem schrecklichen Verlust, ließ auch dies nach. Und im dritten Jahr, so hatte er sich vorgenommen, würde er sich ernsthaft nach einer neuen Partnerin umsehen …

Da stand Jennifer plötzlich vor ihm, aufgetaucht wie aus dem Nichts. Hatte sie ihn etwa schon beobachtet? Es war so ein Gefühl …

„Jetzt weiß ich, warum du gesagt hast, wir treffen uns genau vor der Mitte des Brunnens vor Neptuns Augen“, sagte sie zur Begrüßung. „Ich wusste, dass der Brunnen groß ist, aber doch nicht derart riesig!“

Jennifer sah toll aus. Ein zartes Rot lag auf ihren vollen Lippen, auch ihre schönen Augen hatte sie etwas geschminkt. Die Haare trug sie offen, so wie er es bei ihr mochte. Und mit der lässig aus dem Gesicht geschobenen Sonnenbrille wirkte sie kein bisschen mehr schüchtern. Ihre Jeans hatte sie gegen ein leichtes blaues Kleid getauscht, das zwar locker fiel, aber ihre schlanke Figur dennoch nachzeichnete.

„Hallo, Jennifer“, holte er die Begrüßung nach und sah ihr fest in die Augen. Eine Weile hielt sie seinem Blick lächelnd stand, dann schaute sie zu der Felsenlandschaft mit den vielen steinernen Figuren und Meeresgestalten hin, die den Brunnen bevölkerten.

„Danke, dass du mir ein bisschen was von der Stadt zeigen möchtest“, sagte sie schließlich. „Denn bestimmt hat ein Geschäftsmann wie du nicht immer so viel Zeit, oder?“

„Da liegst du richtig“, antwortete er. Doch da er sich an diesem Tag nicht allzu viel vorgenommen hatte, weil ja eigentlich Anna hatte ankommen sollen, war es weniger schlimm, wenn er heute mal nicht ständig auf sein Handy und seinen Laptop starrte. „Und es ist ein Grund mehr, die freie Zeit zu genießen. Willst du auch eine Münze? Es heißt, dass es Glück bringt. Wenn du sie mit der linken Hand über die rechte Schulter in den Brunnen wirfst, wirst du garantiert noch einmal hierher zurückkommen. Wahrscheinlich sogar der Liebe wegen.“

„So!“

Das erste Mal überhaupt sah Damian Jennifer richtig lachen. Es war ein schönes, helles, klares Lachen, und es stand ihr hervorragend. Er holte eine Münze aus seiner Tasche und gab sie ihr.

Sie strich sich die Haare zurück und blinzelte ihn im Sonnenlicht an. „Sehe ich denn so aus, als ob ich Nachhilfe für mein Liebesglück bräuchte?“

Ja, dachte er spontan, doch vielleicht stimmte es ja auch gar nicht. „Das kann jeder mal gebrauchen“, antwortete er also geschickt.

„Dann wirf du auch eine!“

Sie taten es beide gleichzeitig. Damian musste schmunzeln. Das war also jetzt der Millionenmanager, der beim Shooting für das Wirtschaftsmagazin den knallharten Geschäftsmann gegeben hatte. Er stand hier mit einer unbedarften Fotoassistentin am Brunnen und hatte Spaß dabei, einem albernen Volksglauben zu folgen.

In diesem Moment war es so, als ob zum ersten Mal seit Langem, seit dem schwärzesten Tag seines Lebens, ein Teil des alten Damians wieder zum Vorschein kam. Denn er war früher extrem lebenslustig, spontan und heiter gewesen. Er hatte das Leben geliebt und vor allem die Liebe, bis das Leben ihm dies alles geraubt hatte. In seinem Inneren war es dunkel und kalt geworden. Nur an seinem äußeren Erfolg vermochte er abzulesen, ob sein Dasein noch einen Sinn hatte. Doch hier und jetzt fühlte er sich frei und leicht. Und das musste irgendwie mit Jennifer zu tun haben.

Interessierter denn je ließ er den Blick über sie gleiten, über ihren schlanken Hals, ihr Dekolleté und über ihre Brüste, die von ihrem Kleid zwar bedeckt waren, doch immerhin ihre hübsche Form erahnen ließen. Je länger er die anfangs so unscheinbare Assistentin betrachtete, desto attraktiver fand er sie.

Jennifer spürte seinen Blick, erahnte vielleicht sogar seine Gedanken und zupfte an einer Haarsträhne. „Was zeigst du mir heute alles?“, fragte sie nun etwas verlegen.

Er musterte sie noch ein paar Sekunden, bevor er sie aus der Situation entließ und lächelnd antwortete: „Ich zeige dir alles, was du willst, alles, was dich interessiert.“

Daraufhin biss sie sich kurz auf die Unterlippe. Wahrscheinlich wurde ihr in diesem Moment ebenso sonnenklar wie auch ihm, dass er mit dieser Antwort vielleicht nicht nur die Sehenswürdigkeiten Roms gemeint hatte.

Als sie aus der Kühle des imposanten Petersdoms wieder hinaus in die Sonne traten, traf Jennifer das Licht und die Wärme ungewöhnlich intensiv. Seit Damian an ihrer Seite war, waren ihre Sinne geschärft. Sie registrierte jede seiner Bewegungen, jedes Lächeln, jeden Satz, und in seinen Worten nahm sie immer mehr Zweideutigkeiten wahr. Sie war auf der Hut, und sie war extrem aufgeregt. Was wollte der attraktive Geschäftsmann von ihr? Sich tatsächlich einfach nur eine nette Zeit machen und ein wenig flirten – da war ja eigentlich nichts dabei. Oder hatte er andere Absichten? Wollte er sie etwa … in sein Bett locken?

Allein der Gedanke daran verschlug ihr den Atem. Also durfte sie erst gar nicht daran denken. Im Dom waren sie beide, als sie mitten in eine Reisegruppe gerieten, kurz aneinandergeschoben worden. Fast instinktiv hatte Damian einen Arm um sie gelegt, während sich ihre beiden Körper länger als nötig berührten. Es hatte sich einfach nur gut angefühlt. Nun stellte sie sich immer wieder die Frage: Was wollte sie? Doch es blieb kaum Zeit und Raum zum Grübeln. Damians Präsenz nahm sie absolut gefangen. Außerdem wusste er viel Interessantes über Rom zu erzählen, und sie hörte gern seiner tiefen, ruhigen Stimme zu. Wenn er sprach, betrachtete sie sein Gesicht und hoffte, es würde nicht zu sehr auffallen, dass sie zwischendurch auch mal an ganz andere Dinge dachte … die sie sich dann sofort wieder verbot. Himmel, wo sollte das nur enden? Und was war mit ihrem unerschütterlichen Vorsatz, extrem gut aussehende Männer zu meiden?

„Was willst du nun sehen?“, fragte Damian. „Das Kolosseum, das Pantheon, die Vatikanischen Museen?“, zählte er die wichtigsten Sehenswürdigkeiten auf, während sie auf seinen Mund sah. Seit dem Fotoshooting schien er sich nicht rasiert zu haben, denn sein Kinn säumten dunkle Stoppeln – was ihn nur noch attraktiver machte und sie an einen verwegenen Piraten erinnerte.

„Es gibt hier viel zu viel zu sehen“, sagte sie und strich sich die Ponyfransen zurück, unter denen sie sich heute mal nicht verstecken wollte. Ausnahmsweise nicht.

Damian lachte wieder einnehmend. „Allerdings! Aber du musst schon auswählen: vom Publikumsmagneten hin bis zu geheimen Oasen.“

Plötzlich tauchte ein Bild vor ihrem inneren Auge auf, wie sie die vom Trubel erfüllten Straßen der Innenstadt verließen und in kleine, stille Gassen einbogen. Nur einer Katze begegneten sie, Wäsche flatterte vor einem Fenster im Wind, und sie ging mit Damian Hand in Hand einem unbestimmten Ziel entgegen …

Nein! Immer schön zwischen all den Touristen bleiben, dann konnte nichts Verfängliches passieren. „Ich habe gehört, die Piazza Navona soll sehr schön sein“, sagte sie wohl wissend – denn ein wenig hatte sie sich zuvor erkundigt –, dass dieser Platz ebenso in einer belebten Gegend lag.

„Wie du möchtest“, sagte er. „Gehen wir!“ Und er bot ihr wie selbstverständlich den Arm. Leicht beklommen hakte sie sich unter. Doch all das lag immer noch im grünen Bereich. Außerdem kannte Damian ja bereits auch ihre andere, abweisende Seite, und wenn diese später zum Einsatz käme, würde er das eben hinnehmen müssen.

So gingen sie nebeneinander her und plauderten über allerlei Städte, die sie kannten. Damian kam als Chef einer der erfolgreichsten Werbeagenturen Italiens noch mehr in der Welt herum als sie. In Europa jedoch waren sie beide in fast jeder Metropole gewesen, so ging ihnen der Gesprächsstoff nicht aus. Noch sommerwarm schien die Sonne, ein leichter Wind ging, und die Stadt trat völlig in den Hintergrund, war aber eine wundervolle Kulisse für einen herrlichen Spaziergang unter dem blauen Himmel. Im Nu verging die Zeit, und sie kamen an ihr Ziel. Der stimmungsvolle, ovale Platz war gesäumt von pastellfarbenen, hübschen Stadthäusern. Damian zeigte ihr den bekannten Vierströmebrunnen in der Mitte des Platzes, der von vier fast nackten, ehrwürdigen, steinernen Männern dominiert wurde. Und da stahl sich doch die Frage in ihren Kopf, direkt und schamlos, wie Damian wohl aussehen mochte, nackt …?

Sie war mehr und mehr irritiert. Als sie das letzte Mal ernsthaft verliebt war, wurde sie so schwer enttäuscht, dass sie sich vorgenommen hatte, sich erst einmal auf keinen Mann mehr einzulassen. Die Kette ihrer Enttäuschungen war einfach zu lang geworden. Da war das erste Herzklopfen, als sie mit Clarissa auf dieselbe Schule ging: Der Junge hatte sich natürlich nur für die hübschere Schwester interessiert. Genau dasselbe passierte nicht nur einmal in den Jahren als Teenager; stets war Clarissa die Erwählte gewesen. Und als Jennifer endlich aus Clarissas Bannkreis entkam, wurde die wunderhübsche Sonya ihre Freundin, und das Ganze setzte sich fort, als sei es ihr Schicksal – bis hin zu jenem furchtbaren Ausflug ans Meer …

Was hatte sie auch schon zu bieten? Sie sah weder umwerfend aus, noch stach ihr Charakter besonders heraus. Außerdem wollte sie sich auf keinen Fall von ihrem großen Ziel abhalten lassen, in den nächsten beiden Jahren so viel Geld zu verdienen, dass sie ihr Fotostudio kaufen konnte. Eine Liebe – ob glücklich oder nicht – würde davon nur ablenken.

Sie wandte den Blick von den muskulösen Brunnenmännern ab und nahm die Atmosphäre des Platzes in sich auf. Es gab zahlreiche Straßenhändler, bunte Stände, Maler und Blumenverkäufer. Rundherum lockten Cafés und Lokale – und außerdem noch zwei weitere Brunnen, wie sie erfuhr. „Bei so vielen Brunnen bekommt man ja Durst.“ Sie lächelte.

„Genau das wollte ich auch sagen“, erwiderte Damian, nahm sie wieder beim Arm und steuerte eines der einladenden, mit weißen Sonnendächern überdachten Lokale an.

„Man könnte meinen, wir wären ein Paar, so wie wir hier gehen“, rutschte es ihr heraus, als sie vor einem freien Tisch stehen blieben.

Er sah ihr unverwandt in die Augen. „Und wenn es so wäre? Wenigstens heute?“

Unwillkürlich versteifte sie sich. Damian legte es also wirklich darauf an … wahrscheinlich, weil sie eben gerade zur Hand war. Ihr lag schon auf der Zunge, dass er da bei ihr keine Chance hatte. Doch dann entsann sie sich ihrer bisherigen Strategie, mit der sie sich vor allen möglichen Menschen, die ihr zu nahetraten, zu schützen vermochte: Sicherer als Offenheit war ihre Fassade aus Coolness und Undurchschaubarkeit. Es war ja auch nicht das erste Mal, dass ein Mann mit ihr flirten wollte, doch sie hatte stets so getan, als hätte sie bereits genug Affären gehabt oder im Moment einfach kein Interesse.

„Jetzt habe ich dich zum Grübeln gebracht, stimmt’s?“, erriet Damian ihre Gedanken. „Tu das nicht. Lass uns lieber etwas trinken.“

Sie setzten sich. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Einer davon – er ließ sich einfach nicht auflösen – war: Ja, warum sich nicht einen Tag lang so fühlen, als wären sie ein Paar? Einen Tag … vielleicht sogar eine Nacht … einmal das tun, was sie anderen sonst immer nur vorspielte. War es dumm? War es gefährlich?

„Du grübelst immer noch“, bemerkte Damian und musterte sie.

Diesmal hielt sie dem Blick aus seinen samtig dunklen Augen stand. „Dann lenk mich doch ab“, sagte sie.

Er griff über den Tisch nach ihrer Hand. „So?“

Heiß durchströmte es sie, und ihre Lippen öffneten sich wie von selbst. Nun schaltete sich auch noch Sonya ein, denn sie hörte ihre Stimme: „Greif zu!“ Klar, Sonya wollte unbedingt, dass sie endlich mal eine tolle Erfahrung machte, am besten mit einem Gott von einem Mann. Eigentlich hatte ihre Freundin recht: Wenigstens einmal! Schon nächste Woche wäre Damian Vergangenheit. Sie aber käme nicht mit leeren Händen zurück, sondern mit einer süßen Erinnerung. Oder – das war die andere Möglichkeit – sie stand jetzt auf und verabschiedete sich. Am besten gleich. Doch ihr Körper war wie auf den Stuhl geschweißt. Auch ihre Hand konnte sie nicht zurückziehen. „So ungefähr“, hörte sie sich sagen.

Der Kellner kam, und Damian bestellte. Zuerst gab es köstliche Bruschetta, geröstetes Weißbrot mit Olivenöl, Knoblauch und Tomaten. Dann orderte er Penne all’arrabbiata, mit Chilischoten scharf gewürzte Nudeln – als ob ihre Situation noch pikanter werden sollte! – sowie einen köstlichen Wein und Wasser.

„Wie sich eine Frau so schnell verändern kann“, sagte er dann. „Vor zwei Tagen warst du eine andere, du warst kaum sichtbar. Und nun strahlst du wie dieser wunderschöne Tag. Ich finde das faszinierend.“

Sie lauerte. Klang das aufdringlich, gekünstelt, unecht? Nein. Es klang schön. Und es war wahr: Sie erkannte sich selbst nicht mehr. Damian veränderte sie, und das nicht nur äußerlich. Er weckte in ihr Wünsche und Begehren, die tief in ihr geschlummert hatten und die sich nicht mehr verdrängen ließen. Eine Wahl hatte sie unter Roms strahlendem Himmel plötzlich nicht mehr …

Es war nicht das erste Mal, dass er Jennifers Finger wie selbstverständlich berührte. Auch vor zwei Tagen, als sie in dem Lokal bei Kerzenlicht saßen, hatte er es ein paarmal getan. Es war einfach so geschehen, und nach außen hin mochte es so aussehen, als täte er das immer, wenn er mit einer Frau zusammensaß. Doch weit gefehlt. Seit Aurora nicht mehr bei ihm war, hatte es keine Regungen spontaner Zärtlichkeit mehr gegeben, nur puren Sex. Denn in seinem Herzen wohnte immer noch Aurora. Keine Frau hatte bis jetzt die Chance bekommen, an ihrem Sockel zu rütteln.

Deswegen wunderte es ihn umso mehr, dass es bei Jennifer anders war. Natürlich war er weit davon entfernt, sich in sie zu verlieben. Aber auf eine seltsame Art und Weise – vielleicht wegen ihrer Art, sich vor ihm verbergen zu wollen und weil sie so deutlich im Schatten von Violet stand – weckte sie das Bedürfnis in ihm, sie zu beschützen. Ihr etwas zu bieten.

Jetzt, da sie ihre Hand nicht wegzog und seinem Blick standhielt, wurde der Wunsch, sie ganz und gar zu erobern, übergroß. Zuvor war ihm sein Begehren keineswegs klar gewesen. Sicher, Jennifer war hübsch, auf den zweiten Blick sehr hübsch sogar, aber an eine Bettgeschichte hatte er erst einmal nicht gedacht. Sie lenkte ihn einfach ab, auf eine nette Weise, und daran war nichts Schlechtes. Zumal auch er ihr die Zeit vertrieb, bis ihre launische Chefin sie wieder rufen würde. Doch in diesem Moment, als die Wärme ihrer Finger in seine überging und ihre Augen wieder so flackerten, stellten sich die Weichen anders. Langsam lösten sie ihre Hände voneinander.

Einen Moment lang schien Jennifer verwirrt. Dann stand sie rasch auf und ging zur Toilette.

Als sie zurückkam, aßen und tranken sie. Damian versuchte, ihre Plauderei wieder aufzunehmen, doch die Stimmung hatte sich deutlich geändert, war ein wenig angespannt, aber keineswegs unangenehm. Ein bisschen zu ernst sah sie ihn an. Der Wein und die Sonne hatten ihre Wangen gerötet.

„Was machen wir jetzt?“, fragte sie, als die Teller und Gläser leer waren.

Wollte sie – wollte sie nicht? Er war sich nicht hundertprozentig sicher. Er winkte dem Kellner und zahlte. Sonst gaben ihm die Frauen immer eindeutige Signale. Doch hier forschte er vergeblich, und er wollte sie nicht überrumpeln.

„Was sehen wir uns jetzt an?“, wiederholte sie und klang dabei ein wenig nervös. Es lag ihm auf der Zunge, einfach zu sagen: „Gehen wir zu mir.“ Doch selbst wenn Jennifer das wollte, so war jetzt noch nicht der richtige Moment. Ein bisschen mehr Fantasie und Feinfühligkeit musste er schon beweisen. Er sprang auf, gab ihr die Hand und zog sie vom Stuhl hoch: „Komm!“

Sie ließ sich mitziehen, mit verwundertem Gesicht, wohl, weil er es auf einmal so eilig hatte. Doch die Basilica di Santa Maria in Cosmedin, zu der er jetzt wollte, schloss irgendwann ihre Pforten, und er wusste nicht genau, wann. Er steuerte ein Taxi an, schob Jennifer auf den Rücksitz und setzte sich neben sie. Eng neben sie. Sein Bein berührte ihr schlankes Bein, doch sie rückte nicht ab. Im Gegenteil, er glaubte, dass sie sich sogar einen Hauch fester gegen ihn drückte.

„Wohin fahren wir?“, fragte sie, den Blick nach vorne gerichtet und ein bisschen atemlos.

„Eine absolute Sehenswürdigkeit“, verriet er nur.

„Oh.“ Mehr sagte sie nicht, aber wie sie diese kleine Silbe betonte, verriet etwas über sie: Sie war enttäuscht. Eine Sehenswürdigkeit – noch eine weitere? Im Stillen hatte sie offenbar gehofft, er werde sie woandershin entführen … Doch da musste sie noch ein klein wenig warten.

Wenig später stiegen sie vor der Basilika aus. Jennifer hatte nun wieder diese undurchdringliche Miene aufgesetzt, die ihm fast schon vertraut war. Er ahnte immer mehr, was für ein reizvolles Wesen darunter verborgen lag.

„Eine Kirche?“

Wieder diese leichte Enttäuschung in der Stimme. Damian unterdrückte ein Schmunzeln. Er bemerkte zufrieden, dass sich nur noch wenige Touristen hier aufhielten. Hoffentlich war die Basilica nicht schon geschlossen … Er nahm die Engländerin bei der Hand und lief mit ihr zur Tür, die zu seiner Erleichterung noch offen war. Rasch zog er Jennifer in die steinerne, kühle Vorhalle der Kirche. Was für ein Glück, sie waren fast ganz allein.

„Hier ist er, der Bocca della Verità.“

Immer noch Hand in Hand, standen sie vor dem Ziel. Jennifer betrachtete ehrfürchtig die Darstellung der verschrobenen, fast schon etwas unheimlichen Maske eines bärtigen Mannes auf einer großen runden Marmorscheibe. Ihre Finger schlossen sich etwas enger um seine. „Was bedeutet das?“

„Der Mund der Wahrheit“, übersetzte Damian. „Aus aller Welt kommen die Menschen, um ihn zu sehen. Man sagt, dass demjenigen, der nicht die Wahrheit sagt und der die Hand in den Mund des Mannes legt, diese mit einem Biss abgetrennt wird.“

„Oh!“, entfuhr es Jennifer.

Er schob sie ein Stück näher an die gut zweitausend Jahre alte Marmorscheibe heran, deren ursprüngliche Verwendung in der Geschichte als nicht ganz geklärt galt.

„Leg deine Hand hinein“, forderte er sie auf.

„Wie bitte?“

„Deswegen sind wir hier“, sagte er sanft, aber mit Nachdruck. Als sie sich nicht regte, nahm er ihre Hand und legte sie auf den Mund, der einem schwarzen Schlitz ähnelte. „Ich stelle dir eine Frage, und du musst absolut ehrlich antworten. Sonst …“

„Das ist unheimlich!“, rief Jennifer aus und zog ihre Hand zurück. „Du zuerst!“, forderte sie.

„Okay.“ Er legte eine Hand auf den kühlen Marmor und schob seine Finger ein Stück in den Spalt. „Was willst du von mir wissen?“

Sie starrte ihn an, dann verstand sie. „Das ist also so eine Art Lügendetektor? Und ich darf mir eine Frage ausdenken?“

Er nickte. Und wartete. Betrachtete sie, wie sie dastand und überlegte. Die Haare fielen ihr in die Stirn, die Lippen waren leicht geöffnet, sie sah hinreißend aus.

Doch dann warf sie ihn fast ein wenig aus der Bahn. Denn auf einmal hob sie den Kopf, richtete ihre strahlend blauen Augen auf ihn und fragte einfach: „Bist du glücklich?“

Er stockte. Glücklich? Was war das? Ach ja – das war damals gewesen, als er Aurora lebend in den Armen gehalten hatte. Wenn er ihr zärtliches Flüstern vernommen hatte. Tatsächlich aber konnte er sich nicht daran erinnern, dass seine große Liebe ihn je so direkt gefragt hätte, ob er glücklich war. Wenn sie allerdings mal etwas nicht bekommen hatte, war sie schnell beleidigt gewesen. All das fiel ihm allerdings erst jetzt im Nachhinein auf.

Jennifer sah ihn erwartungsvoll an. Die Sekunden verstrichen, und er musste etwas antworten, er selbst hatte diese Situation schließlich provoziert. Dabei wurde ihm auf einmal klar, dass ein „Nein“ nicht der Wahrheit entsprach. Denn er fühlte sich seit langer Zeit mal wieder gut. Und so gab es nur eine richtige Antwort: „Im Moment ja.“

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Zeig deine Finger. Ist noch alles dran?“, forderte sie ihn scherzhaft auf. Sie lachten. Dann war sie an der Reihe. Nun schon etwas mutiger, steckte sie ihre Hand in die dunkle Vertiefung und sah Damian gespannt an.

Er wartete noch einen Augenblick. Doch eigentlich gab es keine Zeit zu verlieren, um endlich mit dem zu beginnen, was er wirklich wollte und – er mochte es wetten – wogegen auch Jennifer sicher nichts einzuwenden hätte. Einen Moment lang genoss er die Spannung und fragte dann ganz gelassen: „Möchtest du die Nacht mit mir verbringen?“

In Jennifers Gesicht spiegelte sich alles auf einmal wider: Schreck und Freude, Abwehr und Zuneigung, Ja und Nein.

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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