Romana Extra Band 46

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SINNLICHE KÜSSE UNTER PALMEN von JAMES, JULIA
Eine Reise auf die Bermudas? Mit einem Milliardär? Dazu sagt die schöne Mel nicht Nein! Und Nikos Parakis hält, was er verspricht. Dabei legt er ihr nicht nur die Welt zu Füßen, er zeigt ihr auch, wie süß Küsse unter Palmen schmecken. Doch das exotische Abenteuer hat unerwartete Folgen …

SAG MIR NUR: ICH WILL! von GORDON, LUCY
Obwohl ein Italiener ihr einst das Herz brach, reist Natasha für einen Job nach Verona. Ihr neuer Chef ist kein anderer als Mario: ihr Ex! Damals hat er sie sehr verletzt, doch nun wandeln sie gemeinsam auf den Spuren von Romeo und Julia. Führt das Schicksal sie wieder zusammen?

MILLIONEN FÜR DEINE LIEBE von BIANCHIN, HELEN
Vier Jahre lebte Shannay von Manolo getrennt - aber als er sie wieder küsst, erweckt er in ihr dasselbe heiße Verlangen wie damals. Trotzdem weigert sie sich, die Ehe mit ihrem vermeintlich untreuen Mann wieder aufzunehmen. Der Milliardär hat jedoch noch einen Trumpf in der Hand …

SÜßES ERWACHEN IM SCHLOSS DER TRÄUME von LENNOX, MARION
Alasdair McBride ist wütend! Um sein Erbe zu retten, soll er das ehemalige Hausmädchen Jeanie zur Frau nehmen. Ein Desaster! Schließlich erinnert gerade sie ihn an seinen größten Fehler. Warum fühlt es sich dann nur so verführerisch richtig an, mit ihr in seinem Schloss zu leben?


  • Erscheinungstag 06.09.2016
  • Bandnummer 0046
  • ISBN / Artikelnummer 9783733743444
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Julia James, Lucy Gordon, Helen Bianchin, Marion Lennox

ROMANA EXTRA BAND 46

JULIA JAMES

Sinnliche Küssen unter Palmen

Eine charmante Begleitung? Danach muss der aufregende Playboy Nikos nicht lange suchen! Aber diesmal fällt seine Wahl auf Mel, eine fremde Schönheit, die gern nach ihren eigenen Regeln spielt …

LUCY GORDON

Sag mir nur: ich will!

Für Mario ist Natasha längst Geschichte! Aber dass er jetzt gezwungen ist, mit ihr zu arbeiten, bringt ihn aus der Fassung … Trifft ihr sinnlicher Blick den stolzen Hoteltycoon etwa erneut ins Herz?

HELEN BIANCHIN

Millionen für deine Liebe

Jahrelang hat Manolo nach seiner Frau gesucht, die plötzlich spurlos verschwunden war. Nur durch einen Zufall hat er Shannay endlich in Australien gefunden. Doch sie ist nicht mehr allein …

MARION LENNOX

Süßes Erwachen im Schloss der Träume

Jeanie hat keine Wahl: Sie muss den arroganten Earl of Duncairn heiraten. Sie weiß, es ist nur eine Vernunftehe. Bis er sie vor dem Altar so sinnlich küsst, dass sie die Welt um sich herum vergisst …

1. KAPITEL

Nikos Parakis blickte auf seine Armbanduhr und runzelte die Stirn. Wenn er pünktlich zu seinem Termin in der City erscheinen wollte, müsste er das Mittagessen ausfallen lassen. Er hatte sein Apartment am Holland Park, seinen Wohnsitz in England, verspätet verlassen, weil er eine längere Telefonkonferenz mit russischen Kunden abgehalten hatte. Und da es ein schöner Frühsommertag war und er etwas frische Luft und Bewegung brauchte, ließ Nikos sich nicht von seinem Chauffeur fahren, sondern wollte sich auf der anderen Seite des Parks in der Kensington High Street ein Taxi nehmen.

Während er den von Bäumen gesäumten Fußweg entlangging, merkte er jedoch, dass er Hunger hatte. Aus einem Impuls heraus überquerte er die Straße und steuerte auf ein Geschäft zu, das wie ein Imbiss aussah. Obwohl er einer Dynastie von Bankiers entstammte, war er kein Snob, und ein Sandwich war für ihn ein Sandwich, egal, woher es kam.

Als er den Laden betrat, hätte er es sich allerdings beinah anders überlegt, denn dieser gehörte zu den altmodischen, in denen belegte Weißbrotschnitten nicht fertig verpackt waren, sondern frisch zubereitet wurden. Verdammt, dafür habe ich keine Zeit, dachte er gereizt.

„Haben Sie auch fertige Sandwichs?“, wandte er sich ungewollt schroff an die Frau hinter dem Tresen.

Diese hatte ihm den Rücken zugewandt und fuhr ungerührt fort, eine Scheibe Brot mit Butter zu bestreichen.

„Sie macht erst meins fertig, Kumpel“, sagte daraufhin jemand hinter ihm, und als Nikos sich umdrehte, sah er einen schäbig gekleideten, ungepflegten älteren Mann auf einem Stuhl neben dem Kühlschrank mit den Getränken sitzen. „Sie müssen schon warten.“

Nikos presste die Lippen zusammen und wandte sich wieder der Frau zu.

„Ich bin gleich für Sie da“, sagte sie zu ihm, bevor sie die Scheibe mit Schinken belegte und dann in eine Papierserviette einwickelte. Dann drehte sie sich um, legte es auf den Tresen und stellte einen Becher Tee daneben.

„Danke, meine Liebe.“ Der Mann kam dichter an ihn heran, als es Nikos lieb war.

Offenbar hatte er sich schon länger nicht gewaschen, geschweige denn rasiert, und er roch aufdringlich nach Alkohol. Mit schmutzigen Fingern nahm er das Sandwich und den Becher vom Tresen und sah Nikos dann an.

„Haben Sie etwas Kleingeld?“, erkundigte er sich hoffnungsvoll.

„Nein.“ Nikos blickte wieder die Bedienung an, die gerade die Arbeitsfläche abwischte.

Als der alte Mann aus dem Laden schlurfte, rief die Frau ihm nach: „Hör auf zu trinken, Joe – es bringt dich noch um.“

„Bald, meine Liebe…“, versprach er.

Nikos vermutete, dass Joe nicht bezahlt hatte, doch eigentlich interessierte es ihn nicht. Ungeduldig wiederholte er sein Anliegen.

„Nein“, erwiderte die Frau mit einem ärgerlichen Unterton, bevor sie sich umdrehte und an der Teemaschine zu hantieren begann.

„Dann nehme ich das, was am schnellsten geht.“

„Also Brot mit Butter.“

Gereizt schaute er sie an. „Mit Schinken“, stieß er hervor.

„Weiß- oder Vollkornbrot? Baguette oder Toast?“

„Was am schnellsten geht.“ Wie oft musste er das denn noch sagen?

„Also Toast. Und nur Schinken?“

„Ja.“ Er wollte hier nicht den ganzen Tag verbringen.

Die Frau drehte sich um, um anzufangen. Ungeduldig trommelte Nikos mit den Fingern auf den Tresen. Als ihm bewusst wurde, dass er Durst hatte, ging er zum Kühlschrank, um sich eine Flasche Mineralwasser herauszunehmen. Als er diese auf den Tresen stellte, wandte die Frau sich um und legte ihm das fertige Sandwich hin.

„Das macht drei Pfund fünfundfünfzig zusammen.“

Er hatte seine Brieftasche bereits gezückt und nahm einen Schein heraus.

„Das ist ein Fünfziger“, sagte sie entgeistert. „Haben Sie es nicht kleiner?“

„Nein.“

Gereizt riss sie ihm die Banknote aus der Hand, öffnete die Kasse und legte das Wechselgeld auf den Tresen: einen Zwanzig-Pfund-Schein, fünfundvierzig Pence und sechsundzwanzig Ein-Pfund-Münzen. Dann blickte sie zu ihm auf und funkelte ihn an.

Und zum ersten Mal überhaupt sah Nikos sie richtig an – und erstarrte. Eine innere Stimme riet ihm, das Wechselgeld schnellstens einzustecken und sofort von hier zu verschwinden. Sich ein Taxi zu rufen, zu seiner Besprechung zu fahren und zu vergessen, dass er hungrig genug gewesen war, um einen zweitklassigen Imbiss zu betreten, der von Obdachlosen besucht wurde.

Doch er ignorierte die Stimme, in diesem Moment offenbar nicht ganz bei Verstand. Thee mou, diese Frau war wunderschön! Fasziniert betrachtete er ihr nahezu perfektes Gesicht mit den hohen Wangenknochen, einer geraden Nase, großen blauen Augen und vollen Lippen, die geradezu zum Küssen einluden …

Warum ist es mir nicht gleich aufgefallen? fragte er sich irritiert. Doch das war unwichtig, denn er musste sie einfach weiter anschauen und mit der starken Reaktion seines Körpers fertig werden, die ihr atemberaubendes Aussehen auf ihn ausübte.

Mit Anfang dreißig konnte er auf unzählige Frauengeschichten zurückblicken. Als Erbe der Parakis-Dynastie war es gewohnt, von den heißesten Frauen umschwärmt zu werden. Und er wusste, dass es nicht nur an den Millionen lag, die er besaß, denn die Natur hatte es gut mit ihm gemeint. Er war eins fünfundachtzig groß, attraktiv und hielt sich mit eiserner Disziplin fit.

Dank seiner Herkunft und seiner beeindruckenden Erscheinung fehlte es ihm nicht an Interessentinnen, die an seiner Seite gesehen werden oder das Bett mit ihm teilen wollten. Demzufolge wäre es idiotisch von ihm gewesen, sich nicht die schönsten Frauen auszusuchen. Und diese Frau reizte ihn.

Während er sie musterte, fiel ihm noch etwas auf. Sie war völlig ungeschminkt und blond, soweit er erkennen konnte, denn sie trug eine Baseballkappe. Außerdem war sie groß und offenbar schlank. Allerdings ließ ihre Figur sich nur erahnen, denn das weite T-Shirt mit der Aufschrift Sarrie’s Sarnies konnte nur als unvorteilhaft bezeichnet werden.

Verdammt, wenn sie in diesem Aufzug so fantastisch aussah, wie würde sie es erst in Designersachen tun?

„Wenn Sie lieber Fleisch wollen, versuchen Sie es beim Schlachter!“

Der schroffe Klang ihrer Stimme riss ihn aus seinen Gedanken, und irritiert runzelte Nikos die Stirn. „Was?“

Nun wirkte die Frau aufgebracht. Fasziniert stellte er fest, dass es sie noch attraktiver machte. Ihre strahlend blauen Augen funkelten.

„Lassen Sie das!“, sagte sie scharf. „Und jetzt nehmen Sie endlich Ihr Wechselgeld und Ihr verdammtes Sandwich, und dann verschwinden Sie!“

Jetzt wurde er wütend. „Ihre Unhöflichkeit Kunden gegenüber ist unglaublich“, erwiderte er eisig. „Wären Sie eine meiner Angestellten, würde ich Sie sofort entlassen.“

Sie stützte die Hände auf den Tresen, und unwillkürlich registrierte er, wie schlank ihre Finger waren. „Und wenn ich für Sie arbeiten würde – was ich zum Glück nicht tue –, würde ich Sie wegen sexueller Belästigung anzeigen!“, erwiderte sie scharf, die Augen zusammengekniffen. „Das habe ich mit meiner Bemerkung über Fleisch gemeint, Freundchen!“

Seine Augen begannen zu funkeln. „Seit wann ist es verboten, die Schönheit einer Frau zu bewundern?“, konterte er, während er sie wieder musterte. Das Verlangen, das sie in ihm weckte, drohte den Ärger zu überlagern, den er verspürte, seit ihm bewusst geworden war, wie hungrig er eigentlich war.

„Wenn Sie unbedingt in der Gegend herumlaufen und Frauen anstarren wollen, als wären sie ein Stück Fleisch, dann sollten Sie lieber eine Sonnenbrille tragen und uns die Tortur ersparen“, fuhr die Fremde ihn an.

Nikos merkte, dass er sich zu amüsieren begann. Herausfordernd zog er eine Augenbraue hoch. „Tortur?“

Und dann blickte er sie nicht mehr abschätzend an, sondern geradezu zärtlich. Triumphierend beobachtete er, dass daraufhin eine feine Röte ihre Wangen überzog und sie den Blick senkte.

„Gehen Sie endlich“, forderte sie ihn angespannt auf.

Nikos lachte leise. Spiel, Satz und Sieg. Er hatte gewonnen und brauchte keine weitere Bestätigung dafür, dass er gerade ihren Schutzwall durchbrochen hatte. Lässig nahm er das Geld vom Tresen und steckte es in seine Jacketttasche, dann das Sandwich und die Wasserflasche.

„Einen schönen Tag noch“, sagte er betont locker, bevor er den Laden verließ.

Sein Zorn war völlig verflogen. Auf der Straße entdeckte er Joe, der an einem Laternenpfahl in der Nähe lehnte und genussvoll sein Sandwich verdrückte und ihn dabei ansah. Aus einem Impuls heraus langte er in seine Tasche, nahm eine Handvoll Münzen heraus und hielt sie ihm hin. „Sie hatten mich doch nach Kleingeld gefragt.“

„Danke, Meister.“ Seine trüben Augen glänzten, als er das Geld mit zittriger Hand entgegennahm.

Sofort verspürte Nikos einen Anflug von Mitgefühl. „Sie hat recht“, hörte er sich sagen. „Der Sprit bringt Sie um.“

Ein verzweifelter Ausdruck trat in die Augen des alten Mannes. „Ich weiß, Kumpel …“ Dann steckte er das Geld ein, wandte sich ab und schlurfte mit gesenkten Schultern die Straße entlang.

Nachdem Nikos ihm eine Weile nachgeblickt hatte, entdeckte er ein herannahendes freies Taxi. Er winkte es herbei, und sobald er im Wagen saß und dem Fahrer sein Ziel genannt hatte, begann er, sein Sandwich zu essen.

„Sie hat recht“, hatte er zu dem alten Mann gesagt. Nikos presste die Lippen zusammen. Verdammt, das hatte sie, und nicht nur dem Alkoholiker gegenüber. Er nahm sein Mobiltelefon aus der Innentasche und rief seine Assistentin in London an, die sich sofort meldete.

„Janine, ich möchte einen Blumenstrauß liefern lassen …“

Die Hände immer noch auf den Tresen gestützt, stand Mel da und blickte dem Mann nach. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so wütend gewesen war. Dieser arrogante Mistkerl!

Er war ihr auf Anhieb unsympathisch gewesen. Ohne darauf zu warten, dass sie sich zu ihm umdrehte, hatte er ihr Anweisungen erteilt, als wäre sie seine Bedienstete. Sie hatte sich bemüht, höflich zu sein, doch dann hatte sie gesehen, wie abfällig dieser Idiot Joe betrachtete. Dieser war in einer schlechten Verfassung, und jeder hätte Mitgefühl mit ihm empfunden. Das hätte sie vor allem von einem Menschen erwartet, mit dem das Leben es offensichtlich nicht so schlecht meinte wie mit dem armen alten Joe.

Mel ließ den Wortwechsel, nachdem er seinen Wunsch geäußert hatte, Revue passieren. Bei der Erinnerung daran, wie er ihr den Schein gereicht hatte, umspielte ein Lächeln ihre Lippen. Es hatte ihr ein Triumphgefühl verschafft, ihm all die Münzen auf den Tresen zu legen. Das hatte ihn richtig geärgert. Nur leider hatte er dann gekontert.

Sie spürte, wie Hitze in ihr aufstieg und zu ihrer Beschämung sogar ihren Schoß durchflutete. Auch ihre Brustwarzen begannen verdächtig zu prickeln.

Oh, verdammt! Verdammt, verdammt, verdammt!

Doch sie vermochte nichts dagegen zu tun und nicht zu verdrängen, wie er sie angesehen hatte. Wie ein Stück Fleisch, sagte sie sich verzweifelt.

Mel rief sich das Triumphgefühl ins Gedächtnis, als sie ihm das an den Kopf geworfen hatte, spürte allerdings nur die Hitzewellen, die sie mit aller Macht zu unterdrücken versuchte.

Sie schloss die Augen und seufzte schwer – es war hoffnungslos. Okay, dann setz sich damit auseinander, sagte sie sich. Doch so überheblich und ungehobelt er auch auf sie gewirkt hatte, sie musste sich eingestehen, dass er einfach umwerfend ausgesehen hatte.

Sie hatte es sofort gemerkt, als sie sich zu ihm umdrehte, sich allerdings darauf konzentriert, den Tee für Joe zu machen. Doch sobald sie sich erneut zu dem Mann umwandte, hatte sein Blick sie bis ins Innerste getroffen.

Er war groß und durchtrainiert und hatte einen perfekt sitzenden Maßanzug getragen, der seine breiten Schultern und seine muskulöse Brust betonte. Doch sie musste jetzt nicht an seinen Anzug oder seinen Körperbau denken, sondern an seine Augen. Augen, dunkel wie die Nacht, mit stahlhartem Blick. Noch nie hatte sie einen Mann wie ihn gesehen, weder im wirklichen Leben noch auf dem Bildschirm. Er hatte markante Züge, wohl geformte Brauen und von ungewöhnlich langen Wimpern gesäumte Augen mit goldenen Sprenkeln, die allein schon eine gefährliche Wirkung ausübten.

Sie hatte in diese Augen schauen wollen, und das war ihr während des Wortgefechts die ganze Zeit durch den Kopf gegangen. Und dann hatte der Mann plötzlich das Thema gewechselt …

Erneut überlief es Mel heiß, als sie sich erinnerte, wie sie auf seine Blicke reagiert hatte. Diese waren wie eine Liebkosung gewesen und hatten ihr das Gefühl vermittelt, als könnte sie seine Hände auf der nackten Haut spüren und seine Lippen, die sanft und herausfordernd ihre streiften.

Und das hatte er mit einem einzigen sinnlichen Blick bewirkt …

Völlig hilflos, war sie nur in der Lage gewesen, ihn zum Gehen aufzufordern. Und was hatte er getan? Er hatte gelacht! Natürlich war ihm klar gewesen, dass er sie hatte auflaufen lassen.

Zum Teufel mit ihm!

Kochend vor Wut, starrte sie weiter zur offenen Tür hinaus, konnte ihn aber nicht mehr sehen. Nachdem sie sich ein letztes Mal ermahnt hatte, nicht mehr an ihn zu denken, wirbelte sie herum, um weiterzuarbeiten.

Noch nie hatte sie so energisch Brot geschnitten und beim Abwasch so laut mit dem Geschirr geklappert.

2. KAPITEL

„Haben Sie die Blumen liefern lassen?“

Diese Frage stellte Nikos zuallererst, als er an diesem Nachmittag nach der Besprechung in sein Londoner Büro zurückkehrte. Er zweifelte nicht daran, dass seine Assistentin den Auftrag ausgeführt hatte, denn sie war sehr tüchtig und es gewohnt, ständig Sträuße an irgendwelche Frauen schicken zu lassen, wenn er sich in Großbritannien aufhielt.

Normalerweise allerdings nicht an solche, die in Snackbars arbeiteten, eine großen Klappe hatten und ihm das Leben schwer machten … Und so fantastisch aussahen, dass sie einem nicht aus dem Kopf gingen.

Nikos versuchte die Erinnerung zu verdrängen, bevor er sich an seinen Schreibtisch setzte. Es hatte wirklich keinen Sinn, weiter an diese Blondine zu denken. Geschweige denn zu spekulieren, wie sie wohl in einem Outfit aussehen mochte, das ihre außergewöhnliche Schönheit betonte.

Aber konnte sie wirklich noch schöner sein? Mit offenem Haar, in einem Kleid, das ihre schlanke Figur mit den weiblichen Rundungen hervorhob, die strahlend blauen, von langen Wimpern gesäumten Augen funkelnd …

Schnell verdrängte er das Bild. Sie war doch nur eine flüchtige Begegnung gewesen. Energisch schaltete er seinen Computer ein. Er hatte ihr nur Blumen schicken lassen, um seine Unhöflichkeit wieder gutzumachen, und dabei würde er es belassen. Er kannte genug Frauen und brauchte nicht noch eine.

Nikos öffnete seinen Terminkalender, um zu sehen, was nach seinem Aufenthalt in London anstand. Sein Vater, Vorsitzender der familieneigenen Investmentbank mit Hauptsitz in Athen, verließ die Stadt nur noch ungern, sodass Nikos fast alle Geschäftsreisen ins Ausland übernahm.

Er runzelte die Stirn. Wenigstens kam sein Vater hier nicht ständig in sein Büro, um sich über seine Mutter zu beschweren. Doch sobald er wieder in Athen wäre, würde er eine wahre Litanei über sich ergehen lassen müssen. Und wenn er seine Mutter das nächste Mal sah, würde sie sich wie immer über seinen Vater beschweren.

Nikos seufzte entnervt und versuchte, die Gedanken an seine ständig streitenden Eltern zu verbannen. Die beiden bekämpften sich, seit er sich erinnern konnte, und er hatte es mehr als satt.

Er überflog die Seite und runzelte dann wieder die Stirn – diesmal allerdings aus einem anderen Grund. Verdammt!

Wie hatte er sich nur darauf einlassen können? Ein Wohltätigkeitsball im Viscari St. James Hotel am kommenden Freitagabend. Eigentlich wäre es kein Problem gewesen, doch er würde den Abend mit Fiona Pellingham verbringen müssen, und der wollte er momentan lieber nicht begegnen.

Fiona, eine äußerst erfolgreiche Mitarbeiterin in einer Unternehmensberatung, die auf Fusionen und Übernahmen spezialisiert war, hatte bei einer Besprechung während seines letzten Aufenthalts in London Gefallen an ihm gefunden und ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie ihn auch gern übernommen hätte.

Sie war eine äußerst attraktive Brünette mit einer fantastischen Figur, aber leider sehr besitzergreifend, wie er sofort gemerkt hatte, und würde daher mehr von ihm wollen als das, was er Frauen zu geben bereit war, nämlich nur eine flüchtige Affäre.

Erneut runzelte Nikos die Stirn. Wenn er nicht zu dem Ball ging, würde Fiona wahrscheinlich eine andere Möglichkeit finden, ihm nachzustellen, und ihn mit weiteren Einladungen und Vorwänden, sich mit ihm zu treffen, nerven. Also musste er sie davon überzeugen, dass er nicht zur Verfügung stand.

Deshalb brauchte er für Freitag eine Begleiterin, die Fiona auf Abstand halten würde. Zuerst fiel ihm niemand ein, doch plötzlich wusste er genau, wen er mitnehmen wollte. Unvermittelt lehnte er sich zurück.

Aber warum auch nicht? Du wolltest doch wissen, wie viel schöner sie aussehen könnte, wenn sie sich zurechtmacht …

Ein Lächeln umspielte seine Lippen.

Lange betrachtete Mel den vollen Tisch im Hinterraum des Ladens. Inmitten des ganzen Krams stand ein großer Blumenstrauß in einem Behälter mit Wasser. Er war so übertrieben, dass sie bei seinem Anblick wieder fuchsteufelswild wurde.

Für wen hielt dieser Kerl sich eigentlich?

Sie öffnete den Umschlag, der an dem Zellophan klebte, und nahm die Karte heraus. Darauf stand:

Ich hoffe, die Blumen machen es wieder gut und heitern Sie auf.

Nikos Parakis

Er war also Grieche. Das ergab Sinn, denn obwohl er akzentfrei englisch gesprochen hatte, was auf eine Ausbildung auf einem Elite-Internat schließen ließ und zu seinem Auftreten passte, hatte er einen dunklen Teint und rabenschwarzes Haar gehabt.

Sofort sah sie ihn wieder vor sich, wie er sie beifällig gemustert hatte. Wieder wurde Mel zornig, während sie den Lilienstrauß betrachtete. Der betörende Duft erfüllte den kleinen Raum und überlagerte den Geruch nach Essen. Er war exotisch und … sinnlich.

Genauso sinnlich, wie sein Blick es gewesen war.

Erneut wallte jene verräterische Hitze in ihr auf, und mit einem wütenden Laut wirbelte Mel herum. Sie hatte keine Ahnung, wo sie den lächerlichen Strauß hinstellen sollte, aber jetzt musste sie arbeiten. Momentan war sie allein im Laden, weil Sarrie Urlaub machte. Es störte sie nicht, denn er zahlte entsprechend mehr, und sie konnte jeden Penny gebrauchen.

Als sie an ihren Platz hinter dem Tresen zurückkehrte und eine Dose mit geschnittenen Tomaten aus dem Kühlschrank nahm, überschlug sie im Geiste ihre Ersparnisse, um nicht an den blöden Strauß – und den Mann, der ihn ihr geschickt hatte – denken zu müssen. Während sie die Zahlen durchging, empfand sie wie immer ein Gefühl der Zufriedenheit und Sicherheit. Sie hatte die letzten zwölf Monate ohne Unterbrechung gearbeitet, und nun war sie fast so weit, dass sie ihren Traum verwirklichen konnte.

Zu reisen und sich die Welt anzusehen! Endlich die Orte zu besuchen, von denen sie bisher nur gelesen hatte. Das europäische Festland, das Mittelmeer, die USA – und vielleicht sogar Südamerika, Fernost und Australien.

Sie war noch nie in ihrem Leben im Ausland gewesen.

Mel seufzte. Ihr Großvater hatte nie ins Ausland reisen wollen. Die Südküste von England war das Äußerste gewesen, wohin er zu fahren bereit gewesen war.

Deshalb hatten sie während ihrer Kindheit und Jugend die Sommerferien immer in Bognor Regis, Bournemouth oder Brighton verbracht. Viele Jahre lang hatte es ihr genügt, denn sie hatte den Strand geliebt, obwohl sie keine Geschwister zum Spielen gehabt hatte. Sie hatte nur ihren Großvater gehabt, der sie großgezogen hatte, seit seine Tochter und sein Schwiegersohn zusammen mit seiner Frau bei einem schweren Unfall auf der Autobahn ums Leben gekommen waren.

Rückblickend wusste Mel, dass es ihn gerettet hatte, sich um seine damals fünfjährige Enkelin kümmern zu müssen, nachdem er seine restliche Familie auf einen Schlag verloren hatte. Er wiederum war ihr Fels in der Brandung gewesen – der Mittelpunkt ihres Universums, der einzige Mensch auf der Welt, der sie liebte. Als sie nach dem Abitur auf einem College in der Nähe ein Studium der Wirtschaftswissenschaften begann, war sie bei ihm wohnen geblieben, in dem Reihenhaus in einem Vorort nördlich von London, in dem sie aufgewachsen war.

„Es wäre von mir idiotisch, auszuziehen, Gramps“, hatte sie erklärt. „Schon ein WG-Zimmer kostet ein Vermögen, und die meisten Wohnungen sind richtige Löcher.“

Obwohl sie es ernst meinte, war ihr auch klar gewesen, dass ihr Großvater erleichtert war, weil sie bei ihm blieb. Das Studentenleben hatte sie wie ihre Kommilitoninnen genossen und sich oft mit jungen Männern verabredet. Erst als sie im zweiten Studienjahr Jak begegnete, wurde etwas Ernstes daraus, und schon bald waren sie ein Paar gewesen.

Hatte sie ihn geliebt? Die Antwort darauf hatte Mel am Ende ihres Studiums gefunden. Nicht genug, um ihr Leben mit ihm zu verbringen, wie es sein Wunsch gewesen war.

„Ich habe bei der Wohltätigkeitsorganisation, bei der ich mich beworben habe, einen Job bekommen. Ich werde Englisch unterrichten, Schulen und Brunnen bauen“, hatte er ihr eröffnet und sie forschend angesehen. „Kommst du mit? Unterstützt du mich bei meiner Arbeit?“

Mit der Frage hatte sie gerechnet, und sie konnte darauf nur eine Antwort geben. Sie vermochte es nicht.

„Das geht nicht“, erwiderte sie. „Ich kann Gramps nicht allein lassen.“

In den drei Jahren, während der sie studiert hatte, hatte ihr Großvater merklich abgebaut und brauchte nun jemanden, der sich um ihn kümmerte. Er hatte Herzprobleme und hatte mehrere leichte Schlaganfälle erlitten, aber viel schlimmer als die körperliche Hinfälligkeit war sein geistiger Abbau. Schweren Herzens hatte sie sich eingestehen müssen, dass er zunehmend auf sie angewiesen war.

Und wie hätte sie ihren geliebten Großvater verlassen können, wenn er sie am meisten brauchte? Sie konnte nur abwarten, ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen und sich um ihn kümmern. Nach drei Jahren verließ er sie dann.

Sie hatte um ihn geweint, aber nicht nur aus Kummer, denn sie war auch erleichtert gewesen, weil er endlich erlöst worden war. Und sosehr es auch schmerzte, so musste sie sich eingestehen, dass ihr Großvater ihr mit seinem Tod die Freiheit zurückgegeben hatte.

Nun konnte sie tun, wovon sie schon so lange geträumt hatte: reisen und sich die Welt ansehen. Doch dafür brauchte sie Geld. Zwar hatte ihr Großvater ihr seine gesamten Ersparnisse hinterlassen, aber auf die wollte sie erst zurückgreifen, wenn sie irgendwann nach England zurückkehrte und ins Berufsleben einstieg. Deshalb hatte sie nun zwei Jobs. Tagsüber arbeitete sie im Sarrie’s Sarnies, und abends kellnerte sie in einem Restaurant in der Nähe.

Und bald, sehr bald werde ich aufbrechen, dachte sie. Ich werde irgendeinen Last-Minute-Flug buchen und erst zurückkehren, wenn mir das Geld ausgeht. Falls ich überhaupt zurückkehre. Möglicherweise komme ich wirklich nie mehr zurück. Vielleicht bleibe ich mein ganzes Leben lang ungebunden, frei wie ein Vogel!

Sosehr sie ihren Großvater auch geliebt hatte, nach all den Jahren, die sie sich um ihn gekümmert hatte, war es eine wundervolle Aussicht. Außerdem freute sie sich auch auf etwas anderes, das sie bisher hintangestellt hatte: auf Romantik.

Seit Jak nach Afrika gegangen war, hatte sie das völlig ausklammern müssen. Zuerst hatte sie sich noch einige Male verabredet, aber es war immer weniger geworden, als der Gesundheitszustand ihres Großvaters sich verschlechterte. Doch nun war sie wieder offen dafür.

Allerdings wollte sie an diesem entscheidenden Wendepunkt in ihrem Leben auf nichts Ernstes eingehen so wie damals mit Jak. Nein, sie wollte nur flirten, Spaß haben und allenfalls eine flüchtige Affäre erleben.

Mel lächelte zynisch, und ihre Augen funkelten. Mit der Einstellung würde sie punkten, denn normalerweise waren Männer misstrauisch gegenüber Frauen, die mehr von ihnen erwarteten. Und sie wettete darauf, dass Nikos Parakis auch zu dieser Kategorie gehörte, so, wie er sie angesehen hatte.

Mel verdrängte den Gedanken daran, als ein Kunde den Laden betrat. Sie hatte Besseres zu tun, als über Nikos Parakis zu spekulieren – vor allem über sein Liebesleben.

Bald würde der lächerlich große Strauß verwelken, und damit würde auch ihre Erinnerung an ihn und die Wirkung verblassen, die er mit seinem umwerfenden Äußeren auf sie ausgeübt hatte.

„Was kann ich für Sie tun?“, erkundigte sie sich, voll konzentriert auf ihre Arbeit.

„Halten Sie dort“, wies Nikolas seinen Chauffeur an, der die Limousine daraufhin am Straßenrand stoppte.

Nachdem er ausgestiegen war, blickte Nikos zu der Sandwichstube und beobachtete eine Weile, wer hineinging und wieder herauskam. Dabei fragte er sich, ob er ein Idiot sei angesichts dessen, was er vorhatte.

Auf dem Weg hierher hatte er es sich immer wieder anders überlegt. Mehrfach hatte er das Für und Wider seines Vorhabens erwogen. Doch immer wenn er die Gründe aufgelistet hatte, die dagegen sprachen wie zum Beispiel, dass sie eine Fremde, pampig und vielleicht nicht einmal im Besitz eines geeigneten Abendkleids sei, war in den Vordergrund gerückt, dass nur sie ihn am Freitagabend begleiten könnte.

Er bekam sie einfach nicht mehr aus dem Kopf. Und der Drang, sie wiedersehen zu müssen, sie zu betrachten und dabei jene unglaublichen Empfindungen zu verspüren, war auch jetzt so übermächtig, dass ihn eine prickelnde Vorfreude erfüllte.

Nikos blickte auf seine Uhr. Gleich würde sie schließen. Er schlenderte zum Eingang, öffnete die Tür und betrat den Laden. Es war nur ein Kunde dort, der gerade seine Bestellung entgegennahm und zahlte.

Und hinter dem Tresen stand die freche blonde Klassefrau.

Fasziniert betrachtete Nikos sie. Ja! Sie war genauso fantastisch wie am Vortag. Das Gesicht, ihre Figur, alles. Er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Seine Entscheidung war richtig gewesen.

„Hier ist Ihr Wechselgeld“, hörte er sie zu dem Kunden sagen, während er auf der Schwelle verharrte. Ihre Stimme klang fröhlich, und sie lächelte.

Sie war nicht im Mindesten so pampig, wie sie es ihm gegenüber gewesen war. Vor allem fiel ihm jedoch auf, wie ihr flüchtiges Lächeln ihre perfekten Züge unterstrich. Und obwohl es nicht ihm galt, beschleunigte sich sein Puls.

Noch während er sich ausmalte, wie er sich fühlen würde, wenn sie ihn anlächelte, blickte sie ihn an, und sofort veränderte sich ihr Gesichtsausdruck.

„Was machen Sie denn hier?“, fragte sie, sobald der Kunde den Laden verlassen hatte.

Langsam ging Nikos auf sie zu und registrierte dabei triumphierend, wie sie ein Stück zurückwich. Also war sie ihm gegenüber nicht immun. Auch der Ausdruck in ihren Augen, so flüchtig er auch gewesen war, hatte ihm verraten, was er wissen musste. Dass sie trotz ihrer offensichtlichen Abwehrhaltung genauso stark auf ihn reagierte wie er auf sie.

Wieder ließ Nikos den Blick zu ihr schweifen. Er verspürte den überwältigenden Drang, sie immerzu zu betrachten und zu ergründen, warum er sich so stark zu ihr hingezogen fühlte. Nicht einmal diese Umgebung und ihr unscheinbares T-Shirt taten ihrer Schönheit Abbruch. Wieder war sie völlig ungeschminkt und ihr Haar unter der Baseballkappe verborgen.

„Ich wollte Sie wiedersehen“, informierte er sie, als er vor dem Tresen stehen blieb, und beobachtete, wie sie sich unmerklich verspannte und ihre Miene versteinerte.

„Warum?“

Nikos ignorierte ihre Frage. „Haben Sie die Blumen bekommen?“, hakte er betont lässig nach.

„Ja“, erwiderte sie unwirsch, woraufhin er die Brauen hochzog, und hob dann das Kinn. „Ich wette, Sie wissen nicht einmal, was das für Blumen waren, weil Sie Ihre Sekretärin beauftragt haben, sie zu schicken.“

Seine Mundwinkel zuckten. „Wahrscheinlich waren es Lilien. Meine Assistentin mag die.“

„Dann schicken Sie sie nächstes Mal ihr“, konterte sie.

„Aber ich musste mich nicht bei ihr entschuldigen. Und außerdem …“ Seine Augen funkelten. „… war sie auch nicht diejenige, die aufgeheitert werden musste.“

Er provozierte sie bewusst, was unklug war, wenn er wollte, dass sie die Einladung annahm. Dennoch konnte er nicht widerstehen, zumal ihre Augen jetzt zornig blitzten und dadurch noch schöner wirkten.

„Sie haben mich aber nicht aufgeheitert“, erwiderte sie scharf. „Genauso wenig wie Ihre Anwesenheit es tut. Also, wenn Sie mir nicht mehr zu sagen haben, dann wär’s das wohl.“

„Nein, das ist es nicht“, entgegnete Nikos. „Ich habe etwas mit Ihnen vor.“

Zuerst wirkte sie bestürzt, dann argwöhnisch. „Was denn?“

„Ich würde Sie gern Freitagabend zu einer Wohltätigkeitsgala einladen.“

„Wozu?“

„Lassen Sie es mich erklären“, sagte er, was er dann auch tat. Gespannt wartete er anschließend auf ihre Reaktion. Trotz ihrer unverhohlenen Feinseligkeit hörte sie aufmerksam zu und versuchte dabei, ihn unbeteiligt anzusehen – vergeblich.

Sie reagiert auf mich, auch wenn sie dagegen ankämpft, dachte er.

Es knisterte zwischen ihnen, als Nikos weitersprach.

„Ich habe festgestellt“, begann er betont sachlich, „dass ich keine Partnerin für die Wohltätigkeitsgala am Freitagabend habe, die ich besuchen muss.“ Dann blickte er ihr in die Augen. „Deshalb wäre ich sehr dankbar, wenn Sie mich begleiten würden. Bestimmt würde es Ihnen Spaß machen. Sie findet im Viscari St. James Hotel statt, und Sie sind sicher auch der Meinung, dass es ein sehr schöner Veranstaltungsort ist.“ Er machte eine kurze Pause, dann lächelte er flüchtig. „Bitte kommen Sie mit.“

Amüsiert beobachtete er ihren Gesichtsausdruck, der Bestürzung, tiefen Argwohn und Skepsis verriet.

Dann legte sie den Kopf zurück, und Zorn blitzte aus ihren Augen. „Und natürlich haben Sie absolut niemanden, den Sie einladen könnten, Mr. Parakis, außer einer Fremden, der Sie mitgeteilt haben, Sie würden sie feuern, wenn sie das Pech hätte, zu Ihren armen Untergebenen zu gehören!“

„Stimmt“, erwiderte er ungerührt. „Also, wenn Sie so nett wären, sich meiner zu erbarmen, wäre ich Ihnen unendlich dankbar …“

Nun schnaufte sie alles andere als ladylike. „Sicher“, erwiderte sie höhnisch.

„Ich wäre wirklich sehr dankbar“, bekräftigte er.

„Und ich wäre ein Volltrottel, wenn ich Ihnen glauben würde“, konterte sie.

„Was ist denn das Problem?“ Nikos betrachtete sie und übermittelte ihr eine eindeutige Botschaft. „Wissen Sie denn nicht, wie außergewöhnlich schön Sie sind? Dass jeder Mann sich geehrt fühlen würde, Sie an seiner Seite zu haben?“

Er beobachtete, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich und sie schluckte.

„Darf ich Sie nicht einladen?“ Er klang ein wenig heiser.

Ihre Miene verriet die unterschiedlichsten Emotionen. „Nein“, erklärte sie schließlich nachdrücklich.

„Und warum nicht?“

„Weil ich Sie nicht mag – darum!“

Nikos lachte. Ihre Direktheit gefiel ihm. „Ich gebe zu, dass wir beide keinen guten Start hatten. Ich war hungrig und ungeduldig, und Sie haben es mir nicht gerade leicht gemacht.“

„Sie haben mit mir geredet, als wären Sie etwas Besseres“, warf sie ihm wütend vor. „Außerdem haben Sie Joe von oben herab behandelt und wollten ihm nichts geben, obwohl Sie offenbar im Geld schwimmen!“ Sie warf ihm einen vielsagenden Blick zu. „Sie hatten schließlich ein ganzes Bündel Fünfziger in der Brieftasche!“

„Sollte ich ihm etwa einen so großen Schein geben?“, fragte Nikos entrüstet. „Und zu Ihrer Information: Ich habe ihm eine Handvoll der Pfundmünzen gegeben, die Sie mir angedreht hatten.“

Nun sah sie ihn entsetzt an. „Oh nein! Die hat er bestimmt gleich in Alkohol umgesetzt.“ Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete sie ihn. „Haben Sie ihm wirklich Geld gegeben?“

„Fragen Sie ihn doch, wenn er das nächste Mal kommt, um ein Sandwich zu schnorren“, erwiderte er trocken. „Also, erbarmen Sie sich nun meiner und nehmen meine Einladung an?“ Sein Instinkt sagte ihm, dass sie bereits schwankte. „Sie haben wirklich nichts von mir zu befürchten. Außerdem handelt es sich um einen Wohltätigkeitsball in einem Luxushotel.“

„Ich kenne Sie überhaupt nicht.“

„Doch. Sie haben mich eben mit meinem Namen angesprochen.“

„Weil er auf der Karte stand, die an dem Strauß befestigt war. Der war übrigens ein absoluter Affront.“

Nun war er verblüfft. „Wieso?“

Erneut funkelten ihre blauen Augen. „Sie merken es nicht, stimmt’s? Sie schicken mir einen lächerlich großen Strauß und haben dann die Stirn, zu behaupten, Sie wollten mich damit aufheitern – als wären Sie nicht für meine schlechte Laune verantwortlich gewesen. Ihre Art war so … herablassend.“

„Herablassend? Das verstehe ich nicht.“

Mel bemühte sich, möglichst unbeeindruckt auszusehen, obwohl die unterschiedlichsten Gefühle sie bestürmten. Nachdem sie gerade versucht hatte, die Begegnung mit ihm am Vortag zu verdrängen, musste sie nun damit fertig werden, dass er wieder vor ihr stand. Sie wollte sich um keinen Preis anmerken lassen, wie stark er auf sie wirkte, wie gern sie ihn betrachtet und sich in seinen dunklen Augen verloren hätte.

Sie versuchte deshalb, sich in ihren Zorn hineinzusteigern, um Nikos auf Abstand zu halten.

„Ja“, beharrte Mel, „herablassend. Der reiche Adlige schickt der armen kleinen Verkäuferin Blumen.“

Einen Moment lang herrschte Schweigen. „So habe ich es nicht gemeint“, sagte Nikos Parakis schließlich und atmete tief durch. „Ich sagte Ihnen doch, dass ich damit etwas wieder gutmachen wollte, denn ich bin unhöflich zu Ihnen gewesen, und zwar in mehr als nur einer Hinsicht. Doch wenn ich mich auch für die Blumen bei Ihnen entschuldigen soll, dann …“

„Nein, schon gut“, fiel sie ihm ins Wort, bemüht, nicht trotzig zu klingen. Okay, er hatte nicht herablassend wirken wollen. Sie konnte seine Entschuldigung also annehmen, sich auch damit abfinden, dass er Joe Geld gegeben hatte, auch wenn dieser es für Alkohol ausgeben würde.

Seine Bitte jedoch, mit ihm auszugehen, war absolut nicht akzeptabel. Sie konnte nicht mit einem Mann eine Wohltätigkeitsgala besuchen, der ihren Puls zum Rasen brachte, der offenbar mühelos ihren Schutzwall zu durchbrechen vermochte und den sie genauso unverhohlen betrachten wollte, wie er sie betrachtet hatte.

Was macht er bloß mit mir? schoss es ihr durch den Kopf. Und warum kann ich ihm nicht einfach sagen, dass er gehen soll und ich ihn nie wiedersehen und so weiterleben möchte wie bisher? Und warum will ich das gar nicht?

„Hören Sie, Mr. Parakis, ich weiß wirklich nicht, was das hier soll. Sie sehen mich heute erst zum zweiten Mal und bitten mich, mit Ihnen auszugehen? Das ist äußerst seltsam.“

„Ich will Ihnen ehrlich sagen, warum ich gerade Sie anspreche“, erwiderte er. „Ich bin in einer heiklen Situation. Da ich in London bin, muss ich auf diese Wohltätigkeitsgala gehen. Leider wird dort auch eine Frau sein, die ich aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit kenne und die sozusagen besitzergreifende Absichten mir gegenüber hat, die ich nicht erwidern kann.“

Mel glaubte, eine gewisse Schärfe aus seinem Tonfall herauszuhören, doch er fuhr schon fort.

„Ich möchte nicht den Abend damit verbringen, sie abzuwehren, geschweige denn ihr falsche Hoffnungen zu machen. Andererseits möchte ich sie nicht kränken oder verletzen oder unsere Geschäftsbeziehung gefährden. Ich möchte sie auf subtile, aber unmissverständliche Art abschrecken. Das erreiche ich hoffentlich, wenn ich mit einer Begleiterin erscheine. Allerdings weiß die betreffende Lady, dass ich momentan solo bin, und deswegen brauche ich eine überzeugende Partnerin, die ihr die Illusionen nimmt. Eine wunderschöne Fremde als meine Begleiterin einzuladen wäre also die ideale Lösung für meine Misere“, fügte er hinzu, während er sie mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck unverwandt ansah. „Sie sind die perfekte Wahl.“ Und plötzlich war seine Miene nicht mehr unergründlich.

Unwillkürlich hielt Mel den Atem an, und die unterschiedlichsten Gefühle überkamen sie. Er bot ihr etwas, was sie noch nie in ihrem Leben erlebt hatte: einen aufregenden Abend an der Seite eines Mannes, wie sie ihm noch nie begegnet war.

Also, warum zögerst du noch? fragte sie sich. Sie rief sich all die Gründe ins Gedächtnis, aus denen sie nicht gehen sollte. Nikos Parakis mochte der attraktivste Mann sein, den sie je kennengelernt hatte, doch er war auch der überheblichste und selbstgefälligste Typ, den sie sich vorstellen konnte, und er brachte sie auf die Palme wie kein anderer.

Aber er hat sich bei dir entschuldigt, und seine Selbstgefälligkeit geht mit einer gewissen Selbstironie einher. Außerdem hat er dir einen triftigen Grund für die Einladung genannt.

Doch er war ihr völlig fremd und konnte wer weiß wer sein.

Ich kenne aber seinen Namen. Außerdem spricht er von einer vornehmen Wohltätigkeitsgala in einem schicken Hotel im Westend.

Und sie hatte nichts Passendes anzuziehen.

Doch, das habe ich. Ich habe dieses Designerkleid aus der Secondhand-Boutique, das spottbillig gewesen ist, weil es einen Fleck gehabt hat. Und den kann ich mit einer Ansteckblume kaschieren, zum Beispiel mit einer Lilienblüte.

Aber sie musste arbeiten. Am Freitagabend bekam sie immer besonders viel Trinkgeld.

Ich kann eine zusätzliche Schicht am Sonntag einschieben, wenn das Sarrie’s geschlossen hat …

Ein Hochgefühl überkam sie, während sie ihre Einwände widerlegte. Sie war im Begriff, ein neues Leben zu beginnen – ihr eigenes Leben. Endlich konnte sie tun und lassen, was sie wollte!

Sein Angebot war wirklich zu verlockend. Falls etwas den Beginn ihres neuen Lebens einläutete, dann musste es dies sein. Also, warum packte sie die Gelegenheit nicht beim Schopf?

„Und, wie lautet die Entscheidung?“, hörte sie Nikos Parakis fragen. „Haben wir eine Abmachung?“

Flüchtig senkte Mel die Lider und lächelte. „Na gut“, erwiderte sie. „Ja, wir haben eine Abmachung.“

3. KAPITEL

Vergeblich versuchte Mel, sich in dem kleinen Spiegel von hinten zu betrachten, den sie auf Sarries Aktenschrank gestellt hatte. Doch sie wusste, das Kleid stand ihr, denn es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Es war das beste Stück in ihrer edlen, aber preiswerten Garderobe, die sie im vergangenen Jahr auf ihren Streifzügen durch verschiedene Secondhand-Boutiquen erworben hatte.

Es war aus Seide, plissiert und somit ideal zum Reisen, weil sie es im Koffer einfach zusammenrollen konnte. Die Farbe stand ihr perfekt, denn das Blassblau, das von einem dunkleren Ton und etwas Lila durchwirkt war, brachte die Farbe ihrer Augen perfekt zur Geltung, der raffinierte Schnitt ihre Figur.

Da es ein Designermodell war, konnte sie damit überall hingehen, sogar in das Viscari St. James. Sie hatte es auf Sarries PC gegoogelt und dabei einen Pfiff ausgestoßen, weil es sich um ein Luxushotel handelte. Das überraschte sie allerdings kaum, denn im Internet hatte sie außerdem gelesen, dass Nikos Parakis einer großen griechischen Bankdynastie entstammte und offenbar milliardenschwer war.

Und so ein Mann kommt in einen kleinen Sandwich-Laden, überlegte sie nun in einem Anflug von schwarzem Humor. Kein Wunder, dass ihre mangelnde Ehrfurcht ihn verärgert hatte. Allerdings hatte er sich bei ihr entschuldigt, und sie hatte das Ganze abgehakt. Jetzt musste sie sich jedoch eingestehen, dass sie sich einfach nur darauf freute, ihn wiederzusehen. Würden sie sich immer noch Wortgefechte liefern?

Mel lächelte bei der Vorstellung. Voller Vorfreude nahm sie die kleine Satinclutch, die zu ihrem Kleid passte, in die Hand. Es war Zeit, um zu gehen. Nikos zufolge sollte sein Chauffeur sie abholen, und es war gleich so weit.

Sie verließ den Laden, schloss ab und tat den Schlüsselbund in ihre Handtasche. Dabei sah sie eine dunkle Limousine vorfahren. Als sie darauf zuging, musste sie sich erst einmal an das Gefühl gewöhnen, hohe Absätze sowie ein langes Kleid und das Haar offen zu tragen.

Sobald sie sich dem Wagen näherte, stieg dessen Fahrer aus, tippte an seine Mütze und gab ihr mit seinem anerkennenden Gesichtsausdruck zu verstehen, dass sie für den kommenden Abend gut genug aussah.

Und für den Mann, der ihr diesen ermöglichte.

Mel hatte plötzlich das Gefühl, Schmetterlinge im Bauch zu haben, als der Chauffeur ihr die Tür aufhielt und sie im Fond Platz nahm. Es war so lange her, dass sie ausgegangen war, und noch nie hatte sie in einem solchen Luxus geschwelgt. Glücklich lehnte sie sich in dem weichen Ledersitz zurück und ließ die elegante Ausstattung auf sich wirken, während der Fahrer sie zu ihrem Ziel brachte – und zu dem atemberaubenden Mann, der sie dort erwartete.

Ihr wundervolles neues Leben begann gerade, und dieser fantastische Typ war derjenige, der den Auftakt dazu machte.

Nikos ging zum Tresen und bestellte sich einen Drink. Er setzte sich nicht, sondern stützte nur einen Arm auf die schimmernde Oberfläche aus Mahagoni und den Fuß auf den Messinglauf und blickte sich um. Die luxuriöse Bar, die sich neben der ebensolchen Lobby des Viscari St. James befand und die Pracht des frühen zwanzigsten Jahrhunderts ausstrahlte, galt als beliebter Treffpunkt der Oberschicht. Viele Männer trugen wie er Smoking und warteten offenbar auch auf den Beginn der Wohltätigkeitsgala.

Seine Stimmung war durchwachsen. Eine prickelnde Vorfreude erfüllte ihn, denn sein Chauffeur hatte ihn angerufen und ihn informiert, dass er unterwegs sei, und bald würde er wissen, wie fantastisch seine Begleitung im Abendkleid aussah. Gleichzeitig befielen Nikos Zweifel. Würde sie der Umgebung entsprechend auftreten können? Vielleicht hätte er ihr in der Hinsicht Hilfestellung anbieten sollen? Nein, sie hätte es als herablassend bezeichnet und abgelehnt. Und falls sie nichts Passendes anzuziehen gehabt hätte, dann hätte sie es ihm gesagt.

Er hatte gerade einen Schluck Martini getrunken, als sein Blick auf den Eingang fiel und Nikos erstarrte.

Sie kam in die Bar.

Fasziniert betrachtete er sie und nahm nebenbei wahr, wie auch die anderen Männer sich zu ihr umdrehten. Falls er jedoch Bedenken gehabt hatte, dass sie kein passendes Kleid besaß, verflogen diese sofort.

Sie sah mehr als atemberaubend aus. Endlich kam ihre Schönheit voll zur Geltung. Sie war groß und schlank, hatte aber weibliche Rundungen, die das knöchellange Kleid perfekt betonte. Vom Schnitt und von der Farbe her war es wie für sie gemacht. Zarte Blau- und Lilatöne gingen ineinander über und unterstrichen die Eleganz. Der Ausschnitt war nicht zu tief, und durch die Plisseefalten fiel es perfekt. Beim Anblick der Ansteckblume lächelte Nikos amüsiert, denn diese musste aus dem Strauß stammen, den er ihr geschickt hatte.

Ihr Haar war endlich nicht mehr von der hässlichen Baseballkappe bedeckt, sondern auf einer Seite durch einen Perlmuttkamm zurückgehalten, sodass es ihr in weichen Wellen über die Schultern fiel. Und ihr Gesicht … Als Nikos es betrachtete, war er noch zufriedener. Er hatte sie ungeschminkt schon wunderschön gefunden, doch nun, mit den Smokey Eyes, dem zarten Rouge und dem Lippenstift, der ihren Mund wie eine reife Pflaume wirken ließ …

Lächelnd ging er auf sie zu und merkte, dass sie ihn sofort entdeckt hatte, merkte auch, dass er genauso auf sie wirkte, wie er es beabsichtigt hatte. Seine Zufriedenheit wuchs.

Ein vielsagender Ausdruck trat in ihre Augen, als sie ihm entgegenkam. Doch zum ersten Mal wirkte sie nicht ganz so selbstsicher wie sonst. Eine verräterische Röte überzog ihre Wangen.

Anerkennend ließ er den Blick über sie gleiten. „Sie sehen hinreißend aus“, sagte er leise.

„Ich dachte, das wäre auch Sinn und Zweck der Sache“, erwiderte Mel betont trocken. Sobald sie Nikos Parakis bemerkt hatte, waren unerwünschte Gefühle in ihr aufgestiegen. Schon in dem maßgeschneiderten Anzug hatte er fantastisch ausgesehen, doch in dem Smoking war er zehnmal so attraktiv.

Als er sie jetzt musterte, verspürte sie ein Prickeln, das sie verzweifelt zu unterdrücken versuchte.

Er lächelte noch strahlender. „Was möchten Sie trinken?“

„Mineralwasser bitte“, brachte sie hervor, ohne zu atemlos zu klingen.

„Trinken Sie keinen Alkohol?“

„Doch“, antwortete sie und stellte erleichtert fest, dass sie jetzt etwas normaler klang. „Da es zum Essen aber bestimmt Wein gibt, möchte ich noch nicht damit anfangen.“

„Sehr klug“, meinte Nikos leise, bevor er sich abwandte und beim Barkeeper bestellte.

Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Begleiterin, und erst jetzt fiel ihm auf, dass er ihren Namen gar nicht kannte! Bisher war sie für ihn immer nur die atemberaubende Blondine aus der Snackbar gewesen. Er blinzelte, und dann fiel ihm zu seiner Erleichterung ein, dass er natürlich ihren Namen kannte. Dieser hatte auf dem hässlichen T-Shirt gestanden.

Nachdem der Barkeeper ein Glas Mineralwasser auf den Tresen gestellt hatte, nahm Nikos es und reichte es ihr. „Hier, Sarrie“, sagte er lächelnd.

Sie nahm das Glas entgegen, blickte ihn jedoch starr an. „Sarrie?“

„Möchten Sie nicht so genannt werden?“

„Nein, denn ich heiße nicht so.“ Der Blick, den sie ihm zuwarf, erinnerte ihn an ihre erste Begegnung. „Es ist der Name des Typen, dem die Bar gehört. Mein Name ist Mel.“ Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Wollen Sie auch meinen Nachnamen wissen? Oder ist der unwichtig? Schließlich werden wir uns nach diesem Abend nicht wiedersehen.“

Nikos runzelte die Stirn. Würde das tatsächlich nicht sein? Wollte er wirklich, dass diese fantastische Blondine, die ihn so durcheinanderbrachte, nur einen einzigen Abend mit ihm zusammen war?

Während er sie betrachtete, wusste er, welche Antwort sein Körper geben würde. Was er für diese wunderschöne Frau empfand, ging über körperliche Anziehungskraft hinaus. Wie mochte sie als Mensch sein? Ja, er wusste, dass sie sich gegen ihn behaupten konnte, aber was machte sie noch aus?

Er musste es unbedingt herausfinden.

Nikos lächelte charmant. „Mel, ist Ihnen immer noch nicht klar, dass ich viel mehr über Sie wissen möchte als nur Ihren Nachnamen?“

Zufrieden beobachtete er, wie sie erneut errötete, und lehnte sich lässig an den Tresen.

Die Wangen immer noch gerötet, erwiderte sie: „Er lautet Cooper – nur für alle Fälle, zum Beispiel wenn Sie mich dieser Frau vorstellen, die ich von Ihnen fernhalten soll.“

Nikos ignorierte ihren scharfen Unterton. Ja, er war sich ganz sicher. Mel Cooper war eine Frau, über die er mehr wissen wollte. Viel mehr.

„Dann erzählen Sie mal, Mel Cooper“, begann er. „Wie kommt es, dass Sie in einer Snackbar mit dem Namen Sarrie’s Sarnies arbeiten?“, erkundigte er sich betont lässig und beobachtete, wie sie sich daraufhin entspannte und einen Schluck Wasser trank.

„Sarrie Silva ist der Onkel einer Freundin von mir, und er hat mir den Job angeboten“, erzählte Mel. „Die Bezahlung ist nicht schlecht, und die Arbeit macht mir Spaß.“ Sie musste Nikos Parakis ja nicht erzählen, dass ihr jede Art von Arbeit Freude gemacht hätte, nachdem sie sich jahrelang um ihren Großvater gekümmert hatte. „Und das Beste ist, dass ich in dem Raum dahinter schlafen darf. Ich wohne also praktisch dort.“

Erstaunt zog Nikos die Brauen hoch. „Sie leben im Hinterzimmer einer Snackbar?“

„Ja. Ich zahle keine Miete, und in London spart man so eine Menge Geld“, erklärte sie.

„Und wie lange wohnen Sie da schon?“

„Fast ein Jahr. Seit ich aus dem Haus ausziehen musste, in dem ich aufgewachsen bin.“

Nun runzelte er die Stirn. „Und warum mussten Sie dort weg?“

„Es war nach dem Tod meines Großvaters. Ich … habe ihn gepflegt …“ Die Kehle schnürte sich ihr zu, als der vertraute Schmerz in Mel aufstieg. „Als ich ihn verloren habe … habe ich beschlossen, das Haus zu vermieten, um ein regelmäßiges Einkommen zu haben.“

„Sie sind dadurch aber obdachlos geworden?“, hakte Nikos nach.

Mel schüttelte den Kopf und setzte ein Lächeln auf. „Das war unwichtig, weil es sowieso nur eine Übergangslösung sein sollte. Ich gehe bald ins Ausland“, fügte sie hinzu, um Nikos Parakis klarzumachen, dass sie London in naher Zukunft verlassen würde. Seine Worte von eben fielen ihr wieder ein.

Mel, ist Ihnen immer noch nicht klar, dass ich viel mehr über Sie wissen möchte als nur Ihren Nachnamen?

Sie hingegen wollte nur diesen Abend genießen, die luxuriöse Umgebung, und die vorhersehbaren Empfindungen unterdrücken, die Nikos Parakis in ihr weckte. Also musste sie ihm klarmachen, dass sie nicht mehr lange in London bleiben würde. Dieser Abend war eine einmalige Sache, und sie würde ihn in vollen Zügen genießen und dann als schöne Erinnerung abhaken. Und mit ihm Nikos Parakis.

Wieder runzelte er die Stirn. „Und wohin wollen Sie reisen?“

„Keine Ahnung.“ Mel trank einen Schluck Wasser. „Wahrscheinlich nach Spanien. Hauptsache, ich bekomme einen günstigen Flug.“

Er wirkte ein wenig erschrocken. „Sie haben kein Ziel im Sinn?“

„Eigentlich nicht. Ich möchte nur reisen. Egal, wohin ich gehe, es wird ein Abenteuer sein.“

Nikos trank einen Schluck Martini. „In welchen Ländern waren Sie denn bisher?“

„Ich war noch nie im Ausland. Darum geht es ja.“

Mel klang bewegt, und er sah ihren begeisterten Gesichtsausdruck, ihre funkelnden Augen, die ihre atemberaubende Schönheit unterstrichen. Aus Erfahrung wusste er, dass sie mit dieser Schönheit alle Männer verrückt machen würde, sobald sie da draußen wäre. Vielleicht zu verrückt …

„Verreisen Sie mit Freunden?“, fragte er. Und damit meinte er auch, ob sie mit einem Freund verreisen würde. Nein, natürlich nicht, sonst hätte sie seine Einladung nicht angenommen, oder? Dass sie solo war, freute ihn. Mehr als die Antwort auf seine Frage.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, allein. Bestimmt werde ich unterwegs Freunde finden.“

„Dann seien Sie vorsichtig“, warnte er sie. „Manche Orte sollten Alleinreisende – vor allem weibliche – lieber meiden.“

Nun presste sie die Lippen zusammen. „Ich kann auf mich aufpassen.“

Ironisch verzog Nikos das Gesicht. „Ich weiß“, bestätigte er trocken. „Beim verbalen Schlagabtausch stehen Sie locker zwölf Runden durch. Lassen Sie sich jedoch einen Rat geben, und bleiben Sie in Touristengegenden.“

Einen Moment lang funkelten ihre Augen angriffslustig. „Na gut“, lenkte sie dann ein. „Ich habe verstanden. Ich engagiere einen Bodyguard, der mir nicht von der Seite weicht“, fügte sie betont schicksalsergeben hinzu.

„Eine sehr gute Idee“, murmelte er. „Ich kann Ihnen eine erstklassige Agentur empfehlen, bei der ich auch schon Personenschutz bekommen habe.“

Entgeistert sah sie ihn an. „Ist das Ihr Ernst?“

Nikos nickte. „Es gibt einige Orte auf der Welt, wo es ratsam ist, jemanden bei sich zu haben, der bewaffnet ist.“

„Und warum reisen Sie dorthin?“

„Ich mache in diesen Gegenden Geschäfte“, antwortete er trocken. Und angesichts des fragenden, argwöhnischen Ausdrucks in ihren Augen fuhr er fort: „Und nein, bevor Ihre Fantasie mit Ihnen durchgeht, ich bin kein Waffenhändler. Ich bin nur ein langweiliger, ehrenwerter Banker.“

„Ja, ich weiß“, gestand Mel. „Ich habe im Internet nach Ihnen recherchiert, nur für den Fall. Allerdings …“ Sie warf ihm einen herausfordernden Blick zu. „… war ich nicht der Meinung, dass Banker heutzutage ehrenwert sind.“ Nach einer Pause fügte sie hinzu: „Oder sollte ich lieber angesehen sagen?“

„Autsch!“ Nikos trank noch einen Schluck Martini. „Angesichts der aktuellen Wirtschaftslage und der Rolle, die die Banken dabei gespielt haben, verstehe ich Ihre Skepsis. Allerdings sollten Banken – und das strebe ich an – zur Verbesserung der Wirtschaftslage beitragen. Das gilt vorrangig für die Parakis Bank in Griechenland, die die Rezession schwer getroffen hat, aber auch für andere Teile der Welt.“

Interessiert blickte sie ihn an, und dass sie offenbar keine tumbe Blondine war, freute ihn.

„Die Parakis Bank ist eine Investmentbank, und wir haben immer echte Partnerschaft mit unseren Kunden angestrebt – das heißt, wenn sie Geld verlieren, tun wir es auch. Deshalb müssen wir unsere Klientel sehr sorgfältig aussuchen. Ich bevorzuge Kunden, die sich leidenschaftlich für ihre Branche interessieren, ein Händchen für globale Trends auf ihrem Markt haben und wissen, wo ihre Möglichkeiten liegen, die hart gearbeitet haben, um ihr Unternehmen aufzubauen, und schlichtweg einen Kredit brauchen, um expandieren zu können. Wir profitieren also beide davon.“ Er lächelte. „So, habe ich Sie davon überzeugt, dass nicht alle Banker die Inkarnation des Bösen sind?“, fügte er ironisch hinzu.

„Ja, das klingt überzeugend“, räumte Mel ein.

„Und, kann man Sie überzeugen?“, drängte er.

Seine Haltung hatte sich unmerklich verändert, genauso wie sein Tonfall. Mel blickte flüchtig weg und sah Nikos dann wieder an. Zwischen ihnen war etwas Unterschwelliges, das nichts mit dem Bankwesen zu tun hatte. Sie nahm die Herausforderung an und lächelte.

„Manchmal“, erwiderte sie bewusst zweideutig. Sollte er doch denken, was er wollte. Was er offenbar auch tat.

„Das ist sehr beruhigend“, meinte er leise, woraufhin sie ein Gesicht schnitt.

„Das wussten Sie doch, stimmt’s?“, fragte sie mit einem verzweifelten Unterton. „Ich meine, Sie haben mich schließlich überredet, heute Abend hierherzukommen.“

„Und darüber bin ich unglaublich froh“, erklärte er herzlich. „Sonst hätte ich es verpasst, die schönste Frau in London am Arm zu haben und von allen Männern hier beneidet zu werden.“

Mel lachte über das übertriebene Kompliment. „Ja, ja“, wehrte sie amüsiert ab, obwohl es sie insgeheim freute. Dann leerte sie ihr Glas und stellte es auf den Tresen. „Also, werden wir heute Abend wirklich zusammen etwas essen?“, wechselte sie das Thema. „Es klingt vielleicht komisch, weil ich in einer Snackbar arbeite, aber ich habe nie Zeit zum Mittagessen und bin total hungrig.“

„Prima“, sagte Nikos. „Das Essen hier ist hervorragend, und ein gesunder Appetit kann demzufolge nicht schaden.“ Flüchtig betrachtete er sie von Kopf bis Fuß. „Ich hoffe, Sie gehören nicht zu den Frauen, die zwei Salatblätter als Festmahl betrachten.“

Wieder lachte sie. „Heute Abend nicht, versprochen.“

„Das ist gut. Wollen wir dann? Die anderen Leute gehen auch schon in den Saal.“ Nachdem er sein leeres Glas ebenfalls auf den Tresen gestellt hatte, deutete er eine Verbeugung an und bot ihr seinen Arm an.

Sie hakte sich bei ihm unter. „Dann führen Sie mich zum Essen!“

Seine dunklen Augen funkelten. „Zu Ihren Diensten“, erwiderte er leise, bevor er sie aus der Bar geleitete.

„Das Angebot werden Sie vielleicht noch bereuen“, konterte sie mit einem amüsierten Unterton.

Wieder funkelten seine Augen. „Ich versichere Ihnen, Mel, dass ich nichts bereuen werde, wenn es um Sie geht.“

Erneut lachte sie gelöst, denn dieser Abend erwies sich als amüsanter, als sie sich erhofft hatte – und das lag nicht nur an dem luxuriösen Veranstaltungsort und der Gelegenheit, sich endlich einmal wieder chic zu machen, sosehr sie beides auch zu schätzen wusste.

Nein, es war der Mann an ihrer Seite, der dieses Prickeln in ihr hervorrief, als hätte sie bereits ein Glas Champagner getrunken. Der Mann neben ihr und dessen unergründlicher Blick ihr Herz schneller schlagen ließ.

Pass auf, meldete sich eine innere Stimme, vergiss nicht, dass du nur einen einzigen Abend mit ihm verbringst! Also genieß die nächsten Stunden, genieß die Gesellschaft von Nikos Parakis, und dann geh, und hak es als schöne Erinnerung ab.

Mel wusste sehr wohl, wie sie sich verhalten sollte. Doch als sie an Nikos’ Seite die Bar verließ, spürte sie immer noch, dass ihr Herz ein kleines bisschen schneller schlug als je zuvor.

4. KAPITEL

„Du meine Güte!“, rief Mel spontan.

„Beeindruckend, nicht wahr?“, fragte Nikos leise.

„Allerdings.“

Sie blickte sich im Ballsaal des Hotels um, in dem nun die Gäste ihre Plätze einnahmen. Der Raum war wunderschön mit dem für die Jahrhundertwende typischen Dekor – vergoldete Möbel und goldfarbene Vorhänge. Die festlich mit Kristall und Tafelsilber gedeckten und mit kunstvollen Blumenarrangements geschmückten Tische unterstrichen das edle Ambiente.

Nikos führte Mel weiter in den Saal hinein. Er genoss ihre Gesellschaft aus vielerlei Gründen. Der wichtigste, wie er sich ins Gedächtnis rief, war der, dass er Fiona Pellingham mit einer fantastisch aussehenden Begleiterin auf Abstand halten konnte. Doch mit jeder Minute, die er länger in Mels Gesellschaft verbrachte, wurde ihm deutlicher bewusst, dass er den Abend auch gern mit ihr verbracht hätte, wenn Fiona nicht gewesen wäre.

Welcher Mann hätte diese blonde Göttin nicht auch gern an seiner Seite gehabt? Welcher Mann hätte sie nicht begehrt?

„Ich glaube, das da ist unser Tisch“, sagte Nikos leise, um diese Gedanken zu verdrängen.

Als sie sich ihren Plätzen näherten, stellte er fest, dass ebenfalls die Frau am Tisch saß, die ihn zu seiner Partnerwahl für diesen Abend veranlasst hatte. Fiona Pellingham wandte sich ihm zu und blickte ihn intensiv an.

„Das ist sie, stimmt’s?“, hörte er Mel leise fragen. „Die nervtötende Frau, die scharf auf Sie ist?“

„Leider ja“, erwiderte er genauso leise. „Und es sieht so aus, als würde sie Anstoß an Ihrer Anwesenheit nehmen.“ Der scharfe Blick, mit dem sie Mel flüchtig bedacht hatte, war ihm nicht entgangen.

„Wie schade“, sagte Mel mit einem bissigen Unterton.

„Lassen Sie sich von ihr nicht kleinmachen“, warnte er sie, plötzlich besorgt. Fiona Pellingham hatte es nicht durch eine liebenswürdige Art an die Spitze geschafft. Doch seine Befürchtung war unnötig, wie er dann feststellte.

„Bestimmt nicht“, versicherte Mel zuckersüß, und sofort fiel ihm ein, wie unkleinmachbar sie sein konnte. Er musste es schließlich am besten wissen!

Sobald sie den Tisch erreichten, standen die anderen Männer auf, und Nikos begrüßte sie. Er kannte einige von ihnen geschäftlich, und die anderen stellte Fiona ihm vor. Höflich schüttelte er ihr die Hand, während sie sich ungerührt gab. Allerdings lag ein abschätzender Ausdruck in ihren Augen, als er Mel mit allen bekannt machte.

„Hallo“, sagte diese lässig und lächelte dabei strahlend, bevor sie sich ganz selbstverständlich auf einen der freien Plätze setzte.

Nikos nahm auf dem Stuhl daneben und gegenüber von Fiona Platz. Dabei entging ihm nicht, wie die anderen Männer, die ebenfalls in weiblicher Begleitung erschienen waren, Mel ungeachtet dieser Tatsache bewundernd betrachteten.

Ein Ober kam an den Tisch, um Wein und Wasser einzuschenken, während ein anderer kleine Brötchen anbot.

Mel legte sich die Leinenserviette auf den Schoß. Dann nahm sie sich ein warmes Brötchen aus dem Korb. „Ich habe das Mittagessen ausfallen lassen“, verkündete sie fröhlich, bevor sie sich ein Stück Butter aus der Schale fischte.

Sie schnitt das Brötchen durch und bestrich es, während alle um sie her miteinander zu plaudern begannen. Es ging hauptsächlich um geschäftliche Dinge, und sie hörte nur mit halbem Ohr zu. Nach einer Weile betrachtete sie die Frau, der sie einen Strich durch die Rechnung machen sollte, was Nikos betraf.

Fiona Pellingham war sehr attraktiv, eine ebenso grazile wie elegante Brünette in einem dunkelroten Kleid, das offenbar von einem Topdesigner stammte. Natürlich hatte Mel sofort gemerkt, dass Fiona äußerst bestürzt über ihre Anwesenheit war. Die anderen beiden Frauen konnten ihr rein äußerlich nicht das Wasser reichen, waren jedoch ebenfalls elegant gekleidet und schienen schon länger mit ihren Begleitern verheiratet zu sein.

Jedenfalls wirkten alle Gäste an ihrem Tisch um einiges privilegierter als sie. Doch was soll’s? sagte Mel sich. Nur Fiona wirkte ihr gegenüber feindselig, die anderen schienen sie als das zu akzeptieren, was sie war: Nikos Parakis’ Begleiterin für den Abend.

Während die anderen sich also in ihrer kultivierten Art über die City, das Geschäft und die Finanzwelt im Allgemeinen unterhielten, wobei sie allerdings nicht mitreden konnte, so interessant sie es auch fand, beschloss Mel, das Essen zu genießen.

Als Vorspeise gab es eine köstliche Lachsterrine und dazu gekühlten Chablis. Sie stellte gerade ihr Glas weg, als jemand sie ansprach.

„In welcher Branche sind Sie tätig, Mel?“

Es war der Mann, der neben Fiona saß, und da die Frage höflich klang, sah Mel keinen Grund, nicht genauso zu antworten. Sie spürte, wie Nikos sich verspannte, bereit, rechtzeitig einzugreifen, doch sie ignorierte ihn.

„Verbrauchsgüter des täglichen Bedarfs“, erwiderte sie gewandt. „Ich beschäftige mich vor allem mit Marksegmentierung.“

„Interessant“, bemerkte der Mann. „Sind Sie bei einem der großen Einzelhandelsanalysten tätig?“

Mel schüttelte den Kopf. „Nein, das ist unabhängige Marktforschung direkt am Kunden.“ Sie hätte schwören können, dass Nikos einen erstickten Laut ausstieß.

„Und was machen Sie mit den Daten?“, erkundigte sich ein anderer Mann am Tisch.

„Oh, die bekommt mein Kunde als Grundlage für seine Expansionsstrategie“, meinte sie betont locker.

„Und ist das etwas, das die Parakis Bank mit einem Kredit unterstützt?“

Fionas Stimme klang liebenswürdig, doch Mel hörte den scharfen Unterton heraus. Sie kam nicht mehr dazu zu antworten, denn Nikos erwiderte ironisch:

„Ich muss warten, bis der Umsatz entsprechend ist.“

Mit funkelnden Augen wandte sie sich zu ihm um. „Ich komme darauf zurück.“ Um glaubwürdiger zu wirken, hatten Nikos und sie sich auf das Du geeinigt. Dann wechselte sie schnell das Thema. Es war Zeit, Fiona zu entwaffnen.

„Nikos hat mir erzählt, wie erfolgreich Sie sind“, wandte sie sich an diese und lächelte dabei herzlich.

Fiona wirkte zuerst leicht erschrocken, schien sich aber über das Kompliment zu freuen. „Na ja, es war harte Arbeit“, räumte sie ein, diesmal nicht mehr so kühl.

„Ist es für Frauen wirklich so schwer, in der City Karriere zu machen, wie man behauptet?“, erkundigte Mel sich, auch an die anderen beiden Frauen gewandt. „Für Sie scheint das ja nicht zu gelten.“ Anerkennend betrachtete sie Fiona.

„Man braucht schon einen starken Willen, um es bis an die Spitze zu schaffen“, erwiderte Fiona.

Eine der anderen beiden Frauen nickte. „Und man darf keine Kinder bekommen.“

Mel schnitt ein Gesicht. „Das ist immer noch das klassische Dilemma, stimmt’s? Karriere oder Familie.“

Genau wie sie erhofft hatte, kam das Gespräch nun auf die altbekannte Diskussion, ob beruflich erfolgreiche Frauen Nachwuchs bekommen konnten, ohne ihre Karriere aufs Spiel zu setzen. Es entspann sich ein lebhaftes Streitgespräch, bei dem sich eine der Frauen vehement für die Familie aussprach und Fiona und die andere unverblümt erklärten, dass die Familiengründung warten müsste.

Mel spürte, wie Nikos sich zu ihr herüberbeugte.

„Verbrauchsgüter des täglichen Bedarfs?“, hörte sie ihn fragen, woraufhin sie sich zu ihm umdrehte und zuckersüß lächelte.

„Damit kennst du dich doch aus, stimmt’s, Nikos?“

Seine dunklen Augen funkelten. „Und du dich anscheinend auch“, meinte er trocken und mit einem verwunderten Unterton.

„Ja, die Kenntnisse verdanke ich meinem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften“, sagte sie leise. „Oh, erzähl mir nicht, dass du mich für blondes Dummchen gehalten hast, Nikos, Süßer.“

„Ich bin ja nicht lebensmüde“, konterte er.

Mel lächelte beifällig. „Cleverer Junge.“

„Das glaube ich allmählich auch. Dich heute Abend einzuladen war das Klügste, was ich in letzter Zeit getan habe.“

Etwas an seinem Tonfall verriet ihr, dass er jetzt nicht mehr von ihrer Intelligenz sprach. Wärme durchflutete sie. Im nächsten Moment registrierte Mel erleichtert, dass Fiona sie angesprochen hatte.

„Und wo stehen Sie, was die Frage Kind oder Karriere angeht?“

„Ich fürchte, ich konzentriere mich momentan auf persönliche Ziele und Prioritäten“, erwiderte Mel prompt und verschwieg dabei, dass sie nicht an ihrer Karriere feilte, sondern die Welt bereisen wollte. „Also würde ich jetzt sagen, dass ich kein Baby möchte“, fügte sie nachdrücklich hinzu. „Natürlich werde ich es nie so weit bringen wie Sie, und deshalb wird es auch nie so Thema für mich sein wie für Sie.“

Wieder einmal verfehlte ihr Kompliment nicht seinen Zweck. „Aber es gibt noch ein heikles Thema für Karrierefrauen, und das ist der Mangel an geeigneten Partnern. Leider legen Männer oft keinen großen Wert darauf, aus welcher Schicht die Frau kommt. Ich meine, sehen Sie mich an. Ich bin nur eine bescheidene Analystin und hänge mit einem Mann ab, dessen Familie eine Bank besitzt.“

„Und wie haben Sie das geschafft?“, hakte Fiona nach, diesmal wieder mit einem scharfen Unterton.

Mel lächelte entwaffnend. „Oh, Nikos kann so … überzeugend sein, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat“, säuselte sie derart übertrieben, dass alle lachten.

Sogar Fiona lächelte, und Mel war froh darüber. Sie konnte ihr keinen Vorwurf daraus machen, dass sie ein Auge auf Nikos Parakis geworfen hatte. Sie hätte es keiner Frau verdenken können. Egal, ob er einer Dynastie von Bankern entstammte oder nicht, jede Frau in London hätte sich für ihn interessiert – und weiche Knie bekommen.

Genau wie ich?

„Sie ahnen ja nicht, wie viel Mühe es mich gekostet hat, Mel hierherzubekommen“, erklärte Nikos nun lässig. „Letztendlich war es wohl der Veranstaltungsort, der sie überzeugt hat.“

„Es ist wirklich sehr schön hier“, bestätigte sie, während sie sich erneut in dem opulenten Ballsaal umblickte.

„Alle Viscari-Hotels haben dieses Gütesiegel“, bemerkte einer der Männer. „Das hebt sie von den gängigen Luxushotels ab.“

„Oh ja, absolut“, pflichtete seine Partnerin ihm begeistert bei. „Bis jetzt hat mir das in Florenz am besten gefallen.“

Daraufhin entspann sich eine angeregte Diskussion, welches Haus der Hotelkette das beste sei, und erneut konnte Mel nicht mitreden. Dann wurde glücklicherweise der Hauptgang serviert, und sie ließ sich das zarte Lamm und den Burgunder auf der Zunge zergehen.

„Und ich hätte deine Einladung beinah ausgeschlagen“, sagte sie leise zu Nikos, woraufhin er sich zu ihr umwandte.

„Genießt du es?“

„Und ob. Ich könnte mich wirklich daran gewöhnen.“

In seinen Augen flackerte etwas auf. „Na dann, Prost …“, erwiderte er leise und nahm sein Glas in die Hand. Als sie mit ihm anstieß, fügte er hinzu: „Auf meine guten Ideen.“ Nun hatten seine Augen die Farbe dunkler Schokolade, und sie glaubte dahinzuschmelzen.

Nachdem sie einen Schluck Wein getrunken hatte, konzentrierte sie sich auf ihr Essen, um die Fassung wiederzugewinnen.

Mel seufzte tief, während sie sich in dem weichen Ledersitz zurücklehnte. „Das war der schönste Abend meines Lebens“, verkündete sie.

Nikos, der neben ihr saß, wandte den Kopf und lächelte. „Freut mich, dass es Ihnen gefallen hat.“

„Und ob.“ Als sie sich zu ihm umdrehte, begegneten sich ihre Blicke. Selbst in dem schwachen Licht der Straßenlaternen konnte sie den Ausdruck in seinen Augen erkennen. Einerseits hätte sie am liebsten schnell weggesehen, andererseits hätte sie sich gern in diesen verloren.

Der Abend würde nun bald enden, und sie wollte das Beste aus der verbliebenen Zeit machen. Nikos war einfach zu attraktiv, als dass sie etwas anderes hätte tun können. Dieser Gedanke war ihr schon den ganzen Abend durch den Kopf gegangen, und nun, in der Abgeschiedenheit des Wagens, gestattete sie sich, Nikos ein letztes Mal zu betrachten und seinen Anblick auf sich wirken zu lassen. Sie war leicht beschwipst von dem Wein, aber es kümmerte sie nicht. Sie wollte einfach nur den Moment genießen.

„Das ist eine eindeutige Zustimmung.“ Seine Mundwinkel zuckten.

Mel neigte leicht den Kopf. Sie durfte nicht vergessen, warum Nikos sie mitgenommen hatte – nicht um ihretwillen, sondern um sich Fiona vom Hals zu halten.

„Glauben Sie, Fiona wird es weiter versuchen?“, fragte sie.

Nun lächelte er. „Hoffentlich nicht.“ Für einige Sekunden senkte er die Lider. „Sie haben sie ja mit Sven bekannt gemacht.“

Mel lachte. „Er heißt nicht Sven, sondern Magnus. Jedenfalls ist er ein sehr attraktiver Norweger und leitet ein Telekommunikationsunternehmen, ist also interessant für sie.“

„Hoffen wir, dass er sich für sie interessiert. Schließlich hat er Sie angemacht, als Sie auf dem Weg zu den Waschräumen waren.“

Nikos merkte selbst, wie scharf seine Stimme klang. Als er beobachtet hatte, wie Mel mit dem attraktiven Norweger an ihren Tisch zurückkehrte, waren unerwünschte Gefühle in ihm aufgeflammt. Und die hatten sich erst gelegt, als sie diesen mit Fiona bekannt machte und die beiden dann sich überließ.

„Ich bin darauf eingegangen, weil ich ihn an Fiona übergeben wollte“, konterte sie. „Ich hatte ein schlechtes Gewissen, und sie brauchte einen Trostpreis.“

„Na, ich hoffe, Sven hält sie auf Trab – und von mir fern.“

„Freut mich, dass ich Ihnen von Nutzen sein konnte.“ Sie lächelte übertrieben.

„Ich bin Ihnen wirklich dankbar, das können Sie mir glauben …“

Der raue Klang seiner Stimme ging ihr durch und durch, und Mel stockte der Atem. Sie wusste, dass sie den Blickkontakt unterbrechen musste, schaffte es allerdings nicht. Sie saß einfach nur da und spürte seine Nähe.

Dann merkte sie, dass etwas anders war. Der Chauffeur hatte die Limousine angehalten. Unvermittelt wandte sie sich ab und sah aus dem Fenster.

„Wir sind da“, meinte sie. Endlich konnte sie aussteigen und den Abend beenden. Und Nikos Parakis Lebewohl sagen.

Ein schreckliches Gefühl der Leere erfüllte sie plötzlich. Der Abend war tatsächlich vorbei. Ihre flüchtige Begegnung mit Nikos Parakis neigte sich dem Ende zu. Der Chauffeur öffnete ihr die Tür, und sie raffte ihr Kleid zusammen, um den Wagen zu verlassen. Die Nachtluft war kühl … ernüchternd.

Nikos stieg ebenfalls aus und nickte dem Chauffeur flüchtig zu, der sich daraufhin wieder ans Steuer setzte.

Mel setzte ein fröhliches Lächeln auf. „Vielen Dank für einen fantastischen Abend“, sagte sie. „Ich hoffe, Fiona weiß jetzt, dass sie nicht die geringste Chance bei Ihnen hat, und konzentriert sich stattdessen auf ihren attraktiven Telekommunikationswikinger.“

Gleich würde Nikos ihr eine gute Nacht wünschen, und sie würde den Schlüssel aus ihrer Tasche nehmen, die Tür öffnen und hineingehen. Er würde sich wieder in seine Limousine setzen und sich zu seinem schicken Apartment zurückbringen lassen, zurück in sein mondänes, luxuriöses Leben. Sie würde wieder Sandwichs zubereiten und bald einen Billigflug buchen und nach Spanien fliegen.

Mel wartete auf die prickelnde Vorfreude, die sich immer einstellte, wenn sie an ihre Zukunft dachte. Stattdessen empfand sie jedoch Verzweiflung. Wie konnte etwas, für das sie noch vor wenigen Stunden so gebrannt hatte, ihr jetzt so wenig verlockend erscheinen?

Weil ich den Abend mit Nikos Parakis verbracht habe!

Hatte sie gerade geseufzt? Mel wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie sich zwang, die Hand auszustrecken. „Danke“, wiederholte sie. „Und gute Nacht.“

Gleich würden sie wieder getrennte Wege gehen. Sie waren wie Schiffe in der Nacht, die zusammengestoßen waren und nun wieder Kurs auf ihre ursprünglichen Ziele nahmen.

Du hattest deinen Spaß, und jetzt ist es vorbei. Finde dich damit ab, und geh rein. Sofort. Und hör auf, ihn anzusehen!

Doch Mel schaffte es nicht, den Blick abzuwenden. Sie spürte, wie Nikos ihre Hand ergriff, und zwang sich, den Druck gleichmäßig zu erwidern. Sie hatte kein Rendezvous mit ihm gehabt. Sie hatte ihm einen Gefallen getan und einen wundervollen Abend verbracht, und nun war es höchste Zeit, sich aus der Affäre zu ziehen.

Doch warum fiel es ihr so schwer?

Das Blut pulsierte in ihren Adern, und sie war sich seiner überwältigenden Männlichkeit bewusst, als sie um zwei Uhr morgens auf dem Fußweg vor der Snackbar stand. Und sie war sich seiner markanten Züge, seines dunklen Haars und seines Dufts überdeutlich bewusst. Warum nur konnte sie sich nicht von der Stelle rühren, während sie seine warme Hand spürte? Nun umschloss er ihre auch noch mit der anderen und zog sie weiter an sich, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen.

„Gute Nacht – und danke, dass Sie mich heute Abend begleitet haben.“ Sein rauer Tonfall stand in krassem Widerspruch zu den höflichen Worten.

Sie berührte ihn nun fast und sehnte sich danach, sich an ihn zu schmiegen und seinen Nacken zu umfassen, um seinen Mund zu sich herabzuziehen … Dieser Drang war so übermächtig, dass er sie schockierte. Und als würde in ihrem Kopf ein Film in Zeitlupe ablaufen, versuchte ihr Verstand, sie davon abzubringen. Es war so lange her, dass sie einen Mann geküsst hatte, und noch länger, dass sie das letzte Mal mit einem Mann geschlafen hatte. Jak war schon vor langer Zeit nach Afrika gegangen, und seitdem hatte sie sich nur wenige Male verabredet.

Und nun stand sie hier, blickte zu dem verführerischsten Mann auf, dem sie je begegnet war, und wollte ihn nur noch küssen und seine Arme spüren. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, neigte Nikos nun den Kopf und presste die Lippen auf ihre. Sie waren weich und sinnlich.

Sofort war es um sie geschehen. Mel schmiegte sich an ihn und spürte seinen muskulösen Oberkörper an den Brüsten. Achtlos ließ sie ihre Abendtasche fallen, um die andere Hand unter seinen Smoking gleiten zu lassen und seine Körperwärme wahrzunehmen. Langsam schloss sie die Augen, während sie sich einem sinnlichen Kuss hingab, der sie schwerelos zu machen schien. Den ebenso erotischen wie routinierten Liebkosungen seiner Lippen. Er drängte ihre auseinander, bis er alles von ihr bekam, was er suchte.

Wie lange er sie küsste, vermochte Mel danach nicht mehr zu sagen. Sie wusste nur, dass sie ihn an sich presste, während er ihre andere Hand zwischen ihren Brüsten festhielt und ihr Herz wie wild pochte. Schließlich löste er sich von ihr und betrachtete sie. Seine Miene war unergründlich, doch selbst im Schein der Laternen erkannte Mel einen Schatten irgendwo in den Tiefen seiner dunklen Augen … Er wollte etwas sagen, schwieg allerdings …

Irgendetwas war zwischen ihnen. Mel wusste nicht, was, aber sie wollte diese stumme Botschaft auch nicht lesen. Atemlos wich sie einen Schritt zurück. Dann bückte sie sich, um ihre Abendtasche aufzuheben und den Schlüssel herauszunehmen. Sie konzentrierte sich darauf, die Tür aufzuschließen und zu öffnen. Beim Hineingehen wandte sie sich um.

Nikos stand immer noch da und betrachtete sie. Hinter ihm stand seine Limousine, die ihn in seine Welt zurückbringen würde.

Plötzlich schnürte sich alles in ihr zu. „Leb wohl, Nikos“, hörte Mel sich leise sagen. Dann drehte sie sich um und ließ die Tür hinter sich zufallen.

Der Abend war vorbei.

Nikos stand noch eine Weile regungslos da. Schließlich wandte er sich abrupt um und stieg in den Wagen.

Sein Chauffeur fuhr durch die verlassenen Straßen.

Eine stumme Botschaft schwirrte Nikos durch den Kopf. Es war eine Botschaft, die er nicht hören wollte, die er sein Leben lang ausgeblendet hatte. Eine Botschaft, die all seine Prinzipien infrage stellte.

5. KAPITEL

Gähnend füllte Mel den Behälter der Teemaschine mit Wasser, bevor sie mit den üblichen Vorbereitungen für die Öffnung der Snackbar begann. Doch sie war mit den Gedanken ganz weit weg und durchlebte den vergangenen Abend erneut, vor allem Nikos’ sinnlichen Gutenachtkuss …

Nur für einen Moment empfand sie noch einmal die Verwunderung wie in jenem Moment, als Nikos und sie sich in die Augen geblickt hatten. Dann schüttelte sie den Kopf, um es zu verdrängen. Drei lange Jahre lang hatte sie keine Romanze mehr gehabt – kein Wunder, dass sie überwältigt war, nachdem ein routinierter Liebhaber wie Nikos Parakis sie geküsst hatte!

Ironisch verzog sie den Mund. Wahrscheinlich hatte er schon unzählige Frauen geküsst. Geküsst, umworben und dann wieder fallen lassen. Ernsthafte Beziehungen vermieden. Das konnte sie durchaus nachvollziehen, denn sie wollte vorerst auch keine Verpflichtungen eingehen, sondern unverfängliche Abenteuer genießen, wenn sie sich ihr boten.

Mel schnitt ein Gesicht, als sie die Croissants aufzuwärmen begann. Nikos Parakis würde ihr jedenfalls kein Abenteuer bieten, so viel stand fest. Er hatte ihr einen Gutenachtkuss gegeben und war in sein Leben zurückgekehrt. Er hatte nur einen einzigen Abend gewollt.

Sie nahm gerade eine Packung Butter aus dem Kühlschrank und hielt dann mitten in der Bewegung inne. Was wäre, wenn er mehr gewollt hätte?

Wieder durchlebte sie jenen Moment, als er sich nach dem Kuss von ihr gelöst hatte und sie sich nur angesehen hatten. Eine stumme Botschaft hatte zwischen ihnen gestanden … Eine Botschaft, die sie nicht hatte deuten können – und wollen.

Erneut schüttelte Mel den Kopf. Was spielte es überhaupt für eine Rolle? Sie würde Nikos nicht wiedersehen und sich nur an seinen sinnlichen Kuss erinnern. Und bis dahin musste sie eine Menge Brot bestreichen.

Nikos lief. Lief schnell. Aber nicht schnell genug. Er erhöhte das Tempo auf dem Crosstrainer, doch er konnte die Erinnerung nicht auslöschen. Die Erinnerung daran, wie er Mel geküsst hatte.

Immer wieder durchlebte er jenen Moment – das Gefühl ihrer Lippen, sanft und sinnlich unter seinen, ihren süßen, berauschenden Geschmack … auch jetzt in Athen, über eine Woche später. Er erinnerte sich immer noch an das, was er ihr beinah gesagt hätte.

Lass den Abend jetzt nicht enden. Komm mit mir zurück, und verbring die Nacht mit mir …

Doch als sie sich voneinander lösten, er sie aber immer noch in den Armen hielt, hatte Mel ebenso benommen wie hilflos zu ihm aufgeblickt, und er hatte die Worte nicht über die Lippen gebracht.

Nikos wusste, warum. Es wäre unfair gewesen, sie zu fragen, ob sie die Nacht mit ihm verbringen wollte. Er kannte sie nicht gut genug, um es zu riskieren. Nach einer derart intimen Begegnung hätte Mel vielleicht etwas von ihm erwartet, was er ihr nicht geben konnte und wollte. Er vermochte ihr nicht mehr als eine flüchtige Affäre zu bieten.

Nein, er war kein Don Juan, dem es ein perverses Vergnügen bereitete, Frauen zurückzuweisen, nachdem sie sich in ihn verliebt hatten. Es war ihm viel lieber, wenn sie sich gar nicht erst in ihn verliebten, sondern dieselbe Einstellung hatten wie er.

Denn die besten Beziehungen waren die, die nicht lange dauerten, wie er aus Erfahrung wusste. Nikos presste die Lippen zusammen. Genauso wusste er, dass die Menschen, die diese Ansicht nicht teilten, sich massive Probleme einhandelten. Probleme, die auch Folgen für andere nach sich zogen.

Wie zum Beispiel für Kinder.

Deswegen riskierte er keine langfristigen Beziehungen, weil sie sich als Falle erweisen konnten. Man lebte dann in einem Gefängnis, aus dem man nicht mehr herauskam.

Seine Miene verfinsterte sich. Genauso war es seinen Eltern ergangen. Sie waren in einer zerstörerischen Beziehung gefangen, die keiner von ihnen aufgeben wollte oder konnte. Das hatte er bereits als kleiner Junge mitverfolgen müssen, und er tat es auch jetzt noch, wenn er mit ihnen zusammen war. Warum die beiden sich nicht schon vor Jahren hatten scheiden lassen, würde er wohl nie verstehen. Immer wenn er sie darauf angesprochen hatte, hatten sie behauptet, sie wären seinetwegen zusammengeblieben, damit er ein stabiles Zuhause hätte.

Bei der Erinnerung daran lachte Nikos bitter. Falls das stimmte, war er den beiden alles andere als dankbar. Nach dem Abitur war er in die USA gegangen, um dort zu studieren, und nach dem Abschluss nach Griechenland zurückgekehrt, um sich eine eigene Wohnung zu kaufen und seinen Platz in der familieneigenen Bank einzunehmen.

Nach wie vor hörte er kaum zu, wenn einer von ihnen sich über den anderen beschwerte, und war immer froh, wenn er in sein Leben zurückkehren konnte. Außerdem ließ er sich nur mit Frauen ein, die niemals wie seine Mutter sein und ihn nie zu einem Mann wie seinen Vater machen würden. Frauen, die von Anfang an begriffen, dass er sich ihnen widmete, solange sie zusammen waren, es allerdings nicht von Dauer wäre.

Hätte Mel das verstanden?

Das hatte er sie in London nicht zu fragen gewagt, und deswegen musste er jenen Abend und jenen Kuss vergessen. Doch es schien unmöglich, sosehr er es auch versuchte.

Das Programm war beendet, und Nikos stieg vom Crosstrainer, um zu den Gewichten zu gehen. Doch selbst während er pumpte, glaubte er Mel in seinen Armen zu spüren, fühlte die sinnliche Macht jenes Kusses. Dieser verfolgte ihn überall und zu jeder Tageszeit.

Als er wieder am Schreibtisch saß, versuchte Nikos erneut, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, denn sicher half es ihm. An diesem Tag stand eine Besprechung nach der anderen an, und am nächsten Morgen würde er nach Genf fliegen. Der nächste Termin war in Frankfurt, und anschließend musste er auf einer Tagung eine Rede halten. Wo fand diese noch statt? In New York? Atlanta? Toronto?

Als er auf den Link klickte, stellte er allerdings fest, dass es sich um einen ganz anderen Veranstaltungsort handelte: Bermuda. Er war geschäftlich schon einmal dort gewesen, aber immer allein. Die Inseln waren so schön, dass es nahelag, dort Urlaub zu machen – und zwar nicht allein.

Der Gedanke nahm Gestalt an, ehe Nikos es verhindern konnte, und vergeblich versuchte er, ihn zu verdrängen. Er wusste genau, wen er sich als Begleitung wünschte. Sofort rief er sich all die Argumente ins Gedächtnis, die dagegen sprachen und die ihn davon abgehalten hatten, Mel jene Worte zuzuflüstern.

Sie möchte gern ins Ausland. Bermuda wäre perfekt für sie. Außerdem würde sie nie allein dorthin kommen, denn es ist kein Ort für Rucksackreisende mit wenig Geld. Doch ich wäre in der Lage, es ihr zu ermöglichen. Ich könnte ihr einen Ort zeigen, den sie sonst niemals sehen würde.

Es war wirklich eine brillante Idee. Starr blickte Nikos aus dem Fenster, während ein Gedanke den anderen jagte.

Wie komme ich darauf, dass sie sich mehr von mir wünschen könnte als einen Urlaubsflirt? Warum fürchte ich, sie könnte etwas Tiefergehendes, Dauerhaftes wollen? Warum frage ich sie nicht einfach? Schließlich hat sie mir erzählt, dass sie die Welt bereisen möchte. Klingt das nach einer Frau, die mich an sich binden will?

Dann kam ihm ein anderer, alarmierender Gedanke. Was hatte Mel gesagt, wann sie London verlassen würde? Vielleicht war sie längst in Spanien. Und wenn ja, wie sollte er sie dann finden?

Unbewusst hatte er zum Hörer gegriffen, denn er konnte nur noch an eins denken – an Mel, wie sie an jenem Abend gewesen war, so wunderschön, so hingebungsvoll in seinen Armen.

Ich werde sie nicht einfach aus meinem Leben verschwinden lassen. Erst muss ich versuchen, sie davon zu überzeugen, mich zu begleiten!

Als seine Sekretärin nach dem ersten Klingeln abnahm, gab er ihr seine Anweisungen: „Sagen Sie Genf und Frankfurt ab. Buchen Sie mir stattdessen für morgen einen Flug nach London.“

„Hier sind die Zahlen für die Zeit deiner Abwesenheit, Sarrie. Ich finde, sie sehen ziemlich gut aus. Ich habe ein paar Änderungen an der Speisekarte vorgenommen und einige neue Rezepte ausprobiert. Sie sind gut bei den Kunden angekommen.“

Plötzlich musste Mel daran denken, wie sie auf der Wohltätigkeitsgala, umgeben von all den Karrierefrauen, von Verbrauchsgütern des täglichen Bedarfs gesprochen hatte. Sie hatte es nicht ernst gemeint, sondern nur Nikos unterhalten wollen.

Nein, denk nicht an Nikos. Und auch nicht an den Abend. Und vor allem nicht an den verheerenden Gutenachtkuss. Morgen um diese Zeit bin ich in Spanien, und wenn ich eine Romanze haben will, suche ich mir einen feurigen Spanier. Dann kann ich die Erinnerung an Nikos Parakis verbannen.

Hoffentlich, denn bisher hatte alles sie an ihn erinnert, sogar beim Packen. Als sie das Abendkleid zusammenfaltete, hatte sie sofort daran gedacht, wie er sie betrachtet hatte, wie er sie angelächelt und wie er sie am Ende jenes wundervollen Abends an sich gezogen hatte, um sie zu küssen.

Hör endlich auf damit. Es ist vorbei, er ist weg, und er kommt nicht in dein Leben zurück.

Sie durfte nicht daran denken, wie er sie geküsst und welche Empfindungen er in ihr geweckt hatte. Vor allem aber durfte sie nicht wünschen, es wäre nicht nur bei dem Kuss geblieben.

Wenn er mich noch einmal geküsst hätte, wenn ich mit ihm gegangen wäre …

Nein, daran durfte sie auf keinen Fall denken! Außerdem hatte Nikos sie nicht noch einmal geküsst, oder? Sie musste ihn endlich und ein für alle Mal aus dem Kopf bekommen.

Als es an der Tür klingelte, ließ sie Sarrie mit den Büchern und ihrem gepackten Koffer im Hinterzimmer allein und ging nach vorn, um den letzten Kunden an diesem Abend zu bedienen.

Und erstarrte.

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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