Sinnlicher Flirt mit dem Feind

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Um die Whiskeybrennerei ihrer Familie vor dem Ruin zu retten, bietet Charlotte künftig Führungen auf dem Gelände in Texas an. Ein sicheres Zusatzgeschäft. Doch gleich beim ersten Mal taucht überraschend der attraktive Anwalt Alexander Thornton auf und bringt sie aus dem Konzept. Seit Jahren schwärmt sie heimlich für ihn. Aber bislang hat er sie wenig beachtet. Heute jedoch flirtet er plötzlich mit ihr, küsst sie und lädt sie zum Dinner ein. Zu schön, um wahr zu sein? Kaum beginnt sie sich in ihn zu verlieben, macht er ihr ein unverschämtes Angebot …


  • Erscheinungstag 24.06.2025
  • Bandnummer 132025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751534918
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

K.C. Leonard

Sinnlicher Flirt mit dem Feind

PROLOG

Die Luft über dem Asphalt flirrte, als Charlotte aus der Limousine stieg. Obwohl es erst Anfang April war, kletterten die Temperaturen schon seit Tagen weit über die Dreißig-Grad-Marke. Nicht ungewöhnlich für Texas. Nach dem klimatisierten Inneren des Escalade war die Hitze wie ein Schock. Charlotte spürte fast sofort, wie sich Schweißperlen unter der Schwere ihrer rotblonden Haare in ihrem Nacken sammelten, und war froh, den taillierten, cremefarbenen Leinenblazer ihres maßgeschneiderten Hosenanzugs im Wagen gelassen zu haben. Die hellblaue Seidenbluse, die sie trug, vermittelte zumindest eine Illusion von Kühle, doch nach spätestens fünfzehn Minuten im Freien würde auch sie ihr an der Haut kleben.

Zum Glück waren es nur ein paar Schritte bis zum Notarbüro von Brooks, Saunders & Wilkes. Es lag im Innenhof des Gebäudes, auf das sie gerade zuging – ein sandfarbenes Backsteingebäude mit einem schmiedeeisernen Balkon, der sich über das gesamte erste Stockwerk erstreckte.

Die Fünf-Zentimeter-Absätze ihrer hellblauen Jimmy-Choo-Sandaletten klapperten auf den Steinplatten, mit denen das Atrium ausgelegt war. In der Mitte gab es einen kleinen Park, der angesichts der brütenden Sommerhitze erstaunlich grün war, mit Palmen, pinkfarbenen Bauhinien, weißen Bougainvilleen und leuchtend rotem Geißblatt. Dann hatte sie den Eingang zur Kanzlei erreicht und holte noch einmal tief Luft, bevor sie durch die goldverspiegelte Tür trat.

Nach dem gleißenden Sonnenschein draußen brauchten Charlottes Augen ein paar Sekunden, um sich an die veränderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Am Kopf der Lobby befand sich ein Empfangstresen, rechts davon zwei Aufzüge, links der Zugang zum Treppenhaus. Alles war in einem gedeckten Sandton gehalten, mit goldenen Akzenten. Sogar die Rezeptionistin, die am Empfang saß, passte sich perfekt in das Farbschema ein – das blonde Haar zu einem Chignon frisiert, die champagnerfarbene Satinbluse mit der großen Schleife am hochgeschlossenen Ausschnitt schick und elegant.

„Charlotte Montgomery. Ich komme zur Eröffnung des Testaments meines Vaters.“

Die Blonde nickte und sprach leise etwas in ihr Headset, vermutlich um Charlotte anzukündigen. Kurz darauf stand Charlotte im Aufzug, auf dem Weg nach oben, ins zweite Obergeschoss des Gebäudes.

Sie holte tief Luft und zupfte ihre Kleidung zurecht. Ihre Hände waren eiskalt, aber das hatte nichts mit der Klimaanlage zu tun, die die glühende Sommerhitze von San Antonio, Texas, in Schach hielt. Nein, Charlotte war nervös, auch wenn sie sich das nur sehr ungern eingestand. Im Grunde hatte sie auch gar nichts zu befürchten. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, wer am Ende des Tages die Geschäfte der Black Oak Distillery, der Whiskeybrennerei ihrer Familie, übernehmen würde.

Ihre zwei Brüder? Wohl kaum.

Mit einem leisen Ping glitten die Türen des Aufzugs auseinander und entließen Charlotte in einen kurzen, mit hellbeigem Teppich ausgelegten Korridor. An den hellen Wänden hingen gerahmte Skizzen von Gustav Klimt. Es gab nur eine einzige Tür, durch die Charlotte jetzt trat, ohne zuvor anzuklopfen.

Das Büro dahinter war groß mit bodentiefen Fenstern, durch die man in den Innenhof blickte. Ein riesiger Schreibtisch bildete das Herz des Raumes, ein hölzernes Ungetüm, wie auch ihr Vater zeit seines Lebens eines besessen hatte. Auf Hochglanz poliertes, warm schimmerndes Mahagoni – ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, in denen Dinge wie Nachhaltigkeit und Ökologie im kollektiven Bewusstsein der Menschen noch keine große Rolle gespielt hatte.

Hinter dem Schreibtisch thronte auf einem cognacfarbenen Chesterfield-Bürostuhl aus Leder ein weiteres Relikt: Mr. Samuel H. Brooks, seines Zeichens Gründer einer der ältesten Notariate der Stadt, Vorstandsmitglied des San Antonio Country Clubs und, bis zu einem Schlaganfall vor ein paar Jahren, leidenschaftlicher Golfspieler.

Sie winkte ab, als er Anstalten machte, sich zu erheben. „Sind wir vollzählig?“, fragte sie und ging zum letzten freien der insgesamt drei Besucherstühle. Sie war ein wenig überrascht, dass Liam bereits eingetroffen war. Ihr älterer Bruder war bekannt dafür, immer zu spät zu kommen. Nur eine von zahlreichen Charakterschwächen, die ihn in der Gunst ihres Vaters nicht allzu hoch hatte rangieren lassen.

Er schaute auf, als Charlotte an ihm vorbeiging. Sie hatte keinen ihrer Brüder seit der Beerdigung vor drei Wochen gesehen, wusste aber dennoch genau, was die beiden in der Zwischenzeit getrieben hatten. Es machte sich fast immer bezahlt, gut informiert zu sein, das hatte sie schon früh gelernt.

Liams Miene wirkte dem Anlass entsprechend ernst und feierlich, doch damit hörten seine Zugeständnisse, was Konventionen betraf, auch schon auf. Sie hatte nicht erwartet, dass er Schwarz tragen würde. Sie selbst hatte am Tag nach der Beisetzung bereits damit aufgehört. Aber die löchrigen Jeans und das senfgelbe T-Shirt, das so oft gewaschen worden war, dass man schon fast hindurchsehen konnte, erschienen ihr wenig angemessen. Aber sie sagte nichts. Sie war schließlich nicht ihr Vater.

Er fuhr sich mit einer Hand durch sein rotbraunes Haar und lächelte gezwungen. „Charlie.“

„Liam.“

Er hatte dieselben blaugrünen Augen wie ihre Mutter, und hohe Wangenknochen, für die so manches Model einen Mord begangen hätte. Ohnehin war er Meredith Montgomery wie aus dem Gesicht geschnitten – was vermutlich ein weiterer Punkt zu seinem Nachteil war. Nach dem Tod ihrer Mutter vor fünfzehn Jahren hatte ihr Vater ihn vermutlich nicht mehr ansehen können, ohne an seine Frau zu denken.

Ethan, der Jüngste, war das genaue Gegenteil von Liam, mit seinem dunklen Teint und den tiefbraunen Augen. Er trug, was Charlotte insgeheim immer „Ethans Kluft“ nannte: schwarze Jeans, Cowboystiefel und ein einfaches schwarze Baumwollhemd. Der dazu passende schwarze Cowboyhut lag auf seinem Schoß. Er hatte vor ein paar Jahren seinen großen Durchbruch als Countrysänger und zog seitdem mit seiner Band durch die Staaten, wenn er nicht gerade im Studio war, um ein neues Album aufzunehmen.

Fest stand, dass weder er noch Liam sich für die Black Oak Distillery interessierten – oder auch nur im Entferntesten für die Leitung des Bourbon-Imperiums geeignet waren. Nein, dachte Charlotte selbstzufrieden, für diese Position kommt nur eine Person infrage.

Sie selbst.

Brooks räusperte sich.

„Da wir nun vollständig versammelt sind, möchte ich mit der Eröffnung des Testaments Ihres Vaters, Clifford Barnaby Montgomery, beginnen.“ Er öffnete die oberste Dokumentenmappe von dem kleinen Stapel auf seinem Schreibtisch. „Das Testament wurde eigenhändig handschriftlich von Mr. Montgomery verfasst und wurde von mir und meiner Bürovorsteherin mit einer Unterschrift als echt bezeugt.“ Glättend strich er über das Dokument, bevor er noch einmal tief durchatmete und dann den Inhalt zu verlesen begann. „Ich, Clifford Barnaby Montgomery, im Angesicht meiner geistigen Kräfte, vermache hiermit mein gesamtes Vermögen, sowohl privater als auch geschäftlicher Natur, zu gleichen Teilen meinen drei Kindern Liam, Charlotte und Ethan, die …“

„Was?“ Entgeistert starrte Charlotte den älteren Mann an. Sie war aufgesprungen und hatte die Hände flach auf den Tisch gepresst. „Ich habe mich da doch wohl hoffentlich verhört!“

Unmöglich, dass ihr Vater einen so kolossalen Fehler begangen hatte. Immer, wenn er mit ihr über die Zukunft von Black Oak gesprochen hatte, waren sie sich einig gewesen, dass sie diejenige war, die eines Tages das Ruder übernehmen würde.

Und zwar allein!

Dass ihre Brüder nicht leer ausgehen konnten, war ihr durchaus klar gewesen. Aber es gab, von der Firma einmal abgesehen, ja auch genug anderes Vermögen. Die beiden würden gewiss nicht am Hungertuch nagen müssen.

Es musste sich um einen Irrtum handeln.

Es musste.

Doch Mr. Burke schürzte missbilligend die Lippen und schüttelte den Kopf. „Mitnichten, Miss Montgomery. Ihr Vater hat es ganz eindeutig formuliert. Sein gesamter Besitz – und dazu gehört auch die Black Oak Distillery – soll zu gleichen Teilen Ihnen und Ihren Brüdern gehören. Die Voraussetzung hierfür ist, dass Sie alle das Unternehmen auch wirklich gemeinsam führen. Im Testament steht außerdem: Sollte einer von Ihnen aussteigen, muss das Unternehmen verkauft und der Gewinn dann zu gleichen Teilen an Sie drei ausgezahlt werden. Die Vollmachten liegen mir selbstverständlich vor. Heute in genau einem Jahr werde ich mich davon überzeugen, dass sämtliche Bedingungen erfüllt sind, und dann die entsprechenden Schritte veranlassen.“

Charlotte ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken. Sie konnte es einfach nicht fassen. Warum? Warum hatte ihr Vater das getan?

„Nein!“, hörte sie Liam keuchen.

Und Ethan sagte: „Na, das kann ja heiter werden …“

Charlotte und ihre Brüder mochten sich nicht in vielen Dingen einig sein, aber in diesem Fall konnte sie den beiden nur aus vollem Herzen beipflichten. „Verdammt …“

1. KAPITEL

Zwei Monate später.

Die Black Oak Ranch lag etwa eine halbe Stunde außerhalb von San Antonio auf einer weiten Ebene. Das gesamte Anwesen erstreckte sich über etwa zwanzig Hektar, ein Teil davon von einem Eichenwald bedeckt, doch ein großer Teil war einfach nur offenes Weideland, das jetzt, in der Sommerhitze, staubig und trocken war.

Es war früh am Abend. Die Hitze des Tages lag noch immer über dem Land, aber die Sonne war schon dem Horizont entgegengesunken und färbte den Himmel in ein feuriges Orangerot, das langsam in ein zartes Purpur und dann in ein blasses Blau überging.

Charlotte trat aus dem kühlen Schatten der Veranda und stieg die fünf Stufen zum Hof hinunter. Das riesige Wohnhaus, an das im Laufe der Jahrzehnte immer wieder angebaut worden war, im Rücken, ging sie auf die Besuchergruppe zu, die sich vor der alten Scheune versammelt hatte. Früher war hier einmal das Heu für das Vieh gelagert worden, doch schon vor Jahren hatte ihr Vater sie zu einer Art Veranstaltungsraum umbauen lassen. Jedoch nicht für die Zwecke, für die Charlotte ihn jetzt verwendete. Er hatte da eher an Familienfeiern und Ähnliches gedacht, ganz sicher nicht an Führungen und Verkostungen.

Aber jetzt hatte Charlotte – zumindest in Abwesenheit ihrer Brüder – das alleinige Sagen. Und so würde sie nach und nach all die Pläne umsetzen, die Clifford Montgomery stets konsequent abgeschmettert hatte.

Sie räusperte sich laut, was zur Folge hatte, dass die Gäste, die sich gerade noch angeregt unterhalten hatten, sämtliche Aufmerksamkeit jetzt ihr zuwandten. „Hallo zusammen, mein Name ist Charlotte Montgomery, und ich heiße Sie herzlich willkommen auf der Black Oak Ranch“, begrüßte sie die etwa ein Dutzend Besucher, die im Halbkreis vor ihr standen. „Wer von Ihnen weiß denn schon mehr oder weniger über die Grundlagen der Bourbon-Herstellung Bescheid?“, fragte sie dann und blickte in die Runde.

Die Hälfte der Gäste war männlich und mittleren Alters, einige hatten aber auch die Sechzig bereits überschritten. Vom Aussehen gaben sie alle die typischen Texaner ab: Blue Jeans, Shirt, breitkrempiger Hut und Sonnenbrille. In Wahrheit aber handelte es sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht um Einheimische, sondern um Touristen, die an Charlottes erster öffentlicher Führung durch die Black Oak Distillery teilnahmen. Es sei denn, es hatte sich ein Spion einer konkurrierenden Whiskeybrennerei eingeschmuggelt, was sie aber nicht glaubte. Nach dem Tod ihres Vaters nahm niemand in Texas mehr das Unternehmen so richtig für voll. Eine Frau, die eine Destillerie zusammen mit zwei Brüdern leiten sollte, die sich aber aus allem raushielten und die meiste Zeit über nicht mal in Texas waren, stellte keine ernstzunehmende Konkurrenz dar.

Das dachten diese verbohrten alten weißen Männer jedenfalls. Aber Charlotte würde ihnen schon noch das Gegenteil beweisen. Wobei ihr Liams und Ethans Verhalten gewaltig gegen den Strich ging.

Die Bedingungen des Testaments waren immerhin eindeutig.

Sie konnte noch immer nicht fassen, dass ihr Vater das wirklich getan hatte. Für Cliff Montgomery hatte das Unternehmen stets an erster Stelle gestanden. Das Risiko einzugehen, dass alles an irgendwelche Fremden fiel, passte einfach nicht zu ihm!

Und doch war es seine Entscheidung gewesen …

Sie holte tief Luft und rief sich innerlich zur Ordnung. Die Gäste. Sie sollte sich auf sie konzentrieren, anstatt sich zum x-ten Mal den Kopf über etwas zu zerbrechen, das sie ohnehin nicht ändern konnte.

Noch einmal ließ sie den Blick über die Gruppe schweifen. Die anwesenden Frauen waren jünger und wahrscheinlich nur als Begleitung ihrer Ehemänner mitgekommen. Eine Vermutung, die sich nun bestätigte, als die meisten von ihnen verlegen die Köpfe schüttelten, während die Männer nickend die Hände hoben.

Die Teilnehmer des ersten Whiskey-Tastings, das Charlotte heute Abend auf dem Grund und Boden der Black Oak Distillery abhielt, waren vor etwa fünfzehn Minuten angekommen – und hatten sicher schon einen ersten Eindruck gewinnen können. Denn unter dem schmiedeeisernen Rundbogen durchzufahren, auf dem das Logo der Destillerie prangte, war selbst für Charlotte noch immer jedes Mal ein erhabener Moment; für Besucher sicherlich erst recht. Anschließend war es dann über die kiesbestreute Auffahrt, die sich um einen großen weißen Springbrunnen schlängelte, zum imposanten Wohnhaus gegangen, das sich in der Breite über mehrere Hundert Meter erstreckte.

Das Haupthaus war der älteste Teil. Es verfügte über zwei Stockwerke, eine imposante Veranda und einen großen Balkon. Es gab mehrere Anbauten, die sich harmonisch in das Gesamtbild einfügten.

Vor dem Haupthaus hatten alle ihre Autos abgestellt. Die ersten Fotos waren nach dem Aussteigen bereits gemacht und hoffentlich bereits auf Social Media hochgeladen worden.

Social Media. Darauf baute Charlotte. Für sie stellte dies nämlich die beste Werbung dar. Kostengünstig, effektiv und zeitgemäß. Wie lange hatte sie dafür gekämpft? Erfolglos, solange ihr Vater noch lebte. Der hatte von all diesem neumodischen Kram, wie er es nannte, nichts wissen wollen. Und ganz gleich, wie oft Charlotte auch mit ihm über dieses Thema diskutiert hatte, er war hart geblieben.

Der Gedanke, dass es ihr erst jetzt, nach seinem Tod, möglich war, eigene Vorstellungen umzusetzen, ließ wie so oft in letzter Zeit ein bitteres Gefühl in ihr aufsteigen. Vor allem die Testamentseröffnung vor zwei Monaten hatte endgültig gezeigt, was Cliff Montgomery ihr in geschäftlichen Dingen zugetraut hatte.

Nichts.

Aber jetzt war nicht der richtige Moment, um – zum tausendsten Mal – darüber nachzugrübeln. Dies hier war ihre Feuerprobe. Wenn ihr Konzept mit den Führungen ein Erfolg wurde, wäre das so etwas wie ein zweites Standbein für die Destillerie.

Eine Lehre hatte sie allerdings bereits schon gezogen: In Zukunft würde sie auf Vorkasse bestehen. Damit sie nicht auf den Kosten der Vorbereitung sitzen blieb, wenn Teilnehmer einfach nicht erschienen. Wie es heute der Fall war. Eigentlich hatten sich nämlich zwei Teilnehmer mehr angesagt, die waren aber nicht gekommen.

Das ärgerte Charlotte, bestätigte es doch gewissermaßen das, was ihr Vater ihr immer vorgehalten hatte. Dass sie zu gutgläubig war und zu sehr darauf vertraute, dass Menschen ihr Wort hielten.

„Nun, wie mir scheint, sind es vor allem die Frauen, die noch nicht so gut über Bourbon Bescheid wissen“, sagte Charlotte und fügte mit einem Lächeln hinzu: „Es gibt aber keinen Grund, sich dafür zu grämen, meine Damen. Das zeigt am Ende nur, dass wir Frauen uns für gewöhnlich mit wichtigeren Dingen als dem Alkohol beschäftigen, nicht wahr?“

Damit hatte sie die Lacher auf ihrer Seite und das erreicht, was sie erreichen wollte: Die Stimmung lockerte sich, und die Frauen guckten nicht mehr verschämt zu Boden, sondern erkannten, dass ihre Gastgeberin sich nicht zu billigen Witzen auf ihre Kosten herablassen würde. Charlotte wusste nämlich, dass genau das leider heute bei Führungen durch Destillerien immer noch der Fall war. Was ganz einfach daran lag, dass dieses Business weiterhin von Männern dominiert wurde.

Aber solange sie auf der Black Oak Ranch etwas zu sagen hatte, würde es dazu nicht kommen. Was aber auch bedeutete, dass es sich ziemlich schwierig gestaltete, Mitarbeiter zu finden, die ihren Ansprüchen genügten. Doch es würde die Mühe wert sein, davon war sie fest überzeugt.

„Nun“, sagte sie. „Dann würde ich vorschlagen, dass wir mit unserer Führung beginnen. Ich bin übrigen die Ur-Ur-Urenkelin des Gründers der Black Oak Ranch. Als mein Ur-Ur-Urgroßvater die Ranch erbaute, hätte er allerdings wohl eher nicht gedacht, dass wir hier eines Tages einen ganz hervorragenden Bourbon herstellen würden. Nein, damals wurden hier noch Rinder und Pferde gezüchtet.“

„Haben Sie immer noch Tiere?“, fragte eine junge Frau, die die Hand ihres Partners hielt. Die beiden waren Charlotte schon aufgefallen, weil sie sich immer wieder verliebte Blicke zuwarfen und manchmal regelrecht ineinander versunken zu sein schienen.

Muss Liebe schön sein, dachte Charlotte ein wenig bitter. Immer wenn sie turtelnde Pärchen sah, kam ihr unwillkürlich in den Sinn, wie wenig Glück sie in ihrem Leben bisher in Liebesdingen gehabt hatte.

Sicher, sie war mit verschiedenen Männern ausgegangen, aber abgesehen von ein paar flüchtigen, unbedeutenden Affären war daraus nie etwas entstanden. Warum? Weil kein Mann dem Vergleich mit „dem Einen“ standhielt, den sie einfach nicht aus dem Kopf bekam. Und das seit inzwischen sechs Jahren.

Alexander Thornton.

Charmant, erfolgreich, manipulativ.

Sie hatte ihn zum ersten Mal auf der Party gesehen, die ihr Vater anlässlich ihres einundzwanzigsten Geburtstags gegeben hatte – für ihn war es natürlich vor allem eine Gelegenheit gewesen, Geschäftsfreunde zu treffen und neue Kontakte zu knüpfen. Um Charlotte war es dabei nur am Rande gegangen, aber daran war sie schon gewöhnt gewesen.

Alexander war damals bereits Ende zwanzig gewesen – mittlerweile war er vierunddreißig – und kurz davor, als Juniorpartner in einer der größten und angesehensten Anwaltskanzleien des Landes, die auch für die Black Oak Distillery tätig war, so richtig durchzustarten. Und er hatte sie den ganzen Abend keines einzigen Blickes gewürdigt. Das wusste Charlotte deshalb so genau, weil sie ihn nicht aus den Augen gelassen hatte.

Seitdem waren sie sich immer wieder bei gesellschaftlichen Zusammenkünften begegnet. Doch weiter, als ihn nur sehnsüchtig aus der Ferne anzuhimmeln, war Charlotte nicht gekommen. Was eher untypisch für sie war.

Sie war eine moderne, selbstbewusste Frau. Wenn ein Mann ihr gefiel, dann sah sie absolut kein Problem darin, ihn anzusprechen und ihr Interesse in Worte zu fassen. In der Theorie. In der Praxis gestaltete sich das bedauerlicherweise schwierig.

Selbst ihre Brüder hatten mehr Kontakt mit ihm gehabt als sie! Ethan war ihm einmal auf einer After-Show-Party nach einem seiner Konzerte über den Weg gelaufen, und mit Liam hatte er sich wegen der Umweltschutzbestimmungen eines Neubauprojekts eines seiner Klienten in den Haaren gehabt. Das war gewesen, kurz bevor Liam seine Sachen gepackt hatte und ausgezogen war, um die Welt, oder vielmehr die Umwelt, zu retten.

Und Charlotte? Charlotte hatte bisher noch nicht einmal ein Wort mit ihm gewechselt. Ein kurzes Lächeln, als ihre Blicke sich für einen Moment begegneten. Mehr hatte sie nicht zustande gebracht.

Energisch schob sie den Gedanken an Alexander Thornton beiseite.

„Wir halten noch ein halbes Dutzend Pferde“, beantwortete sie nach kurzer Verzögerung die Frage der jungen Frau. „Die Stallungen sind zwar eigentlich kein Bestandteil unserer Führung, aber bei Interesse bin ich gern bereit, einen kurzen Abstecher einzubauen.“ Sie strich sich eine Strähne ihres rotblonden Haars hinters Ohr. „Aber wo war ich stehen geblieben? Ach, richtig. Meine Familie lebt also nun schon seit über hundert Jahren auf diesem Anwesen. Zu einer Destillerie gemacht hat die Ranch aber erst mein Großvater, Brandon Carl Montgomery. Wer kann mir sagen, woraus Bourbon hergestellt wird?“

Erwartungsgemäß waren es vor allem die Hände der Männer, die in die Höhe schossen. „Ja?“ Sie deutete auf einen Mann etwa Mitte vierzig, mit welligem dunklem Haar, das von grauen Strähnen durchzogen war.

„Mais“, antwortete er. „Und Gerste.“

„Das ist zwar noch nicht alles, aber die Antwort ist natürlich trotzdem korrekt.“ Charlotte schenkte ihm einen Daumen hoch. „Jede Brennerei hat ihr eigenes Rezept, was die Getreidemischung betrifft. Wichtig ist allerdings, dass für einen Kentucky Straight Bourbon Whiskey ein Mindestanteil von einundfünfzig Prozent Mais gesetzlich vorgeschrieben ist. Ansonsten gehören zu einem richtigen Bourbon noch Gerste und Roggen. Es gibt Brennereien, die noch Weizen hinzufügen, um den Whiskey weicher und geschmeidiger auf der Zunge zu machen, aber das ist eher seltener der Fall. Das wäre dann das Getreide – aber wer kann sich vorstellen, was sonst für die Produktion von einem richtig guten Bourbon noch besonders wichtig ist?“

Ratlose Blicke. Schließlich hob eine der Frauen zögernd die Hand.

„Ja?“

„Vielleicht … Wasser?“

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